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A 40799 ■ ISSN 0863-5323 ■ 23. Jahrgang ■ März 2012 ■ Preis: EURO 3,50<br />
Wirtschaft&Markt<br />
Wirtschaft&Markt<br />
DAS OSTDEUTSCHE WIRTSCHAFTSMAGAZIN<br />
MARKEN<br />
Irrer Duft von Erfolg<br />
MACHER<br />
Formel 1 unter Strom<br />
MÄRKTE<br />
Zeit für neue Strategien<br />
EXTRA<br />
TOP 100<br />
IN OSTDEUTSCHLAND<br />
Handwerks-Präsident Kentzler zur Energiewende:<br />
<strong>Nur</strong> <strong>mit</strong> <strong>Steuerbonus</strong>
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EDITORIAL<br />
Gauck im Glück<br />
HELFRIED LIEBSCH<br />
Chefredakteur<br />
MÄRKISCHE<br />
BILDUNGS-<br />
MESSE 2012<br />
Schirmherr: Matthias Platzeck,<br />
Ministerpräsident des Landes Brandenburg<br />
Liebe Leserin, lieber Leser,<br />
Deutschland suchte den Superpräsidenten<br />
und es schien, als habe der allenthalben<br />
beklagte Fachkräftemangel das<br />
höchste Amt erreicht. Potenzielle Nachmieter<br />
für das Schloss Bellevue winkten<br />
ab. Der Boulevard bestand auf dem »Präsidenten<br />
der Herzen« und führte 54 Prozent<br />
pro Gauck bei einer Blitz-Umfrage<br />
ins Feld – und die kleinere Regierungspartei<br />
entdeckte, dass nur dieser Kandidat<br />
bürgerlich-liberal sei. Also schwarzgelb,<br />
nachdem er vor 20 Monaten noch<br />
rot-grün war. Gauck im Glück. So schnell<br />
kann’s gehen – hoffentlich geht’s gut.<br />
Denn es hat schon etwas, wenn Kanzlerin<br />
und Präsident die Ungnade der ostdeutschen<br />
Geburt hintertreiben. Es hat<br />
schon etwas, wenn der Schwanz <strong>mit</strong> dem<br />
Hund wedelt, wie die FDP <strong>mit</strong> der Union.<br />
Angela Merkel hatte nicht von ungefähr<br />
etwas gegen Joachim Gauck. Ihr Argwohn<br />
dürfte sich nicht nur aus einer<br />
Quelle speisen. Und sie hat es immer verstanden,<br />
die Zeit für sich arbeiten zu lassen,<br />
Niederlagen in Siege zu verwandeln.<br />
Je nun – Präsidenten kommen und gehen.<br />
Die Probleme bleiben. Eurokrise,<br />
Energiewende und besagter Fachkräftemangel<br />
vor dem Hintergrund der demografischen<br />
Entwicklung (S. 10). Die Suche<br />
nach geeignetem Nachwuchs, gern auch<br />
<strong>mit</strong>tleren Alters, treibt Unternehmerinnen<br />
und Unternehmer um. Nach Einschätzung<br />
des VDI geht in Deutschland<br />
die Hälfte aller Ingenieure demnächst in<br />
Rente. Heute liegt deren Durchschnittsalter<br />
bei 50 Jahren. Es mag zynisch<br />
klingen, aber welcher Geschäftsführer<br />
ersetzt heute eine 65-jährige Fachkraft<br />
durch eine 60-jährige? 2010 bot beispielsweise<br />
Siemens Leuten ab Jahrgang 1954<br />
eine Abgangsprämie von 35.000 Euro an,<br />
um in einem Tochterunternehmen Stellen<br />
abzubauen. Das mag betriebswirtschaftlich<br />
vernünftig sein, volkswirtschaftlich<br />
– wenn es alle so halten – ist es<br />
schlicht kontraproduktiv.<br />
Wo<strong>mit</strong> wir wieder beim künftigen<br />
Bundespräsidenten wären, der sich mal<br />
als einen linken, liberalen Konservativen<br />
bezeichnet hat. Bisher hat er öffentlich<br />
viel über Freiheit und Eigenverantwortung<br />
nachgedacht, weniger über Zusammenhalt<br />
und Solidarität. Aber wem Gott<br />
ein Amt gibt, heißt es, den segnet er<br />
auch <strong>mit</strong> (Sach-)Verstand. Das gilt nicht<br />
nur für 72-Jährige wie den Rostocker Ex-<br />
Pfarrer, sondern auch für Endfünfziger<br />
im Beruf. Sie verdienen das Glück einer<br />
Chance. Auch die Antwort auf die Frage,<br />
ob Gauck ein gescheiter Präsident für<br />
alle Deutschen wird, kann nicht aus der<br />
Vergangenheit und der Erfahrung, sondern<br />
muss aus der Zukunft kommen.<br />
Herzlichst<br />
Ihr<br />
30.-31. März<br />
POTSDAM<br />
Filmpark Babelsberg, Großbeerenstraße<br />
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AUSSTELLUNGSTHEMEN:<br />
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ÖFFNUNGSZEITEN<br />
3.11.: 11-20 Uhr<br />
4.11.: 11-18 Uhr<br />
3.-4. N OVEMBER
INHALT<br />
WIRTSCHAFT & MARKT<br />
im März 2012<br />
INTERVIEW W&M PLUS BERICHT<br />
SEITE 28<br />
SEITE 22 SEITE 60<br />
BURGBACHER ZU CHINA:<br />
Chancen nutzen, Risiken beachten<br />
TOP 100 ARBEITGEBER OST:<br />
Verkehrs- und Handelsunternehmen vorn<br />
LOGISTIK IM RAUM LEIPZIG/HALLE :<br />
Ansturm auf Schkeuditzer Frachtdrehkreuz<br />
Editorial<br />
Aktuell<br />
3<br />
6<br />
Gauck im Glück<br />
Interview, Nachrichten, Pro und Contra, Impressum<br />
Wirtschaft und Politik<br />
Special<br />
Analyse<br />
TITEL<br />
10<br />
14<br />
36<br />
20<br />
52<br />
OTTO KENTZLER, Präsident des Zentralverbandes des Deutschen Handwerks,<br />
über meisterliche Frauen, die Energiewende und die Blockade der Gebäudesanierung<br />
SOLARENERGIE: Solarion AG leuchtet hell, doch auf die Branche fallen Schatten<br />
CEBIT 2012: Mit Cloud-Tech auf infomationstechnologischer Wolke 7<br />
FINANZMÄRKTE 2012: Zeit für neue Strategien im Investment<br />
FÖRDERMITTEL IN MITTELDEUTSCHLAND: Abschied von der Gießkanne<br />
Fotos: BMWi, T. George, H. Lachmann<br />
Interview<br />
Serie<br />
W&M Plus<br />
W&M-Service<br />
Verbands-News<br />
Bericht<br />
W&M-Automobil<br />
Tourismus<br />
Ständige Rubriken<br />
W&M-Privat<br />
Kolumnen<br />
22<br />
44<br />
24<br />
28<br />
46<br />
54<br />
56<br />
60<br />
58<br />
59<br />
62<br />
64<br />
34<br />
66<br />
ERNST BURGBACHER, Mittelstandsbeauftragter der Bundesregierung,<br />
zur Entwicklung der deutsch-chinesischen Zusammenarbeit<br />
PROF. OLIVER HOLTEMÖLLER UND DR. JUTTA GÜNTHER, Interimsvorstände des<br />
Instituts für Wirtschaftsforschung Halle, zum Aufholprozess und zur Förderpolitik<br />
MARKEN-MACHER-MÄRKTE: Miltitz Aromatics: Ein irrer Duft von Erfolg<br />
LÄNDERREPORT: Die Top 100 der ostdeutschen Unternehmen<br />
Steuern, Geld, Recht<br />
VBIW: Auf Erdgas setzen<br />
WARMBOLD ENERGIE UND KLIMA GMBH: Formel 1 unter Strom<br />
LOGISTIK IN MITTELDEUTSCHLAND: Schkeuditzer Frachtdrehkreuz<br />
NEUFAHRZEUGE IM TEST: Fiat Panda und Citroen DS5<br />
WELLNESS IN BAD SULZA/THÜRINGEN: Top-Form<br />
UV-AKTUELL: Nachrichten aus den Unternehmerverbänden<br />
Bücherbord, Leute & Leute, Leserbriefe<br />
HEINER FLASSBECK: Statistik und andere Lügen<br />
KLAUS VON DOHNANYI: Mehr politische Zivilcourage<br />
Inhalt<br />
WIRTSCHAFT & MARKT 03/12 5
AKTUELL<br />
Fotos: DPA, Archiv (2)<br />
INTERVIEW<br />
ROLF PAUKSTAT,<br />
Präsident<br />
des Unternehmerverbandes<br />
Norddeutschland<br />
Mecklenburg-<br />
Schwerin e.V.<br />
Kooperation ist Trumpf<br />
W&M: Herr Paukstat, Ihr Verband<br />
verzeichnet einen deutlichen Mitgliederzuwachs.<br />
Wie kommt’s?<br />
PAUKSTAT: Die Stimmung in der<br />
Wirtschaft Westmecklenburgs<br />
ist überwiegend positiv. 2011<br />
war gut. Den Schwung haben<br />
wir <strong>mit</strong>genommen ins Jahr 2012.<br />
W&M: Auch in die Verbandsarbeit?<br />
PAUKSTAT: Die Unternehmer<br />
fühlen sich von uns gut vertreten.<br />
Wir passen unsere Arbeit<br />
der Problemlage an.<br />
W&M: Und die wäre?<br />
PAUKSTAT: Jahrelang haben wir<br />
auf die Ansiedlung von Großindustrie<br />
gehofft. Das hat sich<br />
nicht erfüllt. Wir setzen jetzt auf<br />
regionale Kooperationen.<br />
W&M: Was geschieht da aktuell?<br />
PAUKSTAT: Der Verband ist regional<br />
organisiert, orientiert an<br />
den Landkreis- bzw. Strukturen<br />
der kreisfreien Städten. So können<br />
wir die Probleme der örtlichen<br />
Wirtschaft aufgreifen<br />
und vertreten. Aktuell ergänzen<br />
wir dies um eine Kooperation<br />
<strong>mit</strong> den Verbänden Rostock und<br />
Vorpommern. Ziel ist ein intensiverer<br />
Wissensaustausch.<br />
W&M: Mit welchen Schwerpunkten?<br />
PAUKSTAT: Energiewirtschaft<br />
inklusive Photovoltaik, Gesundheitswirtschaft,<br />
verarbeitendes<br />
Gewerbe, Tourismus und tourismusaffine<br />
Dienstleistungen.<br />
W&M: Wie steht der Verband zum<br />
Mindestlohn?<br />
PAUKSTAT: So, wie die Politik das<br />
sieht, wird es bei uns nicht gehen.<br />
Schon gar nicht im saisonabhängigen<br />
Dienstleistungsgewerbe.<br />
Unsere Strategie heißt:<br />
Vereinbarungen zwischen Arbeitgebern<br />
und -nehmern entsprechend<br />
den konkreten Branchen-<br />
und Betriebsbedingungen.<br />
Nicht politisch, sondern betriebswirtschaftlich<br />
orientiert.<br />
Interview: Peter Jacobs<br />
Firmengründungen<br />
Hauptstadt im Boom<br />
Berlin zählte 2011 über 40.000 Firmengründungen.<br />
Doppelt soviel wie im Bundesdurchschnitt.<br />
UNESCO-Kandidat<br />
TRADITIONSMARKEN<br />
Meißen will es wissen. Oberbürgermeister<br />
Olaf Raschke hat<br />
die Bewerbung um den Namen<br />
»Porzellanstadt Meißen« eingereicht.<br />
Die Elbestadt bringt ihr<br />
berühmtestes Unternehmen in<br />
Stellung, um sich einen Platz<br />
auf der Weltkulturerbeliste zu<br />
erobern. Obwohl die von König<br />
August dem Starken gegründete<br />
heutige Staatliche Porzellan-<br />
Manufaktur Meissen zurzeit<br />
in wirtschaftlichen Schwierigkeiten<br />
steckt, genießt der<br />
Name weiterhin Weltruf. Im<br />
Rahmen der Sanierung will das<br />
Unternehmen nun auch in den<br />
Bereichen Schmuck, Architektur<br />
und Inneneinrichtung international<br />
tätig werden.<br />
DYNAMIK-RANKING<br />
Die Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft und die Wirtschafts-<br />
Woche bewerten jedes Jahr die Entwicklung der Bundesländer<br />
Entwicklung der Jahre 2007 bis 2010 in Punkten<br />
1. Brandenburg 65,4<br />
2. Berlin 60,1<br />
3. Mecklenburg-Vorpom. 60,0<br />
4. Sachsen 54,4<br />
5. Sachsen-Anhalt 53,8<br />
6. Thüringen 52,1<br />
7. Hamburg<br />
...<br />
50,2<br />
12. Hessen: 45,3<br />
Die Zahl von 40.000 neu<br />
gegründeten Unternehmen<br />
verzeichnete<br />
im vergangenen Jahr Berlin.<br />
Junge Existenzgründer suchen<br />
ihre Chancen besonders<br />
im Gesundheits- und Sozialwesen.<br />
Die IHK Berlin sieht<br />
darin vor allem eine Reaktion<br />
auf das wachsende Gesundheitsbewusstsein<br />
und eine<br />
stärkere Orientierung auf die<br />
Probleme des demographischen<br />
Wandels. Zugleich ziehe<br />
Berlin immer mehr internationales<br />
Publikum an und<br />
biete <strong>mit</strong> seiner robusten Konjunktur<br />
auch für ausländische<br />
Firmengründer eine attraktive<br />
Wachstumsbasis.<br />
Kaffee-Jubiläum<br />
30 Jahre ist es her, seit in der<br />
Magdeburger Kaffeefabrik<br />
Röstfein das Wirbelschicht-<br />
Röstverfahren eingeführt<br />
wurde. Eine sparsame Methode,<br />
bei der die Bohnen nicht<br />
mehr in der Trommel, sondern<br />
schwebend im Wasserdampf<br />
zur Trinkreife gebracht werden.<br />
Damals ein Notbehelf der<br />
Mangelwirtschaft, ist das Verfahren<br />
bis heute einmalig in<br />
der Welt. Und die Marke Röstfein,<br />
vornehmlich die <strong>mit</strong> kandierten<br />
Bohnen veredelte<br />
Spezialität RONDO, ist nicht<br />
nur in europäischen und arabischen<br />
Läden von Belgien bis<br />
Dubai gefragt, sondern steht<br />
sogar in den Regalen des<br />
Kaffeelandes Elfenbeinküste.<br />
100 FAKTOREN, von der Arbeistplatzversorgung bis zur Schuldnerquote,<br />
gehen ein in das jährliche Dynamik-Ranking. Dank der Nachholbemühungen<br />
sehen sich die neuen Länder dabei zumeist im Vorteil.<br />
AUS DEN LÄNDERN<br />
Thüringen<br />
Zum 15. Mal ist der Innovationspreis<br />
Thüringen für neue Produkte<br />
und Technologien ausgelobt worden.<br />
Mit einem Fond von 100.000<br />
Euro gilt dieser als einer der bestdotierten<br />
Preise Deutschlands.<br />
Stifter sind das Wirtschaftsministerium,<br />
die Technologie-Stiftung, der<br />
TÜV Thüringen und die Ernst-Abbé-<br />
Stiftung. Seit 1994 haben sich<br />
mehr als 1.100 Unternehmen und<br />
Forschungseinrichtungen beworben.<br />
Sachsen<br />
Sächsischen Jugendlichen, besonders<br />
solchen aus ländlichen<br />
Gegenden, wird in der zweiten<br />
Märzwoche Gelegenheit gegeben,<br />
kostenlos zu Firmen und Institutionen<br />
zu reisen, bei denen sie sich<br />
über Berufsbilder informieren<br />
können. Das Wirtschaftsministerium<br />
bietet dafür zusammen <strong>mit</strong><br />
sächsischen Verkehrsverbünden<br />
und Nahverkehrsunternehmen ein<br />
so genanntes Schau-rein-Ticket an.<br />
Brandenburg<br />
Die Bürgschaftsbank Brandenburg<br />
stützt kleine und <strong>mit</strong>tleren Firmen<br />
jetzt <strong>mit</strong> erhöhten Kreditsummen<br />
bis zu zwei Millionen Euro. Die Bank<br />
ist eine Selbsthilfeeinrichtung der<br />
<strong>mit</strong>telständischen Wirtschaft und<br />
kümmert sich um kleine und <strong>mit</strong>tlere<br />
Unternehmen <strong>mit</strong> bis zu 250<br />
Mitarbeitern, die von Hausbanken<br />
keine Kredite bekommen.<br />
Mehr als 300 Filme werden jährlich<br />
in Berlin und Brandenburg gedreht.<br />
Da<strong>mit</strong> hat sich die Hauptstadtregion<br />
zum Filmstandort Nr. eins<br />
entwickelt. 50.000 Menschen<br />
arbeiten in der Branche. In Babelsberg<br />
sind 120 Medienunternehmen<br />
und -einrichtungen ansässig.<br />
Mecklenburg-<br />
Vorpommern<br />
512 Millionen Euro sind in Mecklenburg-Vorpommern<br />
seit 2007 im<br />
Rahmen der Gemeinschaftsaufgabe<br />
Verbesserung der Gewerblichen<br />
Wirtschaft an kleine und <strong>mit</strong>tlere<br />
Unternehmen geflossen. Auf der<br />
Regionalförderungskarte wird<br />
das Bundesland nach wie vor als<br />
Höchstfördergebiet ausgewiesen.<br />
Berlin<br />
Mit 25 Millionen Euro unterstützt<br />
das Land Berlin die Bewerbung der<br />
Hauptstadtregion als internationales<br />
Schaufenster der Elektromobilität.<br />
Beteiligt sind insgesamt<br />
257 Projektpartner, darunter 197<br />
Unternehmen, 34 Hochschulen und<br />
Forschungseinrichtungen sowie<br />
26 Vereine, Verbände, Kammern<br />
und öffentliche Einrichtungen.<br />
6 WIRTSCHAFT & MARKT 03/12
AKTUELL<br />
WIRTSCHAFTSBILD<br />
DES MONATS<br />
BRIEF AUS BRÜSSEL<br />
Von THOMAS HÄNDEL,<br />
Europaabgeordneter<br />
Die Linke<br />
Das deutsche Modell<br />
Merkel und Sarkozy klopfen<br />
einander auf die Schultern ob<br />
ihrer vermeintlichen Erfolge<br />
zur Rettung der EU. Dabei gibt<br />
es wirklich nichts zu feiern.<br />
THÜRINGENS BREITESTER TUNNEL am Jagdberg bei Jena wird teurer als geplant. Der Grund: Sicherheitsvorkehrungen<br />
für den Brandschutz. Die sechsspurige Röhre soll eine Sprinkleranlage erhalten, die im<br />
Notfall einen Nebelteppich legt oder <strong>mit</strong> Schaum löscht, noch bevor die Feuerwehrkräfte eintreffen und<br />
<strong>mit</strong> der Brandbekämpfung beginnen können. 295 Millionen Euro waren bisher für das Gesamtvorhaben<br />
kalkuliert. 14 Millionen Euro zusätzlich hat die bundeseigene Planungsgesellschaft DEGES für das Verkehrsprojekt<br />
nun ausgeschrieben. Der Vorteil: Nach der Eröffnung Mitte 2013 werden auch Gefahrentransporte<br />
dieses 3,1 Kilometer lange Teilstück der A 4 passieren können, was ursprünglich nicht geplant war.<br />
KONJUNKTUR-BAROMETER<br />
Land ohne Leute<br />
Von DR. HERBERT BERTEIT<br />
Durch Ostdeutschlands Dörfer geistert der<br />
Sensenmann. Immer dramatischer schrumpft<br />
die Altersgruppe zwischen 20 und 65 Jahren.<br />
Nirgendwo zeitigt der Bevölkerungsschwund<br />
solche beängstigenden Folgen wie auf dem<br />
Lande. Wo immer weniger Erwerbstätige zur<br />
Verfügung stehen, sind Einkommens- und<br />
Wohlstandsverluste vorprogrammiert.<br />
Steigende Infrastrukturkosten, zum Beispiel<br />
für Wasser, Abwasser und Müllentsorgung,<br />
müssen von immer weniger Menschen getragen<br />
werden. Die Immobilienpreise fallen,<br />
Schulen, Geschäfte und Dienstleistungseinrichtungen<br />
schließen. Als Standortfaktor bleibt<br />
nur die ländliche Idylle.<br />
Seit 2003 weist die Statistik für zwei Drittel<br />
der ostdeutschen ländlichen Gemeinden einen<br />
Bevölkerungsrückgang von mehr als fünf Prozent<br />
aus. Beschleunigt wurde diese Entwicklung<br />
nicht nur durch die Automatisierung der<br />
Landwirtschaft und die Stillegung landwirtschaftlicher<br />
Betriebe. Die Dörfer haben auch<br />
ihre traditionelle Funktion für das Wohnen in<br />
der Nähe ländlicher Arbeitsplätze verloren.<br />
Die arbeitsfähige Bevölkerung zieht es in die<br />
Städte. Abwanderungen finden vor allem aus<br />
weiter entfernten Orten statt. Die negativen<br />
Auswirkungen für den Binnenkonsum und die<br />
Konjunktur in Ostdeutschland insgesamt sind<br />
unübersehbar.<br />
Um die Folgen abzufedern, brauchen die<br />
Landgemeinden Unterstützung bei der Entwicklung<br />
des Tourismus und dem Ausbau der<br />
regenerativen Energien. Aber auch Kapital<br />
für den Rückbau von Dörfern. Man wird die<br />
Zusammenlegung von Verwaltungseinheiten<br />
beschleunigen und Umzugsprogramme auflegen<br />
müssen, wo Dörfer ganz aufgegeben<br />
werden, da<strong>mit</strong> der demographische Wandel<br />
auf dem Lande für die Betroffenen erträglich<br />
gestaltet wird und sich nicht als ostdeutsche<br />
Konjunkturbremse erweist.<br />
Mit dem Fiskalpakt wird knallharte<br />
Sparpolitik auf Kosten der<br />
Mehrheit der Bevölkerung betrieben,<br />
vorbei an den demokratischen<br />
Strukturen der EU.<br />
Krisenverursacher und -gewinnler<br />
bleiben verschont. Vermögensteuer,<br />
Finanztransaktionssteuer,<br />
Mindestbesteuerung für<br />
Unternehmen und angemessene<br />
Beteiligung der Besserverdienenden<br />
an der Finanzierung des<br />
Gemeinwesens – alles Fehlanzeige.<br />
Stattdessen: massive<br />
Kürzungen von Löhnen, Sozialleistungen<br />
und Begrenzung<br />
öffentlicher Investitionen durch<br />
unsinnige Verschuldungsregeln.<br />
Deutschland ist gut durch die<br />
Krise gekommen – <strong>mit</strong> massiven<br />
Beiträgen der Arbeitnehmer in<br />
Form von Kurzarbeit und Kaufkraftverlust.<br />
Aber prekäre Beschäftigungsverhältnisse<br />
wie<br />
Leiharbeit, Mini-Jobs und Teilzeitarbeit<br />
vermehren sich explosionsartig.<br />
Viele Menschen erwerben<br />
keine oder nur eine<br />
geringe Absicherung über die<br />
Sozialversicherungen. Massenhafte<br />
Altersarmut ist durch<br />
miserable Löhne, sinkendes<br />
Rentenniveau und Demontage<br />
der sozialen Sicherungssysteme<br />
vorprogrammiert. Ein tolles<br />
Erfolgsmodell! Die Krise der<br />
öffentlichen Haushalte wird<br />
nicht repariert, sondern vertieft.<br />
Wie in Griechenland zu besichtigen.<br />
Es wird Zeit, diesem<br />
Treiben Einhalt zu gebieten.<br />
WIRTSCHAFT & MARKT 03/12 7
AKTUELL<br />
Fotos: DPA (2), T. Lehmann, F. Schmidt, Archiv (2), Werkfoto<br />
KURZ NOTIERT<br />
GRÜNDERPROJEKT<br />
Unis ernennen<br />
Botschafter<br />
Mit 2,5 Millionen Euro fördert<br />
das BMWi Firmengründungsaktivitäten<br />
von zwei<br />
Thüringer Universitäten.<br />
Die Friedrich-Schiller-Universität<br />
Jena und die Bauhausuniversität<br />
Weimar haben<br />
zehn Wissenschaftler zu Gründungsbotschaftern<br />
ernannt.<br />
Sie sollen das Thema Selbständigkeit<br />
und Firmengründung<br />
nachhaltig im Lehrbetrieb<br />
ihrer Fakultäten etablieren.<br />
Mit diesem Projekt setzten<br />
sich die beiden kooperierenden<br />
Thüringer Universitäten<br />
gegen weitere 83 beim Bundeswirtschaftsministerium<br />
eingereichte Ideen im Förderwettbewerb<br />
»EXIST-Gründungskultur<br />
– Die Gründerhochschule«<br />
durch.<br />
KOOPERATION<br />
Starke Mitte<br />
Deutschlands<br />
Die Wirtschaftsinitiative für<br />
Mitteldeutschland hat die<br />
Deutsche Telekom AG als<br />
neues Mitglied gewonnen.<br />
Bei der in Leipzig ansässigen<br />
Wirtschaftsinitiative engagieren<br />
sich strukturbestimmende<br />
Unternehmen sowie Kammern<br />
und Städte aus Sachsen<br />
und Sachsen-Anhalt für eine<br />
nachhaltige Entwicklung und<br />
Vermarktung der Wirtschaftsregion<br />
Mitteldeutschland.<br />
Neben der Deutschen Telekom<br />
unterstützen seit Jahresbeginn<br />
vier weitere renommierte<br />
Unternehmen die Aktivitäten<br />
des Vereins zur Stärkung der<br />
Wirtschaftsregion Mitteldeutschland:<br />
die ACTEMIUM/<br />
Controlmatic Gesellschaft für<br />
Automation und Elektrotechnik<br />
mbH, die ELA Container<br />
GmbH, die ICL Ingenieur<br />
Consult Dr.-Ing. A. Kolbmüller<br />
GmbH und die S&P Ingenieure<br />
+ Architekten.<br />
NACHRICHTEN AUS DEN REGIONEN<br />
ENERGIE<br />
Wasser im freien Fall<br />
Im Kreis Gotha in Thüringen soll vom<br />
Jahr 2016 an ein neues riesiges Pumpspeicherwerk<br />
zur besseren Nutzung des<br />
Ökostroms angelegt werden.<br />
Als Unterbecken ist die bereits existierende<br />
Talsperre Schmalwasser bei Tambach-<br />
Dietharz vorgesehen. Das noch zu errichtende<br />
Oberbecken soll ein Fassungsvermögen<br />
von fünf Millionen Kubikmetern<br />
erreichen. Bei einer Fallhöhe von mehr als<br />
200 Metern könnte das Kraftwerk eine<br />
Leistung von 400 MW erbringen. An dem<br />
Projekt wollen sich 35 Stadtwerke beteiligen.<br />
Nach vorläufigen Berechnungen müssen<br />
dafür 500 Millionen Euro investiert werden.<br />
MANAGER : TÜFTLER : ERFINDER<br />
Ein Holzbildhauer, der<br />
Kinderphantasie sprühen lässt<br />
GÜNTHER ZIEGLER, (63) WOLFGANG GROSS, (60)<br />
Geschäftsführer der Firma<br />
Ziegler Spielplätze im <strong>mit</strong>telsächsischen<br />
Zeititz, gestaltet<br />
europaweit kreative Kinderspielplätze<br />
<strong>mit</strong> Robinienholzfiguren.<br />
Der gelernte Informationstechniker,<br />
einst in Halle und<br />
Leipzig als Bauleiter zuständig<br />
für technisch schwierige Vorhaben der Reichsbahn, zog<br />
nach der Wende aufs Dorf und machte sein Hobby zum<br />
Beruf. Das Holz der Robinie, krumm gewachsen, aber<br />
resistent gegen Feuchtigkeit und lange haltbar, war für<br />
ihn schon immer ein Material zur Selbstfindung. Heute<br />
lässt er da<strong>mit</strong> in Manufakturarbeit anspruchsvolles<br />
Spielgerät herstellen. Mitunter hat seine Firma bis zu<br />
50 Projekte gleichzeitig zu realisieren. Die 45 Mitarbeiter<br />
in dem kleinen Muldentalort fertigen ausschließlich<br />
Unikate. Mit seinen Entwürfen ist der Holzbildhauer in<br />
der Tierwelt ebenso zu Hause wie in der großen, weiten<br />
Welt der kindlichen Abenteuerlust. Seine Enkel nimmt<br />
er als Testpersonen, wenn er neue Ideen <strong>mit</strong> Wissensver<strong>mit</strong>tlung<br />
verknüpfen will, wie jüngst bei der Gestaltung<br />
literarischer Picknickkörbe. Sinngebung gilt für<br />
Ziegler als Geschäftsgrundsatz: »Echten Spielwert<br />
schafft man nur, wenn man Kinder genau beobachtet.«<br />
TOURISMUS<br />
Huckepack zu Wasser<br />
Ein mecklenburgisches Campingunternehmen<br />
bietet für die Saison 2012 erneut eine<br />
originelle Form der Urlaubsgestaltung an:<br />
Fluss- und Seefahrt im eigenen Wohnmobil.<br />
Die Wohnmobile werden auf einem so genannten<br />
Trimaran geparkt, einem aus drei Rümpfen<br />
bestehenden Floß, das bis zu 4,5 Tonnen trägt.<br />
Der Chartergast darf das 60-PS-Gefährt nach<br />
gründlicher Einweisung selbst über die Wasserstraßen<br />
Brandenburgs und Mecklenburgs<br />
steuern. An der Mietbasis im Neuen Hafen des<br />
Ziegeleiparks Mildenberg veranstaltet die<br />
Verleihfirma Bootcamping GmbH am 31. März<br />
einen Tag der schwimmenden Campingmobile.<br />
Ein Abwasch-Spezialist, der<br />
den Osten aufschäumen lässt<br />
Chef der Fit GmbH in Hirschfelde<br />
an der Neiße, feiert am<br />
kommenden Karfreitag das<br />
20. Jubiläum seiner Ankunft im<br />
deutschen Osten, wo<strong>mit</strong> für<br />
ihn eine späte, aber schließlich<br />
glanzvolle Unternehmerkarriere<br />
begann. Bis zu seinem<br />
40. Lebensjahr hatte der promovierte Chemiker als<br />
Produktentwickler bei Haushalts-Chemieriesen wie<br />
Procter & Gambler gedient. Die deutsche Vereinigung<br />
bot ihm die Chance, <strong>mit</strong> seinem profunden Wissen<br />
den Sprung in die Selbständigkeit zu wagen. Von der<br />
Treuhand erwarb er den ostsächsischen Spül<strong>mit</strong>telhersteller<br />
Fit. Die Beliebtheit des Produkts auf dem<br />
ostdeutschen Markt schätzte er richtig ein. Für die<br />
ersten Investitionen besorgte er sich sechs Millionen<br />
DM Kredit. Die Farbe des Spül<strong>mit</strong>tels ließ er von gelbtrüb<br />
zu klargrün auffrischen, die vertraute Flaschenform<br />
behielt er bei. Inzwischen ist Groß ein Großunternehmer.<br />
In Hirschfelde hat er mehr als 90 Millionen<br />
Euro investiert. Die Westmarken Sanders, Rei und<br />
Sunil hat er inzwischen dazu gekauft und positioniert<br />
sie zusammen <strong>mit</strong> Fit auch bei den großen Warenhausketten<br />
im Westen: »Fit schäumt überall.«<br />
8 WIRTSCHAFT & MARKT 03/12
AKTUELL<br />
BESTSELLER<br />
Wirtschaftsbuch<br />
1. Walter Isaacson: Steve Jobs<br />
Bertelsmann (24,99 EUR)<br />
2. Dirk Müller: Cashkurs<br />
Droemer (19,99 EUR)<br />
3. M. Wehrle: Ich arbeite in einem<br />
Irrenhaus – Econ (14,99 EUR)<br />
4. U. Wickert: Redet Geld, schweigt<br />
die Welt – HoCa (14,99 EUR)<br />
5. J. Käppner: Berthold Beitz. Die Biographie<br />
– Berlin Verlag (36,00 EUR)<br />
6. J. Vogl: Das Gespenst des Kapitals<br />
Berlin Verlag (19,90 EUR)<br />
7. M. Grandt, G. Spannbauer,<br />
I. Ulfkotte: Europa vor dem Crash<br />
Campus (24,99 EUR)<br />
8. J. Rifkin: Die dritte industrielle<br />
Revolution – Campus (24,99 EUR)<br />
9. Carmine Gallo: Überzeugen wie<br />
Steve Jobs – Ariston (18,99 EUR)<br />
10.S. Wagenknecht: Freiheit statt Kapitalismus<br />
– Eichborn (19,95 EUR)<br />
IMPRESSUM<br />
Wirtschaft & Markt<br />
Das ostdeutsche Wirtschaftsmagazin<br />
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ISSN 086 353 23 Erscheint monatlich.<br />
Die Zeitschrift Wirtschaft&Markt ist das<br />
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nur <strong>mit</strong> Genehmigung des Verlages.<br />
PRO<br />
& CONTRA<br />
Mit dem Fiskalpakt<br />
heraus aus der Eurokrise?<br />
Opposition und Gewerkschaften kritisieren den<br />
Brüsseler Fiskalpakt als Etikettenschwindel.<br />
Griechenland wird statt gerettet kaputt gespart.<br />
HERMANN OTTO SOLMS,<br />
Vizepräsident<br />
des Deutschen Bundestages,<br />
Mitglied der FDP<br />
Durch Sparen allein ist<br />
JA<br />
die Eurokrise nicht zu<br />
lösen. Aber ohne Sparen wird<br />
es auch nicht gehen. Es ist<br />
zwar richtig, dass sich Haushaltskonsolidierung<br />
zunächst<br />
einmal dämpfend auf die Konjunktur<br />
auswirkt. Trotzdem ist<br />
sie unumgänglich. Angesichts<br />
einer massiven Vertrauenskrise,<br />
ausgelöst durch den<br />
übermäßigen Anstieg der<br />
Staatsverschuldung, steht der<br />
Politik die Option schuldenfinanzierte<br />
Programme schlicht<br />
nicht mehr zur Verfügung.<br />
Selbstverständlich brauchen<br />
insbesondere die Krisenländer<br />
vor allem Wachstum. Aber die<br />
Vorstellung, man könne <strong>mit</strong><br />
staatlichen Geldern eine wettbewerbsfähige<br />
Wirtschaft<br />
aufbauen, ist von Grund auf<br />
verfehlt. Seit dem EU-Beitritt<br />
Griechenlands sind dorthin<br />
Milliarden von EU-Struktur<strong>mit</strong>teln<br />
geflossen. Eine wettbewerbsfähige<br />
Wirtschaft<br />
ist aber nicht entstanden. Die<br />
Krisenländer müssen ihre<br />
Wirtschaft von massiven Fesseln<br />
befreien: Deregulierungen<br />
im Arbeitsmarkt, flexible Löhne<br />
und Preise, Öffnung von abgeschotteten<br />
Berufszweigen und<br />
Branchen. Dringend nötig ist<br />
es, dass die Wettbewerbsintensität<br />
und das Wachstum zunehmen.<br />
Der Fiskalpakt allein<br />
kann es nicht richten, ist aber<br />
notwendige Voraussetzung.<br />
SAHRA WAGENKNECHT,<br />
Vize-Vorsitzende<br />
der Bundestagsfraktion<br />
Die Linke<br />
NEIN<br />
Die Verhandlungen<br />
zum Fiskalpakt<br />
erfolgten im Eiltempo und<br />
ohne Konsultation der nationalen<br />
Parlamente. Das ist<br />
kein Wunder. Der Vertrag<br />
widerspricht den Interessen<br />
der Bevölkerung in ganz<br />
Europa. Die Staatsschulden<br />
sind nicht aufgrund unsolider<br />
Haushaltsführung aus dem<br />
Ruder gelaufen, sondern seit<br />
den Bankenrettungen im Zuge<br />
der weltweiten Finanzkrise<br />
explodiert. Der Fiskalvertrag<br />
<strong>mit</strong> seiner radikal verschärften<br />
Neuverschuldungsgrenze führt<br />
in allen Ländern gleichzeitig<br />
zu einer deflationären Kürzungspolitik.<br />
Das ist angesichts<br />
der sich abzeichnenden<br />
Rezession Wahnsinn. So wird<br />
die Krise weiter verschärft,<br />
Armut und soziale Unruhen<br />
werden zunehmen. Griechenland<br />
ist Warnung genug. Mit<br />
den Kürzungen sind dort die<br />
Schulden immer weiter gestiegen.<br />
Hinzu kommt: Der Fiskalvertrag<br />
verlangt, innerhalb von<br />
20 Jahren die Staatsschulden<br />
im Verhältnis zum BIP auf 60<br />
Prozent zu senken. Deutschland<br />
muss 30 Milliarden Euro<br />
im Jahr einsparen. Eine Politik,<br />
die auf Kosten der Allgemeinheit<br />
die Vermögen der Superreichen<br />
und die Interessen der<br />
Banken schützt, zerstört das<br />
Fundament einer demokratischen<br />
Gesellschaft.<br />
INVESTITIONEN<br />
