Aufarbeitung der Heimerziehung in der DDR - Fonds Heimerziehung
Aufarbeitung der Heimerziehung in der DDR - Fonds Heimerziehung
Aufarbeitung der Heimerziehung in der DDR - Fonds Heimerziehung
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e) In <strong>der</strong> Rechtsform <strong>der</strong> Leistungserbr<strong>in</strong>gung<br />
(zur Rehabilitierung ehemaliger<br />
Heimk<strong>in</strong><strong>der</strong> <strong>der</strong> <strong>DDR</strong>) wünscht sich <strong>der</strong> ABH-<br />
<strong>DDR</strong> e<strong>in</strong>e bundesunmittelbare Stiftung, die<br />
durch Gesetz errichtet werden sollte.<br />
6. Bewertende Zusammenfassung<br />
- Lösungsvorschläge<br />
6.1. Bewertende Zusammenfassung<br />
(1) Den Beschlüssen <strong>der</strong> Jugendm<strong>in</strong>ister<strong>in</strong>nen<br />
und -m<strong>in</strong>ister <strong>der</strong> Län<strong>der</strong> vom 27.<br />
Mai 2011 sowie des Deutschen Bundestages<br />
vom 7. Juli 2011 folgend, sollen den ehemaligen<br />
Heimk<strong>in</strong><strong>der</strong>n aus <strong>der</strong> <strong>DDR</strong> „[…] entsprechende,<br />
zu den Vorschlägen des Runden<br />
Tisches <strong>Heimerziehung</strong> <strong>in</strong> den 50er und 60er<br />
Jahren (RTH) gleichwertige, Hilfen zugebilligt<br />
werden […]“ (BT-Drs. 17/6143, 17/6500<br />
und BT-PlPr 17/120, S. 14019C – 14027D).<br />
Um Vorschläge i. S. gleichwertiger Hilfen<br />
im Weiteren erläutern zu können, braucht<br />
es zunächst e<strong>in</strong>e Erläuterung dazu, welche<br />
Hilfen ehemaligen Heimk<strong>in</strong><strong>der</strong>n aus <strong>der</strong> Bundesrepublik<br />
Deutschland seit 1. Januar 2012<br />
<strong>in</strong> Umsetzung <strong>der</strong> Empfehlungen des RTH<br />
zur Verfügung stehen.<br />
Mit Wirkung zum 1. Januar 2012 haben<br />
Bund, Län<strong>der</strong> und Kirchen <strong>in</strong> den westdeutschen<br />
Län<strong>der</strong>n auf <strong>der</strong> Grundlage <strong>der</strong><br />
Empfehlungen des RTH den <strong>Fonds</strong> „<strong>Heimerziehung</strong><br />
<strong>in</strong> <strong>der</strong> Bundesrepublik Deutschland<br />
<strong>in</strong> den Jahren 1949–1975“ (im Folgenden:<br />
<strong>Fonds</strong> „<strong>Heimerziehung</strong> West“ o<strong>der</strong><br />
„<strong>Fonds</strong>“) <strong>in</strong> Höhe von 120 Millionen Euro als<br />
nicht rechtsfähige Stiftung des Privatrechts<br />
e<strong>in</strong>gerichtet. Er ist e<strong>in</strong> Angebot an Betroffene,<br />
die als K<strong>in</strong><strong>der</strong> o<strong>der</strong> Jugendliche <strong>in</strong> den<br />
Jahren 1949–1975 <strong>in</strong> <strong>der</strong> Bundesrepublik<br />
Deutschland <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er vollstationären E<strong>in</strong>richtung<br />
zum Zwecke <strong>der</strong> öffentlichen Erziehung<br />
untergebracht waren. Die e<strong>in</strong>zelnen Formen<br />
<strong>der</strong> Misshandlung <strong>in</strong> den Heimen s<strong>in</strong>d<br />
Ansatzpunkte für differenzierte Leistungen<br />
aus dem <strong>Fonds</strong>, wobei e<strong>in</strong>e Gewichtung des<br />
Leids und daraus folgend <strong>der</strong> Leistung jedoch<br />
bewusst nicht vorgenommen wird.<br />
