Zweiter Rundbrief - gerardwagner.de
Zweiter Rundbrief - gerardwagner.de
Zweiter Rundbrief - gerardwagner.de
Erfolgreiche ePaper selbst erstellen
Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.
die Vorstellungen, die wir uns an ihm bil<strong>de</strong>n - muss seine eigene Natur<br />
im Betrachter o<strong>de</strong>r Kunstschaffen<strong>de</strong>n selber aussprechen. Je länger wir<br />
bei <strong>de</strong>m Gegebenen verweilen, <strong>de</strong>sto mehr und intensiver wird es zu<br />
uns sprechen. Dabei können sich uns die inneren Beziehungen <strong>de</strong>r<br />
künstlerischen Elemente erschließen; ein inneres Leben entsteht in uns.<br />
Gelingt es dann, die Ganzheit <strong>de</strong>s Kunstwerkes in seiner objektiven<br />
Wirkung – unabhängig von unserer Sympathie o<strong>de</strong>r Antipathie – zu<br />
erfahren, ist ein Stück Himmel auf die Er<strong>de</strong> gekommen – o<strong>de</strong>r ein Stück<br />
Himmel auf <strong>de</strong>r Er<strong>de</strong> geschaffen wor<strong>de</strong>n.<br />
Nehmen wir noch einmal enger Bezug zu Rudolf Steiner: Er charakterisierte<br />
die ästhetische Verfassung o<strong>de</strong>r Konstitution, in<strong>de</strong>m er ausführte,<br />
wie im künstlerischen Schaffen und Anschauen Sinnesprozesse<br />
sich zu Lebensprozessen umwan<strong>de</strong>ln und die Lebensprozesse zu einer<br />
Art von Seelenprozessen gesteigert wer<strong>de</strong>n. 16 Als Beispiel können Farben<br />
als Wärmeprozesse erlebt wer<strong>de</strong>n. Man spricht von warmen und<br />
kalten Farben. Im künstlerischen Schaffen geht <strong>de</strong>r Maler dann durch<br />
Erwärmungen o<strong>de</strong>r Abkühlungen, die er prozesshaft in Beziehungen<br />
bringt. O<strong>de</strong>r es kann in einem Bild ein Atmen von Anspannung und<br />
Lösung zwischen <strong>de</strong>n Farben entstehen. Der Künstler durchlebt im<br />
Schaffen einen Atmungsprozess.<br />
Wie schon gesagt, erfor<strong>de</strong>rn das künstlerische Schaffen und das ästhetische<br />
Erleben in <strong>de</strong>m geschil<strong>de</strong>rten Sinne ein an<strong>de</strong>res Bewusstsein,<br />
als das, in welchem wir unsere gewöhnlichen Vorstellungen ausbil<strong>de</strong>n.<br />
Das Dingbewusstsein kann beim künstlerischen Schaffen und Genießen<br />
nur zum Was führen, nie zum Wie.<br />
Was macht nun die anthroposophische Kunst aus? Will man – wie<br />
hier – versuchen, es begrifflich zu beschreiben, hilft eine bloße Erklärung<br />
letztlich nicht weiter. Die Schwierigkeit besteht vor allem darin,<br />
die ästhetische Konstitution wirklich anzunehmen, d.h. <strong>de</strong>n Vorstellungsprozess<br />
mehr o<strong>de</strong>r weniger bewusst aufzuhalten und eine ästhetische<br />
Konstitution heraus zu bil<strong>de</strong>n.<br />
16 Rudolf Steiner, GA 170, 9. Vortrag vom 15. August 1916<br />
23