80.000 Wafer<br />
Der Chiphersteller Globalfoundries<br />
will seine Fertigung von Silizium-<br />
Wafern in Dresden von 60.000 auf<br />
80.000 pro Monat steigern und zu<br />
diesem Zweck eine weitere Produktionsstätte<br />
errichten. Derzeit zählt<br />
der Standort 2.700 Beschäftigte,<br />
nach Ende des Ausbaus sollen es<br />
mehr als 3.000 Mitarbeiter sein.<br />
Logistik-Rekord<br />
Mit einem Flächenumsatz von<br />
434.000 Quadratmetern hat der<br />
Logistikmarkt Berlins im Jahr 2011<br />
das Rekordergebnis von 2010 noch<br />
einmal um sieben Prozent übertroffen.<br />
Die Branche gehört <strong>mit</strong><br />
rund 180.000 Beschäftigten zu den<br />
beschäftigungsintensivsten in der<br />
deutschen Hauptstadtregion. Nach<br />
Hamburg (745.000 Quadratmeter )<br />
und Frankfurt am Main (498.000<br />
Quadratmeter) belegt Berlin-Brandenburg<br />
den dritten Platz unter den Top-<br />
Logistikstandorten Deutschlands.<br />
Schneller nach Rostock<br />
Die Deutsche Bahn AG investiert<br />
800 Millionen Euro für die Modernisierung<br />
der Strecke Berlin-Rostock.<br />
Künftig sollen dort Geschwindigkeiten<br />
bis zu 160 km/h möglich sein.<br />
Auch schwere Güterzüge sollen dann<br />
dort verkehren können.<br />
Papier von der Oder<br />
In Eisenhüttenstadt hat die rheinlandpfälzische<br />
Progroup AG die größte<br />
Papierfabrik Deutschlands in Betrieb<br />
genommen. Das Werk produziert<br />
Wellpappe-Rohpapier für Verpackungen<br />
und beschäftigt 175 Mitarbeiter.<br />
Die Gesamtinvestition betrug rund<br />
700 Millionen Euro. Bund und Land<br />
förderten den Ausbau der Infrastruktur<br />
<strong>mit</strong> 34 Millionen Euro.<br />
Konzept Glasfaser<br />
Die brandenburgische Landesregierung<br />
hat ein Entwicklungskonzept<br />
Glasfaser 2020 vorgestellt, das<br />
nahezu flächendeckend die Versorgung<br />
<strong>mit</strong> schnellem Internet verbessern<br />
soll. Die Kosten werden<br />
bis 2020 auf 150 Millionen Euro geschätzt,<br />
wovon das Land 100 Millionen<br />
Euro bereitstellt. Der Schwerpunkt<br />
liegt auf der Schaffung einer<br />
flächendeckenden und zukunftssicheren<br />
Breitbanderschließung aller<br />
Haushalte <strong>mit</strong> bis zu 50 Mbit/s.<br />
WIRTSCHAFT & MARKT 03/12 9
GESPRÄCH<br />
Otto Kentzler, Präsident des Zentralverbandes des Deutschen Handwerks, über<br />
meisterliche Frauen, die Energiewende und die Blockade der Gebäudesanierung<br />
»Energieeffizienz – unser bester<br />
Fotos: Torsten George<br />
W&M: Herr Kentzler, in der ersten Februarhälfte<br />
hat sich der Ver<strong>mit</strong>tlungsausschuss<br />
zwischen Regierung und Bundesrat wieder<br />
vertagt – die steuerliche Förderung der energetischen<br />
Gebäudesanierung steht weiter auf<br />
der Kippe. Ein Ärgernis für das Handwerk?<br />
OTTO KENTZLER: Ein Riesenärgernis!<br />
Nicht nur für das Handwerk, sondern für<br />
die Wirtschaft insgesamt, und für die<br />
Bürger. Wenn das Gesetz scheitert fehlt<br />
ein zentraler Baustein der Energiewende.<br />
Denn die Möglichkeit steuerlicher Abschreibungen<br />
würde die Sanierungsquote<br />
hochtreiben. Das spart Investitionen<br />
an anderer Stelle. Denn: Energie, die<br />
nicht verbraucht wird, braucht nicht<br />
produziert zu werden.<br />
W&M: Die Euphorie des raschen Atomausstiegs<br />
scheint verflogen, so mancher sieht sorgenvoll<br />
auf die Strompreise. Ist das Handwerk<br />
Gewinner oder Verlierer der Energiewende?<br />
OTTO KENTZLER: Eine Energiewende gibt<br />
es nur <strong>mit</strong> dem Handwerk. Da zeigen wir,<br />
was wir können. Was die Preise angeht,<br />
haben Sie recht: Es kann nicht sein, dass<br />
allein das Gewerbe und die Privatkunden<br />
die Kosten der Energiewende zahlen, die<br />
großen Unternehmen dagegen davonkommen.<br />
Was die Euphorie angeht: Es<br />
bremst immer, wenn die Politik Einzelfragen<br />
in den Vordergrund stellt und<br />
große Ziele aus dem Blick geraten.<br />
W&M: Oder liegt es daran, dass in Deutschland<br />
große infrastrukturelle Vorhaben immer<br />
schwerer durchsetzbar sind?<br />
OTTO KENTZLER: Es mutet seltsam an,<br />
dass ausgerechnet die Befürworter alternativer<br />
Energien, deren Förderung viel<br />
Geld gekostet hat, nun die Durchleitung<br />
des Stroms, den notwendigen Netzausbau<br />
nicht wollen. Richtig ist indes, was<br />
die Netzagentur und die Spitzenverbände<br />
der Wirtschaft immer gesagt haben:<br />
dass die Sicherstellung der Grundlast für<br />
unseren Standort Vorrang haben muss.<br />
W&M: Die USA haben nach Jahrzehnten wieder<br />
den Bau von Kernkraftwerken genehmigt.<br />
Es gibt den Vorschlag, ein paar deutsche<br />
Atommeiler wieder ans Netz gehen zu lassen,<br />
weil die Zeitpläne der Bundesregierung kaum<br />
zu halten sind, die Gefahr von Blackouts<br />
wächst. Eine Lösung?<br />
OTTO KENTZLER: Dergleichen ist politisch<br />
kaum durchsetzbar, aber an grundlastfähigen<br />
Kraftwerken führt tatsächlich<br />
kein Weg vorbei. Wir zapfen ja in<br />
diesem Winter Österreich an, das extra<br />
alte Ölkraftwerke wieder hochfährt.<br />
Tschechien und Polen setzen auf Atomkraft.<br />
Wir dürfen meines Erachtens nicht<br />
hierzulande Kernkraftwerke abschalten,<br />
danach aber Atomstrom importieren.<br />
Wenn anderswo etwas passiert, dann<br />
bleiben wir doch auch nicht unbeschädigt.<br />
Vor allem aber brauchen wir leistungsfähige<br />
Netze, die den Strom von<br />
Nord nach Süd bringen und verteilen.<br />
W&M: Wo anfangen?<br />
OTTO KENTZLER: Am schnellsten geht es<br />
bei der Energieeffizienz. Das ist unser<br />
bester Rohstoff. Im Gebäudebereich liegt<br />
der Schlüssel dazu. Auf diesen Bereich<br />
entfallen 40 Prozent des Verbrauchs und<br />
ein Drittel der schädlichen CO 2 -Emissio-<br />
nen. Verbrauch und da<strong>mit</strong> Kosten lassen<br />
sich halbieren. Je mehr Energie ich einspare,<br />
desto weniger zusätzliche Produktionskapazitäten<br />
brauche ich.<br />
W&M: Sie haben sich in Sachen energetische<br />
Gebäudesanierung engagiert und vor allem<br />
die Position der neuen Länder im Bundesrat<br />
ungewöhnlich scharf kritisiert. Warum?<br />
OTTO KENTZLER: Mir fehlt jedes Verständnis<br />
dafür, dass gerade die neuen<br />
Länder strikt gegen dieses Gesetz sind.<br />
Vielleicht meinen sie, dass schon alles saniert<br />
sei. Aber das ist falsch. Mit der steuerlichen<br />
Förderung sollen die erreicht<br />
werden, die für die Sanierung keine Kredite<br />
aufnehmen wollen, die Besitzer von<br />
Ein- und Zwei-Familienhäusern. Die<br />
steuerliche Absetzbarkeit – das wissen<br />
wir doch – hat eine enorme Zugkraft.<br />
W&M: Sie sehen gewisse Parallelen?<br />
OTTO KENTZLER: Bürger, denen ich ein<br />
Angebot zur Gebäudesanierung unterbreite,<br />
sagen: Warum sollte ich 10.000<br />
Euro für die Sanierung ausgeben, da bezahle<br />
ich lieber 150 Euro mehr für Strom<br />
oder Gas. Das Interesse an Investitionen<br />
zur Energieeffizienz lässt sich dann nur<br />
über steuerliche Anreize wecken. Im<br />
Übrigen: Auf die 16 Bundesländer entfielen<br />
im ersten Jahr zusammen 57 Millionen<br />
Euro Steuermindereinnahmen.<br />
Daran darf das doch nicht scheitern – zumal<br />
über die Investitionen ein Vielfaches<br />
in die öffentlichen Kassen zurückfließt.<br />
Das wäre faktisch ein Konjunkturpaket<br />
III für Wachstum in Deutschland.<br />
W&M: Ein Konjunkturpaket III? Oder vielmehr<br />
ein Konjunkturprogramm für die alten<br />
Bundesländer?<br />
OTTO KENTZLER: Das ist doch kurzsichtig.<br />
Von Investitionen in Energieeffizienz<br />
profitieren doch auch Hersteller etwa<br />
von Heizungen oder Fenstern in den<br />
neuen Bundesländern. Dazu kommt:<br />
Sehr viele Betriebe aus dem Osten übernehmen<br />
doch jetzt schon im Westen Aufträge<br />
– sie werden auch bei Projekten zur<br />
energetischen Gebäudesanierung dabei<br />
sein. Stellen Sie sich doch mal an einem<br />
Montagmorgen an die B 1 in Dortmund<br />
und sehen sich die Nummernschilder an.<br />
Da wissen Sie, woher die Handwerker<br />
kommen. Die Sanierung ist ein Jobmotor<br />
für ganz Deutschland!<br />
W&M: Motor der zwei Geschwindigkeiten?<br />
OTTO KENTZLER: 20 Jahre brummte die<br />
Sanierung im Osten – kann sein, dass der<br />
Sanierungsbedarf West jetzt höher ist.<br />
Tatsache ist, dass rund drei Viertel aller<br />
Wohngebäude in Deutschland vor 1978<br />
gebaut wurden, also vor der ersten<br />
Wärmeschutzverordnung.<br />
W&M: Fürchten Sie nicht, dass ohne Kredite,<br />
ohne frisches Geld die Gebäudesanierung auf<br />
die lange Bank geschoben wird? Schon ist die<br />
Rede davon, dass die KfW diese entsprechend<br />
ihrer Förderkredite herunterfährt.<br />
OTTO KENTZLER: Der große Mitteleinsatz<br />
der KfW für die energetische Sanierung<br />
hat vor allem die großen Wohnungsbaugesellschaften<br />
erreicht und so vielen<br />
Mietern niedrigere Energiekosten gebracht.<br />
Mir geht es jetzt um die steuerliche<br />
Förderung von Investitionen von<br />
Haus- und Wohnungsbesitzern. Ohne<br />
Mobilisierung von privatem Kapital wird<br />
10 WIRTSCHAFT & MARKT 03/12
Rohstoff«<br />
es keine erfolgreiche Energiewende geben.<br />
Die drohende Kürzung der Mittel<br />
für die Zinsverbilligung bei KfW-Krediten<br />
und für Zuschüsse zu Einzelmaßnahmen<br />
wäre aber ebenso katastrophal<br />
in der Wirkung.<br />
W&M: Warum stagnieren denn die Zahlen<br />
bei den energetischen Sanierungen oder sind<br />
sogar rückläufig?<br />
OTTO KENTZLER: Die Menschen sind verunsichert.<br />
Wer investiert denn Hunderttausende<br />
in moderne Heizungsanlagen,<br />
in Dämmung, neue Fenster oder Nachbarschafts-Kraftwerke,<br />
wenn es keine verlässlichen<br />
Rahmenbedingungen gibt?<br />
W&M: In den neuen Ländern ist der Strom<br />
ohnehin teurer als in den alten. Wenn jetzt<br />
noch, Stichwort Offshore-Windanlagen, die<br />
Netzausbaukosten auf die Preise umgelegt<br />
werden, dann läuft das auf eine Wettbewerbsverzerrung<br />
hinaus. Warum sollte sich ein Investor<br />
dort ansiedeln, wo er für Energiekosten<br />
am meisten zu zahlen hat?<br />
OTTO KENTZLER: Wer A sagt wie Offshore,<br />
der muss auch B sagen wie Stromtransport.<br />
Da sollte man sich <strong>mit</strong> der<br />
Netzagentur und der Bundesregierung<br />
einigen. Möglichst vorher. Auch wir setzen<br />
uns ja dafür ein, dass die Strombegünstigung<br />
nicht erst bei einem Gigawatt<br />
beginnt, sondern schon bei 0,1 Gigawatt.<br />
Es kann nicht alles von den kleinen<br />
und <strong>mit</strong>tleren Unternehmen (KMU) und<br />
den Verbrauchern finanziert werden.<br />
W&M: Alle reden von der Krise – das deutsche<br />
»Eine Energiewende<br />
gibt es nur <strong>mit</strong> dem<br />
HANDWERK.<br />
Da zeigen wir,<br />
was wir können.«<br />
Handwerk hat aber im vergangenen Jahr um<br />
fünf Prozent zugelegt. Was macht das Handwerk<br />
so krisenresistent?<br />
OTTO KENTZLER: Vor allem die Betriebsgröße<br />
und die Fähigkeit, flexibel auf die<br />
Marktnachfrage reagieren zu können. Im<br />
Handwerk wurde frühzeitig erkannt,<br />
dass die Nähe zum Kunden das eigentliche<br />
Pfund ist. Jeder Meisterbetrieb hat<br />
ein Gesicht. Unsere neue Kampagne verspricht<br />
nicht von ungefähr: »Ich bin<br />
Handwerker. Ich kann das.« Wir sind erfolgreich<br />
dabei, die Vorzüge der KMU in<br />
den Vordergrund zu bringen.<br />
W&M: Der Mittelstand als Markenzeichen<br />
der Stabilität?<br />
OTTO KENTZLER: Das ist in der Politik angekommen,<br />
bis hin zur Europäischen<br />
Union. Der damalige EU-Kommissar Günter<br />
Verheugen hat den »Small Business<br />
Act« eingeführt. Er hatte verstanden, welche<br />
Bedeutung die kleinen und <strong>mit</strong>tleren<br />
Betriebe für Ausbildung, für Wachstum<br />
und für Innovation haben. Diese Politik,<br />
die KMU Vorrang einräumt, beginnt<br />
sich langsam zu etablieren, gerade auf<br />
EU-Ebene. Wir hoffen, dass das auch die<br />
Basel-III-Regelungen beeinflusst.<br />
W&M: Für dieses Jahr sagen Sie ein Plus von<br />
1,5 Prozent voraus. Das ist doppelt so viel, wie<br />
die Bundesregierung für die Wirtschaft prophezeit.<br />
Worauf stützt sich Ihr Optimismus?<br />
OTTO KENTZLER: Der Binnenmarkt zeigt<br />
keine Schwäche und wir sind <strong>mit</strong> gut gefüllten<br />
Auftragsbüchern in das neue Jahr<br />
gekommen. Das war nicht immer so. Als<br />
der vereinigungsbedingte Boom abklang,<br />
haben wir viele Mitarbeiter verloren. Das<br />
holen wir jetzt auf – in moderaten Schritten.<br />
Im vergangenen Jahr sind 25.000<br />
Mitarbeiter hinzugekommen. 2012 sind<br />
1,5 bis zwei Prozent nominaler Umsatzzuwachs<br />
kein Wolkenkuckucksheim,<br />
und die Beschäftigung wollen wir mindestens<br />
halten. Wir profitieren vom<br />
Trend zu nachhaltigen Werten. Was<br />
Wunder: Die Beschäftigtenquote war<br />
noch nie so hoch und unsere Kunden verdienen<br />
wieder ordentlich.<br />
W&M: Dann könnte man von der Bremse gehen<br />
und in den Handwerksbetrieben mehr<br />
zahlen. Sie aber haben sich für eher moderate<br />
Tarifabschlüsse ausgesprochen. Warum?<br />
OTTO KENTZLER: Dass in den Handwerksbetrieben<br />
vergleichsweise schlecht bezahlt<br />
wird, ist eine Mär. Und ich gönne<br />
jedem und jeder Beschäftigten mehr<br />
Geld im Portemonnaie. Aber Spielräume<br />
für Lohnsteigerungen müssen erst ein-<br />
WIRTSCHAFT & MARKT 03/12 11
OTTO KENTZLER, ZDH-Sprecher Alexander Legowski und W&M-Reakteur Helfried Liebsch.<br />
mal am Markt erwirtschaftet werden.<br />
Immerhin haben Erleichterungen bei<br />
der Einkommensteuer 2011 mehr Netto<br />
vom Brutto gebracht.<br />
W&M: Spürbar mehr?<br />
OTTO KENTZLER: Es könnte spürbar<br />
mehr sein, wenn endlich die kalte Progression<br />
abgebaut würde. Inflation und<br />
kalte Progression ziehen gerade Kleinund<br />
Mittelverdienern einen Großteil der<br />
Tariferhöhungen aus dem Geldbeutel.<br />
Da muss umgesteuert werden. Das betrifft<br />
das ganze Handwerk, denn in kleinen<br />
Betrieben sind die Einkommensunterschiede<br />
nicht so groß.<br />
W&M: Wenn das Handwerk Fahrt aufgenommen<br />
hat – welche Klippen sehen Sie, die zu<br />
umschiffen sind?<br />
OTTO KENTZLER: Die größte Herausforderung<br />
ist die demografische Entwicklung<br />
und die so erschwerte Fachkräftesicherung.<br />
Gerade die neuen Länder sind<br />
– aufgrund geburtenschwacher Jahrgänge<br />
– von der Entwicklung hart getroffen.<br />
W&M: Wie wappnet sich das Handwerk?<br />
OTTO KENTZLER: Die Betriebe sind sehr<br />
aktiv. Die Qualifizierung älterer Mitarbeiter<br />
wird intensiviert. Wir setzen uns<br />
für flächendeckende Tarifverträge ein,<br />
die ehrlichen Wettbewerb sichern. Wir<br />
betreiben engagiert Nachwuchswerbung.<br />
Und verbessern die Arbeitsbedingungen<br />
für Frauen.<br />
W&M: Wird künftig, wenn von der Meisterin<br />
die Rede ist, nicht mehr die Frau des Meisters,<br />
sondern die Chefin des Betriebs gemeint sein?<br />
OTTO KENTZLER: Das ist heute schon<br />
zunehmend der Fall – der Anteil der<br />
Mädchen und Frauen in der Ausbildung<br />
liegt bei rund 28 Prozent. Ein Fünftel der<br />
erfolgreichen Meisterprüfungen absolvieren<br />
Frauen, bei den Existenzgründungen<br />
liegt ihr Anteil bei 25 Prozent. Tendenz<br />
steigend. Das Handwerk bekommt<br />
auch ein weibliches Gesicht.<br />
W&M: Worauf vor allem führen Sie diesen<br />
Wandeln zurück ?<br />
OTTO KENTZLER: Auf die zunehmende<br />
Attraktivität des Handwerks und die Karrierechancen,<br />
die sich auch für Frauen<br />
auftun. Nirgendwo ist der qualifizierte<br />
Weg in die Selbstständigkeit kürzer. Als<br />
Meisterin sind sie ja darauf vorbereitet.<br />
In kleinen Betrieben lassen sich auch<br />
Familie und Karriere flexibel verbinden.<br />
Das sind Pluspunkte. Selbst in gewerblich-technischen<br />
Berufen setzen sich<br />
immer mehr junge Frauen durch.<br />
W&M: Ein Selbstläufer?<br />
OTTO KENTZLER: Wir wollen viel dafür<br />
tun, dass sich die Entwicklung fortsetzt.<br />
ZUR<br />
PERSON<br />
Der Sichtburgherr<br />
Der ZDH arbeitet in der Mohrenstraße<br />
am Berliner Gendarmenmarkt – in dem<br />
einzigen Gebäude, das die Nachbarhäuser<br />
überragt. Otto Kentzler, ZDH-Präsident<br />
seit 2005, hat von der Dachterrasse<br />
des Hauses das Bundeskanzleramt<br />
im Blick. Auch im übertragenen Sinne.<br />
Dem Dortmunder ist es gelungen, dem<br />
Interessenverband in Parlament und Regierung<br />
stärker Geltung zu verschaffen.<br />
Kanzlerin Angela Merkel hat das im vergangenen<br />
November auf dem Empfang<br />
zum 70. Geburtstag Kentzlers bestätigt.<br />
Eine Lanze brach sie der Bodenständigkeit<br />
des Handwerks – Unternehmen,<br />
»die zu Hause auch wirklich zu Hause<br />
sind ..., die jungen Menschen eine Zukunft<br />
geben«. An den Jubilar gewandt,<br />
versprach sie: »Deshalb werden wir auch<br />
in Zukunft Ihren Rat schätzen und Ihre<br />
Hinweise annehmen.« Kentzler, verheiratet,<br />
zwei Kinder, Geschäftsführer einer<br />
Firma für Klempnerei und Überdachungen,<br />
verkörpert Bodenständigkeit – und<br />
Weitsicht. Es versteht sich, dass sein<br />
Sohn Heiko in die Fußstapfen des Vaters<br />
getreten ist, in fünfter Generation.<br />
»Sonst könnte ich den Job hier gar nicht<br />
machen«, sagt Otto Kentzler – in der<br />
»Sichtburg des Handwerks«, wie er das<br />
Gebäude in Berlin scherzhaft nennt.<br />
Im Westen hapert es beispielsweise an<br />
der Kinderbetreuung. Da sind vor allem<br />
größere Betriebe gefordert, gemeinsam<br />
<strong>mit</strong> den Kommunen die Weichen richtig<br />
zu stellen. Wir brauchen Nachwuchs aus<br />
allen Gruppen. Vom Hauptschüler bis<br />
zum Abiturienten. Und gerade junge<br />
Leute <strong>mit</strong> Migrationshintergrund. Wir<br />
beschäftigen mehr Ausbildungsberater<br />
<strong>mit</strong> ausländischen Wurzeln und treiben<br />
so die Integration voran. Das ist entscheidend:<br />
80 Prozent der jungen Leute <strong>mit</strong><br />
türkischen Wurzeln, die eine Meisterprüfung<br />
geschafft haben, wollen sich<br />
selbstständig machen. Bei den Deutschen<br />
waren es nur 20 Prozent.<br />
W&M: Sie hatten sich vor einiger Zeit in einem<br />
Interview <strong>mit</strong> der Überschrift »Polen holen«<br />
für Zuwanderung eingesetzt. Was ist aus<br />
Ihrem Appell geworden?<br />
OTTO KENTZLER: Er bleibt aktuell, denn<br />
die erhoffte Zuwanderung ist ausgeblieben.<br />
Die Zeit arbeitet für diesen Appell.<br />
Gerade in den ostdeutschen Grenzregionen<br />
tut sich schon etwas. Erste junge<br />
Polen und Tschechen lernen in unseren<br />
Betrieben, der Lehrlingsaustausch wird<br />
allerorts intensiviert.<br />
W&M: Kommen wir noch einmal auf den Anfang<br />
zurück. Wenn Sie in der Energieeinsparung,<br />
in der Energieeffizienz die Schnellstraße<br />
zu Energiewende sehen …<br />
OTTO KENTZLER: Das betrifft nicht nur<br />
die Gebäudesanierung, sondern beispielsweise<br />
auch die Photovoltaik. Das<br />
Gewicht wird künftig nicht auf Solarparks<br />
liegen, sondern der Eigenverbrauch<br />
rückt in den Mittelpunkt. Sonnendächer<br />
für Supermärkte und Gewerbebauten<br />
etwa – <strong>mit</strong> dem Strom kann<br />
am Tage der Raum <strong>mit</strong> LED-Lampen beleuchtet<br />
werden, nachts reicht Batteriestrom<br />
für die Notbeleuchtung aus.<br />
W&M: … dann wollte ich fragen, wie das<br />
Handwerk auf neue Technologien, auf Smart<br />
Grids etwa, vorbereitet ist.<br />
OTTO KENTZLER: Sehr gut. Das beginnt<br />
bereits bei der Ausbildung. Ob neue<br />
Energien und innovative Speicher oder<br />
Netzmanagement und Elektromobilität<br />
– das ist nicht nur Sache der Industrie,<br />
sondern auch des Handwerks. Die Berufsbilder<br />
haben sich verändert, es gibt Weiterbildung<br />
und neue Anforderungen in<br />
der Gesellenprüfung. Da sind wir nah<br />
dran. Beim Neujahrsempfang der Handwerkskammer<br />
Halle habe ich den Chef<br />
einer Firma kennengelernt, der eine Reihe<br />
von Patenten besitzt über die intelligente<br />
Verteilung von selbsterzeugtem<br />
Strom. Das Motto der diesjährigen Internationalen<br />
Handwerksmesse München<br />
heißt nicht von ungefähr: »Handwerk –<br />
Offizieller Ausrüster der Energiewende.«<br />
W&M: Vielen Dank für das Gespräch. &<br />
12 WIRTSCHAFT & MARKT 03/12
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SPECIAL<br />
Fotos: H. Lachmann, Solarion AG<br />
Solarion AG<br />
Sonnenlicht auf der Rolle<br />
Die Leipziger Solarion AG trotzt der Krise in der Photovoltaik-Branche. Mit neuartigen Dünnschicht-<br />
Modulen. Das rief einen Großkonzern aus Taiwan auf den Plan. Dieser investierte in das ostdeutsche<br />
Unternehmen. Seit Jahresbeginn produziert Solarion in einem neuen Werk in Zwenkau bei Leipzig.<br />
Lange experimentierte man mehr<br />
oder minder im Verborgenen, galt vor<br />
allem in der internationalen Fachwelt<br />
als Geheimtipp. Doch nun holt die<br />
Sonne das Können der Leipziger Überflieger<br />
quasi <strong>mit</strong> Macht ans Licht. Denn seit<br />
Jahresbeginn arbeitet die Solarion AG in<br />
einem neuen größeren Werk. Rund 40<br />
Millionen Euro investierte das Hochtechnologieunternehmen<br />
in den Neubau auf<br />
einem drei Hektar großen Grundstück in<br />
einem neuen Gewerbepark in Zwenkau,<br />
einem Städtchen südlich der Messestadt.<br />
Nach den Schwierigkeiten in den letzten<br />
Jahren in der Branche hierzulande<br />
zählt Solarion zu den Hoffnungsträgern.<br />
Was realistisch abzuschätzen aber wohl<br />
nur Insider aus der Photovoltaik können.<br />
Allein die Technologie, auf der der bisherige<br />
Erfolg und da<strong>mit</strong> der Optimismus<br />
rund um Solarion fußt, klingt höchst<br />
kompliziert: Die Sachsen fertigen Dünnschichtsolarmodule<br />
auf der Basis des<br />
Halbleiters CIGS. Die vier Buchstaben stehen<br />
für die chemischen Elemente Kupfer,<br />
Indium, Gallium und Selen, weshalb<br />
sich alles zusammen Kupfer-Indium-Gallium-Diselenid<br />
nennt.<br />
Wie Dr. Alexander Braun, der junge<br />
Technische Vorstand (CTO) von Solarion,<br />
erläutert, entstehen diese hochlichtempfänglichen<br />
Module aus Abscheidungen<br />
eines Absorbers, der den Halbleiter <strong>mit</strong><br />
Hilfe von Ionenstrahlen auf ein hauchdünnes<br />
Trägermaterial dampft. Das<br />
geschehe in einem effizienten Rolle-zu-<br />
Rolle-Prozess. »Wir nutzen hierfür eine<br />
selbst entwickelte und <strong>mit</strong>tlerweile<br />
patentierte Beschichtungstechnologie«,<br />
berichtet Braun nicht ohne Stolz. Immerhin<br />
sei ihre erste Pilotlinie zur Herstellung<br />
flexibler und ultraleichter CIGS-<br />
Dünnschichtsolarzellen auf einem Polymersubstrat,<br />
die man bereits 2002 in<br />
Betrieb nahm, zugleich die erste ihrer<br />
Art in Europa gewesen.<br />
DÜNNER ALS EIN BLATT PAPIER<br />
Die Vorteile dieses Verfahrens sehen Experten<br />
in der niedrigeren Beschichtungstemperatur,<br />
so dass da<strong>mit</strong> auch die<br />
Beschichtung von Kunststoff-Folien möglich<br />
ist, außerdem in einem höheren<br />
Solarzellenwirkungsgrad, einer gesteigerten<br />
Prozessgeschwindigkeit sowie<br />
recht geringen Energie- und Materialkosten.<br />
Der durchschnittliche Wirkungsgrad<br />
ihrer CIGS-Solarzellen auf Kunststoffsubstraten<br />
betrage <strong>mit</strong>tlerweile 14<br />
Prozent, wo<strong>mit</strong> die spezifische Leistung<br />
1.500 Watt pro Kilogramm erreiche, so<br />
der promovierte Physiker. Dennoch entdeckt<br />
Braun für die Zukunft noch ein<br />
sehr großes Potenzial, um die Effizienz<br />
ihrer Zellen weiter zu steigern.<br />
Doch schon jetzt ließen sich ihre<br />
Module wesentlich kostengünstiger als<br />
andere Module herstellen, was sie am<br />
derzeit schwierigen Solarmarkt deutlich<br />
besser positioniere. Zugleich seien sie<br />
leichter und vor allem – unzerbrechlich.<br />
»Beweglich, dünn und leicht«, bringt es<br />
Braun auf einen griffigen Nenner. Denn<br />
die 800 mal 1.320 Millimeter großen<br />
Kunststoffmodule, die bald in Zwenkau<br />
in die Serienproduktion gehen sollen,<br />
sind nicht nur dünner als ein Blatt Papier,<br />
sie passten sich praktisch jedem,<br />
auch einem unebenen Untergrund »perfekt<br />
an«, versichert der Manager.<br />
Ihr geringes Gewicht sowie jene Flexibilität<br />
und Unzerbrechlichkeit empfiehlt<br />
sie da<strong>mit</strong> vor allem für den Einsatz auf<br />
großen Flachdächern. »Durch den direkten<br />
Verbund <strong>mit</strong> der Dachhaut lässt sich<br />
die Installation deutlich vereinfachen,<br />
was einen handfesten Systemkostenvorteil<br />
bedeutet«, fügt Solarion-Vorstandschef<br />
Dr. Karsten Otte hinzu. Weitere<br />
Einsatzgebiete sieht er in der Luft- und<br />
Raumfahrt, der Unterhaltungselektronik,<br />
der Textilbranche sowie in der Automobilindustrie.<br />
14 WIRTSCHAFT & MARKT 03/12
SPECIAL<br />
Otte und Braun kennen sich seit<br />
ihrem Physikstudium an der Leipziger<br />
Universität. Anschließend verschlug es<br />
beide für einige Semester in die USA –<br />
den einen an die California State University,<br />
den anderen an die Oregon State<br />
University. Ihr Spezialgebiet war die<br />
Oberflächenphysik, so dass sie sich<br />
schließlich 1996 am Leibniz-Institut für<br />
Oberflächenmodifizierung in Leipzig<br />
wiedertrafen. Das ist international führend<br />
in der lonenstrahltechnologie. Otte<br />
arbeitete hier als Projektleiter, Braun als<br />
wissenschaftlicher Assistent.<br />
Als sie dann anno 2000 gemeinsam Solarion<br />
aus der Taufe hoben – zunächst in<br />
Leipzig-Holzhausen, quasi als Art Untermieter<br />
beim Fraunhofer-Institut für<br />
Zelltherapie und Immunologie –, war es<br />
im Grunde eine klassische Ausgründung<br />
aus dem Leibniz-Institut für Oberflächenmodifizierung.<br />
Anfangs beteiligten<br />
sich daran auch zwei starke regionale<br />
Investoren, die von der Zukunftsträchtigkeit<br />
der Technologie überzeugt waren.<br />
So baute man 2003 die Rolle-zu-Rolle-<br />
Pilotanlage auf, optimierte fortlaufend<br />
den Fertigungsprozess, übertrug die Laborergebnisse<br />
auf die industrielle Anlage,<br />
startete die Produktion in Kleinserie.<br />
Als der nächste Schritt heranrückte<br />
und man wieder frisches Geld brauchte,<br />
änderten Otte und Braun die Rechtsform<br />
von Solarion in eine Aktiengesellschaft.<br />
Da<strong>mit</strong> interessierte man nun auch ein<br />
europäisches Investorenkonsortium. So<br />
war es möglich, 2008 <strong>mit</strong> dem Abschluss<br />
der Pilotphase und einer Risikoanalyse<br />
den Übergang in die Massenproduktion<br />
einzuleiten. Mittlerweile verfügte man<br />
über eine »voll laufende Rolle-zu-Rolle-Pilotlinie<br />
<strong>mit</strong> der dritten Generation der<br />
INNOVATION: Hauchdünne und flexible<br />
Solarmodule aus Sachsen.<br />
VIELE UNTERSTÜTZER: Stelldichein von<br />
Politik und Investoren bei Solarion<br />
Beschichtungstechnik«, erinnern sich<br />
die beiden Unternehmer. Gleichzeitig<br />
wuchs die Belegschaft auf nunmehr 40<br />
Mitarbeiter.<br />
Nach dem erfolgreichen Aufbau der<br />
Modullinie im Jahre 2009 drängten Otte<br />
und Braun nun auch verstärkt an die<br />
Öffentlichkeit. Auf der Intersolar in München<br />
stellten sie 2010 teiltransparente<br />
Module vor – und erregten da<strong>mit</strong> erwartungsgemäß<br />
viel Aufsehen. Bald schon<br />
fand sich ein Branchenschwergewicht,<br />
um bei den Sachsen einzusteigen: die<br />
Walsin Lihwa Corp. aus Taiwan. Deren<br />
hundertprozentige Tochtergesellschaft<br />
Ally Energy erwarb im letzten Oktober<br />
49 Prozent an der Solarion AG, was dem<br />
asiatischen Großkonzern immerhin 40<br />
Millionen Euro Wert war.<br />
Der Einstieg in die Serienfertigung im<br />
neuen Werk in Zwenkau war da<strong>mit</strong> endgültig<br />
gesichert, nachdem auch der Freistaat<br />
Sachsen eine Förderung von gut 20<br />
Millionen Euro zugesagt hatte. Die neue<br />
Fabrik hat eine Jahreskapazität von 20<br />
Megawatt zur Herstellung von Solarzellen<br />
und -modulen und beschäftigt nun<br />
künftig 140 Mitarbeiter. Überdies kam<br />
unlängst <strong>mit</strong> Dr. Ottmar Koeder ein Vorstand<br />
für Produktion, Einkauf und Engineering<br />
(COO) in das Unternehmen.<br />
Koeder hatte in München auf dem Gebiet<br />
der Elektrotechnik promoviert und danach<br />
in verschiedenen Führungspositionen<br />
bei Siemens und Infineon gearbeitet.<br />
Zuletzt war er Vorstandsvorsitzender<br />
der CSG Solar AG in Bitterfeld-Wolfen.<br />
Die 1966 gegründete Walsin Lihwa<br />
Corp., die eigentlich aus dem Kabel- und<br />
Edelstahl-Sektor stammt, engagiert sich<br />
als Cleantech-Unternehmen seit Jahren<br />
zunehmend im Bereich der erneuerbaren<br />
Energien. So passte Solarion hervorragend<br />
in das Portfolio. Mithin wollen<br />
Sachsen und Chinesen nun gemeinsam<br />
auch technologisch die Dünnschichttechnologie<br />
weiter vorantreiben. »Solarion<br />
