Bericht über den 1. Konvent der Baukultur 4. und ... - stiftung baukultur
Bericht über den 1. Konvent der Baukultur 4. und ... - stiftung baukultur
Bericht über den 1. Konvent der Baukultur 4. und ... - stiftung baukultur
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<strong>Bericht</strong><br />
<strong>über</strong> <strong>den</strong> <strong>1.</strong> <strong>Konvent</strong> <strong>der</strong> <strong>Baukultur</strong><br />
<strong>4.</strong> <strong>und</strong> 5. April 2003<br />
in Bonn, ehemaliger Plenarsaal des Deutschen B<strong>und</strong>estags
Prolog<br />
Kaum jemand wird sich veranlasst sehen, die Re<strong>den</strong> <strong>und</strong> die Statements des <strong>1.</strong> <strong>Konvent</strong>s<br />
<strong>der</strong> <strong>Baukultur</strong> alle noch einmal nachzulesen, innezuhalten <strong>und</strong> sich dabei zu fragen:<br />
… Laufen die Gedanken zusammen, ist eine Linie zu erkennen?<br />
… Was bedeuten diese Erkenntnisse <strong>und</strong> diese Bekenntnisse für mich in meiner<br />
praktischen Tätigkeit, in meiner politischen Einstellung?<br />
… Folge ich dem Aufruf, mich zu diesen Prinzipien von <strong>Baukultur</strong> zu bekennen <strong>und</strong> dafür<br />
öffentlich einzutreten?<br />
Und<br />
Was bedeutet das für <strong>den</strong> <strong>Konvent</strong> <strong>der</strong> <strong>Baukultur</strong> <strong>und</strong> seine künftige Arbeit?<br />
Vielleicht ist es deshalb ein Anreiz <strong>und</strong> eine Hilfe, die Referate <strong>und</strong> die Statements im<br />
Zeitraffer anzubieten, damit für Sie auch Zeit bleibt, innezuhalten <strong>und</strong> zu fragen, was<br />
bedeutet dies …?<br />
Mit diesem Anliegen habe ich <strong>den</strong> Versuch gemacht, Zitate auszuwählen – <strong>und</strong> dabei<br />
zwangsläufig auch aus dem Zusammenhang zu reißen – <strong>und</strong> diese mit meinen verbin<strong>den</strong><strong>den</strong><br />
Worten neu zusammen zu fügen.<br />
Bitte prüfen Sie mein Empfin<strong>den</strong>, dass dieser <strong>Konvent</strong> mit vielen Worten zu einer klaren<br />
Aussage gekommen ist.<br />
Vielleicht haben Sie nach <strong>der</strong> Lektüre auch <strong>den</strong> Wunsch, <strong>den</strong> einen <strong>und</strong> an<strong>der</strong>en Vortrag<br />
in vollem Umfang nachzulesen …<br />
Im Juli 2003<br />
Prof. Dr. Dr. h.c. Karl Ganser<br />
För<strong>der</strong>verein B<strong>und</strong>es<strong>stiftung</strong> <strong>Baukultur</strong><br />
b 2
1<br />
Wor<strong>über</strong> wir nicht gesprochen haben<br />
Wir haben nicht dar<strong>über</strong> gesprochen,<br />
… dass wir in Deutschland <strong>und</strong> in allen hoch entwickelten Industrielän<strong>der</strong>n vor einer<br />
Epoche mit abnehmen<strong>der</strong> Bevölkerung <strong>und</strong> mehr alten als jungen Menschen stehen <strong>und</strong><br />
dass sich dies auch nicht än<strong>der</strong>n lässt, selbst wenn Gesellschaft <strong>und</strong> Politik dies mit allen<br />
Anstrengungen wollten.<br />
… dass 0,5 % Wachstum des Bruttosozialprodukts auf einem so hohen Niveau wie nie in<br />
<strong>der</strong> Geschichte ein riesiger absoluter Betrag ist <strong>und</strong> dass sich diese Rate nur aufrecht<br />
erhalten lässt unter günstigen globalwirtschaftlichen Umstän<strong>den</strong> <strong>und</strong> höchst wirksamen<br />
nationalen Anstrengungen.<br />
… dass wir unter diesen Rahmenbedingungen gezwungen sein wer<strong>den</strong>, in allen<br />
gesellschaftlichen Bereichen weitgehende Reformen vorzunehmen, <strong>den</strong>n alle sind sie aus<br />
heutiger Sicht „mit ungedeckten Wechseln auf die Zukunft“ finanziert.<br />
Wir haben diese gesellschaftlichen Rahmenbedingungen als bekannt vorausgesetzt <strong>und</strong><br />
uns Gedanken <strong>über</strong> die Aufgaben <strong>und</strong> die Organisation einer B<strong>und</strong>es<strong>stiftung</strong> <strong>Baukultur</strong><br />
gemacht.<br />
b 3
Diese Gedanken sind an einen Rahmen gebun<strong>den</strong>, <strong>den</strong> wir ebenfalls nicht explizit<br />
behandelt haben:<br />
… dass ständige Stadterweiterung mit ausgreifen<strong>der</strong> Siedlungsentwicklung, die mehr als<br />
150 Jahre die Ausformung <strong>der</strong> Industriegesellschaft begleitet haben, epochal an ihr Ende<br />
geraten sind.<br />
… dass wir in einer Situation stehen, wo Vorbau <strong>und</strong> Rückbau zu engen Nachbarn<br />
wer<strong>den</strong>, räumlich <strong>und</strong> ökonomisch betrachtet immer mehr die Gefahr besteht, mit jedem<br />
Vorbau schon <strong>den</strong> alsbald folgen<strong>den</strong> Rückbau gebaut zu haben.<br />
Und wir haben nicht deutlich gesagt,<br />
… dass die „Krise <strong>der</strong> Bauwirtschaft“ <strong>und</strong> die „leeren Auftragsbücher <strong>der</strong> Planer,<br />
Architekten <strong>und</strong> Ingenieure“ nicht auf eine konjunkturbedingte Erholung, verbun<strong>den</strong> mit<br />
einem „weiter so“, hoffen können.<br />
… dass wir uns viel mehr darauf einstellen, mehr noch, dass wir aktiv vorbereiten müssen,<br />
wie wir durch Innovation <strong>und</strong> Qualitätsbewusstsein neue Impulse für die Bauwirtschaft <strong>und</strong><br />
die sie planen<strong>den</strong> Bereiche auf einem deutlich niedrigeren Niveau einleiten.<br />
In dieser Situation ist es für viele wahrscheinlich eine mentale Zumutung, sich für<br />
<strong>Baukultur</strong> zu engagieren <strong>und</strong> dafür direkt o<strong>der</strong> indirekt privatökonomische Ressourcen<br />
einzusetzen.<br />
Das gleicht <strong>der</strong> Verhaltensweise, Bäume zu pflanzen, auch wenn man die großen<br />
entfalteten Kronen vielleicht nicht mehr erlebt.<br />
b 4
2<br />
Mitte, danke!<br />
Wir brauchen nicht noch eine Einrichtung!<br />
Die Gr<strong>und</strong>satzfrage: Brauchen wir „noch eine Einrichtung“ in Gestalt einer B<strong>und</strong>es<strong>stiftung</strong><br />
<strong>Baukultur</strong>?<br />
Die Antwort auf dem <strong>Konvent</strong> <strong>der</strong> <strong>Baukultur</strong> fiel eindeutig aus:<br />
Nein!<br />
Im Statement von Schwarz kam <strong>über</strong>zeugend zum Ausdruck, dass es für die För<strong>der</strong>ung<br />
<strong>und</strong> die Präsentation <strong>der</strong> gängigen guten Architektur genügend Medien <strong>und</strong> Einrichtungen<br />
gibt. Diese arbeiten besser, als gelegentlich <strong>über</strong> sie gesprochen wird.<br />
„Träume ich davon, dass eine Stiftung <strong>Baukultur</strong> all die genannten Aktivitäten an sich<br />
ziehen sollte? Eigentlich nicht.<br />
Denke ich, dass eine Stiftung <strong>Baukultur</strong> das alles besser machen könnte?<br />
Bestimmt nicht.<br />
Tatsächlich wünsche ich mir ein gut ausgestattetes nationales Architekturzentrum … <strong>und</strong><br />
natürlich wünsche ich mir eine Architekturschule auf höchstem Niveau …<br />
Aber mit einer Stiftung <strong>Baukultur</strong> verbinde ich doch etwas an<strong>der</strong>es.<br />
Eine Stiftung <strong>Baukultur</strong> kann nicht einfach das tun wollen, was viele an<strong>der</strong>e bereits seit<br />
längerer Zeit mit großem Einsatz <strong>und</strong> gar nicht ganz erfolglos tun.<br />
Die Stiftung <strong>Baukultur</strong> muss etwas tun, was bisher kein Akteur getan hat o<strong>der</strong> tun könnte.<br />
Die Stiftung ist:<br />
ein Seismograph,<br />
ein Alarmmel<strong>der</strong>,<br />
ein Diskussionsstifter,<br />
ein Kommunikator - vielleicht sogar ein Störenfried.<br />
Die wichtigste Voraussetzung dafür ist: Sie muss unabhängig sein <strong>und</strong> gleich weit entfernt<br />
von allen, die etwas mit dem Bauen zu tun haben. Nur so wird sie eine eigene Stimme<br />
bekommen <strong>und</strong> ernst genommen wer<strong>den</strong>.“ (Ullrich Schwarz)<br />
Die Stiftung soll also zur Kommunikation anstiften <strong>und</strong> sie soll mit einer unabhängigen<br />
Stimme aufklären <strong>und</strong> das mit b<strong>und</strong>esgesetzlicher Autorität.<br />
b 5
Auf gesetzlicher Gr<strong>und</strong>lage soll<br />
<strong>1.</strong> die B<strong>und</strong>esregierung in allen Fragen <strong>der</strong> <strong>Baukultur</strong> durch eine unabhängige<br />
Institution beraten wer<strong>den</strong>,<br />
2. sollen die an Planung <strong>und</strong> Bau Beteiligten stets aufs Neue Qualitätsmaßstäbe in<br />
<strong>der</strong> <strong>Baukultur</strong> erarbeiten <strong>und</strong> in die Diskussion einbringen,<br />
3. sollen interessierte <strong>und</strong> engagierte Bürger in ihrem Engagement für <strong>Baukultur</strong><br />
gestützt <strong>und</strong> die Öffentlichkeit <strong>über</strong> hin<strong>der</strong>liche <strong>und</strong> för<strong>der</strong>liche Verfahren aufgeklärt wer<strong>den</strong>.<br />
Dafür sind in <strong>den</strong> bisherigen Entwürfen für die B<strong>und</strong>es<strong>stiftung</strong> wenige hervorgehobene<br />
Instrumente in Vorschlag gebracht, die nun weiter entwickelt wer<strong>den</strong> müssen.<br />
Die B<strong>und</strong>es<strong>stiftung</strong> <strong>Baukultur</strong> soll sich beschränken <strong>und</strong> nur das behandeln <strong>und</strong> beför<strong>der</strong>n,<br />
„was es schwer hat“.<br />
Steiner rät dazu, sich um die Spitze <strong>und</strong> das Ende eines <strong>baukultur</strong>ellen Kontinuums zu<br />
kümmern, nicht aber um die „mittelmäßige Mitte“.<br />
„Wir sollten mit dieser Paradoxie <strong>der</strong> künftigen Architektur leben lernen. An einem Ende<br />
stylt sie mit Stars als Dienstleister das Wirtschaftswachstum des Turbokapitalismus, <strong>und</strong><br />
am an<strong>der</strong>en Ende expeditioniert sie die Schuttberge <strong>der</strong> „Walking Cities“, sammelt <strong>und</strong><br />
sortiert <strong>den</strong> hinterlassenen Müll, um daraus neue intelligente Lebensräume zu generieren.<br />
Beides, <strong>und</strong> das ist natürlich pervers, kann mit kreativer Lust <strong>und</strong> Engagement<br />
geschehen“. (Dietmar Steiner)<br />
Also geht es darum, die „Leuchttürme“ von heute <strong>und</strong> ihre Stars zu befragen <strong>und</strong> da, wo es<br />
notwendig erscheint, mit guten Grün<strong>den</strong> zu entzaubern. Das wirklich Neue vom neuen Schein<br />
unterschei<strong>den</strong> zu können. Aber, wer hat die Kompetenz, die Macht <strong>und</strong> <strong>den</strong> Mut dazu?<br />
