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Montag, 13. August 2012 Meinung ·Hintergrund<br />

Nummer 187 -Seite 4<br />

KOMMENTARE<br />

fer. Ein gutes Jahr vor der Bundestagswahl<br />

beginnen sich die Fronten in den Parteien zu<br />

klären. In der SPD geht der Dreikampf um die<br />

Spitzenkandidatur in die entscheidende Phase.<br />

Während sich die drei potenziellen Merkel-Herausforderer<br />

weiterhin gegenseitig belauern<br />

und nicht aus der Deckung wagen,<br />

preschen ihre Unterstützer vor und versuchen<br />

ihren jeweiligen Favoriten in die Pole-Position<br />

zu bringen. Und bei den Grünen hat Jürgen<br />

Trittin das lange Schweigen um seine Person<br />

beendet und den Hut in den Ring geworfen.<br />

Er will die Grünen als Spitzenkandidat in den<br />

Wahlkampf führen.<br />

Wirklich überraschend kommt diese Selbstausrufung<br />

nicht, als Spitzenmann war der<br />

Fraktionschef und frühere Bundesumweltminister<br />

längst gesetzt. Seit dem Abgang des<br />

früheren Alphatieres Joschka Fischer ist er<br />

die unumstrittene Nummer Eins der Öko-Partei,<br />

unabhängig davon, wer gerade Parteichef<br />

ist. Und da er sich längst vom Frontmann der<br />

antikapitalistischen Linken zum moderaten,<br />

staatsmännisch auftretenden Analytiker gewandelt<br />

hat, genießt er auch im Lager der<br />

Realos breites Ansehen –anihnen wird seine<br />

Spitzenkandidatur jedenfalls nicht scheitern.<br />

Mehr noch, der Gestaltungsspielraum der<br />

Realos ist durch eigene Versäumnisse und<br />

Defizite stark eingeschränkt, bis heute haben<br />

sie nach dem Debakel von Renate Künast bei<br />

den Wahlen in Berlin keine überzeugende<br />

Romneys Ideologe<br />

gel. Mit Paul Ryan sind die Fronten klar,<br />

die Kontraste geschärft. Mitt Romney hat<br />

sich nicht für einen Pragmatiker der Mitte<br />

entschieden, als es darum ging, einen Kandidaten<br />

fürs Vizepräsidentenamt zu präsentieren.<br />

Stattdessen favorisierte er einen Ideologen,<br />

der fest daran glaubt, dass »Uncle Sam«<br />

mit seinen Sozialprogrammen eher Teil des<br />

Problems ist als ein Teil der Lösung.<br />

Die TeaParty bekommt ihren Wunschkandidaten,<br />

was Romney helfen dürfte, die rechte<br />

Flanke der Republikaner zu mobilisieren, ein<br />

Milieu, mit dem er bisher nicht recht warm<br />

wurde. Und die übrigen Amerikaner haben im<br />

November die Wahl zwischen zwei grundverschiedenen<br />

Lösungsansätzen beim Überwinden<br />

der Wirtschaftskrise. Alles dreht sich um<br />

die Frage, welche Rolle der Staat spielen soll,<br />

eine aktive oder eine, die sich aufs Allernotwendigste<br />

beschränkt.<br />

Barack Obama hat sein Credo bereits vor<br />

Wochen in einer Grundsatzrede formuliert.<br />

Nach seiner Überzeugung ist niemand allein<br />

verantwortlich für seinen Erfolg. Auch die<br />

tüchtigsten Unternehmer stützen sich auf<br />

Straßen und Brücken und Wasserwege, die<br />

auf Kosten der Allgemeinheit gebaut wurden<br />

und die Handel und Kommerz überhaupt erst<br />

möglich machten. Romney und Ryan dagegen<br />

halten es mit dem geflügelten Wort, wonach<br />

jeder für sich seines Glückes Schmied<br />

ist. Der Regierung empfehlen sie, sich herauszuhalten,<br />

private Initiative nicht weiter zu<br />