Durch den <strong>Fonds</strong> „<strong>Heimerziehung</strong> West“<br />
wird e<strong>in</strong> Hilfesystem für Betroffene <strong>in</strong> Ergänzung<br />
zu bestehenden Hilfesystemen geschaffen.<br />
Der <strong>Fonds</strong> kann Hilfe zur Bewältigung<br />
des Leids gewähren, wenn e<strong>in</strong> Folgeschaden<br />
und beson<strong>der</strong>er Hilfebedarf aufgrund von<br />
Schädigungen durch <strong>Heimerziehung</strong> vorliegt,<br />
<strong>der</strong> nicht durch die bereits bestehenden<br />
Hilfe- und Versicherungssysteme abgedeckt<br />
wird. Außerdem kann <strong>der</strong> <strong>Fonds</strong> Leistungen<br />
an diejenigen gewähren, die e<strong>in</strong>e M<strong>in</strong><strong>der</strong>ung<br />
von Rentenansprüchen aufgrund nicht gezahlter<br />
Sozialversicherungsbeiträge h<strong>in</strong>nehmen<br />
mussten. Dies entspricht den Lösungsvorschlägen<br />
des RTH.<br />
Der <strong>Fonds</strong> „<strong>Heimerziehung</strong> West“ soll e<strong>in</strong>en<br />
Beitrag zur Herstellung des Rechtsfriedens<br />
leisten, da Ansprüche <strong>der</strong> Betroffenen gegen<br />
die am Unrecht <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Heimerziehung</strong> beteiligten<br />
Institutionen und Personen nur schwer<br />
o<strong>der</strong> gar nicht mehr durchgesetzt werden<br />
können (Verjährung und weitgehend fehlende<br />
Beweismöglichkeiten). Er eröffnet den<br />
Betroffenen den e<strong>in</strong>zig realistischen Weg zur<br />
L<strong>in</strong><strong>der</strong>ung <strong>der</strong> Folgen <strong>der</strong> <strong>Heimerziehung</strong>.<br />
(2) Den o. g. Beschlüssen liegt die<br />
Annahme zugrunde, dass auch K<strong>in</strong><strong>der</strong>n und<br />
Jugendlichen <strong>in</strong> den Heimen <strong>der</strong> <strong>DDR</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong><br />
Zeit von 1949 bis 1990 gravierendes Unrecht<br />
und schweres Leid zugefügt wurde. Der<br />
diesem Bericht zugrunde liegende <strong>Aufarbeitung</strong>sprozess<br />
bestätigt diese E<strong>in</strong>schätzung.<br />
So reichen die Beschreibungen <strong>in</strong> den<br />
Expertisen, die für diesen Bericht <strong>in</strong> Auftrag<br />
gegeben wurden, von fehlen<strong>der</strong> menschlicher<br />
Zuwendung, über unzureichende Bildungsangebote<br />
und unsachgemäßen Arbeitse<strong>in</strong>satz<br />
<strong>der</strong> K<strong>in</strong><strong>der</strong> und Jugendlichen, bis h<strong>in</strong><br />
zu Prügelstrafen und Maßnahmen, die sich<br />
gegen die elementarsten Bedürfnisse <strong>der</strong><br />
K<strong>in</strong><strong>der</strong> und Jugendlichen richteten: wie<br />
Schlafentzug, Essensentzug, Zwang zum<br />
Essen, Tr<strong>in</strong>kverbot mit Flüssigkeitsentzug<br />
(beson<strong>der</strong>s bei Bettnässer<strong>in</strong>nen und Bettnässer),<br />
Strafduschen mit kaltem Wasser sowie<br />
sexuell übergriffiges Verhalten seitens <strong>der</strong><br />
Erzieher<strong>in</strong>nen und Erzieher o<strong>der</strong> an<strong>der</strong>er<br />
Heimk<strong>in</strong><strong>der</strong> u. v. m. Diese Maßnahmen und<br />
Umstände stützen sich auf den Auftrag e<strong>in</strong>er<br />
„Erziehung“ bzw. „Umerziehung“ im S<strong>in</strong>ne<br />