„Das Dilemma <strong>der</strong> deutschen Architekturdebatte besteht in <strong>der</strong> Negation <strong>der</strong> bei<strong>den</strong><br />
Extreme. Man will sich we<strong>der</strong> zum Kult <strong>der</strong> Stars bekennen noch richtig in <strong>den</strong> Dreck<br />
greifen. Kann an dem einen Ende die mediale <strong>und</strong> akademische Aufmerksamkeit sehr viel<br />
für die Beför<strong>der</strong>ung <strong>der</strong> „Stars“ tun, so muss am an<strong>der</strong>en Ende das Thema <strong>der</strong><br />
Nachhaltigkeit <strong>und</strong> des Umgangs mit dem Vorhan<strong>den</strong>en auch in <strong>der</strong> intellektuell<br />
akademischen Debatte verankert wer<strong>den</strong>.“ (Dietmar Steiner)<br />
Am an<strong>der</strong>en Ende stehen diese endlosen Areale ohne <strong>Baukultur</strong>, die wir nicht zur Kenntnis<br />
nehmen, an die wir keine Ansprüche stellen, für <strong>der</strong>en an<strong>der</strong>e Ästhetik wir kein Sensorium <strong>und</strong><br />
b 6
kein Auge haben, wo aber die eigentlichen Aufgaben einer Initiative für <strong>Baukultur</strong> zu suchen<br />
sind. Auf dieser Suche wer<strong>den</strong> ästhetische Maßstäbe <strong>und</strong> Vorgehensweise herkömmlicher<br />
Architekturqualifizierung <strong>und</strong> Präsentation radikal in Frage zu stellen sein, weil sie mit großer<br />
Wahrscheinlichkeit keine Instrumente zur Bewältigung <strong>der</strong> Situation sind.<br />
„Denn jenseits einer reinen <strong>und</strong> sauberen <strong>und</strong> engagierten Wohlstandsarchitektur gibt es<br />
eben noch die gigantische Masse <strong>der</strong> mit <strong>und</strong> ohne Architektur erzeugten Nicht-<br />
Architektur. Warum können wir diesen ganzen zivilisatorischen Müll nicht endlich zur<br />
Kenntnis nehmen. Wir können diesen Baumüllberg we<strong>der</strong> stoppen noch verhin<strong>der</strong>n. Die<br />
Erde ist zugebaut damit … <strong>und</strong> nur eine wirklich radikal ökologische Architektur wird damit<br />
umgehen können <strong>und</strong> materialarme Strategien <strong>der</strong> Umnutzung des Vorhan<strong>den</strong>en erfin<strong>den</strong><br />
… sie eröffnet Handlungsräume für die Zukunft. Ihre Ästhetik ist seit zwanzig Jahren in <strong>den</strong><br />
Plots <strong>der</strong> Science-Fiction-Filme <strong>und</strong> Comics vorgedacht …“ (Dietmar Steiner)<br />
Müll-Rückbau als eine ökologisch f<strong>und</strong>ierte <strong>und</strong> ästhetisch radikal an<strong>der</strong>e Aufgabe? Wer<br />
ist in <strong>der</strong> Lage, dieser provozieren<strong>den</strong> Worthülse einen konkreten <strong>und</strong> glaubhaften Inhalt<br />
zu geben?<br />
„Im Vergleich dazu stecken unsere landläufigen Architekturdiskurse noch tief im alten<br />
Denken. Unverdrossen sind sie mit <strong>der</strong> ästhetischen Bewältigung vermeintlich weiterhin<br />
florieren<strong>der</strong> Zuwächse befasst. Doch wenn <strong>Baukultur</strong> etwas mit <strong>der</strong> kulturellen<br />
Bewältigung konkreter Lebensprobleme zu tun hat, dann muss ein zentrales Thema <strong>der</strong> zu<br />
führen<strong>den</strong> Debatte lauten: Wie lässt es sich möglichst reibungsarm bewältigen …. weg<br />
vom expansiven, hin zum tatsächlich nachhaltigen Entwicklungsmodell <strong>und</strong> das nicht nur<br />
im Osten.“ (Wolfgang Kil)<br />
Die regionalökonomische Entwicklung <strong>und</strong> die damit verbun<strong>den</strong>e Aufgabe des Rückbaus<br />
im Osten Deutschlands ist nur <strong>der</strong> Son<strong>der</strong>fall einer allgemeinen Entwicklung, die<br />
zunehmend häufiger auch in <strong>den</strong> westlichen Regionen Deutschlands nicht mehr zu<br />
<strong>über</strong>sehen ist. Selbst in <strong>den</strong> wenigen südlich gelegenen noch gemächlich wachsen<strong>den</strong><br />
Regionen wie München, Stuttgart o<strong>der</strong> Freiburg gibt es längst ein enges Nebeneinan<strong>der</strong><br />
von Vorbau <strong>und</strong> Rückbau. Aber auch die Regionen mit offenk<strong>und</strong>igen Stagnations- <strong>und</strong><br />
Schrumpfungssignalen verweigern sich hartnäckig <strong>der</strong> Erkenntnis <strong>und</strong> bauen „weiter so“<br />
nach dem Erweiterungsmodell. Damit häufen sie in ihrer Hilflosigkeit umzu<strong>den</strong>ken immer<br />
mehr „Rückbaupotential“ an.<br />
Um schrumpfende Städte sozial <strong>und</strong> strukturell im Griff zu behalten, sind statt <strong>der</strong> bislang<br />
üblichen Zugewinn-Strategien – dichter, höher, eleganter – jetzt Entdichtung,<br />
Verkleinerung, Entschleunigung gefragt. Statt um Zuwachsraten geht es um Freisetzungs-<br />
b 7
<strong>und</strong> Entsorgungspotentiale. Man sollte es ruhig einen Paradigmenwechsel nennen –<br />
endlich Abschied von <strong>den</strong> althergebrachten Planungsdoktrinen zu nehmen, die da lauten:<br />
„Wachstum um je<strong>den</strong> Preis.“ (Wolfgang Kil)<br />
<strong>Baukultur</strong> muss vor diesem Hintergr<strong>und</strong> aus <strong>der</strong> „sozialen <strong>und</strong> politischen Kompetenz“<br />
verstan<strong>den</strong> <strong>und</strong> entwickelt wer<strong>den</strong>. Das ist so ganz neu nicht, hat doch anno 1987 die<br />
„Altbau-IBA“ in Berlin unter Hardt-Walther Hämer große Resonanz in <strong>der</strong> Stadt <strong>und</strong> in <strong>der</strong><br />
internationalen Fachöffentlichkeit erzeugt. Soziale Kompetenz ist nicht <strong>den</strong>kbar ohne lokale<br />
Kompetenz, ohne dauerhafte Verortung des Planers <strong>und</strong> des Architekten, ist angewiesen<br />
auf die Entfaltung von lokalen Wirtschaftsinitiativen, die sich unterhalb <strong>der</strong> großen<br />
Austauschbeziehungen in <strong>der</strong> globalisieren<strong>den</strong> Wirtschaft entwickeln.<br />
„Ich bin <strong>der</strong> Meinung: Zu <strong>den</strong>en, die als Letzte das Licht ausmachen, sollten unbedingt<br />
Architekten gehören. Denn ohne Architekten, ohne Planerverstand wird es nicht gehen. ….<br />
das Wegnehmen einer Stadt bedarf des Rates <strong>der</strong> Experten genau, wie es ihr Aufbau<br />
einstmals brauchte.“ (Wolfgang Kil)<br />
Dass eine solche Strategie zu mehr <strong>und</strong> nicht zu weniger Beschäftigung führt, ist in <strong>der</strong><br />
öffentlichen Meinung nicht verbreitet, wenigstens nicht bislang. Denn noch immer wer<strong>den</strong> die<br />
großen <strong>und</strong> die kleinen Ruinen <strong>der</strong> herkömmlichen Wirtschaftsför<strong>der</strong>ung als bedauerliche<br />
Unfälle einer im Prinzip erfolgreichen Entwicklungspraxis interpretiert <strong>und</strong> dies schon deshalb,<br />
weil die Beteiligten alles daran setzen, ihr Gesicht nicht zu verlieren.<br />
Um nicht nur <strong>über</strong> Rückbau zu re<strong>den</strong>, son<strong>der</strong>n <strong>den</strong> Rückbau zu machen, <strong>und</strong> dies mit<br />
sozialer <strong>und</strong> lokaler Kompetenz, brauchen wir „neue Hel<strong>den</strong>“. Eine B<strong>und</strong>es<strong>stiftung</strong><br />
<strong>Baukultur</strong> muss deutlich machen, dass darin nicht nur Brot verheißende, son<strong>der</strong>n auch<br />
gesellschaftlich reputierte Zukunftsperspektiven verborgen sind.<br />
„Es sind stille Hel<strong>den</strong>, zur Anonymität verurteilt, so lange wir nur Preise für schneller, höher<br />
<strong>und</strong> breiter zu vergeben haben.<br />
… Es setzt die Bereitschaft voraus, nicht nur Einstiegsdiagnosen o<strong>der</strong> flotte Masterpläne<br />
abzuliefern, son<strong>der</strong>n ganz direkt <strong>und</strong> persönlich Teilnehmer eines langen <strong>und</strong> mühseligen<br />
Prozesses zu wer<strong>den</strong>. Die Aufgabe heißt nicht beglücken, son<strong>der</strong>n begleiten.“<br />
Die B<strong>und</strong>es<strong>stiftung</strong> <strong>Baukultur</strong> muss dafür sorgen, „Prestige <strong>und</strong> Applaus für Häuser, die<br />
nicht mehr stehen, zu erzeugen.“ (Wolfgang Kil)<br />
b 8
3<br />
Avantgarde, Innovation, Experiment?<br />
Schon lange vor dem <strong>Konvent</strong> <strong>und</strong> in <strong>der</strong> Diskussion auf diesem, erst recht in <strong>den</strong> vielen<br />
Zuschriften nach dem Treffen in Bonn wird angeraten, dass sich die Initiative <strong>Baukultur</strong><br />
<strong>und</strong> die spätere B<strong>und</strong>es<strong>stiftung</strong> um die „<strong>Baukultur</strong> im Alltag“ kümmern soll. An<strong>der</strong>erseits<br />
ist es aber so, dass das öffentliche Interesse, auch das <strong>der</strong> Fachmedien <strong>und</strong> <strong>der</strong><br />
Feuilletons, fast ausschließlich auf die „architektonische Sensation“ gerichtet ist. Was<br />
nun? Das Alltägliche kann keine Sensation sein. Nach Ansätzen für die <strong>baukultur</strong>elle<br />
Durchdringung <strong>der</strong> Alltagswelt zu suchen, kann aber wohl zu sensationellen Ergebnissen<br />
führen. Und auch die Frage müsste erlaubt sein: Ist das, was als Sensation in <strong>der</strong> Welt <strong>der</strong><br />
Einschaltquoten von heute daher kommt, werbewirksam für <strong>den</strong> öffentlichen Bauherren<br />
ebenso wie für das Immobilieninvestment, wirklich eine Sensation, eine Idee, die Neuland<br />
erobert? Welche „Avantgarde“ braucht eine Stiftung <strong>Baukultur</strong>?<br />
„Will Avantgarde mehr sein als Positionierungsmaterial für auf <strong>den</strong> Markt drängende<br />
Künstler, so muss an die ursprüngliche Idee einer avantgardistischen Architektur als<br />
raumgefassten Zeitwillen erinnert wer<strong>den</strong>. Zukunftsorientierte Zeitdiagnose war die Basis<br />
<strong>der</strong> historischen Avantgar<strong>den</strong>, aber auch die Quelle vieler Irrtümer.<br />
Der aus dem Militärischen entliehene, daher nie unschuldige Begriff <strong>der</strong> Avantgarde sollte<br />
die Position von Künstlern in <strong>der</strong> Dynamik <strong>der</strong> Industriegesellschaft bezeichnen, ihre Rolle<br />
als innovationsbesessene frei schwebende Elite von Symbolproduzenten…<br />
Spätestens mit dem Siegeszug <strong>der</strong> Postmo<strong>der</strong>ne, <strong>der</strong>en Rehabilitierung <strong>der</strong> Geschichte <strong>und</strong><br />
<strong>der</strong> Wie<strong>der</strong>entdeckung <strong>der</strong> „Alten Stadt“ gilt <strong>der</strong> forcierte Mo<strong>der</strong>nismus <strong>der</strong> Avantgar<strong>den</strong> als<br />
