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Gorilla 03/2013 - Zoologische Gesellschaft Frankfurt

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SCHWERPUNKTTHEMA | NATIONALPARKS & WILDNIS<br />

Foto: Detlef Möbius / ZGF<br />

fantasievollen Vorstellungen von Uraltwäldern mit Bildern aus den<br />

Märchen unserer Kindheit. Macht und Kraft der Natur zeigen sich<br />

im schier undurchdringlichen Verhau von Windwürfen, von Schneebruchnestern,<br />

im Mikadospiel zusammenbrechender Borkenkäferflächen,<br />

in denen schon am Tag des uns Menschen oft verstörenden<br />

Naturereignisses des scheinbaren Waldzusammenbruches das neue<br />

Leben beginnt. Alle Pflanzen und Tiere, die im tiefen Schatten der<br />

Wälder oft jahrzehntelang auf das Öffnen des Kronendaches warten<br />

mussten, haben nun ihr „Eldorado“ gefunden, nutzen die Gunst<br />

der Stunde und ihre Lebenschance, bis nach wenigen Jahren und<br />

Jahrzehnten die heute kaum daumengroßen Sämlinge herangewachsen<br />

sind und erneut den Vorhang zuziehen und für lange Zeit das<br />

geheimnisvolle Dämmerlicht des Waldinneren schaffen. Dann ist<br />

aus den alten, abgestorbenen Bäumen längst fruchtbarer Humus<br />

geworden, nachdem sie über viele Jahre vom eigenen Leben zum<br />

Lebensmittel für viele geworden sind.<br />

Holz bewohnende Insekten graben ihre Gänge in das noch feste<br />

helle Holz der toten Bäume, bereiten den Weg für farbenprächtige<br />

Holz zersetzende Pilze mit ihren schwarzen, grauen, orangefarbenen<br />

oder zitronengelben Fruchtkörpern, während ihr weißes Myzel den<br />

Holzkörper durchdringt und aufschließt. In allen Schattierungen der<br />

Farbe Grün besiedeln Moose den Baum, durchsetzt von Algen mit<br />

ihren blaugrünen Lichtern und gekrönt von Flechten in Silbergrau<br />

und Purpurrot. Ihnen allen folgt das Milliardenheer an Bakterien<br />

und Kleinstlebewesen, die aus dem festen Holz einen Wasser haltenden<br />

Schwamm machen, der zum idealen Keimbett für eine neue<br />

Waldgeneration wird. Natur darf wieder Natur sein.<br />

Tagelang in der Wildnis zu wandern, gibt uns<br />

ein Gefühl für die Großartigkeit unserer Heimatlandschaften<br />

zurück. Nationalparks sind nicht<br />

nur Naturschutzgebiete, sondern auch Seelenschutzgebiete<br />

für Menschen.<br />

Diese Vollständigkeit des Lebens in unseren Wäldern können wir<br />

heute in unseren bestehenden und künftig in weiteren National-<br />

parks erleben. Diese Wälder unterscheiden sich deutlich von den<br />

Wirtschaftswäldern mit ihrem dichten Erschließungsnetz an Forstwegen<br />

und Rückegassen. Am besten sind sie auf schmalen Steigen<br />

und Pfaden zu erkunden, mitten durch ihr geheimnisvolles wildes<br />

und freies Leben, nicht auf breiten Wegen, wo man sich zwischen<br />

zwei Wald rändern bewegt. Sie breiten einen ständig im Muster wechselnden<br />

Patchworkteppich an Formen und Farben vor uns aus. Die<br />

vertrauten Formen und Farben der Waldbäume mit ihren grauen<br />

und braunen Rinden, glatt oder schuppig gestaltet, ihren hellgrünen<br />

Blättern und dunklen Nadeln werden harmonisch ergänzt mit<br />

dem samtigen Silber hochaufragender Säulen mit rauen schartigen<br />

Bruchkanten, deren helles Holz im Laufe der Jahre von Hellgelb<br />

über Orangerot ins satte Mahagoni wechselt. Das Heer der Zunderschwämme<br />

formt neue Gesichter, wie Diamanten funkelnde Wassertropfen<br />

schmücken die vielfarbigen Pilzkonsolen. Blütenduft und<br />

Sonnenwärme wechseln mit dunklen Schatten und dem tiefen Duft<br />

des von grünen Kissen aus Moos bedeckten Waldbodens. Diese Wälder<br />

lassen uns verstehen, was Hubert Weinzierl meinte, als er sagte:<br />

„Wildnis ist, den Garten Eden nicht zu jäten, sondern einfach wachsen<br />

zu lassen.“ Tagelang in der Wildnis zu wandern, gibt uns ein Gefühl<br />

für die Großartigkeit unserer Heimatlandschaften zurück, lässt<br />

uns teilhaben an der Freiheit alles Lebendigen, so zu leben, wie es<br />

ihr eigenes Leben ist, ihr Sterben und das neu entstehende Leben in<br />

einem nicht endenden vielfältigen Prozess des Werdens, Vergehens<br />

und wieder Werdens. In diesen Grundelementen des Daseins auf der<br />

Erde haben wir die Möglichkeit, uns selbst zu finden und mit allen<br />

unseren Facetten neu zu entdecken und zu verstehen, was Albert<br />

Schweitzer die Ehrfurcht vor dem Leben nannte („Ich bin Leben, das<br />

leben will, inmitten von Leben, das leben will“).<br />

Die Nationalparks mit ihrer faszinierenden Wildnis sind damit nicht<br />

nur wichtig für unsere Mitgeschöpfe, sie sind wichtig für uns selbst.<br />

Sie sind nicht nur Naturschutzgebiete, sondern Seelenschutzgebiete<br />

für Menschen.<br />

Der Weitblick der Teilnehmer am 1. Deutschen Waldgipfel vor zwölf<br />

Jahren und der Abschluss eines gesellschaftlichen Vertrags mit der<br />

Zielsetzung, fünf Prozent der Wälder stillzulegen, ist bemerkens-<br />

wert. Es gilt, diesen Vertrag mit Leben zu erfüllen, mit dem Leben<br />

neuer wilder<br />

Wälder.<br />

Der Forstwissenschaftler Karl Friedrich Sinner war von 1998 bis<br />

2011 Leiter des Nationalparks Bayerischer Wald und ist nun im<br />

Ruhestand.<br />

Sinner gilt als engagierter Verfechter der Waldwildnis<br />

und erfolgreicher Brückenbauer zwischen Forstwirtschaft und<br />

Naturschutz. Sinner ist im Vorstand von Europarc Deutschland<br />

und setzt sich gemeinsam mit der ZGF für die Einrichtung<br />

neuer<br />

Nationalparks in Deutschland ein.<br />

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ZGF GORILLA | AUSGABE 3/<strong>2013</strong>

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