stören.<br />

Ryan, der führende Haushaltsexperte der<br />

Republikaner, hat es auf die Spitze getrieben.<br />

Von ihm stammen Budgetentwürfe, die vom<br />

ohnehin nicht sonderlich engmaschigen sozialen<br />

Netz der Vereinigten Staaten nur noch<br />

Stückwerk übriglassen. Die staatliche Rente<br />

will er de facto teilprivatisieren, die Kosten für<br />

Medicare, die steuerfinanzierte Gesundheitsfürsorge<br />

für Senioren, auf niedrigem Niveau<br />

einfrieren. Es gibt durchaus ernstzunehmende<br />

Wissenschaftler, die Ryan für seine Courage<br />

danken. Denn allein die demografische<br />

Entwicklung der nächsten Jahre –die Babyboomer,<br />

die in die Pension gehen – erhöht<br />

den Druck zur Reform. Dass etwas geschehen<br />

muss, sollen die Defizite nicht irgendwann<br />

griechische Dimensionen erreichen,<br />

wissen auch die Demokraten Obamas. Was<br />

jedoch bei Ryans Skizzen auffällt, ist die<br />

krasse Schieflage.<br />

Während er Sozialleistungen zu streichen<br />

gedenkt, will der Mann auf die Kapitalertragssteuer<br />

verzichten, um nur einen Punkt seines<br />

Programms zu nennen. Ein Investor wie<br />

Romney, der das Gros seines Einkommens<br />

durch Kapitalanlagen verdient, würde nach<br />

Ryans Plan praktisch gar nichts mehr beim<br />

Fiskus abgeben. Schon dieser Aspekt verspricht<br />

einen kontroversen Diskurs, wenn es<br />

im November um das Weiße Haus geht.<br />

Grüner Frontmann<br />

Kandidatin für die Frau an Trittins Seite präsentieren<br />

können. Insofern kann es dem<br />

Fraktionschef fast schon egal sein, auf wen<br />

sich die Basis möglicherweise in einer Urwahl<br />

entscheidet –die Nummer Eins der Grünen<br />

ist und bleibt er, weit und breit ist keine ernsthafte<br />

Realo-Konkurrentin in Sicht.<br />

Und in noch einer Frage beginnen sich die<br />

Fronten zu klären. Seine Spitzenkandidatur<br />

verknüpft Jürgen Trittin mit einer klaren, unmissverständlichen<br />

Botschaft, die die grüne<br />

Basis hören will: Mit ihm wird es weder<br />

Schwarz-Grün noch eine schwarz-gelb-grüne<br />

Jamaika-Koalition geben. Bundeskanzlerin<br />

Angela Merkel muss sich ihre Mehrheit selber<br />

organisieren, die Grünen stehen als potenzieller<br />

Juniorpartner nicht zur Verfügung.<br />

SPD-Chef Sigmar Gabriel, der seit dem<br />

Wahldebakel 2009 zielstrebig ein neues rotgrünes<br />

Bündnis anstrebt, wird esmit Freude<br />

vernehmen. 2013 läuft alles auf Schwarz-<br />

Gelb gegen Rot-Grün hinaus. Wobei die eklatante<br />

Schwäche der schwarz-gelben Merkel-<br />

Koalition noch lange keine Vorentscheidung<br />

darstellt. Die SPD hat sich allenfalls auf niedrigem<br />

Niveau stabilisiert und sucht in vielen<br />

politischen Fragen noch nach ihrer Position,<br />

hinzu kommen die Zersplitterung des linken<br />

Lagers und die neue Konkurrenz durch die<br />

Piraten. Ein Jahr vor der Bundestagswahl<br />

gibt es alles –nur keine klaren Mehrheitsverhältnisse.<br />

Bewegung in der Kandidatenfrage<br />

■<br />

Radikalsparer im Rampenlicht<br />

Ryan als neuer Hoffnungsträger der US-Republikaner –Einer von den »Young Guns«<br />

Vo nunserem Korrespondenten Frank Herrmann (Washington)<br />

Der republikanische US-Präsidentschaftskandidat Mitt Romney (l.) hat Paul Ryan als seinen<br />