obsolet. Eigentlich aber waren die Avantgar<strong>den</strong> in ihrer pathetischen Form bereits im Zweiten<br />
Weltkrieg untergegangen. Alle Ideen von Dynamik, Tempo, Fortschritt, Emanzipation, die<br />
Verbindung von Revolution <strong>und</strong> fordistischer Rationalisierung waren geschmolzen.<br />
… In <strong>der</strong> kulturellen Kristallisation <strong>der</strong> Nachkriegszeit beerbte <strong>der</strong> „International Style“ das<br />
„Neue Bauen“ <strong>und</strong> was in <strong>der</strong> „heroischen Mo<strong>der</strong>ne“ noch als formaler Ausdruck einer neuen<br />
Zeit, eines neuen sozialen Lebens galt, wurde nun zu einer bloßen Lifestyle-Kodierung:<br />
Mo<strong>der</strong>ne als Stil einer neuen marktvermittelten Mittelschichtskultur.“ (Werner Sewing)<br />
Im Ablauf <strong>der</strong> jüngeren Geschichte ist die Avantgarde also diskreditiert. Was aber, wenn das<br />
Suchen nach dem Neuen, nach dem noch nicht da gewesenen gleichwohl zu <strong>den</strong> Konstanten<br />
<strong>der</strong> menschlichen Natur gehört <strong>und</strong> zum Antrieb für Gestaltung im sozialen wie im formalen<br />
Bereich?<br />
b 9
„… <strong>Baukultur</strong> muss dem Neuen ausgesetzt sein, um ihre Vitalität zu sichern. Das Neue ist<br />
<strong>über</strong>lebensfähig, wenn es sich als gesellschaftsfähig bedeutend erweist. Bedeutung ist<br />
jedoch nur bedingt kalkulierbar, sie entwickelt sich eher evolutionär durch zahlreiche<br />
Versuche. Wir brauchen daher Architekten mit dem Mut für Experimente, mit dem Willen<br />
zu polarisieren, mit dem unbequemen Anliegen, Gewohnheiten gr<strong>und</strong>legend in Frage zu<br />
stellen. Das Experiment muss sich aber an <strong>den</strong> Bedürfnissen <strong>der</strong> Gesellschaft orientieren<br />
<strong>und</strong> nicht Architektur als <strong>über</strong>ästhetisierten Diskurs einer arrivierten Schicht begreifen…<br />
Architektur muss sich neu etablieren als das „Bildhaft machen“ von Ideen zur Behausung,<br />
als gestalthafte Artikulation technischer Möglichkeiten, individueller o<strong>der</strong> gesellschaftlicher<br />
Funktionen, religiöser Bekenntnisse <strong>und</strong> politischer Institutionen.“ (Markus Allmann)<br />
Im Rahmen <strong>der</strong> Initiative Architektur <strong>und</strong> <strong>Baukultur</strong> taucht gerade von B<strong>und</strong>esseite auch<br />
immer wie<strong>der</strong> die Absicht auf, „deutsche Architektur exportfähiger“ zu machen, sie im<br />
Ausland als eine „beson<strong>der</strong>e Marke“ begehrt <strong>und</strong> nachgefragt zu machen. Was ist <strong>der</strong><br />
Gehalt, <strong>der</strong> da exportiert wer<strong>den</strong> soll? Ist es Gehalt o<strong>der</strong> nur auffallende Form?<br />
Problemlösung wäre ein Markenartikel, <strong>der</strong> alsbald sehr begehrt sein könnte.<br />
„…. Bleibt zu konstatieren, dass es <strong>der</strong> Architekturszene in Deutschland an Dynamik,<br />
Überzeugungskraft <strong>und</strong> Attraktivität im Vergleich zum europäischen Ausland fehlt, sie ist<br />
folglich international auch weitgehend bedeutungslos – ganz im Gegensatz übrigens zu<br />
einigen deutschen Ingenieurbüros, die zunehmend international wirksamer wer<strong>den</strong>. Haben<br />
wir also attraktive technische Umsetzung, aber uninteressante bauliche Interpretationen<br />
von Lebensentwürfen anzubieten?<br />
… Gibt es <strong>über</strong>haupt noch Möglichkeiten für eine Innovation, die jenseits <strong>der</strong> Form<br />
radikale Programme entwickelt?<br />
… Es lässt sich in <strong>der</strong> deutschen Architektur eine deutliche Unfähigkeit konstatieren, zur<br />
eigenen I<strong>den</strong>tität zu stehen, gerade dieses „Nicht-Bekennen“ zur eigenen I<strong>den</strong>tität erzeugt<br />
eine <strong>über</strong>triebene Unsicherheit betreffend <strong>den</strong> Stellenwert in <strong>der</strong> internationalen<br />
Architekturdebatte.“<br />
(Markus Allmann)<br />
Offenbar spitzt sich in <strong>der</strong> Auseinan<strong>der</strong>setzung um <strong>den</strong> internationalen Stellenwert<br />
deutscher Architektur die Frage nach dem wirklich Neuen im selbstbewussten Konflikt mit<br />
dem scheinbar Neuen zu <strong>und</strong> for<strong>der</strong>t nachprüfbare Unterscheidungskriterien heraus. Wer<br />
formuliert diese in welchem Kontext <strong>und</strong> mit welcher sozialen Kompetenz? Denn die Kritik an<br />
dem heute populären <strong>und</strong> medienwirksamen, am Star, gar am Starkult wendet sich allzu<br />
leicht gegen <strong>den</strong> Kritiker <strong>und</strong> nicht gegen das Kritisierte. Die Fähigkeit zur eigenen I<strong>den</strong>tität<br />
zu stehen <strong>und</strong> diese begreifbar zu machen, ist wohl die erste Voraussetzung für<br />
internationale Ausstrahlung.<br />
b 10
„In jedem Fall wird durch <strong>den</strong> Import bedauerlicherweise das Epigonentum geför<strong>der</strong>t <strong>und</strong><br />
angesichts all <strong>der</strong> schwanken<strong>den</strong> Pirouetten <strong>und</strong> halb gelungenen Salti <strong>der</strong> Nachahmer<br />
hält das Publikum diese Architekten für eine Ansammlung von Pausenclowns <strong>und</strong> wartet<br />
auf die eigentliche Vorstellung. Hinter dem Vorhang <strong>der</strong> schon pränatal publizierten<br />
Stararchitekturen geschieht aber weiterhin Altbekanntes, lediglich neu gewandet.“<br />
(Markus Allmann)<br />
Es ist wohl kein „feiges Ausweichen“, wenn die Suche nach dem wirklich Neuen nicht in<br />
<strong>der</strong> „Weltliga <strong>der</strong> Kultur- <strong>und</strong> Konsumtempel“ <strong>und</strong> <strong>den</strong> zugehörigen Ranglisten <strong>der</strong><br />
Architekten gesucht wird, son<strong>der</strong>n abseits in <strong>den</strong> weiten Bereichen <strong>der</strong> Unkultur, die<br />
gleichzeitig aber das Leben <strong>der</strong> Menschen aufs Heftigste prägen. Es sind dies vor allem<br />
die technischen Infrastrukturen mit ihren Netzwerken <strong>und</strong> die durch sie zerschnittenen<br />
o<strong>der</strong> eingeflossenen Landschaften, die ganz wesentlich <strong>über</strong> die ästhetische <strong>und</strong> soziale<br />
Funktion <strong>der</strong> gebauten <strong>und</strong> <strong>der</strong> naturnahen öffentlichen Räume bestimmen.<br />
„Denn innovative Bewegungen sind stets auf <strong>der</strong> Suche nach neuen Formen, neuen<br />
Technologien <strong>und</strong> neuen Nutzungsmustern. Sie tun dies, weil sie in <strong>den</strong> vorherrschen<strong>den</strong><br />
Einstellungen ihrer Zeit Defizite wahrgenommen haben. Sie betreten neue Territorien. Auch<br />
heute gibt es Möglichkeiten <strong>und</strong> die Notwendigkeit, die <strong>Baukultur</strong> in neue Bereiche<br />
auszudehnen. Ich <strong>den</strong>ke an Infrastrukturen, wenn ich von <strong>Baukultur</strong> o<strong>der</strong> fehlen<strong>der</strong><br />
<strong>Baukultur</strong> spreche.<br />
... Die Gegen<strong>über</strong>stellung <strong>der</strong> irritieren<strong>den</strong> Gestalt- <strong>und</strong> Kulturlosigkeit dieser nützlichen<br />
Infrastrukturen einerseits <strong>und</strong> <strong>der</strong> <strong>baukultur</strong>ell bedeutsamen Bauvorhaben an<strong>der</strong>erseits<br />
wirft ein bezeichnendes Licht auf die Wahrnehmung unserer Umwelt <strong>und</strong> auf die<br />
resultieren<strong>den</strong> Gestaltungsprozesse.<br />
… Die Missstände, die ich konstatiere, bieten Möglichkeiten für eine innovative <strong>und</strong> radikal<br />
an<strong>der</strong>e Auffassung von Gestaltung. In diesem Umfeld (gemeint sind die Infrastrukturen)<br />
besteht nicht nur die Notwendigkeit, son<strong>der</strong>n es sind auch die Mittel vorhan<strong>den</strong>, um<br />
an<strong>der</strong>s zu agieren, an<strong>der</strong>s zu entschei<strong>den</strong> <strong>und</strong> letztendlich an<strong>der</strong>e Lebens- <strong>und</strong><br />
Gestaltungsformen zu entwickeln <strong>und</strong> diese in entsprechen<strong>den</strong> Bauwerken abzubil<strong>den</strong> …<br />
Abschließend: Wenn nur ein Bruchteil <strong>der</strong> enormen Investitionsmassen „knetbar“ wäre,<br />
das heißt in Gestaltungsprozesse im weitesten Sinne integriert wer<strong>den</strong> könnte, dann wäre<br />
das ein Feld für entschei<strong>den</strong>de innovative Impulse: für die Qualität <strong>und</strong> die <strong>Baukultur</strong><br />
unserer dicht besiedelten <strong>und</strong> dicht vernetzten Regionen.“ (Finn Geipel)<br />
Mit dieser inhaltlichen <strong>und</strong> formalen Auseinan<strong>der</strong>setzung <strong>über</strong> <strong>den</strong> relativierten Begriff <strong>der</strong><br />
Avantgarde <strong>und</strong> dem daraus abgeleiteten Bekenntnis zur Notwendigkeit des Neuen wird<br />
<strong>der</strong> Initiative <strong>Baukultur</strong> <strong>und</strong> <strong>der</strong> späteren B<strong>und</strong>es<strong>stiftung</strong> ein Weg gewiesen, <strong>der</strong><br />
selbstbewusst wegführt von <strong>der</strong> „Mäkelei“ o<strong>der</strong> <strong>der</strong> „hochstilisierten Bewun<strong>der</strong>ung“<br />
dessen, was heute landläufig als führend in <strong>der</strong> Architektur gilt. Auch dafür <strong>und</strong> gerade<br />
b 11
dafür ist allerdings <strong>der</strong> Mut zum Experiment <strong>und</strong> das zugehörige Beurteilungsvermögen<br />
eine unabdingbare Voraussetzung.<br />
„Es ist allerdings ebenso ein deutsches Phänomen, dass in zahlreichen Gremien <strong>und</strong><br />
konsensorientierten Jurys so lange abgewogen <strong>und</strong> relativiert wird, bis jegliche Bedeutung<br />
<strong>und</strong> Virtuosität verloren geht. Eine bildnerisch-künstlerische (auch eine technischkonstruktive)<br />
Vision bleibt verdächtig, es sei <strong>den</strong>n, sie wird als etablierte Form importiert …<br />
Eine Stiftung <strong>Baukultur</strong> kann nicht zur Aufgabe haben, Auslöser für Experimente <strong>und</strong><br />
prototypisches Bauen zu sein, aber sie kann entstan<strong>den</strong>e Qualitäten zu Tage för<strong>der</strong>n <strong>und</strong><br />
ihnen Präsenz verleihen …<br />
Sie muss das kommunikative Zentrum <strong>der</strong> Debatte <strong>über</strong> das Neue sein. Die Instrumente<br />
dafür gilt es gemeinsam zu entwickeln.“<br />
(Markus Allmann)<br />
Wir brauchen also ein kommunikatives Zentrum für die Debatten <strong>über</strong> das Neue, in dem<br />
