Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte - Institut für Zeitgeschichte
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366 Elke Fröhlich<br />
Für die Tages- und Zeitschriftenpresse war offenes Kritisieren unmöglich geworden<br />
und so versuchte sie es in einigen Fällen mit Kritik zwischen den Zeilen, was<br />
auch bald ausdrücklich untersagt wurde 91 . Dessenungeachtet fanden sich immer<br />
wieder Anlässe, versteckte Kritik zu rügen. Ein Satz wie: „über den künstlerischen<br />
Wert des Lebenswerkes dieses Mannes wird die Aufführung Aufschluß<br />
geben" 92 , war ebenso maskierter Aufsässigkeit verdächtig wie die Bemerkung:<br />
„Das Publikum der NS-Kulturgemeinde fühlte sich zum Beifall verpflichtet." 93<br />
Auch die Gepflogenheit, viele Zeilen auf die Ablehnung ,morbider und komplizierter'<br />
Werke zu verwenden, wurde als indirekte Kritik am offiziellen Kunstgeschmack<br />
erkannt und gerügt 94 . Es handelte sich dabei aber nur um die Ausnahmen, die die<br />
Regel bestätigten, daß der Kritikerlaß von den Journalisten eingehalten wurde. Zu<br />
überzeugen und zum Nachdenken anzuregen, gehörte nicht mehr zu ihren Aufgaben,<br />
hatten sie doch nun <strong>für</strong> eine neue Zielgruppe, die ,Gutwilligen', zu schreiben<br />
95 . Wie eng ihr Handlungsraum geworden war, beleuchtet ein ,heißer Tip' aus<br />
dem Jahr 1940:<br />
„Durch eine Mitteilung des Theaterdirektors Paul Rose wurde auf eine 82jährige<br />
Frau Franziska Zennin aufmerksam gemacht, die seit 25 Jahren im Rose-Theater<br />
Garderobiere sei. Man könne von ihr gewiß ein interessantes Stück volkstümlicher<br />
Theatergeschichte erfahren. Herr Dr. Bade unterstützt diesen Hinweis, dieser Fall<br />
sei gewiß eine gute Gelegenheit zur Reporterjagd." 96<br />
Entweder wirkte sich der auf ein Minimum reduzierte Spielraum journalistischer<br />
Initiative so lähmend aus oder ehrliche Zustimmung zum Verbot veranlaßte die<br />
meisten Journalisten, jeglicher Kritik zu entsagen. Das ging so weit, daß der Konferenzleiter<br />
Vossler sich gezwungen sah, die Schriftleiter aufzufordern, „in den<br />
Konferenzen Fragen zu stellen . . . und Kritik zu üben" 97 . Sein Vorgänger, Konferenzleiter<br />
Koerber, warf ihnen sogar mangelnde Zivilcourage und Feigheit vor 98 .<br />
Die Pervertierung des Bewußtseins war so weit gediehen, daß die Nationalsozialisten<br />
von den Journalisten, die ja von Berufs wegen zu den Gralshütern der Kritik<br />
zählen, kritisches Verhalten fordern mußten. Die Auffassung von Kritik als etwas<br />
Zersetzendem, Dekadentem muß auch unter den Journalisten verbreitet gewesen<br />
sein. Ihr stand die Auffassung von der Erhabenheit der Kultur, die der Erbauung<br />
zu dienen habe, gegenüber, woraus folgt, daß nicht geduldet werden konnte,<br />
Kulturwerte in den Schmutz der Kritik zu ziehen. Möglicherweise kam dem Kritik-<br />
91 AdKP v. 10. 12. 36, BA, ZSg 101/8.<br />
92 AdKP v. 11. 2. 37.<br />
93 AdKP v. 14. 1. 37.<br />
94 AdKP v. 11. 3. 37.<br />
95 AdKP v. 11. 3. 37.<br />
96 AdKP v. 6. 9. 40.<br />
97 AdKP v. 26. 8. 37.<br />
98 AdKP v. 15. 4. 37.