Tobias J. Knoblich: »Zwischen Kreativität und Kulturinfarkt - Die Linke
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eine Stadt, der es vergleichsweise gut geht, die Perspektiven hat, eine Stadt, die wächst, die<br />
wirtschaftlich prosperiert <strong>und</strong> trotzdem an den massiven Umbau ihrer Infrastruktur denken muss. Was<br />
wir dennoch konstatieren müssen, bei all diesen positiven Entwicklungen einer reflektierten<br />
Kulturpolitik, bei diesem Schub an Professionalisierung, an Austausch, an Anregung: Große<br />
konzeptionelle Entwürfe, die den Namen verdienen, sind nach wie vor eher selten. Es ist nicht so,<br />
dass jedes Konzept, jede kulturpolitische Leitlinie, jeder Gesetzestext, den man einmal entwirft, der<br />
Weisheit letzter Schluss sei. Es gibt noch immer viel zu tun, wenn es um die Überwindung des<br />
Sonntagsredenhabitus gehen soll.<br />
Das Gutgemeinte ist ja nicht immer das Gute. Es wird immer noch zu wenig an wirklicher<br />
Professionalität zugelassen, <strong>und</strong> es gibt zu wenig an Professionalität sowohl in den<br />
Kulturverwaltungen, als auch in Stadträten, in Kreistagen oder Parlamenten. <strong>Die</strong> Kulturpolitiker, die<br />
adäquat ausgebildet sind, die selber wissenschaftlich ein wenig aktiv bleiben, die die Möglichkeiten<br />
haben, zu reisen, zu vergleichen, sich zu engagieren, diese Leute sind sehr, sehr selten. Man kennt<br />
sich in der Regel. Ich bilde mir ein, alle Wesentlichen inzwischen zu kennen <strong>und</strong> bin immer wieder<br />
überrascht, wie wenige wir sind, wenn es darauf ankommt, <strong>und</strong> wie wenige ganz bestimmte Themen<br />
transportieren <strong>und</strong> dann doch die eine oder andere Wirkung erzielen. Das ist dann statistisch<br />
wahrscheinlich über dem Durchschnitt <strong>und</strong> lässt einen freuen. Aber auf der anderen Seite, wenn man<br />
das Aufgabenspektrum sieht, das da vor uns liegt, <strong>und</strong> darüber wird auf Ihrer Tagung zu debattieren<br />
sein, dann ist das auch beängstigend. Da habe ich noch nicht darüber gesprochen, wie es mit der<br />
Durchsetzbarkeit bestimmter Konzepte bestellt ist. Damit kommen wir auf die Ebene der Verfahren<br />
<strong>und</strong> zum Lobbying. Ich will es dabei zunächst bewenden lassen, was die Diagnose anbelangt. Ich<br />
muss auf die Uhr schauen, dass ich nicht ins Trudeln komme. Das kann ich mir heute nicht leisten.<br />
Das jedenfalls sind die großen Eckdaten aus meiner Sicht.<br />
III.<br />
Was heißt das nun für die Praxis, wenn wir über die Möglichkeiten <strong>und</strong> Grenzen konzeptbasierter<br />
Kulturpolitik sprechen wollen? Worum geht es im Detail? Was sind überhaupt Konzepte? Was ist eine<br />
konzeptbasierte Kulturpolitik? Natürlich geht es im Wesentlichen um Kulturentwicklungspläne,<br />
Gesetze oder thematische Konzepte, wie wir sie neuerdings im Bereich der kulturellen Bildung<br />
vielerorts entstehen sehen. Eine Kulturpolitik, die diese Elemente aufgreift <strong>und</strong> damit eine Gr<strong>und</strong>lage<br />
strategischen Handelns schafft, kann man als konzeptbasiert bezeichnen. Dazu gehört freilich auch<br />
die Kommunikation, der Diskurs, der öffentliche Aushandlungsprozess. Aber man muss es noch ein<br />
bisschen präzisieren <strong>und</strong> sagen, dass es um Inhalte, Verfahren, Kommunikation <strong>und</strong> Institutionen<br />
geht, vielmehr um das Zusammenwirken all dieser Elemente. An oberster Stelle steht natürlich immer<br />
die Haltung, oder wie es Carsten Winter gern nennt, intellektuelle Führerschaft. Man möchte über jede<br />
Veränderung, die es gibt, über jedes Szenario Bescheid wissen, man möchte über demografischen<br />
Wandel genauso sicher reden können wie über wirtschaftliche Entwicklungen, über globale<br />
Verflechtungen, die Medialisierung, das Internet, über das kulturelle Gedächtnis, man möchte wissen,<br />
was die UNESCO im Detail macht, worin die Debatten über immaterielles <strong>und</strong> materielles Kulturerbe<br />
wurzeln, über die Konvention kultureller Vielfalt in der Welt, man möchte über die GATS-<br />
Verhandlungen Bescheid wissen <strong>und</strong> dergleichen mehr <strong>und</strong> möchte aus all dem dann eine<br />
intellektuelle Führerschaft generieren <strong>und</strong> sie letztlich in der Debatte so zuspitzen, dass für die<br />
Kulturpolitik im engeren Sinne etwas herauskommt. Das ist eine sehr, sehr große Erwartungshaltung,<br />
weil eben Kulturpolitik noch immer für das große <strong>und</strong> ganze zuständig scheint <strong>und</strong> daraus auch eine<br />
gewisse Schwungkraft gewinnt, das darf man nicht unterschätzen. Ich bin immer schon zufrieden,<br />
wenn es so ist, dass es hinreichend viele Leute gibt, die überhaupt eine Haltung einnehmen, auch<br />
wenn sie nicht gleich die Vision einer post-kapitalistischen Gesellschaft entwickeln, sondern überhaupt<br />
erst einmal eine Haltung zu Kulturfragen einnehmen, <strong>und</strong> nicht nur im engeren Sinne diejenigen, die<br />
für Kulturverwaltung <strong>und</strong> Kulturpolitik zuständig sind, sondern eben auch die Entscheidungsträger,<br />
also Oberbürgermeister, Beigeordneter, Minister, Fraktionsvorsitzende <strong>und</strong> dergleichen, also<br />
diejenigen, die sich an vielen Schnittstellen bewegen <strong>und</strong> eben auch zwischen Haushaltspolitikern <strong>und</strong><br />
Kulturpolitikern, zwischen Jugendhilfe <strong>und</strong> Bildung <strong>und</strong> anderen Themen vermitteln müssen. Das ist<br />
entscheidend.<br />
Damit einher geht natürlich auch – <strong>und</strong> das gehört zur konzeptbasierten Kulturpolitik – der Inhalt, man<br />
braucht eine Programmatik. <strong>Die</strong> ist oft zum Teil rudimentär oder aber die Wiederholung der<br />
immergleichen Floskeln, die wir aus Sonntagsreden kennen. Programmatik ist immer wieder zu<br />
hinterfragen, zu erneuern. Ich bin ein großer Fre<strong>und</strong> nicht einer sehr breiten <strong>und</strong> ausgewalzten<br />
Programmatik, sondern einer zugespitzten, die dann eben das Gegenteil von reiner Verwaltung ist, die<br />
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