auch die dafür notwendigen Instrumente zu entwickeln sind. Wir brauchen <strong>den</strong><br />
entschlossenen Schwenk auf einen riesigen Bereich <strong>der</strong> baulichen Unkultur, die<br />
ausgedehnten Bereiche <strong>der</strong> technischen Infrastrukturen <strong>und</strong> <strong>der</strong> mit ihnen verbun<strong>den</strong>en<br />
Landschaften. Und hier wird sich beweisen, ob die in <strong>der</strong> Initiative <strong>Baukultur</strong> vielfach<br />
gefor<strong>der</strong>te „Integration“, sprich die gedeihliche Zusammenarbeit zwischen Planern,<br />
Architekten, Ingenieuren <strong>und</strong> Landschaftsarchitekten wirklich gelingt. Und eine solche<br />
Zusammenarbeit gelingt nur, wenn die fragwürdige Arbeitsteilung mit einem<br />
Gestaltungsmonopol für Architekten <strong>und</strong> einem Umsetzungsauftrag an die Ingenieure<br />
ebenso aufgelöst wird wie die Zuständigkeitsbereiche <strong>der</strong> jeweiligen Disziplinen, die<br />
Architekten für <strong>den</strong> Hochbau, <strong>der</strong> Ingenieur für <strong>den</strong> Tiefbau, <strong>der</strong> Landschaftsarchitekt für<br />
die Landschaft.<br />
b 12
4<br />
Die Kultur <strong>der</strong> Ingenieurbauwerke<br />
Die bisherige Gedankenlinie führt von Schwarz <strong>über</strong> Steiner <strong>und</strong> Kil, die die bequeme <strong>und</strong><br />
gut betreute „Mitte“ in <strong>der</strong> Architektur dem „entfalteten System“ belassen wollen … zu<br />
Sewing, Allmann <strong>und</strong> Geipel, die Avantgarde nicht in <strong>den</strong> M<strong>und</strong> nehmen wollen, aber das<br />
wirklich Neue mit Mut zum Experiment for<strong>der</strong>n. Sie suchen die Avantgarde in <strong>den</strong><br />
Regionen <strong>der</strong> baulichen Unkultur. Dort dominieren die Bauwerke <strong>der</strong> Ingenieure.<br />
„Während viele die Zugehörigkeit <strong>der</strong> Architektur zur Kunst für das eigentliche Ziel halten,<br />
um sie endgültig aus <strong>der</strong> Umklammerung durch profane Zwecke <strong>und</strong> Notwendigkeiten zu<br />
befreien, ist sie für mich vor allem daran orientiert, das Leben angenehmer, sicherer,<br />
gesün<strong>der</strong>, leichter <strong>und</strong> unbeschwerter zu machen … Die großen Fragen <strong>der</strong> Zivilisation<br />
wer<strong>den</strong> zwischen <strong>den</strong> Häusern <strong>und</strong> <strong>der</strong> wirklich sich selbst <strong>über</strong>lassenen Natur<br />
entschie<strong>den</strong>. Und in diesem gigantischen Zwischenraum befin<strong>den</strong> sich Gassen, Straßen,<br />
Plätze, Autobahnen, Schnellbahnstraßen, Kraftwerke, Strommasten, Wäl<strong>der</strong>,<br />
Windkraftanlagen, Braunkohleabbaugebiete, Gärten, Parks, Fel<strong>der</strong>, Weinberge, Wege,<br />
Sportanlagen, Bahnhöfe, Flughäfen, Hafenanlagen, Industrieanlagen, Staudämme, Deiche,<br />
Alleen, Friedhöfe, Mülldeponien … Wenn wir uns diesem Thema nähern, dessen<br />
Dimensionen die des Hauses bei weitem <strong>über</strong>steigen, müssen wir nicht nur unser<br />
Verhältnis zu Ingenieuren, Energieberatern, Landschaftsplanern, Ökologen, Biologen,<br />
Agrarexperten, Ernährungswissenschaftlern, Unternehmern, Bauern, Verkehrsplanern,<br />
Eisenbahningenieuren, Bewässerungsingenieuren <strong>und</strong> vielen an<strong>der</strong>en <strong>über</strong><strong>den</strong>ken,<br />
son<strong>der</strong>n insbeson<strong>der</strong>e das Verhältnis des Einzelnen zur Gemeinschaft, des Hauses zur<br />
Straße, <strong>der</strong> Stadt zum Land, beleuchten.“ (Christoph Ingenhoven)<br />
„Das Gros unserer Umwelt wird nicht von Architekten gestaltet <strong>und</strong> die Architekten<br />
kümmern sich auch nicht darum. Nein: Erhebliche Anteile dieser Umwelt wer<strong>den</strong> von<br />
an<strong>der</strong>en gestaltet, zu Teilen auch von Ingenieuren, <strong>und</strong> damit von Menschen, die sich, wie<br />
viele an<strong>der</strong>e, häufig ihrer Verantwortung als Gestaltschaffende im öffentlich<br />
wahrnehmbaren Raum gar nicht bewusst sind …<br />
Sie sind es auch deshalb nicht, weil sie in einer viel zu sehr auf das Analysieren des<br />
Gegebenen <strong>und</strong> nicht auf das Synthetisieren des Neuen ausgebildet sind.“ (Werner Sobek)<br />
In diesem un<strong>über</strong>sehbar weiten Feld <strong>der</strong> nicht Nicht-Architektur sind an<strong>der</strong>e Normen als<br />
die <strong>der</strong> guten Gestalt vorrangig: die Sicherheit, die Funktionsfähigkeit, die<br />
Kostenrationalisierung. Denn es darf bei diesen Bauwerken kein Versagen geben. Sie<br />
haben eine klar definierte Funktion mit kalkulierbarer Sicherheit zu erfüllen <strong>und</strong> deshalb hat<br />
sich dafür <strong>der</strong> Begriff des „Zweckbaus“ eingebürgert.<br />
b 13
„Wenn Ingenieure versagen, gibt’s Tausende Tote – bei einem Dammbruch o<strong>der</strong><br />
Erdbeben – zumindest ein Riesentheater, wenn am Sonntagnachmittag ein Brückenlager<br />
versagt <strong>und</strong> sich <strong>der</strong> Verkehr staut … Anbetrachts dieses hohen Risikos, dieser großen<br />
Verantwortung, dieses Psychodrucks einer gna<strong>den</strong>losen Gesellschaft kommt <strong>den</strong><br />
Ingenieuren die Kultur natürlich zunächst gar nicht in <strong>den</strong> Sinn. Vielmehr versuchen sie,<br />
sich im Dickicht von Vorschriften zu schützen. Denn nur wer die anerkannten Regeln <strong>der</strong><br />
Technik befriedigt, ist vor Scha<strong>den</strong>sersatzansprüchen einigermaßen sicher. Man<br />
wie<strong>der</strong>holt dann notwendigerweise das Bewährte, <strong>den</strong>n bei einer neuartigen, so noch nie<br />
da gewesenen Brücke kann immer etwas schief gehen <strong>und</strong> dann sind die Zeitungen voll<br />
davon. Und wenn da noch <strong>der</strong> Kostendruck mit dem Rechnungshof im Hintergr<strong>und</strong> dazu<br />
kommt … bleibt die Kultur auf <strong>der</strong> Strecke.“ (Jörg Schlaich)<br />
Wenn wir also im Rahmen einer Initiative <strong>Baukultur</strong> anstreben, gerade die Kultur <strong>der</strong><br />
Ingenieurbauten wünschbar zu machen, dann wird es wohl notwendig, das<br />
Risikobewusstsein in <strong>der</strong> Gesellschaft zu än<strong>der</strong>n <strong>und</strong> die zunehmende Ten<strong>den</strong>z zur<br />
„Übersicherung“ <strong>und</strong> „Freizeichnung von Verantwortlichkeit“ in Frage zu stellen.<br />
Gleichzeitig müssen wir erreichen, dass die Gesellschaft bereit ist, <strong>den</strong> Preis für die<br />
„Kultur in <strong>den</strong> Ingenieurbauten“ mit zu bezahlen <strong>und</strong> zwar nicht im Verständnis von<br />
„Zusatzkosten“, son<strong>der</strong>n von notwendigen Kosten, die nicht als „Son<strong>der</strong>belastung“ aus<br />
<strong>den</strong> Gesamtkosten herausgerechnet wer<strong>den</strong> können.<br />
Wir, <strong>und</strong> in diesem Fall sind in erster Linie wohl die Architekten im Netzwerk <strong>der</strong> <strong>Baukultur</strong><br />
angesprochen, müssten dann allerdings auch das Verständnis <strong>und</strong> die Arbeitsteilung<br />
zwischen Architekten <strong>und</strong> Ingenieuren gründlich revidieren: Zum Beispiel bei<br />
Wettbewerben, bei <strong>den</strong>en <strong>der</strong> Tragwerksplaner zwar beteiligt wird, aber am Ende keinen<br />
Anspruch auf einen Bauauftrag hat.<br />
„Die Ingenieure wer<strong>den</strong> dafür zusätzlich mit einem schlechten Image bestraft. In <strong>der</strong><br />
Zusammenarbeit mit <strong>den</strong> Architekten kennt man sie als papierene Tragwerksplaner – was schon<br />
besser klingt als Statiker – <strong>und</strong> die schauen, dass das, was die Architekten entworfen haben,<br />
stehen bleibt. Wenn sie dann doch einmal einen Beitrag zum Wettbewerbsgewinn geleistet<br />
haben, müssen sie sich in erniedrigen<strong>der</strong> Weise einem VOF-Verfahren unterwerfen, mit geringen<br />
Chancen, das bauen zu dürfen, was sie entworfen haben. So ist <strong>der</strong> Bauingenieur im Bild <strong>der</strong><br />
Öffentlichkeit mausgrau <strong>und</strong> technokratisch, die mit dem Helm <strong>und</strong> <strong>den</strong> Gummistiefeln …“<br />
(Jörg Schlaich)<br />
b 14
Daraus ergibt sich eine sehr weitreichende <strong>und</strong> sicher kontrovers diskutierte For<strong>der</strong>ung,<br />
nämlich die, dass je<strong>der</strong> Ingenieur sich auch als Entwerfer verstehen muss. Erst so wird <strong>der</strong><br />
Ingenieur auch zu einem brauchbaren Partner für <strong>den</strong> Architekten, für die typischen<br />
Architekturbauwerke. So wird er seinerseits selbstkritisch auch <strong>den</strong> Rat von Architekten<br />
<strong>und</strong> Designern suchen.<br />
„Klar ist auch, die Kultur <strong>der</strong> Ingenieurbauten kann nur von <strong>den</strong> Ingenieuren selbst<br />
kommen, weil sich die Form, sagen wir einer Brücke, aus dem Tragverhalten, dem<br />
Kraftfluss, <strong>der</strong> Fertigungstechnik <strong>und</strong> aus dem Ort entwickelt <strong>und</strong> weil so Form <strong>und</strong><br />
Funktion zusammengehören wie <strong>der</strong> Takt <strong>und</strong> die Musik, <strong>der</strong> Tanz <strong>und</strong> <strong>der</strong> Rhythmus …<br />
Wir Ingenieure müssen uns <strong>der</strong> Einmaligkeit unseres Berufes wie<strong>der</strong> o<strong>der</strong> mehr bewusst<br />
wer<strong>den</strong>. Die gestalterische Verantwortung für unsere Ingenieurbauwerke (selbst)<br />
<strong>über</strong>nehmen, gern beraten durch <strong>den</strong> Architekten, Produktdesigner <strong>und</strong> vor allem<br />
Landschaftsarchitekten …<br />
Der Bauingenieur im konstruktiven Ingenieurbau ist einer <strong>der</strong> letzten Generalisten, hier kann<br />
ein einzelner noch etwas bewirken. Dieser Beruf vereint in einmaliger Weise High-Tech <strong>und</strong><br />
Musisch-Kreatives.“ (Jörg Schlaich)<br />
Sobek leitet daraus eine Reform <strong>der</strong> Ausbildung ab.<br />
„Die gesamte Ingenieurausbildung ist immer noch vom analytischen Mythos paralysiert,<br />
<strong>der</strong> in seiner konsequenten Ausprägung zwar alles auseinan<strong>der</strong> nimmt <strong>und</strong> das<br />
Funktionieren <strong>der</strong> Dinge perfekt erklärt, es anschließend aber nicht auf neuartige Weise,<br />
son<strong>der</strong>n nach <strong>den</strong> tradierten Mustern wie<strong>der</strong> zusammenbaut. Hieraus entsteht aber gerade<br />
