Risiken rechtzeitig absichern - und Handelskammer Nord Westfalen
Risiken rechtzeitig absichern - und Handelskammer Nord Westfalen
Risiken rechtzeitig absichern - und Handelskammer Nord Westfalen
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Der Spagat zwischen<br />
Risiko <strong>und</strong> unternehmerischer<br />
Absicherung sollte<br />
gut überlegt werden.<br />
Foto: bilderbox<br />
Unternehmer<br />
<strong>Risiken</strong> <strong>rechtzeitig</strong><br />
<strong>absichern</strong><br />
Wer ein Risiko eingeht,<br />
muss sich <strong>absichern</strong>.<br />
Am Berg oder im Unternehmen.<br />
Doch viele (Jung-)Unternehmer<br />
tun es nicht – oder zu spät.<br />
Das kann fatale Folgen haben.<br />
Uwe Heubaum will sicher gehen. Und<br />
vor allem möglichst wenig falsch<br />
machen. Denn der 40-Jährige erlebt<br />
gerade das Leben ohne Netz <strong>und</strong> doppelten<br />
Boden. Heubaum macht sich in Oer-Erkenschwick<br />
als IHK-geprüfter Bilanzbuchhalter<br />
selbstständig. Daher war auch er auf die<br />
Informationsveranstaltung der IHK <strong>Nord</strong><br />
<strong>Westfalen</strong> am b<strong>und</strong>esweit organisierten<br />
Aktionstag „Sozial gesichert starten“ nach<br />
Dülmen gekommen. 53 Industrie- <strong>und</strong> <strong>Handelskammer</strong>n<br />
in Deutschland informierten<br />
an einem Tag zusammen mit den regionalen<br />
Starter-Centern vor allem Existenzgründer<br />
zur sozialen Sicherung. Heubaums<br />
Interesse: „Ein kurzes Update für den Bereich<br />
der persönlichen Versicherungen“.<br />
Und die gab es im St. Barbara-Haus „in<br />
einem Parforce-Ritt, kompakt, manchmal<br />
kurzweilig“, wie IHK-Geschäftsführer Wieland<br />
Pieper später feststellte, von Versicherungsexperten<br />
aus erster Hand. „Bei der<br />
Zusammenstellung seines persönlichen<br />
Versicherungsschutzes muss der Unternehmer<br />
Prioritäten setzen. Nicht alles kann<br />
<strong>und</strong> muss direkt vom Start an in voller<br />
Höhe abgesichert werden“, stellte Ludger<br />
Tillmann als Vorsitzender <strong>und</strong> Sprecher des<br />
B<strong>und</strong>esverbandes Deutscher Versicherungskaufleute<br />
e. V. im nördlichen Ruhrgebiet<br />
<strong>und</strong> Münsterland an dem Abend heraus.<br />
Tillmann hatte bereits im Interview in der<br />
November-Ausgabe des „Wirtschaftsspiegel“<br />
darauf hingewiesen, dass sich viele<br />
✔<br />
✔<br />
✔<br />
✔<br />
✔<br />
Expertentipp I<br />
Private Altersvorsorge abschließen!<br />
Der/die Unternehmer/in kann aber auch der<br />
gesetzlichen Rentenversicherung freiwillig<br />
beitreten – manche Selbstständige sind<br />
pflichtversichert.<br />
Private Krankenversicherung abschließen!<br />
Versicherung in einer der gesetzlichen<br />
Krankenkassen ist möglich, manchmal<br />
Pflicht. In jedem Fall muss dort auch eine<br />
Pflegeversicherung abgeschlossen werden.<br />
Einkommensausgleich für Krankheitstage<br />
nicht vergessen – die gesetzliche Kasse<br />
übernimmt dies ab 2009 nicht mehr.<br />
Wenn möglich freiwillige Arbeitslosenversicherung<br />
abschließen! Nach der Existenzgründung<br />
ist dort freiwillige Weiterversicherung<br />
möglich – Fristen beachten!<br />
Freiwillig eine gesetzliche Berufsunfallversicherung<br />
abschließen bzw. als Pflichtmitglied<br />
in manchen Berufsgenossenschaften.<br />
Alternativ, aber mit einem anderen<br />
Leistungsspektrum, eine private Unfallversicherung.<br />
Eine private Berufsunfähigkeitsversicherung<br />
abschließen! hierfür gibt es in der gesetzlichen<br />
Rentenversicherung keinen vergleichbaren<br />
Ausgleich mehr.<br />
Astrid Schenk<br />
Versicherungsberaterin<br />
10 wirtschaftsspiegel 1 · 2009
Titel Absicherung<br />
Unternehmensgründer „zu spät mit ihrer<br />
sozialen Absicherung befassen“. Das Interesse<br />
war jedenfalls unübersehbar. Etwa<br />
2000 Gründer beteiligten sich b<strong>und</strong>esweit<br />
an dem Aktionstag <strong>und</strong> gaben wie auch<br />
viele weitere Besucher der kostenlosen Veranstaltung<br />
per Fragebogen einen anonymisierten<br />
Einblick in ihre Alterssicherung. So<br />
planen 62 Prozent der Besucher in Dülmen<br />
demnach, stärker in ihre Altersvorsorge zu<br />
investieren.<br />
Krankenversicherung wichtig<br />
„Viele Informationen, viele Zahlen“ versprach<br />
ihnen Moderatorin Astrid Schenk.<br />
Als „Frau vom Fach“ hatte Pieper die Marlerin<br />
eingeführt, die den „seltenen Berufsstand<br />
einer Versicherungsberaterin“ hat.<br />
Im Gegensatz zu Versicherungsvermittlern<br />
dürfen Versicherungsberater keine Provision<br />
oder Courtage von Versicherungsgesellschaften<br />
erhalten. Schenk arbeitet auch<br />
als Honorarberaterin für die Verbraucherzentrale<br />
NRW.<br />
Astrid Schenk führte in die Themen der<br />
Referenten ein. Wie bei Stefan Sieben von<br />
der Barmer Ersatzkasse, der die gesetzlichen<br />
Krankenversicherungen (GKV) <strong>und</strong><br />
ihr Leistungsspektrum vorstellte. Das gesetzliche<br />
Krankenversicherungssystem<br />
wurde lange Zeit als weltweit vorbildlich<br />
