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Regel und Ausnahme - Archiv - Personalwirtschaft

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www.personalwirtschaft.de G 21212 Art.-Nr. 97803870<br />

<strong>Personalwirtschaft</strong><br />

Magazin für Human Resources<br />

extra<br />

07<br />

2013<br />

Ro<strong>und</strong> Table | Studien | Entgeltumwandlung | Zeitwertkonten | Betriebsrentenanpassung<br />

Betriebliche Altersversorgung<br />

Engagement<br />

zahlt sich aus


Editorial<br />

BETRIEBLICHE ALTERSVERSORGUNG<br />

Gemeinsam stark<br />

Wenn die Redaktion<br />

der <strong>Personalwirtschaft</strong><br />

zur jährlichen<br />

bAV-Expertenr<strong>und</strong>e<br />

einlädt, mangelt es<br />

nie an Themen. Die<br />

komplexen Rahmenbedingungen<br />

bei der betrieblichen Altersversorgung<br />

liefern genügend Diskussionsstoff.<br />

Vor allem die Kapital- <strong>und</strong><br />

Finanzmärkte verunsichern die Beteiligten<br />

immer wieder. Vor Jahren galt der<br />

Börsencrash als massive Bedrohung für<br />

risikoreiche bAV-Anlagen. Dies scheint<br />

überw<strong>und</strong>en zu sein. Vergangenes Jahr<br />

warnten die Unternehmensverbände <strong>und</strong><br />

Gewerkschaften die EU-Politik davor, die<br />

Solvency II-<strong>Regel</strong>ungen auch auf Pensionskassen<br />

<strong>und</strong> Pensionsfonds anzuwenden.<br />

Die verlangten Eigenkapitalvorgaben<br />

hätten die betriebliche Altersvorsorge<br />

teurer, aber nicht sicherer gemacht. Ende<br />

Mai teilte die EU-Kommission glücklicherweise<br />

mit, von diesen Plänen wieder abzurücken.<br />

Heute ist es die Niedrigzinsphase, die<br />

bAV-Berater in Argumentationsnöte bringt<br />

<strong>und</strong> das Pensions-Risikomanagement herausfordert.<br />

Doch auch hier sollte man<br />

Ruhe bewahren, wie die Experten darlegen<br />

(Seite 6). Langfristig gesehen habe<br />

das niedrige Zinsniveau nur moderate<br />

Auswirkungen auf die bAV-Finanzanlagen.<br />

Und die bAV sei nach wie vor<br />

günstiger <strong>und</strong> sicherer als die private<br />

Altersvorsorge. Doch die Zusagen <strong>und</strong><br />

Garantiezinsen verursachen durchaus<br />

Sorgenfalten bei den Beteiligten. Und so<br />

w<strong>und</strong>ert es nicht, dass vor allem Unternehmen<br />

mit großen Pensionsverpflichtungen<br />

zurzeit dabei sind, ihre Risiken<br />

zu prüfen <strong>und</strong> über neue Modelle zu minimieren.<br />

Diese finanzwirtschaftlichen Aspekte der<br />

bAV sollten die Unternehmen sehr genau<br />

zu prüfen, um ihren Mitarbeitern attraktive<br />

<strong>und</strong> nachhaltige Angebote unterbreiten<br />

zu können. Dass man sie überhaupt<br />

anbieten muss, steht mittlerweile außer<br />

Frage. Die bAV ist ein zentrales personalwirtschaftliches<br />

Instrument geworden,<br />

das starken Einfluss auf die Arbeitgeber -<br />

attraktivität nimmt. Doch jenseits der großen<br />

Chemie- <strong>und</strong> Metallindustrie, wo vorbildliche<br />

Tarifverträge die bAV fördern,<br />

ist der Verbreitungsgrad nach wie vor viel<br />

zu gering. Rein arbeitnehmerfinanzierte<br />

Modelle der Entgeltumwandlung sind<br />

nicht überzeugend, rein arbeitgeberfinanzierte<br />

Modelle kaum noch tragbar. Nur<br />

gemeinsam gelingt es, bAV-Modelle mit<br />

hoher Verbreitung im Unternehmen zu<br />

implementieren, um damit die Versorgungslücke<br />

im Alter zu schließen oder<br />

über Zeitwertkonten sogar noch Vorruhestandsmöglichkeiten<br />

zu eröffnen. Im Heft<br />

finden Sie dazu zahlreiche Beispiele.<br />

Eine angenehme Lektüre wünscht<br />

Erwin Stickling<br />

Chefredakteur


BETRIEBLICHE ALTERSVERSORGUNG<br />

Inhalt<br />

<strong>Personalwirtschaft</strong> Sonderheft: Betriebliche Altersversorgung<br />

18 Praxisbeispiel<br />

Der flexible Übergang in die<br />

Altersrente<br />

Mit der Verlängerung der Lebensarbeitszeit<br />

wächst vielfach das Bedürfnis nach neuen<br />

Vorruhestandslösungen. Ein durchdachtes<br />

bAV-Konzept bietet hierfür flexible<br />

Möglichkeiten, wie die Beispiele BP Lingen<br />

<strong>und</strong> Sauer-Danfoss zeigen.<br />

6 Ro<strong>und</strong> Table<br />

Ruhe bewahren<br />

Die aktuelle Niedrigzinsphase verunsichert<br />

die betriebliche Altersversorgung weitaus<br />

weniger als vermutet. Das sagen zumindest<br />

die Experten, die zum jährlichen bAV-<br />

Treffen der <strong>Personalwirtschaft</strong> geladen<br />

waren. Handlungsbedarf besteht dennoch.<br />

12 Forum<br />

Auf zu neuen Ufern<br />

Ohne attraktive Betriebsrente bandeln High<br />

Potentials nicht mehr mit Unternehmen<br />

an. Deshalb müssen Personaler ihre<br />

Vorsorgesysteme auf den Prüfstand stellen<br />

<strong>und</strong> sich von finanziell denkwürdigen<br />

Konzepten lösen.<br />

16 Praxisbeispiel<br />

Zeit für mehr Flexibilität<br />

Auf Basis eines flexiblen Arbeitszeitsystems<br />

bietet der Sensorhersteller Sick AG<br />

seinen Mitarbeitern ein vorbildliches<br />

Zeitwertkonten-Modell an.<br />

20 Studie<br />

Robust aufgestellt<br />

Im aktuellen Niedrigzinsumfeld sank der<br />

Ausfinanzierungsgrad der Pensionspläne<br />

weniger stark als erwartet, wie eine Studie<br />

zeigt. Das Pensions-Risikomanagement<br />

wird weiterentwickelt, ohne dabei die<br />

personalwirtschaftliche Bedeutung der<br />

Betriebsrente aus den Augen zu verlieren.<br />

24 Studie<br />

Das reicht nicht<br />

Eine Studie der Ruhr-Universität Bochum<br />

hat erstmals untersucht, welches<br />

Einkommen wir benötigen, um den<br />

Lebensstandard nach Renteneintritt<br />

halten zu können. Die Ergebnisse lassen<br />

nur einen Schluss zu: Die Deutschen<br />

müssen mehr für ihr Alter sparen.<br />

28 BetrAVG-Kommentar<br />

Betriebsrentenanpassung –<br />

<strong>Regel</strong> <strong>und</strong> <strong>Ausnahme</strong><br />

Keine andere Vorschrift des<br />

Betriebsrentenrechts ist für die<br />

Unternehmenspraxis so problematisch<br />

wie § 16 Betriebsrentengesetz (BetrAVG).<br />

Die Bestimmung verpflichtet den<br />

Arbeitgeber, alle drei Jahre eine Anpassung<br />

der laufenden Leistungen der betrieblichen<br />

Altersversorgung zu prüfen.<br />

Im pres sum<br />

Herausgeber: Jürgen Scholl<br />

Re dak ti on: Erwin Stickling, Chefredakteur,<br />

Christiane Siemann, freie Mitarbeiterin<br />

Re dak ti ons an schrift: Wol ters Klu wer Deutsch land GmbH,<br />

Luxemburger Straße 449, 50939 Köln,<br />

Te le fon: 0221/94373-7653, Fax: 0221/94373-7757,<br />

E-Mail: per so nal wirt schaft@wol ters klu wer.de,<br />

www.per so nal wirt schaft.de<br />

Fach bei trä ge aus bereits erschienenen Ausgaben sind<br />

ver füg bar un ter: www.per so nal wirt schaft.de<br />

Ge schäfts füh rer: Dr. Ul rich Her mann (Vorsitz),<br />

Michael Gloss, Christian Lindemann, Frank Schellmann<br />

Anzeigen:<br />

Karin Kamphausen (Verkaufsleitung),<br />

Telefon: 0221/94373-7629,<br />

E-Mail: kkamphausen@wolterskluwer.de<br />

Jörg Walter (Anzeigenverkauf), wanema media,<br />

Telefon: 0931/304699-66, E-Mail: pw@wanema.de<br />

Karin Odening (Anzeigendisposition),<br />

Telefon: 0221/94373-7427,<br />

E-Mail: kodening@wolterskluwer.de<br />

Her stel lung: Frauke Helene Hille<br />

Ge stal tung: Art + Work Köln, Lars Au ha ge, Mar tin Schwarz<br />

Bildnachweis: Thinkstock; Fotos Seiten 6–10: Hartmut Bühler<br />

ISSN 97803870<br />

Dru cke rei <strong>und</strong> Lie fer an schrift für Bei la gen:<br />

Merkur Druck GmbH & Co. KG<br />

Am Gelskamp 20, D-32758 Detmold<br />

Co py right: Luch ter hand, ei ne Mar ke von<br />

Wol ters Klu wer Deutsch land GmbH.<br />

© 2013 Wol ters Klu wer Deutsch land GmbH, Köln.<br />

4<br />

Sonderheft 07 | 2013<br />

www.personalwirtschaft.de


BETRIEBLICHE ALTERSVERSORGUNG<br />

Ro<strong>und</strong> Table<br />

Ruhe bewahren<br />

Die aktuelle Niedrigzinsphase verunsichert die betriebliche Altersversorgung weitaus weniger als vermutet. Das<br />

sagen zumindest die Experten, die zum jährlichen bAV-Treffen der <strong>Personalwirtschaft</strong> geladen waren. Handlungsbedarf<br />

bestehe dennoch in vielen Unternehmen – <strong>und</strong> in der Politik.<br />

M<br />

an kann es hoch <strong>und</strong> runter rechnen,<br />

wie man will: Die Niedrigzinsphase<br />

hat eher moderate Auswirkungen auf die<br />

bAV-Finanzanlagen. Denn unterm Strich<br />

liegt bei einem Anlagezeitraum von 35 Jahren<br />

<strong>und</strong> mehr die Verzinsung bei r<strong>und</strong> vier<br />

Prozent, selbst wenn die Niedrigzinsphase<br />

zehn Jahre dauern sollte. Das größere Risiko<br />

liegt in der psychologischen Auswirkung<br />

auf den Markt, stellt Dr. Ralf Laghzaoui, Partner<br />

beim Beratungsunternehmen Mercer,<br />

fest. Objektiv sei die bAV nach wie vor güns -<br />

tiger als die private Altersvorsorge, was unter<br />

anderem an der nachgelagerten Besteuerung<br />

liegt. Auch deshalb, so die Experten<br />

beim Ro<strong>und</strong> Table, können sie aktuell nicht<br />

feststellen, dass Arbeitgeber oder Arbeitnehmer<br />

der bAV den Rücken kehren.<br />

Insgesamt wachse die betriebliche Altersversorgung<br />

weiter, da sie im Gegensatz zur<br />

privaten dem Arbeitnehmer mehr Sicherheit<br />

gibt <strong>und</strong> die Förderung für viele Arbeitnehmer<br />

attraktiv, einfach <strong>und</strong> transparent<br />

ist, sagt Robert Müller, Geschäftsführer<br />

S-PensionsManagement <strong>und</strong> Vorstand der<br />

Tochtergesellschaften Sparkassen Pensionskasse<br />

<strong>und</strong> Sparkassen Pensionsfonds. Selbst<br />

die Rückdeckung durch die Lebensversicherung<br />

wird in der bAV deutlich weniger<br />

diskutiert als im Privatbereich oder in der<br />

Presse, berichtet Jürgen Helfen. Denn der<br />

Arbeitgeber wählt in aller <strong>Regel</strong> nicht nur<br />

den Anbieter aus, sondern er verhandelt<br />

Konditionen <strong>und</strong> kann seinen Mitarbeitern<br />

über Gruppentarife privat nicht zugängliche<br />

Angebote zukommen lassen, ergänzt<br />

der PwC-Berater.<br />

Auch der Entgeltumwandlung kehrt keiner<br />

den Rücken, heißt es aus dem VdW Versorgungsverband,<br />

der auf Lösungen der betrieblichen<br />

Altersvorsorge für IHKs <strong>und</strong> Verbände<br />

spezialisiert ist, <strong>und</strong> in dessen Bereich<br />

die Kombination der Entgeltumwandlung<br />

mit einer arbeitgeberfinanzierten beitragsorientierten<br />

Gr<strong>und</strong>zusage die häufigste<br />

Form der Altersversorgung ist. VdW-<br />

Geschäftsführer Gisbert Schadek beobachtet<br />

eher eine Zunahme, „allerdings begrenzt<br />

durch die Ressourcen, die dem Mitarbeiter<br />

überhaupt zur Verfügung stehen“.<br />

Die bAV-Experten reagieren also relativ<br />

gelassen auf die aktuelle Niedrigzinsphase.<br />

Arbeitsrechtler Dr. Johannes Schipp, der<br />

auch den Pensionsversicherungsverein vertritt,<br />

verweist auf das hohe Sicherheitsbedürfnis<br />

der Arbeitnehmer. Bei der bAV wird<br />

dem Mitarbeiter das Risiko weitestgehend<br />

abgenommen. „Unabhängig vom Durchführungsweg<br />

oder einer Rückdeckung, ob Entgeltumwandlung<br />

oder Lebensversicherung,<br />

der Arbeitnehmer ist insolvenzgesichert,<br />

was dazu führt, dass die bAV noch genutzt<br />

wird“, so Schipp.<br />

Umgang mit den Schwankungen<br />

Trotzdem machen sich Berater, Produktanbieter,<br />

Versicherer <strong>und</strong> Arbeitgeber Gedanken<br />

darüber, wie sich Finanzierungs ri siken<br />

oder das Absinken der Versorgungsleistung<br />

vermeiden lassen. Koppeln Arbeitgeber<br />

künftig Verzinsungs- <strong>und</strong> Leistungsversprechen<br />

an die Entwicklung einer<br />

Rückdeckung oder definierter Kapitalwerte?<br />

Die Kapitalanlagegesellschaften spüren<br />

einen Aufschwung. Arbeitgeber stellen um<br />

auf wertpapiergeb<strong>und</strong>ene Zusagen, bei<br />

denen sich Aktiv- <strong>und</strong> Passiv-Seite im<br />

Gleichlauf bewegen, berichtet Christof Quiring,<br />

Head of Pension Solutions bei Fidelity<br />

Worldwide Investment. Seine Empfehlung:<br />

Mit der Garantie sollte aufgr<strong>und</strong> des langfristigen<br />

Anlagehorizonts in der bAV anders<br />

umgegangen werden. „Man muss nicht<br />

jedes Jahr einen festen Zins zuschreiben,<br />

sondern kann Wertschwankungen während<br />

der Ansparphase durchaus zulassen.“<br />

Wichtig sei, dass zum Ende der Laufzeit<br />

der Mitarbeiter sein Alterskapital entsprechend<br />

der Garantie ausbezahlt bekommt.<br />

Das zwinge Arbeitgeber <strong>und</strong> Anbieter „weise<br />

Kapitalanlage-Entscheidungen zu treffen“,<br />

doch der Zwang, jedes Jahr Zinsen gutzuschreiben,<br />

sei überflüssig.<br />

Die Versicherer überlegen, ob <strong>und</strong> wie sie<br />

künftig noch Garantien bereitstellen wollen.<br />

Prof. Dr. Dietmar Wellisch (links),<br />

Leiter des Instituts für Betriebliche<br />

Altersversorgung <strong>und</strong> Steuern der<br />

Universität Hamburg, moderierte<br />

zusammen mit Chefredakteur Erwin<br />

Stickling die bAV-Expertenr<strong>und</strong>e.<br />

6<br />

Sonderheft 07 | 2013<br />

www.personalwirtschaft.de


Die Alternative liegt in Produkten, die eine<br />

flexiblere Gestaltung erlauben, zum Beispiel<br />

in Form von temporären Garantien. Darauf<br />

verweist PwC-Berater Jürgen Helfen. Ohnehin<br />

resultiere die größte Herausforderung für<br />

die unternehmensfinanzierte bAV aus Änderungen<br />

in der Bilanzierung infolge des Bilanzrechtsmodernisierungsgesetzes<br />

(BiLMoG )<br />

<strong>und</strong> des internationalen Standards IAS 19.<br />

Hier wirke sich das aktuelle Zinsumfeld<br />

unmittelbar ergebniswirksam aus – ohne<br />

die Möglichkeit, Belastungsspitzen er -<br />

gebnisschonend zu verteilen oder im Rahmen<br />

eines Korridors aufzuschieben. Die<br />

Anwärter müssten allerdings die aktuellen<br />

niedrigeren Nominalrenditen im richtigen<br />

Kontext betrachten, nämlich unter Berücksichtigung<br />

einer ebenfalls historisch niedrigen<br />

Inflationsrate. „Insofern ist der Kaufkraftverlust<br />

der Versorgungskapitalien<br />

weniger drastisch, als in der presseseitigen<br />

Bewertung vielfach lanciert wird.“<br />

Matthias Edelmann von der Beratungsfirma<br />

Lurse Benefits Consultants erkennt den<br />

Trend, dass die bAV auf neue Systeme umgestellt<br />

wird. Unternehmen wollten Risiken<br />

minimieren <strong>und</strong> würden Mitarbeiter in der<br />

Verantwortung für Anlage- <strong>und</strong> Zinsrisiko<br />

sehen. Ein Modell: Unternehmen stellen<br />

Beträge bereit, um die Entgeltumwandlung<br />

zu bezuschussen. Zum anderen sei der<br />

Trend zu Matching-Systemen erkennbar,<br />

bei denen der Arbeitnehmerbeitrag den<br />

Arbeitgeberbeitrag auslöst. Und ein drittes<br />

Modell sehe vor, Mitarbeiter im Rahmen<br />

eines Life Cycle-Modells die Leistung der<br />

bAV wählen zu lassen. Ihrem individuellen<br />

Bedarf entsprechend können sie in eine<br />

reine Altersleistung <strong>und</strong>/oder Berufsunfähigkeitsabsicherung<br />

