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Mark David Chapman<br />
Mord in Manhattan<br />
„Was mich etwas beunruhigt, ist der Gedanke,<br />
dass eines Tages irgendein Irrer auftauchen<br />
könnte – und weiß der Himmel, was dann passiert.“<br />
Das sagte John Lennon 1965, als die<br />
Beatlemania auf dem Höhepunkt war und Auf -<br />
tritte der Band zunehmend unkontrollierbar<br />
wurden. Der Irre tauchte tatsächlich auf, 15<br />
Jahre später, am 8. Dezember 1980 vor dem<br />
Dakota Building. Mark David Chapman ließ sich ein Autogramm geben, als<br />
Lennon das Haus verließ – und wartete. Um etwa 22.50 Uhr kehrte Lennon<br />
zurück, Chap man schoss und traf ihn viermal in den Rücken, eine der Kugeln<br />
zerfetzte Lennons Halsschlagader. Nach dem Transport ins nahe Roosevelt<br />
Hospital wurde John Lennon dort um 23.07 Uhr offiziell für tot erklärt. Chapman<br />
bekannte sich der Tat schuldig und wurde zu mindestens 20 Jahren<br />
Haft verurteilt. Seit 2000 stellt er alle zwei Jahre einen Antrag auf Haftentlassung,<br />
dem bislang nicht stattgegeben wurde. Yoko Ono hatte jedes Mal<br />
Einspruch erhoben und darauf hingewiesen, dass weder sie, noch Lennons<br />
Söhne Julian und Sean sich sicher fühlen könnten, sobald Chapman auf frei -<br />
em Fuß wäre. Auf die Frage, ob sie dem Mörder ihres Mannes verziehen habe,<br />
antwortete Yoko Ono: „Ich weiß, dass der Papst seinen Attentäter im Gefäng nis<br />
besucht und ihm verziehen hat. Aber ich bin nicht der Papst.“<br />
wog, die Szenerie zu verlassen und sich nach einem neuen Kompagnon<br />
umzusehen. Er lernte Elton John kennen, der ihm bei der Produktion<br />
des Albums „Walls And Bridges“ unter die Arme griff, die gemeinsame<br />
Single „Whatever Gets You Through The Night“ erreichte gar Platz 1<br />
der US-Charts. Lennon hatte im Vorfeld dagegen gewettet, doch nachdem<br />
sich Elton Johns Prognose als richtig erwiesen hatte, beglich er<br />
seine Wettschuld mit einem Gastauftritt bei der laufenden Tournee<br />
des Pianisten: Am 28. November 1974 ging im New Yorker Madison<br />
Square Garden Lennons letzter Auftritt über die Bühne. Den Monaten<br />
des Exzesses folgten nun Jahre der Zurückgezogenheit – über die naturgemäß<br />
wenig bekannt ist. Und das, was doch an die Öffentlichkeit<br />
geriet, widerspricht sich auch noch.<br />
Yoko nahm die Zügel in die Hand<br />
Im Januar 1975 kehrte Lennon ins Dakota Building zurück, dass er sich<br />
damals mit Yoko Ono versöhnte, darf man annehmen: Neun Monate<br />
später, im Oktober 1975 und genau an Lennons 35. Geburtstag, erblickte<br />
nämlich Sohn Sean das Licht der Welt. Die offizielle Version<br />
der nun folgenden Jahre zeichnet ein progressiv-harmonisches Bild:<br />
„Woman“ Yoko war nicht der „Nigger Of The World“, sondern umtriebige<br />
Geschäftsfrau und Repräsentantin, die Zügel fest im Griff zum<br />
Wohle aller. Und Johnnyboy, der ehemalige „Jealous Guy“, kümmerte<br />
sich rührend um Sean, wärmte Babybrei und buk Brot – der perfekte<br />
Hausmann.<br />
Die inoffizielle Version, veröffentlicht von Robert Rosen auf Grundlage<br />
der Lennon-Tagebücher, die ein gewisser Frederic Seaman nach<br />
Lennons Tod entwendet hatte, kratzt bedenklich an diesem Image.<br />
Laut „Nowhere Man: Lennons letzte Tage in New York“ sei der Hauptdarsteller<br />
dauerstoned gewesen, jähzornig und kaum in der Lage, das<br />
Familienleben zu meistern. Ein ausgebrannter Typ, der seine Tage im<br />