strebt nach der weltweiten Technologieführerschaft<br />
bei der industriellen<br />
Produktion von CIGS-Dünnschichtsolarzellen<br />
auf flexiblen Trägermaterialien«,<br />
versichert Otte. Da<strong>mit</strong>, hoffen er und das<br />
Solarion-Team, sich einen »bedeutenden<br />
Marktanteil« erschließen zu können.<br />
OTTE UND BRAUN: Im hart umkämpften<br />
Solarmarkt weltweit erfolgreich.<br />
Zugleich wissen sie, dass die Konkurrenz<br />
nicht schläft, besonders im asiatischen<br />
Raum. Auch deshalb riss die wissenschaftliche<br />
Kooperation zum Leibniz-<br />
Institut für Oberflächenmodifizierung<br />
wie zur Universität Leipzig nie ab.<br />
Doch auch <strong>mit</strong> weiteren namhaften<br />
Forschungseinrichtungen arbeitet man<br />
zusammen, etwa den Fraunhofer-Instituten<br />
in Halle, Freiburg und Dresden,<br />
dem Helmholtz-Zentrum in Berlin, der<br />
TU Dresden sowie dem Zentrum für Sonnenenergie-<br />
und Wasserstoffforschung<br />
in Stuttgart.<br />
Die Markteinführung der flexiblen<br />
Standardmodule auf Kunstoffträgern<br />
<strong>mit</strong> IEC-Zertifikat soll nun im nächsten<br />
Jahr erfolgen. Vorerst wird in Zwenkau<br />
eine neue Generation von Glasmodulen<br />
<strong>mit</strong> CIGS-Solarzellen in zwei verschiedenen<br />
Ausführungen produziert: zum einen<br />
starre Glas-Glas-Module, die sich für<br />
Freiflächenanlagen und Aufdachmontagen<br />
eignen. Zum anderen eine halbtransparente<br />
Variante, bei der ein Lochmuster<br />
– zum Beispiel auf Glasdächern – Lichtdurchlässigkeit<br />
bei nur minimal reduziertem<br />
Wirkungsgrad garantiert. Bereits<br />
<strong>mit</strong> diesem Produkt ist Solarion<br />
weitgehend konkurrenzlos.<br />
Harald Lachmann<br />
&<br />
WIRTSCHAFT & MARKT 03/12 15
SPECIAL<br />
Am ersten Mittwochmorgen im Oktober<br />
2005 ist Charles Anton Milner<br />
früh aufgestanden und dann <strong>mit</strong><br />
seinen Vorstandskollegen zur Frankfurter<br />
Börse gefahren. Zuvor hatte er noch<br />
einen Zettel an sie weitergereicht, darauf<br />
stand eine 50. Als nach der ersten Handelsminute<br />
eine 49 für Q-Cells auf dem<br />
elektronischen Kurs-Board auftauchte,<br />
wäre Milner am liebsten an die Decke gesprungen.<br />
Dabei hatte der Mann, dem<br />
man nachsagt, er besitze eine »Witterung<br />
für Chancen«, die Wette <strong>mit</strong> seinen<br />
Kollegen knapp verloren. Statt <strong>mit</strong> dem<br />
von ihm vorausgesagten Aktienkurs von<br />
50 Euro feierte der Solarzellenhersteller<br />
aus Thalheim (Sachsen-Anhalt) »nur« <strong>mit</strong><br />
49 Euro seinen Börseneinstand. Freilich<br />
lag da<strong>mit</strong> die Aktie, deren Emission<br />
mindestens 40-fach überzeichnet war,<br />
immer noch elf Euro über dem Emissionspreis<br />
von 38 Euro. Monate später<br />
war sie dann schon auf knapp 90 Euro<br />
angestiegen und Milners Unternehmen<br />
da<strong>mit</strong> Milliarden Euro wert.<br />
Sechs Jahre später kommen von dem<br />
Wunderkind, das im Raum Bitterfeld<br />
(Sachsen-Anhalt) das ostdeutsche Solar<br />
Valley begründet hat, ganz andere Nachrichten:<br />
Vorstandschef Milner ist weg<br />
und dem einst weltweit führenden Solarzellenhersteller<br />
ist das Geld ausgegangen.<br />
Monatelang schien das Unternehmen<br />
um ein Insolvenzverfahren nicht<br />
herumzukommen – <strong>mit</strong> allen Folgen für<br />
Belegschaft und Aktionäre. Erst als es<br />
dem jetzigen Vorstandschef Nedim Cen<br />
gelang, die Gläubiger von einer Übernahme<br />
des angeschlagenen Unternehmens<br />
zu überzeugen, keimte Hoffnung.<br />
Q-Cells, dessen Börsenwert statt Milliarden<br />
nur noch 70 Millionen Euro ausmacht,<br />
gelange laut Cen nun als fast<br />
schuldenfreies Unternehmen in die<br />
»einzigartige Position, um in einem anspruchsvollen<br />
Solarmarkt als technologisch<br />
führender Premiumanbieter wettbewerbsfähig<br />
zu sein«.<br />
Fotos: DPA, Archiv<br />
Solarindustrie<br />
Schatten im Paradies<br />
Lange fühlte sich die deutsche Solarbranche wie im Paradies.<br />
Doch asiatische Großkonkurrenz macht den hiesigen Vorzeigefirmen<br />
<strong>mit</strong> leistungsfähigen Billigangeboten das Leben sauer.<br />
Q-Cells, Solon, Conergy und Co sind in Not geraten. Derweil<br />
streitet die Politik, wie es <strong>mit</strong> der Solarförderung weitergehen soll.<br />
HÖHENLUFT GESCHNUPPERT<br />
Auf diesen Wiedergewinn von Wettbewerbsfähigkeit<br />
hoffen auch andere<br />
Schwergewichte einer Branche, die dank<br />
hoher Subventionen gerade in Ostdeutschland<br />
ihre Heimat gefunden hat.<br />
Eine ganze Dekade lang ging es für die<br />
Firmen nur steil bergauf. Und nicht nur<br />
Q-Cells stieß in die Weltspitze vor. Auch<br />
der Berliner Modulhersteller Solon, Börsenpionier<br />
der Branche, oder Solarworld,<br />
das in Freiberg (Sachsen) inzwischen drei<br />
Produktionsstandorte unterhält, schnupperten<br />
schwindelerregende Höhenluft.<br />
Angetrieben wurde ihr Aufstieg vor allem<br />
durch üppige Förderung, der sogenannten<br />
Einspeisevergütung, die jeder<br />
über 20 Jahre garantiert erhält, der<br />
Strom aus Solaranlagen ins Netz einspeist.<br />
Das Geld stammt freilich nicht<br />
vom Staat, sondern von der Gemeinschaft<br />
aller Stromkunden, die <strong>mit</strong> ihrer<br />
Stromrechnung die sogenannte EEG-Umlage<br />
finanzieren. Im vergangenen Jahr<br />
waren das 3,5 Cent pro Kilowattstunde.<br />
Da<strong>mit</strong> flossen allein 2011 fast 14 Milliarden<br />
Euro an Ökostromproduzenten – die<br />
Hälfte davon für Solarstrom.<br />
Indes, den Zellen- und Modulherstellern<br />
hat das nicht geholfen, sich gegen<br />
die asiatische Übermacht erfolgreich zur<br />
Wehr zu setzen. Vor allem die chinesische<br />
Konkurrenz hat die deutschen Anbieter<br />
unsanft aus ihrem »Schlaf hoch<br />
über den Wolken« geweckt. Schlimmer<br />
noch, nun droht gar der jähe Absturz der<br />
subventionsgetriebenen Himmelsstürmer.<br />
Die Berliner Solon AG, die allein in<br />
der Hauptstadt 500 Arbeitsplätze unterhält,<br />
musste schon Insolvenz anmelden<br />
und hofft nun, dass das indisch-arabische<br />
Solarunternehmen Microsol seine<br />
Übernahmepläne in die Tat umsetzt.<br />
Bereits übernommen wurde der<br />
Chemnitzer Solarmaschinenbauer Roth<br />
& Rau vom Schweizer Technologiekonzern<br />
Meyer Burger, der da<strong>mit</strong> den einstigen<br />
Börsengänger und Vorzeigebetrieb<br />
vor dem Aus bewahrte. Berauscht von Erfolgen<br />
hatten die Gründer nach Meinung<br />
von Experten erhebliche Managementfehler<br />
begangen. Roth und Rau hätten,<br />
hieß es, zu viel und alles zu schnell gewollt<br />
– <strong>mit</strong>hin seien sie auf dem Weg<br />
zum Komplettanbieter von Anlagen gescheitert.<br />
Nun ist Sanierung angesagt,<br />
was voraussichtlich 200 der 1.350 Mitarbeiter<br />
den Job kosten dürfte. Auch der<br />
16 WIRTSCHAFT & MARKT 03/12
SPECIAL<br />
Bosch-Konzern hat sich <strong>mit</strong> der Übernahme<br />
der Erfurter Ersol AG und des Modulherstellers<br />
Aleosolar, der in Prenzlau<br />
(Uckermark) ein hochleistungsfähiges<br />
Werk unterhält, nicht nur ein Stück solare<br />
Zukunft gekauft, sondern auch erhebliche<br />
finanzielle Belastungen ins Haus<br />
geholt. Der Solarzweig dürfte das Boschergebnis<br />
2011 <strong>mit</strong> einer halben Milliarde<br />
Euro belastet haben – und eine wirkliche<br />
Tendenzwende ist nicht in Sicht.<br />
schäftigt, soll schon im Januar keine Löhne<br />
mehr gezahlt haben. First Solar wiederum<br />
lässt seit März seine 1.200 Mitarbeiter<br />
in den beiden Frankfurter Betrieben<br />
kurzarbeiten. Und Conergy hatte<br />
bereits im Sommer 2011 <strong>mit</strong>geteilt, dass<br />
die Wafer- und Zellfertigung in Frankfurt<br />
Oder »vorläufig« eingestellt wird.<br />
Die Potsdamer Landesregierung, die<br />
allein in den Ausbau dieser drei Frankfurter<br />
Firmen in den letzten zehn Jahren<br />
knapp 56 Millionen Euro Steuergelder<br />
gepumpt hat, bangt nun um ihre »Solarhauptstadt«<br />
Frankfurt (Oder). Deren Untergang<br />
wäre für das ostdeutsche Land<br />
dramatisch. Schließlich sind inzwischen<br />
in Brandenburg in der Solarindustrie<br />
mindestens 4.500 Leute beschäftigt. Und<br />
Solar galt im Braunkohleland Brandenburg<br />
bislang als zukunftsfähigere Branche<br />
als der Bergbau in der Lausitz – genauso<br />
wie Solar Valley, das Herzstück der<br />
<strong>mit</strong>teldeutschen Solarindustrie.<br />
Auf den ersten Blick hat Ostdeutschland<br />
die ökologische Wende bei der<br />
Energieerzeugung vollzogen. Rauchende<br />
Schlote sind verschwunden, das einzige<br />
ostdeutsche Groß-Kernkraftwerk ist so<br />
gut wie abgebaut, dafür drehen sich nun<br />
zwischen Kap Arkona und dem Fichtelgebirge<br />
bald über 10.000 Windräder. Die<br />
weltweit größten Solarparks haben sich<br />
auf Industriebrachen und auf Militärgelände<br />
angesiedelt. Allein in 17 von 20<br />
Braunkohletagebauen wurden die Arbeiten<br />
eingestellt. Und da<strong>mit</strong> verloren über<br />
50.000 Bergleute ihren Arbeitsplatz.<br />
Umso wichtiger waren die neuen Stellen,<br />
die <strong>mit</strong>tels der Gigawatt-Transferunion<br />
im Osten geschaffen wurden. Die ostdeutsche<br />
Solarindustrie beschäftigt direkt<br />
und indirekt derzeit schon mehr als<br />
15.000 Leute.<br />
WOLKEN ÜBER DER »SOLARSTADT«<br />
Dunkle Wolken schließlich auch über<br />
der »Solarstadt« Frankfurt (Oder). Nach<br />
dem schon lange Zeit schwer in Bedrängnis<br />
geratenen Hamburger Conergy-Konzern,<br />
der in der Oderstadt die Industrieruine<br />
»Chipfabrik« zumindest zeitweilig<br />
zu neuem, sprich solaren Leben erweckte,<br />
sind nun auch der amerikanische Solarriese<br />
First Solar und der Modulhersteller<br />
Odersun in argen Nöten. Die AG, die<br />
2002 gegründet wurde und sich wie First<br />
Solar auf Dünnschichtmodule spezialisiert<br />
hat, ist über den Status eines Markteinsteigers<br />
nie hinausgekommen. Das<br />
Management sucht nun nach einem Investor.<br />
Die Sache scheint dringend, Odersun,<br />
das in Frankfurt 260 Mitarbeiter be-<br />
RASANTER PREISVERFALL<br />
Zur Wahrheit gehört aber auch, dass die<br />
Solarunternehmen – und das gilt für Ost<br />
wie West – ohne staatliche Ansiedlungshilfen<br />
und EEG-Subventionen bisher<br />
nicht lebensfähig sind. Und nicht einmal<br />
das, so scheint’s, reicht jetzt aus, sie auch<br />
weiterhin am Leben zu erhalten. Die Firmen<br />
werden gleich von mehreren Seiten<br />
in die Zange genommen. Überkapazitäten<br />
und ein rasanter Preisverfall machen<br />
der Branche das Leben sauer. Für deutsche<br />
Anbieter wichtige Auslandsmärkte<br />
brechen weg, weil etwa Spaniens klamme<br />
Regierung, wie schon zuvor Italien,<br />
die Solarförderung radikal gekürzt hat.<br />
Finanzugang<br />
der; ‹<strong>mit</strong>telständisch›: Möglichkeit der Finanzierung<br />
<strong>mit</strong> einem verlässlichen Partner; für den flexiblen und<br />
innovativen Mittelstand, auch in unsicheren Zeiten.<br />
Deutsche Bank<br />
firmenkunden.db.com<br />
Die Deutsche Bank für den Mittelstand.<br />
Ein leistungsfähiger Mittelstand ist von fundamentaler Bedeutung<br />
für Deutschland. Die Deutsche Bank unterstützt<br />
ihn dabei <strong>mit</strong> individuell zugeschnittenen Finanzlösungen.<br />
Vom Betriebs<strong>mit</strong>tel- über den Investi t ionskredit bis hin zu<br />
öffentlichen Förderprogrammen stehen wir dem Mittelstand<br />
als zuverlässiger, langfristiger Finanzpartner zur Seite. In<br />
Deutschland und weltweit.<br />
Mit unserer umfangreichen Branchenerfahrung unterstützen<br />
wir den Mittelstand, die richtigen finanziellen Entscheidungen<br />
zu treffen. Uns vertraut heute jedes vierte <strong>mit</strong>telständische<br />
Unternehmen – vom Frei berufler über das Familienunternehmen<br />
bis hin zur Aktiengesellschaft.<br />
WIRTSCHAFT & MARKT 03/12 17
SPECIAL<br />
SOLARINDUSTRIE OST: Wiedergewinnung von Technologieführerschaft ist geboten.<br />
Auch auf dem Heimatmarkt tun sich die<br />
deutschen Anbieter immer schwerer.<br />
Mehr und mehr chinesische Unternehmen<br />
drängen nach Europa und da<strong>mit</strong><br />
auch auf den deutschen Markt. Konzerne<br />
wie Yingli oder Suntech haben daheim<br />
riesige Fertigungskapazitäten aufgebaut<br />
und zugleich draußen erste Konkurrenten<br />
übernommen, so auch in Deutschland.<br />
Sie sind da<strong>mit</strong> zu den Topanbietern<br />
auf dem Weltmarkt aufgestiegen – nicht<br />
zuletzt weil sie ein Fünftel billiger als<br />
ihre deutsche Konkurrenz produzieren.<br />
Entsprechend günstig verkaufen die Chinesen<br />
nun ihre Zellen, Module, Anlagen<br />
und Ausrüstungen.<br />
2012 – JAHR DER ENTSCHEIDUNGEN<br />
Wer trotz sinkender staatlicher Vergütung<br />
<strong>mit</strong> Solarstromerzeugung auf dem<br />
Dach weiterhin kräftig Rendite machen<br />
will, der greift mehr und mehr zu chinesischen<br />
Produkten. Was 2011 zu einem<br />
unerwarteten Installationsrekord führte,<br />
von dem deutsche Firmen so wenig wie<br />
noch nie hatten. Im vergangenen Jahr<br />
wurden Photovoltaik-Anlagen (PV-Anlagen)<br />
<strong>mit</strong> einer Leistung von insgesamt<br />
rund 7.500 Megawatt (MW) neu installiert.<br />
Fast die Hälfte davon noch im Dezember,<br />
weil in dieser Zeit die Modulpreise<br />
weiter gesunken sind und zum<br />
Jahreswechsel die turnusmäßige Förderkürzung<br />
drohte.<br />
Nicht wenige Experten glauben, dass<br />
2012 zum »Jahr der Entscheidung« für<br />
die deutsche Solarindustrie wird. Absehbar<br />
ist schon jetzt, dass es Unternehmen,<br />
die sich ausschließlich auf die Zellenund<br />
Modulherstellung konzentrieren,<br />
schwer haben werden, langfristig zu<br />
überleben. Zumal von der deutschen Politik<br />
eher Ungemach als erhöhte Fürsorge<br />
droht.<br />
NEUE LÄNDER STÜTZEN RÖTTGEN<br />
Umwelt- und Wirtschaftsministerium<br />
streiten seit Monaten heftig um die Förderung<br />
der ins Gerede gekommenen<br />
Photovoltaik, die die Verbraucher seit<br />
2.000 <strong>mit</strong> bis zu 100 Milliarden Euro unfreiwillig<br />
gesponsert haben. Sie stützten<br />
da<strong>mit</strong> eine Technik, die trotz immensen<br />
finanziellen Aufwandes bisher nur etwa<br />
ein bis zwei Prozent des deutschen<br />
Stromverbrauchs decken kann und da<strong>mit</strong><br />
eine Vermögensverschwendung sondergleichen<br />
darstellt. Das jedenfalls<br />
meint die stark anschwellende solare<br />
Gegnerschaft.<br />
Wirtschaftsminister Philipp Rösler<br />
(FDP) will darum die Kosten künftig<br />
klein halten – zum Beispiel, indem »par<br />
ordre du Mufti« nur noch eine bestimmte<br />
Zahl von Anlagen pro Jahr gebaut<br />
werden darf. Umweltminister Norbert<br />
Röttgen (CDU) befürchtet dagegen, dass<br />
die deutsche Solarindustrie <strong>mit</strong> einer<br />
Deckelung der Neuanlagen-Jahreskapazität<br />
und der staatlichen Förderung abgewürgt<br />
werden könnte.<br />
Unterstützung erhält Röttgen von den<br />
CDU-geführten ostdeutschen Ländern<br />
Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen.<br />
Die drei Länderchefs drohen, die Novellierung<br />
des Erneuerbaren-Energien-Gesetzes<br />
im Bundesrat zu blockieren, falls<br />
darin Kürzungen der Solartarife festgeschrieben<br />
werden – Ausgang bislang offen.<br />
Zwar ist die Bundesregierung gegenüber<br />
der Europäischen Kommission<br />
verpflichtet, ihre Position zu den von der<br />
EU geplanten Energiesparrichtlinien in<br />
Brüssel vorzutragen. Doch davon ist man<br />
noch weit entfernt. Mitte Februar, zum<br />
Redaktionsschluss dieser W&M-Ausgabe,<br />
war noch keine Einigung in Sicht.<br />
Wirklich retten aber kann die Politik<br />
die deutsche Solarindustrie sowieso<br />
nicht. Die Industrie muss sich erst einmal<br />
selbst helfen, zum Beispiel <strong>mit</strong> dem<br />
Ausbau oder der Wiedergewinnung ihrer<br />
Technologieführerschaft. Dabei sind<br />
Systemlösungen gefragt, für die eine<br />
zielgerichtete Forschung und staatlich<br />
geförderte Forschungskooperation unabdingbar<br />
sind. In Schkopau (Sachsen-<br />
Anhalt), <strong>mit</strong>ten im <strong>mit</strong>teldeutschen<br />
Solar Valley, ist dafür ein Modultechnologiezentrum<br />
entstanden, in dem Wissenschaftler<br />
verschiedener Disziplinen an<br />
der Entwicklung neuer Verfahren für<br />
Solarzellen und -module arbeiten.<br />
»Qualität, Herstellungskosten und<br />
höherer Wirkungsgrad sind die Schlüssel<br />
um konkurrenzfähig zu bleiben«, sagt<br />
Sachsen-Anhalts Ministerpräsident Reiner<br />
Haseloff (CDU), der sich von dem<br />
Fraunhofer CSP Zentrum einen neuen Innovationsschub<br />
für die Solarbranche in<br />
Mitteldeutschland und dem ganzen<br />
Osten verspricht. Gerade in wirtschaftlich<br />
schwierigen Zeiten, so der Ministerpräsident,<br />
brauchten die Unternehmen<br />
in Solar Valley diesen Forschungsverbund,<br />
um ihre weltweite Spitzenstellung<br />
sichern zu können.<br />
NETZPARITÄT IN AUSSICHT<br />
Haseloff hat recht: Marktwachstum, Kostendruck,<br />
harte Konkurrenz aus Fernost<br />
zwingen die deutschen Hersteller zu Innovationen.<br />
Es geht um Produkte, Techniken<br />
und Technologien, die weniger<br />
Rohstoffe benötigen und mehr Licht in<br />
Strom umwandeln. Übergreifendes Ziel<br />
dabei ist es, den Solarstrom billiger zu<br />
machen als den konventionellen Strom<br />
aus der Steckdose, der immer noch zu<br />
großen Teilen aus nicht regenerierbaren<br />
Rohstoffen erzeugt wird.<br />
Fachleute sprechen von sogenannter<br />
»Netzparität«, wenn die Preise für Solarstrom<br />
auf gleichem Niveau oder sogar<br />
unter den Tarifen der regionalen Energieversorger<br />
liegen. Professor Jörg Bagdahn,<br />
Chef des Hallenser CSP-Zentrums,<br />
geht davon aus, dass der <strong>mit</strong>teldeutsche<br />
Solarverbund den Sonnenstrom bis spätestens<br />
Ende 2013 auf diese Parität bringen<br />
wird. Dann explodiere der Markt,<br />
sagt Bagdahn. Und das Image vom teuren,<br />
hoch subventionierten Solarstrom<br />
werde verblassen.<br />
Steffen Uhlmann<br />
&<br />
18 WIRTSCHAFT & MARKT 03/12
ENERGIEMARKT<br />
Das Geld wird im<br />
Einkauf verdient<br />
Anzeige<br />
Mittelständische Unternehmen <strong>mit</strong> hohem Energiebedarf<br />
stehen heute mehr und mehr vor der Frage, wie sie ihre<br />
Einkaufskonditionen optimieren können. Ohne einen<br />
innovativen Energieversorger an der Seite geht das kaum.<br />
Wer heute als Unternehmen seinen<br />
Energieeinkauf optimieren<br />
will, dem bieten sich neue<br />
Chancen am Markt. Mit fachkundiger<br />
Unterstützung kann da<strong>mit</strong> effektiv die<br />
immer höher werdende Steuer- und Abgabenlast<br />
teilweise kompensiert werden.<br />
Die gesetzlichen Steuern und Abgaben<br />
werden weiter zunehmen. Das sieht zumindest<br />
der Bundesverband der Energie<br />
und Wasserversorgung (BDEW) so. Allein<br />
die EEG-Umlage ist Anfang des Jahres auf<br />
3,592 ct/kWh (netto) gestiegen. Zusätzlich<br />
hatderGesetzgeberden§19Absatz2der<br />
Stromnetzgeltverordnung (StromNEV)<br />
geändert. Neu ist, dass energieintensive<br />
Unternehmen <strong>mit</strong> einer Jahresabnahmemenge<br />
größer 10.000.000 kWh und 7.000<br />
Benutzungsstunden von den Netznutzungsentgelten<br />
befreit werden können.<br />
Dafür müssen die Unternehmen bei der<br />
Bundesnetzagentur einen entsprechenden<br />
Antrag stellen.<br />
Die entstehenden Kosten werden ab dem<br />
01.01.2012 auf alle Kunden verteilt. Für<br />
den Stromverbrauch bis 100.000 kWh/Jahr<br />
zahlen die Unternehmen in 2012 zusätzlich<br />
auf ihren Strompreis eine Umlage<br />
von0,151ct/kWh(netto),fürjedeweitere<br />
Kilowattstunde 0,05 ct/kWh (netto).<br />
Details können auf der Seite der Übertragungsnetzbetreiber<br />
www.eeg-kwk.net<br />
nachgelesen werden.<br />
Neben Steuern und Abgaben, die rund 39<br />
Prozent ausmachen, setzt sich der Strompreis<br />
aus weiteren Bestandteilen zusammen:<br />
22 Prozent sind Netzentgelte der<br />
Versorgungsunternehmen. Weitere 39<br />
Prozent sind Strombeschaffungskosten<br />
derEEX(EuropeanEnergyExchange)in<br />
Leipzig.<br />
STROMHANDEL AN DER BÖRSE<br />
Die EEX ist die Stromhandelsbörse, an<br />
der die Preise täglich neu bestimmt<br />
werden.HierhandelnEnergieerzeuger,<br />
Stadtwerke und Energieverkäufer Strom,<br />
Erdgas und CO 2<br />
. Die täglichen Schwankungen<br />
der Energiepreise sind für viele<br />
Unternehmenleidersehrschwereinzuschätzen,<br />
den optimalen Kaufzeitpunkt<br />
zu treffen fast unmöglich. Gründe dafür<br />
sind eine Vielzahl von Einflussfaktoren.<br />
VorallemdieweltweitenRohstoffpreise<br />
können sich negativ wie positiv auf den<br />
Energiepreis auswirken.<br />
VERSCHIEDENE<br />
BESCHAFFUNGSMODELLE<br />
Daher ist gut beraten, wer sich nicht <strong>mit</strong><br />
einereinzigenKaufentscheidungbeiseinem<br />
Energieversorger preislich bindet,<br />
sondern über alternative Beschaffungsmöglichkeiten<br />
nachdenkt. So bieten Energieversorger<br />
zwischenzeitlich die verschiedensten<br />
Einkaufsmöglichkeiten für<br />
Strom und Erdgas an. Zum Standard gehören<br />
inzwischen Fonds- und Tranchenprodukte.<br />
Bei diesen Beschaffungsmodellen<br />
kann der Kunde zwischen mehreren<br />
selbst definierten Einkaufszeitpunkten<br />
(Tranchenprodukt)oderüberEinkaufszeiträume<br />
von bis zu maximal einem<br />
Jahr (Fondsprodukt) wählen. Zusätzlich<br />
entwickeln die Energieversorger weitere<br />
Produkte,umdas Risiko desfalschen Einkaufszeitpunktes<br />
zu minimieren.<br />
Ein solches Energieunternehmen ist<br />
die ENSO AG aus Dresden. Der regionale<br />
Energiedienstleister verkauft Strom,<br />
Erdgas und Wärme auch außerhalb von<br />
Ostsachsen. Seinen Geschäftskunden<br />
bietet das Unternehmen ab einem Stromverbrauch<br />
von 100.000 kWh/Jahr und bei<br />
einem Erdgasverbrauch ab 500.000 kWh/<br />
Jahr verschiedenste auf das Unternehmen<br />
zugeschnittene Beschaffungsmodelle<br />
und Energieeffizienzmaßnahmen an.<br />
ENERGIEEINSPARPOTENZIALE<br />
ERMITTELN<br />
Potenziale im Energieverbrauch können<br />
durchindividuelleEnergieberatung,<br />
durch Erarbeitung von zukunftsorientierten<br />
Anlage- und Energiekonzepten<br />
und durch die Einführung ganzheitlicher<br />
Energiemanagementsysteme generiert<br />
werden. Beispielsweise sind mögliche<br />
Steuervergünstigungen zukünftig<br />
anderEinführungeineszertifizierten<br />
Energiemanagementsystems (EMS) geknüpft.<br />
Die daraus entstehenden Kosten<br />
und Investitionen amortisieren sich oft<br />
in weniger als drei Jahren.<br />
In diesem Bereich ist die ENSO AG <strong>mit</strong><br />
dem TÜV Süd Industrie Services GmbH<br />
(TÜV Süd) eine langfristige Kooperation<br />
eingegangen. Gemeinsam bieten sie ein<br />
breites Beratungsspektrum an.<br />
CHANCEN MIT DEZENTRALER<br />
ENERGIEERZEUGUNG<br />
FürKunden<strong>mit</strong>hohemWärmebedarf<br />
können sich bei einer dezentralen Energieerzeugung<br />
hohe Einsparpotenziale<br />
ergeben. Ob diese <strong>mit</strong> erneuerbaren<br />
Energien oder <strong>mit</strong> modernen Blockheizkraftwerken<br />
erfolgt, hängt vor allem von<br />
den Rahmenbedingungen der einzelnen<br />
Unternehmen ab.<br />
Wer heute als Unternehmen seinen Energieeinkauf<br />
optimiert und alle Chancen<br />
am Markt nutzt, gewinnt einen entscheidenden<br />
Wettbewerbsvorteil.<br />
SPRECHEN SIE UNS AN.<br />
WIR BERATEN SIE GERN!<br />
ENSO Energie Sachsen Ost AG<br />
01064 Dresden<br />
Rico Felix<br />
Telefon: 0351 468-3424<br />
E-Mail: Rico.Felix@enso.de
ANALYSE<br />
Finanzmärkte 2012<br />
Zeit für<br />
neue<br />
Strategien<br />
Investmentfondsanteile bieten<br />
noch immer große Chancen<br />
bei kalkulierbaren Risiken –<br />
allerdings müssen Anleger<br />
umdenken. Emerging Markets<br />
und Multiasset-Fonds <strong>mit</strong><br />
vermögensverwaltendem<br />
Charakter sind die richtige<br />
Antwort auf die Finanzkrise.<br />
Die schwere weltweite Finanzkrise<br />
hat auch in der Investmentbranche<br />
»eherne« Anlegerwahrheiten<br />
hinweggespült wie ein Tsunami: Zehn<br />
Jahre Haltedauer reichen, um bei Aktienfonds<br />
Börseneinbrüche <strong>mit</strong> Gewinn auszusitzen?<br />
– Lange vorbei! Inzwischen<br />
genügen nicht mal mehr 15 Jahre, um<br />
wieder ins Plus zu kommen. Seit Beginn<br />
des Jahrtausends rissen die Börsen die<br />
Kurse schon zweimal in beängstigende<br />
Tiefen. Viele Aktienfonds kommen deshalb<br />
im Rückblick über zehn bis 15 Jahre<br />
auf keinen grünen Zweig.<br />
Auch die Strategie, bedarfsspezifische<br />
Produkte anzubieten wie Aktienfonds<br />
für Chancenorientierte, Rentenfonds für<br />
Sicherheitsfanatiker und Mischfonds für<br />
alle, die sich nicht entscheiden können,<br />
gehört schon lange zum Alteisen. Vorbei<br />
ist es <strong>mit</strong> dem »sicheren Hafen« der Offenen<br />
Immobilienfonds, seitdem einige<br />
die Rücknahme von Anteilen einstellen<br />
mussten und manche sogar abgewickelt<br />
werden. Auch Absolute Returnfonds können<br />
ihr Versprechen kaum einhalten<br />
und liefern selten die »absolute Rendite«.<br />
NEUE SUPERMÄCHTE<br />
Massiven Schaden genommen hat auch<br />
der Glaube an den Wert des heimischen<br />
»Investmentherdes«. Der Glanz von deutschen<br />
Aktien und deutschen Anleihen ist<br />
verblasst, ebenso wie der von Wertpapieren<br />
aus dem Euroland. Die USA sind<br />
schon lange keine sichere Zufluchtstätte<br />
deutscher Investmentanleger mehr, japanische<br />
Aktien gehören schon seit vielen<br />
Jahren zu den Koma-Papieren.<br />
Stattdessen glänzen neue Sterne am<br />
Investmentfirmament. Aktien und Anleihen<br />
aus Brasilien, Russland, Indien und<br />
China werden von den Investmentgesellschaften<br />
als neue Hoffnungsträger gepriesen.<br />
Nach den Anfangsbuchstaben<br />
dieser Länder heißt die Strategie BRIC.<br />
Seitdem die aufstrebenden Volkswirtschaften<br />
dieser vier Länder die von der<br />
STUDIE<br />
Umfrage sieht China ganz weit vorn<br />
Wer ist die ökonomische Supermacht von Morgen? (Stand: 2011, in Prozent)<br />
China<br />
Indien<br />
USA<br />
Russland<br />
Deutschland<br />
weiß nicht<br />
0 10 20 30 40 50<br />
Quelle: GfK/Schroders<br />
Finanzkrise gebeutelten Industrieländer<br />
Europas – allen voran Deutschland – aus<br />
der Bredouille gerettet haben, werden<br />
Investmentmanager nicht müde, uns die<br />
Investmentzukunft in den Farben dieser<br />
Länder schönzumalen. Die Bevölkerung<br />
dieser Staaten ist überwiegend jung,<br />
die Mittelschicht konsumhungrig, die<br />
Wachstumsraten sind beeindruckend<br />
oder die Ressourcen (Russland) enorm.<br />
Die Risiken sind es aber auch: Investmentblasen,<br />
Inflationsgefahren, politische<br />
Unsicherheiten, ethnische Spannungen,<br />
Währungsrisiken.<br />
Deshalb tun sich deutsche Anleger<br />
schwer <strong>mit</strong> der Umorientierung auf die<br />
Schwellenländer, neudeutsch: Emerging<br />
Markets. Nach dem von der Schroder Investment<br />
Management GmbH und der<br />
Gesellschaft für Konsumforschung (GfK)<br />
gemeinsam erstellten Investmentbarometer<br />
steht Deutschland zwar immer<br />
noch ganz oben auf der Liste der Anlageziele,<br />
aber <strong>mit</strong> stark abnehmender Tendenz.<br />
Haben die Anleger im Jahr 2008<br />
noch zu 83 Prozent in deutsche Titel investiert,<br />
ist der Anteil danach Jahr für<br />
Jahr gesunken. 2011 betrug er nur noch<br />
71 Prozent. Und dieser Trend wird sich<br />
fortsetzen. Für die kommenden 24 Monate<br />
sehen nur noch 58 Prozent der Befragten<br />
Deutschland als potenzielles Anlageziel<br />
Nummer eins.<br />
Parallel dazu hat die internationale Diversifikation<br />
zugenommen. Gewinner<br />
sind – wenn auch auf sehr niedrigem<br />
Niveau – China und Russland. Aber auch<br />
die Anzahl der Unentschiedenen hat zugenommen.<br />
Europas Stern ist in der<br />
Gunst der Anleger im Sinken begriffen.<br />
<strong>Nur</strong> noch 28 Prozent der in der Studie Befragten<br />
planen in den kommenden 24<br />
Monaten in Europa zu investieren.<br />
UMFASSENDE BERATUNG<br />
Gedanklich haben die Anleger ihr geopolitisches<br />
Weltbild bereits umsortiert. Für<br />
mehr als die Hälfte ist China die wirtschaftliche<br />
Supermacht von Morgen. Das<br />
Vertrauen in das Land der Mitte wächst<br />
weiterhin stark. Allerdings klafft da eine<br />
große Lücke zwischen Überzeugungen<br />
und Taten. Denn obwohl 54 Prozent der<br />
Anleger China als die kommende Supermacht<br />
ansehen, wollen nur 19 Prozent<br />
ihr Kapital innerhalb der kommenden<br />
24 Monate dort investieren. Fast jeder<br />
Zweite, der an China glaubt, hält sich<br />
<strong>mit</strong> Investitionen im Reich der Mitte<br />
zurück. Das zeige, dass vielen Anlegern<br />
der Mut für Auslandsinvestitionen fehlt,<br />
