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Theatermagazin ZeitSchrift 1 10/11 - Druschba-Spezial

Programmheft "Romeo und Julia" Spezialausgabe der Theaterzeitschrift des LTT

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Spezialausgabe der Theaterzeitschrift des LTT

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parapolis<br />

Leben in der Parapolis<br />

von Mark Terkessidis<br />

18<br />

Die Inszenierung von ROMEO UND JULIA erklärt nicht, in welcher »Leitkultur« sich die beiden verfeindeten<br />

Familien bewegen. Es gibt die neureichen Russen auf der einen und die jungen, übermütigen<br />

Deutschen auf der anderen Seite. Es sind vor allem Sprache und Lebensstil, die die beiden Parteien<br />

trennen; und doch müssen sie sich einen gemeinsamen Lebensraum teilen. Auch unsere reale Welt<br />

wird enger, die Auswirkungen der Globalisierung verbinden, vernetzen und verschmelzen die Lebensräume<br />

unterschiedlichster Menschen, hier in Tübingen und weltweit.<br />

Mark Terkessidis beschreibt angesichts der kulturellen und gesellschaftlichen Entwicklungen in<br />

Deutschland modellhaft das Erscheinungsbild der heutigen Großstadt als vielfältige »Parapolis«.<br />

diese treffende Analyse der urbanen Vielheit mündet in die berechtigte Forderung »Kulturinstitutionen<br />

für alle« als Programm für die Zukunft.<br />

Die Vielheit der Stadt – »Parapolis«<br />

Angesichts der Mobilität, der Verschiebung von geographischen<br />

Nähe- und Ferneverhältnissen, der Durchlöcherung<br />

und Erweiterung der Stadt sowie der Entwicklung<br />

einer neuen architektonischen Morphologie der »erstarrten<br />

Bewegung« erscheint die normative Bindung an Vorstellungen<br />

von einem »Wir« oder von einer funktionierenden<br />

»europäischen Stadt« wenig zukunftsweisend. Wenn<br />

Personen mit Migrationshintergrund dazu aufgerufen<br />

werden, sich zu »integrieren«, dann stellt sich angesichts<br />

der skizzierten Entwicklungen die Frage, in welches Gebilde<br />

sie sich eigentlich eingliedern sollen. Traditionell war<br />

das der Nationalstaat. Aber die biographischen Beispiele<br />

sprechen von einer anderen Realität. Immer mehr Menschen<br />

leben an mehreren Orten zugleich und an diesen<br />

Orten sind sie jeweils keine »vollen« Rechtssubjekte mehr.<br />

Die Ausübung von Rechten ist immer noch an Sesshaftigkeit<br />

gebunden, und in diesem Sinn dürfen die erwähnten<br />

Personen an ihren aktuellen »Lebensmittelpunkten« nicht<br />

am Leben der Polis teilnehmen. Tatsächlich ist jene Polis<br />

längst auseinandergefallen. Die Stadt hat sich zu einer<br />

vielgliedrigen Parapolis entwickelt.<br />

In diesem Sinne ist die Bezeichnung Düsseldorf nur noch<br />

eine Art Label für einen losen Zusammenhang. Würde<br />

man Personen mit unterschiedlichen Hintergründen dazu<br />

auffordern, eine Karte der Stadt zu zeichnen mit den für<br />

sie wichtigen Orten, dann würde man schnell feststellen,<br />

dass sich mehrere imaginäre Städte überlagern. So haben<br />

sich zum einen enorme Spielräume ergeben für individualisierte<br />

Lebensentwürfe und kollektive Lebensweisen.<br />

Zum anderen jedoch lässt sich eine Zunahme von sogenannten<br />

horizontalen Konflikten beobachten – zwischen<br />

Minderheiten, die oft einen sehr unklaren Anspruch auf<br />

Repräsentation und Ordnung haben. Und die – das wissen<br />

wir spätestens, seitdem der islamische Fundamentalismus<br />

ein ständiger medialer Begleiter geworden ist – keineswegs<br />

grundsätzlich emanzipatorische Ideale verfolgen.<br />

Rassistisches Wissen<br />

Die Rede von der Ausländer- bzw. Fremdenfeindlichkeit<br />

setzt voraus, dass es auf einem Territorium zwei Gruppen<br />

gibt – die Deutschen und die »Ausländer« bzw. »Fremden«<br />

– und dass Personen aus der Gruppe der Deutschen gegenüber<br />

jener anderen Gruppe entweder »Vorurteile« haben<br />

oder gar feindlich auftreten. Die Gruppen gelten dabei<br />

als gegeben, wenn nicht gar als natürlich. Dabei im-<br />

Spielzeit <strong>10</strong>/<strong>11</strong> // <strong>Druschba</strong>-<strong>Spezial</strong>

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