war gut?â â Von wegen! - Religion im Kinderbuch
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Eis mit Sahne isst, „sündigt“ beispielsweise, es gibt „Umwelt- und Verkehrssünder“ und Outfits,<br />
die „eine Sünde wert“ sind. Mit der theologischen Sündenlehre haben heutiger Sprachgebrauch<br />
und postmodernes Sündenverständnis nur noch wenig bis gar nichts mehr zu tun, da<br />
sowohl der Gottesbezug als auch der zur Gemeinschaft als D<strong>im</strong>ension der Sünde verloren<br />
gegangen sind. Ähnliches gilt für den Aspekt eines falschen Selbstbildes, das <strong>im</strong> christlichen<br />
Verständnis von Sünde <strong>im</strong>pliziert ist, denn es findet sich in der postmodernen Interpretation<br />
von „Sünde“ (aber auch in der vom „Bösen“) nicht mehr oder nur in radikal veränderter<br />
Form. An die Stelle von definierten Beziehungskategorien des ursprünglichen Sündenverständnisses<br />
sind bagatellisierende, ironische Kommentierungen einzelner Episoden ohne größeren<br />
Zusammenhang getreten, die allenfalls noch eine moralische D<strong>im</strong>ension aufweisen,<br />
jedoch kein Fundament sein können.<br />
Über die Gründe kann nur gemutmaßt werden. Sicherlich ist hier die starke Position der<br />
menschlichen Ratio zu nennen, die sich scheinbar leichter in konkreten Regeln und Moral als<br />
in diffusen Beziehungsgeflechten und Definitionen expliziert und die Beziehung zu einem<br />
transzendenten Wesen ohnehin ausschließt. Zum Anderen kann auf die für den postmodernen<br />
Lebensstil kennzeichnende Autonomie des Individuums verwiesen werden. Nach wie vor ist<br />
der Mensch z<strong>war</strong> keineswegs autark, aber in seinen Entscheidungen so frei wie nie zuvor.<br />
Diese Entscheidungen betreffen nun eben auch die Beziehung zur eigenen Person (und damit<br />
die Möglichkeit der Selbsttranszendierung) und diejenige zu seinen Mitmenschen. Vielleicht<br />
liegt in dieser Autonomie gerade ein dringlicher Anlass, den Menschen von heute wieder mit<br />
der christlichen Sündenlehre zu konfrontieren. Auch wenn ich mich ausdrücklich von einer<br />
vorschnellen Wertung des postmodernen Sündenverstädnisses und den Gründen der beschriebenen<br />
Veränderung distanzieren möchte, scheint die Forderung von Seiten der (Praktischen)<br />
Theologie nachvollziehbar:<br />
„Sie [die Theologie] muß an das moralische Verständnis in seiner ganzen Ambivalenz kritischkonstruktiv<br />
sich anschließen, um es religiös – auf die Auslegung des Gottesverhältnisses hin –<br />
zu transzendieren.“ (Gräb 2001, 438)<br />
Zumindest, wenn damit die Ziele gemeint sind, das gegenseitige Aufrechnen von Schuld zu<br />
durchbrechen und die ethizistisch-moralistische Verkürzung des Sündenbegriffs zu beheben,<br />
ist dem zuzust<strong>im</strong>men. Offen bleibt indes, wie dieser Prozess zu gestalten wäre. Nachfolgend<br />
soll daher geprüft werden, ob Trivialliteratur, hier Harry Potter, sich als möglicher Zugang<br />
eignet.<br />
Augenscheinlich bietet Harry Potter zahlreiche direkte Anknüpfungspunkte für das postmoderne<br />
Sündenverständnis. Allem voran ist die positive Rolle der menschlichen Entscheidungsfähigkeit<br />
anzuführen. Ich erinnere an den Kernsatz: „It is our choices, Harry, that show who<br />
we truly are, far more than our abilities.“ (Harry Potter Bd. 2, 358). Positive Basis der Entscheidung<br />
ist bei Rowling die vernunftgeleitete Reflexion. An einer Schlüsselstelle des Romans,<br />
bevor Harry sich an den Widerfahrnissen seiner Jugend gereift bewusst entschließt,<br />
Lord Voldemort gegenüberzutreten und ggf. zum Besten aller <strong>im</strong> Kampf zu sterben, gehen<br />
ihm folgende Gedanken durch den Kopf:<br />
„And Harry saw very clearly as he sat there under the hot sun how people who cared about h<strong>im</strong><br />
had stood in front of h<strong>im</strong> one by one, his mother, his father, his godfather, and finally Dumbledore,<br />
all determined to protect h<strong>im</strong>; but now that was over. He could not let anybody stand between<br />
h<strong>im</strong> and Voldemort; he must abandon forever the illusion he ought to have lost at the age<br />
of one: that the shelter of a parent‟s arms meant nothing could hurt h<strong>im</strong>. There was no waking<br />
from this nightmare, no comforting whisper in the dark that he was safe, that it was all in his<br />
<strong>im</strong>agination.“ (Harry Potter Bd. 6, 601)