Vizekandidaten bekannt gegeben. Beide Politiker stehen bei einer Wahlkampfinszenierung<br />

vor dem Kriegsschiff USS Wisconsin im Hafen von Norfolk.<br />

(dpa)<br />

Irgendwie passt sie nicht recht zu Paul<br />

Ryan, die martialische Kulisse im Hafen von<br />

Norfolk, dem größten Flottenstützpunkt an<br />

der amerikanischen Atlantikküste. Wie ein<br />

heimgekehrter Matrose schreitet er von einem<br />

Kriegsschiff, begleitet von melodramatischen<br />

Klängen aus dem Film »Air Force<br />

One«. Das Schiff heißt USS Wisconsin, kaum<br />

zufällig ist es benannt nach Ryans Heimatstaat.<br />

Mitt Romneys Wahlkampfregie dürfte<br />

lange gebastelt haben an dem Ambiente.<br />

Aber der neue Hoffnungsträger der Republikaner<br />

ist kein militärischer Typ, Sicherheitspolitik<br />

zählt nicht zu seinen Stärken. Sein<br />

Metier sind Zahlen, Haushaltsentwürfe,<br />

Sparvorschläge.<br />

Romney selbst ist so aufgeregt, dass er sich<br />

bei der Vorstellung Ryans verspricht und seinen<br />

Weggefährten als den nächsten Präsidenten<br />

der Vereinigten Staaten ankündigt. Kurz<br />

darauf kehrt erzurück ans Rednerpult, um<br />

den Ausrutscher zu korrigieren. »Aber mit<br />

diesem Burschen hier«, sagt er fast trotzig,<br />

»habe ich keinen Fehler gemacht«.<br />

Kein Zweifel, mit der Ernennung des<br />

42-Jährigen hat sich Romney für die kühne,<br />

die riskante Variante entschieden. Folgt man<br />

den Plaudereien aus dem Kampagnennähkästchen,<br />

dann standen zuletzt noch zwei<br />

ältere, politisch gemäßigtere Kandidaten auf<br />

seinem Zettel. Tim Pawlenty, der sachliche<br />

Ex-Gouverneur Minnesotas, und Rob Portman,<br />

ein Senator aus Ohio, dem es allerdings<br />

ebenso wie Pawlenty an dynamischer Ausstrahlung<br />

mangelt. Jungenhaft und burschikos,<br />

soll der Fitness-Fan Ryan Romneys<br />

Manko ausgleichen, eine zumindest bei öffentlichen<br />

Auftritten fast roboterhafte Steifheit.<br />

Debatte bei den Sozialdemokraten nimmt Fahrt auf –Trittin wirft bei den Grünen Hut in den Ring –Merkel heute wieder im Kanzleramt<br />

