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Aufarbeitung der Heimerziehung in der DDR - Fonds Heimerziehung

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Auszug aus <strong>der</strong> sogenannten<br />

Arrestordnung vom 1. Dezember 1967<br />

1.2 Im Arrestraum darf sich jeweils nur e<strong>in</strong><br />

M<strong>in</strong><strong>der</strong>jähriger aufhalten […].<br />

1.4 […] Arrest darf <strong>in</strong> <strong>der</strong> Regel bis zur<br />

Dauer von 3 Tagen angeordnet […] höchstens<br />

auf 12 Tage ausgedehnt werden. Für K<strong>in</strong><strong>der</strong><br />

bis zu 14 Jahren darf Arrest nicht angeordnet<br />

werden.“<br />

Der Arrestraum sollte neben e<strong>in</strong>er für Haftanstalten<br />

typischen E<strong>in</strong>zelzellenausstattung<br />

mit e<strong>in</strong>em an <strong>der</strong> Wand anzuschließenden<br />

Bett, e<strong>in</strong>er Matratze, e<strong>in</strong>em Wandklapptisch,<br />

Hocker und Toiletteneimer bzw. Spülklosett<br />

wie folgt ausgestattet se<strong>in</strong>:<br />

„Zur Sicherung s<strong>in</strong>d m<strong>in</strong>destens 12 mm<br />

starke Eisengitter allseitig <strong>in</strong> die Außenwand<br />

e<strong>in</strong>zulassen […]. Um den Raum von außen<br />

her übersehen zu können, ist e<strong>in</strong> mit e<strong>in</strong>em<br />

starken Glas abgedeckter Spion anzubr<strong>in</strong>gen,<br />

<strong>der</strong> mit e<strong>in</strong>er Klappe versehen ist.“<br />

Gemessen am Maßstab dieser Verordnung<br />

s<strong>in</strong>d viele dokumentierte Arreste <strong>in</strong> den<br />

Spezial- und Durchgangsheimen <strong>der</strong> <strong>DDR</strong><br />

als gesetzeswidrig – auch nach damaligem<br />

Recht – e<strong>in</strong>zustufen (vgl. Laudien und Sachse<br />

2012, S. 233).<br />

Darüber h<strong>in</strong>aus zeigten sich viele <strong>der</strong> Erzieher<strong>in</strong>nen<br />

und Erzieher – so diverse Zeitzeugenberichte<br />

– offenbar auch sehr erf<strong>in</strong><strong>der</strong>isch<br />

dar<strong>in</strong>, e<strong>in</strong>en Ersatz für e<strong>in</strong>e Arrestzelle<br />

zu f<strong>in</strong>den. „Sie sperrten K<strong>in</strong><strong>der</strong> zwischen<br />

Doppeltüren e<strong>in</strong>, <strong>in</strong> e<strong>in</strong>e Waschtrommel, <strong>in</strong><br />

den Heizungsraum, e<strong>in</strong>e enge Speisekammer.<br />

Dort war es oft dunkel, kalt o<strong>der</strong> auch<br />

zu warm. Beson<strong>der</strong>s höhnisch wurden die<br />

Ar restersatzräume von manchen Erziehern<br />

auch als ‚Bes<strong>in</strong>nungszimmer‘ betitelt“ (Ebb<strong>in</strong>ghaus<br />

und Sack 2012, S. 331).<br />

Für den Geschlossenen Jugendwerkhof<br />

Torgau war darüber h<strong>in</strong>aus grundsätzlich e<strong>in</strong><br />

„E<strong>in</strong>gangsarrest“ von 24 Stunden festgelegt,<br />

dem ke<strong>in</strong> Fehlverhalten <strong>der</strong> Jugendlichen<br />

vorausgehen musste. „In <strong>der</strong> Praxis dauerte<br />

dieser E<strong>in</strong>gangsarrest regelmäßig drei Tage<br />

und hatte die e<strong>in</strong>zige Funktion, den Willen<br />

des Jugendlichen zu brechen“ (Wapler 2012,<br />

S. 82).<br />

Solche „Aufnahmerituale“ s<strong>in</strong>d auch aus<br />

an<strong>der</strong>en E<strong>in</strong>richtungen, <strong>in</strong>sbeson<strong>der</strong>e aus<br />

Durchgangsheimen bekannt. E<strong>in</strong>e Betroffene<br />

berichtet über das Durchgangsheim Bad<br />

Freienwalde:<br />

„Bei me<strong>in</strong>er E<strong>in</strong>lieferung fuhren wir durch<br />

e<strong>in</strong>e Art Schleuse. Me<strong>in</strong> E<strong>in</strong>weisungsgespräch<br />

bestand dar<strong>in</strong>, dass ich mich ausziehen<br />

musste. Mir wurde alles Persönliche abgenommen,<br />

ke<strong>in</strong>e Erklärung, nichts. Nachdem<br />

ich Anstaltskleidung erhalten habe, so nach<br />

dem Muster passt o<strong>der</strong> nicht, kam ich mit<br />

<strong>der</strong> Bemerkung, dass ich mir überlegen sollte,<br />

warum ich hier wäre, auf e<strong>in</strong>e Zelle, ke<strong>in</strong><br />

