06.11.2013 Aufrufe

Der Umgang mit der NS-Vergangenheit in der Bundesrepublik in ...

Der Umgang mit der NS-Vergangenheit in der Bundesrepublik in ...

Der Umgang mit der NS-Vergangenheit in der Bundesrepublik in ...

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.

YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.

42<br />

ten Entnazifizierung: Sie geriet auf den Pfad <strong>der</strong> Personalisierung; nach dem Motto 'E<strong>in</strong>mal<br />

Nazi, immer Nazi!' wurde e<strong>in</strong> statischer Identitätsbegriff unterlegt; das Denken reduzierte<br />

sich vielfach auf e<strong>in</strong> bipolar-oppositionelles Profil, bei dem das Gegenteil von dem, was<br />

die "Faschisten" sagten, "antifaschistisch" legitimiert erschien.<br />

Das häufig theorieschwache und reduktionistische Zeigen auf das Personal 197 lag <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er<br />

Situation nahe, <strong>in</strong> <strong>der</strong> bald im Bundeskanzleramt, bald an e<strong>in</strong>er Universität, bald <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em<br />

Großunternehmen immer neue "Nazis" entdeckt wurden. Zu Ämtern und Ehren aufgestiegen,<br />

leugneten sie ihre frühere Rolle o<strong>der</strong> marg<strong>in</strong>alisierten sie nach dem Muster 'Was hätte<br />

ich denn tun sollen?' - wenn sie sich nicht gar als "Wi<strong>der</strong>standskämpfer" umzudeuten<br />

suchten. Für all diese Strategien wurden <strong>in</strong> diesem Beitrag Beispiele präsentiert.<br />

Wenn wir aber nicht nur darauf schauen, was jene gesagt und getan haben, die dem neuen<br />

<strong>Umgang</strong> <strong>mit</strong> <strong>der</strong> <strong>NS</strong>-<strong>Vergangenheit</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Bundesrepublik</strong> proklamierten, son<strong>der</strong>n auch<br />

auf die Interaktion zwischen den Akteuren dieses Diskurses und den beklagten e<strong>in</strong>stigen<br />

"Nazis", so erkennen wir, daß auf die systematische Kle<strong>in</strong>macherei des <strong>NS</strong>-verstrickten<br />

Personals <strong>mit</strong> e<strong>in</strong>er aggressiv gestimmten ebenso systematischen Großmacherei reagiert<br />

wurde. Zugleich war diese Großmacherei und <strong>der</strong> Hang zur Focussierung auf Namen und<br />

Personen die Reaktion auf e<strong>in</strong>en die frühe <strong>Bundesrepublik</strong> dom<strong>in</strong>ierenden Diskurs, den<br />

Adorno <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er sprachkritischen Untersuchung zur "deutschen Ideologie" analysiert hat:<br />

den vom konkreten E<strong>in</strong>zelnen absehenden Verdränger-Jargon 198 , <strong>der</strong> bis <strong>in</strong> die 1960er<br />

Jahre h<strong>in</strong>e<strong>in</strong> die Oberherrschaft besaß und heute als e<strong>in</strong> abson<strong>der</strong>liches vulgärexistenzialistisches<br />

Schwadronieren ersche<strong>in</strong>t. Nehmen wir als Beispiel e<strong>in</strong>en Beitrag aus<br />

dem Jahre 1949, "Goethe-Feier 1949" 199 , e<strong>in</strong>e 'existenzialistische' Standardschrift, die<br />

Adorno zur Vorlage hätte dienen können. Ausgangspunkt ist e<strong>in</strong> Zitat von José Ortega y<br />

Gasset, e<strong>in</strong>em Liebl<strong>in</strong>gsdenker <strong>der</strong> Westdeutschen <strong>in</strong> <strong>der</strong> Nachkriegszeit. Mit Ortega wird<br />

zunächst e<strong>in</strong> "Goethe für Ertr<strong>in</strong>kende" gefor<strong>der</strong>t und e<strong>in</strong> "Tribunal <strong>der</strong> Schiffbrüchigen".<br />

Noch nie, so lesen wir weiter, sei "unser Volk" so sehr vor die Frage se<strong>in</strong>er "Existenz" gestellt<br />

gewesen wie jetzt, und es müsse diese Frage beantworten, "um daraus E<strong>in</strong>sicht und<br />

Mut zum Bekenntnis <strong>der</strong> Möglichkeit se<strong>in</strong>es Dase<strong>in</strong>s zu schöpfen". Von <strong>der</strong> "Not unseres<br />

entblößten Dase<strong>in</strong>s" wird gesprochen, vom "Strudel des großen Schiffbruchs", von "uns<br />

Deutschen", die "<strong>in</strong> diesen Untiefen und <strong>in</strong> diesem Versagen nur allzu bewan<strong>der</strong>t" seien,<br />

von <strong>der</strong> "Sorge <strong>der</strong> Völker" und <strong>der</strong> "Wahrheit des Se<strong>in</strong>s", endlich vom "historischen<br />

Schutt", <strong>der</strong> "beiseite zu räumen" sei ... Fraglos ist im Medium von "Mensch", "Dase<strong>in</strong>",<br />

197<br />

Hier ist die Rede vom öffentlichen <strong>in</strong>tellektuellen <strong>Umgang</strong> <strong>mit</strong> dem Nationalsozialismus <strong>in</strong> den 1960er<br />

Jahren, nicht aber von den strukturorientierten neuen Konzepten, die zeitgleich <strong>in</strong> <strong>der</strong> Geschichtswissenschaft<br />

entstanden und vor allem <strong>mit</strong> dem Namen Hans Mommsen verbunden s<strong>in</strong>d (siehe: <strong>Der</strong>s., Betrachtungen zur<br />

Entwicklung <strong>der</strong> neuzeitlichen Historiographie <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Bundesrepublik</strong>, <strong>in</strong>: Géza Alföldy, Ferd<strong>in</strong>and Seibt,<br />

Albrecht Timm , Probleme <strong>der</strong> Geschichtswissenschaft, Düsseldorf 1973, S.124-155).<br />

198<br />

Theodor W. Adorno, Jargon <strong>der</strong> Eigentlichkeit. Zur deutschen Ideologie, Ffm. 8 1977.<br />

199<br />

Hans Schwerte, Goethe-Feier - 1949, <strong>in</strong>: Erlanger Universität, Akademische Semesterblätter, 8.7.1949,<br />

S.57 f. Dort die folgenden Zitate.

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!