Ausgabe lesen - Rheinkiesel
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Natur<br />
Mein lieber<br />
Schwan!<br />
Welche Symbolfigur verbindet weltbekannte Klassiker wie<br />
z. B. Aristoteles, Cicero, Euripides, Plato, Plinius, Seneca,<br />
Shakespeare sowie Jean Sibelius, Peter Tschaikowsky und<br />
Richard Wagner? Sie alle hatten in irgendeiner Weise eine<br />
Schwäche für Schwäne. In ihren Werken kommt diesen an<br />
wenigstens einer Stelle eine gewisse Bedeutung zu. Das ist<br />
nicht verwunderlich, wenn man bedenkt, daß der Schwan zu<br />
den bekanntesten Symbolen und Fabelwesen gehörte.<br />
Schon in der Antike spielte<br />
dieser auffallend stattliche weiße<br />
Schwimmvogel eine bedeutende<br />
Rolle. Nach der Vorstellung der<br />
Griechen begleitete er stets die<br />
Göttin Venus – zuständige Autorität<br />
für Schönheit und Anmut.<br />
Der schöne Sohn des Apoll,<br />
Cygnus, stürzte in einen See und<br />
verwandelte sich in einen Schwan;<br />
heute trägt die Gattung der<br />
Schwäne seinen Namen. Und der<br />
ungestüme Zeus verführte Leda in<br />
Gestalt eines Schwans. Der Ursprung<br />
dieser Symbolträchtigkeit<br />
ist kein Zufall.<br />
Denn Schwäne bewegen sich<br />
überaus galant, haben eine bemerkenswerte<br />
Stimme, die man sonst<br />
von verwandten Vertretern der<br />
Gänse und Entenvögel nicht<br />
kennt, sind groß und tragen – für<br />
Vögel absolut ungewöhnlich und<br />
mit Ausnahme des australischen<br />
Trauerschwans – ein weißes Gefieder.<br />
Mit diesen Attributen symbolisierten<br />
sie im Verlauf der<br />
Geschichte Reinheit und Keuschheit.<br />
Heiliger Vogel<br />
der Poesie<br />
Den Römern galten ihr Auftreten<br />
und Verhalten gar als Omen. Die<br />
Auguren, dazumal für Weissagungen<br />
zuständig, leiteten aus ihren<br />
Beobachtungen der Tiere Vorhersagen<br />
für die Schiffer ab. Allerdings<br />
kam später insofern noch<br />
eine komplementäre Variante hinzu,<br />
als daß Schwäne auf dem<br />
Wasser als Zeichen des Glücks für<br />
die Seeleute angesehen wurden,<br />
hingegen an Land Unglück verhießen.<br />
Die augurale Bedeutung hielt sich<br />
sehr lange, über Epochen, Völker<br />
und Länder hinweg. Egal ob in<br />
Legenden germanischen Ursprungs<br />
mit oft tragischer Metaphorik,<br />
in der keltischen Mythologie<br />
als Wasser- und Brunnenheiligtum<br />
oder in der christlichen<br />
Ikonographie, welche die Engel<br />
mit Schwanenflügeln versah.<br />
Selbst bis heute spiegelt sich bei<br />
uns in dem Ausspruch „mir<br />
schwant nichts Gutes“ dieser Deutungsglaube<br />
noch wider. So wollen<br />
es jedenfalls Volkskundler verstanden<br />
wissen. Eine andere Auslegungsvariante,<br />
von den Etymologen<br />
favorisiert, widerspricht dem<br />
und unterstellt einen „Humanistenscherz“.<br />
Vielmehr sei ab dem<br />
15. Jahrhundert eine bewußt falsche<br />
Analogie zwischen „olor“ (lat.<br />
Schwan) und „odor“ (lat. Geruch)<br />
bzw. „olere“ (lat. riechen, wittern,<br />
vorausahnen) von lateinkundigen<br />
Schriftstellern provoziert worden.<br />
Wie dem auch sei! Bei Dichtern<br />
und Schriftstellern stieg der<br />
Schwan unaufhaltsam zum „heiligen<br />
Vogel der Poesie“ auf und verdiente<br />
Geister erhielten quasi als<br />
Ehrentitel den Zusatz „Schwan<br />
Inbegriff von Schönheit und Eleganz: der Höckerschwan<br />
6 Januar 2009