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war gut?“ – Von wegen! - Religion im Kinderbuch

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diese Reihe: Er spürt <strong>im</strong>mer wieder aufs Neue die Machenschaften und Pläne des Lord<br />

Voldemort auf und besiegt diesen mit Hilfe seiner treuen Freunde und eigenen Fähigkeiten.<br />

Zwei wesentliche Unterschiede zur Detektivgeschichte bestehen dennoch. Zum einen ist Harry<br />

stets selbst und direkt von den Anschlägen Voldemorts betroffen, die aufgrund der einzigartigen<br />

Ursprungsbegebenheit ihm allein gelten. Dies steht den originären Charakteristika der<br />

Detektivgeschichte entgegen, denn in der Regel lösen die Helden dieses Genres stets die<br />

Probleme Außenstehender. Zum anderen löst Harry ja gar keine Fälle, sondern verhindert das<br />

Unheil, bevor es überhaupt geschieht. Durch die genannten Unterschiede bekommt Harrys<br />

(und Voldemorts) Verhalten <strong>im</strong> Empfinden des Lesers eine andere Wertigkeit, und die Reflexion<br />

über Gut und Böse wird gleichsam intensiviert, da die Möglichkeit verschiedenartiger<br />

Ausgänge und Konstellationen stets gegeben bleibt.<br />

Wie gesehen, lässt sich Harry Potter also nicht hundertprozentig als klassische Detektivgeschichte<br />

klassifizieren, auch wenn die Romanfolge augenscheinliche Anteile an diesem Genre<br />

aufweist. Die mangelnde Passung ist allerdings nicht nur mit den Differenzen zu idealtypischen<br />

Merkmalen des genannten Genres zu begründen, sondern erschließt sich auch daraus,<br />

dass die Romane Kennzeichen anderer literarischer Gattungen aufweisen. So weist der Ort, an<br />

dem sich der Großteil der Handlung zuträgt, das magische Internat „Hog<strong>war</strong>ts“, auf Parallelen<br />

zur englischen School Story hin. Klassische Vertreter dieses Genres sind <strong>im</strong> deutschen Raum<br />

Erich Kästners „Das fliegende Klassenz<strong>im</strong>mer“ und Oliver Hassenkamps Internatsserie „Burg<br />

Schreckenstein“ bzw. in England Enid Blytons „Hanni und Nanni“. Im Mikrokosmos einer<br />

geschlossenen Schulwelt werden in der School Story elementarisierend zentrale pubertätsspezifische<br />

Themen fokussiert. Dazu zählen beispielsweise Eifersucht, Zerwürfnisse, Intrigen<br />

und Konkurrenz, also generell Aspekte gruppendynamischer Prozesse unter Jugendlichen.<br />

Exemplarisch werden dabei verschiedene Rollen, Konstellationen, und für die Phase des Heranwachsens<br />

typische Ablösungs- und Anbindungsprozesse stellvertretend durchgespielt. Andere<br />

Werke des Genres integrieren zusätzlich gesellschafts- und systemkritische Aspekte.<br />

Dies ist etwa bei Hermann Hesses „Unterm Rad“ oder Peter Weyrs „Der Club der toten Dichter“<br />

der Fall. Doch selbst dann stehen weiterhin vorrangig das Leben und die Entwicklung<br />

eines Individuums <strong>im</strong> Mikrokosmos seines Umfelds an einer (Internats-) Schule <strong>im</strong> Zentrum.<br />

Augenscheinlich passt sich Harry Potter auch in dieses Genre durch zahlreiche Parallelen<br />

ein 14 – allerdings ebenfalls nicht ohne sich doch an entscheidender Stelle davon abzugrenzen.<br />

In vielerlei Hinsicht steht Rowlings Werk idealtypischen Vertretern des Genres nämlich karikierend<br />

gegenüber, insofern als sie die genretypischen moralisierenden Momente viktorianischen<br />

Ursprungs entweder auslässt oder bewusst ad absurdum führt. Statt sich in das Genre<br />

der School Story völlig einzufügen, n<strong>im</strong>mt die Autorin Anleihe bei einer weiteren klassischen<br />

Literaturgattung, dem Bildungs- bzw. Entwicklungsroman und schafft so eine weitere spannungsvolle<br />

Diskrepanz zu anderen Genres, die den Leser fordert und bindet.<br />

Der Bildungsroman n<strong>im</strong>mt seinen Ursprung in Deutschland zu Zeiten der Aufklärung. Mit<br />

seiner literaturwissenschaftlichen Abhandlung über das Wesen des Romans <strong>im</strong> Gegensatz<br />

zum Epos, in der er das <strong>im</strong> Roman steckende Entwicklungspotential für den Leser betont, legt<br />

der Dorpater Philologe Karl Morgenstern die theoretische Grundlage des Genres. Praktische<br />

Umsetzungen folgen zeitnah. Goethes „Die Leiden des jungen Werther“ oder seine „Wilhelm<br />

Meisters Lehrjahre“ beschreiben die Biographie eines jungen Mannes, der sich zu Beginn der<br />

14 Wie gesagt, spielt die gesamte Handlung überwiegend <strong>im</strong> Zauber-Internat Hog<strong>war</strong>ts. Neben dem Kampf zwischen<br />

Gut und Böse spielen dabei auf <strong>im</strong>mer vorhandenen Nebenschauplätzen die Themen Freundschaft (vor<br />

allem mit Hermine und Ron), erste Liebe und Eifersucht (Harry verliebt sich in Cho Chang und vernachlässigt<br />

seine Freunde, Ron und Hermine werden nach langem Hin und Her ein Paar) und rivalisierende Gruppen und<br />

Personen (die vier „Häuser“ des Internats, die über sportliche und schulische Leistungen, aber auch inoffiziell<br />

ständig <strong>im</strong> Wettkampf miteinander stehen; die Konkurrenzsituation unter idealtypischen Gegenspieler Figuren,<br />

z.B. Harry, Hermine, Ron gegen Draco Malfoy, Crab und Goyle) eine Rolle. Auch Ablösungsprozesse von Vaterfiguren<br />

(von Albus Dumbledore, Harrys Pate Sirius Black) und Peer-Groups werden thematisiert.

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