<strong>und</strong> Hinterbliebenen-<br />

Absicherung investieren.<br />

Kern der bAV: die Risikoübernahme<br />

Die bAV aufgr<strong>und</strong> der Niedrigzinsphase zu<br />

problematisieren <strong>und</strong> damit nur auf den<br />

Kapitalanlageerfolg zu reduzieren, ist ein<br />

Irrweg; niemand käme auf die Idee, nur so<br />

viele Gehälter auszuzahlen, wie es eine<br />

Kapitalanlage zulässt, lautet die Kritik von<br />

Gisbert Schadek, VdW: „Der Kern der bAV<br />

besteht darin, dass der Arbeitgeber dem<br />

Mitarbeiter Risiken abnimmt <strong>und</strong> Garantien<br />

gibt. Damit ist die Investition ein hervorragendes<br />

Instrument zur Mitarbeitergewinnung<br />

<strong>und</strong> -bindung, die sich für<br />

Arbeitgeber vor dem Hintergr<strong>und</strong> der demografischen<br />

Entwicklung wieder lohnt.“ Deshalb<br />

müsse die bAV auch wieder als arbeitgebermotivierte<br />

Leistung eingesetzt werden.<br />

Es sei bAV-immanent, dass Arbeitgeber<br />

Know-how, Personal, eine bessere Risikotragfähigkeit<br />

<strong>und</strong> größere Marktmacht<br />

bereitstellen. Eine moderne bAV werde aus<br />

diesem Gr<strong>und</strong> in Zukunft auf Risikosteuerungsstrukturen<br />

<strong>und</strong> Skaleneffekte in der<br />

Administration zurückgreifen. Diese an<br />

zentraler Stelle bereitgestellten Leistungen<br />

könnten Arbeitgeber bei der Umsetzung<br />

einer für sie im Wettbewerb nützlichen bAV<br />

unterstützen.<br />

Dass die Garantie <strong>und</strong> Verlässlichkeit der<br />

bAV als echte Errungenschaften auch in<br />

einer Niedrigzinsphase nicht verloren gehen<br />

dürfen, fordert auch Dr. Henriette Meissner,<br />

Geschäftsführerin der Stuttgarter Vorsorge-Management<br />

GmbH. „Wir müssen uns<br />

„ Die Garantie <strong>und</strong> Verlässlichkeit<br />

der bAV dürfen als echte<br />

Errungenschaften auch in einer<br />

Niedrigzinsphase nicht verloren<br />

gehen.<br />

Dr. Henriette Meissner, Geschäftsführerin,<br />

Stuttgarter Vorsorge-Management GmbH<br />

„ Unter Berücksichtigung einer<br />

historisch niedrigen Inflationsrate<br />

ist der Kaufkraftverlust der<br />

Versorgungskapitalien weniger<br />

drastisch als vielfach lanciert wird.<br />

Jürgen Helfen, Partner, Human Resource Services,<br />

Bereich Pensions, PricewaterhouseCoopers AG<br />

gemeinsam mit der Politik überlegen, wie<br />

sich der regulatorische Rahmen der bAV in<br />

einer solchen Phase anpassen lässt.“ Zum<br />

Beispiel greife die an sich richtige Zinszusatzreserve<br />

jetzt zur Unzeit <strong>und</strong> zwinge die<br />

Versicherer noch stärker in sicherere, aber<br />

niedrigverzinsliche Anlagen. Ähnlich verhalte<br />

es sich mit der Ausschüttung der<br />

Bewertungsreserven, bei denen sozusagen<br />

prozyklisch die Reserven einseitig an die<br />

heutigen K<strong>und</strong>en, die jetzt ihre Auszahlung<br />

bekommen, ausgeschüttet werden <strong>und</strong> nicht<br />

mehr zur mittelfristigen Glättung der Überschüsse<br />

<strong>und</strong> Garantie in der jetzigen Niedrigzinsphase<br />

zur Verfügung stehen.<br />

Wunsch, Wille <strong>und</strong> Weg<br />

Der prozentuale Anteil der Beschäftigten<br />

mit bAV-Anwartschaften hat sich in den<br />

letzten neun Jahren kaum mehr erhöht,<br />

stellt der Alterssicherungsbericht 2012 der<br />

B<strong>und</strong>esregierung fest. Er liegt bei fast<br />

60 Prozent. Allerdings: Beschäftigte in kleineren<br />

Unternehmen <strong>und</strong> weniger gut gebildete<br />

Mitarbeiter mit geringem Einkommen<br />

Sonderheft 07 | 2013 www.personalwirtschaft.de 7


BETRIEBLICHE ALTERSVERSORGUNG<br />

Ro<strong>und</strong> Table<br />

profitieren noch nicht davon, stellt der<br />

Bericht fest. Wie also die bAV verbreiten?<br />

Mitarbeiter mobilisieren oder von Betrieb<br />

zu Betrieb gehen? Kleine <strong>und</strong> mittlere Unternehmen<br />

bis zu 250 Mitarbeiter für eine<br />

bAV zu gewinnen, sei für die Anbieter<br />

extrem aufwendig, erklärt Robert Müller<br />

vom Sparkassen Pensionsmanagement.<br />

Zudem kann eine umfassende Beratung,<br />

die fünf Durchführungswege umfasse <strong>und</strong><br />

auch die aktuelle Rechtsprechung berücksichtige,<br />

oftmals nicht angemessen honoriert<br />

werden. Sein Resümee: Die bAV<br />

müsse einfacher werden <strong>und</strong> es seien<br />

Ansprechpartner für die Unternehmen in<br />

der Fläche erforderlich. Weitere Durchführungswege<br />

<strong>und</strong> auch gesetzliche Verpflichtungen<br />

steigerten nur die Komplexität <strong>und</strong><br />

seien wenig hilfreich. Müller ist überzeugt:<br />

„Mittelfristig wird der demografische Effekt<br />

als Treiber wirken, sodass Arbeitgeber von<br />

sich aus die bAV einführen werden, insbesondere<br />

bei den KMU.“<br />

Dass eine vermehrte Aufklärung der Arbeitnehmer<br />

über das Recht zur Entgeltumwandlung<br />

zu einer intensiveren Nutzung führt,<br />

bezweifelt dagegen Arbeitsrechtler Johannes<br />

Schipp. „Man darf diesen Weg nicht<br />

schön reden. Die Bevölkerungsgruppen,<br />

die am dringendsten eine Absicherung für<br />

das Alter benötigen, haben oft gar nicht die<br />

Mittel, an der Entgeltumwandlung teilzunehmen.“<br />

Dies bestätigt der Alterssicherungsbericht:<br />

Beschäftigte mit einem höheren<br />

Bruttolohn verfügen häufiger über eine<br />

zusätzliche Altersvorsorge als Beschäftigte<br />

mit einem niedrigeren Bruttolohn.<br />

Auch mit der Angst vor der Altersarmut zu<br />

argumentieren, ist insofern kontraproduktiv,<br />

da die Basis dafür ganz früh gelegt werde<br />

<strong>und</strong> nicht erst im Alter, merkt Matthias<br />

Edelmann, Lurse Benefits, an. Auch das<br />

belegt der Alterssicherungsbericht: Bei den<br />

Personen ab 65 Jahren, die Gr<strong>und</strong>sicherung<br />

beziehen, ist der Anteil der Personen<br />

ohne abgeschlossene Berufsausbildung mit<br />

46 Prozent fast doppelt so hoch, wie in der<br />

Gruppe der Senioren ohne Gr<strong>und</strong>sicherungsbezug.<br />

Aufzuklären <strong>und</strong> Bewusstsein zu schärfen,<br />

sei prinzipiell schon der richtige Weg, der<br />

betriebsinterne Hindernisse auf dem Weg<br />

zur flächendeckenden Verbreitung aufzeigt,<br />

betont Rudolf Kast, ehemaliger Personalchef<br />

bei der Sick AG <strong>und</strong> nun als Vorstandsvorsitzender<br />

in der Initiative Demographie<br />

Netzwerk (ddn) engagiert. So haben zwar<br />

Betriebe ab 300 Mitarbeiter eine eigene<br />

Personalfunktion, „doch die ist mit dem<br />

Tagesgeschäft ausgelastet <strong>und</strong> lässt keinen<br />

Spielraum für die Beschäftigung mit der<br />

bAV zu“. Neben dem mangelnden Wissen<br />

fehlten im Mittelstand Kapazitäten. Nicht<br />

zu unterschätzen sei auch „die abschreckende<br />

Wirkung der Komplexität der bAV“.<br />

In diesem Zusammenhang übt Kast Kritik<br />

an Beratern <strong>und</strong> Produktanbietern. „Wenn<br />

es gelingen soll, die KMU zu interessieren,<br />

dann müssen sie an einer angemessenen<br />

Sprache <strong>und</strong> Kommunikation <strong>und</strong> einfach<br />

umzusetzenden Modellen arbeiten.“ Das<br />

häufig gehörte Argument der Komplexität<br />

lässt Christof Quiring von Fidelity Worldwide<br />

Investment nicht gelten. Diese ließe<br />

sich durch eine Direktversicherung oder<br />

eine Branchenlösung via Pensionskasse<br />

„ Die Bevölkerungsgruppen, die<br />

am dringendsten eine Absicherung<br />

für das Alter benötigen, haben<br />

oft gar nicht die Mittel, an der<br />

Entgeltumwandlung teilzunehmen.<br />

Dr. Johannes Schipp, Sozius, Kanzlei<br />

Tschöpe/Schipp/Clemenz<br />

„ Wir können es uns nicht<br />

leisten, dass ein Großteil der<br />

Arbeitnehmer die Entscheidung<br />

zur Entgeltumwandlung<br />

hinausschiebt, bis irreparable<br />

Versorgungslücken entstanden<br />

sind.<br />

Dr. Ralf Laghzaoui, Partner, Head of Pension<br />

Consulting Centers, Mercer Deutschland<br />

oder Pensionsfonds reduzieren. „Es ist vielmehr<br />

ein Anreizproblem. Deswegen plädiere<br />

ich für das Opting-out-Modell, das<br />

jeden Mitarbeiter <strong>und</strong> Arbeitgeber zwingt,<br />

sich mit bAV zu beschäftigten.“ So habe die<br />

Einführung von Auto Enrollment mit Opting-<br />

Out in den USA in 2006 zu signifikant höheren<br />

Beteiligungsraten geführt. Seit letztem<br />

Jahr hat auch Großbritannien ein solches<br />

System eingeführt, um die zweite Säule<br />

nachhaltig zu stärken.<br />

Überstülpen oder Geduld zeigen?<br />

Für das Opting-Out-Modell plädiert auch<br />

Mercer-Berater Ralf Laghzaoui. Denn angesichts<br />

der demografischen Herausforderungen<br />

„können wir es uns nicht leisten,<br />

dass ein Großteil der Arbeitnehmer die Entscheidung<br />

zur Entgeltumwandlung immer<br />

wieder hinausschiebt, bis schließlich irreparable<br />

Versorgungslücken entstanden<br />

sind.“ Zu einem anderen Schluss kommt<br />

Henriette Meissner: Sie hält nichts davon,<br />

den KMU, die gerade verstärkt vor dem<br />

Hintergr<strong>und</strong> des demografischen Wandels<br />

8<br />

Sonderheft 07 | 2013<br />

www.personalwirtschaft.de


„ Wir haben ein Anreizproblem.<br />

Deshalb plädiere ich für ein<br />

Opting-Out-Modell, das jeden<br />

Mitarbeiter <strong>und</strong> Arbeitgeber<br />

zwingt, sich mit bAV auseinanderzusetzen.<br />

Christof Quiring, Head of Pension Solutions,<br />

Fidelity Worldwide Investment<br />

„ Wenn KMU Mitarbeiter gewinnen<br />

<strong>und</strong> binden wollen, sind sie<br />

bereit, in Sozialleistungen,<br />

Benefits <strong>und</strong> bAV zu investieren.<br />

Matthias Edelmann, Vorstand, Lurse Benefits<br />

Consultants AG<br />

bAV als wichtiges Instrument für sich entdecken,<br />

das Auto-Enrollment „überzustülpen“.<br />

Wenn der Nutzen der bAV zuvor nicht<br />

verstanden werde, würde diese Pseudo -<br />

lösung nur zur weiteren Flucht aus den<br />

Sozialsystemen führen, um dieser neuen<br />

Zwangsabgabe zu entgehen. Außerdem rät<br />

die Geschäftsführerin vom Stuttgarter Vorsorge-Management<br />

zu mehr Geduld in der<br />

Politik, auch in KMU, die bAV verbreiten<br />

zu wollen. So haben zum Beispiel die Sozial -<br />

partner der als vorbildlich geltenden Chemieindustrie<br />

mehr als 15 Jahre benötigt,<br />

um eine Durchdringungsquote von r<strong>und</strong><br />

80 Prozent in ihren Betrieben zu erreichen.<br />

„Wir können nicht erwarten, dass die KMU<br />

jetzt schon so weit sind, für die oft erst mit<br />

dem gesetzlichen Festschreiben der Sozial -<br />

versicherungsersparnis 2007/2008 der<br />

Startschuss für die bAV gefallen ist.“ Dort<br />

müsse Überzeugungsarbeit geleistet werden,<br />

damit bAV nicht als staatliche Zwangsaktion<br />

missverstanden werde. Gruppenverträge<br />

der letzten Jahre zeigten, dass gerade<br />

in KMU die Kofinanzierung, also der Arbeitgeberzuschuss<br />

zur Entgeltumwandlung,<br />

verstanden <strong>und</strong> umgesetzt wird.<br />

Matthias Edelmann sieht es als problematisch<br />

an, dass kleine Unternehmen nicht<br />

immer bedarfsgerecht beraten werden <strong>und</strong><br />

Beratungsmodelle häufig eher auf teure<br />

versicherungsförmige Konzepte hinauslaufen<br />

als auf echte betriebliche Altersversorgungssysteme.<br />

Bei renditeschwachen Produkten<br />

führe dies losgelöst von der<br />

Zinsdiskussion zu immensen Kosten. Edelmann:<br />

„Aber die betriebliche Vorsorge wird<br />

dann in KMU zum Thema, wenn sie Mitarbeiter<br />

gewinnen <strong>und</strong> binden wollen.“ In dieser<br />

Situation seien sie bereit, in Sozialleistungen,<br />

Benefits <strong>und</strong> bAV zu investieren.<br />

Verbände ins Boot holen<br />

Doch es gibt einen Königsweg für die Verbreitung<br />

der bAV, den die Experten favorisieren.<br />

Nicht nur Rudolf Kast sieht die Verbände,<br />

Kammern <strong>und</strong> Innungen in der<br />

Pflicht. Ob im Handwerk oder der Industrie,<br />

hier herrsche Bedarf, den der einzelne<br />

kleine Betrieb nicht stemmen könne.<br />

„Wenn aber die Standesorganisationen eine<br />

Hilfestellung geben, gezielt beraten <strong>und</strong><br />

entsprechende Abschlüsse für das Netzwerk<br />

mit konkreten Umsetzungsangeboten<br />

für die Betriebe tätigen, würden viel<br />

mehr Arbeitnehmer von der bAV profitieren.“<br />

Wie gut das funktioniere, zeige sich<br />

beispielsweise in der Chemie- sowie der<br />

Metall- <strong>und</strong> Elektroindustrie.<br />

Die Arbeitgeberverbände müssen mit ins<br />

Boot kommen, stimmt Ralf Laghzaoui von<br />

Mercer zu, „denn sie haben die Verhandlungsmacht,<br />

können eine Qualitätssicherung<br />

herbeiführen <strong>und</strong> für die einzelnen<br />

Branchen richtige Lösungen vorselektieren,<br />

sodass in der Folge die Akzeptanz bei Arbeitnehmern<br />

wächst.“ Um das Problem an der<br />

Wurzel zu packen, müssen die Verbände<br />

aktiv werden, wünscht sich ebenso Gisbert<br />

Schadek.<br />

„Was fehlt, ist ein Frame Work für die Durchführung<br />

der betrieblichen Altersversorgung,<br />

das Standards für Abwicklung <strong>und</strong><br />

Durchführung setzt <strong>und</strong> allen Arbeitgebern<br />

zur Verfügung steht.“ Der VdW Versorgungsverband,<br />

der aus einem Umfeld der<br />

Kammern <strong>und</strong> Verbände kommt, hat die<br />

Initiative Deutsche Betriebsrente als Verein<br />

aufgesetzt, der das administrative Thema<br />

der bAV ohne Vertriebs- oder Finanzierungsinteressen<br />

vorantreibt. Der Verein<br />

favorisiert die Etablierung einer produkt -<br />

unabhängigen Online-Plattform, die alle<br />

Versorgungsansprüche sowohl für den<br />

Arbeitgeber als auch Arbeitnehmer transparent<br />

verwaltet, unabhängig davon, aus<br />

welcher Quelle die Ansprüche stammen.<br />

Auszeiten anbieten<br />

Sehr kontrovers diskutieren die Experten<br />

das Thema Zeitwertkonto. Dass nur zwei<br />

Prozent aller untersuchten Unternehmen<br />

ein Zeitwertkonto implementiert haben, lautet<br />

ein Ergebnis der Begutachtung des Flexi<br />

II. Die Erfahrung der Berater dagegen: Im<br />

gehobenen Mittelstand mit zwischen 500<br />

<strong>und</strong> 1000 Mitarbeitern liege die Verbreitung<br />

deutlich darüber. Nicht nur in der Chemieindustrie,<br />

auch im öffentlichen Sektor, bei<br />

den Banken <strong>und</strong> in der Metallbranche gibt<br />

es hohe Umsetzungsquoten, berichtet Ralf<br />