keine Befähigung zur Gestaltung <strong>und</strong> auch keine Innovation.<br />
Ich bin <strong>der</strong> Meinung, dass <strong>der</strong> bestehende Zustand nicht akzeptabel ist <strong>und</strong> dass es eine<br />
<strong>der</strong> noblen Aufgaben dieses <strong>Konvent</strong>s sein wird, darauf hinzuwirken, dass Entwerfen <strong>und</strong><br />
Gestalten <strong>über</strong>all in <strong>den</strong> Ingenieurfakultäten gelehrt wird. Und zwar <strong>über</strong> das Niveau eines<br />
Orchideenfaches hinaus.“ (Werner Sobek)<br />
b 15
Damit ist für die Initiative <strong>Baukultur</strong> <strong>und</strong> die B<strong>und</strong>es<strong>stiftung</strong> <strong>Baukultur</strong> ein bislang nicht<br />
kultiviertes Aufgabenfeld vorgezeichnet mit einem doppelten Risiko:<br />
<strong>1.</strong> Wer die Programmierung <strong>und</strong> die Bewirtschaftung von Infrastruktursystemen mit<br />
<strong>den</strong> dahinter stehen<strong>den</strong> staatlichen <strong>und</strong> kommunalen Organisationen näher kennt, wird<br />
davor warnen, dass in diesem Bereich eine Initiative <strong>Baukultur</strong> keinen Erfolg haben kann.<br />
Die „betonierten Sachzwänge“ im Verb<strong>und</strong> mit <strong>den</strong> „betonierten Köpfen“ wer<strong>den</strong> sich<br />
nicht bewegen. Finger weg also!<br />
2. Es könnte zu einer fortschreiten<strong>den</strong> Spaltung zwischen <strong>der</strong> „edlen Architektur“, die<br />
gegenwärtig ohnehin fast allein die öffentliche Aufmerksamkeit auf sich zieht, <strong>und</strong> <strong>den</strong><br />
„mausgrauen“ Gestaltungen des großen Restes kommen. Wer ist <strong>der</strong> Verlierer in <strong>der</strong><br />
öffentlichen Wertschätzung?<br />
Aber wie sagten vorher Sewing, Allmann <strong>und</strong> Geipel, dass Neues zu suchen sei <strong>und</strong><br />
dieses mit Mut zum Experiment. Dazu wird dann auch eine gewisse „Scharfzüngigkeit“<br />
gehören. Man höre Ingenhoven!<br />
„Man hört aus Richtung <strong>der</strong> Berliner Bauakademie auch jetzt schon wie<strong>der</strong> von<br />
Architekten, die Interdisziplinarität für entbehrlich halten <strong>und</strong> Ingenieure für nützlich, aber<br />
nachrangig. Viel Spaß, Ihr Messerhel<strong>den</strong>, bei <strong>der</strong> OP ohne Anästhesist <strong>und</strong> Sauerstoffzelt,<br />
viel Spaß, Ihr kleinen Schumis ohne Motorengetriebe aus dem Windkanal. Den einen o<strong>der</strong><br />
an<strong>der</strong>en Schinkel-Band kann man auch mal <strong>über</strong>springen. Nehmt die Nasen mal aus dem<br />
Sei<strong>den</strong>tapetenkatalog, wischt Euch <strong>den</strong> Carrara-Marmorstaub von <strong>den</strong> handgenähten<br />
Maßschuhen <strong>und</strong> <strong>den</strong> zweiteiligen Tweedjacketts, auch Konstrukteure wie Paxton, Eiffel,<br />
Otto, Fuller o<strong>der</strong> Sobek <strong>und</strong> Schlaich sind ein Gespräch von des einen o<strong>der</strong> an<strong>der</strong>en<br />
Tages Länge wert.“ (Christoph Ingenhoven)<br />
b 16
5<br />
Landschaft ist alles<br />
Dass die klare physionomische <strong>und</strong> rechtliche Trennung von Land <strong>und</strong> Stadt, von freier<br />
Landschaft <strong>und</strong> mit Mauer abgegrenzter Stadt längst aufgelöst ist, gehört zu <strong>den</strong><br />
Binsenweisheiten. Noch immer aber tragen wir das Leitbild <strong>der</strong> „europäischen Stadt“ in<br />
unseren Köpfen, in unseren Re<strong>den</strong> <strong>und</strong> in unseren Schutzkategorien für Landschaft <strong>und</strong><br />
Stadt mit uns herum. Diese historische Idealisierung ist untauglich für die Annäherung an<br />
die Realitäten.<br />
„Unsere Landschaften sind gekennzeichnet durch die totale Mobilisierung <strong>der</strong> Menschen<br />
<strong>und</strong> <strong>der</strong> Materialien, charakteristische Orte verfallen in totaler Ort- <strong>und</strong> Charakterlosigkeit.<br />
Der kulturpessimistische Blick auf die Landschaft sucht geradezu nach Non-Places zum<br />
Beleg <strong>der</strong> These, dass die Ortlosigkeit zunehme <strong>und</strong> <strong>der</strong> Wi<strong>der</strong>stand gegen die diffuse<br />
Zerglie<strong>der</strong>ung von Landschaft <strong>und</strong> Stadt zwecklos sei. In Wahrheit führt die abnehmende<br />
Sensibilität in <strong>der</strong> Wahrnehmung des Menschen dazu, dass er das Wesen eines Ortes nur<br />
noch dann erkennt, wenn dieses maximale Plakativität aufweist.“<br />
(Jörg Dettmar/Udo Weilacher)<br />
Mit welcher Theorie <strong>und</strong> mit welchen Gestaltungsprinzipien wollen wir diese Landschaft<br />
<strong>der</strong> Industriegesellschaft mit <strong>baukultur</strong>ellen Ansprüchen konfrontieren? Hat sich das<br />
konservatorische Ideal des Natur- <strong>und</strong> Kulturlandschaftsschutzes nur deshalb <strong>über</strong>lebt,<br />
weil darin ein historischer Zustand gespeichert ist? Wohl nein, <strong>den</strong>n wie beim baulichen<br />
Denkmalschutz ist auch <strong>der</strong> landschaftliche Denkmalschutz Zeugnis einer vergangenen<br />
Kulturepoche, das es zu bewahren gilt <strong>und</strong> zwar in Zeiten <strong>der</strong> rapi<strong>den</strong> Auflösung <strong>und</strong><br />
Überformung mit größerem Nachdruck. Darin einen Prägestock zu vermuten für künftige<br />
<strong>baukultur</strong>elle Durchdringungen dieses „ortlosen Gewebes“ von bebauten <strong>und</strong> unbebauten<br />
Flächen in einem „chaotischen Gemenge“ eines Siedlungstypus, <strong>der</strong> we<strong>der</strong> Stadt noch<br />
Land ist, also „Zwischenstadt“, sollte wohl zumindest so lange gelten, bis eine bessere<br />
Strategie erarbeitet ist.<br />
„Die immer noch verwendeten Leitbil<strong>der</strong> <strong>der</strong> Landschaftsarchitektur stammen aus <strong>der</strong><br />
Industriegesellschaft des 19. <strong>und</strong> 20. Jahrhun<strong>der</strong>ts <strong>und</strong> reflektieren ein <strong>über</strong>kommenes<br />
Naturverständnis. Im Informationszeitalter des 2<strong>1.</strong> Jahrhun<strong>der</strong>ts müssen die adäquaten<br />
Funktionen <strong>und</strong> die Rolle von Landschaft <strong>und</strong> Freiraum neu definiert wer<strong>den</strong>, aber es<br />
fehlen uns die treffen<strong>den</strong> Definitionen <strong>und</strong> gestalterischen Entsprechungen.<br />
b 17
… Wir haben es mehr <strong>und</strong> mehr mit Zwischenlandschaften zu tun, <strong>der</strong>en einzig dauerhafte<br />
Eigenschaft die Permanenz des Wandels ist. Bevor wir aber <strong>über</strong> die neue, aktive<br />
Gestaltung <strong>der</strong> Zwischenlandschaft nach<strong>den</strong>ken, müssen die eigenen unbewussten<br />
Wahrnehmungsfilter gna<strong>den</strong>los freigelegt wer<strong>den</strong>. Vielleicht wer<strong>den</strong> wir in Zukunft<br />
verstärkt von „multiplen Realitäten“ ausgehen müssen, die sich we<strong>der</strong> eindeutig trennen<br />
noch in gut <strong>und</strong> böse unterteilen lassen.<br />
… Die Transformation <strong>der</strong> alten Bil<strong>der</strong> in <strong>den</strong> Köpfen in neue Bil<strong>der</strong> ist ein langwieriger<br />
Prozess, <strong>der</strong> nicht unbedingt mit einem kompromisslosen Bil<strong>der</strong>strom begonnen wer<strong>den</strong><br />
sollte. Die Kraft <strong>der</strong> alten Bil<strong>der</strong> zu nutzen, um neuen Bil<strong>der</strong>n im Sinne von Kultivierung zum<br />
Erfolg zu verhelfen, könnte sich als Strategie im Rahmen einer <strong>Baukultur</strong> noch immer als<br />
sehr nützlich erweisen.“ (Jörg Dettmar/Udo Weilacher)<br />
Also sollen die alten Bil<strong>der</strong> gestürmt wer<strong>den</strong> o<strong>der</strong> eben doch nicht, weil sie in <strong>der</strong><br />
offenk<strong>und</strong>igen Unsicherheit, Landschaft zu gestalten wo keine mehr ist, gegenwärtig<br />
(noch) doch <strong>der</strong> einzige feste Anhaltspunkt sind.<br />
Da hilft es vielleicht, vor<strong>über</strong>gehend von <strong>der</strong> Gestalt wegzugehen <strong>und</strong> nach dem Inhalt,<br />
nach <strong>der</strong> ökologischen Basis zu fragen. Wie müsste eine Landschaft funktionieren, die<br />
dem Prinzip <strong>der</strong> Naturkreisläufe zumindest eine hilfreiche Unterstützung anbietet, also<br />
Selbstregelung <strong>und</strong> Regeneration von Material- <strong>und</strong> Stoffkreisläufen, o<strong>der</strong> einfacher<br />
ausgedrückt: Regenerierung <strong>der</strong> Bö<strong>den</strong>, Aufbau lokaler Wasserkreisläufe, För<strong>der</strong>ung <strong>der</strong><br />
Biodiversität <strong>und</strong> authentischer Mensch-Natur-Beziehungen?<br />
„Multifunktionale Nutzbarkeit, kombiniert mit einer Re-integration in dezentrale ökologische<br />
Kreisläufe, naturbestimmte Verwil<strong>der</strong>ung mit Möglichkeiten für das Erleben dynamischer<br />
Naturprozesse <strong>und</strong> wild leben<strong>der</strong> Organismen <strong>und</strong> das alles kombiniert zu einer<br />
qualitätvollen Gestaltsprache. Das sind Anfor<strong>der</strong>ungen an die neuen Freiräume.<br />
… Perforationsflächen sind heute schon katalytische Räume, Denk- <strong>und</strong><br />
Experimentierräume, <strong>der</strong>en manchmal nur temporär vorhan<strong>den</strong>es Potential allzu schnell<br />
verspielt wird. Temporäre Experimentierfel<strong>der</strong> wer<strong>den</strong> in Zukunft noch lebensnotwendiger<br />
sein <strong>und</strong> gehen unwie<strong>der</strong>bringlich verloren, wenn man versucht, sie einzufrieren o<strong>der</strong><br />
vorschnell einer neuen Nutzung, einer neuen Gestaltung zuzuführen.“<br />
(Jörg Dettmar/Udo Weilacher)<br />
Mit diesem Gedankengang wird offenbar auf die „kreative Herausfor<strong>der</strong>ung“ <strong>der</strong> Regionen<br />
im Rückbaustadium reflektiert, also auf Siedlungsräume, wo nicht mehr die permanente<br />
Landnahme Landschaft zu Lasten von Bebauung auffrisst, son<strong>der</strong>n „Löcher“ in <strong>der</strong><br />
Gemengelage von landschaftlichen Restinseln <strong>und</strong> ungeordneter Bebauung.<br />
b 18
Da lockt offenbar die Perspektive, dass Landschaft in Umkehrung <strong>der</strong> industriellen<br />
Landnahme wie<strong>der</strong> von <strong>der</strong> Stadt Besitz nimmt, sozusagen nach einem ungeplanten<br />
Prozess „Stadt wie<strong>der</strong> auffrisst“ <strong>und</strong> auf diese Weise die „Perforierung“ zu einer<br />