betrachtet. Im europäischen Vergleich sei<br />
das deutsche Ges<strong>und</strong>heitsversorgungssystem<br />
„immer noch preiswert <strong>und</strong> außerdem<br />
gut“, so Schenks Einschätzung.<br />
Gr<strong>und</strong>sätzlich gibt es<br />
für Selbstständige<br />
keine Pflicht, in einer<br />
gesetzlichen Krankenversicherung<br />
Mitglied zu sein.<br />
Aber letztlich unterstrichen<br />
alle Experten:<br />
Eine Kranken-<br />
Stefan Sieben<br />
versicherung ist ein absolutes Muss für<br />
Selbstständige <strong>und</strong> ihre Familie. Ein Unternehmer<br />
kann sich freiwillig in einer gesetzlichen<br />
Krankenversicherung, also in Orts-,<br />
Innungs- <strong>und</strong> Betriebskrankenkassen sowie<br />
Ersatzkassen, versichern. Sieben rechnete<br />
vor, dass ab dem Jahr 2009 ohne<br />
Krankengeldanspruch für Selbstständige<br />
inklusive Familienversicherung maximal<br />
547,58 Euro Monatsbeitrag fällig würden.<br />
Er vergaß nicht, die „bedürftigen Selbstständigen“<br />
<strong>und</strong> die Bezieher eines Gründungszuschusses<br />
auf ihre verminderten<br />
Kassen-Beiträge hinzuweisen. Langfristige<br />
Prognosen über die Entwicklung des deutschen<br />
Krankenversicherungssystems wollte<br />
Sieben aber nicht abgeben. Bei den nun<br />
festgelegten 15,5 Prozent Krankenkassenbeitrag<br />
werde es aber vermutlich nicht bleiben.<br />
Privat oder gesetzlich?<br />
Expertentipp II<br />
Die Krankenversicherung ist ein Muss<br />
für Gründer <strong>und</strong> Selbstständige!<br />
Bei der Gesetzlichen Krankenversicherung<br />
ist wichtig:<br />
Rechtzeitig Kontakt mit der Krankenkasse<br />
aufnehmen, um keine Frist zur freiwilligen<br />
Weiterversicherung zu versäumen.<br />
Existenzgründer sollten die einkommensbezogene<br />
Beitragseinstufung beantragen,<br />
um zu vermeiden, dass die Beiträge unabhängig<br />
von der Einkommenslage nach der<br />
Beitragsbemessungsgrenze erhoben<br />
werden.<br />
Die Angebote der Krankenkassen zum<br />
Krankengeldanspruch prüfen, hier gibt es<br />
vielfältige Varianten, die sich in Preis <strong>und</strong><br />
Leistung unterscheiden.<br />
Stefan Sieben<br />
Barmer Ersatzkasse, Wuppertal<br />
Auch Tillmann ging noch einmal auf den<br />
Konflikt vieler Junggründer ein: Privat<br />
oder gesetzlich versichern? „Gerade bei der<br />
Krankenversicherung muss der Unternehmer<br />
genau Chancen <strong>und</strong> <strong>Risiken</strong> gegeneinander<br />
abwägen. Nicht immer ist die private<br />
Krankenversicherung für jeden die optimale<br />
Lösung.“ Wer in der gesetzlichen<br />
Krankenversicherung bleibe, müsse diesen<br />
Schutz aber über Zusatzversicherungen,<br />
wie über eine Krankentagegeldversicherung,<br />
seinem Status als Selbstständiger anpassen.<br />
Die Deutsche Gesetzliche Unfallversicherung<br />
stellte deren Geschäftsstellenleiter<br />
Karl-Heinz Andro aus Düsseldorf vor. Die<br />
gesetzliche Unfallversicherung ist quasi<br />
✔<br />
✔<br />
✔<br />
Versicherungsberaterin Astrid Schenk im Gespräch mit Existenzgründer<br />
Uwe Heubaum <strong>und</strong> Jungunternehmer Daniel Platte.<br />
Das Interesse an der IHK-Veranstaltung für Jungunternehmer <strong>und</strong> Existenzgründer<br />
war groß.<br />
Fotos: Hinse<br />
wirtschaftsspiegel 1 · 2009<br />
11
Titel Absicherung<br />
eine Haftpflichtversicherung der Arbeitgeber<br />
<strong>und</strong> wurde im Deutschen Kaiserreich<br />
gegründet. Sie soll nach Eintritt eines Arbeitsunfalls<br />
oder einer Berufskrankheit den<br />
Verletzten oder Kranken, seine Angehörigen<br />
<strong>und</strong> seine Hinterbliebenen entschädigen.<br />
Andro stellte heraus, dass heute vor<br />
dem Entschädigen vor allem das stark geförderte<br />
„Verhüten“ stehe. Selbst teuerste<br />
Rehabilitation gehe immer vor Entschädigung.<br />
„Hervorragende Leistungen“ attestierte<br />
Astrid Schenk der gesetzlichen Unfallversicherung,<br />
die über die Unfallkassen,<br />
Gemeindeunfallversicherungsverbände<br />
<strong>und</strong> Berufsgenossenschaften 70 Millionen<br />
Versicherte hat.<br />
Unfallversicherung setzt<br />
auf Prävention<br />
Andro kündigte nach dem vergangenen<br />
Jahr auch für 2009 eine weitere „Fusionswelle“<br />
an. Bis zum Ende des Jahres werden<br />
die Berufsgenossenschaften zu neun übergreifenden<br />
zusammengefasst. Und künftig<br />
wird es einheitlich nur noch eine Unfallkasse<br />
pro B<strong>und</strong>esland geben. Die gesetzliche<br />
Unfallversicherung finanziert sich<br />
durch die Beiträge, die die Unternehmen<br />
zahlen. Tipp der<br />
Experten: Eine<br />
freiwillige Versicherung<br />
ist<br />
manchmal sinnvoll,<br />
weil bei relativ<br />
geringen Jahresbeiträgen<br />
ein<br />
umfassender Versicherungsschutz<br />
geboten werde.<br />
✔<br />
✔<br />
✔<br />
✔<br />
len. Plattes Erfahrung: „Es gibt einen immensen<br />
Bedarf an Beratung – bei Finanzen,<br />
bei Versicherungen.“ Aber der 32-jährige<br />
Familienvater hat aus dem Vortrag von<br />
Andro für sich eine neue Information mitgenommen.<br />
