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Walther Mann (Hg.) Erinnerungen an Odrau Band I - Alte Heimat

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Sommern fast ausgetrocknet, bei Hochwasser jedoch ein reißender Strom,<br />

der bis zur Ostsee fließt. Und d<strong>an</strong>n der Blick von der Höhe des letzten<br />

Ausläufers der Sudeten, dem Wessiedelberg, in die Ebene des fruchtbaren<br />

Kuhländchens, bis hin zu den blauen Kuppen der Beskiden in der Feme.<br />

Das war die <strong>Heimat</strong> unserer Jugendzeit.<br />

In der Werkstatt meines Vaters kam es in den dreißiger Jahren immer<br />

wieder zu aufgeregten Debatten. Ich verst<strong>an</strong>d als kleines Kind nur die<br />

Worte „Tschechen, Deutsche“ und spürte die Sp<strong>an</strong>nung. Sicher redete m<strong>an</strong><br />

auch über die neu errichtete tschechische Schule, die fast leer war und mit<br />

Zuwendungen um Kinder warb. Aber <strong>Odrau</strong> war urdeutsch, wie unsere<br />

Lehrerin einmal sagte. In der Stadt gab es damals drei Schulen, zwei<br />

deutsche und eben jene tschechische, die um 1930 im Rahmen der Tschechisierungspolitik<br />

in unsere Stadt eingepfl<strong>an</strong>zt worden war. 1935 trat ich in<br />

die erste Klasse der „L<strong>an</strong>dgräflich Fürstenberg'schen Volks- und Bürgerschule<br />

für Mädchen“ ein. Sie wurde kurz „Klosterschule“ gen<strong>an</strong>nt, da<br />

unsere Lehrerinnen Ordensschwestern waren, Fr<strong>an</strong>zisk<strong>an</strong>erinnen aus dem<br />

Mutterhaus Troppau. Kinder von Bauern und H<strong>an</strong>dwerkern und bedürftige<br />

Kinder, aber kaum Arbeiterkinder, besuchten diese Lehr<strong>an</strong>stalt, die bereits<br />

1861 von L<strong>an</strong>dgräfin Charlotte von Fürstenberg gegründet worden war.<br />

An der W<strong>an</strong>d des Klassenzimmers hing neben dem Kreuz das Porträt<br />

des tschechischen Präsidenten Thomas Garigue Masaryk. Wir lernten die<br />

tschechische Staatshymne in deutsch: „Wo ist mein Heim, mein Vaterl<strong>an</strong>d?<br />

….. Böhmen ist mein <strong>Heimat</strong>l<strong>an</strong>d“. Die Atmosphäre des Hauses strahlte<br />

Ruhe und Ordnung aus, „fleißig und fromm“ sollten unsere Haupttugenden<br />

sein. In den Turnstunden hüpften wir nach dem Tamburin der Schwestern.<br />

Den Schulweg von der Weißkirchnerstraße bis fast zur Joh<strong>an</strong>nisbrücke<br />

empf<strong>an</strong>d ich als weit. Auf der Straße herrschte Linksverkehr. W<strong>an</strong>n dies<br />

geändert wurde, weiß ich nicht mehr. Jedenfalls wechselte ich eines Tages<br />

demonstrativ auf dem Stadtplatz die Straßenseite von links nach rechts.<br />

1937 wütete in <strong>Odrau</strong> und Umgebung eine Diphterie- und Scharlach-<br />

Epidemie. Die oft lebensgefährlich erkr<strong>an</strong>kten Kinder kamen nach<br />

Wigstadtl ins Kr<strong>an</strong>kenhaus. Es gab noch keine Antibiotika und alle hatten<br />

große Angst vor Ansteckung. Um die gleiche Zeit ereignete sich ein böses<br />

Naturereignis: Eine Windhose fegte her<strong>an</strong>, das Dach des Kabinengebäudes<br />

im neuen Schwimmbad flog davon, das Wasser im Becken schlug Wellen<br />

wie im Meer, und die Kleidung der Badegäste wehte bis fast in die Stadt.<br />

1938 wurden die Debatten in der Werkstatt meines Vaters seltener. Die<br />

Männer flüsterten höchstens mitein<strong>an</strong>der. Ich hörte etwas vom „Verstecken<br />

im Wald“. Auch mein Vater sollte zum tschechischen Militär einrücken,<br />

aber eine Erkr<strong>an</strong>kung ersparte ihm dies.<br />

<strong>Walther</strong> <strong>M<strong>an</strong>n</strong> (<strong>Hg</strong>.) <strong>Erinnerungen</strong> <strong>an</strong> <strong>Odrau</strong> B<strong>an</strong>d I

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