lautet die Interpretation von Schroder<br />
Investment.<br />
Als der Hauptgrund für diese Investitionsaversion<br />
gilt bei der Mehrheit der<br />
20 WIRTSCHAFT & MARKT 03/12
ANALYSE<br />
Anleger (52,8 Prozent) ein zu geringer<br />
Kenntnissstand und weitere 45 Prozent<br />
scheuen das Risiko.<br />
Mehr Informationen brächten also<br />
mehr Sicherheit für die Anleger. Da sind<br />
vor allem die Investmentgesellschaften<br />
in der Pflicht. Wer Geld in den neuen<br />
Wachstumsmärkten anlegen will, sollte<br />
deshalb auf umfassender Beratung bestehen.<br />
Das gilt umso mehr für die jüngsten<br />
Hoffnungsträger am Aktienfondsmarkt,<br />
diejenigen Volkswirtschaften unter den<br />
Schwellenländern, die den BRICs folgen.<br />
Auch sie rangieren unter einem griffigen<br />
Sammelbegriff. »Next Eleven (N11)« – die<br />
nächsten elf – so jedenfalls hat sie Jim<br />
O’Neill, Chairman von Goldman Sachs<br />
Asset Management, genannt, der vor gut<br />
zehn Jahren bereits BRIC in die Welt<br />
gesetzt hatte. Mitunter werden sie auch<br />
als Frontier-Märkte bezeichnet.<br />
GEFRAGTE ASIEN-ANLEIHEN<br />
Ägypten, Bangladesh, Indonesien, Iran,<br />
Mexiko, Nigeria, Pakistan, Philippinen,<br />
Südkorea, Türkei und Vietnam sind die<br />
»nächsten elf«, die das Zeug haben, zu<br />
den BRIC-Staaten aufzuschließen und in<br />
den kommenden Jahren die etablierten<br />
Industrienationen wirtschaftlich einzuholen<br />
oder sogar von ihren Führungsplätzen<br />
zu vertreiben. Gemessen am<br />
Bruttoinlandsprodukt wird die Welt im<br />
Jahr 2050 anders aussehen als heute,<br />
prognostiziert Goldman Sachs: Nach<br />
China, der dann <strong>mit</strong> Abstand größten<br />
Volkswirtschaft der Erde, werden die<br />
USA, Indien, Japan, Brasilien, Mexiko<br />
und Russland auf den Plätzen rangieren.<br />
Deutschland wird dann ungefähr um<br />
Rang zehn herum dümpeln, die anderen<br />
EU-Länder – <strong>mit</strong> Ausnahme von Frankreich<br />
– landen noch weiter hinten.<br />
Die Orientierung auf Emerging Markets<br />
gilt übrigens nicht nur für Aktien.<br />
Weil die Haushalte der potenten Schwellenländer<br />
deutlich besser in Schuss sind<br />
als die Staatsetats der hochverschuldeten<br />
Industrieländer, sind auch Anleihen aus<br />
Emerging Markets erste Wahl. Es ist<br />
nicht absehbar, dass sich daran etwas ändern<br />
sollte. Wem die Aktienmärkte dieser<br />
Länder zu riskant sind, der kann getrost<br />
auf Anleihen setzen. Auch die Währungen<br />
dieser Länder sind nicht mehr<br />
tabu. Anleihen und Einlagen, die auf den<br />
chinesischen Renminbi lauten, wurden<br />
und werden seit vergangenem Jahr von<br />
namhaften europäischen Unternehmen<br />
sowohl begeben als auch gezeichnet.<br />
Die fortschreitende Liberalisierung des<br />
chinesischen Kapitalmarktes eröffnet<br />
ausländischen Anlegern die Möglichkeit,<br />
jenseits des Aktienmarktes – und so<strong>mit</strong><br />
unter Ausschaltung des Risikos einer<br />
zeitweise hohen Kursvolatilität – an der<br />
Dynamik Chinas teilzuhaben.<br />
BESSERE VERMÖGENSVERWALTUNG<br />
Da ist viel Hoffnung im Spiel und natürlich<br />
auch viel Risiko – und da<strong>mit</strong> sind<br />
es auch große Chancen. Wem das allerdings<br />
zu heiß ist, der orientiert sich<br />
nicht nach Regionen oder bestimmten<br />
Assetklassen, sondern setzt auf das Management.<br />
Gefragt sind mehr denn je<br />
Managementstrategien, die sowohl in<br />
guten wie in schlechten Börsenzeiten Gewinne<br />
sichern und Verluste soweit als<br />
möglich vermeiden. Fonds, die sowohl in<br />
Aktien als auch in Anleihen, Derivate,<br />
Währungen, Rohstoffe und Immobilien<br />
investieren, und die – wenn es mal ganz<br />
schlimm kommt – das Fondsvermögen<br />
sogar weitgehend in Cash halten können,<br />
um es vor der Vernichtung an den<br />
Börsen zu bewahren. Solche Strategien<br />
konnten sich früher nur Vermögensverwalter<br />
von Family Offices leisten, jene<br />
diskreten Geldvermehrer der ohnehin<br />
Reichen und Begüterten.<br />
Als Erste haben kleine Fondsboutiquen<br />
diesen Stil nachgeahmt und ihn da<strong>mit</strong><br />
auch breiten Kreisen von Anlegern zugänglich<br />
gemacht. Inzwischen bieten<br />
immer mehr Fondsgesellschaften so genannte<br />
Multi-Asset-Fonds an, die vermögensverwaltenden<br />
Charakter auch für<br />
kleine und <strong>mit</strong>tlere Geldbeutel haben.<br />
REGLEMENTIERTE FINANZMAKLER<br />
Stellt sich für den gemeinen Anleger die<br />
Frage, wo sind Anteile solcher Fonds am<br />
besten zu kaufen? Die Antwort: Weder<br />
im Internet noch beim »Allfinanz-Vermögensoptimierer«<br />
noch am Bankschalter.<br />
Die erste Adresse dafür sind unabhängige<br />
Finanzmakler. Jetzt erst recht! Denn<br />
deren Job wird seit diesem Jahr reglementiert.<br />
Die Anforderungen an die<br />
sachgerechte Beratung und Haftung<br />
solcher Makler wurden erhöht.<br />
Dokumentation der Beratung im Protokoll,<br />
Vermögensschaden-Haftpflichtversicherung,<br />
Übergabe von Produktinformationsblättern,<br />
Registrierung und<br />
Sachkundenachweis können die Kunden<br />
künftig von unabhängigen Finanzmaklern<br />
erwarten. Das garantiert natürlich<br />
keine Investmentrendite, sorgt jedoch<br />
für deutlich mehr Transparenz und Beratungssicherheit.<br />
Hans Pfeifer<br />
&<br />
WIRTSCHAFT & MARKT 03/12 21
INTERVIEW<br />
Ernst Burgbacher, Parlamentarischer Staatssekretär im Bundesministerium für<br />
Wirtschaft und Technologie und Beauftragter der Bundesregierung für Mittelstand<br />
und Tourismus, zur Entwicklung der deutsch-chinesischen Zusammenarbeit<br />
»Engagement keine Einbahnstraße«<br />
Foto: BMWi<br />
W&M: Herr Burgbacher, Ende des Jahres 2011<br />
hat die dritte Runde der deutsch-chinesischen<br />
Mittelstandskonsultationen in Taicang stattgefunden.<br />
Was sollen diese Treffen bewirken<br />
und was ist bei der jüngsten Begegnung herausgekommen?<br />
BURGBACHER: Die deutsch-chinesischen<br />
Mittelstandskonsultationen sind nicht<br />
nur Ausdruck dafür, dass wir auf Regierungsebene<br />
enger in allen Fragen der<br />
Mittelstandspolitik zusammenarbeiten.<br />
Unser Ziel ist es auch, ganz konkrete<br />
Maßnahmen für Mittelständler zu entwickeln<br />
und zu unterstützen. Zu nennen<br />
ist beispielsweise das im Jahr 2007 ins Leben<br />
gerufene deutsch-chinesische Managerfortbildungsprogramm.<br />
140 chinesische<br />
Manager konnten hierdurch bereits<br />
persönliche Erfahrungen sammeln und<br />
Kontakte <strong>mit</strong> Mittelständlern in Deutschland<br />
knüpfen. Angenehmer Nebeneffekt<br />
des Programms sind die zahlreichen Geschäftsabschlüsse<br />
zwischen den Beteiligten.<br />
Angedacht ist inzwischen, dieses<br />
Programm weiter auszubauen, so dass<br />
auch deutsche Mittelständler bald die<br />
Gelegenheit erhalten, die chinesische Geschäftskultur<br />
kennenzulernen.<br />
W&M: Ohne eine Anschubhilfe dürfte das<br />
internationale Engagement gerade kleiner<br />
und <strong>mit</strong>tlerer Unternehmen (KMU) schwer<br />
werden. Kam das zur Sprache?<br />
BURGBACHER: Sehr konkret sogar, denn<br />
die chinesische Regierung plant die Auflegung<br />
eines deutsch-chinesischen KMU-<br />
Fonds <strong>mit</strong> einem Volumen von zwei Milliarden<br />
Euro. Die China Development<br />
Bank ist zusammen <strong>mit</strong> der Kreditanstalt<br />
für Wiederaufbau gebeten worden, Vorschläge<br />
zur Ausgestaltung dieses Fonds<br />
zu entwickeln. Angesprochen haben wir<br />
auch das Thema Fachkräftesicherung,<br />
das nicht nur für deutsche Unternehmen<br />
in China zunehmend zum Problem<br />
wird. Geplant ist darüber hinaus, auf der<br />
Hannover Messe ein Memorandum of Understanding<br />
zur <strong>mit</strong>telstandspolitischen<br />
Zusammenarbeit unserer beiden Länder<br />
zu unterzeichnen. Der intensive Dialog<br />
wird aber weitergehen. Ich freue mich<br />
schon auf den Gegenbesuch der chinesischen<br />
Delegation in Deutschland in diesem<br />
Jahr.<br />
W&M: In China scheinen sich vor allem große<br />
deutsche Firmen, zum Beispiel Automobilproduzenten,<br />
zu engagieren, weniger kleine und<br />
<strong>mit</strong>tlere Unternehmen. Ein falscher Eindruck?<br />
BURGBACHER: Die öffentliche Wahrnehmung<br />
bleibt häufig bei den großen deutschen<br />
Unternehmen in China haften, obwohl<br />
es auch eine Vielzahl an hoch innovativen,<br />
international tätigen deutschen<br />
Mittelständlern dort gibt. Viele von ihnen<br />
sind schon seit Jahren <strong>mit</strong> Vertriebsfilialen<br />
und Produktionsstätten in China<br />
vertreten. Eine Studie des Deutschen Industrie-<br />
und Handelskammertages zeigt,<br />
dass für den hiesigen Mittelstand China<br />
außerhalb Europas inzwischen die wichtigste<br />
Destination für Auslandsinvestitionen<br />
ist – <strong>mit</strong> steigender Tendenz.<br />
W&M: Welchen Ruf genießt der deutsche Mittelstand<br />
in China?<br />
BURGBACHER: Er genießt in China einen<br />
so guten Ruf, dass die chinesische Regierung<br />
ihn als Zielgruppe für speziell auf<br />
ihn zugeschnittene Gewerbeparks entdeckt<br />
hat. Vielleicht rührt das Interesse<br />
der chinesischen Seite aber auch aus der<br />
eigenen Erfahrung: Der Mittelstand ist<br />
HANNOVER MESSE<br />
Partnerland China<br />
Die Volksrepublik China ist 2012 Partnerland<br />
der Hannover Messe (23.–27. April).<br />
Nach dem Staatsbesuch von Bundeskanzlerin<br />
Angela Merkel Anfang Februar dieses<br />
Jahres in China stellt Chinas Präsenz als<br />
Partnerland der Hannover Messe einen<br />
weiteren Höhepunkt in der Entwicklung der<br />
Beziehungen beider Länder da. Diese seien<br />
nach Aussage von Merkel zuletzt »ein<br />
ganzes Stück vorangekommen«. Das <strong>mit</strong><br />
mehr als 1,3 Milliarden Einwohnern bevölkerungsreichste<br />
Land wird in Hannover<br />
<strong>mit</strong> über 500 Ausstellern vertreten sein.<br />
Eines der Schwerpunktthemen sind die<br />
Energieerzeugung und Energieeffizienz.<br />
nämlich nicht nur das Rückgrat der<br />
deutschen Wirtschaft, sondern auch der<br />
chinesischen.<br />
W&M: Auf welchen Feldern ist die deutschchinesische<br />
Zusammenarbeit besonders interessant<br />
für beide Partner?<br />
BURGBACHER: Der chinesische Ministerpräsident<br />
Wen Jiabao hat bei seinem Besuch<br />
in Deutschland im Sommer vergangenen<br />
Jahres die Felder Elektromobilität,<br />
Energie, Umweltschutz, energieeffizientes<br />
Bauen und Medizin als besonders interessant<br />
für eine stärkere Zusammenarbeit<br />
benannt. Die Liste dieser Geschäftsfelder<br />
ließe sich aber <strong>mit</strong> Blick<br />
auf das angestrebte bilaterale Handelsvolumen<br />
von 200 Milliarden Euro bis<br />
zum Jahr 2015 sicherlich auch um viele<br />
andere Wirtschaftsbereiche erweitern.<br />
W&M: Gehört das wachsende Problem der<br />
Fachkräftesicherung in die Aufreihung?<br />
BURGBACHER: Auf großes Interesse bei<br />
den Chinesen ist unser duales Ausbildungssystem<br />
gestoßen. Während meiner<br />
China-Reise habe ich mir in Taicang ein<br />
Berufsbildungszentrum angesehen, das<br />
nach deutschem Vorbild arbeitet. Die<br />
größere Verbreitung des dualen Ausbildungssystems<br />
würde nicht nur den deutschen<br />
Unternehmen auf dem chinesischhen<br />
Markt bei der Sicherung ihres Fachkräftebedarfs<br />
helfen. Wir diskutieren<br />
<strong>mit</strong> unseren chinesischen Partnern auch<br />
über den Zugang zu Beschaffungs- und<br />
Rohstoffmärkten oder die Frage der wettbewerblichen<br />
Rahmenbedingungen.<br />
W&M: Wo sehen Sie künftig die größten<br />
Chancen für innovative <strong>mit</strong>telständische Unternehmen?<br />
BURGBACHER: Angesichts des kräftigen<br />
Wachstums der chinesischen Wirtschaft<br />
und der steigenden Binnenmarkt-Nachfrage<br />
sind die Chancen für deutsche Mittelständler<br />
in nahezu allen Branchen<br />
ausgezeichnet. Traditionell wichtig ist<br />
die Wirtschaftsmacht China für die deutschen<br />
Investitionsgüterhersteller. Aber<br />
<strong>mit</strong> dem Wachstum des Binnenmarktes<br />
steigt die Nachfrage, die für die Konsumgüterhersteller,<br />
aber natürlich auch für<br />
22 WIRTSCHAFT & MARKT 03/12
INTERVIEW<br />
deutsche Dienstleister besonders interessant<br />
ist. So bietet etwa die rasante Entwicklung<br />
der chinesischen Städte und<br />
der Infrastruktur vielfältige Chancen für<br />
Architekturbüros, Projektentwickler und<br />
Umweltdienstleister.<br />
W&M: Apropos Umwelt – deutsche Unternehmen<br />
gelten als führend bei anspruchsvollen<br />
umweltschonenden Technologien. Gilt das<br />
auch in China?<br />
BURGBACHER: Die Chinesen wissen, wie<br />
gut unsere Unternehmen bei der »green<br />
technology« aufgestellt sind. Bestes<br />
Beispiel dafür ist der geplante deutschchinesische<br />
Ökopark in Quingdao. Er ist<br />
als privatwirtschaftliches Pilotprojekt<br />
für Unternehmen <strong>mit</strong> sehr anspruchsvollen<br />
Energie- und Umweltstandards gedacht.<br />
Aus meinen Gesprächen weiß ich,<br />
dass die chinesische Seite nicht nur in<br />
dieser Region an deutschem Know-how<br />
zur Lösung ökologischer Fragen sehr interessiert<br />
ist.<br />
W&M: Das hört sich jetzt wie eine Empfehlung<br />
an – oder?<br />
BURGBACHER: Durchaus. Auch über die<br />
boomende »green technology« hinaus<br />
»Die Chinesen wissen,<br />
wie gut unsere Unternehmen bei<br />
GREEN TECHNOLOGY<br />
aufgestellt sind.«<br />
gilt: Wer als innovativer Mittelständler<br />
neue Märkte außerhalb Deutschlands<br />
erschließen möchte, kommt an dem chinesischen<br />
Markt <strong>mit</strong> 1,3 Milliarden Menschen<br />
kaum vorbei. »Made in Germany«<br />
genießt auch in China einen exzellenten<br />
Ruf. Allerdings sollte man – wie bei jeder<br />
anderen unternehmerischen Entscheidung<br />
auch – Chancen und Risiken sorgfältig<br />
gegeneinander abwägen.<br />
W&M: Wo sehen Sie denn die Risiken in erster<br />
Linie?<br />
BURGBACHER: Nach wie vor kämpfen<br />
viele Investoren in China <strong>mit</strong> einer Reihe<br />
von Problemen, die sie aus ihrer Heimat<br />
nicht gewohnt sind. Zum Beispiel beim<br />
Thema »Schutz geistigen Eigentums«.<br />
Dazu kommt, dass die Löhne in vielen<br />
Regionen stark gestiegen sind. Das führt<br />
dazu, dass Kostenvorteile als Standortargument<br />
zunehmend in den Hintergrund<br />
treten. China ist schon lange nicht<br />
mehr die »verlängerte Werkbank«, als die<br />
es einst vielleicht einmal wahrgenommen<br />
wurde. Davon kann man sich auch<br />
auf der Hannover Messe 2012 überzeugen,<br />
bei der China Partnerland ist.<br />
W&M: Das klingt jetzt aber nicht mehr sehr<br />
ermutigend …<br />
BURGBACHER: Doch, doch. Bange machen<br />
gilt ohnehin nicht. Wer den Markteintritt<br />
sorgfältig plant, am besten sogar<br />
<strong>mit</strong> professioneller Hilfe vor Ort, zum<br />
Beispiel durch unsere Auslandshandelskammern,<br />
hat sehr gute Chancen, an<br />
dem großen Wachstum des chinesischen<br />
Marktes zu partizipieren. Die vielen Erfolgsbeispiele<br />
deutscher Mittelständler,<br />
die diesen Weg schon beschritten haben,<br />
sind dafür der beste Beweis.<br />
W&M: Wünschenswert wären andererseits<br />
chinesische Investitionen hierzulande, namentlich<br />
in Ostdeutschland. Ist das bei den<br />
Gesprächen thematisiert worden?<br />
BURGBACHER: Ja, ich habe ausdrücklich<br />
klargestellt, dass chinesische Investitionen<br />
bei uns sehr willkommen sind.<br />
Viele deutsche Mittelständler sorgen <strong>mit</strong><br />
ihrem Engagement in China für Wachstum,<br />
Innovation und Arbeitsplätze. Den<br />
20 Milliarden Euro, die deutsche Firmen<br />
bisher in China investierten, stehen bisher<br />
lediglich 0,6 Milliarden Euro gegenüber,<br />
die von chinesischen Unternehmen<br />
in Deutschland investiert worden sind.<br />
Davon allerdings fließt ein ansehnlicher<br />
Teil auch in die neuen Bundesländer.<br />
W&M: Könnten Sie dafür konkrete Beispiele<br />
benennen?<br />
BURGBACHER: Ein chinesisches Unternehmen<br />
investiert beispielsweise mehr<br />
als 50 Millionen Euro in den Aufbau einer<br />
Produktionseinrichtung für sterile<br />
Verpackungen in Sachsen-Anhalt. Durch<br />
dieses Engagement werden bis Ende des<br />
Jahres 110 neue Arbeitsplätze geschaffen.<br />
Direktinvestitionen dürfen keine Einbahnstraße<br />
sein. Ich habe daher angeregt,<br />
dass der angedachte Zwei-Milliarden-Fonds<br />
der chinesischen Regierung<br />
unter anderem auch zur Finanzierung<br />
chinesischer Gründungsvorhaben in<br />
Deutschland genutzt wird. Davon würden<br />
dann <strong>mit</strong> Sicherheit auch die neuen<br />
Bundesländer <strong>mit</strong> ihren Standortvorteilen<br />
profitieren.<br />
Interview: Helfried Liebsch<br />
&<br />
WIRTSCHAFT & MARKT 03/12 23
SERIE<br />
M arken<br />
acher<br />
ärkte<br />
Miltitz Aromatics<br />
Ein irrer Duft<br />
von Erfolg<br />
Ein Hauch von Chanel Nr. 5 umweht<br />
das <strong>mit</strong>teldeutsche Chemiedreieck.<br />
Verantwortlich dafür sind Peter Müller<br />
und Jürgen Braband (rechts). Nach der<br />
Wende gründeten sie in Bitterfeld die<br />
Firma Miltitz Aromatics. Der Betrieb<br />
ist spezialisiert auf die Herstellung von<br />
synthetischen Riech- und Aromastoffen.<br />
Diese werden weltweit an Kunden<br />
in fast 30 Ländern exportiert.<br />
24 WIRTSCHAFT & MARKT 03/12
Fangen Sie bloß nicht da<strong>mit</strong> an, dass<br />
ausgerechnet in Bitterfeld feinste<br />
Duftnoten entstehen!« – im einstigen<br />
Chemie-Moloch <strong>mit</strong> seinen maroden<br />
Anlagen. Peter Müller hebt die Hände.<br />
Klischees werden bedient. Und das mag<br />
der Geschäftsführer der Miltitz Aromatics<br />
GmbH im ChemiePark Bitterfeld-<br />
Wolfen nicht. Die Region war einst wegen<br />
unerträglichen Gestanks und Drecks<br />
verschrien. Am Ende Sinnbild der DDR.<br />
Die sozialistische Republik ist tot.<br />
Die Region aber lebt, hat einen weltweit<br />
einmaligen Strukturwandel erfahren,<br />
fit gemacht für den Markt <strong>mit</strong> Tradition,<br />
Know-how und Subventionen. Der<br />
62-jährige Peter Müller und der 71 Jahre<br />
alte Jürgen Braband, beide promovierte<br />
Chemiker, hatten in der Wendezeit den<br />
richtigen Riecher: 1992 gründeten sie ihr<br />
Unternehmen und ein Jahr darauf zogen<br />
sie nach Bitterfeld.<br />
Heute beschäftigt ihre GmbH 39 Mitarbeiter<br />
und sechs Azubis, produziert<br />
mehr als 50 verschiedene Duft- und Aromastoffe,<br />
im Jahr 1.000 bis 1.200 Tonnen,<br />
beliefert – »alles, was Rang und Namen<br />
hat«, so Peter Müller – Parfüm- und<br />
Wasch<strong>mit</strong>telhersteller sowie die Lebens<strong>mit</strong>telindustrie<br />
in 27 Ländern. Jahresumsatz<br />
zwischen elf und zwölf Millionen<br />
Euro. Das die Fakten.<br />
Klingt nach Erfolg. Und dem richtigen<br />
Weg. Peter Müller und Jürgen Braband<br />
sehen sich an. »Wir hatten doch Anfang<br />
der 90er Jahre gar keine Alternative. Wir<br />
wollten nicht in die Arbeitslosigkeit. Und<br />
wir wollten bleiben«, sagt Müller. »Die<br />
Chemie in Mitteldeutschland hatte nach<br />
der Wende arg gelitten«, so Braband. »Die<br />
Selbstständigkeit reizte uns – selbst entscheiden,<br />
der Markt als einziges Korrektiv.«<br />
Müller nickt: »Aus Konzernen hören<br />
wir oft, ihr könnt euer Boot innerhalb<br />
von Tagen umsteuern, bei unserem<br />
Schiffskoloss dauert das Jahre.«<br />
DER ÄLTESTE ALLER SINNE<br />
Die Nase sei heute noch ihr wichtigstes<br />
Werkzeug, sagt Müller. Solange wir atmen,<br />
riechen wir. Das Riechen ist der<br />
älteste der menschlichen Sinne und steuert<br />
unser Leben. Frisches Brot, eine Blumenwiese<br />
– Düfte wecken Gefühle, Erinnerungen<br />
und Stimmungen, lange bevor<br />
unser Verstand davon erfährt. Gerüche<br />
sind komplizierte Gemische. Was uns<br />
als unverwechselbarer Duft in die Nase<br />
steigt, ist in der Regel ein Potpourri aus<br />
hundert oder tausend verschiedenen Molekülen.<br />
So besteht der Duft einer Rose<br />
aus über 500 chemischen Einzelkomponenten.<br />
Um ein Kilo Rosenöl herzustellen,<br />
werden fünf Tonnen Blüten gebraucht.<br />
Das kostet über 5000 Euro.<br />
»Früher wurde Parfüm in Gold aufgewogen.<br />
Riechstoffe aus Pflanzen herzustellen,<br />
ist ein langwieriger, aufwendiger<br />
und teurer Prozess«, sagt Müller. »Erst<br />
zum Ende des 19. Jahrhunderts entdeckten<br />
Wissenschaftler, dass die Prozedur<br />
auch einfacher funktioniert. Seither entschlüsseln<br />
Chemiker immer mehr das<br />
Geheimnis der Düfte und stellen sie synthetisch<br />
her.« Die Produktion in Labors<br />
und Anlagen habe auch den Vorteil, dass<br />
die Düfte und Aromen von konstanter<br />
Qualität sind. Eine besonders erfolgreiche<br />
Kreation aus der Retorte gelingt<br />
1921 <strong>mit</strong> Chanel Nr. 5. Es ist das erste verbreitete<br />
Parfum, das nicht nur nach Blumen<br />
riecht, sondern durch eine sogenannte<br />
Aldehydnote geprägt ist.<br />
Miltitz Aromatics, kurz MA genannt,<br />
setzt auf Tradition: 1829 beginnt die<br />
Firma Schimmel in Miltitz bei Leipzig,<br />
Düfte und Aromen zu produzieren. Zu<br />
DDR-Zeiten enteignet und an ein Kombinat<br />
angegliedert, heißt sie dann VEB<br />
Chemisches Werk Miltitz. Sie verliert in<br />
der Welt ihre Sonderstellung in der Branche,<br />
bleibt aber im RGW-Verbund führend<br />
– <strong>mit</strong> über 800 Mitarbeitern. Im Labor<br />
lernen sich 1984 Müller, der als Forschungsdirektor<br />
beginnt, und Braband,<br />
der da schon als Wissenschaftler arbeitet,<br />
kennen. Die beiden sind Tüftler, hartnäckig,<br />
visionär, ideenreich.<br />
Als der DDR der Totenschein ausgestellt<br />
ist, geht es planlos in die Marktwirtschaft,<br />
wickelt die Treuhand ab. »Die<br />
wusste <strong>mit</strong> uns gar nichts anzufangen.<br />
Niemand wollte uns«, erinnert sich Müller.<br />
Und meint da<strong>mit</strong> auch den großen<br />
Betriebsrohbau in Miltitz, in den die<br />
DDR noch 1987 einen Devisenkredit von<br />
60 Millionen DM investiert hatte. »In den<br />
Wendejahren aber brach der osteuropäische<br />
Markt weg. 50, 60 Interessenten aus<br />
dem In- und Ausland kamen nach Miltitz<br />
SERIE<br />
und winkten ab – zu groß für <strong>mit</strong>telständische<br />
Partnerschaften. Die Treuhand<br />
wollte daraufhin alles wegreißen lassen.«<br />
Peter Müller und Jürgen Braband sind<br />
jetzt in ihrem Redeschwall kaum zu stoppen.<br />
Eine Geschichte jagt die andere. Mit<br />
abenteuerlichen Episoden. Wenn Müller<br />
in zwei Jahren in Rente geht, will er alles<br />
aufschreiben. Was passierte aber nun<br />
<strong>mit</strong> dem alten Werk Miltitz? Am Ende<br />
wurde es in mehrere Betriebe aufgesplittet.<br />
Gemeinsam <strong>mit</strong> Heinz Grau, Unternehmer<br />
aus Schwäbisch Gmünd, übernahmen<br />
Müller und Braband 1992 den<br />
Bereich Chemische Synthese.<br />
In jenen aufregenden Tagen lernen sie<br />
Lothar Domröse aus Bonn kennen. Ein<br />
Generalleutnant a. D. der Bundeswehr,<br />
der ihnen helfen will, aber von Riechstoffen<br />
nicht die geringste Ahnung hat. Muss<br />
er auch nicht, denn er hat ein großes<br />
Netzwerk. Beste Kontakte zur Treuhand<br />
SIE HABEN den<br />
richtigen Riecher:<br />
Peter Müller <strong>mit</strong> Junior<br />
Stefan, Jürgen Braband<br />
und Delphine Dumas-<br />
Mittelberger (v.l.n.r.)<br />
sind Spezialisten für<br />
Wohlgerüche. Die<br />
Duftnoten aus Bitterfeld<br />
sind weltweit gefragt.<br />
und zu Gott und der Welt. Als Miltitz<br />
Aromatics gegründet, ein Betriebsgelände<br />
im ChemiePark Bitterfeld-Wolfen gefunden<br />
ist, haben Müller und Braband<br />
Wissen, Erfahrung und Ideen, aber weder<br />
Mitarbeiter noch Geld. Sie brauchen<br />
einen Kreditgeber, brauchen 350.000 DM.<br />
Der General kennt den Inhaber einer<br />
deutschen Privatbank. Den lädt er nach<br />
Bitterfeld-Wolfen ein, bringt ihn im<br />
Schlepptau gleich <strong>mit</strong>.<br />
START MIT SECHS MITARBEITERN<br />
»Wir zwei hatten nichts. Eine Meisterstube<br />
<strong>mit</strong> DDR-Interieur. Das sah schäbig<br />
aus«, sagt Müller. »Der Banker hat geguckt<br />
und geschluckt, als wir erstmal<br />
den Stuhl säuberten, auf den er sich<br />
dann setzte«, ergänzt Braband. Die Chemiker<br />
stellen ihr Konzept vor, berichten<br />
von ersten Aufträgen. Schließlich stellt<br />
der Banker die entscheidende Frage:<br />
»Welche Sicherheiten haben Sie, meine<br />
WIRTSCHAFT & MARKT 03/12 25
SERIE<br />
Fotos: Torsten George, Ralf Lehmann IMG, Steffen Mainka (fotofliegen.de), Dana Micke<br />
DUFTE CHEMIE: Bei Miltitz Aromatics tüfteln die Mitarbeiter stetig an neuen Duftnoten.<br />
Herren?« Der General springt auf und<br />
ruft: »Mein Wort, mein Herr, mein Wort!<br />
Reicht Ihnen das?«<br />
Das sitzt. Müller und Braband unterbrechen<br />
ihre Erzählung. Aber wie ging es<br />
weiter? Müller lächelt und sagt: »Der<br />
Banker ging kurz an die frische Luft, kam<br />
zurück und presste ein knappes ›Ja‹ hervor.<br />
Am 16. Juni 1993 ging das Geld auf<br />
unserem Konto ein.« Nichts hatte die<br />
zwei Ostdeutschen umhauen können.<br />
Das schon. Heute ein undenkbarer Vorgang.<br />
General Domröse, inzwischen 92,<br />
wurde damals neben Müller, Braband<br />
und Grau der vierte MA-Gesellschafter.<br />
Mit dem Kredit hat die Firma eine alte<br />
Produktionsanlage im ChemiePark Bitterfeld-Wolfen<br />
flott gemacht. Der erste<br />
Auftrag kommt von Charabot aus dem<br />
französischen Grasse, dem Zentrum der<br />
Parfümindustrie. Charabot ordert drei<br />
Tonnen Gamma Methylionon, Veilchenriechstoff.<br />
Die Lohnproduktion <strong>mit</strong> sechs<br />
Fachkräften wird gestartet und Ende<br />
1993 geliefert. »Wir befürchteten, dass<br />
uns alles um die Ohren gehauen wird.<br />
Die Produktionsanlage war durch den<br />
Umbau nicht ganz sauber«, so Müller. Die<br />
Franzosen reagieren ehrenhaft, destillieren<br />
den Riechstoff erneut, zahlen trotzdem<br />
den vollen Preis. »Sie kannten unsere<br />
Probleme, honorierten den Aufbruchwillen.<br />
Die deutsche Parfümindustrie<br />
indes wartete ab.« Erstmal.<br />
nen von höchster Qualität sind, zu 99,8<br />
Prozent rein, gibt es immer auch einen<br />
Hauch von Eigengeruch«, sagt Müller,<br />
der <strong>mit</strong> Braband wie in alten Zeiten<br />
getüftelt hat, bis erste eigene Topnoten,<br />
Produktverfahren und -anlagen entwickelt<br />
sowie Lizenzen vergeben werden<br />
können. Das bringt MA in die Lage, bereits<br />
nach zwei Jahren den Kredit von<br />
350.000 DM plus Zinsen zurückzuzahlen.<br />
Das schafft Vertrauensbonus. Den<br />
braucht auch MA. Der Betrieb wächst.<br />
Die Anlagen werden erweitert. Bis heute<br />
wurden acht Millionen Euro investiert.<br />
Firmenvertretungen sitzen in Amerika,<br />
England, Frankreich, der Schweiz, Italien,<br />
Spanien, Indien und Singapur.<br />
Früher war Müller ständig auf Achse,<br />
Paris, New York, Singapur. Längst ist die<br />
Firma in die weltweite Lieferantenliste<br />
aufgenommen, die Auftragslage stabil.<br />
Jetzt sind Sohn Stefan, promovierter Jurist<br />
und Prokurist bei MA, und Marketingchefin<br />
Delphine Dumas-Mittelberger<br />
mehr auf Reisen. Apropos Stefan Müller.<br />
Der Vater berichtet: »Ein Banker warnte<br />
uns, wenn ihr den nächsten Kredit<br />
braucht, seid ihr Senioren, zu alt.« Die<br />
Geschäftsführung sollte für ihren Nachwuchs<br />
sorgen. Müller Junior, 34, arbeitet<br />
sich seit drei Jahren ein. »Wir alten Haudegen<br />
bleiben ja noch im Hintergrund«,<br />
sagt Müller senior. Braband ist <strong>mit</strong> 71<br />
Jahren Pensionär, trotzdem noch zieht er<br />
hier und da die Strippen.<br />
Sie erinnern sich an das Elbhochwasser<br />
2002. Zwar war ihre Firma nicht un<strong>mit</strong>telbar<br />
betroffen, aber viele der Mitarbeiter<br />
sind in ihren Dörfern regelrecht<br />
abgesoffen. »Mitarbeiter wollten von uns<br />
leere Fässer, um ihr Hab und Gut zu ver-<br />
WELTMARKTFÜHRER MIT AMBRA<br />
Die Auftraggeber wollen stabile Partnerschaften,<br />
weil in der Branche konstante<br />
Qualität der Ausgangsstoffe das A und O<br />
für die Mischbetriebe ist. »Obwohl die<br />
Riechstoffe aus den Kesseln und Kolonstauen«,<br />
sagt Müller. In dieser Lage erreichte<br />
sie eine Welle der Solidarität.<br />
Kunden aus Deutschland, Italien, den<br />
USA und sonstwoher spendeten Geld für<br />
die Flutopfer – 16.000 Euro. Der Pfarrer<br />
aus Jessnitz half, die Gelder zu verteilen.<br />
Auch das ist ein Stück Firmengeschichte.<br />
Wo MA überall »drin steckt«, ist kaum<br />
nachvollziehbar: Für ein einziges Parfüm<br />
stehen etwa 200 natürliche Essenzen<br />
und an die 2.000 synthetische Duftstoffe<br />
zur Verfügung, aus denen wiederum 30<br />
bis 80 diverse Stoffe für dieses eine Parfüm<br />
gemischt werden. »Chemische<br />
Grundstoffe werden durch Katalysatoren<br />