„Ich hab' hier gelernt, dass die<br />
gesetzliche Unfallversicherung für mich<br />
auch in Frage kommt.“ Für Platte wäre es<br />
dann eine freiwillige Mitgliedschaft<br />
in der Verwaltungs-Berufsgenossenschaft,<br />
wie sich<br />
später bei gut genutzten Nachfrage-R<strong>und</strong>en<br />
mit Schenk <strong>und</strong><br />
den anderen Absicherungs-<br />
Experten zeigte.<br />
Der Hertener Versicherungskaufmann<br />
Tillmann plädierte<br />
auch für die private Unfallversicherung,<br />
da ihre Leistungspflicht<br />
nicht nur auf Berufsunfälle<br />
<strong>und</strong> Wegeunfälle<br />
beschränkt sei. Diese Unfallversicherung<br />
sichere r<strong>und</strong> um die<br />
Uhr <strong>und</strong> weltweit, auch in Freizeit<br />
<strong>und</strong> Urlaub ab, warb Tillmann. „Allerdings<br />
muss jeder für sich prüfen, welche<br />
nicht sinnvollen Leistungen ausgeschlossen<br />
oder erst gar nicht vereinbart werden<br />
sollten.“<br />
Rentenversicherung<br />
manchmal Pflicht<br />
Expertin Irmhild Venschott hat jeden Tag<br />
mit der Zukunft zu tun – nämlich mit der<br />
gesetzlichen Rente. Venschott arbeitet in<br />
Expertentipp III<br />
Checkliste für Unternehmer <strong>und</strong><br />
Selbstständige:<br />
Sind Sie abgesichert für den Fall, dass Sie wegen einer<br />
Erkrankung längere Zeit kein Geld verdienen?<br />
Sind Sie bei Berufsunfähigkeit finanziell geschützt?<br />
Haben Sie geprüft, ob Ihnen eine private Krankenversicherung<br />
Vorteile bringt?<br />
Wie sind Sie im Alter abgesichert?<br />
Haben Sie Ihre Hinterbliebenen abgesichert?<br />
Gibt es eine Vorsorge, wenn Sie durch Unfall, Krankheit<br />
oder im Alter Pflege benötigen?<br />
Ludger Tillmann<br />
B<strong>und</strong>esverband Deutscher Versicherungskaufleute e.V.,<br />
Herten<br />
Karl-Heinz Andro: „Eine<br />
freiwillige gesetzliche<br />
Unfallversicherung ist oft<br />
sinnvoll, da bei geringen<br />
Beiträgen umfassender<br />
Schutz geboten wird.“<br />
Fotos: Hinse<br />
Andros Präsentation<br />
fiel auf Ludger<br />
fruchtbaren Boden.<br />
Unter den<br />
Tillmann<br />
Besuchern war auch David<br />
Platte, der sich vor zwei Jahren<br />
in <strong>Nord</strong>kirchen zusammen mit<br />
zwei Kollegen als Finanzmakler<br />
selbstständig gemacht hat. Er<br />
war eigentlich nach Dülmen<br />
gekommen, um zu erk<strong>und</strong>en,<br />
welche Fragen seine K<strong>und</strong>enzielgruppe<br />
bewegen. Der Münsteraner<br />
hat „sehr viele K<strong>und</strong>en,<br />
die Existenzgründer sind<br />
<strong>und</strong> sich privat <strong>absichern</strong>“ wolder<br />
Auskunfts- <strong>und</strong> Beratungsstelle bei der<br />
Deutschen Rentenversicherung <strong>Westfalen</strong><br />
in Münster. Ein vertrautes Gebiet für die<br />
Besucher in Dülmen: Bei der Fragen-Auswertung<br />
zeigte sich, dass fast alle Teilnehmer<br />
schon mal in der „Gesetzlichen“ versichert<br />
waren – <strong>und</strong> die Hälfte es auch noch<br />
ist. Bei vielen Selbstständigen, die den<br />
Kontakt zu Venschott <strong>und</strong><br />
ihren Kollegen suchen, geht<br />
es um die Rentenversicherungspflicht.<br />
Viele Selbstständige<br />
sind nämlich bereits<br />
per Gesetz pflichtversichert.<br />
Dazu zählen neben Handwerkern<br />
unter anderem Künstler<br />
<strong>und</strong> Publizisten, Hebammen<br />
<strong>und</strong> freiberufliche Lehrer.<br />
Oder auch Selbstständige mit<br />
nur einem Auftraggeber, auch<br />
Küstenschiffer <strong>und</strong> -fischer.<br />
Alle anderen Selbstständigen<br />
können in den ersten fünf<br />
Jahren der selbstständigen<br />
Tätigkeit einen Antrag auf Pflichtversicherung<br />
stellen. Eine Pflichtversicherung auf<br />
Antrag gilt dann so lange, bis die Selbstständigkeit<br />
aufgegeben wird. Der Beitrag<br />
liegt – anders als bei der ebenfalls möglichen<br />
freiwilligen Rentenversicherung – wie<br />
bei allen anderen Pflichtmitgliedern derzeit<br />
bei 19,9 Prozent.<br />
Individueller Schutz<br />
Aber bis auf diese wenigen Berufsgruppen<br />
haben Unternehmer die Möglichkeit, aus<br />
dem System der gesetzlichen Rentenversicherung<br />
auszusteigen. Und auf die Aussteiger<br />
warten die „Klassiker“ der privaten<br />
Altersvorsorge, die Tillmann vorstellte: die<br />
private Rentenversicherung <strong>und</strong> die Kapitallebensversicherung.<br />
Der Unternehmer<br />
habe hier die Möglichkeit, sich seinen individuellen<br />
Schutz für die Altersversorgung<br />
zusammenzustellen. Allerdings bieten auf<br />
dem deutschen Versicherungsmarkt weit<br />
über 100 Unternehmen solche Versicherungen<br />
zur privaten Altersversorgung an. Tillmann<br />
riet deshalb zur genauen Überprüfung<br />
der Angebote <strong>und</strong> auch der Vermittler.<br />
Ferner streifte er die neue Basisrente<br />
(„Rürup-Rente“) <strong>und</strong> die Riester-Rente, wobei<br />
Selbstständige nicht zum förderungsfähigen<br />
Personenkreis dieser Rente gehören.<br />
Seit 2005 bietet das Alterseinkünfte-<br />
12 wirtschaftsspiegel 1 · 2009