Peer Steinbrück war weg. Weit<br />

weg, in Afrika. Nach der Sommersafari<br />

meldet sich der frühere<br />

Finanzminister nun als Mitglied<br />

der SPD-Kanzlerkandidaten-Troika<br />

auf der Berliner Bühne<br />

zurück. Klar, habe er wieder<br />

Lust auf Politik, lautet die Botschaft<br />

des 65-Jährigen. »Ich<br />

glaube, es wird ein spannender,<br />

aber auch problematischer<br />

Herbst.« Problematisch drohe die<br />

Euro-Rettung zu werden, prophezeit<br />

Steinbrück, ganz ausgewiesener<br />

Krisenmanager. Und<br />

Gabriels aktive<br />

Babypause<br />

(dpa). Chatten und Interviews<br />

geben während Maries<br />

Mittagsschläfchen –für SPD-<br />

Chef Sigmar Gabriel kein<br />

Problem. »Niemand, der Kinder<br />

hat –sokleine jedenfalls<br />

–sitzt doch still vor dem Babybett,<br />

wenn die schlafen und<br />

denkt an nichts anderes als<br />

ans nächste Windelwechseln«,<br />

sagte der 52-Jährige dem<br />

Deutschlandfunk zur Kritik<br />

an seiner starken Präsenz<br />

während der dreimonatigen<br />

Babypause. »Natürlich machen<br />

Menschen, die Kinder<br />

haben, auch noch was anderes.«<br />

Im Zeitalter des Internets<br />

sei das auch nicht so<br />

schwer. Gabriel betreut seit<br />

Anfang Juli drei Monate lang<br />

seine Tochter Marie – mit<br />

zahlreichen beruflichen Unterbrechungen.<br />

Vo ndpa-Korrespondent Sascha Meyer (Berlin)<br />

Spannung verspricht nicht zuletzt<br />

die Frage, wen die Sozialdemokraten<br />

denn nun zum Herausforderer<br />

von Kanzlerin Angela<br />

Merkel (CDU) küren. Auch beim<br />

Wunschpartner, den Grünen,<br />

nimmt das Schaulaufen Fahrt<br />

auf.<br />

Just wenn Merkel nach drei<br />

Wochen Ferien am heutigen<br />

Montag wieder ins Büro kommt,<br />

läutet Rot-Grün eine weitere<br />

Runde der komplizierten Kandidatendebatte<br />

ein. Bei der SPD<br />

prescht parallel zu Steinbrücks<br />

Wortmeldung am Wochenende<br />

ausgerechnet ein alter Vertrauter<br />

vor, um ihm von Kanzler-Ambitionen<br />

abzuraten: »Ich mag Peer<br />

Steinbrück viel zu sehr, als ich<br />

ihm das wünschen würde«, meint<br />

Schleswig-Holsteins Ministerpräsident<br />

Torsten Albig (SPD),<br />

der zu Zeiten der großen Koalition<br />

dessen Sprecher war. Sein Argument:<br />

Steinbrück, der sich<br />

gern unabhängig von der Parteilinie<br />

als Ökonom und Finanzexperte<br />

profiliert, würde das »Korsett«<br />

des Kandidaten nicht gefallen.<br />

Wie genau der Spitzenmann<br />

und damit auch der Wahlkampf<br />

strategisch verortet sein sollen,<br />

ist jedoch noch ungeklärt. Albig,<br />

der bei seiner eigenen Kampagne<br />

im Norden nicht gerade auf Polarisierung<br />

setzte, spricht gleich<br />

eine Empfehlung für Frank-Walter<br />

Steinmeier aus, der als Bundestagsfraktionschef<br />

eine tolle<br />

Arbeit mache und »ein guter<br />

Kanzler« wäre. Dieser sei seit<br />

dem 23-Prozent-Desaster bei der<br />

Wahl 2009 »sehr gereift« – damals<br />

war Steinmeier als Vizekanzler<br />

der ungeliebten großen<br />

Koalition schon einmal SPD-<br />

Spitzenkandidat.<br />

Andere Genossen erinnern indes<br />

daran, dass ihr letzter erfolgreicher<br />

Kandidat ebenfalls von<br />

einer gewissen Distanz zur Partei<br />

zehrte, um auch für Wechselwähler<br />

attraktiv zusein: der spätere<br />

Kanzler Gerhard Schröder. Der<br />

SPD-Bundestagsabgeordnete<br />

Hans-Peter Bartels macht sich<br />

denn auch für Steinbrück stark,<br />

der wegen seines Agierens in der<br />

Finanzkrise nach 2008 und des<br />

