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Bildpunkt - Wir machen Kunst weil, es die feministische ...

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Widerstand. Macht. Wissen. 27<br />

Marianne Pührerfellner, Denormalisierung löst im Normalismus Alarm aus …, Digitaldruck auf Leinwand, 70 x 70 cm, 2007 (www.i-nemuri.org)<br />

b<strong>es</strong>timmung und Selbstorganisation setzt.“ Aber auch aus den<br />

Reihen oder Ecken, <strong>die</strong> weiterhin meinen, wir leben zu allererst in<br />

einer kapitalistischen und nicht unbedingt in einer „Wissensg<strong>es</strong>ellschaft“,<br />

wird in <strong>die</strong> positive Wertung d<strong>es</strong> veränderten Status<br />

d<strong>es</strong> Wissens eing<strong>es</strong>timmt. So vertraut beispielsweise der postoperaistische<br />

Theoretiker Paolo Virno auf <strong>die</strong> „konkrete Aneignung<br />

und Neuformulierung d<strong>es</strong> Wissens und Könnens, das heute<br />

(noch) in den administrativen Staatsapparaten begraben ist“.<br />

Bei so viel Begeisterung für <strong>die</strong> Wissensg<strong>es</strong>ellschaft, werden Fragen<br />

nach der Legitimität b<strong>es</strong>timmten Wissens, seiner Repräsentation<br />

und den unterschiedlichen Zugängen zu verschiedenen Formen<br />

d<strong>es</strong> Wissens häufig vernachlässigt. In der Behauptung,<br />

Wissen sei gegenwärtig „immer größeren Bevölkerungsschichten<br />

direkt oder indirekt zugänglich“ (Stehr), bleibt zumind<strong>es</strong>t unerwähnt,<br />

dass <strong>die</strong> Voraussetzungen für den Zugang zu und den<br />

Umgang mit Wissen radikal unterschiedliche sind.<br />

Es gilt als allgemeine Tendenz der „Wissensg<strong>es</strong>ellschaft“, dass<br />

Kompetenzen in Sachen Kommunikation und Symbolanalyse eine<br />

enorme Aufwertung erfahren und letztlich unabdingbar werden –<br />

für das soziale Leben ebenso wie für <strong>die</strong> ökonomische Wertschöpfung.<br />

Und hier, beim Umgang mit Symbolen, kommunikativen<br />

skills und kreativen tools, kommt natürlich <strong>die</strong> <strong>Kunst</strong> ins<br />

Spiel. Obwohl in der Moderne als traditioneller Widerpart der<br />

Wissenschaft gehandelt, ist auch <strong>die</strong> <strong>Kunst</strong> vom Wandel d<strong>es</strong> Wissens<br />

betroffen. Dabei sind frühe Flirts künstlerischer Avantgarden<br />

mit technizistischen Utopien oder <strong>die</strong> vielschichtigen Überlappungen<br />

angewandter <strong>Kunst</strong> mit den Naturwissenschaften in Architektur<br />

und Handwerk sozusagen nur <strong>die</strong> Ränder d<strong>es</strong> Spielfelds.<br />

Auch geht <strong>es</strong> nicht in erster Linie um <strong>die</strong> Bebilderung oder Vermittlung<br />

wissenschaftlichen – oder anderen – Wissens.<br />

Im Zentrum stehen vielmehr einerseits <strong>die</strong> der bildenden <strong>Kunst</strong><br />

eigenen Formen der Wissensproduktion. Di<strong>es</strong>e können durchaus<br />

im Wechselspiel mit wissenschaftlichem Wissen entwickelt sein,<br />

d<strong>es</strong>sen g<strong>es</strong>ellschaftliche Wahrnehmung hinterfragen oder seinen<br />

Wahrheitsgehalt in Frage stellen. Ebenso hat der Bezug auf<br />

kunstimmanente Frag<strong>es</strong>tellungen b<strong>es</strong>timmt<strong>es</strong> Wissen hervorgebracht.<br />

Das ist sicherlich der Umgang mit Symbolen, auf den im<br />

Anschluss an <strong>die</strong> Zeichentheorie stark abgehoben wird. Aber<br />

auch <strong>die</strong> Recherche hat als künstlerische Methode an Gewicht gewonnen.<br />

