Walther Mann (Hg.) Erinnerungen an Odrau Band I - Alte Heimat
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Wie weit sich tschechisches Militär in dieser kritischen Zeit in der<br />
Umgebung von <strong>Odrau</strong> aufhielt, ist mir nicht bek<strong>an</strong>nt. Ich erinnere mich<br />
aber <strong>an</strong> eine Attrappe aus Holz und Pappe, die außen wie ein P<strong>an</strong>zer aussah<br />
und in der Nähe der sogen<strong>an</strong>nten Biberbar st<strong>an</strong>d. Kurz vor der Besetzung<br />
von <strong>Odrau</strong> durch deutsche Truppen muß es im <strong>Odrau</strong>er Schloß noch<br />
Verh<strong>an</strong>dlungen zwischen tschechischen und deutschen Offizieren gegeben<br />
haben. Ich st<strong>an</strong>d damals mit Fried Kurt am Fenster des Hauses von Frau<br />
Plessnik. Sie war die Witwe eines Offiziers der ehemaligen österreichischungarischen<br />
Armee und die Großmutter von Kurt. Von hier aus hatten wir<br />
einen guten Überblick auf den Stadtplatz und das Schloß. Die<br />
tschechischen Offiziere verließen d<strong>an</strong>n <strong>Odrau</strong>, in l<strong>an</strong>gsamer G<strong>an</strong>gart ihrer<br />
Pferde über den Stadtplatz reitend. Mir war bei diesem Anblick ein wenig<br />
feierlich zu Mute, ich wußte nicht, warum.<br />
Die deutsche Wehrmacht wurde vom größten Teil der deutschen<br />
Bevölkerung mit Begeisterung empf<strong>an</strong>gen. Zum Teil war dies verständlich,<br />
und die Ver<strong>an</strong>twortlichen in Staat und Regierung trugen Mitschuld<br />
dar<strong>an</strong>. Seit der Gründung der tschechischen Republik war vieles<br />
geschehen, was dem Zusammenleben von Deutschen und Tschechen nicht<br />
dienlich sein konnte. Die von der Regierung in Prag in allen Bereichen<br />
betriebene Tschechisierung weckte Ängste bei den Deutschen; die<br />
Schulpolitik, die Wirtschaftspolitik, die Besetzung von Staatsstellen<br />
vorzugsweise durch Tschechen wurden als Diskriminierung empfunden,<br />
die Arbeitslosigkeit war in den deutschen Teilen des L<strong>an</strong>des besonders<br />
groß. In Deutschl<strong>an</strong>d hingegen gab es in diesen Jahren kaum Arbeitslose.<br />
Es wurden Autobahnen gebaut und für die Rüstung gearbeitet. Kaum<br />
jem<strong>an</strong>d ahnte, daß dies im Hinblick auf den zu erwartenden Krieg geschah.<br />
Die deutschen Truppen waren gut motorisiert, auch P<strong>an</strong>zer fuhren durch<br />
die Stadt, die deutsche Armee imponierte.<br />
Aber auch Nachteile der Entwicklung wurden l<strong>an</strong>gsam spürbar. Die<br />
Tschechenkrone wurde 1 : 10 abgewertet, also zehn Kronen für eine<br />
Reichsmark. Bei diesem Kurs blieb es nicht aus, daß die Soldaten kauften,<br />
sol<strong>an</strong>ge noch Ware vorh<strong>an</strong>den war. So st<strong>an</strong>d ich enttäuscht im Laden von<br />
Kaufm<strong>an</strong>n Milli. Bei ihr kaufte ich mir immer die wöchentliche Tafel<br />
Schokolade. Es gab keine mehr, die Regale waren leer, alles aufgekauft<br />
von den Soldaten. Ähnlich war es auch mit <strong>an</strong>deren Waren.<br />
Mit der Eingliederung des Sudetenl<strong>an</strong>des in das deutsche Reich änderte<br />
sich nicht nur die Währung. Wir waren nun Best<strong>an</strong>dteil des deutschen<br />
Reiches geworden, und immer stärker setzte sich auch die NS-Ged<strong>an</strong>kenwelt<br />
und Politik durch. Der letzte demokratisch gewählte Bürgermeister<br />
von <strong>Odrau</strong> wurde abgesetzt. Parteien und Vereine wurden entweder<br />
<strong>Walther</strong> <strong>M<strong>an</strong>n</strong> (<strong>Hg</strong>.) <strong>Erinnerungen</strong> <strong>an</strong> <strong>Odrau</strong> B<strong>an</strong>d I