größeren ökonomischen Sachverstands<br />

die »beste Alternative« zu<br />

Merkel sei.<br />

Dass sich der Wahlkampf entscheidend<br />

um das Großthema<br />

Euro drehen wird, gilt dabei parteiübergreifend<br />

als sicher. Für<br />

die SPD ist die Lage aber knifflig.<br />

Denn Kanzlerin Merkel fährt<br />

für ihren Kurs stabil enorme Zustimmungswerte<br />

bei Umfragen<br />

ein. Und im Bundestag trugen<br />

die Sozialdemokraten bisher alle<br />

wegweisenden Euro-Beschlüsse<br />

mit –aller Kritik zum Trotz, wie<br />

die Linkspartei gerne stichelt.<br />

Der dritte im Bunde der SPD-<br />

Anwärter, Parteichef Sigmar Gabriel,<br />

versucht schon die ganzen<br />

Sommerferien über sich mit Salven<br />

zuSchuldenkrise und sozialer<br />

Gerechtigkeit zu profilieren –<br />

obwohl er eigentlich in einer<br />

selbstverkündeten Babypause für<br />

seine kleine Tochter ist. Die Banken<br />

müssten hart andie Kandare,<br />

die Reichen mehr »sozialen<br />

Patriotismus« zeigen. Und angesichts<br />

einer über die Europäischen<br />

Zentralbank längst existierenden<br />

gemeinsamen Schuldenhaftung<br />

müsse die »Anarchie«<br />

im Kreis der Euro-Länder<br />

bei Steuern und Haushalten<br />

überwunden werden.<br />

Wie sich die Krise weiterentwickelt,<br />

ist aber offen. Und zu früh<br />

festlegen wollen sich die in einer<br />

»Troika« aneinandergebundenen<br />

Spitzengenossen auch deswegen<br />

nicht –selbst wenn parteiintern<br />

manche nach einer rascheren<br />

Entscheidung rufen, um Merkel<br />

rechtzeitig Paroli zu bieten.<br />

Steinbrück wie Gabriel machen<br />

aber noch einmal unisono klar:<br />

Ausgerufen werde der Kanzlerkandidat<br />

erst »um die Jahreswende«.<br />

Dabei sieht auch Gabriel,<br />

dass seine »Partnerrivalen«<br />

derzeit in Umfragen besser dastehen<br />

– jedoch alle mit Rückstand<br />

zu Merkel.<br />

Derweil zeichnet sich auch bei<br />

den Grünen ab, dass die Kür der<br />

Wahlkampf-Zugpferde kompliziert<br />

werden könnte. Am Wochenende<br />

verkündet Fraktionschef<br />

Jürgen Trittin wie allseits erwartet<br />

seine Bewerbung um einen<br />

der zwei Spitzenkandidaten-Posten<br />

und verbindet das gleich mit<br />

einer Absage an eine schwarzgrüne<br />

Koalition. Als erste hatte<br />

sich schon die Parteivorsitzende<br />

Claudia Roth gemeldet.<br />

Beide werden aber immer noch<br />

eher dem linken Flügel zugerechnet,<br />

was nicht alle in der<br />

Partei goutieren. Die badenwürttembergische<br />

Fraktionschefin<br />

Edith Sitzmann plädierte<br />

denn auch für ein Duo aus Trittin<br />

und Bundestagsvizepräsidentin<br />

Katrin Göring-Eckardt. Anfang<br />

September soll klar sein, ob<br />

eine Urwahl über das Spitzenteam<br />

entscheiden soll, zumindest<br />

wenn sich noch mehr Bewerber<br />

melden.<br />

Mit ihm macht einer jener streitbaren Konservativen<br />

das Rennen, die mit dem Höhenflug<br />

der Tea Party ins Rampenlicht rückten.<br />

Einer von den »Young Guns«, wie der Volksmund<br />

sie anschaulich nennt. Der Regierung<br />

Barack Obamas begegnen sie mit einer Art<br />

Fundamentalopposition, aber auch von<br />

George W. Bush möchten sie sich imNachhinein<br />

abgrenzen, speziell von der unbekümmerten<br />

Art, mit der Bush Schulden anhäufte.<br />

Profunder Kenner seines Fachs<br />

Ein Hauch von Vabanque liegt über der<br />

Personalie, ähnlich wie im Spätsommer 2008,<br />

als John McCain mit Sarah Palin eine echte<br />

Überraschungskandidatin aus dem Hut zauberte.<br />

