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Ausgabe 6/13 (pdf) - Cyty-Braunschweig

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<strong>Braunschweig</strong>er Journal 4<br />

<strong>Ausgabe</strong> 6/20<strong>13</strong><br />

Eine Weihnachtsgeschichte<br />

Text: Helmut Wenzel • Foto: Elke Brümmer<br />

Es hatte noch einmal tüchtig<br />

geschneit. Die vor zwei Tagen<br />

von den beiden Waldarbeitern<br />

mit ihrem Pferdgespann hinterlassenen<br />

Spuren sind zugedeckt.<br />

Die letzten Sonnenstrahlen<br />

glitzern auf der<br />

Schneedecke. Das leise Rauschen<br />

der hier am Waldesrand<br />

stehenden Bäume stört nicht<br />

die andächtige Ruhe des Märchenwaldes,<br />

der heute am<br />

24. Dezember den Heiligen<br />

Abend erwartet.<br />

Unter den Laub- und Nadelbäumen<br />

will zunächst keine<br />

weihnachtliche Stimmung<br />

aufkommen. Sie schauen alle<br />

traurig auf den aus der<br />

Schneedecke ragenden<br />

Stumpf der abgesägten Tanne,<br />

die jetzt wohl den Rathausplatz<br />

herausputzt. Sie war den<br />

Bäumen über viele Jahre ein<br />

reger Gesprächspartner gewesen.<br />

Zum Schluss ächzte sie<br />

aufgrund ihres Alters und<br />

prächtiger Entfaltung unter<br />

der Last des Schnees, der auf<br />

ihren Zweigen ruhte.<br />

In die Stille hinein meldet sich<br />

die Fichte und beschwert sich<br />

über die von der Natur ungerechte<br />

Behandlung, ihr Nadelkleid<br />

im Winterhalbjahr nicht,<br />

wie die anderen Bäume ihr<br />

Laub, abwerfen zu können.<br />

Die Schneemassen würden sie<br />

belasten und ihre Zweige<br />

drohten zu brechen. Die stämmige<br />

Eiche zollt ihr Sympathie,<br />

weist aber darauf hin,<br />

dass sie durch ihre großflächige<br />

Belaubung im Sommer<br />

besonders viele Blätter zu versorgen<br />

hätte. Das träfe auch<br />

für die in der Nähe stehende<br />

Buche, Birke und Linde zu.<br />

Sie freue sich bereits darauf,<br />

bald wieder Vögeln Platz für<br />

ihre Nester bieten zu können.<br />

Die Birke meint, sie erwarte<br />

mit Skepsis die Vögel, nachdem<br />

ihr ein Specht mit seinem<br />

spitzen Schnabel mächtig am<br />

Stamm zugesetzt hätte. Außerdem<br />

plagten sie wieder Pilze<br />

und Flechten, die sich auf<br />

ihrem weichen Holz ausbreiteten.<br />

Sie solle sich nicht beschweren,<br />

schaltet sich die Buche<br />

ein. Mit den von ihr ausgesandten<br />

Pollen würden Birken<br />

viele Allergiker peinigen. Sie<br />

locke ausgleichend dafür, verteidigt<br />

sich die Birke, besonders<br />

viele Schmetterlinge an.<br />

Von wegen anlocken, mischt<br />

sich die Buche ein. Schon bald<br />

werden wieder die Wildschweine<br />

auftauchen, um sich<br />

mit Eicheln zu versorgen.<br />

Anschließend würden sie sich<br />

nicht an der Eiche ihr Fell<br />

schrubben, sondern immer bei<br />

ihr.<br />

Beruhige dich, liebe Buche,<br />

sagt die Eiche. Bei mir finden,<br />

ohne dass man es wahrnimmt,<br />

Insekten Unterschlupf, und<br />

das juckt manchmal mächtig.<br />

Meine Rinde sollte grundsätzlich<br />

geschont werden, da im<br />

südlichen Europa aus ihr Korken<br />

gefertigt werden. Einem<br />

Baum würden im Laufe seines<br />

Lebens immerhin 100 bis 200<br />

kg Rinde abgetrennt werden.<br />

Eine harte Prozedur.<br />

Jeder Baum, so die Buche, ist<br />

dem Menschen ausgesetzt. Ihr<br />

Holz diene beispielsweise<br />

bevorzugt zum Heizen. Es<br />

brenne lange mit hellem<br />

Schein und würde gerade jetzt<br />

zur Weihnachtszeit gemütliche<br />

Wärme verbreiten.<br />

Bei mir kratzt sich kein Tier<br />

wegen meiner Nadeln und der<br />

etwas schuppigen Rinde, so<br />

die Fichte. Die Menschen<br />

dagegen fällen mich dennoch<br />

und verfrachten mich auf<br />

Weihnachtsmärkte zum Verkauf.<br />

Mein Holz, sinniert die Linde,<br />

steht seit altersher eng mit der<br />

Weihnachtszeit in Verbindung.<br />

Aus ihm schnitzten<br />

Bildhauer nicht nur die vielen<br />

Heiligen in Kirchen, sondern<br />

auch unzählige Male die Krippenfiguren.<br />

Aus ihrem Holz<br />

würden auch Musikinstrumente<br />

gefertigt, z.B. Orgeln,<br />

die am Heiligen Abend das<br />

„Gloria in excelsis Deo“, die<br />

Weihnachtskantate von J. S.<br />

Bach ertönen lassen.<br />

Das Gespräch der Bäume wird<br />

durch Glockengeläut unterbrochen.<br />

Stille Nacht, heilige<br />

Nacht, es ist dunkel geworden,<br />

und Eiche, Buche, Fichte und<br />

Linde senken ihre Zweige<br />

zur Nachtruhe am Heiligen<br />

Abend.

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