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Aufarbeitung der Heimerziehung in der DDR - Fonds Heimerziehung

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erichtet wird. Es ist daher davon auszugehen,<br />

dass den Verantwortlichen <strong>der</strong> Regierung<br />

und Parteiführung bekannt war, dass<br />

es <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Heimerziehung</strong> zu massiven Rechtsverstößen<br />

kam. H<strong>in</strong>gewiesen wird <strong>in</strong> diesem<br />

Zusammenhang auch auf das Schreiben<br />

des Generalstaatsanwaltes <strong>der</strong> <strong>DDR</strong> an den<br />

stellvertretenden M<strong>in</strong>ister für Volksbildung,<br />

Strafverfahren gegen Erzieher betreffend,<br />

vom 14. Juli 1966 60 , das im Anhang <strong>der</strong><br />

Expertise von Wapler veröffentlicht ist, sowie<br />

den Prüfbericht <strong>der</strong> ABI von 1974 61 , <strong>der</strong><br />

im Anhang <strong>der</strong> Expertise von Laudien und<br />

Sachse veröffentlicht ist.<br />

Es kann abschließend festgehalten werden,<br />

dass sich mit dem E<strong>in</strong>sperren von K<strong>in</strong><strong>der</strong>n<br />

und Jugendlichen über die gesetzlichen<br />

Regeln h<strong>in</strong>aus und dem E<strong>in</strong>satz von körperlicher<br />

Gewalt die Heimerzieher<strong>in</strong>nen und<br />

Heimerzieher nach den Gesetzen <strong>der</strong> <strong>DDR</strong><br />

strafbar gemacht haben.<br />

Es s<strong>in</strong>d jedoch nur E<strong>in</strong>zelfälle bekannt,<br />

<strong>in</strong> denen Erzieher<strong>in</strong>nen und Erzieher auch<br />

strafrechtlich zur Verantwortung gezogen<br />

wurden. Diszipl<strong>in</strong>arverfahren wurden offensichtlich<br />

ebenfalls selten e<strong>in</strong>geleitet.<br />

Theoretisch standen K<strong>in</strong><strong>der</strong>n und Jugendlichen,<br />

die <strong>in</strong> den Heimen <strong>der</strong> <strong>DDR</strong> e<strong>in</strong>en<br />

Schaden erlitten, weil sie beispielsweise<br />

misshandelt wurden, Schadensersatzansprüche<br />

zu. Die Amtshaftung war seit 1969 im<br />

Staatshaftungsgesetz <strong>der</strong> <strong>DDR</strong> geregelt. Die<br />

persönliche Haftung <strong>der</strong> betroffenen Mitarbeiter<strong>in</strong><br />

bzw. des betroffenen Mitarbeiters<br />

wurde hier ausgeschlossen. Die staatlichen<br />

Organe hafteten für persönliche und f<strong>in</strong>anzielle<br />

Schäden, die durch Mitarbeiter<strong>in</strong>nen<br />

und Mitarbeiter verursacht worden waren<br />

(vgl. Wapler 2012, S. 89). Auch hier handelte<br />

es sich um e<strong>in</strong> Verwaltungsverfahren. E<strong>in</strong>en<br />

gerichtlichen Rechtsbehelf gab es nicht. Es ist<br />

jedoch nach Stand <strong>der</strong> Forschungsergebnisse<br />

60 Schreiben des Generalstaatsanwaltes vom 14.<br />

Juli 1966. In BArch DR 2/51127); siehe auch Anhang<br />

<strong>der</strong> Expertise von Wapler, S. 144 ff.).<br />

61 Komitee <strong>der</strong> ABI: Kontrolle <strong>der</strong> Lebensbed<strong>in</strong>gungen<br />

<strong>in</strong> den Normal- und Spezialk<strong>in</strong><strong>der</strong>heimen<br />

sowie Jugendwerkhöfen vom 8. Mai 1974. In: BArch<br />

DR 2/12328 / siehe auch Anhang III <strong>der</strong> Expertise von<br />

Laudien und Sachse, S. 283 ff.<br />

<strong>der</strong> Expertisen ke<strong>in</strong> Fall bekannt, <strong>in</strong>dem e<strong>in</strong><br />

K<strong>in</strong>d o<strong>der</strong> e<strong>in</strong>e bzw. e<strong>in</strong> Jugendlicher o<strong>der</strong><br />