Titel Absicherung<br />
Karin Hartmann<br />
Bei der Befragung zeigte sich, dass 52 Prozent<br />
der Veranstaltungsteilnehmer eine private<br />
Rentenversicherung, 69 Prozent eine<br />
Lebensversicherung abgeschlossen haben.<br />
Aber nur ein Besucher hat eine Rürup-<br />
Rente. Fast ein Drittel sorgt auch noch anderweitig<br />
vor, beispielsweise über Immobilienbesitz.<br />
Ein Plädoyer hielt Tillmann für die Berufsunfähigkeitsversicherung.<br />
„Denn gerade<br />
für Existenzgründer <strong>und</strong> Selbstständige<br />
gilt: Ohne den Chef läuft im Betrieb nichts.<br />
Wenn er in der Firma durch Berufsunfähigkeit<br />
ausfällt, ist ihr Bestehen gefährdet. Und<br />
seine Familie steht vor dem Nichts. Deshalb<br />
ist eine Berufsunfähigkeitsversicherung<br />
sehr wichtig.“<br />
Arbeitslos - was dann?<br />
Expertentipp IV<br />
Selbstständige können sich seit 2006 freiwillig in<br />
der Arbeitslosenversicherung weiterzuversichern.<br />
Wichtig dafür ist, dass<br />
die selbstständige Tätigkeit mindestens 15 St<strong>und</strong>en<br />
wöchentlich umfasst.<br />
innerhalb der letzten 24 Monate vor Aufnahme der<br />
selbstständigen Tätigkeit mindestens zwölf Monate<br />
ein Versicherungspflichtverhältnis bestand.<br />
Und was hatte der Abend Uwe Heubaum<br />
gebracht, der selbst Spezialist für Gehaltsabrechnung<br />
<strong>und</strong> Personalsachbearbeitung<br />
ist? Der Existenzgründer hat sich bereits<br />
abgesichert, durch, wie er sie nennt, „freiwillige<br />
Pflichtversicherungen“. Als selbstgesetz<br />
Selbstständigen<br />
neue Möglichkeiten<br />
„unter<br />
steuerlich optimierten<br />
<strong>und</strong> geförderten<br />
Bedingungen<br />
Altersvorsorge<br />
zu betreiben“<br />
– <strong>und</strong> das Agentur für Arbeit, Coesfeld<br />
Karin Hartmann<br />
größtenteils mit<br />
einem Schutz bei<br />
Insolvenz, wies Tillmann auf eine Neuerung<br />
hin.<br />
unmittelbar vor Aufnahme der Selbstständigkeit,<br />
ein Versicherungspflichtverhältnis besteht, oder<br />
Arbeitslosengeld I bezogen wird.<br />
✔<br />
✔<br />
✔<br />
losenversicherung<br />
kurz<br />
vorstellte.<br />
Denn diese<br />
dauerhafte<br />
„Weiterversicherung“<br />
ist<br />
seit 2006<br />
möglich,<br />
aber erst einmal<br />
noch bis<br />
Ende 2010<br />
befristet. Sie<br />
ist nur für<br />
Selbstständige<br />
gedacht,<br />
die vorher<br />
schon<br />
pflichtversichert<br />
waren, in den zwei Jahren zuvor mindestens<br />
zwölf Monate lang Pflichtbeiträge<br />
zur gesetzlichen Arbeitslosenversicherung<br />
gezahlt haben oder unmittelbar vorher Arbeitslosengeld<br />
oder Übergangs-, Unterhalts-<br />
oder Insolvenzgeld bezogen haben.<br />
Dafür müssen Fristen eingehalten werden.<br />
Selbstständige zahlen den festen Monatsbeitrag<br />
von 20,50 Euro, der – wie Karin<br />
Hartmann vermutet – demnächst vielleicht<br />
noch weiter sinken wird. Kurz <strong>und</strong> knapp<br />
auch der Kommentar von Astrid Schenk<br />
dazu: „Das ist eine gute Absicherung. Die<br />
kann ich nur empfehlen.“ 35 Prozent der<br />
Besucher-Antworten in Dülmen verwiesen<br />
auf eine bestehende freiwillige Arbeitslosenversicherung.<br />
Bei der b<strong>und</strong>esweiten<br />
Auswertung dieser Fragebogen zeigt sich,<br />
dass im B<strong>und</strong>esschnitt sogar 47 Prozent davon<br />
Gebrauch machen.<br />
Breite Aufmerksamkeit hatte zum Schluss<br />
Karin Hartmann von der Coesfelder Agentur<br />
für Arbeit, als sie die freiwillige Arbeitsständiger<br />
Bilanzbuchhalter muss er seinem<br />
Berufsverband, dem B<strong>und</strong>esverband der<br />
Bilanzbuchhalter <strong>und</strong> Controller, die Vermögensschadenshaftpflichtversicherung<br />
nachweisen – nichtselbstständig tätige<br />
Bilanzbuchhalter brauchen das nicht.<br />
Schritt für Schritt<br />
Die zweite freiwillige Pflichtversicherung<br />
ist die Betriebshaftpflichtversicherung. Klar<br />
ist Heubaum aber, dass „ich allerdings bei<br />
der persönlichen Absicherung noch das<br />
eine oder andere optimieren kann“. Und sicher<br />
weiß er nun, dass er seine Strategie bei<br />
der Vorsorge mit vielen Gründern teilt: „Ich<br />
kann nicht alles<br />
auf einmal haben –<br />
ein Schritt nach<br />
dem anderen.“<br />
Werner Hinse<br />
Irmhild<br />
Venschott<br />
Expertentipp V<br />
Wenn es um die gesetzliche<br />
Rentenversicherung geht, ist für<br />
Gründer <strong>und</strong> Selbstständige wichtig:<br />
Überprüfen, ob nicht eine Versicherungspflicht<br />
besteht.<br />
Überprüfen, ob Fristen für eine Versicherungspflicht<br />
auf Antrag zu beachten sind.<br />
Überprüfen, ob die freiwillige Versicherung<br />
für Selbstständige als alternative Absicherung<br />
in Frage kommt.<br />
Fragen werden von den Auskunfts- <strong>und</strong><br />
Beratungsstellen der Deutschen Rentenversicherung<br />
kostenlos beantwortet.<br />
Irmhild Venschott<br />
Deutsche Rentenversicherung <strong>Westfalen</strong>,<br />
Münster<br />
✔<br />
✔<br />
✔<br />
wirtschaftsspiegel 1 · 2009<br />
13
Titel Absicherung<br />