Vitalisierung <strong>und</strong> auch zu einer an<strong>der</strong>en formalen <strong>baukultur</strong>ellen Durchdringung <strong>der</strong><br />
gebauten Umwelt führt. Da ist viel Hoffnung <strong>und</strong> viel Vages enthalten. Der Suchprozess ist<br />
markiert. Er wird nur dann auch auf die Erde kommen, wenn alsbald eine Fülle von<br />
Experimenten angeregt wird, die sich jenseits <strong>der</strong> immer noch dominieren<strong>den</strong> Parkanlagen,<br />
Gartenschauen <strong>und</strong> herausgeputzten Außenanlagen von Immobilienprojekten bewegt.<br />
b 19
6<br />
Zwischenbilanz zum Standort<br />
Die vom <strong>Konvent</strong> versuchte Standortbestimmung hat die künftigen Aufgaben einer<br />
Initiative Architektur <strong>und</strong> <strong>Baukultur</strong> mit Blick auf eine spätere B<strong>und</strong>es<strong>stiftung</strong> einerseits<br />
vage, an<strong>der</strong>erseits doch gut erkennbar eingegrenzt.<br />
Nichts machen, was an<strong>der</strong>e (durchaus erfolgreich) schon tun. Nach <strong>den</strong> Sternen greifen <strong>und</strong><br />
in <strong>den</strong> Dreck langen, Mitte – danke. Sich um <strong>den</strong> Rückbau kümmern in einer Zeit, in <strong>der</strong><br />
Vorbau <strong>und</strong> Rückbau zu engen Nachbarn gewor<strong>den</strong> sind. Die „Avantgarde“ in <strong>der</strong><br />
theoretischen Interpretation <strong>und</strong> in <strong>der</strong> praktischen Bewältigung <strong>der</strong> Alltagsaufgaben<br />
suchen. Der „eigentliche Alltag“ findet in <strong>den</strong> ausgedehnten suburbanen Räumen statt, wo<br />
vor allen Dingen die Infrastruktur <strong>und</strong> die Landschaft zwischen diesen Geflechten ein weites<br />
Feld <strong>der</strong> baulichen Unkultur darstellen. Das än<strong>der</strong>t das Verhältnis von Architektur <strong>und</strong><br />
Ingenieur. Der Ingenieur muss sich originär auch als Gestalter begreifen, er muss<br />
synthetisieren anstatt nur analysieren <strong>und</strong> jenseits <strong>der</strong> Regeln für Funktionssicherheit <strong>den</strong><br />
Freiraum für die Gestaltung erobern. Die Landschaftsarchitektur muss ihre Zukunft da<br />
suchen, wo Landschaft gar nicht (nicht mehr) ist, je<strong>den</strong>falls, wenn Landschaft im<br />
vorindustriellen Sinne verstan<strong>den</strong> wird.<br />
Ob die Initiative Architektur <strong>und</strong> <strong>Baukultur</strong> <strong>und</strong> die spätere B<strong>und</strong>es<strong>stiftung</strong> gut beraten sind,<br />
sich auf dieses „Minenfeld“ zu begeben, sollte noch einmal <strong>über</strong>dacht wer<strong>den</strong>. Denn <strong>der</strong><br />
<strong>Konvent</strong> hat bislang noch keinen stimmigen theoretischen <strong>und</strong> schon gar keinen operativen<br />
Zugang für eine <strong>baukultur</strong>elle Durchdringung dieses „Ungetüms“ definiert.<br />
Fürs erste kann eine Stiftung <strong>Baukultur</strong> da „keinen Blumentopf“ gewinnen.<br />
Da könnte es schon einfacher sein <strong>und</strong> schneller zur Reputation führen, wenn sich die<br />
Stiftung dahin bewegt, wo <strong>der</strong> architektonische <strong>und</strong> <strong>baukultur</strong>elle Glanz ohnehin schon ist<br />
in <strong>der</strong> Absicht, sich von ihm bescheinen zu lassen o<strong>der</strong> mit mehr o<strong>der</strong> weniger<br />
ausgeprägter eigener Handschrift zu polieren.<br />
Da war im <strong>Konvent</strong> viel von „neu“, „Mut“ die Rede. Wie neu <strong>und</strong> wie mutig soll die Stiftung<br />
wirklich sein?<br />
b 20
7<br />
<strong>Baukultur</strong> <strong>und</strong> Wirtschaft<br />
<strong>Baukultur</strong> mache teuer <strong>und</strong> verzögere, sei das Gegenteil von Effizienz <strong>und</strong> wirtschaftlicher<br />
Rationalität. Also sei es zweckmäßig, <strong>der</strong> <strong>Baukultur</strong> einen wohl definierten <strong>und</strong> nicht weiter<br />
stören<strong>den</strong> Ort in <strong>der</strong> Kunst als „Baukunst“ zuzuweisen <strong>und</strong> dort für ihre Entfaltung <strong>und</strong> ihre<br />
Blüte zu sorgen. Dafür sind die Sponsoren <strong>und</strong> Mäzenaten in <strong>der</strong> Wirtschaft durchaus<br />
geneigt, einen Preis zu bezahlen, <strong>der</strong> ihnen auch Ertrag abwirft. Der „Störenfried“ <strong>Baukultur</strong><br />
wird erfolgreich entsorgt <strong>und</strong> <strong>über</strong> das Mäzenatentum in <strong>der</strong> Baukunst fällt auch Glanz auf die<br />
Kulturbeflissenheit <strong>der</strong> Wirtschaft.<br />
Dann wäre es wohl vernünftig, die <strong>Baukultur</strong> <strong>und</strong> die künftige B<strong>und</strong>es<strong>stiftung</strong> bei <strong>der</strong> bereits<br />
bestehen<strong>den</strong> B<strong>und</strong>es<strong>stiftung</strong> Kultur als Unterabteilung anzusiedeln.<br />
Nicht so die Vorstellungen des für Bauen <strong>und</strong> <strong>Baukultur</strong> zuständigen Ministers Stolpe.<br />
Der B<strong>und</strong>esbauminister macht deutlich, dass für ihn <strong>Baukultur</strong> ein integrales Element für<br />
die Innovation in <strong>der</strong> Bauwirtschaft ist. Wenn die „klassische Nachfrage“ nach<br />
Bauleistungen unter <strong>den</strong> anhalten<strong>den</strong> Rahmenbedingungen einer wenig wachsen<strong>den</strong><br />
Wirtschaft <strong>und</strong> einer rückläufigen Bevölkerung zwangsläufig schrumpft, dann kann eine<br />
neue Nachfrage eben nur durch Neu <strong>und</strong> Besser erzeugt wer<strong>den</strong>. Neu <strong>und</strong> Besser kann<br />
einerseits auf dem technologisch orientierten Pfad <strong>der</strong> Materialforschung, <strong>der</strong> technischen<br />
<strong>und</strong> organisatorischen Neuerungen <strong>und</strong> <strong>der</strong> Bauorganisation gesucht wer<strong>den</strong>.<br />
An<strong>der</strong>erseits im „integrierten Produktdesign“, um einen Begriff aus dem Design<br />
auszuleihen.<br />
<strong>Baukultur</strong> kann Mode machen, weil Mode so hintersinnig <strong>und</strong> sozial verpflichtend<br />
verstan<strong>den</strong> wird, wie dies in vielen Re<strong>den</strong> auf dem <strong>Konvent</strong> zum Ausdruck kam.<br />
„… Der Erfolg <strong>der</strong> Planung <strong>und</strong> <strong>der</strong> Bauwirtschaft ist eine wichtige Frage des Erfolges<br />
unserer Wirtschaft insgesamt.<br />
… Wir wollen, dass dieser einstige Konjunkturmotor wie<strong>der</strong> mehr Schubkraft entwickelt.<br />
Und hier schließt sich <strong>der</strong> Kreis: Die Schubkraft wird es für Architektur- <strong>und</strong><br />
Ingenieurleistungen nur geben <strong>über</strong> hohe Qualität <strong>und</strong> ihre Einbindung in nachhaltige<br />
Stadtentwicklungskonzepte.<br />
b 21
… Dabei geht es um soziale Herausfor<strong>der</strong>ung, um ökonomische Interessen, um<br />
emotionale Befindlichkeiten – <strong>und</strong> natürlich um ästhetische Ansprüche. Ihre Verbindung<br />
kann kulturelle I<strong>den</strong>tität stiften. Und kulturelle I<strong>den</strong>tität heißt nicht Einfalt, son<strong>der</strong>n die<br />
Vielfalt unserer mo<strong>der</strong>nen Gesellschaft. Um hier Antworten zu fin<strong>den</strong>, brauchen wir einen<br />
Wettbewerb <strong>der</strong> besten Konzepte <strong>und</strong> <strong>der</strong> besten Ideen <strong>und</strong> dafür brauchen wir einen<br />
zielgerichteten gesellschaftlichen Dialog <strong>über</strong> <strong>Baukultur</strong>.“ (Manfred Stolpe)<br />
Wenn <strong>der</strong> B<strong>und</strong> mit diesem Anspruch das Seine für die <strong>Baukultur</strong> anfängt, dann ist es die<br />
Aufgabe <strong>der</strong> 16 B<strong>und</strong>eslän<strong>der</strong> – unabhängig, aber im Gedankenverb<strong>und</strong> mit <strong>der</strong><br />
B<strong>und</strong>esebene – das Ihre zu tun.<br />
Das Land Nordrhein-Westfalen ist mit <strong>der</strong> dortigen Initiative <strong>Baukultur</strong> einen beachtlichen<br />
Weg gegangen, bauend auf drei Säulen:<br />
- <strong>der</strong> Neuorganisation des Bau- <strong>und</strong> Liegenschaftswesens in einem Betrieb, <strong>der</strong><br />
gleichrangig neben <strong>der</strong> Wirtschaftlichkeit dem Ziel <strong>der</strong> Nachhaltigkeit <strong>und</strong> <strong>der</strong> <strong>Baukultur</strong><br />
verpflichtet ist<br />
- <strong>der</strong> Thematisierung <strong>der</strong> öffentlichen Räume mit dem Programm „Kunst im<br />
öffentlichen Raum“ <strong>und</strong> <strong>den</strong> „50 Plätzen“<br />
- <strong>der</strong> För<strong>der</strong>ung <strong>der</strong> Ideenvielfalt bei Initiativen, jungen Menschen <strong>und</strong><br />
Gruppierungen an <strong>der</strong> Hochschule im Bereich <strong>der</strong> <strong>Baukultur</strong><br />
Dazu kommt die „Regionale <strong>der</strong> Kunst- <strong>und</strong> Naturräume“, mit <strong>der</strong> alle zwei Jahre ein<br />
regionales Entwicklungsprogramm im Mantel von Kunst <strong>und</strong> Natur präsentiert wird.<br />
Durch die Zusammenfassung <strong>der</strong> Kompetenzen für Stadtentwicklung <strong>und</strong> Denkmalpflege,<br />
für Kultur, Wohnungsbau <strong>und</strong> Freizeit in einem Ministerium hat dieses Land für die<br />
<strong>Baukultur</strong> eine beson<strong>der</strong>s günstige ministerielle Basis geschaffen. Das Land bekennt sich<br />
dazu, <strong>Baukultur</strong> konkret zu machen.<br />
„Wenn <strong>Baukultur</strong> nicht konkret wird, bleibt sie „Baulyrik“. Sie wird letztendlich nur dann<br />
wirksam, wenn sie vor Ort – in <strong>den</strong> Kommunen, auf <strong>den</strong> Baustellen <strong>und</strong> in <strong>den</strong> Plänen – in<br />
letzter Konsequenz <strong>den</strong> Bauherren erreicht. Ich will, was die Verantwortung für <strong>Baukultur</strong><br />
anbetrifft, hier keinen Verschiebebahnhof aufmachen. Denn ich weiß: Auch <strong>und</strong> vor allem<br />
die Län<strong>der</strong> <strong>und</strong> ihre Kommunen stehen bei <strong>der</strong> Umsetzung von <strong>Baukultur</strong> in <strong>der</strong><br />
Verantwortung. Hier liegen die Instrumente, um <strong>Baukultur</strong> konkret wer<strong>den</strong> zu lassen.“<br />
(Michael Vesper)<br />
b 22
Ganz selbstverständlich ist <strong>Baukultur</strong> für dieses Land <strong>und</strong> seinen Minister auch<br />
„Strukturpolitik“ <strong>und</strong> „Standortwerbung“.<br />
In seiner Rede zum <strong>Konvent</strong> aber wird deutlich, dass <strong>Baukultur</strong> eine eigenständige kulturelle<br />