in den Anlagen zusammengesetzt. Katalysatoren<br />
sind das Zauber<strong>mit</strong>tel in der<br />
Chemie, die ganz verschiedene Stoffe zusammenbringen<br />
können«, so Müller.<br />
Eine besondere Topnote ist das hier<br />
kreiierte Hydroxyambran <strong>mit</strong> dem sehr<br />
eigenen und komplexen Ambra-Duft. »Da<br />
sind wir Weltmarktführer«, sagt Braband.<br />
Der Stoff ist in vielen exklusiven<br />
Parfüms drin. Und: Die Firma arbeitet<br />
<strong>mit</strong> dem Leibniz-Institut für Katalyse in<br />
Rostock an einem neuen Verfahren, um<br />
die synthetische Ambra-Produktion weiter<br />
zu optimieren.<br />
ZAUBER DES UNSICHTBAREN<br />
Um im Wettbewerb vorn zu sein, setzen<br />
die Bitterfelder auf Innovation. Gut ein<br />
Fünftel der Belegschaft arbeitet in der<br />
Forschung und Entwicklung. Je nach Projektlage<br />
wird <strong>mit</strong> Universitäten und<br />
Hochschulen kooperiert. »In Mitteldeutschland<br />
wird der Mittelstand großzügig<br />
gefördert«, sagt Müller. MA erhielt<br />
insgesamt 3,5 Millionen Euro an Förder<strong>mit</strong>teln.<br />
Forschung treibt Innovation.<br />
Ideen sind der Rohstoff der Zukunft. Die<br />
Konkurrenz ist hart. Südostasien überschwemmt<br />
den Markt <strong>mit</strong> sehr günstigen<br />
Produkten. »In China sind die Löhne<br />
in der Branche jedoch um bis zu 15<br />
Prozent gestiegen«, betont Stefan Müller.<br />
Ist die Nase des Geschäftsführers wirklich<br />
so gut? Müller senior lacht. »Ich rieche<br />
zum Beispiel, wer vor mir in den<br />
Fahrstuhl eingestiegen ist. Und das liegt<br />
nicht am Parfüm.« Das nämlich ist in der<br />
Firma nicht erwünscht. Der Geruchssinn<br />
darf hier nicht verfälscht werden.<br />
Müller sen. erinnert an einen Spruch<br />
von Coco Chanel, die nicht wie eine Blume<br />
duften wollte, sondern wie eine Frau.<br />
Wie riecht denn eine Frau? »Nicht nach<br />
Blumen«, erwidert Müller und feixst. Braband<br />
kontert: »Ich würde mich da nicht<br />
festlegen.« Er, Vater und Sohn Müller brechen<br />
in Gelächter aus. Der Zauber des<br />
Unsichtbaren lässt sich nur schwer in<br />
Worte fassen.<br />
Dana Micke<br />
&<br />
26 WIRTSCHAFT & MARKT 03/12
Copyright by<br />
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W&M PLUS<br />
TOP 100<br />
IN OSTDEUTSCHLAND<br />
Foto: Wikipedia<br />
Ranking der größten Arbeitgeber Ost<br />
(K)eine unendliche Geschichte<br />
Die neuen Länder wachsen dynamischer als die alten und holen dennoch nur punktuell auf. Auch die<br />
W&M-Liste der Top 100 Ostunternehmen belegt: Eine neue Investorenwelle ist dringend notwendig.<br />
Der Osten wächst schneller als der<br />
Westen und wird dennoch von<br />
ihm in Zeiten des Aufschwungs<br />
weiter abgehängt. Das vermeintliche Paradoxon<br />
deutsch-deutscher Gegebenheiten<br />
lässt sich auch <strong>mit</strong> der W&M-Liste der<br />
Top 100 Arbeitgeber nicht umfassend erklären,<br />
die Momentaufnahme gibt bei<br />
aller Unvollständigkeit aber einige Fingerzeige.<br />
Dazu gehört, dass kaum<br />
Veränderungen in der Unternehmensund<br />
Branchenstruktur zu erkennen sind.<br />
In Ostdeutschland dominieren Handelsund<br />
Dienstleistungskonzerne, die ihre<br />
Firmenzentralen fast ausschließlich in<br />
Westdeutschland haben. Mit allen Nachteilen<br />
für Beschäftigung, Sozialstruktur,<br />
Innovationsgeschehen und den deutschdeutschen<br />
Angleichungsprozess.<br />
Nimmt man die Untersuchungsergebnisse<br />
der arbeitgebernahen Initiative<br />
Neue Soziale Marktwirtschaft (INSM) zu<br />
ihren alljährlichen Länderrankings heran,<br />
dann entwickelt sich Deutschlands<br />
Osten im bundesweiten Vergleich temporeicher<br />
als der Westen. Letztjähriger<br />
Dynamiksieger war vor allen anderen<br />
ostdeutschen Ländern Brandenburg, wo<br />
die Steuerkraft zwischen 2007 und 2010<br />
um 16 Prozent und die Zahl der Jobs um<br />
5,4 Prozentpunkte gestiegen ist. Den<br />
Brandenburgern folgten im Dynamikranking<br />
Berlin, Mecklenburg-Vorpommern,<br />
Sachsen, Sachsen-Anhalt und<br />
Thüringen. Danach erst platzierte sich<br />
das erste westdeutschen Land – Hamburg.<br />
Diese Dynamik hat dem Osten allerdings<br />
nicht viel genutzt. Der wirtschaftliche<br />
Angleichungsprozess zwischen Ost<br />
und West stagniert, mehr noch, trotz eines<br />
beschleunigten Wachstums im abgelaufenen<br />
Jahr ist der Osten erneut in seinem<br />
Aufholprozess zurückgefallen. Nach<br />
vorläufigen Berechnungen des Hallenser<br />
IWH-Instituts hat die ostdeutsche Wirtschaft<br />
2011 zwar um 2,8 Prozent zugelegt,<br />
im Westen aber ging es im gleichen<br />
Zeitraum um über drei Prozent herauf.<br />
Da<strong>mit</strong> falle die Angleichung <strong>mit</strong> 69,5<br />
Prozent auf den Stand von 2008 zurück,<br />
so der IWH-Konjunkturexperte Udo Ludwig.<br />
Da<strong>mit</strong> sei auch klar, wie unrealistisch<br />
das Ziel einer kurzfristigen Ost-<br />
West Angleichung bleibe. »Die scheinbare<br />
Angleichung in Krisenzeiten war nur<br />
eine Episode«, sagt Ludwig.<br />
INDUSTRIELLE RENAISSANCE<br />
Die geringere Exportorientierung habe<br />
damals viele ostdeutsche Unternehmen<br />
vor einem stärkeren Geschäftseinbruch<br />
bewahrt. Im Aufschwung aber leide der<br />
Osten wieder unter seinen fundamentalen<br />
Schwächen: Kleinteiligkeit des<br />
Mittelstandes und da<strong>mit</strong> verbunden Innovations-<br />
und Exportschwäche, Fehlen<br />
von Führungszentralen und von originären<br />
ostdeutschen Großunternehmen<br />
(siehe Ranking), Alterung und Rückgang<br />
der Einwohnerzahl.<br />
Geht diese Angleichung der Wirtschaftsleistung<br />
im gleichen Tempo weiter,<br />
werden noch Jahrzehnte gebraucht,<br />
um das von der Politik ausgerufene Einheitsziel<br />
zu erreichen. Zwar existieren<br />
dynamische Wachstumszentren wie<br />
Chemnitz, Dresden, Leipzig oder Jena,<br />
aber insgesamt ist die ostdeutsche Wirtschaft<br />
nicht in der Lage, die nach wie vor<br />
bestehende Wachstumsschwelle zu überwinden.<br />
Der Osten braucht weiter Hilfen<br />
und finanzielle Transfers – bis über das<br />
magische Jahr 2019 hinaus, in dem die<br />
Solidarpakt<strong>mit</strong>tel auslaufen.<br />
Knapp 22 Jahre nach der Wende ist die<br />
ostdeutsche Wirtschaft noch nicht groß<br />
und da<strong>mit</strong> erwachsen geworden. Die<br />
Strategie der Treuhand, schnell zu privatisieren,<br />
wirkt noch immer nach. Sie hat<br />
im Osten eine viel zu kleinteilige Unternehmenslandschaft<br />
geschaffen, die anfangs<br />
noch weitgehend industriefrei gewesen<br />
ist. Das änderte sich kaum <strong>mit</strong> der<br />
industriellen Renaissance in den neuen<br />
Ländern, jedenfalls nicht entscheidend.<br />
Am Ende der ersten Dekade des neuen<br />
Jahrhunderts weisen im Westen über 65<br />
Prozent der Unternehmen Jahresumsätze<br />
von mehr als 50 Millionen Euro aus. In<br />
Ostdeutschland beträgt dieser Anteil<br />
nicht einmal 45 Prozent. Und wenn die<br />
28 WIRTSCHAFT & MARKT 03/12
W&M PLUS<br />
Firmen im Osten groß sind, dann dienen<br />
sie zumeist nur als verlängerte Werkbänke<br />
von West-Konzernen, deren Leistungen<br />
dann zwangsläufig auch zurückfließen.<br />
Kein einziger der größten deutschen<br />
Konzerne (<strong>mit</strong> Ausnahme der<br />
Deutschen Bahn) hat seinen alleinigen<br />
Hauptsitz im Osten.<br />
So wird in den ostdeutschen Töchtern<br />
auch kaum geforscht, weil Forschung zumeist<br />
direkt an die Konzernzentralen angebunden<br />
ist. Nach Erhebungen des Stifterverbandes<br />
der deutschen Wirtschaft<br />
liegen die internen Forschungs- und Entwicklungsaufwendungen<br />
der Unternehmen<br />
in Baden-Württemberg, dem bundesdeutschen<br />
Spitzenreiter, bei rund<br />
1.100 Euro je Einwohner. In Sachsen,<br />
dem führenden neuen Bundesland, sind<br />
es etwa 230 Euro, in Thüringen knapp<br />
200 Euro, in Sachsen-Anhalt nur 70 Euro<br />
und Brandenburg sowie in Mecklenburg-<br />
Vorpommern sind es gar nur 60 Euro.<br />
MEHR FORSCHENDE FIRMEN OST<br />
Aber es gibt auch gegenläufige Tendenzen.<br />
Seit dem Jahr 2000 hat sich die Zahl<br />
der innovativen, forschenden Firmen<br />
von 3.200 auf 4.200 erhöht. Zugleich bildeten<br />
sich im Osten subventionsgetriebene<br />
Industriecluster für neue Hochtechnologien<br />
heraus. Das »Chipwunder« von<br />
Dresden und das <strong>mit</strong>teldeutsche Solar<br />
Valley sind dafür zwei Beispiele. Aber<br />
kein Licht ohne Schatten. Beide Industriezweige<br />
stehen auch dafür, welche<br />
fatale Folgen staatliche Fehlsteuerung<br />
erzeugen kann – siehe die Pleite des<br />
Speicherchipproduzenten Qimonda in<br />
Dresden. Das <strong>mit</strong> staatlichem Kapital geförderte<br />
Qimonda versuchte im Hochlohnland<br />
Deutschland, Massenprodukte<br />
in Konkurrenz zu Niedriglohnländern<br />
zu produzieren und scheiterte an seiner<br />
geringen Innovationsfähigkeit.<br />
Kenner der ostdeutschen Szenerie, wie<br />
der einstige Deutschbanker Edgar Most,<br />
fordern seit langem, die deutsch-deutsche<br />
Einheit »neu« zu denken. Dazu<br />
gehöre auch, die noch vorhandenen Förder<strong>mit</strong>tel<br />
umzuleiten und stärker auf<br />
solche Gebiete wie Bildung und Forschung<br />
zu fokussieren. Hinzu, so Most,<br />
müssten Anreizprogramme für abgewanderte<br />
Jugendliche kommen, um sie zu<br />
einer Rückkehr zu bewegen. Zumindest<br />
da scheint sich jetzt Einiges zu bewegen.<br />
2011 zogen erstmalig mehr Menschen<br />
für einen neuen Job von den alten in die<br />
neuen Länder. Das gilt besonders für<br />
wirtschaftlich wachsende Stadtregionen<br />
wie Leipzig oder Dresden. Grund für<br />
diese Umkehr ist, dass im Osten immer<br />
mehr hochqualifizierte Arbeitsplätze<br />
entstehen, für die es in den neuen Län-<br />
dern keinen Nachwuchs mehr gibt. Nach<br />
einer Untersuchung der »Otto-Brenner-<br />
Stiftung« suchen vor allem kleine und<br />
<strong>mit</strong>tlere Betriebe qualifiziertes Personal.<br />
Da die gut Ausgebildeten jahrelang den<br />
Osten verlassen haben, müssen sie jetzt<br />
aus dem Westen zurückgeholt werden.<br />
LEBENDIGE TÖCHTER VOR ORT<br />
Großunternehmen West wiederum müssen<br />
nach Auffassung von Experten dazu<br />
stimuliert werden, ihre hochproduktiven<br />
ostdeutschen Werkbänke in lebendige<br />
Tochterunternehmen umzugestalten.<br />
Deren Wertschöpfung müsse dann vorrangig<br />
im Osten verbleiben, da<strong>mit</strong> diese<br />
Firmen nicht nur hinsichtlich Beschäftigung,<br />
sondern auch hinsichtlich Wertschöpfung<br />
im Osten wirksam werden.<br />
DIE AUSNAHME: Firmensitz der Deutschen<br />
Bahn in Berlin, Potsdamer Platz.<br />
Das könnte man, so Most, durch steuerliche<br />
Begünstigungen erreichen. »Das würde<br />
dann beiden Teilen Deutschlands zugute<br />
kommen – in dem Maße, wie die<br />
Nettoerlöse im Osten verbleiben, kann<br />
der West-Finanztransfer in den Osten reduziert<br />
werden.«<br />
Im Alleingang, da zumindest sind sich<br />
alle Experten einig, wird der Osten nicht<br />
wirklich reüssieren und zum Westen aufschließen<br />
können. Gebraucht werde eine<br />
neue Investorenwelle, heißt es. Dafür<br />
aber müsse der Osten weit attraktiver für<br />
nationales und internationales Kapital<br />
werden. Wie auch immer: Bis an die Spitze<br />
des Top-100-Rankings ein internationaler<br />
Großkonzern <strong>mit</strong> Zentrale in Ostdeutschland<br />
rückt, können noch Jahre<br />
vergehen, indes: Nichts ist unmöglich.<br />
&<br />
Steffen Uhlmann<br />
Neue W&M-Beitragsserie<br />
Ausblick auf<br />
»Länderreports<br />
Innovation«<br />
In den nächsten Monaten werden<br />
W&M-Redakteure und namentlich<br />
Länderkorrespondenten des Magazins<br />
auf Entdeckungsreise gehen. Zu Innovations-Standorten<br />
in ostdeutschen<br />
Regionen. Entstehen soll eine Serie<br />
von »Länderreports Innovation«.<br />
Den Auftakt zu der Erkundungstour bildet<br />
auf den nächsten Seiten dieser W&M-<br />
Ausgabe eine Auflistung der 100 größten<br />
Unternehmen in den neuen Bundesländern<br />
und Berlin. Ein solches Ranking erhebt<br />
natürlich nicht den Anspruch der<br />
Vollständigkeit, zumal sich Größe nicht<br />
auf Mitarbeiter- und Umsatzzahlen reduzieren<br />
lässt. Die Liste hätte ein anderes<br />
Gesicht, würden ausschließlich Firmen<br />
<strong>mit</strong> Sitz in Ostdeutschland betrachtet<br />
oder beispielsweise die Agenturen für Arbeit<br />
oder andere Institutionen hinzugezählt.<br />
Das ausgewertete statistische Material<br />
weist zudem Lücken auf. Angaben<br />
differieren in unterschiedlichen Quellen,<br />
überregional und international agierende<br />
Unternehmen weisen kaum länderbezogene<br />
Zahlen aus.<br />
W&M hat sich vor allem auf die Länderrankings<br />
gestützt, die von den Banken<br />
Nord/LB, HELABA und Sachsen Bank,<br />
von der »Märkischen Allgemeinen« und<br />
der Berliner IHK veröffentlicht wurden.<br />
Auch da steckt der Teufel im Detail. Nach<br />
Gewerkschaftsangaben beschäftigt z. B.<br />
BMW in Leipzig 2.800 Stammkräfte und<br />
über 1.100 Zeitkräfte. Das Werk taucht im<br />
Mitteldeutschland-Ranking der Sachsen<br />
Bank gar nicht auf. Die Redaktion hat<br />
sich trotzdem der Mühe unterzogen, die<br />
Top-100-Liste für Ostdeutschland und<br />
Berlin, die in dieser Form ihresgleichen<br />
sucht, zu erstellen. Ergänzungen dazu<br />
sind ausdrücklich erwünscht.<br />
Die Rangfolge dürfte in vielerlei Hinsicht<br />
aufschlussreich sein. Vor allem unterstreicht<br />
sie die Vorzüge des Standorts –<br />
jenseits von Schönfärberei. Die »Länderreports<br />
Innovation«, die auch auf die regionalen<br />
Traditionen eingehen, werden den<br />
Wirtschafts- und Wissenschaftsstandort<br />
Ost spezifischer ausleuchten. In Reportagen,<br />
Gesprächen vor Ort und Analysen.<br />
Gerne gehen wir auch auf die Vorschläge<br />
unserer Leserinnen und Leser ein: Sie<br />
sind also herzlich eingeladen!<br />
WIRTSCHAFT & MARKT 03/12 29
W&M PLUS<br />
Top 100<br />
Von der Ostsee bis zum Erzgebirge – Das Ranking<br />
Rang Unternehmen Branche Mitarbeiter<br />
(2010)<br />
1<br />
2<br />
3<br />
4<br />
5<br />
6<br />
7<br />
8<br />
9<br />
10<br />
11<br />
12<br />
13<br />
14<br />
15<br />
16<br />
17<br />
18<br />
19<br />
20<br />
21<br />
22<br />
23<br />
24<br />
25<br />
26<br />
28<br />
29<br />
30<br />
31<br />
32<br />
33<br />
34<br />
35<br />
36<br />
37<br />
38<br />
39<br />
40<br />
41<br />
42<br />
43<br />
44<br />
45<br />
46<br />
47<br />
49<br />
50<br />
Deutsche Bahn*<br />
Deutsche Post<br />
Edeka Stiftung<br />
Rewe Group<br />
Deutsche Telekom*<br />
Siemens*<br />
Berliner Verkehrsb. (BVG)<br />
Vattenfall Europe u. Töchter<br />
METRO Group<br />
Vivantes<br />
Charité Berlin<br />
Dussmann Stiftung<br />
Volkswagen<br />
Randstad Deutschland<br />
HELIOS Kliniken GmbH<br />
Rhön Klinikum<br />
Bosch-Gruppe<br />
Gegenbauer Holding<br />
Landesbank Berlin<br />
KAISER’S TENGELMANN<br />
Bayer HealthCare<br />
Daimler<br />
Berliner Stadtreinigung<br />
Dow Gruppe Deutschland<br />
Leipziger Versorg.- u. Verkehrsges.<br />
AIDA Cruises<br />
WISAG-Gruppe<br />
BMW Group*<br />
E.on Avacon, E.on Edis, E.on Thüringen<br />
Berliner Wasserbetriebe<br />
Kaufland Dienstleistungen<br />
Piepenbrock Unternehmensgruppe<br />
Bombardier Transportation<br />
SECURITAS Gruppe<br />
Carl Zeiss Meditec/Microimaging<br />
Deutsche Bank<br />
Deutsche Lufthansa<br />
Bertelsmann<br />
ALBA Group<br />
Preiss-Daimler Group Wilsdruff<br />
Stadtwerke Halle u. Hallesche Wasser<br />
Karstadt Warenhaus Berlin<br />
walter services Holding<br />
Lafim-Gruppe (Wi-Lafim)<br />
Paul Gerhardt Diakonie Berlin<br />
Alexianer<br />
Universitätsklinikum Rostock<br />
K+S Gruppe<br />
Schlecker Drogeriemärkte<br />
Axel Springer<br />
Verkehr<br />
Logistik<br />
Handel<br />
Handel<br />
Telekommunikation<br />
Technik<br />
Verkehr<br />
Energie<br />
Handel<br />
Gesundheit<br />
Gesundheit<br />
Dienstleistung<br />
Automobilindustrie<br />
Personaldienstleistung<br />
Gesundheit<br />
Gesundheit<br />
Technik<br />
Facility Management<br />
Finanzwesen<br />
Handel<br />
Pharmaindustrie<br />
Automobilindustrie<br />
Entsorgung u. Recycling<br />
Chemie<br />
Verkehr<br />
Schifffahrt<br />
Facility Management<br />
Automobilindustrie<br />
Energie<br />
Wasserversorgung<br />
Handel<br />
Dienstleistung<br />
Verkehrstechnik<br />
Wachschutz<br />
Optik<br />
Finanzwesen<br />
Verkehr<br />
Medien<br />
Entsorgung u. Recycling<br />
Technik<br />
Energie- u. Wasserversorg.<br />
Handel<br />
Dienstleistung<br />
Gesundheit<br />
Gesundheit<br />
Gesundheit<br />
Gesundheit<br />
Dünge<strong>mit</strong>tel<br />
Handel<br />
Verlagswesen<br />
56.571<br />
25.700<br />
23.273<br />
21.078<br />
19.920<br />
15.116<br />
10.597<br />
10.461<br />
10.382<br />
10.104<br />
9.887<br />
9.860<br />
8.216<br />
7.900<br />
7.550<br />
7.481<br />
7.183<br />
7.037<br />
6.430<br />
6.226<br />
6.200<br />
6.000<br />
5.459<br />
5.404<br />
5.102<br />
5.100<br />
5.100<br />
5.000<br />
4.663<br />
4.638<br />
4.400<br />
4.364<br />
4.290<br />
4.070<br />
3.900<br />
3.750<br />
3.500<br />
3.440<br />
3.436<br />
3.343<br />
3.300<br />
3.295<br />
3.242<br />
3.221<br />
3.149<br />
3.118<br />
3.100<br />
3.100<br />
3.095<br />
3.040<br />
Umsatz<br />
(in Mio. Euro)<br />
k.A.<br />
k.A.<br />
k.A.<br />
k.A.<br />
k.A.<br />
k.A.<br />
k.A.<br />
k.A.<br />
k.A.<br />
k.A.<br />
k.A.<br />
k.A.<br />
k.A.<br />
k.A.<br />
k.A.<br />
774<br />
k.A.<br />
k.A.<br />
k.A.<br />
k.A.<br />
k.A.<br />
k.A.<br />
k.A.<br />
4.637<br />
3.507<br />
k.A.<br />
k.A.<br />
k.A.<br />
k.A.<br />
k.A.<br />
k.A.<br />
k.A.<br />
k.A.<br />
k.A.<br />
1.074<br />
k.A.<br />
k.A.<br />
k.A.<br />
k.A.<br />
434<br />
666<br />
k.A.<br />
k.A.<br />
101<br />
k.A.<br />
k.A.<br />
265<br />
k.A.<br />
k.A.<br />
k.A.<br />
Bundesland<br />
Gesamt<br />
Gesamt, ohne Sachsen<br />
Gesamt, ohne M-V<br />
Gesamt, ohne M-V<br />
Gesamt<br />
Berlin, M-V, Sachs., Thür.<br />
Berlin<br />
Berlin und Brandenburg<br />
Berlin, BB, Thür.<br />
Berlin<br />
Berlin<br />
Berlin, BB, M-V, Thür.<br />
Berlin, Sachsen<br />
Berlin, BB, Thüringen<br />
Berlin, Thüringen<br />
Sachsen, S-A., Thür.<br />
Gesamt, ohne Sachsen<br />
Gesamt, ohne Sachsen<br />
Berlin<br />
Berlin<br />
Berlin, Sachs-Anh., Thür.<br />
Berlin<br />
Berlin<br />
Sachsen-Anhalt<br />
Sachsen<br />
Meckl.-Vorpommern<br />
Berlin, Brandenburg<br />
Berlin, Sachsen<br />
Gesamt, ohne Sachsen<br />
Berlin<br />
Berlin<br />
Berlin, BB, M-V, Thür.<br />
Brandenburg, Sachsen<br />
Berlin<br />
Thüringen<br />
Berlin<br />
Berlin, Brandenburg<br />
Brandenburg, Thüringen<br />
Berlin, BB, M-V<br />
Sachsen, Sachs.-Anh.<br />
Sachsen-Anhalt<br />
Berlin<br />
Brandenburg, S-A.<br />
Brandenburg<br />
Berlin<br />
Berlin, Brandenburg<br />
Meckl.-Vorpommern<br />
Sachs.-Anh., Thüringen<br />
Berlin, Brandenburg<br />
Berlin<br />
Anmerkung: Bei den <strong>mit</strong> * markierten Angaben resultiert die Beschäftigtenzahl teilweise aus Presseveröffentlichungen. Aufgrund von<br />
unterschiedlichen Rankings in Sachsen-Anhalt und Thüringen (Studie Fokus Mittelstand der Sachsen Bank sowie die Studien »Die 100<br />
größten Unternehmen in Sachsen-Anhalt« – Nord/LB und »Die 100 größten Unternehmen in Thüringen« – HELABA) liegen teilweise verschiedene<br />
Beschäftigtenzahlen zu einzelnen Unternehmen vor. Die Redaktion von Wirtschaft& Markt hat sich entschieden, in diesen<br />
30 WIRTSCHAFT & MARKT 03/12
W&M PLUS<br />
TOP 100<br />
IN OSTDEUTSCHLAND<br />
der 100 größten Arbeitgeber in Ostdeutschland<br />
Rang Unternehmen Branche Mitarbeiter<br />
(2010)<br />
51<br />
52<br />
53<br />
54<br />
55<br />
56<br />
57<br />
58<br />
59<br />
60<br />
61<br />
62<br />
63<br />
64<br />
66<br />
67<br />
68<br />
69<br />
70<br />
71<br />
72<br />
74<br />
75<br />
76<br />
77<br />
78<br />
79<br />
80<br />
81<br />
82<br />
83<br />
85<br />
86<br />
87<br />
88<br />
89<br />
90<br />
91<br />
92<br />
94<br />
95<br />
97<br />
98<br />
99<br />
100<br />
Jenoptik<br />
McDonald’s Deutschland<br />
Allianz<br />
GLOBALFOUNDRIES Dresden<br />
NETTO Supermarkt GmbH & Co. KG<br />
BASF Gruppe/BASF Schwarzheide<br />
3 B Dienstleistung Deutschland<br />
Evangelisches Johannesstift<br />
airberlin group<br />
Commerzbank<br />
UNIONHILFSWERK<br />
Nordex SE<br />
Arcelor Mittal Eisenhüttenstadt<br />
BIOTRONIK SE & Co. KG<br />
X-FAB Semiconductor Foundries<br />
Q-Cells SE<br />
Klinikum Ernst von Bergmann<br />
Gesellschaft für Leben u. Gesundheit<br />
Mosaik Unternehmensverbund<br />
SNT Deutschland<br />
Mercedes-Benz Ludwigsfelde<br />
Hermes Fulfilment<br />
Scandlines<br />
MIBRAG Mitteldeutsche Braunkohle<br />
Lidl Dienstleistung<br />
Dirk Rossmann<br />
Envia Mitteldeutsche Energie<br />
Pro Klinik Holding<br />
Tönnies Fleischwerk u. Zerlegebetrieb<br />
Carl-Thiem-Klinikum Cottbus<br />
Damp Holding<br />
Günter Papenburg Halle<br />
Infineon Technologies<br />
Bauerfeind<br />
BT Berlin Transport<br />
Mitteldeutscher Rundfunk<br />
Mitteldeut. Druck- und Verlagshaus<br />
P+S WERFTEN<br />
Braun Gruppe u. RIEMSER Arznei<strong>mit</strong>tel<br />
Berliner Volksbank<br />
Berliner Werkstätten für Behinderte<br />
Möbel Höffner<br />
Opel Eisenach<br />
Dresdner Druck- und Verlagshaus<br />
Bundesdruckerei Gruppe<br />
Zeitungsgruppe Thüringen<br />
Rolls-Royce Deutschland<br />
Deutsche Kreditbank<br />
SWE Stadtwerke Erfurt<br />
Osram<br />
Optik<br />
Ernährung<br />
Versicherung<br />
Technik<br />
Handel<br />
Chemie<br />
Dienstleistung<br />
Gesundheit<br />
Verkehr<br />
Finanzwesen<br />
Soz. Dienstleistungen<br />
Windkraft<br />
Stahlindustrie<br />
Medizintechnik<br />
Technik<br />
Energie<br />
Gesundheit<br />
Gesundheit<br />
Soz. Ausbildungsträger<br />
Call-Center<br />
Automobilindustrie<br />
Logistik<br />
Schifffahrt<br />
Energie<br />
Handel<br />
Handel<br />
Energie<br />
Gesundheit<br />
Ernährung<br />
Gesundheit<br />
Gesundheit<br />
Bauwesen<br />
Technik<br />
Orthopädie<br />
Logistik<br />
Medien<br />
Verlagswesen<br />
Schifffahrt<br />
Mischkonzern<br />
Finanzwesen<br />
Sozialer Ausbildungsträger<br />
Möbel<br />
Automobilindustrie<br />
Verlagswesen<br />
Verlagswesen<br />
Verlagswesen<br />
Technik<br />
Finanzwesen<br />
Energie- u. Wasserversorg.<br />
Leucht<strong>mit</strong>tel<br />
3.000<br />
2.964<br />
2.900<br />
2.850<br />
2.785<br />
2.770<br />
2.700<br />
2.676<br />
2.652<br />
2.647<br />
2.586<br />
2.504<br />
2.489<br />
2.400<br />
2.400<br />
2.379<br />
2.359<br />
2.293<br />
2.272<br />
2.266<br />
2.245<br />
2.200<br />
2.200<br />
2.156<br />
2.145<br />
2.142<br />
2.117<br />
2.065<br />
2.037<br />
2.034<br />
2.029<br />
2.023<br />
2.000<br />
2.000<br />
1.996<br />
1.994<br />
1.981<br />
1.977<br />
1.900<br />
1.866<br />
1.846<br />
1.800<br />
1.800<br />
1.793<br />
1.750<br />
1.750<br />
1.740<br />
1.730<br />
1.720<br />
1.704<br />
Umsatz<br />
(in Mio. Euro)<br />
511<br />
k.A.<br />
k.A.<br />
1.059<br />
1.439<br />
k.A.<br />
k.A.<br />
k.A.<br />
k.A.<br />
k.A.<br />
k.A.<br />
972<br />
1.104<br />
k.A.<br />
239<br />
1.354<br />
k.A.<br />
k.A.<br />
k.A.<br />
k.A.<br />
k.A.<br />
k.A.<br />
569<br />
387<br />
k.A.<br />
k.A.<br />
2.969<br />
k.A.<br />
1.522<br />
k.A.<br />
182<br />
409<br />
k.A.<br />
250<br />
k.A.<br />
728<br />
113<br />
407<br />
360<br />
k.A.<br />
k.A.<br />
k.A.<br />
k.A.<br />
194<br />
k.A.<br />
k.A.<br />
1.097<br />
k.A.<br />
440<br />
k.A.<br />
Bundesland<br />
Thüringen<br />
Berlin, Brandenburg<br />
Berlin<br />
Sachsen<br />
Brandenburg und M-V<br />
Berlin und Brandenburg<br />
Berlin<br />
Berlin<br />
Berlin<br />
Berlin und M-V<br />
Berlin<br />
Meckl.-Vorpommern<br />
Brandenburg<br />
Berlin<br />
Thüringen<br />
Sachsen-Anhalt<br />
Brandenburg<br />
Brandenburg<br />
Berlin<br />
Brandenburg<br />
Brandenburg<br />
Sachs.-Anh. und Thür.<br />
Meckl.-Vorpommern<br />
Sachsen-Anhalt<br />
Berlin<br />
Berlin, BB, Thür.<br />
Sachsen, Sachs.-Anh.<br />
Brandenburg<br />
Sachsen-Anhalt<br />
Brandenburg<br />
Meckl.-Vorpommern<br />
Sachsen-Anhalt<br />
Sachsen<br />
Thüringen<br />
Berlin<br />
Sachsen, S-A, Thür.<br />
Sachsen-Anhalt<br />
Meckl.-Vorpommern<br />
Meckl.-Vorpommern<br />
Berlin<br />
Berlin<br />
Brandenburg<br />
Thüringen<br />
Sachsen<br />
Berlin<br />
Thüringen<br />
Brandenburg<br />
Berlin, Brandenburg<br />
Thüringen<br />
Berlin<br />
Fällen die jeweils höhere Angabe in die Liste einfließen zu lassen. Beispiel EDEKA Märkte in Sachsen-Anhalt – laut Ranking Nord/LB:<br />
4.152 Mitarbeiter, laut Sachsen Bank: 7.082. Einige der größten Arbeitgeber in Ostdeutschland und Berlin veröffentlichten 2010 keine<br />
Beschäftigtenzahlen (z. B. Schwarz-Gruppe <strong>mit</strong> Kaufland und Lidl) und werden daher im Ranking nicht berücksichtigt. Abkürzungen:<br />
Mecklenburg-Vorpommern (Meckl.-Vorpommern u. M-V); Sachsen-Anhalt (Sachs.-Anh. u. S-A); Thüringen (Thür.); Brandenburg (BB).<br />
WIRTSCHAFT & MARKT 03/12 31
W&M PLUS<br />
Top 100 der einzelnen ostdeutschen Länder<br />
Bunter Branchenmix<br />
TOP 100<br />
IN OSTDEUTSCHLAND<br />
W&M veröffentlicht in den kommenden Ausgaben die<br />
Rankings der größten und umsatzstärksten Unternehmen<br />
in den ostdeutschen Bundesländern und der Hauptstadt<br />
Berlin. Hier ein Überblick zu den genutzten Quellen<br />
und eine <strong>Vorschau</strong> auf die derzeit aktuellsten Ergebnisse.<br />
Fotos: Deutsche Post AG, Opel AG, Metro Group<br />
Berlin<br />
Verkehrsbranche vorn<br />
Die Industrie- und Handelskammer (IHK)<br />
und die Handwerkskammer Berlin<br />
haben im August vergangenen Jahres die<br />
Broschüre »Berliner Wirtschaft in Zahlen«<br />
für das Jahr 2011 vorgelegt. Das<br />
Nachschlagewerk zeigt auf insgesamt 70<br />
Seiten, wie es um die Berliner Wirtschaft<br />
und die Hauptstadt insgesamt steht und<br />
präsentiert eine aktuelle Top-100-Liste<br />
der größten Berliner Unternehmen nach<br />
Beschäftigtenzahlen. Die Umsatzgrößen<br />
wurden nicht berücksichtigt.<br />
Die meisten Mitarbeiter in Berlin hat<br />
nach diesen Angaben die Deutsche Bahn<br />
AG <strong>mit</strong> 18.543. Mit deutlichem Abstand<br />
folgt die Siemens AG (13.066 Arbeitnehmer),<br />
vor den Berliner Verkehrsbetrieben<br />
(10.597), dem Vivantes Netzwerk für Gesundheit<br />
GmbH (10.104) und der Charité-<br />
Universitätsmedizin (9.887). Besonders<br />
bemerkenswert ist, dass diese fünf Konzerne<br />
tatsächlich auch ihren Hauptsitz<br />
im Bundesland Berlin haben.<br />
Das Jahr 2010 war für die Berliner Wirtschaft<br />
insgesamt ein erfolgreiches.<br />
Das Bruttoinlandsprodukt (BIP) wuchs<br />
um 2,7 Prozent und die Umsätze und<br />
Auftragseingänge der Unternehmen verbesserten<br />
sich. Berlins Bevölkerung<br />
wuchs auf ein Rekordniveau. Die Einwohnerzahl<br />
stieg im Jahr 2010 gegenüber<br />
dem Vorjahr um 18.000 Personen. Ein<br />
Plus von einem halben Prozent auf<br />
3,46 Millionen Einwohner. So kräftig hat<br />
die Einwohnerzahl seit 19 Jahren nicht<br />
mehr zugelegt. Allerdings betrug die<br />
Arbeitslosenquote 2010, auch infolge des<br />
enormen Zuzugs, 13,6 Prozent. Im Bundesvergleich<br />
behielt die Hauptstadt da<strong>mit</strong><br />
die rote Laterne hinter Mecklenburg-<br />
Vorpommern und Sachsen-Anhalt.<br />
Brandenburg<br />
Viele Jobs im Handel<br />
Die in Potsdam erscheinende regionale<br />
Tageszeitung »Märkische Allgemeine<br />
Zeitung« (MAZ) listete im August 2011<br />
»Brandenburgs größte Unternehmen«<br />
auf. Für die Top 100 wurden nur private<br />
Unternehmen berücksichtigt, öffentliche<br />
und gemeinnützige Arbeitgeber<br />
fanden sich in einer separaten Tabelle<br />
<strong>mit</strong> den Top 30 wieder. Im Unterschied<br />
zu den anderen aufgeführten Bundesländern<br />
wurden in dieser Veröffentlichung<br />
bereits Beschäftigtenzahlen für<br />
2011 im Vergleich <strong>mit</strong> 2010 genannt.<br />
Die Unternehmensgruppe Schwarz <strong>mit</strong><br />
ihren Handelstöchtern Lidl und Kaufland<br />
steht 2011 auf Platz eins <strong>mit</strong> insgesamt<br />
8.103 Mitarbeitern, nennt allerdings<br />
keine Zahlen für 2010. Die Deutsche<br />
Bahn AG als größter öffentlicher<br />
Arbeitgeber kommt aktuell auf 7.500<br />
Mitarbeiter (2010: 7.470), es folgt die<br />
Deutsche Post AG <strong>mit</strong> der unveränderten<br />
Beschäftigtenzahl von 6.800.<br />
Neben weiteren Handelsketten (METRO<br />
Group, Netto, Edeka) und einer Vielzahl<br />
von Unternehmen aus der Gesundheitsbranche<br />
sind für das Jahr 2010 Vattenfall<br />
Europe (5.040 Beschäftigte), Dussmann<br />
(2.650) und Arcelor Mittal Eisenhüttenstadt<br />
(2.489) als besonders wichtige<br />
Arbeitgeber im Bundesland Brandenburg<br />
genannt worden.<br />
Einen Spitzenplatz beim Umsatz belegte<br />
der Energieversorger E.on Edis AG <strong>mit</strong><br />
