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September 2005<br />
Ich wähle Schröder<br />
In 14 Tagen werde ich Schröder wählen. Das ist<br />
meine persönliche Entscheidung. Sie ist so subjektiv,<br />
wie die aller Wähler. Aber mir ist diese Subjektivität<br />
wenigstens bewusst. Ausserdem ist mir klar, dass<br />
es völlig egal ist, was ich mache. Ob ich wähle oder<br />
nicht und wen ich wähle – es hat keinerlei Wirkung.<br />
Die parlamentarische Demokratie sorgt dafür.<br />
Ich stimme bei der kommenden Bundestagswahl<br />
für Schröder – nicht für die SPD. Ich zolle Schröder<br />
damit meinen Respekt, nicht etwa der Partei, der er<br />
angehört. Mir imponiert der Mensch Schröder. Sein<br />
Drang nach Oben, sein Bildungshunger, seine Entschlossenheit,<br />
sein Egoismus, seine Kaltschnäuzigkeit,<br />
sein Ackern und sein Stehvermögen beim Pokern<br />
um Alles oder Nichts. Faszinierend, wie er mit<br />
hoch komplexen Problemen umgeht, seine geringen<br />
Spielräume bis an die Schmerzgrenze ausreizt und<br />
wie virtuos er mit den Medien spielt. Allein gegen<br />
alle! Das scheint sein Motto zu sein. Bezeichnend<br />
sein Satz: „Ich brauche keine Freunde. Erst recht<br />
keine, denen ich etwas zu verdanken habe.“ Dieser<br />
Satz könnte von mir sein.<br />
Viel mehr aber nicht. Wir sind uns nicht ähnlich: Vor<br />
allen Dingen wollte ich nie nach Oben und schon<br />
gar nicht ins Kanzleramt. Mir ist schon Ende der<br />
60-er Jahren klar geworden, dass man in der dünnen<br />
Luft der Politik keine ordentliche Problemlösung zustande<br />
bringen kann.<br />
Das ist auch Schröder nicht gelungen. Viele Fehler<br />
wurden gemacht, viele Probleme sind weiterhin<br />
ungelöst (vielleicht sogar die meisten ...) und auch<br />
Verletzte blieben auf der Strecke. Aber mir imponiert<br />
die Geradlinigkeit von Schröder. Er bleibt<br />
hartnäckig dran, wenn er eine Chance sieht, zu gewinnen.<br />
Schröder hat (leider erst in seiner zweiten<br />
Amtszeit) erkannt, dass die Reform des deutschen<br />
Staates überfällig ist. Das zu begreifen, ist keine<br />
grosse Leistung. Jedem, der sich in den letzten 20<br />
Jahren die Staatsfinanzen nur von aussen angesehen<br />
hat, muss klar geworden sein, dass es so nicht<br />
weitergehen kann. Schröders Leistung aber ist, mit<br />
dieser Erkenntnis auch Konsequenzen gezogen zu<br />
haben. Schröder hat den politischen Kurs der deutschen<br />
Politik verändert, und das war seit mindestens<br />
20 Jahren überfällig. Auch auf diesem Feld hat Kohl<br />
wie seine Vorgänger versagt. Die Kanzler vor Schröder<br />
haben mit ihren Parteien und Koalitionspartnern<br />
den Schuldenstaat begründet: CDU, CSU, FDP,<br />
SPD. Aber auch Schröder und die Grünen haben<br />
sich daran beteiligt. Eine Todsünde gegenüber den<br />
nachfolgenden Generationen.<br />
Jeder Bundeskanzler ist eingemauert in seinem<br />
Kanzleramt. Eingemauert von seiner Partei, seiner<br />
Fraktion, seinen Koalitionspartnern und von der geschwätzigen,<br />
öffentlichen Meinung. Ausserdem wird<br />
er täglich mehr genervt und gefesselt von Lobbyisten<br />
aller Couleur: Die Autoindustrie, die Energieund<br />
die Pharmaindustrie, die Landwirtschaft, der<br />
Mittelstand, die Rentner, die Kranken, die Pendler,<br />
die Häuslebauer… das geht endlos weiter bis zum<br />
Jüdischen Zentralrat und den Kirchen. Und von<br />
den Parteien bis zur Kirche wollen alle von ihm nur<br />
eines: Gib mir mehr!!<br />
Nur das Gleiche wie im Vorjahr ist nicht genug. Alle<br />
haben in den guten Zeiten verinnerlicht, dass Wachstum<br />
der absolut normale Zustand ist. Nicht nur das,<br />
sie wollen jährlich mehr Wachstum. Niemand denkt<br />
über den Tag hinaus. Dabei müssen alle wissen, dass<br />
jedes Wachstum endlich ist und auf Wachstum mit<br />
der unerbittlichen Logik der Naturgesetze der Niedergang<br />
folgt. Man weiss es, aber es wird konsequent<br />
und beharrlich verdrängt.<br />
Mit seiner Agenda 2010 hat Schröder diesem Naturgesetz<br />
gehorcht und Weichen gestellt. Und offenbar<br />
hat er diese Agenda fast alleine entwickelt und sie<br />
gegen den Widerstand aller und den besonderen Widerstand<br />
seiner eigenen Partei durchgesetzt. Schröder<br />
hat erkannt, was seine Partei und die wiederauferstandenen<br />
Linken auch heute noch nicht wahr<br />
haben wollen: Die Zeit des Sozialismus, der sozialen<br />
Gerechtigkeit, der Gewerkschaften und der Arbeiter<br />
ist vorbei. In Europa wird es bald keine Arbeiter<br />
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