Sonderheft 07 | 2013 www.personalwirtschaft.de 9


BETRIEBLICHE ALTERSVERSORGUNG<br />

Ro<strong>und</strong> Table<br />

Laghzaoui von Mercer. Demografischer Wandel,<br />

Ressourcenmanagement, Verringerung<br />

des Krankenstandes <strong>und</strong> Mitarbeitergewinnung<br />

seien die zentralen Argumente für diese<br />

Arbeitgeber. Mit dem „Trumpf“ von Auszeiten<br />

für Arbeitnehmer <strong>und</strong> flexiblen<br />

Vorruhestandslösungen kommen sie nicht<br />

nur den Bedürfnissen ihrer Mitarbeiter entgegen,<br />

„sondern sie verfolgen eine langfristige<br />

Personalstrategie im Ressourcen -<br />

management“. Was noch fehle, sei ein<br />

rechtlich gesicherter Rahmen, der auch eine<br />

Kombination von Teilzeit, gesetzlicher Teilrente<br />

sowie Teil-bAV klarer regelt.<br />

Ein positives Beispiel liefert die Sick AG,<br />

die 2004 Zeitwertkonten eingeführt hat –<br />

im Vorfeld jedoch auch ein flexibles, lebensphasenorientiertes<br />

Arbeitszeitmodell (siehe<br />

auch Seite 16). Dies ist die Gr<strong>und</strong>voraussetzung,<br />

so Rudolf Kast, denn man<br />

müsse den Beschäftigten die Möglichkeiten<br />

für Auszeiten auch bieten können. Damit<br />

aber auch die Niedrigverdiener dazu motiviert<br />

werden, in das Zeitwertkonto einzuzahlen,<br />

führte man die Wahlmöglichkeit<br />

ein: zwischen Ansparung von Zeit in Geld<br />

(Wertguthabenregelung nach SGB) oder<br />

alternativ in die bAV. 50 Prozent der berechtigten<br />

Beschäftigten nutzen bei Sick die<br />

Wahlmöglichkeiten. Auch könnten die Mitarbeiter<br />

jedes Jahr neu entscheiden, wie sie<br />

die Zeit „anlegen“ wollen. Kast: „Ich bin<br />

nach wie vor ein großer Fan vom Zeitwertkonto,<br />

weil damit auch Bezieher niedriger<br />

Entgeltgruppen über die Umwandlung von<br />

Zeit von den Segnungen eines Zeitwertkontos<br />

oder der bAV profitieren.“<br />

Über Zeitwertkonten eine Auszeit zu realisieren,<br />

was manchem großen Arbeitgeber<br />

gelinge, sei durchaus zu begrüßen, sagt<br />

Johannes Schipp, Sozius von Tschöpe/<br />

Schipp/Clemenz. Aber er mahnt zu einem<br />

Blick in die betrieblichen Realitäten, denn<br />

viele mittelständische Unternehmen haben<br />

schon heute das Problem, qualifizierte Mitarbeiter,<br />

die vor dem Ruhestand stehen,<br />

gehen zu lassen. „Im Gegenteil, sie bieten<br />

zum Teil Anreize-Modelle, um beispielsweise<br />

Spezialisten wieder in das Werk zu holen,<br />

weil sie die Fachleute nicht mehr auf dem<br />

Markt gewinnen können.“ Deshalb können<br />

sie Auszeiten im bestehenden Arbeitsverhältnis<br />

ihrer Mitarbeiter oft nicht kompensieren.<br />

Rudolf Kast argumentiert dagegen:<br />

Gut aufgestellte Arbeitgeber schaffen es,<br />

Auszeiten zu organisieren, sowohl während<br />

der Berufsphase als auch für die vorruhestandsnahe<br />

Freistellung. „Es ist keine Frage,<br />

ob ein Unternehmen die Kapazitäten hat,<br />

sondern es ist unabdingbar, dies zu organisieren.“<br />

Wegen der demografischen Entwicklung<br />

bleibe nichts anderes übrig, als ein intelligentes,<br />

flexibles System einzuführen <strong>und</strong><br />

Mitarbeitern, die bis 67 Jahre arbeiten müssen,<br />

Auszeiten anzubieten.<br />

Zeitwertkonto <strong>und</strong> Fallstricke<br />

„ Was fehlt, ist ein Framework für<br />

die Durchführung der betrieblichen<br />

Altersversorgung, das Standards<br />

für Abwicklung <strong>und</strong> Durchführung<br />

setzt <strong>und</strong> allen Arbeitgebern zur<br />

Verfügung steht.<br />

Gisbert Schadek, Geschäftsführer,<br />

VdW Versorgungsverband, LuGIS GmbH<br />

„ Ich bin ein großer Fan vom<br />

Zeitwertkonto, weil damit auch<br />

Bezieher niedriger Entgeltgruppen<br />

von den Segnungen eines Zeitwertkontos<br />

oder der bAV profitieren.<br />

Rudolf Kast, Vorstandsvorsitzender, Das Demographie<br />

Netzwerk (ddn), ehem. Personalchef der Sick AG<br />

Für Unternehmen, die Freistellungen nicht<br />

kompensieren können, ist das Angebot von<br />

Zeitwertkonten kontraproduktiv. „Generell<br />

machen Zeitwertkonten viel Sinn“, stimmt<br />

Jürgen Helfen von PwC zu, die Arbeitgeber<br />

müssten jedoch realisieren, dass die Verpflichtungen<br />

sie unter Umständen Jahrzehnte<br />

begleiten, mit Auswirkungen auf<br />

Reporting, Administration <strong>und</strong> Insolvenzsicherung.<br />

Bei den Mitarbeitern setze die<br />

Einführung von Zeitwertkonten das Interesse<br />

voraus <strong>und</strong> die substanzielle Dotierungsfähigkeit<br />

müsse vorhanden sei. „Wer<br />

am Ende nur zwei Monate Freisetzung<br />

erreicht, für den macht das Zeitwertkonto<br />

keinen Sinn, für den Arbeitgeber ist es dagegen<br />

ein enormer Aufwand.“<br />

Etliche rechtliche Fallstricke liegen auf dem<br />

Weg bei der Gestaltung betrieblicher Versorgungsstrukturen<br />

<strong>und</strong> Nutzung von Zeitwertkonten.<br />

Es gibt allein aus der jüngeren<br />

Vergangenheit fünf verschiedene Urteile<br />

von Finanzgerichten, die sich mit der Auslagerung<br />

von Versorgungsverpflichtungen<br />

auf Pensionsfonds befassen, berichtet<br />

Arbeitsrechtler Johannes Schipp. Wie sollen<br />

sich also Unternehmen verhalten? „Sie<br />

schließen immer einen Wechsel auf die<br />

Zukunft ab, weil die rechtliche Klärung häufig<br />

Jahre verschlingt <strong>und</strong> der Ausgang von<br />

Gerichtsverfahren oft nur schwer prognostiziert<br />

werden kann.“ Solange die Rechtslage<br />

unklar sei, werde jeder Berater empfehlen,<br />

abzuwarten. Dabei sei zu beachten,<br />

10<br />

Sonderheft 07 | 2013<br />

www.personalwirtschaft.de


dass sich gerade bei betrieblichen Versorgungsthemen<br />

bestehende Risiken vielfach<br />

erst in der Folgegeneration auswirken.<br />

Zudem liegt ein großer Nachteil der Zeitwertkonten<br />

in den eingeschränkten Freiheitsgraden.<br />

Beim Wechsel zu einem anderen<br />

Arbeitgeber wird die Portabilität sehr<br />

restriktiv gehandhabt, vor allem die „Einbahnstraße<br />

in die gesetzliche Rentenversicherung<br />

ist keine echte Lösung“, ergänzt<br />

Henriette Meissner. Geschäftsführer <strong>und</strong><br />

Organe seien steuerlich ohne überzeugende<br />

Gründe ausgeschlossen, die Treuhandmodelle<br />

nicht gesetzlich abgesichert <strong>und</strong><br />

viele arbeitsrechtliche Fragestellungen letztlich<br />

nicht so geklärt, dass KMU die Zeitwertkonten<br />

einfach handhaben könnten.<br />

Moderator Professor Dietmar Wellisch gibt<br />

ein weiteres Contra-Argument vor: In Unternehmen,<br />

die mit Zeitwertkonten arbeiten,<br />

ist die Anzahl der Mitarbeiter, die sich beteiligen,<br />

nicht groß. „Wir sollten die Mitarbeiter<br />

selbst entscheiden lassen. Eine Teilnahmequote<br />

von 50 Prozent beispielsweise bei<br />

der Sick AG zeigt, dass der Bedarf vorhanden<br />

ist“, entgegnet Christof Quiring, Fidelity.<br />

Er berichtet von Branchen, in denen<br />

Sozialpartner <strong>und</strong> Arbeitgeber die Notwendigkeit<br />

<strong>und</strong> den Nutzen sehen, um Mitarbeitern<br />

mithilfe eines Langzeitkontos einen<br />

vorzeitigen Ausstieg aus dem Berufsleben<br />

zu ermöglichen, beispielweise Hafenbetriebe,<br />

Stadtwerke oder Verkehrsbetriebe. „Das<br />

Geld, das Arbeitgeber für altersbedingte<br />

Krankheitszeiten <strong>und</strong> Vorruhestandslösungen<br />

ausgeben müssen, lässt sich sinnvoller<br />

bereits frühzeitig über die Zeit verteilt in<br />

Zeitwertkonten einzahlen.“ Unter diesen<br />

„ Ideal wäre es, bAV <strong>und</strong> Zeitwertkonten<br />

zusammenzuführen, anstatt sie<br />

parallel zu betreiben.<br />

Robert Müller, Geschäftsführer der<br />

S-PensionsManagement GmbH, Vorstand der<br />

Tochtergesellschaften Sparkassen Pensionskasse AG<br />

<strong>und</strong> Sparkassen Pensionsfonds<br />

Bedingungen zeigten sich hohe Teilnahmequoten,<br />

da die Mitarbeiter die Kofinanzierung<br />

als fair ansehen <strong>und</strong> eine höhere Bereitschaft<br />

zeigen, sich selbst zu beteiligen.<br />

Zusammenführung bAV <strong>und</strong> ZWK<br />

Eine weiterer kritischer Punkt: bAV <strong>und</strong> Zeitwertkonten<br />

stellen Produkte dar, die sich aus<br />

Sicht des Arbeitnehmers kannibalisieren.<br />

Einerseits brauchen <strong>und</strong> wollen sie eine<br />

betriebliche kapitalgedeckte Altersversorgung<br />

für eine ausreichende Rente, andererseits<br />

besteht der Wunsch nach Flexibilität in<br />

der Erwerbsphase <strong>und</strong> nach einer individuellen<br />

Gestaltung des Übergangs zum Ruhestand,<br />

beschreibt Robert Müller. Beides nebeneinander<br />

würden die meisten Arbeitnehmer<br />

nicht finanzieren können. „Warum wird also<br />

kein Rahmen geschaffen, der beides ermöglicht:<br />

Aufbau eines Kapitals, das in Teilen<br />

gegebenenfalls für eine Flexibilisierung der<br />

Lebensarbeitszeit genutzt werden kann <strong>und</strong><br />

ansonsten für eine Altersrente zur Verfügung<br />

steht?“ Denn wer könne im 30. Lebensjahr<br />

schon wissen, ob er aus ges<strong>und</strong>heitlichen<br />

Gründen eine Arbeitszeitverkürzung<br />

ab dem 60. Lebensjahr benötigt <strong>und</strong> deshalb<br />

einen Teil des Kapitals zur Reduzierung der<br />

Arbeitszeit verwenden muss? Die aktuellen<br />

Rahmenbedingungen ließen eine entsprechende<br />

Verknüpfung nicht zu. Ideal wäre es,<br />

die beiden Modelle zusammenzuführen,<br />

anstatt sie parallel zu betreiben. Denn so<br />

könnten Aufwand <strong>und</strong> Komplexität reduziert<br />

werden – sowohl für den Arbeitgeber als auch<br />

für den Arbeitnehmer.<br />

Generell ließe sich die Komplexität von Zeitwertkonten<br />

<strong>und</strong> bAV reduzieren, wenn dem<br />

Arbeitgeber ein Instrument an die Hand<br />

gegeben wird, das einfach zu bedienen ist,<br />

<strong>und</strong> hinter dem System administrative Kräfte<br />

zur Verfügung stellt, die das erledigen,<br />

was der Arbeitgeber ohne zusätzliches Personal<br />

nicht bewerkstelligen kann, erklärt<br />

Gisbert Schadek. „Eine einheitliche Verwaltungsplattform,<br />

an der sowohl der Arbeitgeber<br />

als auch externe Fachassistenten arbeiten,<br />

also ein virtuelles gemeinschaftliches<br />

Büro, das sich um die Abwicklung der Versorgungsleistungen<br />

kümmert, ist ein wesentlicher<br />

Faktor, der gut angenommen wird.“<br />

Auch entstehe durch die zentrale Verwaltung<br />

der Zeitwertkonten eine gute Portabilität.<br />

Wenn sich Daten auf einem einheitlichen<br />

System befinden, auf das Arbeitgeber<br />

<strong>und</strong> Mitarbeiter über individuelle Accounts<br />

zugreifen können, entstehe über das Arbeitnehmer-Konto<br />

ein Überblick über die unterschiedlichen<br />

Anwartschaften.<br />

Alte Modelle im Kommen<br />

Mehrere Berater beobachten eine Renaissance<br />

des Cafeteria-Modells, bei dem Mitarbeiter<br />

aus einem Portfolio an Leistungen<br />

wählen können. „Dieses Modell entspricht<br />

den heutigen Gewohnheiten, sich selbst<br />

Informationen <strong>und</strong> Produkte im Internet<br />

zusammensuchen <strong>und</strong> sich so ein maßgeschneidertes<br />

Portfolio zusammenzustellen“,<br />

erläutert Matthias Edelmann. Um ein<br />

solches Modell erfolgreich zu etablieren,<br />

müssten die Benefits wie bAV, Mobilität,<br />

Flexibilisierung der Arbeitszeit, technische<br />

Ausstattung oder Kinderbetreuung spezifisch<br />

ausgerichtet <strong>und</strong> nach unterschiedlichen<br />

Generationen <strong>und</strong> Lebensphasen der<br />

Mitarbeiter im Unternehmen differenziert<br />

werden. Letztendlich könnten auf diesem<br />

Weg personalpolitische Ziele mit einem<br />

Matching-up durch den Arbeitgeber zeitnah<br />

<strong>und</strong> effektiv gesteuert werden.<br />

Allerdings ist es kaum vorstellbar, dass das<br />

Modell der Politik gefällt, die eine bAV eher<br />

als Notwendigkeit denn als Benefit verstanden<br />

wissen will – auch wenn der Gesetzgeber<br />

wenig dafür tut, dass wichtige gesetzliche<br />

Rahmenbedingungen der bAV optimiert,<br />

beziehungsweise einfach geregelt werden.<br />

Christiane Siemann, freie Journalistin, Bad Tölz<br />

Sonderheft 07 | 2013 www.personalwirtschaft.de 11


BETRIEBLICHE ALTERSVERSORGUNG<br />

Forum<br />

Auf zu neuen Ufern<br />

Ohne attraktive Betriebsrente bandeln High Potentials nicht mehr mit Unternehmen an. Deshalb müssen Personaler<br />

ihre Vorsorgesysteme auf den Prüfstand stellen <strong>und</strong> sich von finanziell denkwürdigen Konzepten lösen.<br />

K<br />

lingt gut: „Wollen Sie Ihre Mitarbeiter<br />

langfristig an die Firma binden“,<br />

heißt es in einem Radiospot der Sparkassen<br />

sinngemäß, „zeigen wir Ihnen die<br />

richtigen Lösungen dazu.“ Betriebliche<br />

Altersversorgung, Zeitkonten <strong>und</strong> Firmenwagen:<br />

So funktioniert Retention<br />

Management aus Sicht der Banker.<br />

So löblich das Ansinnen der Sparkassen<br />

auch ist – die Wirtschaft ist weit davon<br />

entfernt, die Mitarbeiterbindung als strategisches<br />

Thema zu verfolgen. Vor allem<br />

die betriebliche Altersversorgung (bAV)<br />

als Dreh- <strong>und</strong> Angelpunkt lässt zu wünschen<br />

übrig. Zwar schätzen viele Unternehmen<br />

die bAV im Vergleich zu anderen<br />

Vorsorgesystemen hoch ein. Danach<br />

befragt, ob sie sich aktiv an der Zukunftssicherung<br />

ihrer Beschäftigten beteiligen,<br />

zeigen sich die Unternehmen jedoch<br />

„ Die Zeitschrift Finanztest urteilt: Private Altersvorsorge wie das<br />

„Riestern“ ist der Entgeltumwandlung überlegen – es sei denn, der<br />

Arbeitgeber beteiligt sich an der bAV.<br />

äußerst reserviert. So lautet das denkwürdige<br />

Ergebnis einer TED-Umfrage<br />

anlässlich der vom Handelsblatt ausgerichteten<br />

bAV-Jahrestagung, die Mitte<br />

März in Berlin stattfand. R<strong>und</strong> 300 Konferenzteilnehmer,<br />

überwiegend Personalverantwortliche<br />

aus deutschen Betrieben,<br />

beteiligten sich daran. In der Mitverantwortung<br />

ihrer Unternehmen bei der bAV<br />

der Beschäftigten sehen sich lediglich 20<br />

12<br />

Sonderheft 07 | 2013<br />

www.personalwirtschaft.de


„<br />

Ohne hinreichend informiert worden zu sein, unterschreiben Mitarbeiter einen Vertrag,<br />

stellen nach kurzer Zeit aber fest, dass die Beiträge ihr Budget strapazieren.<br />

Holger Scheepers, Leiter Compensation, Payroll & People Development, TNT Express<br />