Aufgabe <strong>und</strong> Verpflichtung ist, <strong>der</strong> „Dienst an <strong>der</strong> Wirtschaft“ insoweit nur eine sehr<br />
erwünschte Nebenwirkung darstellt.<br />
„Wir leben in einer Zeit, in <strong>der</strong> funktionale <strong>und</strong> wirtschaftliche Faktoren dominieren. Aber<br />
wenn es so ist, wie Robert Musil sagt, dann führen diese Faktoren fast zwangsläufig zu<br />
Städten ohne Eigenschaften mit Menschen ohne Eigenschaften. Globalisierung,<br />
Vereinheitlichung <strong>und</strong> stereotype Rationalisierung sind we<strong>der</strong> schicksalhaft, noch, was ihre<br />
negativen Wirkungen anbetrifft, unabwendbar. <strong>Baukultur</strong> kann ein Instrument gegen die<br />
Lokalisierung des Lokalen <strong>und</strong> die Lokalisierung des Globalen sein.<br />
… Inhaltlich geht es mir bei <strong>Baukultur</strong> vor allem darum, dass wir die Fragen des Planens<br />
<strong>und</strong> Bauens systematisch mit <strong>den</strong>en von Kunst <strong>und</strong> Kultur verbin<strong>den</strong>. Das ist eine Chance<br />
<strong>und</strong> ein Abenteuer zugleich.<br />
… Das wahre Geheimnis <strong>der</strong> <strong>Baukultur</strong> ist vielleicht die Chance, ein neues Bewusstsein<br />
für Stadt, für Landschaft <strong>und</strong> für ein demokratisches Gemeinwesen zu bekommen.<br />
<strong>Baukultur</strong> ist so etwas wie ein Synonym für städtische I<strong>den</strong>tität <strong>und</strong> selbstbewusste<br />
Eigenart. Es ist daher so etwas wie ein „lebenswichtiger Luxus“.“ (Michael Vesper)<br />
Das ist wohl das Wichtigste im politischen Gr<strong>und</strong>verständnis von <strong>Baukultur</strong>, dass gerade in<br />
einer wirtschaftlichen Situation, wo das Ringen um mehr Beschäftigung <strong>und</strong> <strong>der</strong> Abbau von<br />
Arbeitslosigkeit nicht dazu führen, alles <strong>und</strong> jedes auf diese Ziele auszurichten <strong>und</strong> zu<br />
finalisieren.<br />
<strong>Baukultur</strong> wird nur Kultur haben können, wenn ihr diese Art von Instrumentierung erspart wird.<br />
b 23
8<br />
Gr<strong>und</strong>sätze <strong>und</strong> Gr<strong>und</strong>werte<br />
Wenn <strong>Baukultur</strong> so auf <strong>der</strong> Suche ist, wie es auch auf dem <strong>Konvent</strong> deutlich wurde, <strong>und</strong><br />
wenn es in <strong>der</strong> heutigen Zeit unmöglich ist, <strong>Baukultur</strong> „vom Ende her“, also vom gebauten<br />
Ergebnis o<strong>der</strong> gar von <strong>der</strong> Stilistik her, zu bestimmen <strong>und</strong> somit als Programm vorzugeben,<br />
dann kann es nur darum gehen, <strong>den</strong> Weg zu mehr <strong>Baukultur</strong> zu kultivieren <strong>und</strong> das<br />
Ergebnis offen zu lassen.<br />
Gerade deshalb braucht dieser Weg eine Wegbeschreibung.<br />
<strong>Baukultur</strong> entsteht <strong>über</strong> die Kultur <strong>der</strong> Verfahren, wird angeleitet durch die Vereinbarung<br />
von Gr<strong>und</strong>werten:<br />
- das Bekenntnis zur Nachhaltigkeit<br />
- <strong>den</strong> Respekt vor <strong>der</strong> Geschichte<br />
- die Vertretung <strong>der</strong> öffentlichen Anliegen<br />
- die Kultur <strong>der</strong> Verfahren<br />
Dazu <strong>der</strong> B<strong>und</strong>espräsi<strong>den</strong>t in seiner Gr<strong>und</strong>satzrede:<br />
„Wenn wir <strong>Baukultur</strong> haben möchten, die auf <strong>der</strong> Höhe <strong>der</strong> Zeit ist <strong>und</strong> in die Zukunft<br />
weist, dann wird das nur gelingen, wenn wir im Bewusstsein <strong>der</strong> Verletzlichkeit <strong>und</strong> <strong>der</strong><br />
Erschöpfbarkeit unserer natürlichen Lebensgr<strong>und</strong>lagen handeln <strong>und</strong> auch nur dann, wenn<br />
Mo<strong>der</strong>ne für uns nicht nur ein an<strong>der</strong>es Wort für geschichtsvergessene <strong>und</strong> seelenlose<br />
Technokratie ist.<br />
… Wir dürfen auf dem Feld des Bauens nicht die Fehler wie<strong>der</strong>holen, die wir in <strong>der</strong><br />
Agrarpolitik gerade mühsam zu korrigieren versuchen: Zuerst mit öffentlichen<br />
Subventionen Überkapazitäten schaffen, die anschließend mit öffentlichen Subventionen<br />
abgeschlachtet wer<strong>den</strong>.<br />
… Wir haben in <strong>den</strong> vergangenen Jahrzehnten so viele Wohnungen <strong>und</strong> gewerbliche<br />
Immobilien, so viele Straßen <strong>und</strong> öffentliche Gebäude gebaut wie noch nie in <strong>der</strong><br />
bisherigen Geschichte Deutschlands. Wir sind inzwischen auf manchen Fel<strong>der</strong>n <strong>und</strong> in<br />
manchen Regionen so weit, dass fast alles gebaut ist, was wir brauchen. Da <strong>und</strong> dort gibt<br />
es schon zu viel.“ (Johannes Rau)<br />
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Der Aufbau von Überkapazitäten <strong>und</strong> die aufwändige Beseitigung <strong>der</strong>selben – zumeist<br />
geför<strong>der</strong>t mit öffentlichen Mitteln direkt o<strong>der</strong> indirekt – ist offenbar eine beson<strong>der</strong>s<br />
gefährliche Entwicklung, die sich gegen das Prinzip <strong>der</strong> Nachhaltigkeit richtet gerade in<br />
einer Zeit, wo das Erweiterungswachstum <strong>der</strong> Industriegesellschaft epochal zu Ende<br />
gegangen ist. Das bedeutet nun keinesfalls, dass auch die Aufgaben für Architekten <strong>und</strong><br />
Planer zum Stillstand kommen. Vorbau <strong>und</strong> Rückbau in Kreislaufprozesse einzuordnen <strong>und</strong><br />
dafür die notwendigen Verfahren <strong>und</strong> Qualitäten zu besorgen, ist eine gewaltige <strong>und</strong><br />
herausfor<strong>der</strong>nde Aufgabe. Beschäftigungsprogramme dagegen planen <strong>und</strong> bauen am<br />
Bedarf vorbei, das sollte zumindest nicht zum Programm einer B<strong>und</strong>es<strong>stiftung</strong> <strong>Baukultur</strong><br />
gehören.<br />
„… Viele haben das Gefühl, dass mit neuen Bauten mehr Werte vergehen, als<br />
hinzukommen: weniger Landschaft, weniger Erinnerung, weniger Schönheit, weniger<br />
Geborgenheit <strong>und</strong> Wohlbefin<strong>den</strong> auf Straßen <strong>und</strong> Plätzen <strong>und</strong> in <strong>den</strong> Gebäu<strong>den</strong>. Sie alle<br />
wissen, dass es viel mehr Menschen gibt, die sich für Landschaftsschutz <strong>und</strong> für<br />
Denkmalschutz interessieren <strong>und</strong> engagieren, als für mo<strong>der</strong>ne Architektur <strong>und</strong> <strong>Baukultur</strong>.<br />
Wir sollten dies nicht als einen bedauerlichen Rückfall in die Gemütlichkeit <strong>und</strong> in die<br />
Nostalgie abtun.<br />
… Für Architekten <strong>und</strong> für alle Bauleute sehe ich darin vielmehr eine beson<strong>der</strong>e<br />
Herausfor<strong>der</strong>ung. Ist es nicht so, dass die bedeutendsten Baumeister Herausragendes<br />
geschaffen haben in <strong>der</strong> respektvollen Auseinan<strong>der</strong>setzung zwischen Alt <strong>und</strong> Neu?“<br />
(Johannes Rau)<br />
„Für die Stiftung <strong>Baukultur</strong> jedoch wäre es eine lohnende Aufgabe, <strong>der</strong> Allgemeinheit wie<br />
<strong>der</strong> Bauwirtschaft zu vermitteln, dass sich Denkmalpflege als essentieller Teil <strong>der</strong><br />
<strong>Baukultur</strong> nicht auf längst vergangene Epochen beschränken darf, während zugleich<br />
Gebäude verschwin<strong>den</strong>, weil sie erst 20, 30 o<strong>der</strong> 40 Jahre alt sind.<br />
… Das kann ich nur als Vergehen an unserer <strong>Baukultur</strong> verstehen.<br />
… Dass <strong>der</strong> B<strong>und</strong> in Zukunft, <strong>und</strong> ganz sicher noch viel intensiver als bisher, seine<br />
Verantwortung bei <strong>der</strong> Bewahrung <strong>und</strong> Bereicherung <strong>der</strong> <strong>Baukultur</strong> wahrnehmen wird.“<br />
(Christina Weiss)<br />
Mit diesen Formulierungen ist <strong>der</strong> Respekt vor <strong>der</strong> Geschichte ein zentraler Gr<strong>und</strong>wert für<br />
<strong>Baukultur</strong> gerade dann, wenn mit <strong>Baukultur</strong> Neuland betreten wer<strong>den</strong> soll.<br />
Gerade in <strong>der</strong> Auseinan<strong>der</strong>setzung mit dem Denkmalschutz <strong>und</strong> mit <strong>der</strong> Nachhaltigkeit<br />
wer<strong>den</strong> aber die harten Konflikte zwischen öffentlichen Anliegen <strong>und</strong> privaten Interessen<br />
deutlich, die gegenwärtig allzu oft unter Missachtung <strong>der</strong> öffentlichen Anliegen<br />
ausgetragen <strong>und</strong> entschie<strong>den</strong> wer<strong>den</strong>. Wohlfeil dabei ist, das private Versprechen, neue<br />
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Arbeitsplätze zu schaffen, ohne Umwege zu einem öffentlichen Anliegen zu machen, nicht<br />
dar<strong>über</strong> nach<strong>den</strong>ken, ob dieses Ziel nicht auch mit an<strong>der</strong>en <strong>baukultur</strong>ell verträglicheren<br />
Mitteln zu erreichen ist, vielleicht sogar nachhaltiger, als in <strong>baukultur</strong>eller Negierung.<br />
„Gegenwärtig wird lei<strong>der</strong> zu oft das sachgerechte Abwägen unterschiedlicher Interessen <strong>und</strong><br />
Belange mit dem Hinweis auf Arbeitsplätze <strong>und</strong> wirtschaftliche Notwendigkeit „erschlagen“. Da<br />
heißt es dann: Wenn ein Bauwerk nicht so <strong>und</strong> nicht an dieser Stelle <strong>und</strong> nicht in dieser Zeit<br />
<strong>und</strong> nicht von diesem Bauherrn erstellt wird, dann scha<strong>den</strong> wir <strong>der</strong> örtlichen Wirtschaft <strong>und</strong><br />
stellen uns gegen Arbeitsplätze. Bei <strong>den</strong> meisten Bauvorhaben sticht diese Argumentation nicht.<br />
Eine Büroimmobilie an einem benachbarten Standort, <strong>der</strong> eine höhere Qualität darstellt, hat die<br />
gleichen, vielleicht sogar die besseren Auswirkungen auf <strong>den</strong> örtlichen o<strong>der</strong> regionalen<br />
Arbeitsmarkt.<br />
… Für die <strong>Baukultur</strong> ist es nicht för<strong>der</strong>lich <strong>und</strong> es min<strong>der</strong>t das Vertrauen in demokratische<br />
Prozesse, wenn private Investoren Druck auf die rechtsstaatlichen Verfahren ausüben. Das<br />
wird da beson<strong>der</strong>s problematisch, wenn sich herausstellt, dass private Investoren auf das<br />
Projekt irgendwann verzichten, obwohl die öffentliche Hand sich diesem Druck vorher<br />