Dem frischen Wind der ersten Wochen<br />

war seinerzeit eine Serie von Blamagen gefolgt,<br />

gekrönt durch Palins forsche Bemerkung,<br />

sie besitze schon deshalb weltpolitische<br />

Kompetenz, weil sie vom heimischen<br />

Alaska bis nach Russland schauen könne.<br />

Ryan wird sich solche Blößen kaum geben:<br />

Der Politiker führt den Haushaltsausschuss<br />

des Repräsentantenhauses und gilt als profunder<br />

Kenner seines Fachs. Seine Achillesferse<br />

dürfte vielmehr eine Art sein, die manche<br />

als schonungslos offen charakterisieren,<br />

andere als unnötig provozierend. Jedenfalls<br />

ist er so etwas wie der Wunschgegner der Demokraten.<br />

Die fiskalische Rosskur, für die sein Name<br />

wie kaum ein anderer steht –das Weiße Haus<br />

charakterisiert sie als unverhüllten Sozialdarwinismus.<br />

Jim Messina, Obamas Wahlkampfmanager,<br />

hielt sich denn auch nicht<br />

lange bei der Vorrede auf, als er die Personalie<br />

Ryan kommentierte. Romney habe einen<br />

Mann gewählt, der an die Theorie glaube,<br />

»dass Steuerkürzungen für die Reichen, verbunden<br />

mit größeren Lasten für die Mittelklasse<br />

und die Senioren, irgendwie die Wirtschaft<br />

stärken«. Als Ryan im Frühjahr einen<br />

mit 37 Fußnoten versehenen Entwurf fürs<br />

Budget vorstellte, begleitete es sogar Charles<br />

Krauthammer,eine der spitzesten Federn unter<br />

Amerikas konservativen Kolumnisten,<br />

mit bissiger Ironie. »Vielleicht wird esals der<br />

Abschiedsbrief mit den meisten Fußnoten in<br />

die Geschichte eingehen.«<br />

Das Markenzeichen des Radikalsparers<br />

sind drastische Abstriche bei Medicare, der<br />

steuerfinanzierten Gesundheitsfürsorge für<br />

Alte, während er die Verteidigungsausgaben<br />

unangetastet lässt und die Kapitalertragssteuer<br />

sogar komplett abschaffen möchte.<br />

Nach Ryans Plan sollen Pensionäre künftig<br />

bestimmte Pauschalbeträge erhalten, statt<br />

wie bisher Arzt- und Apothekerrechnungen<br />

vom Staat bezahlt zu bekommen. Angesichts<br />

der Kostenlawine in Praxen und Krankenhäusern<br />

sagen Kritiker voraus, dass die tatsächlichen<br />

Kosten die Pauschalzuwendungen<br />

bald deutlich überschreiten und Millionen<br />

von Menschen in die Altersarmut rutschen<br />

würden. »Nur wer die Verantwortung für sich<br />

selbst übernimmt, kann wirklich frei sein«,<br />

entgegnet ungerührt der Mann aus Wisconsin.<br />

»Nur ein freier Mensch kann eine verantwortungsvolle<br />

Wahl treffen –zwischen richtig<br />

und falsch, zwischen Sparen und Ausgeben,<br />

Nehmen und Geben.«<br />

PRESSESTIMME<br />

Mehr Mitspracherecht<br />

Die liberale Wiener Zeitung »Der Standard«<br />

schreibt am Samstag über die Euro-Krise und den<br />

jüngsten Vorschlag der Professoren Habermas, Bofinger<br />

und Nida-Rümelin:<br />

»Die Schuldenkrise in der Euro-Zone darf nicht<br />

zur Ausschaltung von demokratischer Kontrolle<br />

und Mitbestimmung führen. Die Professoren<br />

schlagen einen Verfassungskonvent mit Referenden<br />

in den Mitgliedsstaaten vor. Damit ›könnten die<br />

europäischen Politiker die Souveränität, die ihnen<br />

von, den Märkten‹ längst geraubt worden ist, auf<br />

europäischer Ebene wiedergewinnen«. Das greift<br />

aber zu kurz: Das EU-Parlament muss mehr Mitspracherecht<br />

bekommen, die Kommissare sollen<br />

direkt gewählt werden können. All das setzt aber<br />

Politiker voraus, die ein Programm haben und dies<br />

auch aktiv vor den Bürgern vertreten.«<br />

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