Prozent. Nur zehn Prozent würden sich<br />

für eine stärkere Beteiligung ihrer Firmen<br />

an der bAV verwenden.<br />

Attraktive Pakete schnüren<br />

Die breit diskutierten positiven Effekte<br />

einer arbeitgeberunterstützten bAV werden<br />

nach wie vor ignoriert. Attraktive<br />

Altersvorsorge stärkt das Arbeitgeber -<br />

image <strong>und</strong> damit unterstreichen Unternehmen<br />

ihre soziale Kompetenz, betonen<br />

Experten bei jedweder Gelegenheit. Davon<br />

überzeugt ist auch Peter Meussen, Personal-<br />

<strong>und</strong> Verwaltungsleiter der Deutsche<br />

Ingenico Holding GmbH (DI) in Ratingen,<br />

die Zahlungsverkehrslösungen anbietet.<br />

Eine derartige betriebliche Sozialleistung<br />

eröffne dem Unternehmen eindeutig, „junge<br />

Talente zunächst besser gewinnen <strong>und</strong><br />

dann langfristig binden zu können“.<br />

Damit die Signale nicht ungehört verhallen,<br />

sattelt Meussen ein Paket auf die bAV<br />

oben drauf: eine private Berufsunfähigkeitsversicherung,<br />

die ohne Ges<strong>und</strong>heitsprüfung<br />

auskommt. So reagiere DI auf<br />

das Problem, dass Beschäftigte laut Gesetz<br />

zwar künftig länger arbeiten sollen, aber<br />

zugleich krankheitsbedingt in großer Zahl<br />

vorzeitig aus dem Berufsleben ausscheiden,<br />

wie Studien belegen. Danach, so fasst<br />

Meussen neueste Erkenntnisse zusammen,<br />

fällt jeder vierte Arbeitnehmer vor<br />

Renteneintritt aus dem Erwerbsleben aus,<br />

während „lediglich jeder zehnte im Besitz<br />

einer privaten Berufsunfähigkeitsversicherung<br />

ist“.<br />

Die bAV mit einer solchen sozialen Leistung<br />

aufzuwerten, ist eine „intelligente<br />

<strong>und</strong> wirkungsvolle Alternative“, wie sich<br />

Unternehmen als Arbeitgeber profilieren<br />

können. Das meint Detlef Lülsdorf, Renten-<br />

<strong>und</strong> Versicherungsberater <strong>und</strong> Sprecher<br />

des B<strong>und</strong>esverbandes der Rechtsberater<br />

für betriebliche Altersversorgung<br />

<strong>und</strong> Zeitwertkonten e.V. (BRBZ). Um Mitarbeiter<br />

langfristig für das Unternehmen<br />

zu gewinnen, gehen bAV <strong>und</strong> beispielsweise<br />

eine Berufsunfähigkeitsversicherung<br />

laut Lülsdorf dann eine vorteilhafte<br />

Allianz ein, wenn sich zum Potpourri<br />

noch ein professionelles Ges<strong>und</strong>heitsmanagement<br />

hinzugesellt.<br />

Transparenz fördern<br />

Jedoch kaum als Alternative tauge, was<br />

viele Makler ihren K<strong>und</strong>en weismachen<br />

wollten. Lülsdorf: „Bisher sind Unternehmen<br />

bei der Suche nach Bindungsinstrumenten<br />

oft auf Versicherungsangebote hereingefallen.“<br />

Denn wer glaubt, die bAV sei<br />

eine karitative Einrichtung, irrt gewaltig.<br />

Sich vor findigen Versicherungsangeboten<br />

zu schützen, hält auch Holger Scheepers<br />

für vordringlich. Bei der TNT Express<br />

GmbH ist er für Compensation, Payroll &<br />

People Development zuständig. Vermittler<br />

<strong>und</strong> Makler stünden täglich auf der<br />

Matte. Häufig würden Versicherungsagenten<br />

mit hohen Teilnahmequoten werben.<br />

Liege die aktuelle Quote im Betrieb etwa<br />

bei 20 Prozent, zögen die Verkäufer sofort<br />

das Argument aus dem Köcher, mit ihrer<br />

Versicherungslösung stiege sie schnell auf<br />

70 Prozent. Wer sich darauf einließe, warnt<br />

Scheepers, sehe sich bald mit bitteren Konsequenzen<br />

konfrontiert.<br />

„Ohne hinreichend informiert worden zu<br />

sein“, skizziert Scheepers das landläufige<br />

Prozedere, „unterschreiben Mitarbeiter<br />

einen Vertrag, stellen nach kurzer Zeit<br />

aber fest, dass die Beiträge ihr Budget<br />

strapazieren. Die Folge sind hohe Freistellungsquoten.“<br />

Wer sich nach dem Rentenanspruch<br />

erk<strong>und</strong>ige, müsse leidvoll<br />

erfahren, dass die magere Ausbeute hohen<br />

Abschlusskosten geschuldet sei. Damit<br />

spricht der Personaler ein zentrales Manko<br />

an: Mangelnde Transparenz der Versicherungsangebote.<br />

Niemand versteht<br />

die Vertragskniffe.<br />

So wird als Vorteil der bAV oft angepriesen,<br />

man könnte ja Sozialbeiträge sparen.<br />

Das klingt gut <strong>und</strong> wird den Arbeitnehmern<br />

für den Zeitraum bis Rentenbeginn<br />

in Euro <strong>und</strong> Cent gern vorgerechnet.<br />

Das Wichtigste wird verschwiegen:<br />

Seit 2005 greift das Finanzamt bei<br />

Betriebsrenten stärker zu. Der Versorgungsfreibetrag<br />

wird seitdem schrittweise<br />

abgebaut, ab 2040 ist die Betriebsrente<br />

voll zu versteuern <strong>und</strong> zugleich knapst<br />

an ihr die Kranken- <strong>und</strong> Pflegeversicherung.<br />

Anders als bei der Riester-Rente sind auf<br />

die Betriebsrenten volle Beiträge an die<br />

Kranken- <strong>und</strong> Pflegekasse zu zahlen.<br />

Zudem mindern eingesparte Sozialbeiträge<br />

auch den Anspruch aus der gesetzlichen<br />

Rentenversicherung. Kein Wort<br />

darüber in Hochglanzprospekten <strong>und</strong><br />

Beratungsgesprächen. Die aktuelle Ausgabe<br />

der Zeitschrift „Finanztest“ (Juni,<br />

S. 36-38) urteilt eindeutig: Private Altersvorsorge<br />

wie das „Riestern“ ist der Entgeltumwandlung<br />

unter dem Strich klar<br />

überlegen.<br />

Es sei denn, der Arbeitgeber beteiligt sich.<br />

Zahlt er eingesparte Sozialversicherungsbeiträge<br />

oben drauf, hat die bAV die Nase<br />

vorn. Doch vor allem Mittelständler fürchten<br />

langfristige Verpflichtungen <strong>und</strong> halten<br />

sich zurück, aktiv über die bAV aufzuklären.<br />

Angesichts derzeit niedriger<br />

Zinsen haben sie einen hohen Kapitalbedarf,<br />

um künftige Ansprüche ihrer Mitarbeiter<br />

erfüllen zu können. Doch nach<br />

einer Umfrage von Towers Watson wünschen<br />

sich 83 Prozent der befragten<br />

Arbeitnehmer, dass ihr Arbeitgeber sie<br />

aktiv hinsichtlich der Altersvorsorge berät.<br />

Beispiel dm Drogeriemarkt<br />

Das hat die Drogeriemarktkette dm, wo<br />

als Durchführungswege sowohl die Pensionskasse<br />

als auch die Direktversicherung<br />

zur Wahl stehen, längst in die Tat<br />

umgesetzt. „Wir informieren unsere<br />

Beschäftigten regelmäßig per E-Mail <strong>und</strong><br />

Sonderheft 07 | 2013 www.personalwirtschaft.de 13


BETRIEBLICHE ALTERSVERSORGUNG<br />

Forum<br />

„<br />

Wir geben eine Direktzusage. Statt lebenslanger Rente <strong>und</strong> Zinsen<br />

garantieren wir monatliche Beiträge <strong>und</strong> den Werterhalt.<br />

Stefan Prey, bAV-Leiter, Vodafone<br />

über unsere Mitarbeitermedien“, sagt HR-<br />

Geschäftsführer Christian Harms. Für die<br />

Durchführungswege <strong>und</strong> die entsprechenden<br />

Varianten stünden im Intranet<br />

umfangreiche Informationen <strong>und</strong> Beispielrechner<br />

zur Verfügung. „Natürlich unterstützen<br />

auch unsere Ansprechpartner im<br />

Fachbereich beim Abschluss eines Altersvorsorgevertrags“,<br />

so der Personalchef.<br />

Mitarbeiter können über die Höhe der<br />

Anlage individuell entscheiden. dm bezuschusst<br />

den monatlichen Betrag mit zehn<br />

Prozent vom Eigenbetrag des Mitarbeiters<br />

<strong>und</strong> leistet darüber hinaus einen jährlichen<br />

Einmalbetrag von 300 Euro pro<br />

Mitarbeiter respektive 150 Euro für Lehrlinge<br />

zum Altersversorgungsvertrag.<br />

Beispiel TNT<br />

Für hohe Transparenz hat sich auch TNT<br />

entschieden. In zahlreichen Informationsveranstaltungen<br />

erläutern die Personaler,<br />

worauf sich Mitarbeiter einlassen, die<br />

ihr Entgelt umwandeln wollen. „Wir wollen<br />

über das Instrument <strong>und</strong> seine zum<br />

Teil langfristigen Implikationen aufklären“,<br />

sagt Scheepers mit Blick auf „Vertragsruinen“<br />

<strong>und</strong> Beitragsfreistellungen,<br />

wovor man Mitarbeiter unbedingt schützen<br />

wolle. Sein Credo: „Lieber eine hohe<br />

Aufklärungsquote als eine hohe Teilnahmequote<br />

bei unzureichender Information.“<br />

Zusätzlich zur gesetzlich verbrieften Entgeltumwandlung<br />

gewährt TNT für alle<br />

Mitarbeiter eine arbeitgeberfinanzierte<br />

Altersversorgung, die seit 2005 über eine<br />

beitragsorientierte Direktzusage mit<br />

Fondsinvestment über ein Lebenszyklus-<br />

Modell abgewickelt wird. Dafür habe man<br />

sich „bewusst von einer Versicherungslösung<br />

getrennt“, sagt Scheepers. Die<br />

Alternative sei 30 bis 40 Prozent kostengünstiger.<br />

Dank der positiven Aktienkursentwicklung<br />

würden die Mitarbeiter überproportional<br />

profitieren <strong>und</strong> deutliche<br />

Anlagegewinne verbuchen. TNT garantiere<br />

eine Verzinsung von 2,5 Prozent,<br />

„jeder Euro Overperformance“ werde<br />

zusätzlich an die Mitarbeiter weitergegeben.<br />

Scheepers: „Der Mitarbeiter hat also<br />

die volle Chance, bei keinem Risiko.“<br />

Beispiel Vodafone<br />

Ähnliche Vorzeichen herrschen bei der<br />

Vodafone GmbH in Düsseldorf. Sie entschied<br />

sich Mitte der letzten Dekade, die<br />

bis dato praktizierte bAV durch ein<br />

Lebenszyklus-Modell abzulösen. Nach<br />

Angaben von bAV-Leiter Stefan Prey lasse<br />

man dafür die zuvor aktive <strong>und</strong> für<br />

Neueintritte inzwischen geschlossene<br />

Unterstützungskasse auslaufen. „Nun<br />

geben wir eine Direktzusage. Statt lebenslanger<br />

Rente <strong>und</strong> Zinsen garantieren wir<br />

monatliche Beiträge <strong>und</strong> den Werterhalt.“<br />

Getreu dem Prinzip „Defined Contribution“<br />

kommt ein Teil der Einzahlungen<br />

vom Mitarbeiter, zwei Teile steuert der<br />

Arbeitgeber bei. Unterhalb der Beitragsbemessungsgrenze<br />

zahlt Vodafone, wenn<br />

der Mitarbeiter 0,5 Prozent seines tariflichen<br />

Gr<strong>und</strong>gehaltes wandelt, ein weiteres<br />

Prozent als Arbeitgeberbeitrag<br />

hinzu. Oberhalb der Beitragsbemessungsgrenze<br />

kann der Arbeitnehmer bis zu 4,5<br />

Prozent einzahlen, damit sind maximal<br />

weitere neun Prozent vom Arbeitgeber<br />

möglich. Zusätzlich können Boni, Tantiemen,<br />

Weihnachts- <strong>und</strong> Urlaubsgeld umgewandelt<br />

werden. Diese Einmalzahlungen<br />

stockt der Arbeitgeber allerdings nicht<br />

auf.<br />

Die von Mitarbeitern investierten <strong>und</strong><br />

vom Arbeitgeber gewährten Beiträge legt<br />

Vodafone in jeweils einen Publikumsfonds<br />

aus Aktien <strong>und</strong> Renten an. Je nach Lebensalter<br />

verschiebt sich das Verhältnis: Während<br />

die Anlage jüngerer Mitarbeiter<br />

Aktien bevorzugt, dreht sich das Verhältnis<br />

mit zunehmendem Alter in Richtung<br />

Rentenpapiere. „Wer 60 Jahre alt ist“, sagt<br />

Prey, „blickt auf eine Anlage, deren Volatilität<br />

gleich Null ist.“<br />

Kurz nach Auflage des neuen Systems<br />

erwischte Vodafone die Finanzkrise. Wertpapierkurse<br />

rauschten in den Keller. Prey<br />

zufolge gab es zwar kurzzeitig eine Unterdeckung,<br />

von der man sich aber sehr<br />

schnell erholen konnte. „Im Gegensatz zu<br />

Versicherern haben wir die Verluste<br />

bereits zwölf Monate später wieder wettgemacht.“<br />

Der Wunsch nach finanzieller<br />

Sicherheit schlägt sich zunehmend auch<br />

in tariflichen Vereinbarungen nieder.<br />

Aktuelle Beispiele sind VW <strong>und</strong> die Deutsche<br />

Bahn.<br />

Beispiel DB-Tarifabschluss<br />

Während die Gewerkschaften dem Wolfsburger<br />

Konzern zusätzlich zum erhöhten<br />

Entgelt einen einmaligen Beitrag für die<br />

Altersrente abrangen, einigten sich auch<br />

Arbeitgeber <strong>und</strong> Arbeitnehmer im jüngs -<br />

ten DB-Tarifabschluss auf die Komponente.<br />

Beschäftigte, die unter den Konzernentgeltumwandlungstarifvertrag<br />

(KEUTV)<br />

fallen, können die Einmalzahlung über<br />

500 Euro für die Monate Januar bis April<br />

2013 in den Pensionsfonds einbringen.<br />

Gemäß § 4a KEUTV schießt der Konzern<br />

zehn Prozent hinzu. Direktversicherung<br />

sowie Pensionsfonds laufen über den konzerneigenen<br />

Versicherer, DEVK. Seit 2006<br />

beteiligt sich der Konzern mit einem<br />

Arbeitgeberzuschuss, wenn Mitarbeiter<br />

Entgelt in den Pensionsfonds einzahlen.<br />

Wichtig sei eine attraktive bAV, fasste Stefan<br />

Grüneklee, Leiter Betriebliche Altersversorgung<br />

im Service Center Personal,<br />

seinen Vortrag auf der Handelsblatt-Konferenz<br />

zusammen, „um trotz Fachkräftemangel<br />

Arbeitskräfte zu gewinnen“. Noch<br />

wichtiger seien Transparenz <strong>und</strong> Verständlichkeit,<br />

„eine gute Kommunikation“.<br />

Mit einem Großaufwand an Information<br />

werde unter Federführung von<br />

HR versucht, Mitarbeitern die Chancen<br />

14<br />

Sonderheft 07 | 2013<br />

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„<br />

Dank konsequenter Umsetzung eines Informationskonzeptes<br />

konnte die Teilnahmequote von 13 auf 72 Prozent erhöht werden.<br />

Marianne Lochmann, bAV-Referentin, Evonik<br />

einer „langfristigen renditeorientierten<br />

Kapitalanlage“ deutlich zu machen.<br />

Beispiel Evonik<br />

Solche Initiativen zeigen Wirkung: Bei der<br />

Essener Evonik AG konnte dank konsequenter<br />

Umsetzung eines zwischen den<br />

Betriebspartnern abgestimmten Informationskonzeptes<br />

die Teilnahmequote der förderungsberechtigten<br />

Mitarbeiter zwischen<br />

2006 <strong>und</strong> 2013 von 13 auf 72 Prozent erhöht<br />

werden, wie bAV-Referentin Marianne Lochmann<br />

auf dem Kongress berichtete. Konkret<br />

handelt es sich um einen neuen bAV-<br />

Baustein, der den kompletten Ersatz von<br />

vermögenswirksamen Leistungen durch<br />

einen „Entgeltumwandlungsbetrag“ vorsieht<br />

<strong>und</strong> durch eine Förderung laut Chemietarifvertrag<br />

ergänzt wird.<br />

Danach können Mitarbeiter eine arbeitgeberseitige<br />

Förderung in Höhe von<br />

613,55Euro (478,57 Euro Entgeltumwandlungsgr<strong>und</strong>betrag<br />

<strong>und</strong> 134,98 Euro Chemietarifförderung<br />

Stufe 1, jeweils auf Vollzeitbasis)<br />

verlangen. Für jede weitere<br />

100 Euro, die vom Mitarbeiter darüber<br />

hinaus umgewandelt werden, dies teilte<br />

Lochmann auf Nachfrage mit, zahle Evonik<br />

weitere 13 Euro hinzu. Doch nicht nur<br />

die drohende Lücke bei der Rente veranlasst<br />

den Chemiekonzern, seine Belegschaft<br />

seit neuestem intensiv zu informieren.<br />

Er klärt sie auch darüber auf,<br />

unter welchen Voraussetzungen sie vorzeitig<br />

in den Ruhestand wechseln können.<br />

Um den vorzeitigen Ausstieg zu finanzieren,<br />

investiert der Konzern in einen<br />

tariflich vereinbarten „Demografiebeitrag“<br />

<strong>und</strong> eröffnet den Beschäftigten ein<br />

„Langzeitkonto“, in das sie maximal zehn<br />

Prozent ihres Entgelts, das Urlaubsgeld<br />

oder Zeitausgleich für Mehrarbeit einbringen<br />

können.<br />

Die Beispiele zeigen, wie es gelingen kann,<br />

die betriebliche Altersvorsorge zu einem<br />

nachhaltigen HR-Instrument zu etablieren,<br />

von dem Mitarbeiter <strong>und</strong> Unternehmen<br />

profitieren.<br />

Winfried Gertz, freier Journalist, München


BETRIEBLICHE ALTERSVERSORGUNG<br />

Praxisbeispiel<br />

Zeit für mehr Flexibilität<br />

Auf Basis eines flexiblen Arbeitszeitsystems bietet<br />

der Sensorhersteller Sick AG seinen Mitarbeitern ein<br />

vorbildliches Zeitwertkonten-Modell an.<br />

A<br />

usbildung – Arbeit – Ruhestand: So lautete<br />

jahrzehntelang der klassische Dreiklang<br />

der Lebens- <strong>und</strong> Berufsplanung. Mit<br />

der Verlängerung der Lebensarbeitszeit, der<br />

Notwendigkeit des lebenslangen Lernens<br />

<strong>und</strong> dem „Tsunami“ der demografischen<br />

Herausforderung ist dieses Muster schon<br />

lange nicht mehr haltbar. Eine betriebliche<br />

Antwort auf diese Herausforderung ist die<br />

„lebenszyklusorientierte Personalpolitik“.<br />

Schon in den 80er-Jahren wurde bei Sick die<br />

Gleitzeit eingeführt <strong>und</strong> in den Folgejahren<br />

immer weiter systematisiert <strong>und</strong> flexibilisiert.<br />

Das Gleitzeit-Rahmenmodell wurde im<br />

Gr<strong>und</strong>satz 2004 eingeführt <strong>und</strong> im Jahre<br />

2009 nochmals modifiziert (Abbildung1).<br />

Das Gleitzeitmodell<br />

Ausgangspunkt ist der „grüne Bereich“, der<br />

Arbeitszeitsaldo, der in eigener Verantwortung<br />

dem Mitarbeiter obliegt. Folglich kann<br />

er entscheiden, ob er in einem Monat bis zu<br />

zwei freie Tage nehmen will. Dies ist im<br />

Gr<strong>und</strong>satz durch die Vorgesetzten immer zu<br />

genehmigen. Nur wenn betriebliche Gründe<br />

aktuell dagegen sprechen, wird die Genehmigung<br />

verweigert. Im Übrigen regeln die<br />

Arbeitskollegen dies meist untereinander,<br />

denn dem Vorgesetzten ist am wichtigsten,<br />

dass die Arbeitsziele erreicht werden. Er<br />

muss nicht wissen, wer wann da ist, dies ist<br />

aus der Arbeitszeiterfassung ja ersichtlich.<br />

Der „gelbe Bereich“ von +80 St<strong>und</strong>en bis<br />

-120 St<strong>und</strong>en bildet die sogenannte Kapazitätsreserve.<br />

Nach einer gr<strong>und</strong>sätzlich durch die Führungskraft<br />

vorzunehmenden Beurteilung<br />

ist zu entscheiden, ob entsprechend der K<strong>und</strong>ennachfrage<br />

<strong>und</strong> der Auftragslage die<br />

Arbeitskapazitäten nach oben korrigiert<br />

werden müssen. Führungskräfte <strong>und</strong> Mitarbeiter<br />

sprechen dann miteinander ab, ob<br />

länger gearbeitet wird <strong>und</strong> somit die Gleitzeitsalden<br />

erhöht werden. Mit dieser Absprache<br />

wird auch verhindert, dass die Mitarbeiter<br />

Gleitzeitkonten nach oben bewegen,<br />

obwohl dies durch die Auftragslage nicht<br />

gerechtfertigt ist. Dem natürlichen „Spartrieb“<br />

(Zeit = Geld) der Beschäftigten in<br />

Deutschland wird damit ein Korrektiv vorgeschaltet.<br />

In außergewöhnlichen Fällen kann der Mitarbeiter<br />

sich mit der Arbeitszeit auch in den<br />

„roten Bereich“ bewegen, also jenseits von<br />

+80 beziehungsweise -120 St<strong>und</strong>en. Dies<br />

kann aber nur sehr kurzfristig – innerhalb<br />

eines Monats – geschehen, denn die Arbeitszeitsysteme<br />

sind so gestaltet, dass Arbeitszeit<br />

geplant <strong>und</strong> nicht nur am Ende des<br />

Monats im Verbrauch gemessen wird.<br />

Möchte die Führungskraft die Arbeitszeit<br />

länger als einen Monat über die +80 St<strong>und</strong>en<br />

verlängern, fällt der tarifliche Mehrarbeitszuschlag<br />

an. Ferner ist die Führungskraft<br />

verpflichtet, dem Betriebsrat auf<br />

Anforderung mitzuteilen, wie die Kapazitätsplanung<br />

für die nächsten Wochen <strong>und</strong><br />

Monate aussieht <strong>und</strong> die Arbeitszeitsalden<br />

wieder verringert werden können. Dies kann<br />

beispielsweise auch durch Neueinstellungen<br />

erreicht werden. In der Praxis der Sick<br />

AG wird die Reduzierung des Gleitzeitsal-<br />

Das Gleitzeit-Rahmenmodell der Sick AG Abbildung 1<br />

+ 80<br />

+ 40<br />

+ 0<br />

- 40<br />

- 120<br />

Gleitzeit<br />

<strong>Regel</strong>arbeitszeit<br />

Übertrag (max. 120 Std. p.a.)<br />

Führungskraft entscheidet über<br />

Gleitzeitaufbau, in Abstimmung mit dem<br />

Mitarbeiter<br />

Kurzfristige Gleitzeitentnahme<br />

Umwandlung<br />

Altersvorsorge<br />

Zeitwertkonto<br />

Weiterbildung SICK<br />

Akademie, bzw.<br />

berufsqualifizierender<br />

Abschluss<br />

Mithilfe des Gleitzeitkontos lassen sich Überst<strong>und</strong>en – umgewandelt in Geld – beispielsweise in<br />

