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war gut?“ – Von wegen! - Religion im Kinderbuch

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Außerdem sind den Darstellungsmöglichkeiten quasi keine Grenzen gesetzt, und auch Komplexes<br />

kann elementar veranschaulicht werden, wie am Exempel Harry Potter zu sehen ist.<br />

Rowling konzipiert ihre Darstellung von Gut und Böse extrem vielschichtig und komplex.<br />

Gute wie böse Charaktere bleiben dabei stets ambivalent und wandelbar. Das ist einerseits –<br />

wie gesehen – der Natur der Sache geschuldet, andererseits geht damit aber auch ein <strong>im</strong>pliziter<br />

Auftrag an den Leser einher. Dieser lautet: Sei Dir Deiner Sache nie sicher, <strong>gut</strong> ist nicht<br />

<strong>im</strong>mer und eindeutig <strong>gut</strong>, Gleiches gilt für das Böse bzw. den Bösen. An die Stelle feststehender<br />

Überzeugungen tritt die Aufforderung zu ständiger (Selbst-)Reflexion. Hier zeigt sich<br />

auch, „dass Joanne K. Rowling von abstrakt moralischen Max<strong>im</strong>en wenig, vom Verständnis<br />

für die individuellen Lebensprozesse aber alles hält.“ (Meyer-Gosau 2001, 296). Daher sind<br />

ihre Texte auch von einer hartnäckigen Abwesenheit von dogmatischen Belehrungsabsichten<br />

gekennzeichnet. An die Stelle fertiger Konzeptionen tritt die Aufgabe, eigene Konstruktionen<br />

zu schaffen, und z<strong>war</strong> <strong>im</strong> sicheren Rahmen des Romans, der für das reale Leben durchaus<br />

Impulse gibt, denn „Phantasie ist nicht Flucht, sondern Freiheit, nämlich Freiheit, die Welt<br />

anders zu denken, als wir sie <strong>im</strong> Alltag erfahren, und unsere Erfahrungen spielerisch um- und<br />

weiterzuschaffen.“ (Hemminger 2002, 55)<br />

Eines ist also sicher: Auch wenn Pädagogen nicht müde werden, die vom Vorbild Harry Potter<br />

zu lernenden Tugenden zu preisen (Jelinek 2006, 7), geht es genau darum nicht. Der Roman<br />

macht nämlich den verkennenden und irritierenden Charakter der Sünde in einer abgespaltenen,<br />

ambivalenten Gestalt erfahrbar, um die Ausbildung einer Urteils-, Entscheidungsund<br />

Handlungskompetenz <strong>im</strong> Sinne einer postkonventionellen Moral zu provozieren, statt<br />

einfach um Ge- und Verbote einzuüben. Diese Unterscheidung wird besonders deutlich anhand<br />

der konträren Führungsstile des Schuldirektors Albus Dumbledore und seiner temporären<br />

Vertretung Dolores Umbridge. Während er fröhlich-anarchisch Raum für die individuelle<br />

Entwicklung gibt und beratend seinen Schülern hilft, ein eigenes Empfinden für richtig und<br />

falsch und ihre Verantwortung für sich und andere zu finden, errichtet die despotische Umbridge<br />

ein Terrorreg<strong>im</strong>e voller Regeln und Strafen, das zeigt, dass akribisches Befolgen von<br />

Regeln noch lange keinen „<strong>gut</strong>en“ Menschen ausmacht. An dieser Episode könnte man beispielsweise<br />

ein ethisches Schlüsselproblem mit Schülern erarbeiten.<br />

Allerdings reicht das den Romanen innewohnende Potential weit über bloße kognitive Erkenntnisse<br />

hinaus. Wie zuvor gesehen, ermöglicht die spezifische Handlung der Harry Potter<br />

Bücher durch Identifikationen identitätsstiftende Prozesse. In der (unbewussten) Auseinandersetzung<br />

mit den Schatten, die verbotene Wünsche haben, wie Allmacht, Gewalt uvm., liegt<br />

die Möglichkeit zur Individuation. Diese hat keineswegs die Legit<strong>im</strong>ation des Bösen zum<br />

Ziel, sondern die konstruktive Auseinandersetzung mit den dunklen Seiten der eigenen Person,<br />

der Gesellschaft oder dem Bösen an sich. Das protestantische Ideal der Selbstbildung<br />

„bedarf des anderen außerhalb des Selbst als eines konstitutiven Moments der Selbstwerdung<br />

und Selbstfindung.“ (Lämmermann 2005, 171). Warum soll dieses Andere nicht einmal über<br />

einschlägige und allseits bekannte Romanfiguren erfahrbar werden?<br />

Harry Potter mag trivial sein, aber das ihm trotzdem innewohnende Bildungspotential – insbesondere<br />

<strong>im</strong> Bezug auf die Frage nach Gut und Böse und die damit verbundene Persönlichkeitsbildung<br />

– ist nicht von der Hand zu weisen. Sicher wird durch die Aufnahme von Harry<br />

Potter in den <strong>Religion</strong>sunterricht wirklich nicht alles <strong>gut</strong>, aber vielleicht kann Letztgenannter<br />

dadurch doch ein bisschen besser werden.

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