1,68 Milliarden Euro. Es folgen Arcelor<br />
Mittal (1,1 Milliarden), Rolls-Royce<br />
Deutschland <strong>mit</strong> Sitz in Blankenfelde<br />
(1,1 Milliarden), das Chemieunternehmen<br />
BASF Schwarzheide (eine Milliarde)<br />
und Riva Stahl (992 Millionen) aus der<br />
metallurgischen Branche.<br />
Mecklenburg-Vorpommern<br />
Stabile Beschäftigung<br />
Die Studie zu den Top 100 Mecklenburg-<br />
Vorpommerns stellte die NORD/LB im<br />
Januar dieses Jahres vor. Im Geschäftsjahr<br />
2010 beschäftigten die 100 größten<br />
Unternehmen im Land insgesamt 71.800<br />
Mitarbeiter. »Da<strong>mit</strong> ist klar, dass die Zahl<br />
der Beschäftigten gegenüber dem Vorjahr<br />
stabil geblieben ist«, erklärte Dr. Arno<br />
Brandt, Leiter der NORD/LB Regionalwirtschaft.<br />
Mit 5.100 Mitarbeitern war die<br />
Kreuzfahrtreederei AIDA Cruises 2010 der<br />
größte Arbeitgeber. Auf Platz zwei und<br />
drei folgen die Deutsche Bahn AG <strong>mit</strong><br />
4.143 Mitarbeitern und das Universitätsklinikum<br />
Rostock <strong>mit</strong> 3.100 Beschäftigten.<br />
Die weiteren Plätze belegen die Deutsche<br />
Post DHL (3.000 Mitarbeiter), der<br />
Rostocker Windenergieanlagenhersteller<br />
Nordex SE (2.504), die Fährreederei Scandlines<br />
Rostock (2.200), die Klinik-Gruppe<br />
Damp Holding und die P+S WERFTEN<br />
GmbH Stralsund, die Stavenhagener OHG<br />
NETTO Supermarkt GmbH & Co. und das<br />
Maschinenbau-Unternehmen Hydraulik<br />
Nord GmbH aus Parchim.<br />
An der Spitze der umsatzstärksten Unternehmen<br />
des Landes steht die OHG NETTO<br />
Supermarkt GmbH & Co. <strong>mit</strong> einem Umsatz<br />
von mehr als 1,1 Milliarden Euro.<br />
Nordex liegt <strong>mit</strong> 972 Millionen Euro auf<br />
dem zweiten Rang. Mit deutlichem Abstand<br />
folgen der Schweriner Energieversorger<br />
WEMAG AG (640 Millionen Euro),<br />
Scandlines (569 Millionen) und die<br />
P+S WERFTEN GmbH (407 Millionen). Auf<br />
den weiteren Plätzen liegen die HANSA-<br />
Milch Mecklenburg-Holstein eG, die Ostsee<br />
Mineralöl-Bunker GmbH, die YARA<br />
GmbH & Co. KG, die Egger Holzwerkstoffe<br />
Wismar GmbH & Co. KG und die Energiewerke<br />
Nord GmbH in Greifswald.<br />
32 WIRTSCHAFT & MARKT 03/12
W&M PLUS<br />
Sachsen<br />
Automobilsektor stark<br />
Sachsen-Anhalt<br />
Umsatzplus angepeilt<br />
Thüringen<br />
Mittelstand dominiert<br />
Neun der 100 größten Unternehmen ganz<br />
Mitteldeutschlands zählen zur Automobilindustrie.<br />
Insgesamt standen für viele<br />
sächsische Unternehmen im Jahr 2010 die<br />
Zeichen auf Wachstum. Besonders Betriebe<br />
aus dem Automobilsektor konnten<br />
nach teilweise starken Umsatzrückgängen<br />
im Jahr zuvor kräftig zulegen. So die<br />
Volkswagen Sachsen GmbH, die 2010<br />
einen Umsatz von 4,35 Milliarden Euro<br />
erzielt hat – Platz drei im Ranking. Dieses<br />
Ergebnis ist der Studie »Die 100 größten<br />
Unternehmen Mitteldeutschlands« entnommen,<br />
die von der Sachsen Bank im<br />
Dezember 2011 präsentiert wurde. In der<br />
aktuellen Liste zeigt sich zudem deutlich<br />
die Umsatzstärke und Größe der Energiewirtschaft<br />
in der Region. So finden sich<br />
der Erdgasspezialist VNG Verbundnetz<br />
Gas AG Leipzig (Umsatz: 5,3 Milliarden<br />
Euro), die Versorgungs- und Verkehrsgesellschaft<br />
(3,5 Milliarden) der Messestadt<br />
und die RWE-Tochter Envia Mitteldeutsche<br />
Energie Chemnitz (3,0 Milliarden) in<br />
den Top-Ten wieder.<br />
»<strong>Nur</strong> wenige Beobachter hätten ein so<br />
schnelles Wachstum der deutschen Wirtschaft<br />
nach dem schwierigen Jahr 2009<br />
erwartet«, sagte Sachsen-Bank-Vorstandsvorsitzender<br />
Prof. Harald R. Pfab. »Doch<br />
gerade die <strong>mit</strong>teldeutschen Unternehmen<br />
haben sich <strong>mit</strong> ihrer hohen Flexibilität<br />
schnell und effizient auf die unerwartet<br />
positive wirtschaftliche Entwicklung eingestellt<br />
und konnten so zum Teil sehr<br />
deutliche Umsatzsteigerungen erzielen.«<br />
Fast die Hälfte von ihnen hat 2010 zusätzliche<br />
Arbeitskräfte eingestellt. Für die Dominanz<br />
der sächsischen Firmen spricht,<br />
dass sie knapp die Hälfte der aufgelisteten<br />
<strong>mit</strong>teldeutschen Top 100 ausmachen.<br />
Im Dezember 2011 hat die NORD/LB ihre<br />
Studie zu den größten Unternehmen in<br />
Sachsen-Anhalt vorgestellt. Diese peilen<br />
in Gänze ein Umsatzplus gegenüber 2010<br />
an. Das umsatzstärkste Unternehmen war<br />
2010 die TOTAL Raffinerie Mitteldeutschland<br />
GmbH Leuna <strong>mit</strong> 5,7 Milliarden<br />
Euro. Auf die Plätze zwei und drei kamen<br />
die Dow Gruppe Deutschland (4,6 Milliarden)<br />
sowie die EDEKA Märkte Sachsen-Anhalts<br />
(2,2 Milliarden). Auf Rang vier folgt<br />
die Tönnies Gruppe (1,5 Milliarden), dahinter<br />
Q-Cells SE (1,4 Milliarden) und die<br />
MKM Mansfelder Kupfer und Messing<br />
GmbH Hettstedt <strong>mit</strong> gut einer Milliarde<br />
Euro. Auf den weiteren Plätzen landeten<br />
die Barlebener Salutas Pharma GmbH<br />
(878 Millionen), die Freyburger Rotkäppchen<br />
Sektkellereien GmbH (820 Millionen),<br />
die MITGAS GmbH (640 Millionen)<br />
in Kabelsketal und die Novelis Deutschland<br />
GmbH (598 Millionen) in Seeland.<br />
Die Rangliste der 100 größten Arbeitgeber<br />
wird von der Deutschen Bahn AG <strong>mit</strong><br />
7.915 Mitarbeitern im Land angeführt.<br />
Die Dow Gruppe Deutschland (5.404 Mitarbeiter)<br />
liegt auf dem zweiten Platz vor<br />
der Deutschen Post DHL (5.100) sowie den<br />
EDEKA Märkten Sachsen-Anhalts (4.152).<br />
Dann folgen die Stadtwerke Halle GmbH<br />
(3.300), Q-Cells SE (2.379), MIBRAG Mitteldeutsche<br />
Braunkohlen-GmbH (2.156) in<br />
Zeitz sowie das Unternehmen K+S Kali<br />
GmbH (2.140) in Zielitz.<br />
»Der Entwicklung der Unternehmen im<br />
Land kommt große Bedeutung zu«, sagte<br />
NORD/LB-Vorstands<strong>mit</strong>glied Dr. Hinrich<br />
Holm. »Die Verwurzelung in der regionalen<br />
Wirtschaft ist eine Stärke der Bank<br />
und die Grundlage der erfolgreichen<br />
Geschäftsentwicklung.«<br />
Nach der neusten, im Oktober 2011 veröffentlichten<br />
Studie der Landesbank<br />
Hessen-Thüringen (HELABA) sowie der<br />
Landesentwicklungsgesellschaft (LEG) des<br />
Freistaats belegen der EDEKA-Konzern<br />
<strong>mit</strong> 5.400 Thüringer Mitarbeitern, die<br />
Deutsche Bahn AG (4.500) und die Deutsche<br />
Post AG (4.300) die drei Spitzenplätze<br />
im landesinternen Ranking. Es folgen der<br />
Personaldienstleister Randstad Deutschland<br />
(4.200) und die Bosch-Gruppe (4.050).<br />
Der größte Anteil der Beschäftigten<br />
konzentriert sich auf die zehn größten<br />
Unternehmen: Rund 37 Prozent der im<br />
regionalen Ranking erfassten Arbeitnehmer<br />
sind in diesen Firmen beschäftigt.<br />
Grundsätzlich ist die Unternehmensstruktur<br />
Thüringens sehr stark <strong>mit</strong>telständisch<br />
geprägt, sagte Dr. Gertrud R.<br />
Traud, HELABA-Chefvolkswirtin, bei der<br />
Listenpräsentation in Erfurt. Das komme<br />
auch im Ranking zum Ausdruck. So<br />
zählen 35 Firmen aus der Rangliste der<br />
100 größten Unternehmen Thüringens<br />
zum Mittelstand. Zentrale Ansiedlungsregion<br />
für die Top 100 ist die Städtekette<br />
von Eisenach über Erfurt bis nach Gera.<br />
Rund 70 Prozent der Betriebe haben ihren<br />
Hauptstandort in der Region entlang der<br />
Autobahn A4. Diese hohe Konzentration<br />
geht über die wirtschaftliche Gravitation<br />
der Städtekette hinaus. Dort werden<br />
52 Prozent des Thüringer BIP erwirtschaftet,<br />
wobei der Bevölkerungsanteil 47 Prozent<br />
beträgt. Stark am Markt sind sowohl<br />
größere als auch kleinere Unternehmen.<br />
So werden 15 Firmen aus der Rangliste<br />
in der gleichnamigen Initiative der LEG<br />
Thüringen genannt. Die dort identifizierten<br />
Markt- und Technologieführer sind<br />
aber in der Mehrzahl kleinere Firmen. &<br />
WIRTSCHAFT & MARKT 03/12 33
KOLUMNE<br />
Deutschland geht es gut! Das ist die<br />
wichtigste Nachricht, die unsere<br />
Politiker zu Jahresbeginn zu vermelden<br />
hatten und in großen Zeitungsanzeigen<br />
unters Volk brachten. Danke<br />
Deutschland. Na dann, lehnen wir uns<br />
zurück und betrachten das wunderbare<br />
Werk, das wir zustande gebracht haben.<br />
Vielleicht muss Politik ja so sein. Vielleicht<br />
muss Politik den Menschen systematisch<br />
etwas vorgaukeln, was es nicht<br />
gibt. Vielleicht muss Politik dem Bürger<br />
jeden zweiten Tag ein X für ein U verkaufen.<br />
Vielleicht muss Politik ein schmutziges<br />
Geschäft sein, wo jeder versucht,<br />
kurzfristigen Vorteil herauszuschlagen<br />
nach dem Motto: Nach mir die Sintflut.<br />
Aber ich kann mir nicht helfen, ich<br />
bin trotzdem wütend. Die gleichen Politiker,<br />
die immer wieder die Rettung der<br />
zukünftigen Generationen beschwören,<br />
tun Tag für Tag nichts anderes, als den<br />
zukünftigen Generationen zu demonstrieren,<br />
wie man niemals die Zukunft gewinnen<br />
kann, wenn man die Gegenwart<br />
verspielt. Wie sollen Generationen erwachsen<br />
werden und in der Lage sein,<br />
ein so komplexes Gebilde wie eine Demokratie<br />
zu erhalten und in seiner Funktionsfähigkeit<br />
zu verbessern, wenn ihnen<br />
heutige Politik zugemutet wird.<br />
Eines der schlimmsten Übel ist die<br />
verbreitete Neigung, Statistik zu missbrauchen,<br />
um kurzfristiger politischer<br />
Scheinvorteile willen. Zur Statistik der<br />
Arbeitslosigkeit will ich mich gar nicht<br />
auslassen, das ist der größte Skandal<br />
überhaupt, seit Jahrzehnten. Es vergeht<br />
aber auch kein Monat, ohne dass – beginnend<br />
<strong>mit</strong> dem Statistischen Bundesamt<br />
und endend <strong>mit</strong> den letzten Provinzmedien<br />
– die Ergebnisse über die Binnennachfrage<br />
und den Konsum in Deutschland<br />
so lange <strong>mit</strong> politischer Schokoladensauce<br />
übergossen werden, dass es so<br />
aussieht, als ob die Deutschen auf Teufel<br />
komm raus konsumierten.<br />
Man spürt die Absicht. Jeder, der halbwegs<br />
informiert ist, weiß, dass Deutschland<br />
wegen seiner schwachen Binnennachfrage<br />
international in der Kritik<br />
steht. Deutsche Medien und Politiker sagen<br />
den Bürgern das niemals offen, aber<br />
es wird jeder Anlass genutzt, um dem<br />
uninformierten Bürger und dem Ausland<br />
zu suggerieren, es sei alles in Butter.<br />
Auch dann, wenn alles Katastrophe ist.<br />
Der deutsche Einzelhandelsumsatz ist<br />
der umfassende Indikator, der am klarsten<br />
zeigt, dass die Menschen in Deutschland<br />
kein Geld in der Tasche haben und<br />
AUS GENFER SICHT<br />
Statistik<br />
und andere Lügen<br />
Von HEINER FLASSBECK, Genf<br />
Internet: www.flassbeck.com<br />
genau deswegen nichts kaufen. Der preisbereinigte<br />
Umsatz (bei solchen stark<br />
schwankenden Reihen notwendigerweise<br />
saisonbereinigt) lag im Dezember 2011<br />
nach Angaben der Deutschen Bundesbank<br />
bei einem Wert von 96,7 wenn der<br />
Wert von 2005 gleich einhundert gesetzt<br />
ist. Auch gegenüber dem Beginn des Erhebungszeitraums,<br />
1994, ist der Umsatz<br />
kaum gestiegen und liegt heute unterhalb<br />
dieses Wertes. Das ist für eine wachsende<br />
Wirtschaft schlicht katastrophal,<br />
weil es klar zeigt, dass alles, was es seit<br />
Mitte der 90er Jahre an Aufschwung gegeben<br />
hat, an den Verbrauchern vorbeigegangen<br />
ist. Dem einfachen Menschen<br />
wird seit Jahren die Teilhabe am gemeinsam<br />
erarbeiteten Produktivitätsfortschritt<br />
verweigert. Mit dem Hinweis,<br />
nur über relativ sinkende Löhne sei Arbeitslosigkeit<br />
abzubauen, und man habe<br />
sie abgebaut.<br />
Die stagnierende Binnennachfrage<br />
zeigt aber, dass das fundamental falsch<br />
ist. Genau deswegen darf sie auch nicht<br />
wahr sein. Relativ oder absolut sinkende<br />
Löhne würden nämlich in der Ökonomie<br />
laut herrschender Meinung überhaupt<br />
nicht zu einem Absinken oder Zurückbleiben<br />
der Nachfrage führen. Weil der<br />
Rückgang des Lohnes pro Kopf ja jederzeit<br />
ausgeglichen werde durch mehr<br />
Köpfe oder mehr Stunden, die gearbeitet<br />
werden. Auf diese Weise bliebe die Sum-<br />
me der ausbezahlten Löhne stets gleich<br />
oder stiege unverändert – und folglich<br />
die gesamte Nachfrage, selbst wenn der<br />
einzelne zu Lohn- und Konsumzurückhaltung<br />
gezwungen wird. So beweist das<br />
Zurückfallen der Binnennachfrage un<strong>mit</strong>telbar,<br />
dass die Politik des Löhnedrückens<br />
ein grandioser Fehlschlag war.<br />
Aber nicht doch. Sie hat die deutsche<br />
Wettbewerbsfähigkeit verbessert und<br />
den deutschen Unternehmen gewaltige<br />
Überschüsse beschert, in deren Gefolge<br />
neue Arbeitsplätze entstanden. Sorry,<br />
immerhin ist seit Beginn dieses Jahrhunderts<br />
vom gesamten deutschen Wachstum<br />
exakt die Hälfte direkt als Beitrag<br />
vom Außenhandelssaldo gekommen.<br />
Wenn das kein Erfolg ist! Allerdings vergessen<br />
wir leicht, dass irgendwo auf der<br />
Welt das, was bei uns als positiver Beitrag<br />
gebucht wird, als negativer Beitrag anfallen<br />
muss. Für die Welt insgesamt gibt<br />
es keinen Beitrag vom Außenhandel.<br />
Wenn also jetzt alle Welt die deutsche<br />
Politik der Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit<br />
nachahmt, da es Deutschland<br />
ja scheinbar so gut geht, dann wissen<br />
wir genau, dass das in die Hose geht.<br />
Einfach weil es in diesem Fall logisch<br />
nicht möglich ist, dass alle das tun, was<br />
ein einzelner getan hat.<br />
Warum sagt das nicht mal einer unserer<br />
Politiker? Wissen sie es nicht? Dann<br />
sollten sie schleunigst ihre Positionen<br />
verlassen. Wollen sie es nicht wissen, lassen<br />
sie die Welt sehenden Auges ins Verderben<br />
rennen? Dann ist es noch schlimmer,<br />
Massenrücktritte wären gefordert.<br />
Aber nichts dergleichen, alle sonnen sich<br />
im Lichte ihrer kleinen Taschenlampen<br />
und hoffen, dass ein Wunder geschieht<br />
und die Wirklichkeit endlich die lächerliche<br />
menschliche Logik überwindet.<br />
Apropos Rücktritte: Es gibt dafür viele<br />
gute Gründe. Warum aber werden in der<br />
Öffentlichkeit die allerunwichtigsten bis<br />
in letzte Detail ausgebreitet und wirklich<br />
entscheidende vollständig ignoriert?<br />
Warum diskutiert niemand Rücktritte<br />
wegen Versagens im Amt? Warum fragt<br />
niemand, wer in Europa alles zurücktreten<br />
muss, wenn das wichtigste Projekt,<br />
die Währungsunion, gegen die Wand<br />
gefahren wird? Schlimm ist nicht, dass<br />
auch diese Fragen nicht leicht zu beantworten<br />
sind. Schlimm ist, dass sie nicht<br />
diskutiert werden, weil die Presse lieber<br />
recherchiert, wer in jüngster Vergangenheit<br />
einem Provinzfürsten gehuldigt hat,<br />
den man – offenbar aus Versehen – ins<br />
höchste Amt des Staates gehievt hat. &<br />
Foto: Torsten George<br />
34<br />
WIRTSCHAFT & MARKT 03/12
SPECIAL<br />
Die weltweit größte Computermesse<br />
CeBIT in Hannover steht in diesem<br />
Jahr unter einem besonderen<br />
Stern. Von der IT-Branche wird nicht<br />
mehr und nicht weniger erwartet, als<br />
dass sie als Wachstumstreiber der Wirtschaft<br />
fungiert. Das Zeug dazu hat sie allemal.<br />
Und es ist daher auch kein Zufall,<br />
dass Bundeskanzlerin Angela Merkel am<br />
Eröffnungsabend der Leistungsschau<br />
<strong>mit</strong> der brasilianischen Staatspräsidentin<br />
Dilma Rousseff und dem Google-Verwaltungsratschef<br />
Eric Schmidt zwei<br />
hochkarätige ausländische Gäste an ihrer<br />
Seite hatte.<br />
Für alle drei Protagonisten ist das<br />
Wirtschaftswachstum ein verbindendes<br />
Thema. Brasilien, in diesem Jahr offizieller<br />
Partner der Computermesse, ist eine<br />
der am schnellsten wachsenden Volkswirtschaften<br />
in der Welt. Der Internet-<br />
Konzern Google wies <strong>mit</strong> 29 Prozent Umsatzplus<br />
im vergangenen Jahr ein traumhaftes<br />
Ergebnis auf. Und Kanzlerin<br />
Merkel kann sich über die Wachstumsprognose<br />
des deutschen Marktes für IT,<br />
Telekommunikation und digitale Unterhaltungselektronik<br />
freuen: Mit 2,2 Prozent<br />
Plus erwartet die Branche 2012 einen<br />
Umsatzsprung auf 151,3 Milliarden<br />
Euro. Innerhalb des Gesamtmarkts soll<br />
der IT-Sektor gar um 4,5 Prozent zulegen.<br />
Für das gesamtwirtschaftliche Wachstum<br />
Deutschlands erwarten die Experten<br />
indes nur ein Plus von 0,8 Prozent.<br />
Fotos: Werkfotos<br />
FUSSBALL-EM FÖRDERT GESCHÄFT<br />
Die Telekommunikation erreicht nach<br />
einem schwierigen Jahr 2011 wieder ein<br />
Plus und steigert den Umsatz um 0,4 Prozent<br />
auf 66 Milliarden Euro. Sport-Großereignisse<br />
wie die Fußball-EM 2012 in Polen<br />
und der Ukraine dürften auch den<br />
Absatz von TV-Geräten beflügeln, so dass<br />
sich der Markt für Consumer Electronics<br />
langsam erholt und nur noch um 1,5 Prozent<br />
auf rund zwölf Milliarden Euro<br />
schrumpft. Trotz der Delle steht für Prof.<br />
Dieter Kempf, Präsident von BITKOM<br />
(Bundesverband Informationswirtschaft,<br />
Telekommunikation und neue Medien)<br />
fest: »Die Schuldenkrise in Europa hatte<br />
bislang keine signifikanten Auswirkungen<br />
auf den Hightech-Markt. Die Branche<br />
ist für 2012 sehr zuversichtlich«.<br />
Im vergangenen Jahr lockte die CeBIT<br />
339.000 Interessierte in die Messehallen.<br />
Die Zahl der Aussteller lag bei 4.200 Unternehmen.<br />
Die Veranstalter erwarten<br />
angesichts der positiven Geschäftsprognosen<br />
in diesem Jahr ein Besucherplus.<br />
Dafür soll der Ausbau der Messe in Richtung<br />
Consumer Electronic sorgen – wie<br />
die Vielzahl der vorgestellten TV-Bildschirme<br />
und Smartphones zeigt. Weil<br />
CeBIT 2012<br />
Mit Cloud-Tech<br />
auf IT-Wolke 7<br />
Vom 6. bis 10. März 2012 lädt in Hannover die<br />
weltgrößte Computermesse CeBIT zum Branchentreff.<br />
Die IT-Wirtschaft erfreut sich wachsender Umsätze<br />
und wirkt auf die Gesamtkonjunktur. Ein Vorbericht<br />
<strong>mit</strong> den aktuellsten Trends von Dr. Manfred Buchner.<br />
36 WIRTSCHAFT & MARKT 03/12
SPECIAL<br />
die mobile Kommunikation via Web in<br />
der IT-Szene weiter zunimmt, kann der<br />
Elektroniknutzer beim Besuch in Hannover<br />
in diesem Jahr auf dem gesamten<br />
Messegelände über ein drahtloses W-<br />
LAN-Netz (Wire-less Local Area Network)<br />
kostenlos ins Internet gehen.<br />
UNTERWEGS INS WEB<br />
Geräte für den mobilen Internetzugang<br />
haben das stärkste Wachstumspotenzial.<br />
Der Umsatz <strong>mit</strong> Tablet-PCs beispielsweise<br />
legte um knapp 19 Prozent auf 1,3 Milliarden<br />
Euro zu, Smartphones erreichen<br />
sogar ein Plus von 23 Prozent auf fünf<br />
Milliarden Euro. Besonders stark entwickelt<br />
sich seit Jahren der Umsatz <strong>mit</strong><br />
Software. Sowohl 2011 als auch 2012<br />
nimmt er um über fünf Prozent auf 17<br />
CEBIT 2011<br />
Was – Wann – Wo<br />
Messezeit: 6. bis 10. März 2012<br />
Öffnungszeit: 9.00 Uhr bis 18.00 Uhr<br />
Eintrittspreise:<br />
Tageskarte 34 Euro (Vorverkauf)<br />
Tageskasse 39 Euro<br />
Dauerkarte 79 Euro (Vorverkauf)<br />
Tageskasse 89 Euro<br />
Anreise-Tipp: CeBIT-Karten gelten am Tag<br />
des Messebesuchs für kostenlose Bahnund<br />
Busfahrten im Nahverkehr von Hannover<br />
Vorverkauf: Tel. (0180) 500 06 89<br />
www.cebit.de<br />
Milliarden Euro zu. Bei der Telekommunikation<br />
sind vor allem mobile Datendienste<br />
(plus zehn Prozent) begehrt.<br />
Die wichtigsten Hightech-Themen des<br />
Jahres 2012 sind Cloud-Computing, mobiles<br />
Computing, IT-Sicherheit und Social<br />
Media. Das geht aus einer Umfrage in<br />
der ITK-Branche (Informations- und Telekommunikationstechnologie)<br />
hervor. Danach<br />
belegt Cloud Computing (Computerleistung<br />
aus einem Rechenzentrum)<br />
<strong>mit</strong> 66 Prozent zum dritten Mal in Folge<br />
den Spitzenplatz. »Cloud-Services sind<br />
die Innovationstreiber bei der Bereitstellung<br />
und Nutzung von IT-Leistungen«,<br />
sagt BITKOM-Präsident Kempf. »Der zweite<br />
Megatrend des Jahres sind mobile Applikationen.«<br />
53 Prozent der Unternehmen<br />
nennen Mobile Computing als zentrales<br />
Thema, ein Anstieg von zehn<br />
Prozent im Vergleich zu 2011. IT-Sicherheit<br />
und Datenschutz gehören für 48<br />
Prozent der Unternehmen zu den zentralen<br />
Herausforderungen des Jahres (2011:<br />
38 Prozent). Social Media (Facebook etc.)<br />
legt ebenfalls weiter zu auf 37 Prozent.<br />
Neu unter den Top-Ten ist E-Energy, das<br />
INTERNET-BUCHHALTUNG<br />
Weniger Stress <strong>mit</strong> der Bürokratie<br />
Buchhaltung ist ein kosten- und arbeitsintensiver Firmenbereich.<br />
Digitale Technik reduziert den Aufwand in Unternehmen deutlich.<br />
Vertrauliche Daten außer Haus zu<br />
geben, ist für Unternehmen eigentlich<br />
ein Tabu. Anders bei der Rostocker<br />
TUR Therapietechnik GmbH. Der Gerätebauer<br />
nutzt ein internetbasiertes Programm,<br />
schickt da<strong>mit</strong> Buchungen und<br />
sogar die gesamten Auftragsdaten durch<br />
die Leitung. Mit großem Vorteil, wie<br />
Buchhaltungsleiterin Dagmar Dietrich<br />
berichtet: »Egal wo wir sind, ob im Büro,<br />
unterwegs zum Kunden oder zu Hause,<br />
können wir <strong>mit</strong> unseren Rechnern auf<br />
sämtliche Firmendaten zugreifen und<br />
unsere Aufgabe da<strong>mit</strong> erledigen.«<br />
Auch Anette Weinreich setzt bei ihrem<br />
Büroservice im erzgebirgischen Oberlungwitz<br />
auf digitale Unterstützung.<br />
Mit ihren Mitarbeiterinnen erledigt sie<br />
jeden Monat rund 400 Lohnabrechnungen<br />
und die Buchhaltung für mehrere<br />
Firmen. Die gelernte Industriekauffrau<br />
kann jederzeit auf die aktuelle Rechtsprechung<br />
zugreifen. Dafür sorgt die<br />
Finanzsoftware, die von Programmhersteller<br />
via Web automatisch <strong>mit</strong> den<br />
neuesten Versionen gefüttert wird.<br />
Weinreich: »Das schaffen wir nur <strong>mit</strong><br />
Programmen, die die aktuellen gesetzlichen<br />
Anforderungen einhalten und<br />
auch bei Spezialaufgaben helfen.«<br />
Noch einen Schritt weiter in Sachen Internetnutzung<br />
geht der neue Buchhaltungsservice<br />
Bookman des Freiburger<br />
Softwarehauses Lexware. Da<strong>mit</strong> werden<br />
Belege im Eins-zu-Eins-Format durch<br />
das weltweite Netz geschickt – mehrfach<br />
gegen fremde Augen abgesichert. Das<br />
Beste daran: Die Nutzer stecken lediglich<br />
die einzelnen Belege in einen bereit<br />
gestellten Scanner und schicken die<br />
Daten per Tastentipp verschlüsselt zum<br />
Steuerbüro.<br />
Die Beispiele zeigen: Computer und interbasierte<br />
Technik entlasten vom Buchhaltungsstress<br />
und von Bürokratie. Das<br />
ist auch unbedingt notwendig, denn<br />
nach einer Umfrage des Rudolf Haufe<br />
Verlags bei über 700 kleinen und <strong>mit</strong>telgroßen<br />
Unternehmen stören sich 92 Prozent<br />
der Befragten an dem da<strong>mit</strong> verbundenen<br />
Aufwand. Besonders Kleinbetriebe<br />
leiden. Sie können sich in der<br />
Regel keine Fachkräfte für die Verwaltungsarbeiten<br />
leisten und sind zur Zusatzarbeit<br />
gezwungen. Das gilt vor allem<br />
für zwei betriebliche Aufgaben: Fast<br />
70 Prozent der befragten Firmenchefs<br />
klagen über den Aufwand im Rechnungswesen<br />
und bei den Steuern, knapp<br />
die Hälfte findet den Personalbereich<br />
bürokratielastig.<br />
Noch zögern viele Firmen vor dem Einsatz<br />
internetbasierter Lösungen. Grund:<br />
Die Angst vor Datenklau ist groß.<br />
Für die Rostocker TUR Therapietechnik<br />
GmbH ist das nach eigenen positiven<br />
Erfahrungen kein Thema mehr. Der Hersteller<br />
von medizinischen und kosmetischen<br />
Geräten hatte <strong>mit</strong> der Sicherheit<br />
noch keine Probleme. Buchhalterin Dietrich:<br />
»Wie beim Online-Banking werden<br />
die Daten verschlüsselt verschickt und<br />
im Rechenzentrum automatisch gespeichert.«<br />
Für besonderen Datenschutz sorgen<br />
im Rechenzentrum Sicherheitsräume,<br />
Firewalls und regelmäßige Backups.<br />
Der neue Buchhaltungsservice Bookman<br />
will eine besonders heikle Stelle in der<br />
Zusammenarbeit <strong>mit</strong> Internetanbietern<br />
verbessern: Der Service verspricht persönlichen<br />
Kontakt zum Nutzer. Erfahrungsgemäß<br />
ist das meist eine<br />
Katastrophe, weil ein kompetenter Ansprechpartner<br />
selbst im Notfall nicht zu<br />
erreichen ist. Anders bei Bookman-Nutzern.<br />
Gunter Diehm, Geschäftsführer<br />
des Bookman-Service: »Die Software verbindet<br />
den Kunden <strong>mit</strong> seiner persönlichen<br />
Buchhalterin bei Bookman.« Der<br />
direkte Draht führt zu einem Team aus<br />
Buchführungsfachkräften. Nicht nur in<br />
Notfällen steht der Service bereit. Abgelegt<br />
werden alle Dokumente und Daten<br />
beim Bookman-Service zentral und<br />
mehrfach gesichert in einem deutschen<br />
Rechenzentrum. Der Preis für den Service<br />
ist volumenabhängig. Dabei zahlt<br />
der Kunde nur das, was er an tatsächlicher<br />
Leistung beansprucht hat.<br />
Die Kosten sind eine entscheidende Frage,<br />
<strong>mit</strong> der sich Analystin Melanie<br />
Henke von Soreon Research befasst hat.<br />
Mittelständische Firmen <strong>mit</strong> einer<br />
Online-Finanzbuchhaltung können im<br />
Vergleich zur selbst installierten PC-Software<br />
im Extremfall 72 Prozent der sonst<br />
fälligen Buchhaltungskosten sparen.<br />
Henke: »Den großen Unterschied macht<br />
der Aufwand für Administration, Installation<br />
und Betreuung der Software. Diese<br />
Kosten sind bei der Online-Nutzung in<br />
der monatlichen Gebühr eingerechnet.«<br />
WIRTSCHAFT & MARKT 03/12 37
SPECIAL<br />
im Zuge der Energiewende besondere<br />
Aufmerksamkeit erfährt. Das Thema<br />
wird von 24 Prozent der Unternehmen<br />
als besonders wichtig angesehen. Für 29<br />
Prozent sind Business Intelligence und<br />
Big Data (Analyse großer Datenmengen)<br />
ein Schwerpunkt für 2012.<br />
Der BITKOM-Verband informiert auf<br />
der CeBIT in speziellen Ausstellungsbereichen<br />
über folgende Themen:<br />
Cloud Computing World. Zahlreiche<br />
Anwender haben erste Erfahrungen <strong>mit</strong><br />
Cloud-Services gesammelt, etwa durch<br />
Nutzung einer Buchhaltung im Rechenzentrum.<br />
Für sie zeichnen sich neue Geschäftsmodelle<br />
ab (Halle 4).<br />
Broadband World. Hier sind superschnelle<br />
Breitband-Anschlüsse für die<br />
Kommunikation von morgen das Thema.<br />
Führende Unternehmen und Organisationen<br />
zeigen ihre Lösungen in den neuen<br />
Mobilfunk- und Festnetzen (Halle 13).<br />
Enterprise Content Management<br />
(ECM). In Halle 3 zeigen Aussteller aus<br />
dem ECM-Umfeld (digitale Dokumente in<br />
den Geschäftsabläufen) Lösungen für<br />
alle Prozessschritte der Verarbeitung<br />
digitaler Inhalte in Firmen – von der Datenerfassung<br />
bis Out-put Management.<br />
Thin Clients und Server Based Computing.<br />
Lösungen im Umfeld von Thin<br />
Clients (Netzwerkstationen) und Server<br />
NEU AUS THÜRINGEN<br />
Digitaler Reisebegleiter<br />
Das Kürzel »a2bme« trägt der Mobilitätsbegleiter,<br />
den die Fachhochschule<br />
in Schmalkalden entwickelt hat. Er<br />
kombiniert mehrere Verkehrsträger<br />
(Auto, Flugzeug, Fahrrad u.a.), er<strong>mit</strong>telt<br />
daraus Reisevorschläge, berechnet<br />
die Reisedauer und die Reisekosten.<br />
www.a2bme.com<br />
Based Computing (Netzwerk-Server) werden<br />
an einem BITKOM-Gemeinschaftsstand<br />
aufgezeigt. Im Fokus stehen Desktop-Virtualisierung<br />
und Kosteneffizienz.<br />
VORREITER OSTDEUTSCHE LÄNDER<br />
Spannende Hightech-Lösungen sind auf<br />
den Gemeinschaftsständen der ostdeutschen<br />
Bundesländer in Halle 9 zu sehen.<br />
Universitäten, Fachhochschulen und<br />
ausgegründete Spin-offs präsentieren<br />
ihre Entwicklungen. Zum Beispiel die<br />
Fachhochschule Schmalkalden <strong>mit</strong> der<br />
Mobilitätsplattform »a2bme«, die eine<br />
verkehrs<strong>mit</strong>telübergreifende Routenplanung<br />
(<strong>mit</strong> Auto, Zug, Taxi, Fahrrad etc.)<br />
ermöglicht. Die Berliner Netfox AG präsentiert<br />
das Sicherheitssystem Colan 3.<br />
MESSENEUHEITEN I<br />
Es protokolliert in Unternehmen in Echtzeit<br />
den Betrieb der Netzwerk-Komponenten,<br />
überwacht die Verfügbarkeit von<br />
Geräten und Diensten, analysiert Verläufe,<br />
Trends und mögliche Engpässe.<br />
Mit einem Zuwachs von 12,7 Prozent<br />
pro Jahr im Gepäck wartet die IT-Branche<br />
Polens in Hannover auf. »Der IT-Markt in<br />
Polen gehört wertmäßig zu den Top 20<br />
der Weltrangliste«, betont Waldemar Pawlak,<br />
stellvertretender Premierminister<br />
Polens und Minister für Wirtschaft. Er<br />
verweist auf die zunehmende Bedeutung<br />