ein Zeitwertkonto übertragen.<br />

Quelle: Sick AG<br />

16<br />

Sonderheft 07 | 2013<br />

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dos jedoch in der <strong>Regel</strong> durch Umwandlung<br />

von Zeit in Geld in das seit 2004 gültige Zeitwertkonto<br />

praktiziert.<br />

Funktionsweise des Zeitwertkontos<br />

Zeitwertkonten ermöglichen die Flexibilisierung<br />

der Lebensarbeitszeit der Mitarbeiter<br />

dadurch, dass das Entgelt für einen Teil<br />

der geleisteten Arbeit nicht unmittelbar zur<br />

Auszahlung gelangt, sondern angespart wird.<br />

Die angesparten Guthaben werden dann zu<br />

einem späteren Zeitpunkt in Form von<br />

bezahlter Freistellung abgebaut, wobei diese<br />

nach den <strong>Regel</strong>ungen des Sozialgesetzbuches<br />

eine sogenannte „vorruhestandsnahe<br />

Freistellung“ oder eine zwischenzeitliche<br />

Auszeit – in Form eines Sabbaticals für zum<br />

Beispiel Erziehungsurlaub, Weiterbildung,<br />

Pflege von Angehörigen sein kann.<br />

Der Arbeitgeber muss hierbei eine Werterhaltungsgarantie<br />

geben, dass zum Zeitpunkt<br />

der planmäßigen Inanspruchnahme mindestens<br />

die Summe aus übertragenem<br />

Arbeitsentgelt (Arbeitszeit) <strong>und</strong> dem Arbeitgeberanteil<br />

zur Sozialversicherung zur Verfügung<br />

steht. In der Praxis übernehmen<br />

Versicherungsunternehmen diese Wert -<br />

erhaltungsgarantie, allerdings gibt es auch<br />

viele Beispiele von Großunternehmen, die<br />

diese Garantie aussprechen.<br />

Hier wird eins deutlich: Es geht in diesen<br />

Modellen nicht um höchste Renditen. Die<br />

hohe Flexibilität, die Arbeitgeber <strong>und</strong> Beschäftigte<br />

sich wünschen, erfordert hohen Organisations-<br />

<strong>und</strong> Verwaltungsaufwand in der<br />

Gestaltung, damit dies überhaupt möglich<br />

ist. Dies muss finanziert werden, <strong>und</strong> die<br />

Sicherheit der Anlage steht im Vordergr<strong>und</strong>.<br />

Schließlich hat der Mitarbeiter sie aus seinen<br />

eigenen Zeitanteilen finanziert.<br />

Ist dies nur ein Modell für die gut verdienende<br />

Mittelschicht im Unternehmen? Ist<br />

doch bei Beschäftigten in den unteren Verdienstgruppen<br />

der Monat oft länger, als das<br />

Geld reicht. Gerade diese Beschäftigten haben<br />

Mehr zum Thema<br />

Der Beitrag ist entnommen aus dem Buch<br />

„Betriebliche Vorsorgeinstrumente im demographischen<br />

Wandel“, hrsg. vom ddn (Das Demographie<br />

Netzwerk), Dortm<strong>und</strong> 2012.<br />

Funktionsweise von Zeitwertkonten Abbildung 2<br />

• Gleitzeitguthaben<br />

• Bruttoentgelt<br />

Arbeitsphase<br />

Zeitwertkonto<br />

Kapitalanlage<br />

+ Erträge<br />

Einzahlungen steuer- <strong>und</strong> sozialabgabenfrei Steuern <strong>und</strong> Sozialabgaben erst bei Auszahlung<br />

Zeitwertkonten ermöglichen sowohl Sabbaticals als auch eine ruhestandsnahe Freistellung.<br />

durch die Umwandlung von Gleitzeit- oder<br />

Mehrarbeitskonten die Chance, an diesen<br />

Modellen teilzuhaben. Wenn die übrigen<br />

Entgeltbestandteile für die Alltagsausgaben<br />

verplant sind, bietet sich den Niedrigverdienern<br />

durch solche Modelle die Möglichkeit,<br />

ebenfalls Auszeiten zu nehmen oder vor<br />

Übergang in die Rente eine (Teil-)Auszeit zu<br />

nehmen.<br />

Zwei Beispiele: Ein Mitarbeiter aus der IT<br />

arbeitet nach der Geburt seines Sohnes für<br />

vier Monate in Teilzeit auf Basis von 22,5<br />

St<strong>und</strong>en pro Woche <strong>und</strong> erhält während dieser<br />

Zeit sein Bruttomonatsentgelt auf Basis<br />

von 37,5 St<strong>und</strong>en pro Woche. Die Auszahlung<br />

erfolgt aus dem Zeitwertkonto. Während<br />

der Teilzeittätigkeit erfolgt keine Einzahlung<br />

in das Zeitwertkonto.<br />

Oder: Eine Mitarbeiterin aus dem Bereich<br />

Finance erhält ab November Rente. Von Januar<br />

bis Juni des Jahres reduziert sie ihre<br />

wöchentliche Arbeitszeit auf 17,5 St<strong>und</strong>en.<br />

Während dieser Zeit erhält sie ein Bruttomonatsentgelt<br />

auf Basis von 35 St<strong>und</strong>en pro<br />

Woche ausbezahlt, wobei 50 Prozent über<br />

das Zeitwertkonto abgedeckt sind. Ab Juli<br />

2008 ist die Mitarbeiterin freigestellt, erhält<br />

jedoch bis zur Rente ihr Bruttomonatsentgelt<br />

auf Basis von 35 St<strong>und</strong>en pro Woche –<br />

Auszahlung aus dem Zeitwertkonto. Mit diesen<br />

praktischen Beispielen wird der Nutzen<br />

solcher Zeitwertkontenregelungen deutlich.<br />

Freistellungsphase<br />

Bezahlte Freistellung<br />

Weiterbildung<br />

Befristete Verkürzung<br />

der Wochenarbeitszeit<br />

Früher in „Rente<br />

Rente<br />

Verkürzung der<br />

Wochenarbeitszeit<br />

vor der Rente<br />

Altersversorgung<br />

mit MetallRente<br />

Nur wenn der Arbeitgeber aufgr<strong>und</strong> eines<br />

vorhandenen flexiblen Arbeitszeitsystems<br />

in Kombination mit Zeitwertkonten dies<br />

anbietet, können Beschäftigte solche Auszeiten<br />

organisieren <strong>und</strong> auch finanzieren.<br />

Nach dem gesetzlichen Auslaufen der geförderten<br />

Altersteilzeit müssen weitere Optionen,<br />

wie zum Beispiel die bessere Ausgestaltung<br />

von Teilrente mit Teilzeitarbeit,<br />

geprüft werden. Während des gesamten<br />

Arbeitslebens ist – nicht nur für ältere<br />

Beschäftigte – die Zeitgestaltung besser auf<br />

das individuelle Leistungsvermögen <strong>und</strong><br />

die Leistungsbereitschaft abzustimmen.<br />

Dazu zählen flexiblere Pausenregelungen<br />

ebenso wie intelligente Schichtsysteme, die<br />

Nachtschicht insbesondere für ältere<br />

Beschäftigte reduziert, wenn nicht ausschließt.<br />

Erfolgreich werden in Zukunft die<br />

Unternehmen sein, die die Leistungsfähigkeit<br />

ihrer Mitarbeiter während der gesamten<br />

Erwerbsbiografie im Blick haben. Die<br />

lebensphasenorientierte Arbeitszeitgestaltung<br />

wird dazu einen positiven Beitrag leisten.<br />

Autor<br />

Rudolf Kast,<br />

ehemaliger Leiter Human<br />

Resources der SICK AG,<br />

kast@diepersonalmanufaktur.de<br />

Quelle: Sick AG<br />

Sonderheft 07 | 2013 www.personalwirtschaft.de 17


BETRIEBLICHE ALTERSVERSORGUNG<br />

Praxisbeispiel<br />

Der flexible Übergang in die Altersrente<br />

Mit der Verlängerung der Lebensarbeitszeit wächst vielfach das Bedürfnis nach neuen<br />

Vorruhestandslösungen. Ein durchdachtes Frühruhestands-Konzept bietet hierfür flexible<br />

Möglichkeiten, wie zwei Praxisbeispiele zeigen.<br />

D<br />

er demografische Wandel wirft schon<br />

heute seine Schatten voraus. So<br />

wächst das Spannungsfeld zwischen dem<br />

Bedürfnis eines vorzeitigen Ausscheidens<br />

aus dem Erwerbsleben <strong>und</strong> sinkenden<br />

Leistungen in der gesetzlichen Rentenversicherung<br />

(GRV). Betrachtet man die<br />

psychische <strong>und</strong> physische Belastung der<br />

Mitarbeiter in unterschiedlichen Branchen,<br />

so wird aus dem Bedürfnis nach<br />

einem Frühruhestand eine berechtigte<br />

Notwendigkeit.<br />

Die Verantwortlichen bei BP Lingen haben<br />

erkannt, dass die wirtschaftliche <strong>und</strong><br />

demografische Entwicklung nicht vor den<br />

Werkstoren Halt macht <strong>und</strong> ein umfassendes<br />

„Demografie- <strong>und</strong> Standortsicherungspaket“<br />

eingeführt. Bei BP Lingen<br />

sind viele Mitarbeiter im Schichtbetrieb<br />

tätig. „Die längere Lebensarbeitszeit bringt<br />

eine höhere Belastung im Alter mit sich<br />

<strong>und</strong> diese wirkt sich nicht nur auf die<br />

Ges<strong>und</strong>heit <strong>und</strong> Lebensqualität, sondern<br />

auch auf die Leistungsfähigkeit aus. Deshalb<br />

haben wir gemeinsam mit dem<br />

Betriebsrat <strong>und</strong> der IG BCE schon vor Jahren<br />

unter anderem ein Langzeitkontenmodell<br />

(LAZ-Modell) entwickelt, das den<br />

unternehmensspezifischen Bedürfnissen<br />

gerecht wird <strong>und</strong> unseren Mitarbeitern<br />

eine vorruhestandsnahe Freistellung von<br />

mehreren Jahren ermöglicht“, erklärt Gerhard<br />

Sander, Geschäftsführer der BP Lingen.<br />

In der Unternehmenspraxis zeigt sich,<br />

dass Frühpensionierungs- <strong>und</strong> Altersteilzeitmodelle<br />

in sehr vielen Branchen rückläufig<br />

sind <strong>und</strong> durch „neuere Konzepte“<br />

ersetzt werden. Eine Analyse der in den<br />

letzten Jahren neu gestalteten Modelle<br />

der betrieblichen Altersversorgung (bAV)<br />

verdeutlicht das Bekenntnis der Unternehmen<br />

zur Erneuerung der Sozialpartnerschaft:<br />

Es zeigt sich, dass die arbeitgeberfinanzierte<br />

bAV für Neuzugänge<br />

nicht abgeschafft, sondern vielmehr „risikoärmer“<br />

gestaltet wird <strong>und</strong> dass in den<br />

meisten Unternehmen eine gemeinsame<br />

Finanzierung erfolgt. Die Arbeitgeber<br />

gewähren tendenziell niedrigere Arbeitgeberbeiträge<br />

oder eine geringere Garantieverzinsung,<br />

fördern aber die Vorsorgebereitschaft<br />

der Mitarbeiter, beispielsweise<br />

durch weitere Zusatzbeiträge.<br />

Auch bei Langzeitkonten ist ein Trend zur<br />

Förderung der Eigeninitiative durch den<br />

Arbeitgeber festzustellen. Dieser gründet<br />

auf der Erkenntnis, dass ein materieller<br />

Erfolg im Sinne eines spürbaren „Frühruhestandes“<br />

sowohl bei Langzeitkonten als<br />

auch der bAV nur über eine gemeinsame,<br />

langfristige <strong>und</strong> konstante Finanzierung<br />

erreichbar ist.<br />

Flexible Teil-Rente<br />

Das Ziel, einer älter werdenden Belegschaft<br />

den flexiblen Übergang in den<br />

Ruhestand zu ermöglichen, stellt die<br />

Unternehmen vor eine große Herausforderung.<br />

Eine Vielzahl von Unternehmen<br />

hat sich dabei für die Neugestaltung beziehungsweise<br />

Erweiterung der bAV entschieden,<br />

da diese interessante, wenn<br />

auch zurzeit noch zum Teil unkonventionelle<br />

Möglichkeiten bietet.<br />

Bei Sauer-Danfoss zum Beispiel wird<br />

neben einem arbeitgeberfinanzierten<br />

Basisbeitrag <strong>und</strong> einem obligatorischen<br />

18<br />

Sonderheft 07 | 2013<br />

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Mitarbeiterbeitrag ein Teil der Überst<strong>und</strong>en<br />

