war gut?â â Von wegen! - Religion im Kinderbuch
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u.a. Verstand und Vernunft zur Erkenntnis nutzt und aktiven Anteil an seiner Veränderung<br />
hat, kann die christliche Intention dieser Aussage nicht schmälern – <strong>im</strong> Gegenteil Vernunft<br />
und Glaube, Agieren und Reagieren gehören bekanntlich <strong>im</strong> Protestantischen ohnehin zusammen.<br />
Augenscheinlich ist Harry Potter also durchaus ein geeignetes Medium, um religiöse Bildungsprozesse,<br />
insbesondere das Nachdenken über die Sünde, zu unterstützen. Die Frage ist<br />
nur, wie dies konkret aussehen könnte.<br />
5. <strong>Religion</strong>spädagogische Konkretionen<br />
„Hatte die Aufklärung den Teufel/Satan mehr oder weniger über die Klinge springen lassen, so<br />
werden mit den 70er Jahren der und das Böse theologisch und humanwissenschaftlich durch Erklärungen<br />
rationalisiert und nivelliert.“ (Ritter 2003, 176)<br />
– so die Diagnose von Werner Ritter. Eines fällt jedenfalls ganz sicher auf: Der Böse ist gänzlich<br />
von der theologischen Bildfläche verschwunden – allenfalls thematisiert man noch das<br />
Böse, aber auch das nur ungern. Stattdessen stellt man doch gerade <strong>im</strong> <strong>Religion</strong>sunterricht das<br />
Schöne unseres Glaubens in den Mittelpunkt: Liebe, Hoffnung, Vergebung und so weiter. Ein<br />
Blick in die Populärkultur zeigt uns aber, dass das und der Böse dort bleibende Hochkonjunktur<br />
haben und die Nachfrage boomt,<br />
„weil offensichtlich Deutungsmuster <strong>im</strong>mer weniger zu befriedigen vermögen, die das Böse<br />
bzw. den Bösen in gesellschaftliche und/oder in psychologische Erklärungen hinein auflösen<br />
wollen. Wie es aussieht, brauchen Menschen <strong>im</strong>mer wieder – kulturgeschichtlich und -<br />
anthropologisch beobachtbar – vorstellbare Texturen, Figuren und Konfigurationen, die das<br />
Unheil und Unglück, das ihnen widerfährt, ausdrücken, einordnen und zuschreiben zu können.“<br />
(Ritter 2003a, 183)<br />
Wie gesehen, kommt Rowling mit ihren Harry Potter Romanen diesem Bedürfnis nach einer<br />
elementarisierenden Anschauung des Bösen kompensierend nach. Dass ihr Werk dabei<br />
Schlüsselmomente der christlich-protestantischen Sündenlehre repräsentiert, stellt einen religionspädagogischen<br />
Glücksfall dar, kann man ihre Texte doch für Bildungsprozesse fruchtbar<br />
machen und von ihnen lernen.<br />
Lord Voldemort als die Personifizierung des Bösen, dessen Beweggründe dem Leser jedoch<br />
nicht fremd und verborgen bleiben, bietet reichlich Projektionsfläche für reelle individuelle<br />
und überindividuelle Erfahrungen mit dem Bösen. Er verkörpert alles Lebens-und Menschenfeindliche,<br />
und in der Begegnung mit Harry fühlt man mit diesem die Machtlosigkeit und das<br />
Ausgeliefertsein angesichts des übermächtigen Bösen. Man trifft das Gefühl, ein Rädchen in<br />
fremdgesteuerten Maschinerien zu sein, ebenso wie man der massenmörderischen Politik (etwa<br />
in Voldemorts Kampf gegen die Menschen, „Muggel“) und schuldhaften Verstrickungen<br />
begegnet. Ohne das Böse über Gebühr effektheischend oder gar genussvoll auszuweiden, gibt<br />
Rowling den Fragen, Befürchtungen und Erfahrungen der Leser Raum. Eben dies kann die<br />
(Praktische) Theologie von ihr lernen, nämlich auch diejenigen (religiösen) Bedürfnisse aufzugreifen<br />
und zu veranschaulichen, die hässlich sind. Das Böse muss ausreichend und anschaulich<br />
thematisiert sein, bevor übergegangen wird zu Versöhnung, Heil und Hoffnung –<br />
und manchmal kann vielleicht gar keine derartige Auflösung erfolgen. Gerade trivialliterarische<br />
Texte können hierfür von großem Nutzen sein, denn<br />
„in der irrealen Zaubererwelt kann man es [ein Projekt zum Finden von Differenzierungen und<br />
Maßstäben] mit wunderbarer Leichtigkeit durchspielen, weil der Prüfstand, auf den hier alle<br />
existentiellen Fragen und Antworten kommen, niemals so gr<strong>im</strong>mig ernst und grau ausschaut,<br />
wie <strong>im</strong> wirklichen Leben.“ (Meyer-Gosau 2001, 294)