von Hightech in seinem Land, das <strong>mit</strong><br />
über 40 Ausstellern auf der CeBIT 2012<br />
vertreten sein wird.<br />
Zu den Highlights aus dem Nachbarland<br />
gehört der schnellste Prozessor der<br />
Welt, den Digital Core Design (DCD) aus<br />
Bytom vorstellt. DQ80251 arbeitet nach<br />
Tests über 50-mal schneller als Standard-<br />
Prozessoren und 70 Prozent effizienter<br />
als die besten Konkurrenten.<br />
Insgesamt zeichnen sich im breiten<br />
Ausstellungsspektrum der CeBIT folgende<br />
Trends in der IT-Branche ab:<br />
TREND 1: INTERNET DER DINGE<br />
In London, der Hauptstadt des Vereinigten<br />
Königreiches, twittert die Themse<br />
fröhlich ihren Wasserstand, die berühmte<br />
Tower Bridge teilt <strong>mit</strong>, wann sie ihre<br />
Bildschirmrechner. Beim IdeaCentre<br />
A720 von Lenovo steckt der komplette<br />
Computer im Bildschirmfuß. Der Monitor<br />
<strong>mit</strong> Fingersteuerfunktion im 27-Zoll-Format<br />
ist nur 24,5 Millimeter dick. Betriebssystem<br />
und Daten sind auf einer festen<br />
Disk <strong>mit</strong> 64 GByte und einer Festplatte <strong>mit</strong><br />
1 TByte Kapazität eingebaut.<br />
www.levono.de<br />
Duschlautsprecher. iShower empfängt<br />
Musik drahtlos über Bluetooth, etwa vom<br />
Smartphone, und sorgt z. B. für 15 Stunden<br />
Duschvergnügen. Am Gerät gibt es<br />
Tasten für die Lautstärke, Pause und Titelsprung.<br />
Ca. 75 Euro.<br />
www.ishowerinc.com<br />
LED-Fernseher. 55 Zoll groß ist das<br />
TV-Gerät von Sony. Mit der Crystal-LED-<br />
Technologie leuchten darin rund sechs<br />
Millionen winzige Leuchtdioden. Das ist<br />
neu, bisher wurden Leuchtdioden nur als<br />
Hintergrund-Lichtquelle genutzt. Ergebnis:<br />
höherer Kontrast, größerer Blickwinkel<br />
und schnellerer Bildaufbau.<br />
www.sony.com<br />
LTE-Smartphone. LG Spectrum VS920<br />
gehört zu den ersten Smartphones für<br />
die neue Funktechnik LTE. Das Gerät <strong>mit</strong><br />
4,5-Zoll-Display (1280x720 Bildpunkte)<br />
läuft <strong>mit</strong> Dual-Core-Prozessor (1,5 Gigahertz)<br />
und 16 Gigabyte (GB) Datenspeicher.<br />
www.lg.de<br />
(8,8 Millimeter dünn und 613 Gramm).<br />
Mit 1280x800 Bildpunkten sind Bilder<br />
schärfer als beim iPad 2 (1024x768 Pixel).<br />
Der Minirechner läuft <strong>mit</strong> dem Betriebssystem<br />
Android 4.0.<br />
www.toshiba.de<br />
Videofalle. Die Sicherheitskamera<br />
DSC-32.mini von Somikon überwacht<br />
kabellos und reagiert u. a. auf Bewegung,<br />
Erschütterung, Geräusche. Die Aufzeichnung<br />
startet nach der Meldung durch einen<br />
eingebauten Bewegungs-, Vibrationsoder<br />
Akustik-Sensor nach vorgebbarem<br />
Zeitplan. Die perfekte Videofalle für Hotelzimmer,<br />
Kühlschrank, Schreibtisch u.v.m.<br />
www.pearl.de<br />
Internet-Navi. Nüvi 3590LMT von<br />
Garmin ist ein Navigationsgerät, das Daten<br />
per Bluetooth über ein Android-App <strong>mit</strong><br />
dem Handy austauscht. Da<strong>mit</strong> lässt sich<br />
z. B. die Position des geparkten Autos<br />
herausfinden. Über Web-Verbindung des<br />
Handys liefert es auch regionale Informationen<br />
zu Verkehr, Wetter und Kraftstoffpreisen.<br />
www.garmin.de<br />
FLACHMANN: Das neue Toshiba-<br />
Tablet ist nur 7,6 Millimeter dick<br />
Scheibenrechner. Gerade 7,6 Millimeter<br />
dick ist das Tablet Toshiba Excite X10 und<br />
wiegt nur 558 Gramm (Foto). Es ist schlanker<br />
und leichter als das Apple iPad 2<br />
Wandcamcorder. Sony HDR-PJ260JE<br />
kann Videos aufnehmen und auf die<br />
nächste Wand projizieren. Das funktioniert<br />
<strong>mit</strong> den Batterie-Akkus bis zu 85 Minuten<br />
und bis zu 2,5 Meter Bilddiagonale.<br />
Der Camcorder nimmt in HD-Qualität<br />
(1920x1080 Pixel) bis 50 Bilder pro<br />
Sekunde auf. Fotos schießt das Gerät <strong>mit</strong><br />
3984x2240 Bildpunkten. Preis rund<br />
630 Euro.<br />
www.sony.de<br />
38 WIRTSCHAFT & MARKT 03/12
SPECIAL<br />
Sonderveröffentlichung<br />
Vorgestellt: German Technologies Center e.V.<br />
Mittelstand goes Asia<br />
Immer mehr deutsche Unternehmen verstärken ihre Präsenz in den<br />
asiatischen Staaten, insbesondere in der Volksrepublik China.<br />
Dieser Trend lässt sich nicht nur bei Großunternehmen<br />
beobachten, sondern spielt inzwischen auch im Mittelstand eine<br />
wichtige Rolle. Genau diese <strong>mit</strong>telgroßen Unternehmen haben ungefähr 90%<br />
der Technologien aus Deutschland in der Hand.<br />
Die chinesischen Märkte zeichnen sich durch ein<br />
enormes Potential und ein rasantes Wachstum<br />
aus. Sie sind noch weit von einer Sättigung<br />
entfernt. Offiziellen Angaben zufolge erwirtschafteten<br />
die staatseigenen und großen privaten<br />
Unternehmen im Land bislang einen Gewinn in<br />
Höhe von 2,8 Billionen RMB. Gegenüber dem<br />
Vorjahreszeitraum bedeutet dies ein Wachstum<br />
von28,3Prozent.ChinaistfünftgrößterInvestor<br />
weltweit. In 2010 sind Chinas direkte Auslandsinvestitionen<br />
auf 67,8 Milliarden US-Dollar gestiegen.<br />
Das waren über 40 Prozent mehr als im<br />
Vorjahr und der Trend hält an.<br />
SCHWERPUNKTBRANCHEN<br />
Beispiel Umwelttechnologie & Energiewirtschaft:<br />
Um ein nachhaltiges Wirtschaftswachstum zu<br />
erreichen, setzt die chinesische Regierung zunehmend<br />
auf „Grüne Technologien“, wo<strong>mit</strong> die<br />
Themen Energieeffizienz und -einsparung in der<br />
bilateralen Kooperation an Bedeutung gewonnen<br />
haben. Deutschland ist aufgrund seiner Vorreiterrolle<br />
und reichen Erfahrung bei der Nutzung<br />
der Wind- und Solarenergie ein sehr gefragter<br />
Gesprächs- und Wirtschaftspartner. Eine Vernetzung<br />
zwischen den Experten und Unternehmen<br />
beider Länder soll dies voranbringen.<br />
Beispiel Nukleare Sicherheit und Katastrophenschutz:<br />
China sieht sich permanent von geologischen<br />
Katastrophen bedroht. Laut offiziellen<br />
Angaben haben sich seit 1998 mehr als 320.000<br />
geologische Katastrophen in China ereignet, in<br />
deren Folge 14.000 Personen ihr Leben verloren.<br />
Die entstandenen wirtschaftlichen Schäden<br />
beliefen sich auf über 60 Milliarden RMB. Um<br />
dieser Situation entgegenzuwirken, hat der chinesische<br />
Staatsrat das Ziel formuliert, bis 2020 die<br />
Risiken gravierender geologischer Katastrophen<br />
weitgehend zu beseitigen und die durch Katastrophen<br />
verursachten Sachschäden und Todesfälle<br />
zu minimieren.<br />
KULTURELLE UNTERSCHIEDE<br />
Viele <strong>mit</strong>telständische Unternehmen wollen das<br />
Potenzial nutzen, das ein Engagement in China<br />
verspricht. Die Orientierung im chinesischen<br />
Markt jedoch offenbart viele Hürden. Geschäftsanbahnungen<br />
erfolgen in China fast ausschließlich<br />
über persönliche Kontakte, die intensiv<br />
gepflegtwerdenmüssen.Dabeiistesvonbesonderer<br />
Bedeutung, die Hierarchien, Strukturen und<br />
Besonderheiten der chinesischen Unternehmen<br />
zu kennen – denn schließlich bieten sich westlichen<br />
Verhandlungspartnern eine vollkommen<br />
fremde Businesskultur, Wertvorstellungen und<br />
so<strong>mit</strong> auch andere Verhandlungsmechanismen.<br />
So ist es wichtig, sich klarzumachen, dass in China<br />
emotionalen Aspekten mehr Bedeutung beigemessen<br />
wird, als rationalen Entscheidungen.<br />
Eine solide Vertrauensbasis und die Präsenz vor<br />
Ort sind für erfolgreiche Geschäftsbeziehungen<br />
im Reich der Mitte von zentraler Bedeutung.<br />
ERFOLGREICHER EINSTIEG<br />
Die bisherigen, zentralen Aktionen der IHK’s in<br />
Deutschland sind nur sehr wenig effektiv. Eine<br />
konkrete Hilfestellung für den erfolgreichen<br />
Markteinstieg in China bietet das German TechnologiesCentere.V..<br />
Der politisch unabhängige und geschäftsorientierte<br />
Verband ist für deutsche Technologieunternehmen<br />
eine zentrale Institution für die gegenseitige<br />
Aufnahme von Geschäftskontakten, das<br />
Suchen und Finden von Geschäftspartnern in<br />
beiden Ländern und einen effektiv gestalteten<br />
Technologietransfer. Das Interesse Chinas ist groß,<br />
<strong>mit</strong> deutschen Unternehmen unterschiedlichster<br />
Branchen noch schneller und besser zusammen<br />
zu arbeiten. Folgende Branchen bilden dabei den<br />
Schwerpunkt:<br />
– Sicherheit, Reaktor- und Katastrophenschutz<br />
– Umwelttechnologie und Energiewirtschaft<br />
– Industrieautomatisierung/Robotertechnik<br />
– Kommunikationstechnologie<br />
– Maschinen-, Fahrzeug- und Schiffsbau<br />
– Medizintechnologie<br />
Durch seine chinesischen Geschäftsstellen, u.a.<br />
in Peking und Shanghai, bietet das German Technologies<br />
Center zentrale Knotenpunkte, um<br />
Geschäftskontakte herzustellen, auszubauen und<br />
zu festigen. Die enge Zusammenarbeit des Verbandes<br />
<strong>mit</strong> chinesischen Branchenverbänden,<br />
Unternehmen, Technologie-Transferstellen und<br />
Universitäten geben zielorientierte Unterstützung<br />
für interessierte Technologieunternehmen aus<br />
Deutschland. Schulungen zu den Bedingungen<br />
auf dem chinesischen Markt, Vorbereitung von<br />
Kooperationsverträgen oder Infoveranstaltungen<br />
zu aktuellen Branchenthemen sind nur ein<br />
Ausschnitt des Serviceangebots des Verbandes.<br />
INFORMIEREN SIE SICH JETZT.<br />
Das German Technologies Center (GTC)<br />
fördert die Entwicklung von erfolgreichen<br />
Geschäftsbeziehungen zwischen deutschen, <strong>mit</strong>telständischen<br />
Unternehmen <strong>mit</strong> Unternehmen<br />
und Kooperationspartner in China.<br />
Weitere Informationen zur Mitgliedschaft im<br />
German Technologies Center e.V. finden Sie auf<br />
den Internetseiten www.german-technologiescenter.de/<br />
<strong>mit</strong>gliedschaft<br />
Dipl.-Ing. Ulf Stremmel<br />
Präsident des German Technologies Center e.V.<br />
Kontakt:<br />
German Technologies Center e.V.<br />
Geschäftsstelle Berlin<br />
Grünhofer Weg 18, D-13581 Berlin<br />
phone: +49303230630036<br />
fax: +49303230630010<br />
info[at]german-technologies-center.de
SPECIAL<br />
Schranken für Schiffe öffnet und wieder<br />
schließt. Es ist faszinierend. Bald wird<br />
jede Energiesparlampe ihren Status melden,<br />
jedes Auto Standort und Vektoren.<br />
Und selbst der berühmte Internet-Kühlschrank<br />
kommt zu späten Ehren, wenn<br />
er automatisch Milch auf den digitalen<br />
Smartphone-Einkaufszettel setzt. 50 Milliarden<br />
Geräte sollen laut Netzwerkhersteller<br />
Cisco bis 2020 im »Internet der<br />
Dinge« vernetzt sein. Darunter werden<br />
Objekte bis hin zu Alltagsgegenständen<br />
ans Internet angeschlossen und durch<br />
Programmierbarkeit, Speichervermögen,<br />
Sensoren und Kommunikationsfähigkeiten<br />
»intelligent« gemacht, so dass sie<br />
über das Internet eigenständig Informationen<br />
austauschen, Aktionen auslösen<br />
und sich wechselseitig steuern können.<br />
Das Internet der Dinge produziert eine<br />
Datenmenge, die technologisch neue<br />
Herausforderungen schafft und so Big<br />
Data und Cloud Computing bedingt.<br />
TREND 2: PROGNOSTIK<br />
Ähnlich wie die Rechenpower wächst die<br />
Datenmenge exponentiell und wird <strong>mit</strong><br />
dem Internet der Dinge eine neue Dimension<br />
erreichen. Laut der IT-Marktforscher<br />
von IDC verdoppelt sich das weltweite<br />
Datenvolumen etwa alle 18 Monate.<br />
Das ist Fluch und Segen zugleich.<br />
NEU AUS SACHSEN<br />
Fernbedienung <strong>mit</strong> Gesten<br />
Smartphones erkennen Gesten und<br />
ermöglichen die Interaktion, falls eine<br />
passende App vorhanden ist. Etwa<br />
zur Fernsteuerung von Computern<br />
oder Robotern. Die TU Bergakademie<br />
Freiburg hat <strong>mit</strong> myTU App eine Software<br />
dafür entwickelt.<br />
http://myTU.tu-freiberg.de<br />
Einerseits ermöglicht die Masse an Daten<br />
neue Erkenntnisse, andererseits ist sie<br />
immer schwerer beherrschbar. Anwender<br />
verbringen mehr Zeit <strong>mit</strong> der Suche<br />
nach Informationen als <strong>mit</strong> deren Analyse.<br />
Unternehmen sind davon abhängig,<br />
nahezu in Echtzeit die richtigen Entscheidungen<br />
auf Basis valider Analysen<br />
treffen zu können. Produktivitätsvorteile<br />
und Wertschöpfung entstehen dann,<br />
wenn wir in diesem Kontext Business<br />
Intelligence auf Abruf organisieren können<br />
und da<strong>mit</strong> beginnen, Big Data für<br />
kluge Prognostik und schlauen Kundenservice<br />
zu nutzen. Das allerdings setzt<br />
extreme Rechenpower voraus, die nur<br />
<strong>mit</strong> den skalierbaren Kräften des Cloud<br />
Computing darstellbar ist.<br />
MESSENEUHEITEN II<br />
TREND 3: IT AUS DER STECKDOSE<br />
Das Thema Cloud Computing wird uns<br />
noch eine Weile beschäftigen. Denn erstens<br />
haben wir längst noch nicht hinreichend<br />
begriffen, wie wir <strong>mit</strong> nahezu unbegrenzter<br />
Rechenpower kreativer, kommunikativer,<br />
innovativer, produktiver<br />
und effizienter werden können. Jetzt<br />
kommt es darauf an, die unternehmerische<br />
Vorstellungskraft »upzugraden« –<br />
denn die Technik ist längst da. Zweitens<br />
gilt es nach wie vor, ein hartnäckiges<br />
Missverständnis aufzuklären: Dass der<br />
Weg in die Cloud nur über eine Entweder-Oder-Entscheidung<br />
führt. Vielmehr<br />
lassen sich längst individuelle Anforderungen<br />
an Cloud Services und Softwarelösungen<br />
auch in IT-Strategien einbinden,<br />
die eigene Infrastrukturen <strong>mit</strong><br />
berücksichtigen: Die Cloud zu Ihren Bedingungen.<br />
Drittens gilt es, die Themen<br />
Datenschutz und Sicherheit in der Cloud<br />
offensiv anzugehen. Cloud Computing<br />
bietet die Chance, zentrale gesellschaftliche<br />
Probleme zu lösen – im Gesundheitswesen,<br />
in Bildung und Forschung,<br />
im Umweltbereich, beim eGovernment.<br />
TREND 4: MENSCH UND MASCHINE<br />
Neue Geräte, Cloud Computing und Big<br />
Data, Augmented Reality (erweiterte Realität)<br />
und 3D-Umgebungen – der Schlüs-<br />
Blitzrechner. Asus MeMO 370T ist ein<br />
10-Zoll-Tablet-PC <strong>mit</strong> Tegra-3-Prozessor von<br />
Nivida. Der Vierkern-Prozessor bricht alle<br />
Rekorde bei der Leistung von mobilen<br />
Geräten. Das Gerät arbeitet <strong>mit</strong> einer Akku-<br />
Ausstattung bis zwölf Stunden und da<strong>mit</strong><br />
20 Prozent länger, als Tablets der vorigen<br />
Chip-Generation.<br />
www.asus.de<br />
Eckmaus. Cube von Logitech sieht aus<br />
wie ein kleiner Backstein. Die eckige Maus<br />
dient der PC-Steuerung. Man streicht wie<br />
beim Smartphone <strong>mit</strong> dem Finger über das<br />
Gerät und erzeugt da<strong>mit</strong> einen flüssigen<br />
Bildverlauf. Cube funktioniert auch kabellos.<br />
Preis rund 70 Euro.<br />
www.logitech.de<br />
Bewegungssteuerung. Microsoft stellt<br />
Kinect für Windows vor. Das Gerät steuert<br />
den PC über eine bewegungssensitive<br />
3D-Kamera. Das Kamerasystem ist für die<br />
Gesichtserkennung einsetzbar. Preis rund<br />
190 Euro.<br />
www.microsoft.de<br />
LTE-Fritzbox. AVM zeigt Fritz!Box 6842<br />
LTE und Fritz!Box 6810 LTE (Foto) für den<br />
Internet-Anschluss. Die Boxen sind <strong>mit</strong> eingebauten<br />
Antennen für den LTE-Funkbetrieb<br />
(bis 100 MBit/s Download und 50 MBit/s<br />
Upload) ausgerüstet. Am Einsatzort werden<br />
die Daten per WLAN oder Ethernet verteilt.<br />
www.avm.de<br />
DATEV-Sicherheit. DATEVnet pro mobil<br />
schützt vor Angriffen aus dem Internet<br />
auf mobile Endgeräte. Smartphones und<br />
Tablet-PCs ermöglichen den ständigen<br />
Zugriff auf Unternehmens- und Kanzleidaten,<br />
eine sichere Anbindung ist wichtig.<br />
<strong>Nur</strong> für registrierte Geräte <strong>mit</strong> fest definiertem<br />
Nutzungsprofil ist der Zugriff möglich.<br />
www.datev.de<br />
GUT GERÜSTET: Die neuen Anschlusskisten<br />
von AVM (Fritz!Box 6842 LTE und 6810 LTE)<br />
sind kompatibel zum LTE-Funkstandard<br />
Elektronikkleidung. Wearable Technologies<br />
produziert Kleidungsstücke,<br />
Brillen und ähnliche Gegenstände <strong>mit</strong><br />
elektronischen Bauteilen. Über Sensoren,<br />
Displays oder Kameras lassen sich da<strong>mit</strong><br />
z.B. PCs steuern, Körper-Infos messen<br />
oder Kranke überwachen.<br />
www.wearable.com<br />
Fußballfunk. Winzige Funksensoren<br />
zeichnen bei RedFIR die Bewegungen<br />
von Fußballspielern samt dem Ball zur<br />
Analyse der Positionen am Computer auf.<br />
Die Ortungstechnologie des Fraunhofer-<br />
Instituts für Integrierte Schaltungen IIS<br />
Nürnberg erfasst die Daten sekundenschnell<br />
bis auf den Zentimeter genau.<br />
www.iis.fraunhofer.de<br />
Online-Speicher. HiDrive ist ein<br />
Speicher im TÜV-zertifizierten Rechenzentrum<br />
des Berliner Internetdienstleisters<br />
Strato. Nutzer können dort ihre Daten<br />
via Internet archivieren. Sie sind nach<br />
deutschem Datenschutzgesetz geschützt.<br />
www.strato.de<br />
40 WIRTSCHAFT & MARKT 03/12
SPECIAL<br />
Schranken für Schiffe öffnet und wieder<br />
schließt. Es ist faszinierend. Bald wird<br />
jede Energiesparlampe ihren Status melden,<br />
jedes Auto Standort und Vektoren.<br />
Und selbst der berühmte Internet-Kühlschrank<br />
kommt zu späten Ehren, wenn<br />
er automatisch Milch auf den digitalen<br />
Smartphone-Einkaufszettel setzt. 50 Milliarden<br />
Geräte sollen laut Netzwerkhersteller<br />
Cisco bis 2020 im »Internet der<br />
Dinge« vernetzt sein. Darunter werden<br />
Objekte bis hin zu Alltagsgegenständen<br />
ans Internet angeschlossen und durch<br />
Programmierbarkeit, Speichervermögen,<br />
Sensoren und Kommunikationsfähigkeiten<br />
»intelligent« gemacht, so dass sie<br />
über das Internet eigenständig Informationen<br />
austauschen, Aktionen auslösen<br />
und sich wechselseitig steuern können.<br />
Das Internet der Dinge produziert eine<br />
Datenmenge, die technologisch neue<br />
Herausforderungen schafft und so Big<br />
Data und Cloud Computing bedingt.<br />
TREND 2: PROGNOSTIK<br />
Ähnlich wie die Rechenpower wächst die<br />
Datenmenge exponentiell und wird <strong>mit</strong><br />
dem Internet der Dinge eine neue Dimension<br />
erreichen. Laut der IT-Marktforscher<br />
von IDC verdoppelt sich das weltweite<br />
Datenvolumen etwa alle 18 Monate.<br />
Das ist Fluch und Segen zugleich.<br />
NEU AUS SACHSEN<br />
Fernbedienung <strong>mit</strong> Gesten<br />
Smartphones erkennen Gesten und<br />
ermöglichen die Interaktion, falls eine<br />
passende App vorhanden ist. Etwa<br />
zur Fernsteuerung von Computern<br />
oder Robotern. Die TU Bergakademie<br />
Freiburg hat <strong>mit</strong> myTU App eine Software<br />
dafür entwickelt.<br />
http://myTU.tu-freiberg.de<br />
Einerseits ermöglicht die Masse an Daten<br />
neue Erkenntnisse, andererseits ist sie<br />
immer schwerer beherrschbar. Anwender<br />
verbringen mehr Zeit <strong>mit</strong> der Suche<br />
nach Informationen als <strong>mit</strong> deren Analyse.<br />
Unternehmen sind davon abhängig,<br />
nahezu in Echtzeit die richtigen Entscheidungen<br />
auf Basis valider Analysen<br />
treffen zu können. Produktivitätsvorteile<br />
und Wertschöpfung entstehen dann,<br />
wenn wir in diesem Kontext Business<br />
Intelligence auf Abruf organisieren können<br />
und da<strong>mit</strong> beginnen, Big Data für<br />
kluge Prognostik und schlauen Kundenservice<br />
zu nutzen. Das allerdings setzt<br />
extreme Rechenpower voraus, die nur<br />
<strong>mit</strong> den skalierbaren Kräften des Cloud<br />
Computing darstellbar ist.<br />
MESSENEUHEITEN II<br />
TREND 3: IT AUS DER STECKDOSE<br />
Das Thema Cloud Computing wird uns<br />
noch eine Weile beschäftigen. Denn erstens<br />
haben wir längst noch nicht hinreichend<br />
begriffen, wie wir <strong>mit</strong> nahezu unbegrenzter<br />
Rechenpower kreativer, kommunikativer,<br />
innovativer, produktiver<br />
und effizienter werden können. Jetzt<br />
kommt es darauf an, die unternehmerische<br />
Vorstellungskraft »upzugraden« –<br />
denn die Technik ist längst da. Zweitens<br />
gilt es nach wie vor, ein hartnäckiges<br />
Missverständnis aufzuklären: Dass der<br />
Weg in die Cloud nur über eine Entweder-Oder-Entscheidung<br />
führt. Vielmehr<br />
lassen sich längst individuelle Anforderungen<br />
an Cloud Services und Softwarelösungen<br />
auch in IT-Strategien einbinden,<br />
die eigene Infrastrukturen <strong>mit</strong><br />
berücksichtigen: Die Cloud zu Ihren Bedingungen.<br />
Drittens gilt es, die Themen<br />
Datenschutz und Sicherheit in der Cloud<br />
offensiv anzugehen. Cloud Computing<br />
bietet die Chance, zentrale gesellschaftliche<br />
Probleme zu lösen – im Gesundheitswesen,<br />
in Bildung und Forschung,<br />
im Umweltbereich, beim eGovernment.<br />
TREND 4: MENSCH UND MASCHINE<br />
Neue Geräte, Cloud Computing und Big<br />
Data, Augmented Reality (erweiterte Realität)<br />
und 3D-Umgebungen – der Schlüs-<br />
Blitzrechner. Asus MeMO 370T ist ein<br />
10-Zoll-Tablet-PC <strong>mit</strong> Tegra-3-Prozessor von<br />
Nivida. Der Vierkern-Prozessor bricht alle<br />
Rekorde bei der Leistung von mobilen<br />
Geräten. Das Gerät arbeitet <strong>mit</strong> einer Akku-<br />
Ausstattung bis zwölf Stunden und da<strong>mit</strong><br />
20 Prozent länger, als Tablets der vorigen<br />
Chip-Generation.<br />
www.asus.de<br />
Eckmaus. Cube von Logitech sieht aus<br />
wie ein kleiner Backstein. Die eckige Maus<br />
dient der PC-Steuerung. Man streicht wie<br />
beim Smartphone <strong>mit</strong> dem Finger über das<br />
Gerät und erzeugt da<strong>mit</strong> einen flüssigen<br />
Bildverlauf. Cube funktioniert auch kabellos.<br />
Preis rund 70 Euro.<br />
www.logitech.de<br />
Bewegungssteuerung. Microsoft stellt<br />
Kinect für Windows vor. Das Gerät steuert<br />
den PC über eine bewegungssensitive<br />
3D-Kamera. Das Kamerasystem ist für die<br />
Gesichtserkennung einsetzbar. Preis rund<br />
190 Euro.<br />
www.microsoft.de<br />
LTE-Fritzbox. AVM zeigt Fritz!Box 6842<br />
LTE und Fritz!Box 6810 LTE (Foto) für den<br />
Internet-Anschluss. Die Boxen sind <strong>mit</strong> eingebauten<br />
Antennen für den LTE-Funkbetrieb<br />
(bis 100 MBit/s Download und 50 MBit/s<br />
Upload) ausgerüstet. Am Einsatzort werden<br />
die Daten per WLAN oder Ethernet verteilt.<br />
www.avm.de<br />
DATEV-Sicherheit. DATEVnet pro mobil<br />
schützt vor Angriffen aus dem Internet<br />
auf mobile Endgeräte. Smartphones und<br />
Tablet-PCs ermöglichen den ständigen<br />
Zugriff auf Unternehmens- und Kanzleidaten,<br />
eine sichere Anbindung ist wichtig.<br />
<strong>Nur</strong> für registrierte Geräte <strong>mit</strong> fest definiertem<br />
Nutzungsprofil ist der Zugriff möglich.<br />
www.datev.de<br />
GUT GERÜSTET: Die neuen Anschlusskisten<br />
von AVM (Fritz!Box 6842 LTE und 6810 LTE)<br />
sind kompatibel zum LTE-Funkstandard<br />
Elektronikkleidung. Wearable Technologies<br />
produziert Kleidungsstücke,<br />
Brillen und ähnliche Gegenstände <strong>mit</strong><br />
elektronischen Bauteilen. Über Sensoren,<br />
Displays oder Kameras lassen sich da<strong>mit</strong><br />
z.B. PCs steuern, Körper-Infos messen<br />
oder Kranke überwachen.<br />
www.wearable.com<br />
Fußballfunk. Winzige Funksensoren<br />
zeichnen bei RedFIR die Bewegungen<br />
von Fußballspielern samt dem Ball zur<br />
Analyse der Positionen am Computer auf.<br />
Die Ortungstechnologie des Fraunhofer-<br />
Instituts für Integrierte Schaltungen IIS<br />
Nürnberg erfasst die Daten sekundenschnell<br />
bis auf den Zentimeter genau.<br />
www.iis.fraunhofer.de<br />
Online-Speicher. HiDrive ist ein<br />
Speicher im TÜV-zertifizierten Rechenzentrum<br />
des Berliner Internetdienstleisters<br />
Strato. Nutzer können dort ihre Daten<br />
via Internet archivieren. Sie sind nach<br />
deutschem Datenschutzgesetz geschützt.<br />
www.strato.de<br />
40 WIRTSCHAFT & MARKT 03/12
SPECIAL<br />
sel zu den wichtigsten Trends in der IT<br />
liegt im Zugang. Das Interface, also das<br />
Zugangs- und Kommunikationsmedium<br />
zum Computer, spielt dabei die entscheidende<br />
Rolle. Indem es die Art und Weise<br />
bestimmt, wie wir <strong>mit</strong> komplexen Technologien<br />
interagieren. Maus und Tastatur<br />
sind längst auf dem Weg ins Museum.<br />
Intuitiv und möglichst natürlich soll<br />
die Bedienung sein – ob per Fingerzeig,<br />
Sprache oder <strong>mit</strong> Armen und Beinen.<br />
Mit OmniTouch wird jede beliebige<br />
Oberfläche, ob Hand oder Wand, zur<br />
Touch-Oberfläche. OmniTouch erlaubt es<br />
beispielsweise, einen virtuellen Ziffernblock<br />
statt auf einem Display auf einer<br />
Handoberfläche einzublenden, um dann<br />
dort die gewünschte Telefonnummer<br />
einzugeben. Ein auf der Schulter des<br />
Anwenders montiertes Gerät enthält ein<br />
Laser-Projektor, der Inhalte auf eine beliebige<br />
Oberfläche einblendet. Hinzu<br />
kommt eine Kamera, die Bewegungen<br />
der Finger bei Eingabe erkennen kann.<br />
Etwa ob der Anwender seine Finger nur<br />
über ein virtuelles Steuerelement hält<br />
oder tatsächlich darauf drückt.<br />
TREND 5: VERBRAUCHERNAHE IT<br />
Aus Business-Perspektive beschreibt der<br />
Ausdruck »Consumerization of IT« (verbrauchernahe<br />
IT) die Verlagerung privater<br />
IT-Nutzungsgewohnheiten an den Arbeitsplatz.<br />
Was, wenn der Geschäftsführer<br />
neueste Zahlen auf seinem neuen<br />
Tablet lesen will? Wenn Mitarbeiter ihr<br />
privates Smartphone für den beruflichen<br />
Mailverkehr nutzen wollen? Beispiel<br />
Social Web – für uns als Privatpersonen<br />
eine Selbstverständlichkeit, aber im<br />
Unternehmen unter dem Stichwort »Enterprise<br />
2.0« auch eine Herausforderung.<br />
So werden zwar ganz neue Beziehungen<br />
innerhalb der Firma und zu Kunden, Lieferanten<br />
und der Öffentlichkeit gestiftet.<br />
Doch die Kommunikationsfreiheit stößt<br />
an Grenzen, sind sensible Infos oder Sicherheitsregeln<br />
betroffen. Von restriktiven<br />
Security-Regeln bis »Bring your own<br />
Computer-Policy«. Wie Firmen <strong>mit</strong> dem<br />
Phänomen umgehen können, entscheidet<br />
langfristig auch über deren Wettbewerbsfähigkeit.<br />
TREND 6: TECHNICAL RESPONSIBILITY<br />
Wenn neue IT-Technologien die Art und<br />
Weise verändern, wie wir als Menschen,<br />
als Unternehmen und als Gesellschaft<br />
<strong>mit</strong>einander leben, lernen, arbeiten und<br />
kommunizieren – in welcher besonderen<br />
Verantwortung stehen dann die Unternehmen,<br />
die sie ermöglichen? Diese<br />
besondere Verantwortung wird als »Corporate<br />
Technical Responsibility« bezeichnet.<br />
Ein Begriff, der nach Antworten<br />
sucht. Wie steht es um die Verantwortung<br />
<strong>mit</strong> Daten und Identitäten, wie um<br />
die Sicherheit in Anwendung und Bereitstellung<br />
neuer IT-Technologien? Wie<br />
steht es um deren Marktzugänglichkeit<br />
und wie wird Transparenz in der Kommunikation<br />
und Aufklärung gewährleistet?<br />
Die IT-Wirtschaft in Deutschland bewegt<br />
sich am Rande einer Vertrauenskrise<br />
und muss eine noch aktivere Rolle<br />
in öffentlichen Debatten übernehmen,<br />
muss technologische Trends und Prozesse<br />
und über mögliche Folgen aufklären.<br />
TREND 7: THE POWER OF DESIGN<br />
Neue Technologien wie Cloud Computing<br />
und Innovationen wie Natural User<br />
Interfaces stellen neue Anforderungen<br />
an Darstellung, Visualisierung und Zugänglichkeit<br />
von Software – das Design<br />
muss in diesem Kontext neue Antworten<br />
liefern. Microsofts Antwort zum Beispiel<br />
heißt Metro. Ein System, das sich vom<br />
Windows Phone über Xbox 360 bis hin zu<br />
Windows 8 im kommenden Jahr als eine<br />
unverwechselbare Designsprache etablieren<br />
soll. Dabei sind nicht nur Äußerlichkeiten<br />
entscheidend. Mit der Kraft<br />
des Designs über die Klarheit der Funktion<br />
und der Intelligenz des Bauplans sollen<br />
neue Maßstäbe gesetzt werden. &<br />
DIE WELT DER DRUCKER<br />
Papierberge trotz elektronischer Kommunikation<br />
Das papierlose Büro bleibt auch in Zeiten hochleistungsfähiger Datenverarbeitungstechnik eine Illusion.<br />
Es wird mehr gedruckt als je zuvor. Effizientes Druckermanagement birgt enormes Sparpotenzial.<br />
Bessere Lesbarkeit von Dokumenten ist für<br />
die Mehrzahl der Büro<strong>mit</strong>arbeiter wichtigster<br />
Grund für einen Papierausdruck. Das<br />
sagen laut einer Umfrage des Druckerherstellers<br />
Lexmark 65 Prozent der Befragten.<br />
In Papierform wollen dazu noch fast ebenso<br />
viele Personen ihre Texte, Präsentationen<br />
oder E-Mails im Archiv aufbewahren.<br />
Trotz wachsender elektronische Kommunikation<br />
wird mehr gedruckt. Im Papierverbrauch<br />
ist Deutschland führend. Büro-Mitarbeiter<br />
drucken pro Tag rund 40 Seiten<br />
aus. Vieles ist überflüssig: Im Papierkorb<br />
landen zehn gedruckte Seiten pro Mitarbeiter<br />
und Tag. 700 Milliarden Seiten (!) werden<br />