verpflichtend in die bAV eingebracht.<br />

Darüber hinaus können die Mitarbeiter<br />

weitere Überst<strong>und</strong>en <strong>und</strong> zusätzliches<br />

Entgelt in die bAV einbringen.<br />

Aber nicht nur bei der Finanzierung, sondern<br />

auch <strong>und</strong> vor allem beim Leistungsbezug<br />

können <strong>und</strong> müssen neue Wege<br />

beschritten werden, die einen flexiblen<br />

Übergang in den Ruhestand ermöglichen:<br />

Denkbar wäre beispielsweise ein Pensionsplan,<br />

bei dem ein Kapitalstock angesammelt<br />

<strong>und</strong> ein Teil davon je nach Bedarf<br />

für die Aufstockung einer Teilzeitbeschäftigung<br />

ab dem 62. Lebensjahr verwendet<br />

wird. Der Mitarbeiter könnte so beispielsweise<br />

zwischen dem 62. <strong>und</strong> 67. Lebensjahr<br />

in Teilzeit arbeiten <strong>und</strong> eine Teil-bAV<br />

vor Bezug der gesetzlichen Rente beziehen.<br />

Im Anschluss daran wird das Restkapital<br />

mit den dann geltenden Rechnungsgr<strong>und</strong>lagen<br />

in eine lebenslange<br />

Rentenzahlung umgerechnet <strong>und</strong> ab<br />

Bezug der Rente aus der GRV gewährt.<br />

Derartige Modelle werden heute schon<br />

im Mittelstand eingesetzt. Es ist davon<br />

auszugehen, dass die zu erwartenden Verbesserungen<br />

der rechtlichen Rahmenbedingungen<br />

zur Teilrente in der GRV nebst<br />

steuerrechtlicher Flankierung zu einem<br />

Umsetzungsschub bei den Unternehmen<br />

führen werden.<br />

Der Unterschied zu klassischen Modellen<br />

der bAV ist darin zu sehen, dass das<br />

Teilzeitgehalt durch eine Teil-bAV aufgestockt<br />

<strong>und</strong> so die Phase vor dem Rentenbeginn<br />

in der GRV flexibel gestaltet wird:<br />

Hier kann also nicht nur die Einbringung,<br />

sondern auch der Leistungsbezug, das<br />

heißt die Höhe oder die Dauer der Entnahme<br />

der Teil-bAV variabel gestaltet werden.<br />

Und was nicht für die Finanzierung<br />

der Teil-bAV benötigt wird, kann für die<br />

Altersrente ab 67 verwendet werden.<br />

Das Langzeitkonten-Modell<br />

bei BP Lingen<br />

BP Lingen hat sich 2005 für ein Langzeitkonten-Modell<br />

entschieden, das in<br />

ein Tarifpaket mit 15, teilweise sehr langfristig<br />

angelegten Tarifverträgen einge-<br />

bettet wurde. Das in Zeit geführte Modell<br />

sieht ausschließlich eine vorruhestandsnahe<br />

Freistellung <strong>und</strong> keine vorzeitige<br />

Inanspruchnahme zum Beispiel für Sabbaticals<br />

vor. Gemeinsam mit den Arbeitnehmervertretern<br />

wurde zunächst untersucht,<br />

welcher Freistellungszeitraum bis<br />

zum Bezug der gesetzlichen Rente aufgr<strong>und</strong><br />

der enormen Belastung der Mitarbeiter<br />

sinnvollerweise finanziert werden<br />

soll.<br />

Im zweiten Schritt wurden die möglichen<br />

Finanzierungsquellen genauer untersucht<br />

<strong>und</strong> daraus ein in sich schlüssiges Konzept<br />

entwickelt. Im Wesentlichen haben<br />

die Tarifvertragsparteien folgenden Weg<br />

gewählt: Die Mitarbeiter erhielten als Kompensation<br />

für die Aufstockung auf die<br />

40-St<strong>und</strong>en-Woche sowie das temporäre<br />

Einfrieren der Gehälter <strong>und</strong> den Wegfall<br />

anderer, kaum wahrgenommener Nebenleistungen<br />

einen attraktiven Einführungsbonus.<br />

Bei der Ermittlung dieser Startgutschrift<br />

wurden die potenziellen Dienstjahre<br />

vom Konzerneintritt bis zum Erreichen<br />

des 65. Lebensjahres berücksichtigt,<br />

wodurch sich das Vertrauen in die Belegschaft<br />

verdeutlicht.<br />

Neu eingetretene Mitarbeiter erhalten<br />

eine laufende Gutschrift pro Dienstjahr.<br />

Darüber hinaus werden Zeitgutschriften<br />

anstelle der Auszahlung von Dienstaltersprämien<br />

gewährt. Die Mitarbeiter können<br />

zudem Resturlaubstage in das LAZ-<br />

Konto einbringen <strong>und</strong> Einkommensbestandteile<br />

umwandeln. Kurz vor der<br />

Freistellungsphase stockt BP Lingen das<br />

Wertkonto zusätzlich mit Hilfe eines Faktors,<br />

der von der Funktion des Mitarbeiters<br />

abhängt, auf.<br />

Da die Wertkonten bei BP Lingen in Zeit<br />

geführt werden, bringt das Modell für die<br />

Mitarbeiter <strong>und</strong> für BP Lingen eine hohe<br />

(Personal-)Planungssicherheit mit sich<br />

(„Ein Tag im Langzeitkonto bleibt ein<br />

Tag.“). Somit führt aber auch jede Gehaltserhöhung<br />

zu einer Erhöhung des Verpflichtungsumfangs<br />

<strong>und</strong> zu einem unmittelbaren<br />

Mittelabfluss. Bei der Gesamtbetrachtung<br />

müssen daher neben den<br />

positiven Effekten <strong>und</strong> der gemeinsamen<br />

Finanzierung des Modells auch bilanzielle<br />

Aspekte berücksichtigt werden.<br />

Gemeinsame Anstrengung<br />

Aufgr<strong>und</strong> der demografischen Entwicklung<br />

<strong>und</strong> der Notwendigkeit eines umfassenden<br />

Demografie-Managements, das<br />

auch schlanke <strong>und</strong> administrierbare<br />

Lösungen für den flexiblen Übergang in<br />

den Ruhestand bieten muss, sind Gesetzgeber,<br />

Unternehmen <strong>und</strong> Tarifvertragsparteien<br />

gleichermaßen gefragt. Die Praxis<br />

zeigt, dass der Bedarf einer flexiblen<br />

Teilrente aus der bAV bereits jetzt vorhanden<br />

ist <strong>und</strong> dieser in Zukunft sogar<br />

noch steigen wird. Dabei werden die künftigen<br />

Modelle noch stärker auf der gemeinsamen,<br />

partnerschaftlichen Finanzierung<br />

beruhen, da nur so ein „echter materiell<br />

bedeutender“ (Früh-)Ruhestand erreicht<br />

werden kann.<br />

Und: Die bAV muss in den Gesamtkontext<br />

der Personalarbeit gesetzt werden.<br />

Demografie-Management ist mehr als eine<br />

bAV-Insellösung. Das betont auch Achim<br />

Heinzer, Personalleiter bei Sauer-Danfoss:<br />

„Es reicht nicht aus, lediglich Modelle für<br />

den Vorruhestand anzubieten. Es stellen<br />

sich vielmehr weitere Fragen: Wie erhalten<br />

wir die Beschäftigungsfähigkeit unserer<br />

Mitarbeiter bis zum späteren Rentenalter?<br />

Wie stellen wir rechtzeitig den Wissenstransfer<br />

von älteren Mitarbeitern auf<br />

jüngere Beschäftigte sicher <strong>und</strong> welche<br />

Maßnahmen können in Zukunft für die<br />

notwendige Personalgewinnung <strong>und</strong> Qualifizierung<br />

sorgen?“<br />

Autor<br />

Dr. Ralf Laghzaoui,<br />

Head of Pensions<br />

Consulting Centers, Mercer<br />

Deutschland GmbH,<br />

ralf.laghzaoui@mercer.com<br />

Autor<br />

Dr. Udo Müller,<br />

Senior Consultant,<br />

Mercer Deutschland GmbH,<br />

udo.mueller@mercer.com<br />

Sonderheft 07 | 2013 www.personalwirtschaft.de 19


BETRIEBLICHE ALTERSVERSORGUNG<br />

Studie<br />

Robust aufgestellt<br />

Im aktuellen Niedrigzinsumfeld sank der Ausfinanzierungsgrad<br />

der Pensionspläne weniger stark als erwartet, wie<br />

eine Studie zeigt. Das Pensions-Risikomanagement wird<br />

weiterentwickelt, ohne dabei die personalwirtschaftliche<br />

Bedeutung der Betriebsrente aus den Augen zu verlieren.<br />

D<br />

ie betrieblichen Versorgungswerke der<br />

DAX- <strong>und</strong> MDAX-Unternehmen erweisen<br />

sich als krisenfest. Zu diesem Ergebnis<br />

kommt die aktuelle Studie „Pensionsverpflichtungen<br />

<strong>und</strong> -vermögen in DAX <strong>und</strong><br />

MDAX 2012“ von Towers Watson. Die Unternehmensberatung<br />

analysiert seit 2000 jährlich<br />

die betrieblichen Versorgungswerke der<br />

großen börsennotierten Unternehmen<br />

anhand der veröffentlichten Konzernabschlüsse<br />

nach internationaler Rechnungslegung<br />

(IFRS/IAS). So lässt sich aufzeigen,<br />

in welcher Qualität <strong>und</strong> in welchem Ausmaß<br />

sich die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen<br />

auf die betriebliche Altersversorgung<br />

(bAV) auswirken.<br />

Gegenläufige Entwicklung<br />

Die Finanzierung der bAV war 2012 durch<br />

zwei wesentliche, gegenläufige Entwicklungen<br />

bestimmt: Zum einen wuchs infolge der<br />

starken Aktien- <strong>und</strong> Rentenmärkte der Wert<br />

des Vermögens, das für die Erfüllung von<br />

Pensionsverpflichtungen reserviert ist (Planvermögen),<br />

deutlich. Zum anderen sank<br />

jedoch das Zinsniveau weiter – mit gravierenden<br />

Folgen für die Bewertung der Pensionsverpflichtungen<br />

nach IFRS/IAS. In den<br />

Bilanzen werden die künftigen Pensionszahlungen<br />

mit dem Wert erfasst, den das<br />

Unternehmen heute zahlen müsste (Barwert),<br />

wenn es die Verpflichtung sofort vollständig<br />

ausfinanzieren wollte. Dieser heutige<br />

Gegenwert wächst durch Zins <strong>und</strong><br />

Zinseszins bis zum Auszahlungsdatum auf<br />

die Höhe des versprochenen Auszahlungswerts<br />

an. Dabei orientiert sich der Zinssatz<br />

an der Umlaufrendite von Anleihen höchs -<br />

ter Bonität. Im vergangenen Jahr sanken die<br />

Umlaufrenditen erheblich – <strong>und</strong> damit auch<br />

der für die Berechnung des Barwerts zugr<strong>und</strong>e<br />

zu legende Zinssatz. In der Folge stieg<br />

der in den Bilanzen für 2012 anzusetzende<br />

heutige Gegenwert der Pensionsverpflichtungen<br />

drastisch.<br />

Daher stehen Pensionsverpflichtungen erneut<br />

auf der „Watchlist“ der Stakeholder. Die Diskussion<br />

beschränkt sich jedoch – anders als<br />

in früheren Jahren – nicht nur auf den Grad<br />

der Ausfinanzierung (Verhältnis von zweckgeb<strong>und</strong>enem<br />

Pensionsvermögen <strong>und</strong> Pensionsverpflichtungen).<br />

Vielmehr werden Pensionszusagen<br />

sowohl mit Blick auf<br />

personalwirtschaftliche Aspekte als auch im<br />

Kontext des unternehmensweiten Risikomanagements<br />

betrachtet. Drei Viertel der Mitarbeiter<br />

erwarten, dass ihr Arbeitgeber sie<br />

bei der Altersvorsorge unterstützt. Ebenso<br />

viele sind bereit, auch selbst einen Teil ihres<br />

Gehalts in die bAV zu investieren, wie die<br />

Studie „bAV aus Mitarbeitersicht“ von Towers<br />

Watson zeigt. Damit ist die bAV ein wesentliches<br />

Instrument für die Gewinnung <strong>und</strong><br />

Bindung qualifizierter Mitarbeiter. Die hohen<br />

Dotierungen der Pensionspläne im vergangenen<br />

Jahr (DAX: über zehn Milliarden Euro;<br />

MDAX: über eine Milliarde Euro) bestätigen,<br />

dass viele Unternehmen darauf setzen.<br />

Die Pensionsverpflichtungen im gesamten<br />

DAX haben für 2012 einen Gegenwert von<br />

314 Mrd. Euro (MDAX: 40 Mrd. Euro). Dem<br />

stehen zweckgeb<strong>und</strong>ene Pensionsvermögen<br />

in Höhe von 192 Mrd. Euro gegenüber<br />

(MDAX: 18 Mrd. Euro). Durch die hohen<br />

Dotierungen sowie beachtliche Erträge aus<br />

der Vermögensanlage (10,3 Prozent) stiegen<br />

die DAX-Pensionsvermögen gegenüber dem<br />

Vorjahr um 13 Prozent.<br />

Ausfinanzierungsgrad gesunken<br />

Mit dem Anstieg der Pensionsverpflichtungen<br />

um 21 Prozent gegenüber 2011 konnten<br />

sie jedoch nicht Schritt halten. Daher<br />

sank der Ausfinanzierungsgrad der DAX-<br />

Pensionspläne – nachdem er mehrere Jahre<br />

fast konstant bei etwa 66 Prozent lag –<br />

2012 um fast fünf Prozentpunkte. Der Rückgang<br />

fällt geringer aus, als zum Jahresende<br />

2012 prognostiziert wurde. So ging die Hochrechnung<br />

„German Pension Finance Watch“<br />

von Towers Watson im Februar 2013 noch<br />

von einem Rückgang auf 58 Prozent aus. Im<br />

MDAX vollzog sich die gleiche Entwicklung<br />

auf niedrigerem Ausfinanzierungsniveau<br />

(45 Prozent 2012 gegenüber 49 Prozent 2011).<br />

Dennoch sind die Pensionswerke als krisenfest<br />

<strong>und</strong> solide finanziert zu sehen: Neben<br />

den für die Pensionszahlungen zweckgeb<strong>und</strong>enen<br />

Vermögen bestehen nicht spezifisch<br />

reservierte Bilanzrückstellungen, die weitere<br />

32 Prozent der DAX-Pensionsverpflichtungen<br />

bedecken. Die restlichen sieben Pro-<br />

20<br />

Sonderheft 07 | 2013<br />

www.personalwirtschaft.de


zent der Pensionsverpflichtungen sind durch<br />

das Eigenkapital der Unternehmen abgedeckt.<br />

Aus Sicht der Arbeitnehmer bleibt<br />

festzuhalten, dass der Betrag der für die<br />

Zukunft zugesagten Rentenzahlung auch<br />

bei Schwankungen der in den Bilanzen angesetzten<br />

Werte in der <strong>Regel</strong> gleich bleibt.<br />

R<strong>und</strong> zwei Prozent<br />

Betriebsrentenanpassung<br />

Nach § 16 Betriebsrentengesetz (BetrAVG)<br />

sind deutsche Arbeitgeber verpflichtet, alle<br />

drei Jahre eine Anpassung der laufenden<br />

Betriebsrenten zu überprüfen. Richtgröße<br />

ist hierbei die Entwicklung des Verbraucherpreisindexes.<br />

Seit 1999 kann stattdessen<br />

eine garantierte Erhöhung der laufenden<br />

Rentenleistungen um jährlich mindestens<br />

ein Prozent zugesagt werden. Da ein Großteil<br />

der derzeit laufenden Rentenzusagen<br />

vor 1999 erteilt wurde, ist die Rentendynamik<br />

zumindest teilweise an die langfristige<br />

Inflationserwartung gekoppelt.<br />

Die in den Geschäftsberichten gezeigten<br />

Annahmen zur Bezügedynamik (Inland)<br />

lagen 2012 im Median der DAX-Unternehmen<br />

bei 2,75 Prozent (MDAX: 2,5 Prozent).<br />

Die Annahmen zur Rentendynamik beziehungsweise<br />

Inflation lagen im Median der<br />

DAX-Unternehmen bei 1,8 Prozent (MDAX:<br />

2,0 Prozent). Demgegenüber wurde die<br />

gesetzliche Rente (West) zum 1. Juli 2012<br />

deutlich um 2,18 Prozent nach 0,99 Prozent<br />

im Vorjahr angepasst. Seit 1999 liegt der<br />

Durchschnitt der Anpassung der gesetzlichen<br />

Rente jedoch nur bei 1,2 Prozent <strong>und</strong><br />

damit unterhalb der Anpassung der Betriebsrenten.<br />

Auf dieser Basis wird der Anteil der<br />

bAV an den Altersbezügen weiter zunehmen;<br />

die relative Bedeutung der bAV steigt<br />

aus Mitarbeitersicht.<br />

Sicherungsinstrumente<br />

Von Bedeutung ist weiterhin die Insolvenzsicherung<br />

von Versorgungszusagen. Gemäß<br />

§ 1 Abs. 1 BetrAVG steht der Arbeitgeber<br />

auch bei mittelbarer Durchführung für die<br />

Erfüllung der Zusage ein. Mit r<strong>und</strong> 230 Milliarden<br />

Euro an Planvermögen in DAX <strong>und</strong><br />

MDAX steht den Pensionsverpflichtungen<br />

substantiell zweckgeb<strong>und</strong>enes Vermögen<br />

Ausfinanzierungsgrad der Pensionspläne in DAX<br />

<strong>und</strong> MDAX-Unternehmen 2012<br />

DAX<br />

MDAX<br />

Abbildung 1<br />

Unternehmen<br />

Ausfinanzierungsgrad<br />

1. SAP 91%<br />

2. Deutsche Bank 91%<br />

3. Commerzbank 89%<br />

4. Linde 86%<br />

5. HeidelbergCement 84%<br />

6. Henkel 82%<br />

7. Fuchs Petrolub 79%<br />

8. HHLA 78%<br />

9. WINCOR NIXDORF 77%<br />

10. BMW 76%<br />

11. BASF 76%<br />

12. MAN 75%<br />

13. HOCHTIEF 75%<br />

14. Siemens 72%<br />

15. K+S 72%<br />

16. Hugo Boss 72%<br />

17. Deutsche Börse 71%<br />

18. E.ON 71%<br />

19. RWE 69%<br />

20. Beiersdorf 69%<br />

21. Klöckner 67%<br />

22. Deutsche Post 66%<br />

23. Leoni 62%<br />

24. Deutsche Lufthansa 61%<br />

25. Aurubis 61%<br />

26. Brenntag 60%<br />

27. Bayer 59%<br />

28. TUI 59%<br />

29. Allianz 58%<br />

30. Lanxess 58%<br />

31. Merck 58%<br />

32. Celesio 57%<br />

33. Infineon 57%<br />

34. Daimler 56%<br />

35. PUMA 56%<br />

36. Wacker Chemie 55%<br />

37. Rheinmetall 53%<br />

38. EADS 52%<br />

39. STADA Arzneimittel 47%<br />

40. Münchener Rück. 47%<br />

Unternehmen<br />

Ausfinanzierungsgrad<br />

41. Dürr 44%<br />

42. Continental 42%<br />

43. METRO 42%<br />

44. Bilfinger 40%<br />

45. Fraport 40%<br />

46. Vossloh 40%<br />

47. Axel Springer 37%<br />

48. FMC 35%<br />

49. Gildemeister 32%<br />

50. Fresenius 30%<br />

51. SGL CARBON 27%<br />

52. Adidas 24%<br />

53. Aareal Bank 24%<br />

54. Volkswagen 23%<br />

55. ThyssenKrupp 21%<br />

56. ElringKlinger 21%<br />

57. Deutsche Telekom 19%<br />

58. Gerresheimer 18%<br />

59. Krones 17%<br />

60. Südzucker 16%<br />

61. GEA Group 16%<br />

62. Deutsche Wohnen 13%<br />

63. Hannover Rück. 11%<br />

64. Symrise 9%<br />

65. Talanx 8%<br />

66. Fielmann 8%<br />

67. KUKA 5%<br />

68. MTU 4%<br />

69. GAGFAH 3%<br />

70. Kabel Dt. Holding 1%<br />

71. Salzgitter 0%<br />

72. BayWa 0%<br />

73. ProSiebenSat.1 Media 0%<br />

74. Sky Deutschland 0%<br />

75. RHÖN-KLINIKUM 0%<br />

76. TAG Immobilien 0%<br />

77. GSW Immobilien 0%<br />

78. Rational 0%<br />

79. Deutsche EuroShop N.Z.<br />

80. Gerry Weber Int. N.Z.<br />

Der Ausfinanzierungsgrad der DAX-Pensionspläne sank 2012 um fast fünf Prozentpunkte – nachdem<br />

er mehrere Jahre fast konstant bei etwa 66 Prozent lag. Im MDAX vollzog sich die gleiche Ent -<br />

wicklung auf niedrigerem Ausfinanzierungsniveau (45 Prozent 2012 gegenüber 49 Prozent 2011).<br />

gegenüber. Ferner sind Direktzusagen, Unterstützungskassen-<br />

<strong>und</strong> Pensionsfondszusagen<br />

über den Pensions-Sicherungs-Verein<br />

(PSVaG) im Insolvenzfall weitgehend<br />

geschützt. Somit erweist sich die bAV für<br />

den Arbeitnehmer auch in Krisenzeiten als<br />

eine äußerst verlässliche <strong>und</strong> robuste Form<br />

des Sparens.<br />

Die Aktienquote liegt mit 23 Prozent im DAX<br />

<strong>und</strong> 30 Prozent im MDAX deutlich unterhalb<br />

des bei Pensionsplänen weltweit<br />

üblichen Schnitts (47 Prozent). Dies lässt<br />

Quelle: Towers Watson, 2013<br />

Sonderheft 07 | 2013 www.personalwirtschaft.de 21


BETRIEBLICHE ALTERSVERSORGUNG<br />

Studie<br />

darauf schließen, dass das Planvermögen<br />

für deutsche Pensionspläne eher konservativ<br />

angelegt ist. Trotzdem konnten die Unternehmen<br />

2012 auch von der Aktien- <strong>und</strong> Rentenrallye<br />

profitieren, sodass die erfolgreiche<br />

Wertentwicklung der Pensionsvermögen um<br />

mehr als zehn Prozentpunkte teilweise die<br />

deutlichen Erhöhungen der Pensionsverpflichtungen<br />

ausgleichen. Die konservative<br />

Anlagestrategie führte insbesondere im „Krisenjahr“<br />

2008 dazu, dass der Wertverlust<br />

bei einem Großteil der Aktien nicht vollumfänglich<br />

auf das Pensionsvermögen durchschlug.<br />

Die Anlage des Planvermögens (Aufteilung<br />

in Aktien, Anleihen, Immobilien et<br />

cetera) wurde 2012 kaum verändert; sie entspricht<br />

in der <strong>Regel</strong> der Ziel-Allokation.<br />

Anlage der Pensionsvermögen Abbildung 2<br />

100%<br />

80%<br />

60%<br />

40%<br />

20%<br />

0%<br />

12 14 15 18<br />

5 5 7<br />

61 58 46 44<br />

22 23 32 30<br />

DAX 2011 DAX 2012 MDAX 2011 MDAX 2012<br />

Die Anlage des Planvermögens wurde 2012 kaum verändert. Die Aktienquote liegt mit 23 Prozent<br />

im DAX <strong>und</strong> 30 Prozent im MDAX deutlich unterhalb des bei Pensionsplänen weltweit üblichen<br />

