Die Brautfahrt am Hallwilersee - Historische Vereinigung Wynental
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<strong>Die</strong> <strong>Brautfahrt</strong> <strong>am</strong> <strong>Hallwilersee</strong><br />
von Raoul Richner<br />
Zum 400. Mal jährt sich in diesen Tagen ein tragischer Unfall, der die Zeitgenossen sehr<br />
bewegt hat: Eine junge Braut aus Fahrwangen k<strong>am</strong> an ihrem Hochzeitstag bei der<br />
Überfahrt nach Beinwil zus<strong>am</strong>men mit vier Freundinnen ums Leben. Der Bräutig<strong>am</strong> und<br />
die Hochzeitsgesellschaft warteten vergeblich in der Reinacher Kirche auf ihre Ankunft. -<br />
<strong>Die</strong>ser Unglücksfall ging als die <strong>Brautfahrt</strong> <strong>am</strong> <strong>Hallwilersee</strong> in die Geschichte ein.<br />
<br />
Wir wollen den runden Jahrestag nutzen, um die einzige sachdienliche Quelle sowie die<br />
schon länger hinreichend bekannten Protagonisten zus<strong>am</strong>menfassend vorzustellen. Zum<br />
Schluss wollen wir auch auf das zeitgenössische Volkslied zu sprechen kommen, welches<br />
dieses Unglück thematisiert.<br />
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Zunächst zum historischen Beleg, der sich im Reinacher Eheregister findet. Der Eintrag<br />
vom 5. Dezember 1608 zu den Brautleuten Rudi Stahel und Madlena Fuchs lautet wie<br />
folgt:<br />
«Alls man disere Ehe ynsägnen söllen und wöllen, ist mitten in der Predig domolen<br />
Bottschafft uff Cantzel kon, man sölle fürfaren, werde dißmols nit erschynen. <strong>Die</strong> Ursach<br />
warumb, ist nach Vollendung der Predig anzeigt worden, n<strong>am</strong>lich daß die Brutt mitt 4<br />
Gspylen (als sy vom Land faren wöllen) im See ertrunken. Und also uß hochzitlicher Fröud<br />
(wie der Prophet seit) ein gros Leid worden.»<br />
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Der Pfarrer beschreibt also mit sachlichen Worten den Sachverhalt und spielt Prophet mit<br />
der Nennung einer Bibelstelle möglicherweise auf Jeremiah 16:9 an: «Siehe, ich will an<br />
diesem Ort wegnehmen vor euren Augen und bei eurem Leben die Stimme der Freude<br />
und Wonne, die Stimme des Bräutig<strong>am</strong>s und der Braut.». Über Unfallursachen oder<br />
Vermutungen dazu schweigt er sich aus.<br />
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Der Bräutig<strong>am</strong>, Rudi Stahel (1583-1656), wurde als Sohn des Schmieds Rudi Stahel und<br />
der Barbara Hediger in Reinach geboren. Der Vater war um 1570 aus der Nordostschweiz,<br />
vielleicht aus dem Kanton Zürich ins <strong>Wynental</strong> gezogen. Zum Zeitpunkt der geplanten<br />
Hochzeit war Rudi 25-jährig – und alles andere als ein unbeschriebenes Blatt. Er war ein<br />
regelmässiger Gast auf der Anklagebank des Reinacher Chorgericht. Ihm wurde dabei<br />
Sonntagsentheiligung, nächtlicher Unfug und Lärm oder Schlägereien zur Last gelegt.<br />
1604 wurde ihm sogar ein uneheliches Kind zugesprochen. Seit dem Tod seines Vaters<br />
1617 führte er die Schmiedewerkstatt weiter.<br />
Rudi oder «Ruetschi», wie er oft genannt wird, war nach dem Unglücksfall von 1608 kein<br />
glückliches Eheleben beschieden. Bis ans Ende seiner Tage war er fünf Mal verheiratet:<br />
mit Maria Haller (1611), Verena Eichenberger (1614), Verena Fuchs (um 1618), Elsbeth<br />
Notinger (1631) und schliesslich im hohen Alter mit Elsbeth Ammann (1655). Zudem war<br />
er 1655 erneut Vater eines ausserehelichen Kindes geworden.<br />
<br />
Wenden wir uns nun der Braut zu. Madlena Fuchs (1592-1608) st<strong>am</strong>mte aus Fahrwangen.<br />
Sie war die Tochter des aus Reinach zugezogenen Schmieds Fridli Fuchs und der Margret<br />
