Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte - Institut für Zeitgeschichte
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Dokumentation<br />
sichert war" 7 . Zunächst nicht offensichtlich und den führenden Kräften wahrscheinlich<br />
nicht einmal bewußt, änderte sich das Verhältnis der KPD (wie das der andern<br />
Mitgliederparteien) zur KP Rußlands in der Komintern: anstelle von gleichberechtigten<br />
Sektionen gab es bald führende und mitlaufende und zuletzt eine bestimmende<br />
Partei und ausführende Organisationen. In dem Maße, in dem die revolutionäre<br />
Welle in Europa abebbte und gleichzeitig der Sowjetstaat erstarkte, bestimmte<br />
die KPdSU und damit die Sowjetunion Stalins den Kurs der Komintern und ordnete<br />
die Kommunistischen Parteien in aller Welt ihren Interessen (oft sogar nur ihren<br />
vermeintlichen Interessen) unter.<br />
Auch wenn die Beziehungen zwischen der Komintern und den einzelnen kommunistischen<br />
Parteien im allgemeinen bekannt sind, liegen doch bis heute kaum<br />
authentische Dokumente über das direkte Verhältnis zwischen Moskau und den<br />
einzelnen Parteizentralen vor. Der Schriftwechsel ruht mit wenigen Ausnahmen<br />
in den Geheimarchiven, und es ist kaum anzunehmen, daß er in absehbarer Zeit<br />
veröffentlicht wird. Um so bedeutsamer sind alle Materialien, die über die Methoden<br />
der Anleitung oder die allgemeinen Kontakte Aufschluß geben können. Das gilt<br />
auch <strong>für</strong> die hier abgedruckten Dokumente. Die meisten der wiedergegebenen<br />
Briefe und Erklärungen stammen aus dem Nachlaß von Ernst Meyer. Seiner Witwe<br />
Rosa Meyer-Levine gilt der herzliche Dank da<strong>für</strong>, daß sie die Veröffentlichung der<br />
Dokumente aus ihrem Privat-Archiv gestattete (bei den Briefen Meyers nach Moskau<br />
handelt es sich um Durchschläge und Abschriften). Ebenso gilt der Dank <strong>für</strong><br />
das Recht zur Veröffentlichung der anderen Dokumente Herrn Rudert und dem<br />
Bundesarchiv in Koblenz. (Offensichtliche Schreibfehler in den Dokumenten und<br />
Abschriften wurden stillschweigend berichtigt, Zusätze in eckige Klammern gesetzt.)<br />
Ernst Meyer war einer der bemerkenswertesten Führer des deutschen Kommunismus.<br />
Doch während KPD-Führer wie Heinrich Brandler, Ruth Fischer oder<br />
Ernst Thälmann weitgehend ein Begriff sind, ist die Rolle von Ernst Meyer fast<br />
unbekannt. Dabei war Meyer in den wichtigsten Perioden der KPD-Geschichte<br />
Führer der Partei: nach der Märzaktion 1921 löste er Brandler in der Parteiführung<br />
ab und lenkte über eineinhalb Jahre die Geschicke der KPD, die in dieser Zeit wieder<br />
eine machtvolle Organisation wurde und so 1923 Kurs auf die Vorbereitung des<br />
Aufstandes nehmen konnte. Ende 1926 und 1927 war Meyer noch einmal maßgebender<br />
Führer der Partei, auch wenn damals nach außen hin bereits Thälmann<br />
die Partei leitete. Aber auch als tatkräftiger Organisator innerparteilicher Oppositionsgruppen<br />
wie der „Mittelgruppe" (1924/25) oder der „Versöhnler" (1928/29)<br />
spielte Meyer eine entscheidende Rolle.<br />
Am 10. Juli 1887 in Prostken (Ostpreußen) als Sohn eines Lokomotivführers<br />
geboren, studierte Ernst Meyer 8 in Königsberg und Berlin Philosophie, Psychologie<br />
7 Richard Löwenthal, Rußland und die Bolschewisierung der deutschen Kommunisten, in:<br />
Deutsch-russische Beziehungen von Bismarck bis zur Gegenwart, Hrsgg. von Werner Markert,<br />
Stuttgart 1964, S. 105.<br />
8 Eine ausführliche Biographie von Ernst Meyer wird zusammen mit weiteren Kurzbiographien<br />
von 500 KPD-Führern erscheinen in: Hermann Weber, Die Wandlung des deutschen<br />
Kommunismus, Die Stabilisierung der KPD 1924-1929, Hannover 1968.