e<strong>in</strong>er sozialistischen Persönlichkeit.<br />
Ähnlich wie <strong>in</strong> e<strong>in</strong>zelnen Heimen <strong>in</strong> den<br />
westdeutschen Län<strong>der</strong>n <strong>in</strong> den 1950er- und<br />
1960er-Jahren ist die an den Strafvollzug<br />
er<strong>in</strong>nernde Unterbr<strong>in</strong>gung <strong>in</strong> vielen Heimen<br />
bzw. Heimformen e<strong>in</strong> prägendes Element <strong>der</strong><br />
<strong>Heimerziehung</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>DDR</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> Zeit von<br />
1949 bis 1990.<br />
(3) Mit e<strong>in</strong>er Ausrichtung möglicher<br />
Hilfeleistungen für ehemalige Heimk<strong>in</strong><strong>der</strong><br />
<strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>DDR</strong> an den Empfehlungen des RTH<br />
steht man unweigerlich vor <strong>der</strong> Frage, ob<br />
die <strong>Heimerziehung</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>DDR</strong> generell als<br />
Unrechtstatbestand zu bewerten ist.<br />
Viele <strong>der</strong> ehemaligen Heimk<strong>in</strong><strong>der</strong> aus <strong>der</strong><br />
<strong>DDR</strong> würden diese Annahme sofort mit „Ja“<br />
beantworten. Der Interessenverband ehemaliger<br />
Heimk<strong>in</strong><strong>der</strong> aus Mecklenburg-Vorpommern<br />
beispielsweise for<strong>der</strong>t aus genau<br />
diesem Grunde e<strong>in</strong>e e<strong>in</strong>heitliche Entschädigung<br />
für alle Heimk<strong>in</strong><strong>der</strong> aus <strong>der</strong> <strong>DDR</strong>.<br />
E<strong>in</strong>e solche Lösung wäre jedoch nur denkbar,<br />
wenn auch e<strong>in</strong>e pauschale Bewertung<br />
<strong>der</strong> <strong>Heimerziehung</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>DDR</strong> generell als<br />
Unrechtstatbestand vorgenommen werden<br />
könnte.<br />
Viele <strong>der</strong> Zustände und Praktiken, die von<br />
den ehemaligen Heimk<strong>in</strong><strong>der</strong>n als beson<strong>der</strong>s<br />
ungerecht und schmerzhaft empfunden<br />
wurden, verstießen schon gegen damaliges<br />
Recht. Gegen diese Rechtsverstöße gab es <strong>in</strong><br />
<strong>der</strong> <strong>DDR</strong> jedoch ke<strong>in</strong>e wirksamen Rechtsmittel<br />
o<strong>der</strong> an<strong>der</strong>e Kontrollmöglichkeiten.<br />
Dies dokumentieren vor allem die zahlreichen<br />
Inspektionsberichte aus den Heimen<br />
<strong>der</strong> <strong>DDR</strong>. Zu nennen s<strong>in</strong>d dabei vor allem die<br />
Prügelstrafen (obwohl diese <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>DDR</strong> seit<br />
1969 gesetzlich verboten waren), die Arreste,<br />
die über die gesetzlichen Vorgaben h<strong>in</strong>ausg<strong>in</strong>gen,<br />
die Unterbr<strong>in</strong>gung <strong>in</strong> Durchgangsheimen<br />
über den vorgesehenen maximalen<br />
Aufenthaltszeitraum h<strong>in</strong>aus, die E<strong>in</strong>weisung<br />
<strong>in</strong>s Heim ohne Anhörung <strong>der</strong> Eltern u. v. m.<br />
(vgl. Wapler 2012, S. 102).<br />
Dennoch lassen die vorliegenden Ergebnisse<br />
ke<strong>in</strong>e Gesamtbewertung <strong>in</strong> dem S<strong>in</strong>ne<br />
