SAxOFONs - Sono-Magazin
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Sax-Hörfutter<br />
Ralf Dombrowski sichtet das CD-Angebot<br />
zum Thema – nicht nur im Jazz!<br />
Noch Jahrzehnte nach Charlie<br />
Parkers Tod fand man in New<br />
York Graffiti mit der Aufschrift<br />
„Bird Lives“. Der Saxofonist und<br />
Bebop-Heroe hatte eine derart<br />
markante Spur in der Musikgeschichte<br />
hinterlassen, dass manche<br />
Fans nicht wahrhaben wollten,<br />
dass er bereits 1955 im Alter<br />
von 35 Jahren gestorben war.<br />
„Bird“ war zum Mythos geworden<br />
und das auch, weil seine Musik<br />
einen gestalterischen Quantensprung<br />
darstellte, wie vor ihm<br />
schon bei Coleman Hawkins und<br />
nach ihm bei Sonny Rollins, John<br />
Coltrane und Ornette Coleman.<br />
Die Geschichte des Saxofons ist<br />
bis in die 60er Jahre hinein ein<br />
Netzwerk von Personalstilen, an<br />
dessen Knotenpunkten einzelne<br />
Koryphäen vor allem aus dem<br />
Jazzumfeld die Entwicklungen<br />
bestimmten – zur Orientierung<br />
daher einige kommentierte Hörtipps,<br />
von denen aus sich Vergangenheit,<br />
Gegenwart und ein<br />
wenig auch die Zukunft des Instruments<br />
erschließen lassen.<br />
Klassiker<br />
Coleman Hawkins<br />
„Body & Soul“<br />
Aufgenommen wurde am 11. Oktober<br />
1939, auf dem Plan standen<br />
zunächst drei Stücke. Dann aber<br />
fehlte noch ein Song, um die damals<br />
üblichen Vierergruppen<br />
von Aufnahmesessions voll zu<br />
machen. Coleman Hawkins<br />
wählte einen Schlager aus, ein<br />
harmonisch auf den ersten Blick<br />
ungelenkes Stück namens „Body<br />
And Soul“ – es wurde nur einmal<br />
eingespielt, es lief flüssig, und so<br />
war man im Großen und Ganzen<br />
zufrieden. Coleman Hawkins<br />
maß dem Take keine besondere<br />
Bedeutung zu und stellte erst<br />
später fest, was ihm gelungen<br />
war. Denn „Body And Soul“ war<br />
ein Meisterwerk, das für das<br />
stand, was der Tenorsaxofonist<br />
bislang repräsentierte: Inspiration<br />
und Eigensinn, melodische<br />
Finesse und Freiheit, in sich logische<br />
Gestaltung und betörenden,<br />
großen Sound. Die Aufnahme<br />
wurde zu einem Meisterstück<br />
der Übergangszeit vom vergleichsweise<br />
streng geregelten<br />
Swing zum solistisch freier und<br />
impulsiver agierenden Bebop,<br />
darüber hinaus ein Prüfstein für<br />
die balladenhafte Ausdrucksfähigkeit<br />
und ist nach dem Schellack-Original<br />
vielfach in Compilations<br />
wieder aufgelegt worden,<br />
etwa mit der Sammlung „Body &<br />
Soul“ (Victor Jazz BMG)<br />
Charlie Parker<br />
„Ornithology“<br />
Genau genommen könnte man<br />
fast jede Aufnahme von Charlie<br />
Parker aus den Jahren 1945 bis<br />
1947 als Beispiel für die Revolution<br />
heranziehen, die der Saxofonist<br />
im New York des musikalischen<br />
Paradigmenwechsels<br />
vom Swing zum Bebop anzettelte.<br />
Ein echter Meilenstein aber<br />
war vor allem „Ornithology“ von<br />
1946, dessen elegant verspieltes<br />
Thema sich derart intensiv im<br />
kollektiven Klanggedächtnis der<br />
Ära einbrannte, dass es quasi als<br />
Paradebeispiel für Charlie Parkers<br />
Gestaltungskunst stehen<br />
kann. Da sich Charlie Parker<br />
