Aufarbeitung der Heimerziehung in der DDR - Fonds Heimerziehung
Aufarbeitung der Heimerziehung in der DDR - Fonds Heimerziehung
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„Gewalt war <strong>in</strong> allen mir bekannten Heimen<br />
Punkt Nr. 1: Gewalt durch die Erzieher<strong>in</strong>nen<br />
und Erzieher, Gewalt durch K<strong>in</strong><strong>der</strong>, die für die<br />
Erzieher<strong>in</strong>nen und Erzieher tätig waren, Gewalt<br />
bed<strong>in</strong>gt durch die Hierarchien unter den K<strong>in</strong><strong>der</strong>n,<br />
wenn man dann <strong>in</strong> <strong>der</strong> Hierarchie immer unten<br />
stand, lernte man nichts an<strong>der</strong>es als Gewalt. Bei<br />
mir war es auch noch so, dass me<strong>in</strong> Elternhaus<br />
voller Gewalttätigkeiten war und ich irgendwann<br />
alle me<strong>in</strong>e Erlebnisse <strong>in</strong> e<strong>in</strong>en Topf geworfen<br />
habe und sich daraus wie<strong>der</strong> Gewalt – nun durch<br />
mich – hervortat: Als ich dann das erste Mal<br />
heiratete, war diese Ehe erfüllt voller Gewalt.<br />
Wahrsche<strong>in</strong>lich fühlte ich mich <strong>in</strong> dieser sogenannten<br />
Hierarchie jetzt selbst ganz oben und<br />
regelte alles mit Gewalt. Die Ehe zerbrach, doch<br />
bis die Gewalt e<strong>in</strong> Ende bei mir hatte, war viel<br />
Umdenken erfor<strong>der</strong>lich und viele Jahre g<strong>in</strong>gen<br />
<strong>in</strong>s Land. Wie bitter ist es zu sehen, auf welche<br />
Weise ich gewalttätig gemacht wurde.“<br />
„Me<strong>in</strong>e normale Entwicklung wurde massiv<br />
e<strong>in</strong>geschränkt: ke<strong>in</strong> Schulabschluss, ke<strong>in</strong>e Ausbildung,<br />
Freiheitsentzug. Me<strong>in</strong> gesamtes Leben<br />
wurde dadurch abgewertet. Durch me<strong>in</strong>e Heimaufenthalte<br />
wurde ich mehrfach traumatisiert.<br />
Körperliche und seelische Gewalt. Sexuelle Übergriffe.<br />
Essens- und Schlafentzug und Arbeit im<br />
Akkord führten zu dauerhaften Schädigungen.<br />
Ich b<strong>in</strong> berentet. E<strong>in</strong>gestuft nach me<strong>in</strong>en Gehältern<br />
als Hilfsarbeitskraft, weil e<strong>in</strong>e Berufsausbildung<br />
aufgrund <strong>der</strong> fehlenden Schulausbildung<br />
nicht möglich wurde. Ich gehöre zum Strandgut<br />
e<strong>in</strong>er Gesellschaft, <strong>in</strong> welcher ich me<strong>in</strong>er Persönlichkeit<br />
beraubt wurde.“<br />
2. Erwartete Reaktionen von Staat und<br />
Gesellschaft auf die <strong>DDR</strong>-Heimgeschichte<br />
„Staat und Gesellschaft müssen anerkennen:<br />
E<strong>in</strong>weisung, Aufenthalte und Methoden des Umgangs<br />
mit den K<strong>in</strong><strong>der</strong>n und Jugendlichen waren<br />
rechtsstaatswidrig und gehören rehabilitiert und<br />
entschädigt. Dieser Staat, diese Gesellschaft<br />
dürfen Derartiges nicht mehr zulassen, dass es<br />
e<strong>in</strong>e solche verlogene diktatorische Regierung war,<br />
welche den K<strong>in</strong><strong>der</strong>n die Chance auf e<strong>in</strong>e gute Bildung<br />
verwehrte und sogar das Recht auf Freiheit<br />
entzog. Dies darf es nicht mehr geben.“<br />
„Es muss anerkannt werden, dass wir zu Unrecht<br />
<strong>in</strong>haftiert waren, denn gerade bei Ämtern<br />