Eltern diesen Anspruch geltend gemacht<br />

hätten.<br />

3. Folgen <strong>der</strong> <strong>Heimerziehung</strong>spraxis<br />

für die Betroffenen<br />

Viele Betroffene aus <strong>der</strong> <strong>DDR</strong>-<strong>Heimerziehung</strong><br />

leiden noch heute unter den teils schwerwiegenden<br />

gesundheitlichen und sozialen Folgen<br />

<strong>der</strong> belastenden Erlebnisse <strong>in</strong> den Heimen<br />

<strong>der</strong> <strong>DDR</strong>.<br />

Sie berichten häufig von sozialer Stigmatisierung<br />

aufgrund ihrer Vergangenheit als<br />

„Heimk<strong>in</strong>d“, über schlechte berufliche Chancen<br />

und ger<strong>in</strong>gere Rentenerwartung aufgrund<br />

<strong>der</strong> unzureichenden Bildungsangebote<br />

<strong>in</strong> den Heimen und <strong>der</strong> Arbeitse<strong>in</strong>sätze, zu<br />

denen heute die Rentenversicherungsnachweise<br />

fehlen.<br />

Die vielfachen Erfahrungen von Gewalt<br />

und Demütigung und e<strong>in</strong> Mangel an menschlicher<br />

Fürsorge und Wärme <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Lebensphase,<br />

<strong>in</strong> <strong>der</strong> diese unbed<strong>in</strong>gt gebraucht<br />

wurden, f<strong>in</strong>den darüber h<strong>in</strong>aus ihren Nie<strong>der</strong>schlag<br />

<strong>in</strong> zum Teil massiven psychischen<br />

Störungsbil<strong>der</strong>n.<br />

3.1. Potenziell schädigende Bed<strong>in</strong>gungen<br />

<strong>der</strong> <strong>DDR</strong>-<strong>Heimerziehung</strong><br />

Die Heime<strong>in</strong>weisung ist wegen <strong>der</strong> Trennung<br />

von <strong>der</strong> primären Bezugsperson immer e<strong>in</strong>e<br />

kritische Situation.<br />

Für die <strong>in</strong> Kapitel 2 dieses Berichts erläuterte<br />

<strong>Heimerziehung</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>DDR</strong> kann<br />

festgehalten werden, dass sowohl die (1)<br />

E<strong>in</strong>weisung <strong>in</strong>s Heim als auch die (2) Lebensbed<strong>in</strong>gungen<br />

<strong>in</strong> den Heimen <strong>in</strong> vielen Fällen<br />

die eng gefassten Kriterien psychischer Traumatisierung<br />

erfüllen.<br />

Ausgehend von <strong>der</strong> Def<strong>in</strong>ition <strong>der</strong> mediz<strong>in</strong>ischen<br />

Klassifikationssysteme <strong>der</strong><br />

Weltgesundheitsorganisation WHO (aktuell<br />

ICD-10) wird unter e<strong>in</strong>em Trauma e<strong>in</strong> Ereignis<br />

mit e<strong>in</strong>em auch für an<strong>der</strong>e Menschen<br />

außergewöhnlich belastenden Schweregrad<br />

(objektives Traumakriterium) und starkem<br />

subjektivem Belastungserleben (subjektives<br />

Traumakriterium) verstanden, wobei<br />

das subjektive Erleben durch Gefühle von<br />

Ohnmacht, Hilflosigkeit und Entsetzen<br />

gekennzeichnet ist. Beson<strong>der</strong>s von Menschen<br />

verursachte Traumatisierungen und Mehrfachtraumatisierungen,<br />

wie diese <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Heimerziehung</strong><br />

vorliegen, wirken stark negativ<br />

auf die gesamte Persönlichkeitsentwicklung.<br />

Im umgangssprachlichen Gebrauch versteht<br />

man allgeme<strong>in</strong> unter e<strong>in</strong>em Trauma e<strong>in</strong><br />

die subjektiven Bewältigungsmöglichkeiten<br />

überfor<strong>der</strong>ndes Ereignis (Ebb<strong>in</strong>ghaus und<br />

Sack 2012, S. 363).<br />

(1) Den Berichten <strong>der</strong> Betroffenen folgend,<br />

ist die E<strong>in</strong>weisung <strong>in</strong> e<strong>in</strong> Heim, <strong>in</strong>sbeson<strong>der</strong>e<br />

dann, wenn sie gegen den Willen beispielsweise<br />

<strong>der</strong> bzw. des Jugendlichen erfolgte,<br />

durchaus als e<strong>in</strong> solches subjektiv traumatisierendes<br />

Erlebnis zu klassifizieren.<br />

Vor allem lässt sich für e<strong>in</strong> K<strong>in</strong>d o<strong>der</strong> e<strong>in</strong>e<br />

Jugendliche bzw. e<strong>in</strong>en Jugendlichen nicht<br />

absehen, was es bedeutet, tatsächlich <strong>in</strong>s<br />

Heim zu kommen, welche Regeln dort gelten<br />

werden. Je nach Alter des K<strong>in</strong>des o<strong>der</strong> <strong>der</strong><br />

bzw. des Jugendlichen ist auch die Tragweite<br />

und Dauer des Aufenthaltes nur schwer<br />

zu verstehen. Die Tatsache, dass <strong>in</strong> vielen<br />

Fällen, so die Expertise von Ebb<strong>in</strong>ghaus und<br />

Sack, mit E<strong>in</strong>weisung <strong>in</strong>s Heim <strong>der</strong> Kontakt<br />

zu den Eltern und Geschwistern sogar aktiv<br />

unterbrochen wurde, <strong>in</strong> e<strong>in</strong>igen Heimformen<br />