Schnitts (47 Prozent).<br />

8<br />

Sonstiges<br />

Immobilien<br />

Anleihen<br />

Aktien<br />

Quelle: Towers Watson, 2013<br />

Risiken im Blick<br />

Das Pension-Risikomanagement wurde in<br />

den letzten Jahren stetig weiterentwickelt.<br />

So haben die meisten Unternehmen Pensionsrichtlinien<br />

aufgestellt; die Risiken aller<br />

Pensionspläne werden sorgsam überwacht,<br />

um bei Bedarf frühzeitig gegensteuern zu<br />

können. Zweckgeb<strong>und</strong>ene Pensionsvermögen<br />

werden häufig so angelegt, dass sich ihr<br />

Wert parallel zur Pensionsverpflichtung entwickelt<br />

(Asset Liability Matching). Soll dies<br />

auch auf kurze Frist erreicht werden, kommen<br />

zunehmend Kapitalmarktinstrumente<br />

zur Absicherung von Zinsänderungs- <strong>und</strong><br />

Inflationsrisiken in den Fokus (Liability Driven<br />

Investment). Somit werden Schwankungen<br />

im Ausfinanzierungsgrad vermieden.<br />

Häufig setzt das Risikomanagement schon<br />

viel früher, nämlich bei der Gestaltung der<br />

Pensionspläne, an. Zur Verbesserung der<br />

Kosten- <strong>und</strong> Leistungstransparenz wurden<br />

Versorgungszusagen in den vergangenen<br />

Jahren zunehmend von Leistungszusagen<br />

auf beitragsorientierte Zusagen umgestellt.<br />

Mitarbeiter erhalten weniger Zusagen über<br />

endgehaltsabhängige Renten, sondern eher<br />

jährliche Beiträge. Diese werden verzinst<br />

<strong>und</strong> zum Beispiel als Kapital- oder Rentenbausteine<br />

einem Versorgungskonto gutgeschrieben.<br />

Der Trend zur Gewährung von<br />

Beiträgen hat sich auch 2012 weiter fortgesetzt.<br />

Bei DAX-Unternehmen sind neue Zusagen<br />

mittlerweile überwiegend beitragsorientiert<br />

– sowohl für die allgemeine Belegschaft<br />

als auch für Führungskräfte <strong>und</strong> Vorstände.<br />

Die Niedrigzinsphase schärft den<br />

Blick für den Einfluss des Kapitalmarkts auf<br />

klassische Pensionszusagen zusätzlich. Viele<br />

Unternehmen schützen sich dagegen durch<br />

die Einführung von modernen, kapitalmarktorientierten<br />

Pensionsplänen. So sagen gerade<br />

neuere Pensionszusagen eher eine kapitalmarktnahe<br />

Verzinsung der Beiträge als<br />

einen festen Zins zu. Sie sind damit gegen<br />

ein Auseinanderklaffen von zugesagter Verzinsung<br />

<strong>und</strong> Marktzins in Niedrigzinsphasen<br />

von vornherein „immunisiert“.<br />

Handlungsoptionen für<br />

Unternehmen<br />

Für Unternehmen lassen sich aus den Ergebnissen<br />

der Studie folgende Handlungsempfehlungen<br />

ableiten: Zunächst sollte anhand<br />

einer Analyse des Bestands <strong>und</strong> der Zusagestruktur<br />

geprüft werden, welche Risikoposition<br />

sich aus der bAV ergibt. Je nach<br />

Plangestaltung wirken sich verschiedene<br />

Risiken unterschiedlich stark auf das Unternehmen<br />

aus. So lässt sich zum Beispiel die<br />

Sensitivität hinsichtlich Zinsveränderungen<br />

durch die Wahl der Auszahlungsoptionen<br />

(Einmalkapital, Raten oder Renten) begrenzen.<br />

Das Unternehmen sollte sich bewusst<br />

machen, welche Risikoposition aus der bAV<br />

es tragen kann <strong>und</strong> will. Diese Diskussion<br />

sollte im engen Zusammenspiel zwischen<br />

der HR- <strong>und</strong> der Finanzabteilung geführt<br />

werden. Nur so lässt sich ein Pensionsplan<br />

entwickeln, der sowohl den Absicherungsbedürfnissen<br />

der Mitarbeiter entspricht –<br />

<strong>und</strong> damit als Instrument zur Mitarbeiterbindung<br />

<strong>und</strong> -gewinnung tatsächlich taugt –<br />

als auch langfristig gut finanzierbar ist.<br />

Weiterhin bietet es sich an, Abweichungen<br />

von Ist- <strong>und</strong> Soll-Risikostruktur durch eine<br />

geeignete Pensionsplangestaltung <strong>und</strong> gegebenenfalls<br />

eine Umstellung der bestehenden<br />

Pensionslandschaft auf ein Neusystem zu<br />

korrigieren. Auch die (vollständige oder anteilige)<br />

Ausfinanzierung der Pensionsverpflichtungen<br />

oder die Absicherung einzelner Risikopositionen<br />

über Versicherungen oder<br />

andere Kapitalmarktinstrumente können<br />

einen Beitrag dazu leisten, die bAV <strong>und</strong> das<br />

Unternehmen risikoorientiert <strong>und</strong> zukunftsgerecht<br />

aufzustellen <strong>und</strong> gleichzeitig einen<br />

Mehrwert für die Mitarbeiter zu schaffen.<br />

Autor<br />

Dr. Thomas Jasper,<br />

Leiter Retirement Solutions,<br />

Towers Watson,<br />

thomas.jasper@<br />

towerswatson.com<br />

Autorin<br />

Elke Launspach,<br />

Senior Consultant,<br />

Towers Watson,<br />

elke.launspach@<br />

towerswatson.com<br />

22<br />

Sonderheft 07 | 2013<br />

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BETRIEBLICHE ALTERSVERSORGUNG<br />

Studie<br />

Das reicht nicht<br />

Eine Studie der Ruhr-Universität Bochum hat erstmals<br />

untersucht, welches Einkommen wir benötigen, um den<br />

Lebensstandard nach Renteneintritt halten zu können.<br />

Die Ergebnisse lassen nur einen Schluss zu: Die Deutschen<br />

müssen mehr für ihr Alter sparen.<br />

Z<br />

war macht sich kaum jemand noch<br />

Illusionen, dass die gesetzliche Rente<br />

ausreicht. Viele B<strong>und</strong>esbürger sorgen<br />

deshalb zusätzlich privat oder betrieblich<br />

für ihr Alter vor. Doch wie hoch ist der<br />

finanzielle Bedarf im Ruhestand eigentlich?<br />

Hierzulande geht man davon aus,<br />

dass ein Rentner etwa 70 Prozent seines<br />

letzten Nettoeinkommens zum Lebensunterhalt<br />

benötigt. Diese Faustformel ist<br />

aber ziemlich willkürlich gesetzt, die 70<br />

Prozent waren das Netto-Rentenniveau der<br />

gesetzlichen Rentenversicherung bis ungefähr<br />

zum Jahr 2000 vor den Reformen.<br />

Forscher der Ruhr-Universität Bochum<br />

haben nun im Auftrag von Fidelity Worldwide<br />

Investment untersucht, mit welchem<br />

Einkommen Rentnerhaushalte nach eigenem<br />

Ermessen tatsächlich ihren Lebensstandard<br />

sichern können. Dazu werteten<br />

Professor Martin Werding von der Fakultät<br />

für Sozialwissenschaft <strong>und</strong> sein Team<br />

Daten des Wirtschaftsforschungsinstituts<br />

DIW Berlin aus. Es ist eine repräsentative<br />

Längsschnittbefragung von 20 000 Personen,<br />

die zwischen 1992 <strong>und</strong> 2011 in Rente<br />

gingen. Die Forscher ermittelten die<br />

Zufriedenheit der Befragten mit ihrem<br />

jeweiligen Einkommen zwischen dem Renteneintritt<br />

<strong>und</strong> dem 75. Lebensjahr <strong>und</strong><br />

leiteten daraus diejenige Rentenersatzquote<br />

ab, bei der die Zufriedenheit unverändert<br />

bleibt. Die Studie der Ruhr-Universität<br />

Bochum liefert damit erstmals<br />

gesicherte Erkenntnisse über den wirklichen<br />

Vorsorgebedarf – <strong>und</strong> der ist weit<br />

höher als bislang vermutet.<br />

Lebensstandard in Gefahr<br />

Um den gewohnten Lebensstandard halten<br />

zu können, benötigen Rentner monatlich<br />

demnach nicht 70 Prozent, sondern<br />

durchschnittlich 87 Prozent des letzten<br />

Nettoeinkommens vor Renteneintritt (siehe<br />

Abbildung 1). Damit beträgt die Lücke<br />

für den sogenannten Standardrentner mit<br />

einem Nettorentenniveau von aktuell r<strong>und</strong><br />

55 Prozent 32 Prozentpunkte. Konkret sind<br />

das für den Standardrentner 650 Euro<br />

netto monatlich. Die Lücke ist damit um<br />

350 Euro größer als bislang angenommen.<br />

Weil aber der Standardrentner, der 45 Jahre<br />

lang ohne Unterbrechung Beiträge in<br />

die Rentenkasse einzahlt, ohnehin eine<br />

Fiktion darstellt, ist die tatsächliche Lücke<br />

noch größer. Denn kürzere Versicherungszeiten<br />

oder Unterbrechungen, etwa durch<br />

Phasen der Teilzeitbeschäftigung oder der<br />

Arbeitslosigkeit, sind heute vielfach die<br />

<strong>Regel</strong>. Das schmälert den Rentenanspruch.<br />

Diese Ergebnisse sind brisant. Noch ist<br />

Altersarmut kein flächendeckendes Problem<br />

in Deutschland. Doch schon jetzt<br />

reicht die Altersvorsorge nicht aus, <strong>und</strong><br />

ein erheblicher Bevölkerungsanteil hat<br />

dies noch nicht erkannt. Ein „Weiter so“<br />

in der Alterssicherung hätte daher fatale<br />

Folgen. Die Deutschen müssten ihren<br />

Lebensstandard im Rentenalter zum Teil<br />

dramatisch senken.<br />

Gut zehn Jahre sind seit dem Start der<br />

Riester-Rente <strong>und</strong> der Einführung des<br />

Anspruchs der Arbeitnehmer auf Entgelt -<br />

umwandlung in der betrieblichen Altersvorsorge<br />

vergangen. Mit den Reformen<br />

wollte der Gesetzgeber breite Bevölkerungskreise<br />

für die zusätzliche private <strong>und</strong><br />

betriebliche Altersvorsorge gewinnen. Dieses<br />

Ziel wurde bis heute nicht erreicht.<br />

Staatliche Förderung unzureichend<br />

Sowohl die Entwicklung bei der Riester-<br />

Rente auch als die Beteiligung an der Entgeltumwandlung<br />

in der betrieblichen<br />

Altersvorsorge ist weit hinter den Erwartungen<br />

zurückgeblieben. So ist die Zahl<br />

von fast 16 Millionen Riester-Verträgen<br />

nur scheinbar ein Erfolg. Dahinter verbergen<br />

sich viele Verträge mit Mindestbeiträgen<br />

von 60 Euro im Jahr – diese dienen in<br />

erster Linie dazu, die staatlichen Zulagen<br />

mitzunehmen. Die Leistung solcher Riester-Verträge<br />

ist in der <strong>Regel</strong> zu gering, um<br />

daraus eine nennenswerte Versorgung im<br />

Alter zu erzielen.<br />

Bei der Entgeltumwandlung sieht es nicht<br />

viel besser aus. Insgesamt besitzen noch<br />

immer weniger als die Hälfte aller Arbeitnehmer<br />

Ansprüche auf Leistungen aus<br />

betrieblichen Versorgungssystemen. Be -<br />

son ders kritisch ist die Situation bei den<br />

Geringverdienern. Der Alterssicherungsbericht<br />

2012 der B<strong>und</strong>esregierung stellt<br />

fest, dass 42 Prozent der Arbeitnehmer<br />

mit einem Bruttoeinkommen von weniger<br />

24<br />

Sonderheft 07 | 2013<br />

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als 1500 Euro im Monat weder eine Riester-Rente<br />

noch eine betriebliche Altersversorgung<br />

abgeschlossen haben. Nur durchschnittlich<br />

vier Prozent der gesamten<br />

Altersbezüge stammen heute in Deutschland<br />

aus Betriebsrenten – weitere fünf Prozent<br />

aus der privaten Vorsorge.<br />

Diese Fakten sprechen für sich. Der Plan,<br />

die Bürger durch staatliche Förderung zu<br />

substantieller Eigenvorsorge zu bewegen<br />

<strong>und</strong> die Bezieher geringer Einkommen besser<br />

abzusichern, ist gescheitert. Für die<br />

Alterssicherung in Deutschland ergibt sich<br />

daraus eine gefährliche Gemengelage. Mit<br />

einem Anteil von knapp 90 Prozent dominiert<br />

nach wie vor die gesetzliche Rentenversicherung.<br />

Doch die Rentenreformen<br />

der jüngsten Vergangenheit führen dazu,<br />

dass das Rentenniveau bei nahezu unverändertem<br />

Rentenbeitrag <strong>und</strong> höherem Renteneintrittsalter<br />

weiter sinkt (siehe Abbildung<br />

2).<br />

Netto-Ersatzquote für Lebensstandardsicherung im Alter Abbildung 1<br />

lebensstandardsichernde Netto-Ersatzrate<br />

90%<br />

80%<br />

70%<br />

60%<br />

50%<br />

40%<br />

30%<br />

20%<br />

65 66 66<br />

mortalitätsgewichteter Durchschnitt: 74% bis 75%<br />

korrigiert um Effekte der Inflation: 87%<br />

68 69 70 71 72 73 74 75 76 77 78 79 80<br />

Alter<br />

Lineares Fixed-effects-Modell<br />

95%-Konfidenzgrenzen<br />

• Die Konfidenzgrenzen geben an, in welchem Bereich der Wert mit 95%-iger Wahrscheinlichkeit liegt.<br />

• Ein lineares Fixed-effects-Modell ist ein statistisches Modell mit dem dieselben Individuen über<br />

mehrere Zeitperioden hinweg beobachtet werden.<br />

Um den gewohnten Lebensstandard halten zu können, benötigen Rentner monatlich nicht, wie<br />

üblich angenommen, 70 Prozent, sondern durchschnittlich 87 Prozent des letzten Nettoeinkommens<br />

vor Renteneintritt.<br />

Quelle: Dudel, Ott <strong>und</strong> Werding (2013)<br />

Staatliche Versprechen werden<br />

zurückgenommen<br />

Nachdem der Staat in den zurückliegenden<br />

wirtschaftlichen <strong>und</strong> demografischen<br />

Boom-Zeiten der B<strong>und</strong>esrepublik die Sozialleistungen<br />

großzügig ausgebaut <strong>und</strong><br />

damit hohe Erwartungen geschürt hat,<br />

muss er seine Versprechen nun zurücknehmen.<br />

Dies zu akzeptieren, fällt vielen<br />

schwer. So mag die Tradition staatlicher<br />

Vollversorgung auch die zögerliche Haltung<br />

der B<strong>und</strong>esbürger bei der Eigenvorsorge<br />

erklären. Die Deutschen sind im<br />

internationalen Vergleich noch immer eine<br />

ausgesprochene Sparernation – einerseits.<br />

Andererseits sind sie bei der Geldanlage<br />

eher vorsichtig. Für ihre Altersvorsorge<br />

bevorzugen sie die eigene Immobilie,<br />

Lebens- <strong>und</strong> Rentenversicherungen, Festgelder,<br />

Sparbücher <strong>und</strong> festverzinsliche<br />

Wertpapiere. Aktien <strong>und</strong> aktienbasierte<br />

Investmentfonds folgen erst mit weitem<br />

Abstand. Dieses Bedürfnis nach Sicherheit<br />

hat einen hohen Preis, denn mehr als<br />

85 Prozent des Geldvermögens deutscher<br />

Haushalte ist mittlerweile durch finanzielle<br />

Repression bedroht. Die Niedrigzinspolitik<br />

etwa der Europäischen Zentralbank<br />

hat dazu geführt, dass zehnjährige B<strong>und</strong>esanleihen<br />

Anfang 2013 lediglich eine Rendite<br />

vor Steuern von etwa 1,5 Prozent erzielen<br />

konnten. Bei einer Inflationsrate von<br />

gut zwei Prozent bedeutet dies effektiv<br />

einen Verlust für die Anleger.<br />

Sanfter Druck muss sein<br />

Private <strong>und</strong> betriebliche Altersvorsorge<br />

kommen trotz staatlicher Förderung, massiver<br />

Werbung <strong>und</strong> Aufklärung in den<br />

Medien nur schleppend voran. Die Gründe<br />

dafür sind vielfältig. Überforderung<br />

<strong>und</strong> Desinteresse spielen eine Rolle. Hinzu<br />

kommt, dass immer weniger Bürger<br />

unter dem Eindruck der vergangenen Krisenjahre<br />

gewillt sind, lang laufende Rentenverträge<br />

einzugehen. Vielen fehlt auch<br />

schlicht das Geld. Doch es gibt einen Ausweg<br />

aus dem Dilemma: Die betriebliche<br />

Altersversorgung bietet dafür eine konstruktive<br />

Lösung an. Dass sie in Deutschland<br />

nur eine geringe Rolle spielt, ist nicht<br />

nachzuvollziehen.<br />

In den Niederlanden stammen bereits ein<br />

Drittel, in Dänemark immerhin 17 Prozent<br />

der Altersbezüge aus Betriebsrenten. Auch<br />

in Deutschland muss die betriebliche<br />

Altersvorsorge zum zweiten Standbein der<br />

Altersvorsorge ausgebaut <strong>und</strong> zusammen<br />

mit der staatlichen Rente auf die Deckung<br />

eines vordefinierten Vorsorgeniveaus ausgerichtet<br />

werden. In Zukunft müsste die<br />

betriebliche Altersvorsorge in Deutschland<br />

25 bis 30 Prozent zum Alterseinkommen<br />

beisteuern, um damit den gewohnten<br />

Lebensstandard zu sichern. Dieses Ziel<br />

wird man mit dem bloßen Rechtsanspruch<br />

auf Entgeltumwandlung, wie er aktuell<br />

existiert, allein jedoch nicht erreichen.<br />

Automatische Entgeltumwandlung<br />

Gesetzgeber, Arbeitgeber <strong>und</strong> Tarifparteien<br />

sollten daher jetzt einen entscheidenden<br />

Schritt weiter gehen <strong>und</strong> die<br />

automatische Entgeltumwandlung mit<br />

Ausstiegsmöglichkeit einführen. Bei diesem<br />

Modell zahlt jeder Arbeitnehmer automatisch<br />

einen bestimmten Prozentsatz<br />

seines Bruttogehalts in die betriebliche<br />

Altersversorgung ein – es sei denn, er<br />

spricht sich ausdrücklich dagegen aus.<br />

Derzeit ist es in den allermeisten Fällen<br />

genau umgekehrt: Wer eine Betriebsrente<br />

abschließen möchte, muss selbst aktiv<br />

werden, von alleine passiert nichts. Die<br />

Sonderheft 07 | 2013 www.personalwirtschaft.de 25


BETRIEBLICHE ALTERSVERSORGUNG<br />

Studie<br />

automatische Entgeltumwandlung hat<br />

dagegen den Vorteil, dass es auch ohne<br />

Zwang zu hohen Teilnahmequoten in den<br />

Betrieben führt.<br />

Die Werte erreichen etwa in amerikanischen<br />

Unternehmen oft über 80 Prozent<br />

der Belegschaft. In einzelnen Branchen<br />

wie in der Chemie oder in der Metallindustrie<br />

hat sich das Modell auch hierzulande<br />

schon bewährt. Doch was fehlt, ist eine flächendeckende<br />

Vereinbarung, damit endlich<br />

die vielen Beschäftigten in kleinen<br />

<strong>und</strong> mittleren Unternehmen von den Vorteilen<br />

der betrieblichen Vorsorge profitieren<br />

können. Die Vertragskosten sind bei<br />

einer kollektiven Lösung über den Betrieb<br />

für den einzelnen Versicherten geringer<br />

als bei einem privaten Vertrag. Und geringere<br />

Kosten in der Ansparphase bedeuten<br />

höhere Rentenleistungen im Alter.<br />

Die automatische Entgeltumwandlung ist<br />

auch deshalb effizient, weil die Beiträge<br />

erst bei Auszahlung in der Rentenphase<br />

besteuert werden <strong>und</strong> Sozialabgaben auf<br />

umgewandelte Gehaltszahlungen komplett<br />

entfallen. Kritiker wenden zwar ein, dass<br />

die Steuer- <strong>und</strong> Abgabenfreiheit bei der<br />

Entgeltumwandlung den Staat Geld kostet.<br />

Doch dies sollte nicht als Verlust, sondern<br />

als Investition in die Zukunft gewertet<br />

werden. Denn ohne den Ausbau der<br />

betrieblichen Altersversorgung werden<br />

die staatlichen Ausgaben zum Erhalt der<br />

Gr<strong>und</strong>sicherung im Alter massiv steigen<br />

<strong>und</strong> dabei die Steuer- <strong>und</strong> Beitragseinbußen<br />

von heute deutlich übertreffen.<br />

Arbeitgeber sind gefordert<br />

Ob der Ausbau der betrieblichen Altersversorgung<br />

zum zweiten Standbein der<br />

Alterssicherung in Deutschland gelingt,<br />

hängt auch davon ab, welche Rolle den<br />

Arbeitgebern im Zusammenspiel mit Tarifparteien,<br />

Beratungsunternehmen, Produktanbietern<br />

<strong>und</strong> staatlicher Vorsorgepolitik<br />

beigemessen wird – <strong>und</strong> welche Rolle sie<br />

zu übernehmen bereit sind. Arbeitgeber<br />

betrachten die betriebliche Vorsorge heute<br />

in erster Linie als Teil der Gesamtvergütung<br />

<strong>und</strong> als Trumpf im Wettbewerb um<br />

qualifizierte Mitarbeiter. Dabei sollte die<br />

Sinkendes Rentenniveau Abbildung 2<br />

Nettostandardrentenniveau (vor Steuern)<br />

Rentenniveau (linke Skala)<br />

75%<br />

70%<br />

65%<br />

60%<br />

55%<br />

50%<br />

45%<br />

40%<br />

Die Rentenreformen der jüngsten Vergangenheit führen dazu, dass das Rentenniveau bei<br />

nahezu unverändertem Rentenbeitrag <strong>und</strong> höherem Renteneintrittsalter weiter sinkt.<br />