ist das immer e<strong>in</strong> Spießrutenlauf und viele s<strong>in</strong>d<br />
auf Ämtergänge angewiesen. Es muss öffentlich<br />
klargestellt werden, dass wir nicht Schuld waren,<br />
weil wir angeblich faul o<strong>der</strong> dumm gewesen seien<br />
und deshalb ke<strong>in</strong>en Berufsabschluss gemacht und<br />
jahrelang nur Hilfsarbeiten ausgeübt hätten.“<br />
„Wichtig ist für mich heute, dass die Gesellschaft<br />
es anerkennt, dass diese Erziehungsmethoden<br />
Unrecht waren. Ich wünsche mir <strong>in</strong><br />
<strong>der</strong> Öffentlichkeit e<strong>in</strong>e Entschuldigung mit den<br />
Worten: Es war Unrecht, was ihnen da angetan<br />
wurde. Dass man das Stigma „Heimk<strong>in</strong>d = schwer<br />
erziehbar“ los wird […] noch immer muss ich darüber<br />
aufklären und das tut immer wie<strong>der</strong> e<strong>in</strong>fach<br />
weh.“<br />
„Eigentlich will ich von <strong>der</strong> Gesellschaft <strong>in</strong> den<br />
Arm genommen und getröstet werden, das wäre<br />
e<strong>in</strong>e schöne Vorstellung. Das, was sich jedes K<strong>in</strong>d<br />
eigentlich wünscht. Denn <strong>in</strong> vielen Situationen<br />
kommt immer wie<strong>der</strong> me<strong>in</strong> K<strong>in</strong>desalter hoch und<br />
dann b<strong>in</strong> ich im Kopf gerade 13 o<strong>der</strong> 16 Jahre alt.“<br />
„Für mich ist wichtig, dass die Gesellschaft<br />
mich und me<strong>in</strong>e Geschichte rückhaltlos wahrnimmt<br />
und dies als schweres Unrecht anerkennt.<br />
Ich möchte me<strong>in</strong>e Würde wie<strong>der</strong>hergestellt sehen<br />
und nicht um e<strong>in</strong>e Entschädigung betteln müssen.<br />
Aber das soll für alle ehemaligen Heimk<strong>in</strong><strong>der</strong><br />
gelten, da mich das Schicksal vieler Bekannter und<br />
Freund<strong>in</strong>nen und Freunde (ehemalige Heimk<strong>in</strong><strong>der</strong>),<br />
die nicht unterstützt und nicht rehabilitiert<br />
werden, sehr belastet.“<br />
„Mir ist wichtig als Reaktion: e<strong>in</strong>e umfassende<br />
<strong>Aufarbeitung</strong> des Systems <strong>der</strong> Jugendhilfe <strong>in</strong><br />
<strong>der</strong> <strong>DDR</strong>, För<strong>der</strong>ung <strong>der</strong> wissenschaftlichen<br />
Forschung, För<strong>der</strong>ung von Projekten <strong>der</strong> politischen<br />
Bildung und <strong>Aufarbeitung</strong>, Anerkennung<br />
des Unrechts an me<strong>in</strong>er Person! Rehabilitierung!<br />
<strong>Aufarbeitung</strong> <strong>der</strong> gesellschaftlichen, wirtschaftlichen<br />
und gesundheitlichen (organischen o<strong>der</strong><br />
psychischen) Folgen <strong>der</strong> <strong>Heimerziehung</strong>spraxis.<br />
E<strong>in</strong> öffentliches politisches Benennen des an den<br />
K<strong>in</strong><strong>der</strong>n und Jugendlichen begangenen Unrechts<br />
<strong>in</strong> den Spezialk<strong>in</strong><strong>der</strong>heimen, Son<strong>der</strong>heimen,<br />
Son<strong>der</strong>schulheimen, Durchgangsheimen und<br />
Jugendwerkhöfen <strong>der</strong> ehemaligen <strong>DDR</strong> durch die<br />
Bundesregierung.“<br />
3. Erwartete Hilfen und Leistungen von<br />
öffentlicher Seite<br />
„Ich erwarte vom Staat und von öffentlicher<br />