Tisch und ke<strong>in</strong> Stuhl. Ich musste den ganzen<br />

Tag mit dem Gesicht zur Tür stehen. In unregelmäßigen<br />

Abständen schaute jemand durch<br />

den Spion. In diesen 3 Tagen schwankte ich<br />

zwischen Panik, Wut, Angst und Aufgabe. Ich<br />

zuckte bei jedem Geräusch zusammen […]“<br />

(Ebb<strong>in</strong>ghaus und Sack 2012, S. 323).<br />

2.5.5. Sexuelle Gewalt<br />

Berichte sexueller Übergriffe s<strong>in</strong>d aus allen<br />

Heimformen <strong>der</strong> <strong>DDR</strong> bekannt. Aufgrund <strong>der</strong><br />

Tendenz, diese <strong>in</strong> <strong>in</strong>ternen Berichten zu verharmlosen,<br />

s<strong>in</strong>d E<strong>in</strong>zelheiten im Umgang mit<br />

sexuellen Übergriffen nur schwer erkennbar.<br />

E<strong>in</strong>e Beson<strong>der</strong>heit stellt e<strong>in</strong>e Häufung von<br />

sexuellen Beziehungen zwischen Erzieher<strong>in</strong>nen<br />

bzw. Erziehern und K<strong>in</strong><strong>der</strong>n und Jugendlichen<br />

dar, die sich sche<strong>in</strong>bar aufgrund des<br />

oftmals nur sehr ger<strong>in</strong>gen Altersunterschieds<br />

ergeben haben (vgl. Laudien und Sachse<br />

2012, S. 252).<br />

Auch sexueller Missbrauch von K<strong>in</strong><strong>der</strong>n<br />

und Jugendlichen untere<strong>in</strong>an<strong>der</strong> stellt <strong>in</strong><br />

<strong>der</strong> <strong>Heimerziehung</strong> <strong>der</strong> <strong>DDR</strong> e<strong>in</strong> bisher völlig<br />

tabuisiertes Thema dar. Verbreitet sche<strong>in</strong>t<br />

dabei <strong>in</strong>sbeson<strong>der</strong>e <strong>der</strong> sexuelle Missbrauch<br />

unter männlichen K<strong>in</strong><strong>der</strong>n und Jugendlichen<br />

gewesen zu se<strong>in</strong> (ebd.).<br />

2.5.6. Bildung, Ausbildung und Arbeit im<br />

Heimsystem <strong>der</strong> <strong>DDR</strong><br />

K<strong>in</strong><strong>der</strong> und Jugendliche <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>DDR</strong> hatten<br />

e<strong>in</strong> Recht und e<strong>in</strong>e Pflicht auf Bildung und<br />

e<strong>in</strong> Recht und e<strong>in</strong>e Pflicht auf Arbeit. Die<br />

Bildung von Heimk<strong>in</strong><strong>der</strong>n <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>DDR</strong> sollte<br />

sich – so <strong>der</strong> rechtliche Anspruch – nicht von<br />

<strong>der</strong> <strong>der</strong> K<strong>in</strong><strong>der</strong> und Jugendlichen außerhalb<br />

<strong>der</strong> Heime unterscheiden.<br />

Rückblickend lässt sich jedoch festhalten,<br />

dass die <strong>DDR</strong> ihrem eigenen Anspruch <strong>in</strong><br />

diesem Punkt nicht gerecht wurde.<br />

Auch <strong>in</strong> diesem Punkt gilt es erneut, die<br />

Situation <strong>in</strong> den Normalk<strong>in</strong><strong>der</strong>heimen<br />

und den Spezialk<strong>in</strong><strong>der</strong>heimen <strong>der</strong> <strong>DDR</strong> zu<br />

unterscheiden.<br />

2.5.6.1. Bildung und Ausbildung <strong>in</strong> den<br />

Normalheimen <strong>der</strong> <strong>DDR</strong><br />

K<strong>in</strong><strong>der</strong> und Jugendliche, die <strong>in</strong> Normalheimen<br />

wohnten, konnten grundsätzlich die<br />

ortsansässige Bildungse<strong>in</strong>richtung besuchen.<br />

E<strong>in</strong>e Kontrolle <strong>der</strong> Arbeiter-und-Bauern-Inspektion<br />

(ABI) von 1974 45 , <strong>in</strong> <strong>der</strong>en Rahmen<br />

500 Normal-, Spezialk<strong>in</strong><strong>der</strong>heime sowie<br />

Jugendwerkhöfe untersucht wurden, stellte<br />

jedoch fest, dass K<strong>in</strong><strong>der</strong> aus Normalheimen<br />

trotz gleicher Intelligenz erheblich schlechtere<br />

Schulleistungen aufwiesen. Als Reaktion<br />

darauf wurde per Weisung des M<strong>in</strong>isterrats<br />

e<strong>in</strong>e stärkere Unterstützung <strong>der</strong> Heimk<strong>in</strong><strong>der</strong><br />

mit dem Ziel <strong>der</strong> Überw<strong>in</strong>dung <strong>der</strong> Leistungsrückstände<br />

gefor<strong>der</strong>t. Allerd<strong>in</strong>gs war<br />

zur Umsetzung dieser Zielstellung ke<strong>in</strong>e<br />

Personalverstärkung zu verzeichnen bzw.<br />

vorgesehen (vgl. Laudien und Sachse 2012,<br />

S. 226).<br />

Inwieweit K<strong>in</strong><strong>der</strong> und Jugendlichen aus<br />

den Normalk<strong>in</strong><strong>der</strong>heimen <strong>der</strong> <strong>DDR</strong> <strong>der</strong><br />