gebeugt hatte.<br />
… Die wichtigste öffentliche Aufgabe aber bleibt es, die richtigen planerischen<br />
Rahmenbedingungen für Städtebau <strong>und</strong> <strong>Baukultur</strong> zu setzen. Je weniger die öffentlichen<br />
Hände durch eigene Bautätigkeit auf die Lebensqualität unserer Städte <strong>und</strong> Landschaften<br />
Einfluss nehmen können, umso mehr müssen sie die Möglichkeiten von Bauplanung <strong>und</strong><br />
Baugenehmigungen nutzen.<br />
… Bauen ist nicht nur eine Angelegenheit von Bauherren <strong>und</strong> Architekten. Immer sitzt ein<br />
„öffentliches Interesse“ mit am Tisch. Jenseits <strong>der</strong> Nützlichkeit eines Bauwerkes ist auch seine<br />
Tauglichkeit für das Zusammenleben in einer Stadt, für die Harmonie eines Stadtraumes <strong>und</strong> für<br />
die Wahrnehmung <strong>der</strong> Bürger zu be<strong>den</strong>ken. Das for<strong>der</strong>t gewissermaßen eine „dritte Kraft“ im<br />
Planungs- <strong>und</strong> Bauprozess.“ (Johannes Rau)<br />
Damit ist mit eindeutiger Sprache das öffentliche Interesse bei <strong>der</strong> Abwägung <strong>und</strong> bei <strong>der</strong><br />
Entscheidung <strong>über</strong> Konflikte markiert. Damit verbun<strong>den</strong> ist dann die Frage, wer in welchem<br />
Verfahren die Qualitätskriterien für das öffentliche Anliegen formuliert <strong>und</strong> einbringt.<br />
„… So will ich nochmals betonen, dass <strong>Baukultur</strong> keine PR-Maßnahme ist nach dem<br />
Motto „Baue Gutes <strong>und</strong> rede dar<strong>über</strong>“. Bauen <strong>und</strong> re<strong>den</strong> sind vielmehr integraler<br />
Bestandteil einer <strong>Baukultur</strong>, <strong>der</strong>en Zusammenspiel für das (kulturelle) Gemeinwohl<br />
allerdings oft besser gelingen würde, käme das Re<strong>den</strong> noch viel öfter vor dem Bauen.“<br />
(Christina Weiss)<br />
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Das ist eine deutliche Absage an ein Verständnis von <strong>Baukultur</strong> mit Reklamegehabe <strong>und</strong><br />
eine nachdrückliche Auffor<strong>der</strong>ung, sich lange vor <strong>der</strong> Verfestigung <strong>der</strong><br />
Entscheidungsprozesse öffentlich einzumischen. <strong>Baukultur</strong> ist Streitkultur. Streitkultur<br />
braucht Regeln <strong>und</strong> Verfassung, aber eine Verfassung jenseits <strong>der</strong> etablierten Gremien.<br />
„… <strong>Baukultur</strong> braucht Qualitätsmaßstäbe. Die Kriterien für Qualität lassen sich nicht<br />
normieren <strong>und</strong> nicht reglementieren. Sie müssen im Dialog, im produktiven Streit immer<br />
wie<strong>der</strong> neu erarbeitet <strong>und</strong> im konkreten Fall abgewogen wer<strong>den</strong>.<br />
… <strong>Baukultur</strong> ist angewiesen auf Persönlichkeiten mit Autorität <strong>und</strong> unabhängigen Urteilen,<br />
die sich im öffentlichen Interesse <strong>und</strong> um das mühsame Formulieren von Maßstäben<br />
bemühen. Dazu gehört es auch, deutlich hörbar unsaubere Verfahren <strong>und</strong> schlechte<br />
Ergebnisse da zu kritisieren, wo das notwendig ist.<br />
… Wie schnell <strong>und</strong> wie stark das gelingen kann, das hängt zunächst vom Engagement<br />
jedes Einzelnen von Ihnen ab. Sie haben die Berufung in <strong>den</strong> <strong>Konvent</strong> <strong>der</strong> <strong>Baukultur</strong><br />
angenommen. Das zeigt mir, dass Sie sich Ihrer Verantwortung bewusst <strong>und</strong> dass Sie<br />
bereit sind, <strong>über</strong> berufsständische Interessen hinaus einen Dienst für unsere ganze<br />
Gesellschaft zu leisten.“ (Johannes Rau)<br />
Dieser letzte in <strong>den</strong> Re<strong>den</strong> von Weiss <strong>und</strong> Rau formulierte Gr<strong>und</strong>wert for<strong>der</strong>t <strong>den</strong><br />
„politischen Fachmann“, <strong>der</strong> jenseits seiner fachlichen Kenntnisse <strong>und</strong> seiner beruflichen<br />
Interessen <strong>über</strong> genügend Distanz, Unabhängigkeit <strong>und</strong> Kraft verfügt, glaubhaft<br />
Qualitätsmaßstäbe zu benennen <strong>und</strong> daraufhin sein Urteil zu fällen.<br />
Sich so einzubringen, ist nicht immer opportun.<br />
„<strong>Baukultur</strong> ist gewiss ein Luxus, aber sie ist ein Luxus, auf <strong>den</strong> ein reiches Land nicht<br />
verzichteten sollte“, sagte <strong>der</strong> B<strong>und</strong>espräsi<strong>den</strong>t.<br />
Wer ihn gehört hat, hatte am Ende <strong>der</strong> Rede <strong>den</strong> Eindruck, er hat von Pflichtaufgaben<br />
gesprochen, von <strong>den</strong> F<strong>und</strong>amenten einer Kultur-Nation.<br />
b 27
9<br />
Nachgerufen<br />
Rauterberg hatte die dankbare <strong>und</strong> zugleich <strong>und</strong>ankbare Aufgabe, am Ende eines langen<br />
Tages dem <strong>Konvent</strong> etwas nachzurufen, was an die persönlichen Einstellungen apelliert.<br />
„Doch wird dieser <strong>Konvent</strong> nur dann etwas bewegen, etwas verän<strong>der</strong>n können, wenn er<br />
nicht in Verzweiflung erstarrt, wenn er die Verantwortung nicht an an<strong>der</strong>e abschiebt,<br />
son<strong>der</strong>n sich selbst verantwortlich zeigt. Wenn er nicht nach dem Staat, <strong>der</strong> Schule, <strong>den</strong><br />
Investoren o<strong>der</strong> nach <strong>den</strong> Medien ruft, son<strong>der</strong>n nach <strong>der</strong> eigenen Initiative.<br />
… Der <strong>Konvent</strong> möchte die <strong>baukultur</strong>elle Geistesverfassung dieser Republik umgestalten.<br />
Nur, auf welchem Wege kann das gelingen? Ich fürchte, die Hauptstraßen <strong>der</strong><br />
Verän<strong>der</strong>ung, die Autobahnen <strong>der</strong> Umgestaltung, sie sind versperrt. Nur <strong>über</strong><br />
beschei<strong>den</strong>e, persönliche Pfade wird man etwas bewirken können. Nur indem sich die<br />
Idee einer besser gebauten Welt immer weiter herumspricht, indem alle Begeisterten hier<br />
im Saale hinausgehen, um an<strong>der</strong>e zu begeistern.“ (Hanno Rauterberg)<br />
Hier wird dem <strong>Konvent</strong> also in Gestalt je<strong>der</strong> Person ein persönlicher Auftrag zugerufen.<br />
Dabei ist auch zu klären, wem etwas zugerufen wer<strong>den</strong> soll.<br />
„Wenn sich die Architektur nur auf Äußerlichkeiten verlässt, dann wird sie das Innere des<br />
Menschen nicht erreichen können <strong>und</strong> bald von <strong>der</strong> nächsten Mode <strong>über</strong>holt wer<strong>den</strong>.<br />
Nicht Gestalt, Gehalt muss zum Kern <strong>der</strong> <strong>Baukultur</strong>debatte wer<strong>den</strong>.<br />
… Die Herausfor<strong>der</strong>ungen von heute sind nicht mehr die materielle Obdachlosigkeit,<br />
son<strong>der</strong>n die, verzeihen Sie die pathetische Formulierung, seelische Obdachlosigkeit.<br />
… Wie lässt sich ein Mittel gegen seelische Obdachlosigkeit fin<strong>den</strong>? Simpel gesagt, man<br />
findet Gehalt nur, wenn man ihn sucht. Das bedeutet ganz konkret: sich nicht zu scheuen<br />
vor schlechtem Geschmack, vor <strong>der</strong> Trivialkultur <strong>und</strong> ihren Kitsch-Eskapa<strong>den</strong>. Genau<br />
hinzusehen, was sich <strong>den</strong>n in <strong>den</strong> vermeintlichen Wüsten <strong>der</strong> Hässlichkeit eigentlich<br />
ereignet.<br />
Denn zumindest eine Erkenntnis wartet dort draußen im Unwirtlichen, die Erkenntnis, dass<br />
viele Menschen ihrer gebauten Umwelt keineswegs desinteressiert begegnen, son<strong>der</strong>n ein<br />
großes Verlangen nach Gestaltung haben. Die große Frage ist, wo lässt sich dieses<br />
Gestaltbedürfnis aus <strong>den</strong> Heimwerkerkellern herauslenken, wie kann <strong>der</strong> <strong>Konvent</strong>, wie<br />
können wir die Architektur wie<strong>der</strong> zu einer öffentlichen Angelegenheit wer<strong>den</strong> lassen?<br />
… Und noch eine Erkenntnis lässt sich aus <strong>den</strong> Wüsten <strong>der</strong> Hässlichkeit gewinnen: die<br />
Erkenntnis, dass sich unsere Gesellschaft wie<strong>der</strong> dem Politischen zuwendet. Überall<br />
grün<strong>den</strong> sich Agenda-Gruppen <strong>und</strong> Organisationen wie ATTAC wachsen <strong>und</strong> wachsen<br />
<strong>und</strong> können zu Streitgenossen für <strong>Baukultur</strong> heranwachsen.<br />
… Architekten <strong>und</strong> Planer selbst damit beginnen, sich einzulassen <strong>und</strong> einzumischen,<br />
wenn sie neugierig <strong>und</strong> unvoreingenommen hinausschauen in jene Welt, die ihnen so oft<br />
zuwi<strong>der</strong> ist.<br />
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... Avantgarde – damit kann künftig nicht mehr das kühne Vorauspreschen gemeint sein,<br />
son<strong>der</strong>n das Hineingehen. Avantgarde heißt, sich <strong>der</strong> Alltagswelt zu stellen.<br />
… Nur müssen jetzt Sie damit anfangen, das Winkel<strong>den</strong>ken, in dem ein je<strong>der</strong> befangen ist,<br />
zu <strong>über</strong>win<strong>den</strong>.“<br />
(Hanno Rauterberg)<br />
Da ist sie nun wie<strong>der</strong>, die moralische Auffor<strong>der</strong>ung, bei sich selbst anzufangen <strong>und</strong> auf <strong>den</strong><br />
nächsten zuzugehen, die wir auch aus an<strong>der</strong>en gesellschaftlichen Bereichen <strong>und</strong> <strong>den</strong><br />
zugehörigen Diskussionen <strong>über</strong> <strong>der</strong>en Reformen kennen. Da ist sie wie<strong>der</strong>, diese „hässliche<br />
Alltäglichkeit“, die schon bei <strong>der</strong> Standortbestimmung durch die Architekten <strong>und</strong> Ingenieure<br />
<strong>und</strong> Landschaftsplaner ausgemacht wurde als das zukünftige Betätigungsfeld einer Initiative<br />
<strong>Baukultur</strong> <strong>und</strong> <strong>der</strong> künftigen Stiftung auf <strong>der</strong> Suche nach etwas Neuem, um zu vermei<strong>den</strong>,<br />
etwas zu tun, was an<strong>der</strong>e längst (vielleicht schon besser) machen.<br />
Deshalb noch einmal Rauterberg:<br />
„Die Utopie <strong>der</strong> <strong>Baukultur</strong> ist nicht jener ferne verwunschene Ort, <strong>der</strong> noch gebaut wer<strong>den</strong><br />
müsste, nein, die Utopie <strong>der</strong> <strong>Baukultur</strong> ist absur<strong>der</strong> Weise jener Ort, <strong>den</strong> es schon gibt.“<br />
(Hanno Rauterberg)<br />
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