Erkundete damit zunächst <strong>die</strong> konzeptuelle <strong>Kunst</strong> seit<br />

den 1960er Jahren Mechanismen d<strong>es</strong> eigenen Feld<strong>es</strong>, wurden später<br />

auch verschiedenste andere g<strong>es</strong>ellschaftliche Bereiche untersucht.<br />

Dabei steht bis heute auch <strong>die</strong> Aneignung und Verwertung<br />

von Wissen selbst im Mittelpunkt, wie z.B. in In<strong>es</strong> Doujaks documenta<br />

12-Arbeit, <strong>die</strong> Biopiraterie und Gender-Diversitäten verknüpft.<br />

Oder <strong>es</strong> geht um <strong>die</strong> Entmystifizierung komplexer g<strong>es</strong>ellschaftlicher<br />

Wissenszusammenhänge, wie sie Andreas Siekmanns<br />

g<strong>es</strong>chredderte Stadtmarketing-Maskottchen bei den Münsteraner<br />

Skulptur Projekten präsentiert haben. In beiden Fällen ermöglicht<br />

<strong>die</strong> ästhetische Umsetzung zudem <strong>die</strong> Entwicklung neuen, über<br />

<strong>die</strong> konkret gegebenen Informationen hinaus gehend<strong>es</strong> Wissens.<br />

Was <strong>die</strong> <strong>Kunst</strong> aber andererseits zu einem nicht unbedeutenden<br />

Feld innerhalb der „Wissensg<strong>es</strong>ellschaft“ macht, ist <strong>die</strong> Behauptung,<br />

dass <strong>es</strong> gerade künstlerische Praktiken und Werte sind, <strong>die</strong><br />

sich in soziale Bereiche ausgedehnt haben, <strong>die</strong> zuvor ziemlich unberührt<br />

von ihnen waren. Dass eine auf Freiheit, Autonomie und<br />

Flexibilität ausgerichtete „Künstlerkritik“ (Luc Boltanski / Éve<br />

Chiapello) Eingang in <strong>die</strong> Forderungen und Praktiken sozialer Bewegungen<br />

seit den 1960er Jahren gefunden hat, ist vielleicht weniger<br />

überraschend. Zur Ausdehnung „künstlerischer“ Praktiken<br />

gehört aber auch <strong>die</strong> allseits gefeierte und geforderte Kreativität,<br />

<strong>die</strong> selbst der prekär B<strong>es</strong>chäftigten noch abverlangt wird, <strong>die</strong> im<br />

wiener W<strong>es</strong>tbahnhof für eine Fastfoodkette Butterbrote schmiert<br />

und d<strong>es</strong>halb „Sandwich Artist“ heißt. Kurz: Die immaterielle Arbeit<br />

sei zur hegemonialen Form der Arbeit geworden, <strong>die</strong> Produktion<br />

habe <strong>die</strong> Fabrik verlassen und finde innerhalb der G<strong>es</strong>ellschaft<br />

statt. Und zwar in Form einer Kombination aus intellektuellen<br />

Fähigkeiten, handwerklichem G<strong>es</strong>chick, unternehmerischer Entscheidungsfindung<br />

und sozialer Kooperation.<br />

Ist jen<strong>es</strong> kooperative Kommunizieren, wie Virno meint, <strong>die</strong> allgemeine<br />

Basiskompetenz, <strong>die</strong> unter Bedingungen zum Vorschein<br />

kommt, in denen Orientierungslosigkeit und Fremdheit „unausweichliche<br />

und dauerhafte Erfahrung“ aller sei? Und ist das „reflexive<br />

Nichtwissen“ (Beck) ein alle verbindend<strong>es</strong> Spezifikum der<br />

Gegenwartsg<strong>es</strong>ellschaften? Unterschiedlichen sozialen, politischen<br />

und kulturellen Ausgangsbedingungen jedenfalls wird in<br />

di<strong>es</strong>en Ansätzen keine große Aufmerksamkeit gewidmet. Um solchen<br />

fundamentalen Ungleichheiten gerecht zu werden, sind andere<br />

zeitdiagnostische Labels vielleicht tauglicher. Wer weiß. ●<br />

Jens Kastner ist Soziologe und <strong>Kunst</strong>historiker und lebt in Wien.

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