nicht um die Vermarktung seiner<br />
Aufnahmen kümmerte, sind<br />
die Stücke inzwischen in zahllosen<br />
Compilations erhältlich.<br />
Sonny Rollins<br />
„Way Out West“<br />
Es ist die wahrscheinlich witzigste,<br />
in jedem Fall die ironischste<br />
Platte, die Sonny Rollins in seiner<br />
Sturm-und-Drang-Zeit gemacht<br />
hat. „Way Out West“ (Original<br />
Jazz Classics) zeigt den Tenoristen<br />
auf dem Cover als Cowboy-<br />
Parodisten, und auch Songs<br />
wie „I’m An Old Cowhand“ gehen<br />
durchaus als Humor durch.<br />
Musikalisch jedoch ist „Way Out<br />
West“ auf dem Punkt. Es ist das<br />
erste Album von Sonny Rollins<br />
ohne Harmonieinstrument, nur<br />
im Trio mit Ray Brown am Bass<br />
und Drummer Shelly Manne.<br />
Aufgenommen in den frühen<br />
Morgenstunden des 7. März 1957<br />
in Los Angeles zelebriert der<br />
Bandleader bei seinem Ausflug<br />
an die Westküste Hardbop-fundierte<br />
Coolness und genehmigt<br />
sich zugleich ausführliche improvisatorische<br />
Exkurse.<br />
Ornette Coleman<br />
„The Shape Of Jazz<br />
To Come“<br />
Das Motto der Ära gab wenig<br />
später „Free Jazz“ (1960)<br />
aus. Auf „The Shape Of Jazz To<br />
Come“ (1959, Atlantic) aber war<br />
bereits formuliert, was an musikalischer<br />
Neuerung ins Haus<br />
stand. Es war das erste Album,<br />
das Ornette Coleman für Atlantic<br />
aufnahm, das erste auch mit<br />
seinem klassischen Quartett mit<br />
Trompeter Don Cherry als Alter<br />
Ego und Charlie Haden und Billy<br />
Higgins an Bass und Schlagzeug.<br />
Es experimentierte bereits<br />
nachhaltig mit der Auflösung der<br />
bisher dominierenden Songform<br />
und enthielt mit dem betörenden<br />
Rubato-Stück „Lonely Woman“<br />
eine der bekanntesten Coleman-<br />
Kompositionen überhaupt. Kurz:<br />
Es ist ein Eckpfeiler, auf dem die<br />
Entwicklung der folgenden Jahre<br />
aufbaut und im Unterschied zu<br />
dem manifestartigen „Free Jazz“<br />
auch nach Jahrzehnten noch genussvoll<br />
zu hören.<br />
John Coltrane<br />
„A Love Supreme“<br />
Es ist das Monument des Instruments.<br />
„A Love Supreme“ konkurriert<br />
nicht nur seit Jahrzehnten<br />
mit Miles Davis’ „Kind Of<br />
Blue“ (1959) um das Siegerpodest<br />
des besten Jazzalbums aller<br />
Zeiten. Es markiert auch John<br />
Coltranes spirituellen Griff zu<br />
den Sternen, angelegt als hymnisches<br />
musikalisches Gebet. „A<br />
Love Supreme“ (Impulse/Universal)<br />
ist eine vierteilige Suite, aufgenommen<br />
am 9.Dezember 1964.<br />
Im Unterschied zu den einzelnen<br />
Kompositionen des Vorgängeralbums<br />
ist es ein in sich zusammenhängendes<br />
Werk, das ebenso<br />
intuitiv wie systematisch mit den<br />
Möglichkeiten von Steigerung<br />
und Rücknahme, Intensität und<br />
Entspannung arbeitet. Es ist ein<br />
Konzeptalbum, das auf jahrelanger<br />
bewusster, beiläufiger Vorbereitung<br />
mit dem klassischen<br />
Coltrane-Quartett mit McCoy<br />
Tyner am Klavier, Jimmy Garrison<br />
am Bass und Elvin Jones am<br />
Schlagzeug aufbauen konnte. Und<br />
es wurde eine Aufnahme, die genre-<br />
und gattungsübergreifend die<br />
Vorstellung der Ausdruckskraft<br />
des Saxofons neu definierte. »<br />
11<br />
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