Tobias J. Knoblich: »Zwischen Kreativität und Kulturinfarkt - Die Linke
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kulturwirtschaftliches Schaffen. Man kann diese nicht gegeneinander aufwiegen. Gerade das<br />
Zusammenspiel von Staat, Markt <strong>und</strong> Zivilgesellschaft, das wir heute als trisektorale Kulturpolitik<br />
bezeichnen, scheint besonders wichtig, wenn es um die Übernahme von Verantwortung in allen<br />
Sektoren <strong>und</strong> Formen der Kooperation oder Lastenteilung geht. Vieles ist heute auf kluge Weise auf<br />
den Begriff <strong>und</strong> auch in ein System gebracht worden, <strong>und</strong> ich habe es zum Beispiel im Kulturkonzept<br />
der Landeshauptstadt Erfurt aufgegriffen <strong>und</strong> gemerkt, dass es in der politischen Debatte nicht so<br />
leicht aufgeknüpft <strong>und</strong> in Frage gestellt werden kann. Mit definitorischer Stringenz <strong>und</strong> konzeptioneller<br />
Kraft kann man schon einiges an Verbindlichkeit schaffen.<br />
Es erscheinen inzwischen fast wöchentlich neue Bücher zum Kultur- <strong>und</strong> Medienmanagement, man<br />
kann das Feld gar nicht mehr beherrschen; ich versuche es immer noch, mir alles zu bestellen <strong>und</strong>,<br />
wo leistbar, auch zu rezensieren, um den Überblick zu behalten. Oliver Scheytt hat in seinem Buch die<br />
ganze Bandbreite des Handels pragmatisch aufgemacht, also vom Kulturbürger (das ist der Nutzer,<br />
wenn man Armin Klein jetzt mal dazu in Beziehung setzt) über die Kulturgesellschaft (das ist all das,<br />
was auf anderer Reflexionsebene zum Beispiel mit dem <strong>Kreativität</strong>sdispositiv thematisiert wird), bis hin<br />
zum Kulturstaat (der vom <strong>Kulturinfarkt</strong> als paternalistischer angegriffen wird). <strong>Die</strong>se gesamte<br />
Bandbreite wird theoretisch <strong>und</strong> mit praktischen Beispielen durchdrungen, <strong>und</strong> es werden die<br />
wesentlichen Felder kulturpolitischen Handelns aufgemacht, die im Gr<strong>und</strong>e genommen durch einen<br />
breiten Konsens auch rückversichert sind. <strong>Die</strong> hitzige Debatte heute lebt dennoch von der Mischung<br />
aus ordnungs-, steuerungs- <strong>und</strong> haushaltspolitischer Zuspitzung <strong>und</strong> – mit Reckwitz – einem<br />
kultursoziologischen Entwurf, für die die als Fachdisziplin bisher noch schwache <strong>und</strong> auf<br />
Interdisziplinarität verwiesene Kulturpolitik gar nicht satisfaktionsfähig reagieren kann, mausert sie sich<br />
doch erst seit wenigen Jahrzehnten zu einem echten Reflexions- <strong>und</strong> Gestaltungsfeld. Viele reagieren<br />
also subjektiv, verteidigend, empört, fasziniert, unsystematisch. In einem Sonderheft der<br />
„Kulturpolitischen Mitteilungen“ haben wir daher versucht, die Debatte etwas zu bündeln.<br />
<strong>Die</strong> Sorge für mehr Verbindlichkeit in der Kultur hat in den letzten Jahren zugenommen. Sie ist<br />
natürlich auch durch rhetorische Behauptungen gekennzeichnet. Ich will einmal Parolen aufzählen, die<br />
das zeigen, die einen hilflos, die anderen mit mehr Biss. Eine ist zum Beispiel, dass man<br />
Kulturausgaben nicht als Subvention, sondern als Investition begreifen soll. Das hat sogar die<br />
B<strong>und</strong>eskanzlerin immer wieder gesagt. Es ändert aber nichts daran, dass die Finanzleute darüber<br />
lachen <strong>und</strong> sagen, Investitionen bedeuten etwas anderes. Wir behaupten dann – wenn es bei<br />
Investitionen darum geht, Kapital zu binden – Kulturausgaben führen dazu, Humankapital zu binden,<br />
also in die Entwicklung der Köpfe zu investieren. Darin drückt sich letztlich dieser aufklärerische<br />
Impetus aus, der ja gerade von den <strong>Kulturinfarkt</strong>autoren in Frage gestellt wird. Ein anderes Beispiel ist<br />
„Kultur für alle“; hier war ja immer die große Kritik, dass man der große Heilsbringer sei <strong>und</strong> nicht<br />
danach fragt, was die Leute wirklich wollen. Manche sagten, es müsse richtigerweise heißen „meine<br />
Kultur für alle“, um den Teilhabegestus auf den Punkt zu bringen.<br />
Oder: die Debatte um „Kultur als Pflichtaufgabe“. Das ist Ihnen auch bekannt, bis hinein in den<br />
Enquete-Bericht beschäftigte uns das Thema intensiv; der Zwischenbericht widmete sich vollständig<br />
der Frage, ob man eine Kulturstaatsklausel im Gr<strong>und</strong>gesetz brauche. Ich meine ja, manche meinen<br />
nein, dritte wiederum sagen, das ist nicht so wichtig, es gebe dringendere Themen. Aber, diese<br />
Pflichtigkeit von Kultur, die Bedeutung kulturverfassungsrechtlicher Dokumente bis hinein ins<br />
Völkerrecht, die wird immer wieder debattiert. Große Verfassungsrechtler wie Peter Häberle zum<br />
Beispiel sprechen sich vehement dafür aus <strong>und</strong> bringen auch kluge Argumentationen. Er hat mit<br />
seinem Buch „Verfassungslehre als Kulturwissenschaft“ gezeigt, wie stark Verfassungen kulturell<br />
aufgeladen sind <strong>und</strong> welche Rolle der Kulturbegriff für das Kulturverfassungsrecht spielt, das ist keine<br />
nur deklaratorische Spielwiese. Aus solchen Debatten können sich konkrete legislative Vorstöße<br />
speisen.<br />
Es gibt ein B<strong>und</strong>esland, das – ausgehend vom innovativen Verfassungsrecht der neuen Länder –<br />
Nägel mit Köpfen machte: Sachsen. Es ist das einzige B<strong>und</strong>esland, das in einem Gesetz niederlegt,<br />
dass Kultur eine Pflichtaufgabe der Kommunen sei <strong>und</strong> dass diese solidarisch von Kommunen <strong>und</strong><br />
Land auch zu finanzieren sei. Das Land gibt jährlich 86,7 Mio. € dafür aus. Peter Rühmkorf hat<br />
natürlich Recht, wenn er sagt, Kultur ist nur eine unmaßgebliche Schutzbehauptung, aber die<br />
Verbindung des besonderen Nimbus, den dieses Gesetz hat, mit den dort aufgezeigten<br />
Verfahrenswegen führt zu echten Debatten <strong>und</strong> guten Entwicklungsplanungen. Am Ende wird erreicht,<br />
dass alle – vor allem die Landkreise – über ihren Tellerrand hinausblicken <strong>und</strong> mit<br />
Strukturentscheidungen größere Zusammenhänge reflektieren <strong>und</strong> berücksichtigen.<br />
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