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Der Umgang mit der NS-Vergangenheit in der Bundesrepublik in ...

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24<br />

Neuland rodete und die Gegenwart <strong>der</strong> nationalsozialistischen <strong>Vergangenheit</strong> <strong>in</strong> das Bewußtse<strong>in</strong><br />

hämmerte; es war die Literaturwissenschaft, die diese Literatur nicht zur Kenntnis<br />

nahm. <strong>Der</strong> Abstand zwischen dem Literaturwun<strong>der</strong> von 1959 <strong>mit</strong> se<strong>in</strong>en aufregend<br />

neuen, heute kanonischen, <strong>der</strong> nationalsozialistischen <strong>Vergangenheit</strong> und ihrer Nicht-<br />

Bewältigung kompromißlos <strong>in</strong>s Auge blickenden Romanen und <strong>der</strong> deutschen Literaturwissenschaft<br />

jener Zeit konnte schroffer nicht ausfallen. Es ist daher ke<strong>in</strong> Zufall, daß ebenfalls<br />

1959 e<strong>in</strong>e ätzende und wortmächtige Polemik gegen die deutsche Germanistik erschien,<br />

für die es <strong>in</strong> den an<strong>der</strong>en Geisteswissenschaften <strong>in</strong> dieser Zeit ke<strong>in</strong>e Parallele gibt:<br />

die Germanisten-Schelte von Rudolf Walter Leonhardt. 112 Ausgangspunkte des Autors<br />

waren gleichrangig die abgrundtiefe Trennung zwischen Universitätsgermanistik und literarischem<br />

Leben <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Bundesrepublik</strong> sowie die Klage e<strong>in</strong>es skand<strong>in</strong>avischen Germanisten,<br />

über <strong>der</strong> bundesdeutschen Germanistik schwebe noch immer das Hakenkreuz. 113<br />

Über die beson<strong>der</strong>e Bedeutung nationalsozialistischer Verstrickung für die Diszipl<strong>in</strong>en<br />

Germanistik und Geschichtswissenschaft hob Leonhardt hervor, jemand habe Mitläufer des<br />

<strong>NS</strong>-Regimes und dennoch guter Verwaltungsbeamter, ja, sogar guter Romanist se<strong>in</strong> können<br />

- aber:<br />

"Germanisten und Historiker waren die e<strong>in</strong>zigen, für die auch das kle<strong>in</strong>ste politische Zugeständnis<br />

Verrat bedeuten mußte." 114<br />

Doch nahm Leonhardt die Germanistik für den faschistischen Diskurs und se<strong>in</strong>e Inszenierung<br />

wichtiger als die Geschichtswissenschaft: "Uralte und jüngste Traditionen haben es<br />

<strong>mit</strong> sich gebracht, daß <strong>der</strong> 'deutsche Geist' <strong>in</strong> das Ressort <strong>der</strong> Germanistik fällt" 115 ; das im<br />

19. Jahrhun<strong>der</strong>t absolut gesetzte "Völkische" sei die "Erbsünde" <strong>der</strong> Germanisten gewesen<br />

116 .<br />

Wenn 1961 <strong>der</strong> promovierte Germanist und bereits damals namhafte Schriftsteller Mart<strong>in</strong><br />

Walser <strong>in</strong> <strong>der</strong> von ihm herausgegebenen "Alternative" 117 für die <strong>Bundesrepublik</strong> e<strong>in</strong> hoffnungsvoll<br />

gestimmtes sozialdemokratisches Zukunftstableau gab, so ließ <strong>der</strong> gelernte<br />

<strong>in</strong> e<strong>in</strong> Konzentrationslager gehen wollte, von ihrem Vater aus Vorsicht <strong>in</strong> e<strong>in</strong>e Heilanstalt gesteckt worden<br />

war, so f<strong>in</strong>det es sich bei Grass <strong>in</strong> <strong>der</strong> "Blechtrommel" wie<strong>der</strong>: Oskar Matzerath ist Insasse e<strong>in</strong>er Heil- und<br />

Pflegeanstalt. Er wurde 1924 <strong>in</strong> Danzig geboren und beschloß <strong>in</strong> se<strong>in</strong>em dritten Lebensjahr, nicht weiter zu<br />

wachsen. Se<strong>in</strong> Vater ist e<strong>in</strong> Danziger Kle<strong>in</strong>bürger und Faschist. Bei <strong>der</strong> Befreiung von Danzig zw<strong>in</strong>gt Oskar<br />

ihn, das Parteiabzeichen <strong>der</strong> <strong>NS</strong>DAP zu fressen und auf diese Weise Selbstmord zu begehen. 1945 siedelt<br />

Oskar als Flüchtl<strong>in</strong>g nach Düsseldorf über.<br />

112<br />

Rudolf Walter Leonhardt, <strong>Der</strong> Sündenfall <strong>der</strong> deutschen Germanistik. Vorschläge zur Wie<strong>der</strong>belebung<br />

des literarischen Bewußtse<strong>in</strong>s <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Bundesrepublik</strong>, Zürich 1959 (Schriften zur Zeit im Artemis Verlag /<br />

Heft 21).<br />

113<br />

Ebd., S.5 f.<br />

114<br />

Ebd., S.34.<br />

115<br />

Ebd., S.31.<br />

116<br />

Ebd., S.32.<br />

117<br />

Mart<strong>in</strong> Walser (Hg.), Die Alternative o<strong>der</strong> Brauchen wir e<strong>in</strong>e an<strong>der</strong>e Regierung. Re<strong>in</strong>bek 1961.

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