Döbeli. 1608 waren Madlenas leibliche Eltern wie auch ihre Stiefmutter bereits tot; sie war<br />
also Vollwaise. <br />
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Auffälligerweise st<strong>am</strong>men die beide Brautleute aus Schmiedef<strong>am</strong>ilien. Möglicherweise<br />
hatten sie sich durch Ruetschis Halbsschwester kennen gelernt, die seit 1602 mit Hans<br />
Schlatter aus Wyla ZH, der als Schmiedeknecht bei Madlenas Vater arbeitete, verheiratet<br />
war.<br />
Das Ereignis gab seiner Zeit im ganzen Seeund<br />
<strong>Wynental</strong> und der weiteren Region<br />
sicherlich viel zu reden. <strong>Die</strong> Erinnerung an<br />
diesen tragischen Unfall sollte in der Form<br />
eines Volksliedes bis in die Mitte des 19.<br />
Jahrhunderts im Seetal lebendig bleiben.<br />
Während die Melodie desselben heute<br />
vergessen ist, blieb der Text bis heute<br />
greifbar. <strong>Die</strong>s ist der Tatsache zu verdanken,<br />
dass im 19. Jahrhundert eifrige Forscher (in<br />
diesem Fall n<strong>am</strong>entlich der<br />
Kantonsschullehrer Rochholz) volkstümliche<br />
Sagen und Lieder ges<strong>am</strong>melt und ediert<br />
haben. Rochholz scheint das Lied um 1860<br />
noch gehört zu haben.<br />
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Beim Dichter handelt es sich um den<br />
Spielmann Heini Estermann, der vielleicht<br />
aus Niederwil bei Rickenbach st<strong>am</strong>mte. Sein<br />
Text wurde wohl noch im späten 17.<br />
Jahrhundert gedruckt. Inhaltlich scheint der<br />
Dichter die Geschichte noch etwas<br />
ausgeschmückt zu haben. Aufgrund unserer<br />
schmalen Quellenbasis ist es für uns aber<br />
schwer abzuschätzen, was auf Estermanns<br />
Fantasie und was auf historischen Tatsachen<br />
gründet.<br />
Beispielsweise nennt das Lied in der Person des Baders von Fahrwangen, durch dessen<br />
Übermut das Schiff der Braut gekentert sein soll, einen Verursacher des Unglücks. Dabei<br />
könnte es sich um einen dr<strong>am</strong>atisierenden Eingriff des Dichters handeln.<br />
<br />
Es ist keine Seltenheit, dass spektakuläre Unglücksfälle Stoff für Spielleute und Erzähler<br />
lieferten. Als Aargauer Parallelbeispiele lassen sich zwei Fälle anführen, die zeitlich nahe<br />
bei unserer <strong>Brautfahrt</strong> liegen. 1598 ereignete sich in der Aare bei Klingnau ein<br />
«jemerlichen schiffbruch», bei dem etwa 60 Personen umk<strong>am</strong>en. Ein Zeitgenosse<br />
verfasste darüber ein dr<strong>am</strong>atisches Gedicht. Ein anderes «Trawr und Klaglied» widmet<br />
sich einem Vorfall von 1626, als ein Boot auf dem Weg von Brugg an die Zurzacher Messe<br />
barst und einige Dutzend Menschen in die Fluten der Aare ertranken.<br />
<br />
Auch heute noch bleiben Aufsehen erregende Vorfälle der breiten Bevölkerung mittels<br />
künstlerisch aufbereiteten Werken in Erinnerung – allerdings sind heute eher Schriftsteller<br />
und Filmregisseure an die Stelle der Volksdichter und Spielleute getreten.<br />
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Literatur<br />
• Reinhold Bosch, Zur <strong>Brautfahrt</strong> <strong>am</strong> <strong>Hallwilersee</strong> 1608, in: Heimatkunde aus dem Seetal<br />
33, 1958, 60-67.<br />
• Reinhold Bosch, Das Volkslied von der <strong>Brautfahrt</strong> <strong>am</strong> <strong>Hallwilersee</strong>, in: Heimatkunde aus<br />
dem Seetal 13, 1939, 36-43.<br />
• Thomas Reitmaier, Vorindustrielle Lastsegelschiffe in der Schweiz (= Schweizer<br />
Beiträge zur Kulturgeschichte und Archäologie des Mittelalters, Band 35), Basel 2008.<br />
(v.a. 210 ff.)<br />
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