Berufsunfähigkeitsrente<br />
Wenn nichts mehr geht<br />
Schon seit 2001 sind weitere Lücken in der gesetzlichen<br />
Versorgung im Falle einer Berufsunfähigkeit entstanden,<br />
von denen alle Arbeitnehmer drastisch betroffen sind –<br />
besonders aber die unter 40-Jährigen. Wer kein finanzielles<br />
Desaster erleben will, sollte beizeiten mit einer<br />
Berufsunfähigkeitsversicherung vorsorgen.<br />
Ein Unfall oder eine schwere Erkrankung<br />
können von einem Moment auf den anderen<br />
das Leben total verändern. Mittlerweile<br />
muss jeder dritte Arbeiter <strong>und</strong> jeder fünfte<br />
Angestellte vorzeitig aus dem Berufsleben<br />
ausscheiden. Die Folgen sind Wegfall des<br />
Einkommens <strong>und</strong> eine schmale gesetzliche<br />
Rente, wenn überhaupt. Häufigste Ursache<br />
für Berufsunfähigkeit sind Herz-Kreislauf-<br />
Erkrankungen, Rückenleiden <strong>und</strong> psychische<br />
Erkrankungen. Steht kein üppiges<br />
Vermögen als Sicherheitspolster bereit, ist<br />
die private Berufsunfähigkeitsversicherung<br />
(BU) eine sehr gute Alternative.<br />
Police oder Zusatz<br />
Die Berufsunfähigkeitsversicherung kann<br />
entweder als Zusatzbaustein zu einer Risikolebensversicherung,<br />
einer (fondsgeb<strong>und</strong>enen)<br />
Kapitallebensversicherung oder<br />
einer (fondsgeb<strong>und</strong>enen) privaten Rentenversicherung<br />
(BUZ) oder als eigenständiger<br />
Vertrag (BU) abgeschlossen werden. Basisleistung<br />
der BUZ ist es, den Versicherten bei<br />
Berufsunfähigkeit von der weiteren Zahlung<br />
der Beiträge für die Hauptversicherung<br />
<strong>und</strong> für die Zusatzversicherung zu befreien.<br />
Damit wird sichergestellt, dass trotz<br />
Berufsunfähigkeit zumindest die Hinterbliebenen-<br />
<strong>und</strong> Altersvorsorge bestehen<br />
bleiben. Zusätzlich kann noch eine BU-<br />
Rente vereinbart werden.<br />
Die selbstständige BU ist für diejenigen geeignet,<br />
die bereits über eine Alters- <strong>und</strong><br />
Hinterbliebenenversorgung verfügen, aber<br />
ihr monatliches Einkommen <strong>absichern</strong><br />
möchten. Diese Police kann auch von Vorteil<br />
sein, wenn zum Beispiel bei schwankenden<br />
Einnahmen öfter mit finanziellen<br />
14 wirtschaftsspiegel 1 · 2009
Titel Absicherung<br />
Engpässen gerechnet werden muss. Dann<br />
ist es leichter, nur den Beitrag für den<br />
selbstständigen Vertrag aufzubringen als<br />
für die Hauptversicherung plus Zusatzversicherung.<br />
Im Zweifel ist es günstiger, den<br />
Aufbau der privaten Altersvorsorge zu unterbrechen,<br />
als den Berufsunfähigkeitsschutz<br />
zu verlieren.<br />
Das Risiko der Berufsunfähigkeit kann<br />
auch im Rahmen der Riester-Rente, der<br />
Basis-Rente oder der betrieblichen Altersvorsorge<br />
abgesichert werden. Die hierauf<br />
entfallenden Beiträge sind im Rahmen der<br />
gesetzlichen Förderhöchstgrenzen als Sonderausgaben<br />
abzugsfähig. Im Gegenzug<br />
unterliegt die Berufsunfähigkeitsrente in<br />
voller Höhe der Besteuerung.<br />
Wann gibt es Rente?<br />
Bereits bei einer 50-prozentigen Berufsunfähigkeit<br />
– der Prozentsatz kann jedoch<br />
auch geringer oder höher vereinbart werden<br />
– zahlen die meisten Unternehmen eine<br />
Rente aus, wenn die versicherte Person<br />
wegen ärztlich nachgewiesener Krankheit,<br />
Körperverletzung oder Kräfteverfall voraussichtlich<br />
sechs Monate oder auf Dauer<br />
nicht in der Lage ist, ihren Beruf auszuüben.<br />
Das gilt auch für eine andere<br />
Tätigkeit, die auf Gr<strong>und</strong> ihrer<br />
Ausbildung <strong>und</strong> Erfahrung ausgeübt<br />
werden kann <strong>und</strong> ihrer<br />
bisherigen Lebensstellung entspricht.<br />
Diese Definition wird<br />
überwiegend von den deutschen<br />
Lebensversicherungsunternehmen<br />
verwendet.<br />
Auch Pflegebedürftige mit mindestens<br />
Pflegestufe 1 gelten, je<br />
nach vertraglicher Vereinbarung,<br />
überwiegend als berufsunfähig.<br />
Die Bedingungen der<br />
Unternehmen sind sehr unterschiedlich.<br />
Selbst innerhalb eines<br />
Unternehmens werden oft<br />
mehrere Tarife mit unterschiedlichen<br />
Definitionen angeboten.<br />
Mit dieser breiten Palette soll<br />
den ungleichen K<strong>und</strong>eninteressen<br />
Rechnung getragen werden,<br />
die von möglichst preiswerter<br />
Basisabsicherung bis hin zu<br />
einem möglichst umfassenden<br />
Versicherungsschutz reichen.<br />
Bei Vertragsabschluss ist darauf zu achten,<br />
dass die Police keine Verweisklausel enthält.<br />
Damit ist die Möglichkeit gemeint, den<br />
Betroffenen bei Berufsunfähigkeit auf<br />
einen völlig anderen Job zu orientieren <strong>und</strong><br />
statt einer Rente beispielsweise nur eine<br />
Umschulung zu bezahlen. Die modernen<br />
Tarife der meisten Versicherer verzichten<br />
inzwischen auf solche Klauseln.<br />
Nettoeinkommen als<br />
Orientierung<br />
Die Höhe der versicherten Rente sollte sich<br />
am Nettoeinkommen orientieren. Nicht jedes<br />
Versicherungsunternehmen bietet eine<br />