Bett und vor dem laufenden Fernseher verbrachte, während Domestiken<br />
ihm jeden Handgriff abnahmen und Yoko geschäftstüchtig sein<br />
Geld mehrte. Auf der Beziehungsebene herrschte angeblich Funkstille.<br />
Die Wahrheit? Schwer zu ergründen. Frederic Seaman, angeheuert als<br />
Lennons Assistent und von diesem angeblich schlecht behandelt, sollte<br />
man nicht die edelsten Motive unterstellen. Gleiches gilt für Rosen,<br />
der unter dem Pseudonym Bobby Paradise einst erotische Geschichten<br />
für Pornomagazine verfasst und sich als Enthüllungsautor versucht<br />
hatte. Mit der „Skandalchronik“ gelang ihm endlich der Sprung in die<br />
Bestsellerlisten. Dass sie jeglicher Grundlage entbehrt, ist nicht anzunehmen,<br />
dass sie ohne bewusste Zuspitzungen und Übertreibungen<br />
auskommt, allerdings auch nicht.<br />
Für ein „couch potato“ war Lennon zu jener Zeit jedenfalls erstaunlich<br />
oft auf Reisen, etwa in Hongkong, Ägypten und auf den<br />
Bermudas, wo in ihm der Überlieferung nach der Plan reifte, ein neues<br />
Album aufzunehmen. Auslöser sei der Song „Rock Lobster“ der<br />
B52’s gewesen, den Lennon in einem dortigen Club gehört hatte. Ein<br />
Spaziergang durch den örtlichen botanischen Garten inspirierte dann<br />
den Titel des kommenden Werkes: Lennon entdeckte dort eine Freesie<br />
namens „Double Fantasy“. Das Comeback-Album erschien am 17.<br />
November 1980, laut Yoko Ono hatte Lennon damals „einen richtigen<br />
Lauf “, plante bereits weitere Aufnahmen und war guter Dinge, dauerhaft<br />
ins Musikgeschäft zurückzukehren. Am 8. Dezember 1980 beendete<br />
eine Wahnsinnstat Lennons Leben, und die Welt trauerte kollektiv.<br />
Sie verlor einen Künstler, der Geniales, aber auch Mittelmäßiges<br />
kreiert hatte, einen Menschen, der unflätig und rau sein konnte, aber<br />
auch humorvoll und liebenswert. Sie verlor keinen Heiligen, sondern<br />
eine reale Persönlichkeit voller Widersprüche. Eine, die der Welt viel<br />
gegeben hatte.<br />
lennon monumente<br />
Ehre, wem Ehre gebührt<br />
„Einmal Lennon? Macht einszwanzig.“ Das<br />
hörte man in der Bundesrepublik 1988, sofern<br />
man in einer Filiale der Bundespost<br />
die neue 80Pf-Sondermarke aus der Reihe<br />
„Jugendidole“ nachfragte. Den Zuschlag von 40 Pfennig<br />
zahlte man zum Wohle der Jugend. Buddy Holly war schon für 75Pf erhältlich,<br />
Elvis für 90 und Jim Morrison für eine Mark fünf. Man musste kein Bundespräsident<br />
mehr sein, kein Kirchenmann oder Erfinder, um auf eine Briefmarke<br />
zu kommen – Rock’n’Roll-Sänger reichte auch, eine gute Nachricht. Was<br />
auch für die Monumente gilt, die man zu Ehren Lennons errichtete. In<br />
Liverpool etwa, wo ein bronzener John am Eingang des wieder aufgebauten<br />
„Cavern Club“ herumlungert. Nicht so naheliegend,<br />
aber durch einen Kurzbesuch des Originals geadelt, mutet die<br />
Lennon-Statue in Almeria an – während der Dreharbeiten<br />
zu „Wie ich den Krieg gewann“ hatte Lennon 1966 in der spanischen<br />
Hafenstadt geweilt und den Song „Strawberry Fields<br />
Forever“ komponiert. Dass Lennon je in Kuba war ist nicht<br />
überliefert. Dennoch schuf man in Havanna einen Parque Lennon<br />
nebst sitzender Plastik. Krönung des immobilen Lennon-<br />
Kultes ist der „Liverpool John Lennon Airport“. Womit sich der<br />
Seemannssohn seit 2002 auf einer Bedeutungsebene mit<br />
John F. Kennedy, de Gaulle und da Vinci befindet.<br />
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