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10 LEBENDIGE GESCHICHTE<br />
Lebendige Geschichte<br />
ESBZ, 4. September 2013, 8.30 Uhr:<br />
Schüler_innen der NG-Lernbüros und des Englisch<br />
Leistungskurses mit ihren Lehrer_innen kommen im<br />
Forum zusammen, um eine Zeitzeugin zu empfangen,<br />
die ihrerseits gerne einmal mit der jüngeren Generation<br />
ins Gespräch kommen möchte.<br />
Dr. Joanne Intrator (*1946), Psychoanalytikerin aus New<br />
York City, ist anlässlich der Ausstellungseröffnung „Geraubte<br />
Mitte“ (Ephraim-Palais bis zum 19. 1. 2014) nach<br />
<strong>Berlin</strong> eingeladen worden. Die Ausstellung erzählt<br />
anhand von 5 Familien eindrücklich von der Arisierung<br />
der <strong>Berlin</strong>er Mitte. Der Kurator der Ausstellung Dr. Benedikt<br />
Goebel hatte uns auf diese interessante „Nachbarin“<br />
aufmerksam gemacht, die nun mit ihm auf dem<br />
Podium in unserem Forum Platz nimmt. Familie Intrator<br />
war Miteigentümerin des Hauses Wallstraße 16.<br />
Frau Intrator arbeitet an einem<br />
Buch zum Schicksal ihrer Familie<br />
und konnte hier den Schüler_innen<br />
die unglaubliche Geschichte<br />
ihrer Familie und des „verlorenen<br />
Besitzes“ erzählen:<br />
Der Stadtkern <strong>Berlin</strong>s zwischen<br />
Schloß- und Alexanderplatz bzw.<br />
Spittel- und Holzmarkt steht seit<br />
dem Mauerfall im Mittelpunkt des<br />
öffentlichen Interesses. Nur wenige<br />
Spuren erinnern im Stadtkern an die jüdischen <strong>Berlin</strong>er,<br />
die zwischen 1933 und 1945 verfolgt, vertrieben und<br />
vielfach ermordet wurden. Dass von den einst 1.200<br />
hier vorhandenen Grundstücken mindestens 225 in<br />
jüdischem Besitz gewesen sind, ist zu wenig bekannt.<br />
Weder Gedenktafeln noch Stolpersteine erinnern bislang<br />
an das Schicksal dieser Eigentümerfamilien und<br />
ihrer Angehörigen.<br />
Mitglieder der Familien Berglas und Intrator, die<br />
miteinander verwandt sind, waren in <strong>Berlin</strong> zu Beginn<br />
des 20. Jahrhunderts wirtschaftlich außergewöhnlich<br />
erfolgreich. Jakob Berglas und Jakob Intrator erwarben<br />
das 1908 erbaute Geschäftshaus Wallstraße 16 im<br />
Jahr 1920.<br />
Nach 1933 wurde es den <strong>Berlin</strong>er Juden zunehmend<br />
unmöglich gemacht, ihren Geschäften nachzugehen<br />
und ihren Besitz zu verwalten. Deswegen kam es 1938<br />
zur Zwangsversteigerung des Hauses Wallstraße 16.<br />
Den Zuschlag erhielt die Möbelfabrik Heim & Gerken<br />
aus Birkenwerder für 422.400 RM. Der Versteigerungserlös<br />
ging an das Deutsche Reich und an die Hypothekengläubiger<br />
– nicht an die Eigentümer.<br />
Nach der Arisierung des Grundstücks übernahm die<br />
heute noch bestehende Textildruckfirma Geitel 4.000<br />
der 5.000 Quadratmeter Nutzfläche zur Miete. Geitel<br />
druckte in der Wallstraße 16 u.a. Hakenkreuzflaggen<br />
und im Spätsommer 1941 zirka eine Million Judensterne.<br />
Auch an diesen Geschichtsort erinnert bislang<br />
keine Gedenktafel.<br />
Jakob Intrator, Joannes Großvater, konnte erst Ende<br />
September 1941 mit seiner Frau nach Spanien ausreisen.<br />
Als sie nach anderthalbjähriger Odyssee in New<br />
York ankamen, konnte Jakob sich nur einen Tag lang<br />
der neuen Freiheit freuen. Er starb am Tag nach der<br />
Ankunft. Jakob Berglas emigrierte<br />
im Februar 1937 nach China<br />
und siedelte 1941 in die USA<br />
über. Er starb im April 1963 in<br />
den USA. Insgesamt drei Viertel<br />
der Angehörigen der Familien<br />
Berglas und Intrator wurden<br />
Opfer des Holocaust.<br />
Zaghafte Fragen der Schüler_innen<br />
beantwortete Frau Intrator<br />
stets mit „That is a very interesting<br />
question“ genau und altersgerecht, allerdings auf<br />
Englisch. Sie freute sich über die Offenheit und Neugier<br />
der Schüler, wie sie die Gelegenheit wahrnahmen<br />
Geschichte zu erfragen. Ihre Erzählung, wie sie in den<br />
50er Jahren <strong>Schule</strong> <strong>als</strong> restriktiv, streng und disziplinierend<br />
erfahren hat, nahm sie sichtbar für unsere Schüler,<br />
aber ebenso die Schüler für sie ein.<br />
Noch heute erzählt Frau Intrator auf facebook begeistert<br />
von ihrem Besuch an unserer <strong>Schule</strong>. Den älteren<br />
Schülern berichtet sie später im Geschichtsgrundkurs<br />
noch genauer von dem langen, schwierigen und<br />
schmerzvollen Prozess der Rückübertragung und ihrem<br />
Kampf für Gerechtigkeit. Nach dem Fall der Mauer<br />
standen plötzlich die in der NS-Zeit Enteigneten den<br />
von der DDR enteigneten Ansprüchen gegenüber. Im<br />
Falle der Wallstraße 16 rissen Wunden wieder auf, da<br />
die jüdischen Familien mit den Nachfahren der Enteigner<br />
konfrontiert wurden. Wie weit Recht und Gerechtigkeit<br />
auseinander liegen, musste Joanne Intrator