Absicherung bis zu dieser Höhe an. Meist<br />
sind aber zwischen 75 <strong>und</strong> 80 Prozent versicherbar.<br />
Gehaltssteigerungen <strong>und</strong> die<br />
Wirkung der Inflation sollten berücksichtigt<br />
werden.<br />
Nicht immer ist nach einer aufgetretenen Behinderung eine<br />
Berufstätigkeit weiter möglich. Eine Versicherung gegen Berufsunfähigkeit<br />
ist daher wichtig.<br />
Foto: fotolia<br />
Tipps <strong>und</strong> Infos<br />
Der DIHK informiert in einer Broschüre<br />
„Soziale Absicherung“ über alle aktuellen<br />
Änderungen bei Sozialversicherungen<br />
(Stand 2008). Zu bestellen für 5,40<br />
Euro unter http://verlag.dihk.de.<br />
Der neu aufgelegte Ratgeber „Risikoschutz<br />
<strong>und</strong> Existenzsicherung – Die private<br />
Berufsunfähigkeitsversicherung“<br />
von ZUKUNFT klipp + klar, dem Informationszentrum<br />
der deutschen Versicherer,<br />
liefert wertvolle Tipps zum<br />
Thema. Zu bestellen unter Tel. 0800<br />
7424375 (gebührenfrei) oder unter<br />
www.klipp-<strong>und</strong>-klar.de.<br />
Persönliche Fragen r<strong>und</strong> um die private<br />
Berufsunfähigkeitsversicherung: Informationszentrum<br />
der deutschen Versicherer,<br />
gebührenfreie Service-Hotline<br />
0800 3399399, www.klipp-<strong>und</strong>-klar.de.<br />
Deutsche Rentenversicherung: kostenfreie<br />
Telefonnummer 0800 10004800.<br />
Angebotsvergleiche unter www.vergleich.de,<br />
www.guenstigversichert.de,<br />
www.versicherungsvergleich.de.<br />
Auszubildende oder Berufsanfänger vereinbaren,<br />
analog zum Nettoeinkommen,<br />
häufig zunächst nur eine geringe Rente.<br />
Deshalb sollte der Vertrag zum Beispiel<br />
vorsehen, dass die Rentenhöhe zu bestimmten<br />
Ereignissen – wie Hochzeit, Geburt<br />
eines Kindes oder Einkommensveränderungen<br />
– ohne erneute Ges<strong>und</strong>heitsprüfung<br />
im Laufe des Lebens flexibel angepasst<br />
wird. Diese so genannte Nachversicherungsgarantie<br />
wird von vielen Unternehmen<br />
angeboten. Auch eine Dynamisierung<br />
lässt sich vereinbaren.<br />
Die BU sollte möglichst zum Ausbildungsbeginn<br />
abgeschlossen werden. Der frühzeitige<br />
Einstieg sichert günstige Beiträge <strong>und</strong><br />
erhöht die Chance auf Annahme. Später<br />
könnten Erkrankungen den Abschluss erschweren<br />
oder sogar verhindern. Kommt es<br />
zu einem Unfall oder einer Erkrankung, die<br />
eine Rückkehr in den Beruf unmöglich<br />
machen, haben junge Leute keine oder nur<br />
geringe Ansprüche an die gesetzliche Rentenversicherung.<br />
Sinnvoll ist der Berufsunfähigkeitsschutz<br />
auch für Hausfrauen <strong>und</strong><br />
Hausmänner. Denn fällt deren Arbeitskraft<br />
weg <strong>und</strong> sind Kinder oder andere Familienangehörige<br />
zu versorgen, muss eventuell<br />
eine Fachkraft deren Aufgaben übernehmen.<br />
Dieser Schutz ist jedoch recht teuer.<br />
Deshalb sollte eine zur Berufszeiten abgeschlossene<br />
BU möglichst weiter aufrechterhalten<br />
bleiben.<br />
Ingrid Laue<br />
wirtschaftsspiegel 1 · 2009<br />
15
Titel Absicherung<br />
IHK-Beratung<br />
Businessplan<br />
inklusive Vorsorge<br />
Existenzgründer können <strong>und</strong> müssen vorsorgen. Für ihr<br />
Geschäft, für ihre Familie, für sich. Damit nicht erst im<br />
möglichen Krisenfall Alarm geschlagen werden muss,<br />
berät die IHK Unternehmensgründer. Und hilft auch<br />
tatkräftig, wenn's mal brenzlig wird.<br />
Ohne „Businessplan“ geht<br />
heute keine Existenzgründung<br />
mehr durch. Nur: Krankenversicherung,<br />
Pflegeversicherung,<br />
Unfall- <strong>und</strong> Rentenversicherung<br />
oder gar Arbeitslosenversicherung<br />
tauchen in den Plänen<br />
der Neugründer <strong>und</strong> Übernehmer<br />
von Geschäften oft nur<br />
am Rande auf, hat IHK-Geschäftsführer<br />
Wieland Pieper<br />
festgestellt. Die Haltung vieler<br />
Gründer zur notwendigen sozialen<br />
Absicherung ist in ihren Arnold Isken<br />
Plänen deutlich abzulesen: Das<br />
ist etwas für später, wenn das Geschäft mal<br />
richtig läuft. Erst einmal wird in der Gründungsphase<br />
nur das Nötigste getan.<br />
Zu oft wird aus dem „Später“ ein „Nie“. Das<br />
ist die Erfahrung der IHK-Berater Arnold<br />
Isken <strong>und</strong> Michael Meese, die beide in der<br />
betriebswirtschaftlichen Abteilung der IHK<br />
<strong>Nord</strong> <strong>Westfalen</strong> bei Wieland Pieper arbeiten.<br />
Die Folgen dieser unternehmerischen<br />
Entscheidung gegen eine ausreichende soziale<br />
Absicherung bei Unfall, Unglück oder<br />
Krankheit müssen nach ihren jahrelangen<br />
Erfahrungen dann nicht nur der Unternehmer,<br />
sondern auch dessen Familie <strong>und</strong> die<br />
Beschäftigten tragen.<br />
Anlaufstelle in der Krise<br />
Isken bietet Unternehmern Hilfe zur Selbsthilfe,<br />
wenn ein Nachfolger fürs Unternehmen<br />
fehlt oder wenn die Geschäftsidee zu<br />
scheitern droht – ein nicht gesetzlich vorgeschriebener<br />
Service der IHK. 520 Beratungstermine<br />
