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war gut?“ – Von wegen! - Religion im Kinderbuch

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dente Beziehungsmuster best<strong>im</strong>men jedoch hier wie da das Verhältnis der genannten Figuren<br />

und werfen damit für die Leserschaft die Frage nach Gut und Böse in seiner ganzen Komplexität<br />

auf. Augenscheinlich liegen hier auch literaturspezifische Interpretationen von C.C.<br />

Jungs Tiefenpsychologie und seiner Lehre von den Schatten vor, die ihrerseits einschlägige<br />

Erklärungsmodelle für das Verhältnis widerstreitender Kräfte <strong>im</strong> Menschen geben 18 .<br />

Für die Reflexion über Gut und Böse und die Frage nach der Möglichkeit richtigen Handelns<br />

bzw. Lebens ist von zentraler Bedeutung, ob der Mensch überhaupt über die Fähigkeit dazu<br />

verfügt. Die protestantischen Lehren dazu werden nachfolgend fokussiert, bleiben wir hier<br />

zunächst noch bei Rowlings Antwort. Über sieben Bände skizziert sie (wie oben dargestellt)<br />

die ständige und untrennbare Melange zwischen Gut und Böse. Dabei wird deutlich, dass Harry<br />

trotz seiner spontanen Entscheidung für das Gute in Band 1 stets gefährdet und innerlich<br />

angefochten bleibt. Dieses Gefühl des Protagonisten erreicht schließlich einen ersten krisenhaften<br />

Höhepunkt in Band 4, als Harry die Ambivalenz des Bösen (und übrigens auch des<br />

Guten) in der Erforschung seiner Vergangenheit erkennen muss und schließlich seinen absoluten<br />

Höhepunkt, als Harry erfährt, dass er als Voldemorts siebtes Horkrux selbst Träger des<br />

Bösen ist (Band 7). An diesem (für den Entwicklungsroman) zentralen Punkt, könnte man<br />

Harry und den Leser wieder an den Anfang der Heptalogie verweisen, denn in Band 2 zeigt<br />

der weise Schuldirektor Dumbledore den Weg aus der Krise, wenn er sagt: „It is our choices,<br />

Harry, that show who we truly are, far more than our abilities.“ (Harry Potter Bd. 2, 258). Das<br />

Individuum kann also Kraft eigener, <strong>im</strong>mer wieder aufs Neue getroffener Entscheidungen das<br />

Gute tun und das Böse in sich zurückdrängen. Gehen wir aber noch einen Schritt zurück:<br />

Grundlage einer jeden Entscheidung für das Gute ist natürlich Kenntnis darüber, was Gut und<br />

was Böse ist. Dass die keineswegs selbstverständlich und offenkundig ist, ist nicht nur eine<br />

Alltagserfahrung, sondern auch Kernthema der Romanreihe. Trotzdem gibt Rowling meines<br />

Erachtens bislang nicht beachtete bzw. falsch gedeutete Hinweise, dass und wie das Individuum<br />

Unterscheidungen treffen kann. Zum einen sehe ich die <strong>im</strong> Kontakt mit dem Bösen<br />

schmerzende Narbe als sinnliches, quasi intuitives Differenzierungsorgan. Ergänzend tritt die<br />

in Harry (und wenigen weiteren Protagonisten 19 ) verkörperte Fähigkeit, das Böse be<strong>im</strong> Namen<br />

zu benennen hinzu. Alle anderen Zauberer nennen Lord Voldemort nämlich nur „den,<br />

dessen Namen nicht genannt werden darf.“ 20 Bislang haben <strong>Religion</strong>spädagogen dies vorrangig<br />

als Anspielung auf das alttestamentliche Ausspracheverbot des Gottesnamens bezogen<br />

(vgl. Ritter 2003, 162). Ich denke jedoch, dass Harrys Eigenart, das Böse zu benennen, auch<br />

als weiterer Beleg menschlicher Kompetenzen in der Wahrnehmung und <strong>im</strong> Umgang mit dem<br />

Bösen gedeutet werden kann. Der Mensch kann – so Rowling via Harry – das Böse intuitiv<br />

vom Guten unterscheiden und es durch Verbalisierung begreifen. Damit ist die Grundlage zur<br />

Entscheidung für das Gute gegeben.<br />

Rowlings Konzept von Gut und Böse und der Rolle des Individuums spiegelt ihre <strong>im</strong>plizite<br />

Anthropologie, sie geht also von einem potentiellen Bösesein des Menschen aus, das dieser<br />

jedoch mittels seines freien Willens und Vermögens, sich für das Gute zu entscheiden, überkommen<br />

kann. So gelingt es dem gereiften Harry in Band 7, als er gewillt, für das Gute zu<br />

sterben und das Böse in sich abzutöten, Lord Voldemort entgegentritt, diesen zu besiegen (–<br />

übrigens ohne selbst zu sterben). Das letzte Buch endet dementsprechend mit: „Und alles <strong>war</strong><br />

<strong>gut</strong>.“ Augenscheinlich greifen die Harry Potter Bücher mit ihrer Frage nach dem Bösen bzw.<br />

Guten <strong>im</strong> Menschen, dem freien Willen und der Fähigkeit, das Richtige aus eigener Kraft zu<br />

tun, Kernthemen der protestantischen Sündenlehre auf. Insofern sind sie für die Gestaltung<br />

religiöser Bildungsprozesse aus Sicht der <strong>Religion</strong>spädagogik durchaus von Interesse. Aller-<br />

18 Bekanntlich geht Jung davon aus, dass das Individuum stets <strong>im</strong> Unbewussten die Schatten seiner ausgeprägten<br />

Persönlichkeitsmerkmale wie Gegenstücke in sich trägt.<br />

19 Dazu zählen Professor Albus Dumbledore, Harrys Pate Sirius Black, Professor Lupin und Hermine<br />

20 Ganz richtig bemerkt Hermine dazu in Harry Potter Bd. 2: „Angst vor einem Namen, macht Angst vor der<br />

Sache selbst.“; 287

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