dies sogar fester Bestandteil <strong>der</strong> Aufnahmemaßnahmen<br />

war, muss für die K<strong>in</strong><strong>der</strong> und<br />

Jugendlichen e<strong>in</strong>en subjektiven Zustand des<br />

völligen Verlassense<strong>in</strong>s mit sich gebracht<br />

haben. Viele <strong>der</strong> Betroffenen berichten auch,<br />

dass ihnen selbst auf Nachfrage niemand die<br />

Gründe für ihre E<strong>in</strong>weisung genannt hat (vgl.<br />

Ebb<strong>in</strong>ghaus und Sack 2012, S. 363).<br />

(2) Auch die Praxis <strong>der</strong> <strong>Heimerziehung</strong>,<br />

wie sie <strong>in</strong> Kapitel 2.5. ausführlich dargestellt<br />

wurde, erfüllt nach Ebb<strong>in</strong>ghaus und Sack<br />

die eng gefassten mediz<strong>in</strong>ischen Kriterien<br />

traumatisieren<strong>der</strong> Bed<strong>in</strong>gungen. Genannt<br />

werden dabei <strong>der</strong> Tagesablauf mit dem von<br />

Betroffenen immer wie<strong>der</strong> als beson<strong>der</strong>s<br />

entwürdigend empfundenen Verlust <strong>der</strong><br />

Intimsphäre (selbst bei <strong>der</strong> Körperhygiene)<br />

und die katastrophalen baulichen Zustände<br />

<strong>der</strong> Gebäude und sanitären Anlagen <strong>in</strong> den<br />

Heimen <strong>der</strong> <strong>DDR</strong>. H<strong>in</strong>zu kamen traumatisierende<br />

Erfahrungen von Demütigung, Gewalt<br />

durch die Erzieher<strong>in</strong>nen und Erzieher,<br />

Gewalt durch die Gruppe, Arrest und Isolierung<br />

o<strong>der</strong> gar sexuelle Übergriffe.<br />

All diese Bed<strong>in</strong>gungen und Zumutungen,<br />

die den Lebensalltag <strong>in</strong> den Heimen <strong>der</strong> <strong>DDR</strong><br />

ausmachten, s<strong>in</strong>d „[…]ohne jeden Zweifel<br />

geeignet, tiefgreifende Traumatisierungen<br />

mit erheblichen E<strong>in</strong>wirkungen auf die Persönlichkeitsentwicklung<br />

e<strong>in</strong>es K<strong>in</strong>des o<strong>der</strong><br />

e<strong>in</strong>er bzw. e<strong>in</strong>es Jugendlichen auszulösen“<br />

(Ebb<strong>in</strong>ghaus und Sack 2012, S. 327).<br />

3.2. Schädigungsfolgen <strong>der</strong> <strong>DDR</strong>-<br />

<strong>Heimerziehung</strong><br />

Vor diesem H<strong>in</strong>tergrund stellt sich die Frage,<br />

welche Folgen die genannten potenziell traumatisierenden<br />

Bed<strong>in</strong>gungen und die traumatisierenden<br />

Erlebnisse für die ehemaligen<br />

Heimk<strong>in</strong><strong>der</strong> aus <strong>der</strong> <strong>DDR</strong> haben. Ebb<strong>in</strong>ghaus<br />

und Sack unterscheiden vier Gruppen von<br />

Schädigungsfolgen. Ohne Anspruch auf<br />

Vollständigkeit sollen diese im Folgenden<br />

erläutert werden, <strong>in</strong>sbeson<strong>der</strong>e um anschließend<br />

zu verdeutlichen, was unternommen<br />

werden kann, um diese Schädigungsfolgen zu<br />

l<strong>in</strong><strong>der</strong>n.<br />

3.2.1. Materielle und soziale<br />

Schädigungsfolgen<br />

Viele <strong>der</strong> Betroffenen, so die Expertise von<br />

Ebb<strong>in</strong>ghaus und Sack, s<strong>in</strong>d aufgrund <strong>der</strong><br />

Stigmatisierung als Heimk<strong>in</strong>d sowie ihrer<br />

fehlenden qualifizierten Berufsausbildung<br />

(die Ausbildung zur Teilfacharbeiter<strong>in</strong> bzw.<br />

zum Teilfacharbeiter, die <strong>in</strong> den Jugendwerkhöfen<br />

erlangt werden konnte, wurde nach<br />

<strong>der</strong> Wie<strong>der</strong>vere<strong>in</strong>igung nicht als vollwertige<br />

Berufsausbildung anerkannt) <strong>in</strong> ihren beruflichen<br />

Chancen erheblich beschnitten und<br />

leiden unter den damit verbundenen materiellen<br />

Folgen. E<strong>in</strong> Großteil <strong>der</strong> ehemaligen<br />

Heimk<strong>in</strong><strong>der</strong> aus <strong>der</strong> <strong>DDR</strong>, die im Rahmen <strong>der</strong><br />

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