Erfüllung konkreter Vorsorgeziele wieder<br />

stärker in den Vordergr<strong>und</strong> rücken. Die<br />

Firmen sollten ihre Mitarbeiter bei deren<br />

Vorsorgeplanung über eine geeignete Kommunikation<br />

aktiv unterstützen <strong>und</strong> ihnen<br />

konkret aufzeigen, welche Eigenbeiträge<br />

zur Schließung der Rentenlücke erbracht<br />

werden müssten.<br />

Wie das gehen kann, zeigt das Beispiel<br />

von Fidelity. Das Unternehmen bietet seinen<br />

Mitarbeitern einen modernen Vorsorgeplan<br />

an. Es handelt sich dabei um eine<br />

auf Kapitalzahlung gerichtete Leistungszusage<br />

mit automatischer Entgeltumwandlung<br />

<strong>und</strong> Ausstiegsoption. Wer einen<br />

Arbeitsvertrag bei Fidelity unterschreibt,<br />

wandelt vier Prozent seines Bruttogehaltes<br />

in die betriebliche Altersvorsorge um.<br />

Die Mitarbeiter können jeden Monat flexibel<br />

entscheiden, ob sie diesen Prozentsatz<br />

beibehalten, reduzieren oder ganz<br />

aussteigen wollen. Die Beiträge werden<br />

für jede Alterskohorte in einen laufzeitgerechten<br />

Lebenszyklusfonds angelegt, der<br />

seine Anlagepolitik mit näher rückendem<br />

Auszahldatum – also dem Renteneintritt –<br />

anpasst. So kann der Aktienanteil bei jüngeren<br />

Mitarbeitern deutlich höher sein als<br />

bei näher rückendem Rentenalter.<br />

Der Vorsorgeplan des Unternehmens ist<br />

schon nach kurzer Zeit ein voller Erfolg:<br />

73 Prozent der Mitarbeiter nehmen daran<br />

Beitragssatz (rechte Skala)<br />

1990 2000 2010 2020 2030 2040 2050 2060<br />

35%<br />

30%<br />

25%<br />

20%<br />

15%<br />

10%<br />

5%<br />

0%<br />

Beitragssatz zur GRV<br />

teil, ein Viertel davon mit dem voreingestellten<br />

Beitragssatz von vier Prozent. Allerdings<br />

erreichen auch Fidelity-Mitarbeiter<br />

trotz der vergleichsweise hohen Zuführungen<br />

von monatlich acht Prozent des Bruttogehalts<br />

bei langjähriger Firmenzugehörigkeit<br />

lediglich 70 bis 75 des letzten<br />

Nettoeinkommens. Die neuen Erkenntnisse<br />

der Studie von Professor Werding, dass zur<br />

Sicherung des Lebensstandards in der Rentenphase<br />

monatlich 87 Prozent des letzten<br />

Nettoeinkommens notwendig sind, müssen<br />

auch hier noch im Vorsorgeplan <strong>und</strong><br />

in der Mitarbeiterkommunikation berücksichtigt<br />

werden. Dennoch: Die Erfahrung<br />

mit diesem Vorsorgeplan zeigt, dass die<br />

automatische Entgeltumwandlung mit Ausstiegsoption<br />

der betrieblichen Vorsorge<br />

zum Durchbruch verhelfen kann. Die Automatik<br />

ist ein entscheidender Impuls für<br />

eine aktive Beteiligung der Arbeitnehmer.<br />

Arbeitgeber erhöhen damit nicht nur ihre<br />

Chancen im Wettbewerb um Fach- <strong>und</strong> Führungskräfte,<br />

sie tragen auf diese Weise<br />

auch wesentlich dazu bei, die Alterssicherung<br />

in Deutschland zu verbessern.<br />

Autor<br />

Dr. Klaus Mössle,<br />

Leiter Institutionelles Geschäft,<br />

Fidelity Worldwide Investment,<br />

klaus.moessle@fil.com<br />

Quelle: DRV, Statistisches B<strong>und</strong>esamt, eigene Berechnungen von<br />

Prof. Werding auf Basis von Projektionen (Referenzvariante)<br />

26<br />

Sonderheft 07 | 2013<br />

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BETRIEBLICHE ALTERSVERSORGUNG<br />

BetrAVG-Kommentar<br />

Betriebsrentenanpassung –<br />

<strong>Regel</strong> <strong>und</strong> <strong>Ausnahme</strong><br />

Keine andere Vorschrift des Betriebsrentenrechts ist für die Unternehmenspraxis so<br />

problematisch wie § 16 Betriebsrentengesetz (BetrAVG). Die Bestimmung verpflichtet den<br />

Arbeitgeber, alle drei Jahre eine Anpassung der laufenden Leistungen der betrieblichen<br />

Altersversorgung zu prüfen <strong>und</strong> hierüber nach billigem Ermessen zu entscheiden.<br />

W<br />

as auf den ersten Blick Entscheidungsspielräume<br />

verheißt, entpuppt<br />

sich in einer Vielzahl von Fällen<br />

als schlichte Erhöhungspflicht. Denn das<br />

oberste deutsche Arbeitsgericht hält die<br />

Anpassung an die Geldentwertungsrate<br />

für die <strong>Regel</strong>, die Versagung des Kaufkraftausgleichs<br />

für den <strong>Ausnahme</strong>fall<br />

(BAG v. 26.5.2009 – 3 AZR 369/07, NZA<br />

2010, 641). Damit ist auch sogleich die<br />

Beweislast verteilt. Der Arbeitgeber muss<br />

die Voraussetzungen belegen, die ihm im<br />

<strong>Ausnahme</strong>fall gestatten, von einem (vol-<br />

len) Teuerungsausgleich abzusehen.<br />

Schon daran scheitern häufig Bemühungen,<br />

den Kostenzuwachs bei der betrieblichen<br />

Altersversorgung zu begrenzen.<br />

Prüfungszeitraum <strong>und</strong><br />

Prüfungsrhythmus<br />

Nach dem Gesetz ist alle drei Jahre eine<br />

Anpassungsprüfung durchzuführen. Das<br />

bezieht sich auf jeden einzelnen Rentenempfänger.<br />

Das BAG hält es allerdings<br />

für zulässig, dass alle in einem Kalenderjahr<br />

anfallenden Anpassungsprüfungen<br />

auf einen Stichtag gebündelt werden,<br />

soweit sie dadurch nicht für den einzelnen<br />

Betriebsrentner um mehr als ein halbes<br />

Jahr verschoben werden. Zulässig ist<br />

sogar, nur alle drei Jahre für alle Betriebsrentner<br />

eine Anpassungsprüfung vorzunehmen.<br />

Das führt dann aber dazu, dass<br />

für einen Teil der Betriebsrentner die Prüfung<br />

vorgezogen werden muss, weil sich<br />

sonst die erste Anpassungsprüfung um<br />

mehr als das vom BAG zulässige Maß<br />

hi naus verzögert (BAG v. 19.6.2012 –<br />

3 AZR 464/11, NZA 2012, 1291).<br />

Der dreijährige Prüfungsrhythmus darf<br />

nicht mit dem Prüfungszeitraum verwechselt<br />

werden. Dieser beginnt für jeden<br />

Betriebsrentner individuell mit der ersten<br />

Rentenzahlung. Bei jeder Anpassungsprüfung<br />

ist also der Wertverzehr seit Rentenbeginn<br />

zu betrachten. Das bedeutet<br />

zugleich, dass ein etwa in der Vergangenheit<br />

nicht erfolgter vollständiger Teuerungsausgleich<br />

bei späteren Anpassungsprüfungen<br />

berücksichtigt werden muss.<br />

<strong>Ausnahme</strong>n<br />

Von der Anpassungsprüfungspflicht<br />

macht § 16 Abs. 3 BetrAVG <strong>Ausnahme</strong>n.<br />

Verpflichtet sich der Arbeitgeber, die laufenden<br />

Leistungen jährlich um wenigs -<br />

tens ein Prozent anzuheben, entfällt die<br />

Prüfungspflicht. Das gilt aber nur für<br />

Zusagen, die nach dem 31.12.1998 erteilt<br />

wurden.<br />

Bei den versicherungsförmigen Durchführungswegen<br />

Direktversicherung oder<br />

Pensionskasse gibt es keine Prüfungspflicht,<br />

wenn erwirtschaftete Überschussanteile<br />

zur Verbesserung der Versorgungsleistung<br />

verwendet werden.<br />

Die Prüfungspflicht entfällt auch bei der<br />

besonderen Form der Beitragszusage mit<br />

Mindestleistung. Für die arbeitnehmer-<br />

28<br />

Sonderheft 07 | 2013<br />

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BETRIEBLICHE ALTERSVERSORGUNG<br />

BetrAVG-Kommentar<br />

finanzierte Entgeltumwandlung entfällt<br />

die Prüfung, wenn die Zusage nach dem<br />

31.12.2000 erteilt wurde. Der Arbeitgeber<br />

ist stattdessen verpflichtet, die laufenden<br />

Leistungen um wenigstens ein<br />

Prozent jährlich anzupassen. Bedient er<br />

sich der Durchführungswege Pensionskasse<br />

<strong>und</strong> Direktversicherung, müssen<br />

erwirtschaftete Überschussanteile zur<br />

Verbesserung der Versorgung verwendet<br />

werden.<br />

Reallohnbezogene Obergrenze<br />

Die Anpassungsprüfungspflicht gilt<br />

als erfüllt, wenn die Anhebung nicht<br />

geringer ausfällt als der Anstieg der Nettoeinkommen<br />

vergleichbarer Arbeitnehmergruppen<br />

des Unternehmens im Prüfungszeitraum.<br />

Prüfungszeitraum ist auch<br />

hier nicht der dreijährige Prüfungsrhythmus,<br />

sondern die seit Rentenbeginn verstrichene<br />

Zeit (BAG v. 19.6.2012 – 3 AZR<br />

464/11, NZA 2012, 1291). Will der Arbeitgeber<br />

seinen Betriebsrentnern einen vollen<br />

Teuerungsausgleich wegen einer<br />

ungünstigen Reallohnentwicklung ganz<br />

oder teilweise versagen, sind Probleme<br />

vorprogrammiert. Denn er kann dann<br />

nicht alle laufenden Betriebsrenten um<br />

einen einheitlichen Prozentsatz anheben,<br />

weil die Prüfung individualisiert vorzunehmen<br />

ist. Die Nettoeinkommensentwicklung<br />

<strong>und</strong> die Geldentwertungsrate<br />

sind für jeden Betriebsrentner individuell<br />

zu ermitteln. Je nachdem, wann der einzelne<br />

Betriebsrentner in den Ruhestand<br />

getreten ist, kann sich deshalb eine Vielzahl<br />

unterschiedlicher Erhöhungssätze<br />

ergeben.<br />

Ist zum Beispiel in einem Unternehmen<br />

in den letzten 30 Jahren in jedem Kalendermonat<br />

ein Mitarbeiter pensioniert worden,<br />

gibt es 360 verschiedene Nettoentgeltentwicklungen<br />

<strong>und</strong> ebenso viele<br />

Geldentwertungsraten. Der so verursachte<br />

Verwaltungsaufwand überfordert viele<br />

Unternehmen. Erfahrungsgemäß sind<br />

oftmals auch gar nicht mehr die Lohndaten<br />

greifbar, die benötigt werden, um die<br />

Nettoentgeltentwicklung über 20 oder 30<br />

Jahre nachzuweisen. Allein diese Hürde<br />

führt deshalb häufig dazu, dass Arbeitgeber<br />

einen vollen Teuerungsausgleich<br />

gewähren, obwohl sie dies bei objektiver<br />

Betrachtung gar nicht tun müssten.<br />

Wirtschaftliche Lage des<br />

Unternehmens<br />

Eine Anpassung muss nicht vorgenommen<br />

werden, wenn die wirtschaftliche<br />

Lage des Arbeitgebers das nicht zulässt.<br />

Dabei ist eine Prognose vorzunehmen,<br />

die in der <strong>Regel</strong> aus der Entwicklung in<br />

den drei Jahren vor dem Anpassungsstichtag<br />

zu ziehen ist. Es geht darum,<br />

dass durch die Erhöhung der Betriebsrenten<br />

das Unternehmen nicht übermäßig<br />

belastet <strong>und</strong> seine Wettbewerbsfähigkeit<br />

nicht gefährdet werden darf. Eine<br />

Anpassung ist deshalb nur geschuldet,<br />

wenn sie aus dem Wertzuwachs oder den<br />

Erträgen des Unternehmens finanziert<br />

werden kann. Die Substanz muss dafür<br />

nicht herhalten.<br />

Deshalb gesteht das BAG dem Arbeitgeber<br />

eine bestimmte Mindestverzinsung<br />

des Eigenkapitals zu, die eine Anpassung<br />

ausschließt, wenn sie nicht überschritten<br />

wird. Sie besteht aus einem Basiszinssatz,<br />

der der Umlaufrendite öffentlicher<br />

Anleihen entspricht. Hinzu kommt ein<br />

Zuschlag von zwei Prozent für das Risiko,<br />

dem das im Unternehmen investierte<br />

Kapital ausgesetzt ist (BAG v. 26.10.2010<br />

– 3 AZR 502/08, AP BetrAVG § 16 Nr. 71).<br />

Die Rechtsprechung akzeptiert auch, dass<br />

ein Unternehmen über eine hinreichende<br />

Eigenkapitalausstattung verfügen<br />

muss. Deshalb ist dem Arbeitgeber zuzubilligen,<br />

dass er nach Eigenkapitalverlusten<br />

oder einer Eigenkapitalauszehrung<br />

zunächst die verlorene Vermögenssituation<br />

wieder aufbaut. Bis dahin kann er<br />

von Anpassungen der Betriebsrenten absehen<br />

(BAG v. 30.11.2010 – 3 AZR 754/08,<br />

AP BetrAVG § 16 Nr. 72).<br />

Maßgeblich für die Bewertung dieser Fragen<br />

sind die handelsrechtlichen Unternehmensabschlüsse<br />

des Versorgungsschuldners.<br />

Abschlüsse nach anderen<br />

<strong>Regel</strong>ungen, zum Beispiel IFRS, sind für<br />

die Beurteilung der wirtschaftlichen Lage<br />

des Arbeitgebers ungeeignet (BAG v.<br />

21.8.2012 – 3 AZR 20/10).<br />

Nachholende Anpassung<br />

Wer einen Ausgleich des Kaufkraftverlustes<br />

versagt, muss das bei folgenden<br />

Anpassungsstichtagen nachholen, es sei<br />

denn, er ist auch dann nicht hinreichend<br />

wirtschaftlich leistungsfähig oder kann<br />

sich weiterhin auf eine ungünstige Nettolohnentwicklung<br />

berufen. Eine <strong>Ausnahme</strong><br />

vom Nachholgebot besteht nur dann,<br />

wenn der Arbeitgeber aus wirtschaftlichen<br />

Gründen nicht imstande war, den Teuerungsausgleich<br />

zu bewirken. Allerdings<br />

gibt es auch hier einen Haken: Er muss<br />

dem Betriebsrentner in nachvollziehbarer<br />

Weise schriftlich aufzeigen, aus welchen<br />

Gründen er nicht in der Lage ist, die<br />

Anpassung zu bezahlen. Dabei muss die<br />

fehlende wirtschaftliche Leistungsfähigkeit<br />

so detailliert beschrieben werden,<br />

dass der Versorgungsempfänger die Entscheidung<br />

seines Arbeitgebers auf ihre<br />

Plausibilität überprüfen kann (BAG v.<br />

11.10.2011 – 3 AZR 732/09, NZA 2012,<br />

337). Wer hier nicht sorgfältig vorgeht<br />

oder „mauert“, wird dafür die Zeche später<br />

bezahlen müssen.<br />

Fazit<br />

Nur solange der Arbeitgeber stets einen<br />

vollen Teuerungsausgleich vornimmt,<br />

kann nichts passieren. Sobald er aber<br />

wegen einer ungünstigen wirtschaftlichen<br />

Entwicklung seines Unternehmens oder<br />

einer geringeren Nettoentgeltentwicklung<br />

der aktiven Arbeitnehmer dahinter<br />

zurückbleibt, drohen Probleme. Eine solche,<br />

den vollen Kaufkraftausgleich versagende<br />

Anpassungsentscheidung will<br />

deshalb sorgfältig vorbereitet sein. Das<br />

wird häufig verkannt, mit dann unter<br />

Umständen schmerzhaften Folgen.<br />

Autor<br />

Dr. Johannes Schipp,<br />

Sozius der Kanzlei<br />

Tschöpe/Schipp/Clemenz,<br />

Gütersloh,<br />

johannes.schipp@t-s-c.eu<br />

30<br />

Sonderheft 07 | 2013<br />

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