hatte er im vorigen Jahr in<br />
Fotos: IHK<br />
seinem Kalender stehen. Je<br />
zur Hälfte Nachfolgeberatung<br />
<strong>und</strong> Finanz- <strong>und</strong> Insolvenzunterstützung.<br />
Bei r<strong>und</strong> 50 Prozent der<br />
„Krisenfälle“ kann, so Isken,<br />
eine Insolvenz vermieden<br />
werden. Die soziale Absicherung<br />
wird schnell zum zentralen<br />
Thema, wenn es im<br />
Unternehmen wirtschaftliche<br />
Schwierigkeiten gibt oder<br />
der Chef schwer krank wird.<br />
„Die Hälfte der Unternehmer, die hier sitzt“,<br />
berichtet Isken, „hat keine Krankenkasse“.<br />
Wenn nämlich die monatlichen Beiträge<br />
nicht mehr gezahlt werden, dann erfolge<br />
die Leistungsfreistellung von<br />
der Versicherung, sprich: der<br />
Krankenschutz erlischt. Frau<br />
<strong>und</strong> Kinder seien dann oft auch<br />
nicht mehr versichert. „Erst<br />
wenn das Gewerbe abgemeldet<br />
<strong>und</strong> Hartz IV beantragt worden<br />
ist, gibt es wieder Zugang zum<br />
gesetzlichen Krankenversicherungssystem.“<br />
Deshalb steht für<br />
Isken fest: „Wir brauchen eine<br />
Gr<strong>und</strong>versorgung für Unternehmer.<br />
Es kann nicht sein,<br />
dass Familien ohne Krankenversicherung<br />
sind.“<br />
Michael Meese<br />
„Von vornherein auf die saubere Trennung<br />
der Vermögensteile achten“, ist der bewährte<br />
Tipp von Iskens Kollege Michael<br />
Meese, der bei der IHK <strong>Nord</strong> <strong>Westfalen</strong> die<br />
Existenzgründer begleitet. Wie bei einer<br />
Eheschließung solle man sich schon bei der<br />
Gründung gut informieren <strong>und</strong> den Gedanken<br />
an eine mögliche Scheidung nicht<br />
wegschieben.<br />
Durch Wissen wird die Angst vor einem<br />
möglichen Scheitern beherrschbar, die die<br />
Hälfte der befragten Menschen in Deutschland<br />
davon abhält, sich selbstständig zu<br />
machen. Das hat das Nürnberger Institut<br />
für Arbeitsmarkt- <strong>und</strong> Berufsforschung<br />
(IAB) in einem internationalen Vergleich<br />
festgestellt. „Die Deutschen sind pessimistischer,<br />
was die Chancen einer Existenzgründung<br />
angeht, <strong>und</strong> ängstlicher hinsichtlich<br />
der Folgen eines möglichen Scheiterns.“<br />
Gerade Gründer müssen sich deshalb sichern.<br />
Absicherung keine Pflicht<br />
„Bei zahlreichen deutschen Existenzgründungen<br />
sind zu viele Kreditmittel im Spiel –<br />
auch durch die Existenzgründerförderung“,<br />
weiß Isken. Sein Gegenbeispiel: Bei Neugründungen<br />
nach einer Insolvenz werde oft<br />
mit minimalen Mitteln ein Unternehmen<br />
wieder aufgebaut: „Das funktioniert, weil<br />
man viel vorsichtiger ist bei<br />
der Aufnahme von Krediten.“<br />
In Zahlen klingt es nüchtern.<br />
„Wir haben hier bei der IHK<br />
im vorigen Jahr 17 000 Zugänge<br />
im Gewerberegister<br />
gehabt. Und 11 000 Abmeldungen.<br />
Das ist in jedem<br />
Jahr eine Kleinstadt.“ Und<br />
nicht hinter jeder Zahl verbirgt<br />
sich nur eine einfache<br />
Gewerbeabmeldung. Als<br />
Isken 1984 mit dem Sonderprojekt<br />
Krisenberatung bei<br />
der IHK startete, da bezogen nach einer Firmenpleite<br />
64 Prozent der Unternehmer<br />
anschließend Sozialhilfe. Auch wenn es<br />
heute Hartz IV heißt, die Zahl ist „sogar<br />
noch höher“. Denn durch das Sicherungs-<br />
16 wirtschaftsspiegel 1 · 2009
Titel Absicherung<br />
verhalten der Banken falle das gesamte<br />
Vermögen des Unternehmers, einschließlich<br />
seiner Alters- <strong>und</strong> Überbrückungsversorgung,<br />
mit in den Topf. Anders als in anderen<br />
Ländern, sagt Isken, gibt es in<br />
Deutschland keine verpflichtende soziale<br />
Absicherung für Unternehmer, keine im<br />
Fall des Scheiterns mündelsichere Altersversorgung,<br />
wie eine nicht pfändbare Lebensversicherung.<br />
„Hochintelligent, sehr fleißig <strong>und</strong> sehr leistungsbewusst“<br />
sei der überwiegende Teil<br />
der deutschen Unternehmer, betont Isken.<br />
„Wenn der Unternehmer mal scheitert, ist<br />
er hier oft gleich auch gesellschaftlich gebrandmarkt“,<br />
kritisiert er. In den USA, in<br />
Großbritannien oder Frankreich werde dagegen<br />
Scheitern als Möglichkeit gesehen,<br />
aus Fehlern zu lernen <strong>und</strong> aus dieser Erfahrung<br />
heraus neu zu starten. In den USA<br />
macht im Durchschnitt jeder Unternehmer<br />
2,3 Gründungen. „Da wird eine gescheiterte<br />
Gründung nicht als Charaktermangel gesehen,<br />
sondern als Versuch gewertet“, weiß<br />
Isken. „Der Gründer wird auch nicht in die<br />
pseudo-kriminelle Ecke gerückt.“<br />
Nothilfeplan<br />
„Wenn es dann doch zu einem Ende des<br />
Geschäfts kommt, stecken wir hier einen<br />
Handlungsrahmen ab“, sagt Arnold Isken<br />
<strong>und</strong> zeigt auf den Platz ihm gegenüber am<br />
Schreibtisch. Der IHK-Berater versucht<br />
dann die Gründe für die wirtschaftlichen<br />
Schwierigkeiten, die Insolvenz, nachzuvollziehen.<br />
Für Isken steht fest: „Die meisten<br />
Unternehmer, die zu mir kommen,<br />
brauchen nur ein wenig Anleitung. Ich sage<br />
