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Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte - Institut für Zeitgeschichte

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102 Rainer Wohlfeil<br />

Der Unabhängigkeitskrieg war kein Bürgerkrieg, sondern ein nationaler Abwehrkampf.<br />

Er brachte jedoch mit der Diskussion um die zukünftige politische<br />

Struktur das Ringen zwischen den weltanschaulich gebundenen Kräften des Fortschritts<br />

und der Beharrung mit sich, eröffnete also <strong>für</strong> Spanien eine besonders<br />

leidenschaftliche Auseinandersetzung um das Ideengut der Französischen Revolution<br />

6 . In den Cortes von Cádiz errangen die Liberalen mit der Verfassung von<br />

1812 einen ersten Sieg, aber es wurde ihr Verhängnis, daß sie keinen ausreichenden<br />

und vor allem anhaltenden Widerhall in der Masse des Volkes fanden und nicht<br />

die Fälligkeit besaßen, eine dauerhafte bürgerlich-liberale oder gar demokratische<br />

Staats- und Gesellschaftsordnung zu schaffen. Ihre Bestrebungen lösten auch keine<br />

eigentlich bürgerliche Revolution, sondern nur eine Folge von Pronunciamientos,<br />

Staatsstreichen und Bürgerkriegen aus 7 . Daß die Liberalen mit ihren vielfach<br />

divergierenden und in mannigfaltigen Beziehungen verschwommenen Vorstellungen<br />

nur unzureichend befähigt waren, staatlichen Aufgaben gerecht zu werden,<br />

offenbarte zuletzt ihr Versagen in der Zweiten Republik (1930—1936). Die spanischen<br />

Liberalen konnten nicht einmal Spaniens öffentliches und privates Leben in<br />

der Weise mit ihren Ideen durchsetzen, wie es dem Liberalismus in anderen Ländern<br />

gelang, weil sie — übrigens ebensowenig wie die Verteidiger der überlieferten<br />

Grundlagen des spanischen Lebens — zu keinem Ausgleich bereit waren. Diese<br />

Kompromißlosigkeit wird vielfach als ein Ausdruck des spanischen Charakters<br />

interpretiert.<br />

Neben dem Gegensatz zwischen Liberalismus und Tradition bildeten sich die<br />

allgemein in Europa auftretenden, ebenso drohenden Frontstellungen — beispielsweise<br />

zwischen den Eigentümern der Produktionsmittel und der Arbeiterschaft.<br />

Allerdings einigten sich in Spanien die Arbeiter ebensowenig wie ihre Kontrahenten<br />

auf gemeinsame Ziele. Die sozialistischen Anhänger von Karl Marx und ihre<br />

Gewerkschaftsorganisation UGT blieben in der Minderheit gegenüber den lungern<br />

Bakunins, den Anarchisten. Hier zeigt sich ein Hang zum Individualismus — der<br />

sich ebenso auch als Regionalismus oder gar Partikularismus manifestiert. Spannungen<br />

zwischen Zentralismus und Bestrebungen nach Autonomie, von Gegnern<br />

manchmal zu schnell als Separatismus abgetan, verquickten sich mit den ideologisch<br />

bedingten Fronten und verwirrten sie, wie die katalanische und baskische Selbständigkeitsbewegung<br />

zeigten. Die liberale, marxistische und anarchistische Ideologie,<br />

die mit außergewöhnlicher Härte aufeinanderprallten und zugleich den<br />

Traditionalismus zu überwinden suchten, waren nicht spanischen Ursprungs. Sie<br />

wurden aus Europa übernommen, dabei aber „so umgedeutet, daß man sie nur<br />

mit Mühe wiedererkennt" 8 . Dennoch wurden ihre Vertreter und Organisationen<br />

6 Raymond Carr, Spain 1808-1939, Oxford 1966; Iwan Michailowitsch Maiski, Neuere<br />

Geschichte Spaniens 1808-1917, Berlin-Ost 1961.<br />

7 E. Christiansen, The Origins of Military Power in Spain 1800-1854, London 1967; Jose<br />

Luis Cornelias Garcia-Llera, Los primeros pronunciamientos en Espana 1814—1820, Madrid<br />

1958; V. G. Kiernan, The Revolution of 1854 in Spanish History, Oxford 1966.<br />

8 Luis Dlez del Corral, Doktrinärer Liberalismus, Neuwied- Berlin 1964, S. 27. Es kann als

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