Zugang zu höheren Bildungse<strong>in</strong>richtungen<br />

(Abitur) ermöglicht wurde, ist bisher nicht<br />

bekannt.<br />

45 Komitee <strong>der</strong> ABI: Kontrolle <strong>der</strong> Lebensbed<strong>in</strong>gungen<br />

<strong>in</strong> den Normal- und Spezialk<strong>in</strong><strong>der</strong>heimen<br />

sowie Jugendwerkhöfen vom 8. Mai 1974. In: BArch<br />

DR 2/12328 / siehe auch Anhang III <strong>der</strong> Expertise von<br />

Laudien und Sachse, S. 283 ff.<br />

Ähnliches gilt zur Berufswahl. Hier ist lediglich<br />

bekannt, dass die Jugendwohnheime<br />

oftmals aus organisatorischen Gründen e<strong>in</strong>e<br />

Ausbildung <strong>in</strong> Gruppen (gleiche Ausbildung<br />

für alle K<strong>in</strong><strong>der</strong> und Jugendlichen aus e<strong>in</strong>em<br />

Heim) anstrebten.<br />

Zeitzeug<strong>in</strong>nen und Zeitzeugen berichten<br />

immer wie<strong>der</strong> über Erfahrungen von Diskrim<strong>in</strong>ierung<br />

durch Mitschüler<strong>in</strong>nen und<br />

Mitschüler sowie Lehrer<strong>in</strong>nen und Lehrer.<br />

So sche<strong>in</strong>t es <strong>in</strong> e<strong>in</strong>igen E<strong>in</strong>richtungen üblich<br />

gewesen zu se<strong>in</strong>, dass die K<strong>in</strong><strong>der</strong> und Jugendlichen<br />

aus den Heimen von den Lehrer<strong>in</strong>nen<br />

und Lehrern nicht mit ihren Vornamen,<br />

son<strong>der</strong>n als „Heimk<strong>in</strong>d“ angesprochen<br />

wurden und <strong>in</strong> <strong>der</strong> Schule „Heimkleidung“<br />

tragen mussten. Auch von Verboten, sich mit<br />

Mitschüler<strong>in</strong>nen und Mitschüler anzufreunden<br />

wird immer wie<strong>der</strong> berichtet (vgl. Wapler<br />

2012, S. 76).<br />

2.5.6.2. Bildung und Ausbildung <strong>in</strong> den<br />

Spezialheimen <strong>der</strong> <strong>DDR</strong><br />

Die Beschulung von K<strong>in</strong><strong>der</strong>n und Jugendlichen<br />

<strong>in</strong> Spezialheimen <strong>der</strong> <strong>DDR</strong> fand <strong>in</strong> <strong>der</strong><br />

Regel <strong>in</strong> eigenen Heimschulen (Schule und<br />

Berufsschule) statt. Die allgeme<strong>in</strong>e Schulpflicht<br />

reichte ab 1959 bis zum Abschluss <strong>der</strong><br />

10. Klasse. Dieser wurde von den meisten<br />

K<strong>in</strong><strong>der</strong>n und Jugendlichen <strong>in</strong> den Spezialheimen<br />

mehrheitlich nicht erreicht. Gepaart mit<br />

e<strong>in</strong>em erheblichen Mangel an Lehrer<strong>in</strong>nen<br />

und Lehrern für den Fachunterricht an den<br />

heimeigenen Schulen, wurde vom M<strong>in</strong>isterium<br />

für Volksbildung 1986 die neunten<br />

und zehnten Klasse <strong>in</strong> Spezialk<strong>in</strong><strong>der</strong>heimen<br />

abgeschafft und den Jugendlichen lediglich<br />

die Beschulung bis zum Abschluss <strong>der</strong> achten<br />

Klasse angeboten (vgl. Laudien und Sachse<br />

2012, S. 227).<br />

In vielen Jugendwerkhöfen wurde nach<br />

Kriegsende e<strong>in</strong>e breite handwerkliche Berufsausbildung<br />

angeboten, die jedoch bald auf<br />

lediglich zwei Berufe pro Jugendwerkhof –<br />

zumeist <strong>in</strong> <strong>der</strong> Industrie und mit Produktionsauflagen<br />

verbunden – reduziert wurde.<br />

Im Jahr 1953 wurden die Mittel für die<br />

Jugendwerkhöfe drastisch gekürzt und die<br />

E<strong>in</strong>führung <strong>der</strong> Selbstversorgung empfohlen.<br />

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