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Ausgabe lesen - Rheinkiesel

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Erzählung<br />

wortete er ihren fragenden Blick.<br />

„Wieso kennst Du Dich so gut<br />

aus?“, wollte sie wissen. „Ich war<br />

mal Reli-Lehrer. Aber meine<br />

Schule wollte keinen Lehrer ohne<br />

Beine. Den Anblick kann man<br />

den Kindern in der Grundschule<br />

nicht zumuten und so. Auf dem<br />

Papier bin ich berufsunfähig. Aber<br />

die Arbeit fehlt mir total. Und was<br />

machst Du so?“, gab er zurück.<br />

Sie steckte sich eine neue Zigarette<br />

an. „Siehste, da haben wir wirklich<br />

was gemeinsam. Keiner will uns<br />

haben“, seufzte sie. „Ich wollte eine<br />

Ausbildung als Kinder pfle ge rin<br />

machen und Teilzeit arbeiten,<br />

wegen Mandy. Aber als Alleiner -<br />

ziehende hast Du absolut keine<br />

Chance. Alle haben mich abgewimmelt.<br />

Dabei geht Mandy jetzt<br />

schon in die dritte Klasse!“ „Tja“,<br />

ten klänge. In ihren Augen glitzerte<br />

es auf einmal feucht. Rasch wandte<br />

ihr Gesicht ab, zurück in die<br />

Dunkelheit. Aus den Augen win -<br />

keln beobachtete er noch, wie sie<br />

hektisch ihre Zigarette ausdrückte<br />

und ein Pfefferminz in den Mund<br />

steckte.<br />

Almosen für<br />

keinen Bettler<br />

Die Kirchentür öffnete sich. Als<br />

erstes streckte ein blondes, etwa<br />

siebenjähriges Mädchen den Kopf<br />

heraus und flog nur einen Wim -<br />

pern schlag später seiner Ge -<br />

sprächs partnerin in die Arme.<br />

„Mama! Du mußt Dir unbedingt<br />

diese wahnsinnscoole Krippe an -<br />

schauen!“ Hinter ihr stand ein gut -<br />

aussehender, etwa vierzigjähriger<br />

den Achseln. „Hey, sag mal,<br />

Mandy!“, rief er die Tochter seiner<br />

Gesprächspartnerin. Die Kleine<br />

kam munter angehüpft, froh, dem<br />

langen Stillsitzen der Christmette<br />

entronnen zu sein und voller Vor -<br />

freude auf die Geschenke. „Tust<br />

Du das für mich in die Spenden -<br />

dose an der Krippe?“ „Klaro“,<br />

strahlte die Achtjährige. „Wie<br />

heißt Du denn? Damit ich dem<br />

lieben Gott sagen kann, vom<br />

wem!“ „Jupp. Du kannst mich<br />

Jupp nennen.“ Mandys Blick<br />

streifte seinen Rollstuhl nur kurz,<br />

bevor sie ihre Mutter die Stufen<br />

hinauf in die Kirche zerrte. „Frohe<br />

Weihnachten, Jupp!“.<br />

Als Mandy wenig später bei ihrer<br />

Mutter ihre Geschenke auspackte,<br />

war zu ihrer großen Freude ein<br />

Mal kasten dabei. Am nächsten<br />

seufzte er nun auch. „Die haben in<br />

2.000 Jahren nicht viel dazu ge -<br />

lernt. Damals hatten sie kein Bett<br />

für Maria und Josef, heute haben<br />

sie keine Jobs für uns.“ „Da sagst<br />

Du was“, stimmte sie zu. „Dabei<br />

kann mich mir Dich total gut als<br />

Lehrer vorstellen. Du bist echt in<br />

Ordnung. Auch mit Bibel in der<br />

Hand und so.“ „Danke. Du auch.“<br />

Für einen Moment schwiegen sie<br />

beide. Der Regen hatte aufgehört.<br />

Das Licht, das durch die Fenster -<br />

scheiben schien, verbreitete eine<br />

fest liche Gemütlichkeit, so, wie nur<br />

Kirchen es vermögen. Ihre Augen<br />

funkelten. Er lächelte. Sie sah aus,<br />

als ob sie noch etwas sagen wollte.<br />

Dann begannen die Glocken zu<br />

läuten. Vom Kirchturm her er -<br />

klangen weihnachtliche Trompe -<br />

Mann und lächelte milde. Die elegante<br />

Blondine an seinem Arm<br />

kniff ihre wohlgeformten Lippen<br />

fest zusammen. Unter ihrem Pelz -<br />

mantel spannte sich erkennbar ein<br />

fortgeschrittener Babybauch. Sie<br />

wandte sich ihm zu, öffnete ihre<br />

Geldbörse und ließ ein Zwei-<br />

Euro-Stück in seinen Schoß fallen.<br />

Er blinzelte erstaunt. Hielt sie ihn<br />

für einen Bettler? Er wollte protestieren,<br />

doch sie hatte sich mit<br />

ihrer Begleitung schon zum Gehen<br />

gewandt.<br />

Da kam noch jemand auf zu –<br />

seine Tante. Ihre weißen Locken<br />

leuchteten im Licht der Straßen -<br />

laterne. „Ach hier steckst Du!“,<br />

begrüßte sie ihn. „Wieso bist Du<br />

nicht reingekommen?“ „Ich war halt<br />

spät dran“, sagte er und zuckte mit<br />

Tag probierte sie ihn gleich aus.<br />

Abend stutzte ihre Mutter, als sie<br />

die Bilder wegräumte: Maria, das<br />

Jesuskind, Ochs, Esel, Schafe und<br />

einige Hirten – ganz offensichtlich<br />

hatte sich ihre Tochter von der<br />

Rhöndorfer Wurzelkrippe inspirieren<br />

lassen. Nur beim Josef<br />

stimmte irgendetwas etwas nicht.<br />

Allerdings war Mandy die Farbe<br />

etwas verlaufen. Der Heiligen -<br />

schein war gut erkennbar, ebenso<br />

der typische Hirtenstab, mit dem<br />

Josef häufig abgebildet wird. Doch<br />

worauf saß er da nur? Sie rätselte<br />

einen Augenblick. Rieb sich die<br />

Augen.<br />

Dann erkannte sie den Mann im<br />

Rollstuhl wieder. •<br />

Ann-Isabell Thielen<br />

Frohes Fest<br />

und ein gutes<br />

Jahr 2014!<br />

Dezember 2013 7

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