war gut?â â Von wegen! - Religion im Kinderbuch
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4<br />
2003, 156) an. In Frau Kubys Lamento st<strong>im</strong>men zahlreiche Theologen und Pädagogen, vorrangig<br />
aus dem amerikanisch-evangelikalen Bereich, mit ein 4 . Mancherorts wurde mit eben<br />
solchen Begründungen Harry Potter aus nicht wenigen Schulbibliotheken und vielen Kinderz<strong>im</strong>mern<br />
verbannt. Es wird noch zu klären sein, ob die erhobenen Vorwürfe gegen Harry Potter<br />
zutreffend sind, und noch grundlegender, ob der Leseprozess überhaupt in der hier beschriebenen<br />
Weise zu verstehen ist.<br />
Die Illusion einer linearen, monokausalen Wirkung des Buches auf den Leser verkehrt die<br />
zweite in diversen religionspädagogischen Beiträgen anzutreffende Interpretation von Literatur<br />
und Lesen ins Gegenteil. Hier wird den Gesetzen von Angebot und Nachfrage entsprechend<br />
literarischen Bestsellern ein gesteigerter Indikatorenstatus zugesprochen. Nach dem<br />
Motto: Was viele lesen, dokumentiert und veranschaulicht aktuelle Trends, Bedürfnisse und<br />
Sehnsüchte (<strong>im</strong> Idealfall sogar die viel beschriebene „Privatreligiosität“) (vgl. Steck 2000) in<br />
Form und Inhalt, werden Medien der Populärkultur seziert, um daraus eine Diagnose über die<br />
(religiöse) Bedürfnislage der Nation zu formulieren. Besonders beliebt sind Filme und Bücher,<br />
die in mehr oder weniger verfremdeter Form christliche Symbole und Dogmen, spirituelle<br />
Momente und funktionale Äquivalente von Religiosität aufweisen, stärken sie doch das<br />
sonst arg gebeutelte christliche Selbstbewusstsein. Und so wird auch Harry Potter für <strong>Religion</strong>spädagogen<br />
zu einer populär-kulturellen Fundgrube für christlich-religiöse Symbole, Rituale<br />
und Lehren sowie zum Beleg bleibender religiöser Bedürfnisse, nur eben <strong>im</strong> postmodernen<br />
Gewand. Diese maskierte, latente Religiosität ließe sich trefflich anhand des Bestsellers analysieren<br />
– so die Vermutung 5 .<br />
Wie gesagt, dreht sich hier das Verhältnis von Medium und Rezipienten gegenüber dem oben<br />
skizzierten Modell um: Nicht das Buch prägt die Sicht seiner Leserschaft, sondern vielmehr<br />
bringt es zum Ausdruck, was diese ohnehin schon bewegt. Je populärer ein Buch ist, desto<br />
stärker vertritt es die Bedürfnisse und Perspektive der breiten Massen, und umso interessanter<br />
ist es auch für die (religionspädagogische) Forschung. Sicherlich wäre es falsch, dieser Hypothese<br />
eine rein statische, lineare Wirkrichtung zu unterstellen, denn das Verhältnis zwischen<br />
Medium und Rezipienten ist hier deutlich komplexer und differenzierter verstanden als dies<br />
be<strong>im</strong> zuerst skizzierten Modell der Fall ist. Dennoch bleibt die Tendenz, einer Seite ein übergroßes<br />
Gewicht zuzusprechen, um dann vorschnell Aussagekräftiges für den eigenen Bereich<br />
zu extrahieren, wodurch der Prozess der Interaktion zwischen Text und Rezipient grob vereinfacht<br />
und für die eigenen Zwecke instrumentalisiert wird. Aber wie sieht sie denn nun aus, die<br />
besagte Interaktion? Was ereignet sich zwischen Text und Adressat desselben während des<br />
Lesens?<br />
4 Bei den vorrangig angeführten Argumenten gegen Rowlings Heptalogie trifft man <strong>im</strong> amerikanischen Raum<br />
vor allem auf den Vorwurf, Harry Potter verherrliche sch<strong>war</strong>z-magische Handlungen sowie das Böse an sich.<br />
Vgl. hierzu: Taub, Deborah J./Servaty-Seib (2003): Critical Perspectives on Harry Potter oder Turner-Vorbeck,<br />
Tammy (2003): Pottermania: Good, clean fun or cultural hegemony?. Allzu deutlich ist bei weiteren Publikationen<br />
aus dem nordamerikanischen Raum eine evangelikale Prägung, die an Fundamentalismus grenzt, und der<br />
daher hier nicht mehr Raum gegeben werden soll als nötig. Neben dem Vorwurf der Verherrlichung magischer<br />
Elemente hört man unter den kritischen St<strong>im</strong>men auch die Befürchtung, die episch anmutenden Erzählungen um<br />
den Held Harry Potter (der durchaus messianische Züge hat) konkurriere mit der christlichen Großerzählung und<br />
könne diese verdrängen. Diese Sicht trifft man übrigens durchaus auch <strong>im</strong> europäischen Raum an. So setzt sich<br />
bspw. Thomas Meurer differenziert mit dieser Fraga auseinander. (Meurer, Thomas (2002): Das Potter-<br />
Phänomen. Konkurrenz für Tora und Evangelium? <strong>Religion</strong>spädagogische Bemerkungen zu Befürchtungen,<br />
Hoffnungen rund um das Phänomen Harry Potter.) Mahnend zitiert Corinna Dahlgrün „Einseitigkeiten und Vereinfachungen<br />
der christlichen Ethik“ sowie ein „unbiblisches Menschen- und Gottesbild“, das Harry Potter der<br />
Jugend vermittle. (Dahlgrün 2001, 87)<br />
5 Vgl. hierzu: Morgenroth, Matthias. (2001): Der Harry Potter Zauber. Ein Bestseller als Spiegel der gegenwärtigen<br />
Privatreligiosität; Peter, Teresa/Drexler, Christoph/Wandinger, Nikolaus (2002): The story of a scar: Harry<br />
Potter als Sinnbild verwundeter Geschöpflichkeit; Ritter, Werner (2003):Wenn Sch<strong>war</strong>zenegger betet und Harry<br />
Potter gegen den Bösen kämpft; u.v.a.