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Walther Mann (Hg.) Erinnerungen an Odrau Band I - Alte Heimat

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platz. Die g<strong>an</strong>ze Stadt war auf den Beinen, dicht gedrängt st<strong>an</strong>den die<br />

Menschen auf allen vier Seiten des Platzes. Als kleiner Junge konnte ich<br />

von hinten nichts sehen; ich erinnere mich sehr genau, wie ich mich durch<br />

die Reihen boxte und zwischen den Füßen der Menschen nach vorne<br />

kroch, bis ich in der ersten Reihe st<strong>an</strong>d.<br />

Und d<strong>an</strong>n kamen sie: In l<strong>an</strong>ger Kolonne fuhren sie auf den Stadtplatz,<br />

Fahrzeug <strong>an</strong> Fahrzeug, exakt ausgerichtet und blitzbl<strong>an</strong>k geputzt. Am<br />

meisten beeindruckten mich die Kettenfahrzeuge als Zugmaschinen für die<br />

K<strong>an</strong>onen, die P<strong>an</strong>zerspähwagen mit den schirmartigen Tarn-Gittern und<br />

die wendigen Motorräder mit Beiwagen. Und d<strong>an</strong>n die Soldaten: Kräftige,<br />

sportliche Gestalten, in sauberen Uniformen, äußerst diszipliniert, überaus<br />

freundlich. Jetzt brauchten wir keine Angst mehr zu haben, diese starke<br />

Armee würde uns beschützen! Wohl die meisten empf<strong>an</strong>den das damals so,<br />

Freude und Jubel waren unbeschreiblich.<br />

Ich habe damals und auch später nichts davon gehört, daß tschechische<br />

Bürger in diesen Tagen irgendwie belästigt worden wären. Kein einziger<br />

Schuß fiel, alles verlief ruhig. Die im Rahmen der Tschechisierungspolitik<br />

in unsere Stadt versetzten tschechischen Beamten kehrten in ihre <strong>Heimat</strong><br />

zurück, die wenigen bei uns <strong>an</strong>säßigen Tschechen blieben unbehelligt.<br />

Welch ein Unterschied zu der Beh<strong>an</strong>dlung der Sudetendeutschen durch die<br />

Tschechen nach Kriegsende 1945, als wir absolut wehrlos waren!<br />

Ich frage mich natürlich, wie die Ereignisse des Herbstes 1938 aus<br />

heutiger Sicht zu beurteilen sind. Die schlimmen Folgen, der schreckliche<br />

Krieg, die unmenschliche Vertreibung sind uns bewußt. Dennoch meine<br />

ich, daß das Münchner Abkommen und der Anschluß des Sudetenl<strong>an</strong>des<br />

<strong>an</strong> Deutschl<strong>an</strong>d damals gerechtfertigt waren. Das Selbstbestimmungsrecht<br />

der Völker, ein gutes Leitmotiv, war den Sudetendeutschen nach dem<br />

ersten Weltkrieg verweigert worden. Die folgenden 20 Jahre zeigten, daß<br />

die Regierung in Prag in übersteigertem Nationalismus wenig Rücksicht<br />

auf die Bel<strong>an</strong>ge der deutschen Minderheit nahm. Eine Trennung entl<strong>an</strong>g<br />

der Sprachgrenze entsprach dem mehrheitlichen Willen der Deutschen und<br />

damit dem Selbstbestimmungsrecht.<br />

Wäre da nicht jener Diktator gewesen, der weder Menschlichkeit noch<br />

Recht k<strong>an</strong>nte. Zweifellos verstieß seine nächste Tat, die Errichtung des<br />

Protektorats Böhmen und Mähren 1939, gegen alle Verträge und gegen das<br />

Völkerrecht und brachte den Tschechen, und nicht nur diesen, viel Leid.<br />

Die Orte Lidice und Theresienstadt seien als schlimmste Beispiele gen<strong>an</strong>nt.<br />

So fiel nachträglich ein dunkler Schatten auf den Herbst 1938, so sehr<br />

damals auch Freude und Jubel gerechtfertigt gewesen sein mögen.<br />

<strong>Walther</strong> <strong>M<strong>an</strong>n</strong> (<strong>Hg</strong>.) <strong>Erinnerungen</strong> <strong>an</strong> <strong>Odrau</strong> B<strong>an</strong>d I

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