zu, dass es sich bei <strong>der</strong> <strong>Heimerziehung</strong> <strong>in</strong><br />
<strong>der</strong> <strong>DDR</strong> <strong>in</strong>sgesamt um e<strong>in</strong> Unrechtssystem<br />
gehandelt haben könnte. Denn auch <strong>in</strong> <strong>der</strong><br />
<strong>DDR</strong> erfolgten nicht alle Heime<strong>in</strong>weisungen<br />
unbegründet und nicht die gesamte Praxis<br />
<strong>der</strong> <strong>Heimerziehung</strong> war rechtsverletzend<br />
o<strong>der</strong> menschenrechtswidrig. In <strong>der</strong> <strong>DDR</strong><br />
sollte vom Anspruch her die <strong>Heimerziehung</strong><br />
den K<strong>in</strong><strong>der</strong>n und Jugendlichen die Möglichkeit<br />
bieten, sich zu allseitig gebildeten Individuen<br />
– allerd<strong>in</strong>gs nur i. S. <strong>der</strong> „sozialistischen<br />
Persönlichkeit“ – zu entwickeln.<br />
Maßgeblich verantwortlich für das erlittene<br />
Unrecht <strong>in</strong> den Heimen <strong>der</strong> <strong>DDR</strong> war<br />
dabei das <strong>der</strong> <strong>Heimerziehung</strong> zugrunde<br />
liegende damalige Verständnis „sozialer<br />
Probleme“ als Folge „falscher“ E<strong>in</strong>flüsse <strong>in</strong><br />
<strong>der</strong> Erziehung <strong>der</strong> K<strong>in</strong><strong>der</strong> und Jugendlichen,<br />
die es zu beseitigen galt. E<strong>in</strong>e Auffassung, die<br />
sich durch das gesamte politische Handeln<br />
<strong>der</strong> <strong>DDR</strong> zog. Diese Ideologie brachte auch<br />
die Auffassung mit sich, dass mit voranschreitendem<br />
Aufbau <strong>der</strong> sozialistischen<br />
Gesellschaft die sozialen Probleme gänzlich<br />
als Phänomen verschw<strong>in</strong>den würden. Wo<br />
dies (augensche<strong>in</strong>lich noch nicht) <strong>der</strong> Fall<br />
war, musste nach <strong>der</strong> <strong>DDR</strong>-Sichtweise korrigierend<br />
e<strong>in</strong>gegriffen werden. Das gängige<br />
Mittel dazu war die Umerziehung <strong>der</strong> K<strong>in</strong><strong>der</strong><br />
und Jugendlichen (die „Umorientierung <strong>der</strong><br />
Innenwelt des K<strong>in</strong>des“) mit ihrer vielfach<br />
zerstörerischen Wirkung für <strong>der</strong>en Persönlichkeitsentwicklung<br />
und dem Ziel <strong>der</strong><br />
Anpassung und Unterordnung <strong>in</strong> <strong>der</strong> sozialistischen<br />
Gesellschaft.<br />
Die Folge war e<strong>in</strong>e Behandlung des K<strong>in</strong>des<br />
als Objekt <strong>der</strong> Erziehung, die den Nährboden<br />
für viele Unrechtserfahrungen <strong>in</strong> den<br />
Heimen <strong>der</strong> <strong>DDR</strong> bildete. In <strong>der</strong> Praxis <strong>der</strong><br />
<strong>Heimerziehung</strong> <strong>der</strong> <strong>DDR</strong> führte dies zu Zuständen,<br />
die wie<strong>der</strong>um denen <strong>in</strong> den Heimen<br />
<strong>in</strong> <strong>der</strong> Bundesrepublik Deutschland <strong>in</strong> den<br />
1950er- und 1960er-Jahren erschreckend<br />
glichen – auch wenn hier an<strong>der</strong>e gesellschaftliche<br />
und moralische Vorstellungen e<strong>in</strong>zelner<br />
Träger und <strong>der</strong> Gesellschaft zugrunde lagen.<br />
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