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war gut?“ – Von wegen! - Religion im Kinderbuch

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Handlung jung, idealistisch und ein Stück weit naiv auf den Weg zum Erwachsenwerden befindet.<br />

Dabei durchläuft er stellvertretend für den Leser (der aber trotzdem intensiv Anteil am<br />

Geschehen hat) verschiedene Bereiche und Themen der Welt bzw. des Lebens. Dabei erfährt<br />

der eingangs idealistische Protagonist die Welt oft als widerständige Realität, an der er reift,<br />

und mit der er sich schlussendlich aussöhnt. Im englischen Raum greift allen voran Charles<br />

Dickens mit seinen Romanen „David Copperfield“, „Oliver Twist“ oder „Great Expectations“<br />

das in Deutschland entstandene Genre auf. An ihm orientiert sich wiederum augenscheinlich<br />

die Harry Potter Autorin Rowling. Ihr Protagonist ist wie seine historischen Vorgänger eine<br />

Waise, die nach etlichen Widerfahrnissen, Hoffnungen und Rückschlägen an Erfahrung, Wissen<br />

und in der persönlichen Entwicklung gereift ihr altes Leben abschließt und in eine verheißungsvolle<br />

Zukunft blickt. „Alles <strong>war</strong> <strong>gut</strong>“ – so lautet der abschließende Satz des siebten und<br />

letzten Harry Potter Bandes.<br />

Der vergleichsweise banale Schlusssatz des letzten Harry Potter Bandes soll jedoch nicht darüber<br />

hinweg täuschen, dass der junge Detektiv, Schuljunge und Zauberer den Leser auf seinem<br />

Weg zu einem mit der Welt ausgesöhntem Erwachsenem keineswegs nur Unterhaltung<br />

und Abenteuer bietet. Im Sinne der oben vorgestellten Interaktion zwischen Text und Rezipienten<br />

muss sich der Leser selbst zentralen Fragen des Lebens stellen. Die zentrale Frage in<br />

allen sieben Bänden ist bei Harry Potter die nach Gut und Böse, sie ist es auch, die Harry –<br />

und damit auch die Leserschaft – <strong>im</strong>mer wieder persönlich in seiner Entwicklung fordert und<br />

nicht nur durch äußere Ereignisse gefährdet. Denn wie gleich zu sehen sein wird, ist das Verhältnis<br />

von Gut und Böse bei Harry Potter keineswegs eindeutig und einfach, sondern vielschichtig<br />

und komplex und bietet damit zahlreiche Anknüpfungspunkte für die (Praktische)<br />

Theologie, für die das genannte Kernthema der Romane ebenfalls von zentraler Bedeutung<br />

ist.<br />

4. Harry Potter und der Januskopf des Bösen<br />

Wie bereits angedeutet stellt sich das Verhältnis von Gut und Böse keinesfalls so eindeutig<br />

und einfach dar, wie die Konstellation der Figuren in Harry Potter auf den ersten Blick vermuten<br />

lassen würde. Die dualistische Konzeption von Gut und Böse, verkörpert in Harry Potter<br />

und seinem Gegenspieler Lord Voldemort, aber auch verschiedenen anderen auf den ersten<br />

Blick dualistisch konzipierten Paaren 15 , ist nämlich nur ein scheinbarer Gegensatz. Tatsächlich<br />

existieren zahlreiche innere und äußere Verbindungen, Abhängigkeiten und Gemeinsamkeiten<br />

zwischen dem Protagonisten und Antagonisten, die eine multid<strong>im</strong>ensionale, komplexe<br />

Darstellung von Gut und Böse schaffen, die in vielerlei Hinsicht der erfahrbaren Realität und<br />

der protestantischen Sündenlehre entsprechen. Die Leserschaft n<strong>im</strong>mt die spannungsvolle<br />

Darstellung von Gut und Böse an der Oberfläche der Story tatsächlich als „spannend“ wahr,<br />

wird aber (unbewusst) <strong>im</strong>mer wieder überrascht und irritiert und gerät dabei über die Interaktion<br />

mit dem Text mitten hinein in die oft ambivalente Darstellung von Gut und Böse und das<br />

andauernde komplexe Ringen der beiden Kategorien. Es lohnt daher, den bisher nur grob<br />

15 Als sich diametral gegenüberstehende Paarungen nennt Granger die beiden stets direkt konkurrierenden Internatshäuser<br />

Griffindor (Harrys Haus/„Gut“) und Slytherin (Draco Malfoys Haus/“Böse), natürlich die beiden<br />

prominentesten Vertreter dieser Häuser Harry und Draco, Lily (Rons äußerst liebevolle und auch gegenüber<br />

Harry <strong>war</strong>mherzige Mutter) und Petunia (Harry lieblose Ziehmutter und Tante). (Vgl. Granger 2004, 41). Ergänzt<br />

werden könnten Professor Snape (zynischer und gemeiner Lehrer aus dem Hause Slytherin) und Professor<br />

Gonagall (strenge, aber doch den Schülern zugewandte und faire Lehrerin aus dem Hause Griffindor) u.a. Bei<br />

genauer Analyse der Texte fällt auf, dass alle der genannten „bösen“, zumindest aber äußerst unsympathischen<br />

Figuren in entscheidenden, wenn auch nicht <strong>im</strong>mer auffälligen Situationen Gutes tun. So „versagt“ Draco Malfoy<br />

<strong>im</strong> 6. Band bei seinem Auftrag, Professor Dumbledore zu töten („Ich kann es nicht“, Harry Potter Bd.6,<br />

423), der zynische Snape wird mehr als nur einmal zu Harrys Lebensretter. Weitere Beispiele könnten zitiert<br />

werden. Ihnen allen ist eine Aussage gemein: Der äußere Schein kann trügen, das ungebrochen Böse gibt es<br />

nicht, bzw. es kann sich auch der böse Mensch jederzeit wandeln.

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