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Tobias J. Knoblich: »Zwischen Kreativität und Kulturinfarkt - Die Linke

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Strukturveränderungen, weil die Leute Angst haben, dass ihnen alles genommen werde. Der massive<br />

Eingriff ist immer das Argument, es lieber gar nicht anzupacken, bevor wir etwas gänzlich falsch<br />

machen. <strong>Die</strong>se Haltung korrespondiert freilich auch mit dem, was man lokale oder regionale Identität<br />

nennt. Ob es sinnvoll ist, ob es finanzierbar ist, ob es zukunftsfähig ist oder nicht, ob da Leute<br />

hingehen oder nicht, man kennt es halt <strong>und</strong> es gehört irgendwie dazu. Wir haben in Erfurt eine kleine<br />

museale Gedenkstätte, da geht kaum einer hin. Aber sobald Sie sie zumachen wollen, geht die Welt<br />

unter. Das sagt jetzt nichts über die Qualität dessen, was dort vorgehalten <strong>und</strong> wie es gepflegt wird,<br />

sondern nur über die gesellschaftliche Resonanz. <strong>Die</strong>se ist aber eine (nicht die einzige) Kategorie,<br />

wenn es um das Maß an Erinnern <strong>und</strong> Bewahren geht, um das Betreiben authentischer Orte.<br />

Und es gibt, das will ich vielleicht abschließend als ein Beispiel für Grenzen nennen, einen Wildwuchs<br />

in der Entstehung auch neuer Einrichtungen. Das wird im <strong>Kulturinfarkt</strong> ebenfalls beklagt. Es ist dies<br />

eine Debatte, die uns eigentlich schon so lange beschäftigt, wie die öffentliche Hand höfisches <strong>und</strong><br />

bürgerliches Erbe übernommen <strong>und</strong> weiterentwickelt hat. Ich habe es vor allem in den neuen Ländern<br />

nach der politischen Wende beobachtet, wo alle Angst vor Verlusten hatten; vielerorts ist das<br />

Gegenteil der Fall: ein Aufwuchs an kleinen Museen, an Gedenkstätten, natürlich in Bereichen, die<br />

vorher so nicht verhandelbar waren, Schulmuseen, bestimmte Gedenkstätten, Orte im Bereich<br />

Industrie- <strong>und</strong> Technikgeschichte infolge der flächengreifenden Deindustrialisierung. Am Anfang sind<br />

es die Ehrenamtlichen, <strong>und</strong> irgendwann gibt dann die Gemeinde Geld dazu, irgendwann findet es in<br />

die Förderung, weil man es aus bestimmten Gründen den Kollegen nicht ausschlagen kann, <strong>und</strong> dann<br />

wächst eben das, was im <strong>Kulturinfarkt</strong> als Subventionsschleife bezeichnet wird. Das ist ein großes<br />

Problem, zumal zahlreiche Einrichtungen in einem prekären Status betrieben werden <strong>und</strong> in diesem<br />

dauerhaft verbleiben.<br />

Das heißt, wir brauchen Konzepte, Gesetze, Verfahren <strong>und</strong> Kommunikationsstrategien, um ein<br />

Denken in größeren räumlichen, zeitlichen <strong>und</strong> trägerkritischen Zusammenhängen zu ermöglichen,<br />

um den Zufall zu bremsen, mit Gewohnheiten zu brechen, um die eigenen Denkfiguren <strong>und</strong><br />

Argumentationsmuster zu hinterfragen. Das ist nicht immer leicht. Es wird gerne behauptet, die alten<br />

Leitformeln seien auch die neuen: Kultur für alle! Damit ist es aber, glaube ich, nicht getan. Man muss<br />

sie schon auch neu interpretieren, kritisch wenden, man muss sie mit Zukunftsbildern in Verbindung<br />

bringen <strong>und</strong> auch die wissenschaftlichen Erkenntnisse berücksichtigen, was die Wirkung solcher<br />

Slogans wirklich ist. Wenn ich dann Andreas Reckwitz zum Beispiel lese oder Carsten Winter, merke<br />

ich die Dringlichkeit einer Revision <strong>und</strong> Reformulierung von Programmatik. Natürlich reformulieren<br />

sich Formeln auch durch den Wandel im Begriffsgebrauch. So ist es etwa mit dem Kulturstaat, der<br />

heute mehrheitlich für ein positives Bild eines kulturell wachen <strong>und</strong> zuständigen Staates steht <strong>und</strong><br />

nicht für die Vereinnahmung mit Sinn. Dazu hatte ich mit Max Fuchs einmal eine Debatte, die Sie in<br />

den „Kulturpolitischen Mitteilungen“ nachlesen können. Begriffsarbeit ist ganz wichtig, doch was<br />

können die Begriffe dafür, dass wir mit ihnen schlecht umgehen? Sie werden immer neu aufgeladen<br />

oder neu belebt. Sie tragen jedoch auch ihre semantischen Hypotheken mit sich <strong>und</strong> fordern Umsicht<br />

ein. Aber wenn man Slogans <strong>und</strong> Programmatik nur weiter trägt, wenn man sie nicht beständig neu<br />

füllt mit einer Debatte, die auch wirklich trägt, dann bekommen wir Leerformeln. Das greift der<br />

<strong>Kulturinfarkt</strong> ja an, dass wir vielleicht zu stark den Begriffen vertraut haben <strong>und</strong> unsere Praxis zu<br />

unkritisch hinnehmen, die wir mit diesen Begriffen fassen. Konzeptbasierte Kulturpolitik, hat eine<br />

Chance, ein Motor von Veränderungsprozessen zu sein, wenn sie wirklich systematisch greift. Das<br />

wünsche ich mir sehr, <strong>und</strong> ich wünsche Ihrer Debatte, dass Sie dafür Beispiele finden, bis in die<br />

Kulturförderung hinein, auf die ich jetzt gar nicht eingegangen bin. Vielen Dank!<br />

Nachfragen zum Referat <strong>und</strong> Antworten von <strong>Tobias</strong> J. <strong>Knoblich</strong><br />

Dr. Annette Mühlberg: <strong>Tobias</strong>, wenn Du bitte noch einen Moment hier vorne bei mir bleiben könntest.<br />

Vielen Dank, lieber <strong>Tobias</strong>. Wir haben ja das Problem, dass Du uns in zehn Minuten verlassen musst.<br />

Deshalb frage ich jetzt einfach ins Publikum, ob es unmittelbare Nachfragen an den Referenten gibt.<br />

Wir haben dann, mit dem folgenden Podium <strong>und</strong> noch den ganzen Tag Zeit, die Dinge zu vertiefen.<br />

Und wir werden uns ja mindestens zum kulturpolitischen B<strong>und</strong>eskongress am 13. <strong>und</strong> 14. Juni wieder<br />

begegnen <strong>und</strong> weiter diskutieren. Dennoch jetzt die Frage an das Publikum, ob jemand von Ihnen<br />

unmittelbar Nachfragen an den Referenten hat. Und bitte den Namen sagen.<br />

Ulrich Wilke: Ich möchte mal die Gelegenheit nutzen, dass wir einen Erfurtkenner hier haben. Wie<br />

geht es denn den Theatern in Erfurt <strong>und</strong> Weimar. Sind die noch eigenständig?<br />

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