ihnen, wie sie aus der Krise herauskommen<br />
könnten – damit sie selbst handeln können.“<br />
Das geschäftliche Scheitern kann auch<br />
krank machen. „Viele haben nicht nur ein<br />
materielles, sondern auch ein Statusproblem.<br />
Die gehen oft durch ein soziales<br />
Wechselbad.“ Gerade da wird die Absicherung<br />
gegen Krankheit wichtig. Zu Geldmangel<br />
<strong>und</strong> Statusverlust in der Öffentlichkeit<br />
kommen Beziehungsprobleme hinzu:<br />
„In über der Hälfte der Fälle scheitern auch<br />
die Partnerbeziehungen an der Situation.“<br />
Restschuldbefreiung <strong>und</strong> Neugründung<br />
sind Arnold Iskens oft angebotene Auswege.<br />
Das Unternehmertum ist vielfach<br />
Interview mit IHK-Geschäftsführer Wieland Pieper<br />
„Berufswunsch Unternehmer muss<br />
selbstverständlich werden“<br />
?<br />
Herr Pieper, etwa die Hälfte deutscher<br />
Gründungswilliger lässt sich durch<br />
die Angst vor den Folgen eines möglichen<br />
Scheiterns von der Gründung abhalten.<br />
Wie lässt sich diese Angst<br />
bekämpfen?<br />
!<br />
Nicht jeder ist zum Unternehmer<br />
geboren <strong>und</strong><br />
eine Unternehmensgründung<br />
ist ein mutiges Unterfangen.<br />
Wer sich nach eingehender<br />
Prüfung seines<br />
Geschäftsplanes gegen<br />
eine Gründung entscheidet,<br />
ist deshalb nicht unbedingt<br />
ein Angsthase. Wichtig<br />
ist eine eingehende Beschäftigung<br />
mit den Märkten<br />
<strong>und</strong> K<strong>und</strong>enwünschen,<br />
die man bedienen will, <strong>und</strong><br />
eine kritische Betrachtung<br />
der eigenen Grenzen - besonders in konjunkturell<br />
unsicheren Zeiten wie den jetzigen.<br />
Aber ungeachtet der aktuellen<br />
Durststrecke müssen wir uns alle weiterhin<br />
um den Unternehmernachwuchs<br />
kümmern, sonst droht uns langfristig eine<br />
Unternehmerlücke, die mindestens so gefährlich<br />
ist wie der Facharbeitermangel.<br />
Der Berufswunsch Unternehmer muss so<br />
selbstverständlich werden wie abhängige<br />
Beschäftigungsformen. Das ist in einer<br />
Arbeitnehmer-Gesellschaft wie der deutschen<br />
nicht einfach.<br />
IHK-Geschäftsführer<br />
Wieland Pieper Foto: IHK<br />
?<br />
Selbstständigen unterstellt der Gesetzgeber<br />
ein hohes Maß an Eigenverantwortung<br />
für ihre soziale Absicherung.<br />
Aber ist das nicht zu viel des Guten?<br />
die einzige Handlungsalternative, wenn<br />
eine Idee nicht getragen hat. Doch selbst<br />
die Neugründung in Deutschland wird<br />
noch immer von mittelalterlich wirkenden<br />
Schuldturm-Mechanismen behindert.<br />
Während nach drei Jahren der Hinweis<br />
auf die Insolvenz aus der Schufa-Datei<br />
gelöscht wird, steht dann bei vielen Unternehmern<br />
für immer im polizeilichen<br />
Führungszeugnis, dass sie nachweislich<br />
!<br />
Wer sich mit Erfolg unternehmerisch<br />
behaupten will, braucht neben einer<br />
guten Geschäftsidee <strong>und</strong> den notwendigen<br />
Werkzeugen zur Umsetzung vor<br />
allem auch ein beträchtliches Maß an<br />
Selbstständigkeit <strong>und</strong> Eigenverantwortung.<br />
Das schließt sein<br />
persönliches Umfeld ein. Natürlich<br />
muss ein tragfähiger Geschäftsplan<br />
am Anfang stehen.<br />
Aber dann muss sehr bald das<br />
Thema persönliche Absicherung<br />
in den Blick genommen werden.<br />
Nicht alle angehenden Selbstständigen<br />
tun das. Für uns ist es<br />
regelmäßig Bestandteil unserer<br />
Veröffentlichungen <strong>und</strong> der persönlichen<br />
Beratungsgespräche<br />
mit angehenden Unternehmerinnen<br />
<strong>und</strong> Unternehmern.<br />
?<br />
Welche soziale Gr<strong>und</strong>absicherung<br />
sollte jeder Unternehmer unbedingt<br />
für sich <strong>und</strong> seine Familie organisieren?<br />
!<br />
Vorne an muss das Thema Ges<strong>und</strong>heit<br />
stehen, außerdem die Frage, was passiert,<br />
wenn die Gründerin oder der Gründer<br />
selbst – aus welchen Gründen auch<br />
immer – für längere Zeit ausfällt. Wenn<br />
die finanziellen Möglichkeiten es zulassen,<br />
sollte man auch schon früh mit der<br />
Vorsorge fürs Alter beginnen. Wer<br />
schnell, aber überlegt einsteigt, kann<br />
schon mit geringen Beiträgen viel erreichen.<br />
Mit der Entwicklung des Unternehmens<br />
<strong>und</strong> des persönlichen Lebensstandards<br />
muss auch der Sicherungsschirm<br />
ständig angepasst <strong>und</strong> optimiert<br />
werden.<br />
■<br />
säumige Zahler sind. Krankenkassen <strong>und</strong><br />
Stadtsteuerämter beantragen häufig die<br />
Gewerbeuntersagung, wenn Beiträge <strong>und</strong><br />
Steuern ausbleiben. „Das ist dann wie eine<br />
eingetragene Vorbestrafung.“ Vor diesem<br />
Hintergr<strong>und</strong> wird verständlich, weshalb<br />
selbst Isken <strong>und</strong> Meese vorher schon mal<br />
empfehlen müssen: „Manchmal ist es besser,<br />
das Gewerbe <strong>rechtzeitig</strong> abzumelden.“<br />
Werner Hinse<br />
wirtschaftsspiegel 1 · 2009<br />
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