Seite, dass wir selbst bestimmen können, was<br />
gut und hilfreich für uns ist. Und ich erwarte,<br />
dass nicht schon wie<strong>der</strong> über uns bestimmt wird,<br />
was für uns gut und richtig se<strong>in</strong> soll. Ich möchte<br />
selbst vielleicht e<strong>in</strong>e Reise machen, aber nicht<br />
mit e<strong>in</strong>em Gutsche<strong>in</strong>, wo jede bzw. je<strong>der</strong> schon<br />
wie<strong>der</strong> weiß, wer das bezahlt hat. Ich möchte<br />
nicht überall erklären müssen, dass ich e<strong>in</strong> ehemaliges<br />
Heimk<strong>in</strong>d b<strong>in</strong>. Ich möchte frei entscheiden,<br />
was ich wie mit me<strong>in</strong>em Geld mache. Ich<br />
möchte nicht schon wie<strong>der</strong> gesagt bekommen,<br />
was das ‚Beste‘ für mich ist, das war auch das<br />
‚Beste‘ für mich, als ich <strong>in</strong>s Heim gekommen b<strong>in</strong>,<br />
angeblich.“<br />
„Ich erwarte zu erst e<strong>in</strong>mal die Anerkennung<br />
des geschehenen Unrechts und als Hilfe für mich<br />
die une<strong>in</strong>geschränkten mediz<strong>in</strong>ischen Maßnahmen.<br />
Das ist e<strong>in</strong> großer persönlicher Wunsch,<br />
da ich Rheuma im 3. Stadium habe und es mir<br />
immer schwerer fällt, den Alltag zu bewältigen.<br />
Natürlich wünsche ich mir auch f<strong>in</strong>anzielle dauerhafte<br />
Leistungen, um als Rentner nicht immer<br />
am Existenzm<strong>in</strong>imum leben zu müssen.“<br />
„An erster Stelle stehen die Rehabilitierung<br />
und Folgeleistungen wie z. B. e<strong>in</strong>e monatliche<br />
Rente. Ebenfalls denkbar s<strong>in</strong>d Sachleistungen<br />
wie z. B. Zuzahlungsbefreiungen bei Ärzt<strong>in</strong>nen<br />
und Ärzten, Zähnen o<strong>der</strong> Kuren. Es braucht<br />
Hilfen im täglichen Leben und kompetente rechtliche<br />
Beratung.“<br />
„Me<strong>in</strong>e For<strong>der</strong>ungen s<strong>in</strong>d: 1. Entschädigungen<br />
<strong>der</strong> Missbrauchsfälle von K<strong>in</strong><strong>der</strong>n und Jugendlichen,<br />
welche von den <strong>DDR</strong>-Volksbildungsmitarbeiter<strong>in</strong>nen<br />
und -mitarbeitern missbraucht<br />
wurden und dadurch schweren Schaden genommen<br />
haben; 2. Kostenlose psychologische<br />
Beratung und Betreuung.“<br />
„Ich erwarte von <strong>der</strong> öffentlichen Seite:<br />
• mehr Toleranz, Achtung und Wertschätzung<br />
von Betroffenen,<br />
• im Bedarfsfall benötigte Sozialleistung<br />
unbürokratisch zu gewähren,<br />
• Aufbau e<strong>in</strong>es Netzwerkes und Vermittlung<br />
von psychologischen, sozialen o<strong>der</strong><br />
seelsorgerischen Beratungsangeboten an<br />
ehemalige Heimk<strong>in</strong><strong>der</strong> bei Bedarf,<br />
• jede bzw. je<strong>der</strong> Betroffene hat freie Arztund<br />
Therapeutenwahl,<br />
• die Versorgung mit geschulten Trauma-<br />
Therapeut<strong>in</strong>nen und -therapeuten<br />
auszubauen,<br />
• ke<strong>in</strong>e Fallstundenbegrenzung bei solchen<br />
Therapien (viele Betroffene haben teilweise<br />
Jahrzehnte geschwiegen, da kann man<br />
nicht erwarten, dass die bzw. <strong>der</strong> Betroffene<br />
sich sofort öffnen kann und sich nach<br />
35 Behandlungen das gefestigte Trauma<br />
aufgelöst hat).“<br />
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