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August 1997<br />
J.K. ist tot<br />
Im September 1989 hatte ich eine Nierenkolik und<br />
lag in Halle im Krankenhaus. Als Ablenkung, und<br />
weil vom Westen als halber Dissident und Wissenschaftler<br />
hoch gelobt, las ich zwei Bücher von Jürgen<br />
Kuczynski. Die Gespräche mit seinem Urenkel<br />
und den ersten Band der Memoiren. Dabei habe<br />
ich mich so aufgeregt, dass mein Kreislauf wieder<br />
schön in Schwung kam und ich bald entlassen werden<br />
konnte.<br />
Gleich nachdem ich wieder zu Hause war, griff ich<br />
zur Schreibmaschine und schrieb J. K. (Kuczynski<br />
spricht in seinen Büchern oft und viel von sich, und<br />
dann immer von J. K.) einen bitterbösen Brief (s.<br />
Seite 22). Ganz nebenbei war das der Anfang meiner<br />
Schreibereien. Die Mauer war noch nicht gefallen,<br />
aber alle, die auch nur ein bisschen Grips im<br />
Kopf hatten, wussten, so kann es nicht weiter gehen.<br />
Hier muss etwas passieren! Die Widersprüche in der<br />
DDR hatten sich so zugespitzt, dass sie mit schönen<br />
Reden und dialektischen Argumenten nicht mehr zu<br />
verschleiern waren.<br />
Aber genau das war die Methode der DDR-Ideologen.<br />
Vorne weg - J. K. Sein Urenkel stellt nur Fragen,<br />
die man auch mit Pathos, Weisheit und unerschütterlicher<br />
Heilsgewissheit beantworten und natürlich<br />
lösen kann. Fragen, die mit der gültigen Heilslehre<br />
nicht zu klären sind, werden einfach nicht gestellt.<br />
Eine fabelhafte Methode. So braucht man sich<br />
nicht äussern zum nicht praktizierten Dialektischen<br />
Materialismus, zur fehlenden Reisefreiheit, zu<br />
Wahlergebnissen von 0,2 Prozent für die DKP in<br />
Westdeutschland und zu den wirtschaftlichen und<br />
gesellschaftlichen Alternativen der Bundesrepublik.<br />
Ich weiss noch, wie unbegreiflich es für mich war,<br />
dass auch die DDR-Führung das Ziel verfolgte, jedem<br />
DDR-Bürger das eigene Auto in die Garage zu<br />
stellen. Dabei hat eine sozialistische Diktatur alle<br />
alternativen Mittel, beispielsweise die öffentlichen<br />
Verkehrsmittel zum Nulltarif fahren zu lassen.<br />
An J. K. regte mich seine unerträgliche Eitelkeit, seine<br />
gläubige Heilsgewissheit und sein Opportunismus<br />
auf. J.K. hatte nur kurz studiert, sehr viel geschrieben,<br />
und er verteidigte die unsinnigen ökonomischen<br />
und wirtschaftlichen Prinzipien der DDR. Gleichzeitig<br />
hielt er sich für einen der grössten lebenden<br />
Wirtschaftswissenschaftler. Seine Heilsgewissheit<br />
kam exemplarisch im Vorwort des ‚Urenkels‘ zum<br />
Ausdruck: ‚Der Sozialismus ist gut, es gibt nur noch<br />
nicht die Menschen, die ihn verwirklichen können.‘<br />
Heute merkt man sofort (hoffentlich), wie haarsträubend<br />
diese Argumentation ist. Vor zehn Jahren war<br />
sie in der DDR gängige Praxis und das Grundmuster<br />
seiner Agitation.<br />
J.K. legte aber grössten Wert darauf, als Wissenschaftler<br />
zu gelten, obwohl er ausser (vielleicht) im<br />
Bereich der Statistik nie mit wissenschaftlichen Methoden<br />
gearbeitet hat. Er war ein Schriftsteller und<br />
ein Ideologe, borniert und blockiert von seinem<br />
Glauben an die Gleichheit aller, an die Gerechtigkeit<br />
und an den ‚Neuen Menschen‘. Schöne, hehre Werte<br />
der französischen Revolution, aber leider eben nur<br />
Glaube und Ideologie.<br />
In meinem Brief hatte ich ihm explizit unterstellt,<br />
dass er ‚augenzwinkernd‘ schreibt. J.K. macht einen<br />
so intelligenten Eindruck, dass unvorstellbar ist: Was<br />
er da gegen jede Vernunft schreibt, ist ernsthaft und<br />
ehrlich seine Auffassung! Nein! Bis zu seinem Tode<br />
hat er abgestritten, augenzwinkernd geschrieben zu<br />
haben und felsenfest an seinen kommunistischen Visionen<br />
festgehalten. J.K. dachte und glaubte wirklich<br />
das, was er schrieb. Beklatscht von westlichen Geisteswissenschaftlern<br />
und Philosophen, die es hätten<br />
besser wissen können.<br />
Na denn, gute Reise, J. K. Der liebe Gott wird sich<br />
über den frommen Neuzugang freuen!<br />
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