weltweit pro Jahr unnötig ausgedruckt.<br />
Hartmut Rottstedt, Geschäftsführer von<br />
Lexmark Deutschland, gibt in W&M Tipps<br />
für Sparpotenzial beim Druckereinsatz:<br />
Drucker vereinheitlichen und vernetzen.<br />
Mittelständler optimieren ihre Drucker-Infrastruktur,<br />
indem sie den Gerätepark vereinheitlichen<br />
auf wenige Typen. Zusätzlich<br />
lassen sie Drucker und Multifunktionsgeräte<br />
durch Managed Print Services (MPS) verwalten,<br />
den externe Dienstleister anbieten.<br />
Gesteuert werden die individuellen Druckoutputs.<br />
Es lassen sich 15 bis 30 Prozent<br />
der Kosten einsparen. MPS ist für Firmen<br />
<strong>mit</strong> mehr als 20 Geräten interessant.<br />
Multifunktionsgeräte einsetzen.<br />
Kleine Betriebe nutzen häufiger A4-Multifunktionsgeräte,<br />
die drucken, kopieren,<br />
scannen und faxen. Sie digitalisieren papierbasierte<br />
Infos. Das vereinfacht<br />
Geschäftsabläufe. Die Daten sind zentral<br />
gespeichert und stehen allen Mitarbeitern<br />
zur Verfügung.<br />
Elektronische Kommunikation ausbauen.<br />
Bei Zunahme der Informationsflut wird es<br />
immer wichtiger, sorgfältig abzuwägen,<br />
welche Dokumente gedruckt werden<br />
müssen und welche nicht. Das vollständig<br />
papierlose Büro ist nicht realistisch.<br />
Laser- und Tintenstrahldrucker einsetzen.<br />
Tintenstrahler eignen sich neben dem<br />
Drucken auf Normalpapier auch für das<br />
Drucken von Folien und anderen Medien.<br />
Wer nur auf Normalpapier druckt, fährt<br />
besser <strong>mit</strong> einem Lasergerät.<br />
Dokumentenbasierte Abläufe verbessern.<br />
Die Druckertechnologien sind technisch<br />
sehr ausgereift. Da kommt es darauf an,<br />
die Geschäftsabläufe zu optimieren.<br />
Multifunktionsgeräte verfügen über vorinstallierte<br />
und individuell anpassbare<br />
Lösungen. Gescannte Dokumente<br />
werden zum Beispiel automatisch in einen<br />
bestimmten Ordner abgelegt.<br />
Wildwuchs abbauen.<br />
In vielen Firmen ist der Gerätepark <strong>mit</strong><br />
unterschiedlichsten Druckern gewachsen.<br />
Der Wildwuchs führt dazu, dass unklar<br />
wird, wieviel für den Druck von Dokumenten<br />
ausgegeben wird, welche Geräte unteroder<br />
überlastet sind. Die Firma Lexmark<br />
bietet dazu das Konzept Print-Manage-<br />
Move an, da<strong>mit</strong> sollen Betriebe die Kontrolle<br />
über ihre Kosten behalten.<br />
Auf der CeBIT 2012 präsentieren sich in<br />
Halle 3 in einer Art Drucker-Show die<br />
wichtigsten MPS-Anbieter. Im Mittelpunkt<br />
stehen Neuheiten aus Planung, Implementierung,<br />
Betrieb, Wartung und<br />
Erneuerung von Druckumgebungen.<br />
42 WIRTSCHAFT & MARKT 03/12
Jetzt<br />
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Wirtschaft & Markt, das ostdeutsche Wirtschaftsmagazin:<br />
Bei uns<br />
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auf den Titel<br />
zu kommen.<br />
Format reicht.<br />
WIRTSCHAFT& MARKT<br />
Der Osten aus erster Hand<br />
Redaktion Wirtschaft & Markt, Zimmerstraße 55, 10117 Berlin; Tel.: 030-278 94 50
INTERVIEW<br />
Prof. Oliver Holtemöller und Dr. Jutta Günther, Interimsvorstände des Instituts<br />
für Wirtschaftsforschung Halle (IWH) zum Aufholprozess ost und Förderpolitik<br />
»Transformation <strong>mit</strong> Langzeitfolgen«<br />
Fotos: H. Lachmann<br />
behrlich. Der Osten holt nur auf, wenn<br />
sich hier die Wirtschaftstrukturen weiterhin<br />
verändern – sowohl die sektorale<br />
Zusammensetzung als auch die Größe<br />
der Unternehmen. Noch dominieren<br />
kleine und <strong>mit</strong>tlere Unternehmen, die<br />
zudem deutlich weniger internationalisiert<br />
sind als in Westdeutschland. Die<br />
kleinen und <strong>mit</strong>tleren Unternehmen<br />
müssen nun endogen wachsen, aus sich<br />
selbst heraus. Das dauert seine Zeit.<br />
W&M: Wird in der ostdeutschen Industrie zu<br />
wenig geforscht und entwickelt?<br />
GÜNTHER: Es gibt eine Forschungslücke<br />
zwischen Ost und West. Im Osten gibt die<br />
private Wirtschaft knapp ein Prozent des<br />
BIP für Forschung und Entwicklung aus,<br />
im Westen sind es rund zwei Prozent.<br />
Doch die Forschungsintensität ist in den<br />
neuen Ländern strukturadäquat angesichts<br />
der Zusammensetzung der Industrie.<br />
Aber nochmal: Die Wirtschaftsstrukturen<br />
müssen sich verändern.<br />
W&M: Wie spiegelt die Patentintensität dieses<br />
Dilemma wider? 2010 wurden bundesweit<br />
knapp 60.000 Patente angemeldet. Sachsen<br />
steuerte ganze 1.100 bei, Thüringen knapp<br />
550, Sachsen-Anhalt 312.<br />
GÜNTHER: Patente sind nicht zwangsläufig<br />
gleichzusetzen <strong>mit</strong> Innovationen. Es<br />
gibt auch strategische Patente. Zudem<br />
werden diese häufig von den Unternehmenszentralen<br />
angemeldet, und die sitzen<br />
nicht selten in Westdeutschland<br />
oder im Ausland. Geht man jedoch nach<br />
dem Wohnsitz der Erfinder und berück-<br />
ZUR<br />
PERSON<br />
Ost-Forscher aus dem Westen<br />
Dr. Jutta Günther<br />
Die 44-jährige aus Nordrhein-Westfalen<br />
studierte bis 1999 Sozial- und Wirtschaftswissenschaften<br />
in Oldenburg, Osnabrück<br />
sowie New York. 2002 Promotion, danach<br />
Wechsel ans IWH, Abt. Strukturökonomik.<br />
Prof. Oliver Holtemöller<br />
Der 40-jährige aus Hessen studierte in<br />
Gießen u. a. VWL. Danach bis 2001 Stipendiat<br />
der Deutschen Forschungsgemeinschaft.<br />
Promotion an der FU Berlin. Seit<br />
August 2009 ist er Professor für VWL an<br />
der Universität Halle-Wittenberg und Leiter<br />
der Abt. Makroökonomik am IWH.<br />
W&M: Nach zwei Jahrzehnten deutscher Einheit<br />
hat der Osten wirtschaftlich zum Westteil<br />
noch nicht entscheidend aufholt. Rückt das<br />
Ziel in weite Ferne?<br />
HOLTEMÖLLER: Aus ökonomischer Sicht<br />
sind wir noch meilenweit von gleichen<br />
Verhältnissen entfernt. Der Aufholprozess<br />
vollzieht sich sehr langsam. Die<br />
Lücke wird noch lange klaffen, sicher<br />
mehrere Jahrzehnte.<br />
W&M: Wie weit hinkt der Osten hinterher?<br />
HOLTEMÖLLER: Bei der Produktion je<br />
Einwohner und bei der Produktivität erreicht<br />
Ostdeutschland derzeit 70 bis 80<br />
Prozent des westdeutschen Niveaus. Aus<br />
internationalen Studien ist bekannt,<br />
dass sich die Lücke – sofern ein Angleichungsprozess<br />
im Gange ist – jährlich<br />
um etwa zwei Prozent schließt. Nach<br />
dem US-amerikanischen Bürgerkrieg hat<br />
es beispielsweise über hundert Jahre gedauert,<br />
ehe der Süden auf 90 Prozent des<br />
Einkommens des Nordens kam, bei gleicher<br />
Gesetzgebung, gleicher Währung.<br />
W&M: Woran liegt das?<br />
JUTTA GÜNTHER: Ein Grund ist der unterschiedliche<br />
Branchenmix. Die technologieintensiveren<br />
Industrien sind in den alten<br />
Ländern stärker präsent. In Sachsen-<br />
Anhalt dominiert die Nahrungs<strong>mit</strong>telbranche,<br />
doch hier ist die Wertschöpfung<br />
vergleichsweise gering.<br />
W&M: Findet derzeit überhaupt eine Angleichung<br />
statt, etwa bei der Produktivität?<br />
HOLTEMÖLLER: Davon ist auszugehen. Erschwerend<br />
wirkt die unterschiedliche<br />
demografische Entwicklung. Deutschland<br />
altert insgesamt, der Osten aber<br />
deutlich stärker. Selbst wenn die Produktivität<br />
weiter konvergiert, nähert sich<br />
das Einkommen, das pro Kopf erwirtschaftet<br />
wird, nicht in gleichem Maße<br />
an. Denn das Verhältnis von Erwerbstätigen<br />
zur Gesamtbevölkerung entwickelt<br />
sich im Osten ungünstiger.<br />
GÜNTHER: Zudem holt Ostdeutschland<br />
nur auf, wenn die Produktivität schneller<br />
zunimmt als im Westen. Dazu sind innovative<br />
Kräfte und Ideen nötig.<br />
W&M: Forschung und Entwicklung findet vor<br />
allem dort statt, wo sich große Firmenzentralen<br />
befinden. Die haben wir im Osten aber<br />
deutlich zu wenig.<br />
GÜNTHER: Das ist wahr, dennoch ist für<br />
die Weiterentwicklung der ostdeutschen<br />
Industrie die Innovationstätigkeit unentsichtigt<br />
wiederum die unterschiedlichen<br />
Strukturen, ist die Lücke gar nicht so<br />
groß. Dennoch muss die ostdeutsche<br />
Industrie ganz klar mehr in Forschung<br />
und Entwicklung investieren. Derzeit<br />
kompensieren die öffentlichen Forschungsausgaben,<br />
also die der Universitäten<br />
und außeruniversitären Institute,<br />
einen großen Teil der fehlenden privaten<br />
Investitionen in Forschung und<br />
Entwicklung. Die Wissenschaftseinrichtungen<br />
spielen in den neuen Ländern<br />
eine sehr wichtige Rolle. Ihre Patentaktivität<br />
kann sich durchaus <strong>mit</strong> den<br />
Wissenschaftseinrichtungen in Westdeutschland<br />
messen.<br />
W&M: Wie kann die Politik eingreifen, um jenen<br />
sektoralen Strukturwandel zu befördern?<br />
HOLTEMÖLLER: Sie muss Rahmenbedingungen<br />
schaffen, da<strong>mit</strong> gut ausgebildete<br />
junge Menschen im Osten bleiben, Familien<br />
gründen und möglichst nach dem<br />
Studium innovative Firmen gründen.<br />
Nicht als Kernproblem im Osten sehe ich<br />
die öffentlichen Investitionen. Defizite<br />
bestehen im privaten Sektor, gerade bei<br />
den Ausgaben für Forschung und Entwicklung.<br />
In Baden-Württemberg liegen<br />
sie bei 1.100 Euro pro Einwohner, in<br />
Sachsen-Anhalt bei 70 Euro.<br />
GÜNTHER: Wichtige Standortfaktoren<br />
bilden, wie wir aus Befragungen ausländischer<br />
Investoren wissen, die Wissenschaftseinrichtungen<br />
vor Ort. Bei der<br />
stärkeren Vernetzung der Industrie <strong>mit</strong><br />
Hochschulen und Instituten kam man<br />
auch in Ostdeutschland in den letzten<br />
15 Jahren gut voran. Gerade in der außeruniversitären<br />
Forschung tat sich viel,<br />
zum Beispiel bei den zahlreichen Fraunhofer-Instituten,<br />
die ja sehr industrienah<br />
arbeiten. Zudem spielen externe Industrieforschungseinrichtungen<br />
in den<br />
neuen Ländern eine wichtige Rolle als<br />
Partner der Industrie. Die Politik ist<br />
allerdings gut beraten, technologische<br />
Investitionen nicht <strong>mit</strong> der Gießkanne<br />
zu fördern sowie ihre Programme technologieoffen<br />
zu gestalten. Viel hängt von<br />
der Initiative der Unternehmen selbst ab.<br />
W&M: Wo sehen Sie im Osten herausragende<br />
Beispiele?<br />
GÜNTHER:<br />
Vorzeigestandorte, die sich<br />
<strong>mit</strong> westdeutschen messen können, sind<br />
für die optische Technologie Jena, für<br />
Elektrotechnik und Mikroelektronik der<br />
44 WIRTSCHAFT & MARKT 03/12
INTERVIEW<br />
Raum Dresden, für Fahrzeug- und Maschinenbau<br />
die Region Zwickau/Chemnitz.<br />
Ein Bereich ist auch die textilverarbeitende<br />
Industrie um Chemnitz und<br />
Zwickau. Hier gibt es technologisch sehr<br />
anspruchsvolle Innovationen.<br />
W&M: Die Automobilstandorte in Sachsen<br />
bilden bis heute eher eine verlängerte Werkbank.<br />
Keine echte Perspektive, oder?<br />
HOLTEMÖLLER: Eine verlängerte Werkbank<br />
verkörpert natürlich kein Zukunftsmodell.<br />
Das ist Verharren im Status<br />
quo. Weiterentwicklung findet nur<br />
statt, wenn die originäre Innovationskraft<br />
der Unternehmen selbst gesteigert<br />
wird. Anders geht es nicht.<br />
W&M: Bleibt der Osten so auf Dauer das<br />
deutsche Mezzogiorno?<br />
GÜNTHER: Punktuell und regionenspezifisch<br />
gibt es in Ostdeutschland große<br />
Erfolge. Die pauschale Trennung in Ostund<br />
Westdeutschland ist überholt. Es<br />
gibt auch in den alten Ländern strukturschwache<br />
Regionen. Wir werden künftig<br />
weder im Osten noch im Westen durchweg<br />
gleiche Strukturen und Wohlstandsregionen<br />
haben – wie auch nicht zwischen<br />
Nord und Süd.<br />
W&M: Die Vereinigung der Sächsischen Wirtschaft<br />
hat verkündet, auf absehbare Zeit ohne<br />
Subventionen auskommen zu wollen. Ist das<br />
realistisch?<br />
HOLTEMÖLLER: Natürlich kann man breite<br />
Subventionen nicht auf Dauer anlegen.<br />
Es ist zumeist eine gute Idee, sie degressiv<br />
zu gestalten und von allein auslaufen<br />
zu lassen. So ist das ja auch beim<br />
Solidarpakt. Ob hierfür 2019 wirklich der<br />
richtige Zeitpunkt ist, kann keiner genau<br />
sagen. Doch angesichts des zähen politi-<br />
»Im Osten müssen sich die<br />
WIRTSCHAFTSSTRUKTUREN<br />
verändern.«<br />
schen Verhandlungsprozesses sage ich,<br />
er sollte nicht wieder aufgenommen werden.<br />
Jeder kann sich langfristig darauf<br />
einstellen.<br />
W&M: Wird es ab 2020 gar keine regionale<br />
Förderung mehr geben?<br />
HOLTEMÖLLER: Wir brauchen dann eine<br />
Förderung strukturschwacher Regionen<br />
in Ost wie in West, die sich an der Sache<br />
orientiert: Worin ist die Schwäche begründet?<br />
Was ist das richtige Mittel dagegen?<br />
Viele zu fördernde Gebiete werden<br />
auch dann noch im Osten liegen. Doch<br />
man wird die Förderung nicht mehr <strong>mit</strong><br />
Ost und West begründen.<br />
W&M: Einige Ostländer bereiten sich darauf<br />
vor, indem sie staatliche Mittel in neue Technologien,<br />
neue Industrien stecken, die noch<br />
nicht durch westdeutsche Unternehmen besetzt<br />
sind. Beredtes Beispiel ist die Photovoltaik.<br />
Doch die kriselt momentan beträchtlich.<br />
War es ein Fehler, sich derart festzulegen?<br />
HOLTEMÖLLER: Könnte man Marktprozesse<br />
prognostizieren, brauchte man keine<br />
Märkte, sagt ein britischer Ökonom.<br />
Also, wir wissen nicht, was die zukunftsträchtige<br />
Technologie ist. Niemand weiß<br />
es. Deshalb spricht einiges dafür, nicht<br />
<strong>mit</strong> staatlichem Geld zu sehr auf bestimmte<br />
Technologien zu setzen.<br />
W&M: Forschungsergebnisse des IWH zur<br />
Transformation früherer Planwirtschaften besagen,<br />
dass die Steigerung der Innovationskraft<br />
einer Region nicht von allein geschieht.<br />
Es bedürfe staatlicher Impulse.<br />
HOLTEMÖLLER: Richtig. Wie bringt man<br />
beides zusammen? Wir brauchen eine<br />
Förderung. Also muss man sich so genannte<br />
anreizkompatible Mechanismen<br />
überlegen. Es darf auf keinen Fall sein,<br />
dass sich eine Industrieansiedlung nur<br />
trägt, weil der Staat zubuttert. Es muss<br />
jedoch in bestimmten strukturschwachen<br />
Regionen staatliche Anreize geben,<br />
um hier zu investieren – aber nur in<br />
Bereichen, in denen Unternehmen auch<br />
allein investieren würden, wenngleich<br />
sonst woanders.<br />
W&M: Gesetzt den Fall, wir sitzen in fünf<br />
Jahren wieder zusammen: Was wird sich bis<br />
dahin beim Aufholprozess getan haben?<br />
GÜNTHER: Fünf Jahre sind eine sehr kurze<br />
Frist für den Strukturwandel. Ich denke,<br />
dass wir auch dann nicht über revolutionär<br />
andere Themen sprechen. Hier<br />
würde ich als realistischen Zeitraum<br />
eher 20 Jahre ansetzen. Bis dahin können<br />
sich etwa Industriezweige entwickeln,<br />
die wir heute noch gar nicht kennen.<br />
Vielleicht tun sich in der Biotechnologie<br />
oder bei Umwelttechnologien ganz neue<br />
Dimensionen und Chancen auf.<br />
HOLTEMÖLLER: In den nächsten zwei,<br />
drei Jahren stehen andere Probleme stärker<br />
im Mittelpunkt. Wir haben jetzt die<br />
große europäische Krise, und wir müssen<br />
uns darüber unterhalten, wie wir auf<br />
dem Kontinent Rahmenbedingungen für<br />
makroökonomische Stabilität gestalten.<br />
W&M: Sie beide leiten das IWH seit Mitte Dezember<br />
2011 als Interimsvorstände, nachdem<br />
der bisherige Präsident Prof. Ulrich Blum und<br />
auch der Vorsitzende des wissenschaftlichen<br />
Beirates, Prof. Friedrich L. Sell aus München,<br />
ausgeschieden sind. Was war der Anlass?<br />
HOLTEMÖLLER: Wie alle Institute der<br />
Leibniz-Gemeinschaft (WGL) werden<br />
auch wir regelmäßig evaluiert. Eine Begehungsgruppe<br />
schaut sich die wissenschaftliche<br />
Arbeit an und legt den Bericht<br />
dem Senat der WGL vor. Dieser gibt<br />
dann eine Förderempfehlung an die gemeinsame<br />
Wissenschaftskonferenz des<br />
Bundes und der Länder (GWK). Diese<br />
trifft dann eine Förderentscheidung.<br />
W&M: Wie ist diese ausgefallen?<br />
HOLTEMÖLLER: Die GWK-Entscheidung<br />
steht noch aus. Der Senat der WGL ist zu<br />
dem Schluss gekommen, man solle das<br />
IWH weiter fördern, weil es bedeutende<br />
überregionale Fragestellungen bearbeitet<br />
und Chancen bestehen, die Leistungsfähigkeit<br />
deutlich zu steigern.<br />
W&M: Wie soll das geschehen?<br />
HOLTEMÖLLER: Das IWH soll stärker in<br />
der Forschungslandschaft vernetzt und<br />
international besser wahrgenommen<br />
werden. Speziell über unser Forschungsleitthema<br />
»Von der Transformation zur<br />
europäischen Integration«. Wir beschäftigen<br />
uns <strong>mit</strong> ökonomischen Langfristfolgen<br />
der Planwirtschaft. So sind aktive<br />
wirtschaftspolitische Eingriffe erforderlich,<br />
um die Konvergenz zu erzielen.<br />
Interview: Harald Lachmann<br />
&<br />
WIRTSCHAFT & MARKT 03/12 45
W&M-SERVICE<br />
AKTUELL<br />
FINANZÄMTER<br />
Schwere Defizite<br />
im Vollzug<br />
Der Bundesrechnungshof hat<br />
in einem aktuellen Gutachten<br />
den Finanzämtern schwere<br />
Fehler vorgeworfen.<br />
Der Bundesrechnungshof<br />
mahnt in seinem Gutachten die<br />
Vereinfachung des Steuerrechts<br />
und eine Weiterentwicklung<br />
des Risikomanagements in der<br />
Steuerverwaltung an. Gegenwärtig<br />
sei eine gesetzeskonforme<br />
Besteuerung vor allem bei<br />
Arbeitnehmern nicht gewährleistet.<br />
Als Ursachen benennt<br />
der Bundesrechnungshof neben<br />
der unzureichenden personellen<br />
Besetzung der Finanzämter<br />
vor allem die ständigen Änderungen<br />
im Steuerrecht. Diese, so<br />
heißt es weiter, seien zudem<br />
auch noch schwer verständlich<br />
formuliert. Allein im Einkommensteuerrecht<br />
hat sich die<br />
Zahl der jährlichen Gesetzesänderungen<br />
seit 2006 von<br />
durchschnittlich 7,5 auf zehn<br />
erhöht.<br />
Auch das Risikomanagement<br />
habe die Defizite bisher nicht<br />
beheben können. Beim Risikomanagement<br />
entscheidet ein<br />
programmgesteuerter Risikofilter,<br />
ob die Steuer maschinell<br />
festgesetzt werden kann oder ob<br />
die Beschäftigten den Fall persönlich<br />
prüfen sollen. Dieses<br />
System lasse aber systematisch<br />
Sachverhalte ungeprüft. So würde<br />
etwa die Steuerermäßigung<br />
für haushaltsnahe Dienstleistungen<br />
und Handwerkerleistungen<br />
in 80 bis 90 Prozent der Fälle<br />
gewährt, ohne dass die Finanzbeamten<br />
geprüft hätten, ob die<br />
Voraussetzungen vorliegen.<br />
Selbst wenn die Finanzbeamten<br />
durch das maschinelle Risikomanagement<br />
auf Problemfälle<br />
hingewiesen wurden, unterliefen<br />
ihnen immer noch zahlreiche<br />
Fehler. So er<strong>mit</strong>telte der<br />
Rechnungshof z.B., dass bei den<br />
Fahrtkosten je Bearbeitungsfehler<br />
630 Euro zu viel anerkannt<br />
wurden. Bei den Arbeits<strong>mit</strong>teln<br />
waren 605 Euro zweifelhaft.<br />
IM<br />
FORMULARE<br />
Anlage EÜR<br />
ist Pflicht<br />
Die Pflicht zur Abgabe des<br />
Steuervordrucks »Anlage<br />
EÜR« beruht auf einer gültigen<br />
Rechtsgrundlage.<br />
Der BFH (Az. X R 18/09) hat<br />
entschieden, dass Betriebsinhaber,<br />
die den Gewinn durch<br />
eine Einnahmen-Überschuss-<br />
Rechnung er<strong>mit</strong>teln, verpflichtet<br />
sind, eine Gewinner<strong>mit</strong>tlung<br />
auf einem amtlich<br />
vorgeschriebenen Vordruck<br />
beizufügen. Dieser als »Anlage<br />
EÜR« bekannte Vordruck sieht<br />
eine standardisierte Aufschlüsselung<br />
der Betriebseinnahmen<br />
und -ausgaben<br />
zwecks besserer Kontrollmöglichkeiten<br />
vor. Ein Schmied<br />
hatte seiner Steuererklärung<br />
lediglich die von einem Buchführungsunternehmen<br />
erstellte<br />
Gewinner<strong>mit</strong>tlung beigefügt.<br />
Die Abgabe der Anlage EÜR<br />
ist nicht im Gesetz geregelt,<br />
sondern in der Einkommensteuer-Durchführungsverordnung.<br />
Nach Auffassung der<br />
obersten Finanzrichter ist<br />
dies aber ausreichend, um die<br />
Pflicht zur Abgabe des Vordrucks<br />
zu begründen.<br />
UNTERNEHMEN<br />
GEBURTSTAG<br />
Fiskus lehnt<br />
Privatfeier ab<br />
Die Kosten für private<br />
Feiern von Unternehmern<br />
gelten nicht als Betriebsausgaben.<br />
Das gilt auch dann, wenn z. B.<br />
ein runder Geburtstag zeitlich<br />
<strong>mit</strong> einem Firmenjubiläum<br />
zusammenfällt. So lautet<br />
ein Urteil des Finanzgerichts<br />
Berlin-Brandenburg<br />
(Az. 12 K 12087/07). Der Gesellschafter<br />
und Geschäftsführer<br />
einer GmbH hatte seinen 50.<br />
Geburtstag und das fünfjährige<br />
Bestehen der GmbH zum<br />
Anlass genommen, Geschäftspartner<br />
und Angestellte einzuladen.<br />
Das Gericht betonte,<br />
dass eine Geburtstagsfeier<br />
stets privat sei, selbst wenn<br />
Freunde nicht eingeladen seien.<br />
Es lagen gemischt veranlasste<br />
Aufwendungen vor, die<br />
teils privat und teils – das Unternehmensjubiläum<br />
betreffend<br />
– betrieblich veranlasst<br />
waren. Da solche eng <strong>mit</strong>einander<br />
verbundenen Aufwendungen<br />
insgesamt steuerlich<br />
nicht geltend gemacht werden<br />
dürfen, kam ein Ausgabenabzug<br />
nicht in Betracht.<br />
GRUNDERWERBSTEUER<br />
Der Fiskus hält die Hand auf<br />
2012 steigen die Kosten beim Kauf von Grundstücken und<br />
Immobilien in mehreren Bundesländern.<br />
(Steuersatz je Bundesland in Prozent; Stand: Januar 2012)<br />
Baden-Württemberg 5,0 Niedersachsen 4,5<br />
Bayern 3,5 Nordrhein-Westfalen 5,0<br />
Berlin 4,5 Rheinland-Pfalz 3,5<br />
Brandenburg 5,0 Saarland 4,0<br />
Bremen 4,5 Sachsen 3,5<br />
Hamburg 4,5 Sachsen-Anhalt 4,5<br />
Hessen 3,5 Schleswig-Holstein 5,0<br />
Mecklenburg-Vorpommern 3,5 Thüringen 5,0<br />
Quelle: BHW Bausparkasse<br />
STEUERN SPAREN<br />
W&M-Tipp für die PRAXIS<br />
Erleichterung für<br />
Alleinerziehende<br />
Alleinerziehende sind auf Kinderbetreuungsplätze<br />
und finanzielle<br />
Unterstützung angewiesen. Nun<br />
gibt es Erleichterungen.<br />
Dies geschieht durch eine verbesserte<br />
steuerliche Absetzbarkeit der<br />
Kinderbetreuungskosten. »Mit dem<br />
so genannten Gesetz zur Steuervereinfachung<br />
2011 soll die Abwicklung<br />
der steuerlichen Absetzbarkeit<br />
deutlich erleichtert werden«, erklärt<br />
Rechtsanwältin Beate Wernitznig,<br />
Autorin des Ratgebers »Alleinerziehend«<br />
(siehe W&M-Tipp).<br />
Danach gilt nun seit Jahresbeginn:<br />
Die Eltern müssen nicht mehr nachweisen,<br />
ob und in welchem Umfang<br />
sie erwerbstätig sind, sondern<br />
haben generell einen Anspruch auf<br />
die Absetzbarkeit von Kinderbetreuungskosten<br />
– und zwar bis zu deren<br />
14. Lebensjahr.<br />
Absetzbar sind die Kosten der Betreuung<br />
im Rahmen der Höchstbeträge<br />
für Sonderausgaben. Konkret<br />
sind dies zwei Drittel der Aufwendungen,<br />
jedoch höchstens 4.000<br />
Euro pro Kind. »Diese Regelung begünstigt<br />
alle Eltern, ist aber besonders<br />
für Alleinerziehende interessant,<br />
da sie nicht nur den hälftigen<br />
Betrag in Anspruch nehmen können,<br />
sondern den vollen«, betont<br />
Fachautorin Wernitznig.<br />
Eine weitere Entlastung für Eltern<br />
bildet auch der Verzicht auf den<br />
Nachweis, dass die Einkünfte und<br />
Bezüge des Kindes unterhalb eines<br />
Betrages von 8.004 Euro im Jahr<br />
liegen, um den Anspruch auf Kindergeld<br />
und Kinderfreibetrag zu erhalten.<br />
Seit Januar entfällt die Einkommensprüfung<br />
bei volljährigen<br />
Kindern bis zum Abschluss der ersten<br />
Berufsausbildung, maximal bis<br />
zum 25. Lebensjahr.<br />
Alleinerziehende können zusätzlich<br />
einen so genannten Entlastungsbeitrag<br />
von 1.308 Euro jährlich<br />
steuerlich geltend machen. Er ist<br />
bereits in die Lohnsteuertabelle<br />
der Steuerklasse II eingearbeitet,<br />
die für Alleinerziehende gilt.<br />
W&M-TIPP<br />
Neben steuerlichen Tipps erläutert<br />
Beate Wernitznig in ihrem Ratgeber<br />
auch zahlreiche Fragestellungen,<br />
die sich für alleinerziehende Elternteile<br />
im Alltag ergeben – etwa am<br />
Arbeitsplatz oder im Sorgerecht.<br />
Beck kompakt Ratgeber,<br />
Beate Wernitznig: Alleinerziehend,<br />
Verlag C.H.Beck,<br />
126 Seiten, 6,80 Euro,<br />
ISBN: 978-3-406-62590-9<br />
46 WIRTSCHAFT & MARKT 03/12
W&M-SERVICE<br />
DATENSCHUTZ<br />
Lebenslange<br />
Steuernummer<br />
Die Zuteilung der Identifikationsnummer<br />
und die<br />
da<strong>mit</strong> erfolgte Datenspeicherung<br />
ist rechtens.<br />
Die darin liegenden Eingriffe<br />
in das Recht auf informationelle<br />
Selbstbestimmung sind<br />
durch überwiegende Interessen<br />
des Gemeinwohls gerechtfertigt,<br />
so der BFH (Az. II R<br />
49/10). Anders als die bisherigen<br />
Steuernummern sind die<br />
Identifikationsnummern<br />
dauerhaft und bundeseinheitlich<br />
zugeteilt. Sie ermöglichen<br />
so die eindeutige Identifizierung<br />
des Steuerbürgers im<br />
Besteuerungsverfahren. So ist<br />
dem gleichmäßigen Vollzug<br />
der Steuergesetze gedient.<br />
Zudem werde Bürokratie bei<br />
der Steuerverwaltung und in<br />
Unternehmen abgebaut.<br />
Aufgrund der Identifikationsnummer<br />
kann auch die Erfassung<br />
der Alterseinkünfte<br />
bei der Einkommensteuer<br />
leichter und effektiver geprüft<br />
werden.<br />
DIE MEINUNG DES EXPERTEN<br />
Keine Ruhe an der Steuerfront<br />
PRIVAT<br />
ARBEITSZIMMER<br />
Richter zieht<br />
vor Gericht<br />
Für Richter und Professoren<br />
findet ihre Tätigkeit nicht<br />
überwiegend im häuslichen<br />
Arbeitszimmer statt.<br />
In zwei Urteilen hat der BFH<br />
erstmals zur Neuregelung der<br />
Abzugsbeschränkung bei häuslichen<br />
Arbeitszimmern entschieden.<br />
Für Hochschullehrer<br />
(Az. VI R 71/10) und Richter<br />
(Az.VI R 13/11) bildet demnach<br />
das Arbeitszimmer nicht den<br />
Mittelpunkt der gesamten beruflichen<br />
Betätigung. Nach aktueller<br />
Rechtsprechung können<br />
die Aufwendungen für ein<br />
häusliches Arbeitszimmer abgezogen<br />
werden, wenn entweder<br />
ein anderer Arbeitsplatz<br />
nicht zur Verfügung steht oder<br />
wenn das Arbeitszimmer den<br />
Mittelpunkt der gesamten beruflichen<br />
Betätigung bildet.<br />
Für den Beruf des Hochschullehrers<br />
ist die die Vorlesung<br />
in der Universität und für<br />
den Richter die Ausübung der<br />
rechtsprechenden Tätigkeit<br />
im Gericht prägend.<br />
ADOPTION<br />
Kosten bleiben<br />
außen vor<br />
Von KARL-HEINZ BADURA<br />
Wirtschaftsjournalist und Finanzrichter,<br />
Nörvenich<br />
Adoptionskosten können<br />
nicht als außergewöhnliche<br />
Belastungen von der Steuer<br />
abgesetzt werden.<br />
Das entschied das Finanzgericht<br />
Baden-Württemberg<br />
(Az. 6 K 1880/10). Die Kläger hatten<br />
wegen einer primären Sterilität<br />
keine leiblichen Kinder<br />
zeugen können. Eine künstliche<br />
Befruchtung hatten sie aus<br />
ethischen und gesundheitlichen<br />
Gründen abgelehnt. Da<br />
die Kosten für eine künstliche<br />
Befruchtung steuerlich absetzbar<br />
sind, müsse das auch für<br />
die Aufwendungen gelten, die<br />
im Rahmen einer Adoption entstünden.<br />
Im vorliegenden Fall<br />
hatte das Ehepaar 8.560 Euro<br />
als außergewöhnliche Belastung<br />
beim Finanzamt angegeben.<br />
Das Gericht befand,<br />
Adoptionskosten seien nicht<br />
zwangsläufig und es läge im<br />
Gegensatz zur künstlichen<br />
Befruchtung auch keine auf<br />
den Betroffenen abgestimmte<br />
Heilbehandlung vor.<br />
Bei seinem Besuch zum 20. Jahrestag der<br />
Finanzgerichtsbarkeit in Mecklenburg-Vorpommern<br />
gab sich der neue Präsident des Bundesfinanzhofs,<br />
Prof. Dr. h. c. Rudolf Mellinghoff,<br />
zwar zuversichtlich hinsichtlich der geglückten<br />
Entwicklung des Finanzgerichtswesens in den<br />
neuen Ländern. Gleichzeitig verwies er jedoch<br />
darauf, dass in Kürze <strong>mit</strong> einer Flut von Verfahren<br />
zu rechnen sei, die die Besteuerung von<br />
Rentnern betrifft, die im Ausland leben und<br />
eine deutsche Rente beziehen. Es komme gegebenenfalls<br />
zu erheblichen Steuernachzahlungen.<br />
Grund: Durch die dauerhafte Verlagerung<br />
ihres Wohnsitzes ins Ausland gelten sie als<br />
beschränkt steuerpflichtige Personen, für die<br />
verschiedene Steuervergünstigungen entfallen.<br />
Zuständig dafür ist zentral das Finanzamt Neubrandenburg.<br />
Mit verschärften Kontrollen werden<br />
auch in Zukunft bestimmte Berufsgruppen<br />
rechnen müssen: Nach dem neuen Entwurf des<br />
so genannten Geldwäschegesetzes hat die<br />
Finanzverwaltung Defizite in Bezug auf die Beaufsichtigung<br />
bestimmter Unternehmen ausgemacht,<br />
z. B. Immobilienmakler, Versicherungsver<strong>mit</strong>tler,<br />
Juweliere, Finanzunternehmen,<br />
Spielbanken sowie Personen, die gewerblich<br />
<strong>mit</strong> Gütern handeln. Sie werden nach der Verabschiedung<br />
der Neuregelung verstärkten Meldeund<br />
Identifizierungsvorschriften unterliegen.<br />
Allerdings hat der Gesetzgeber die ursprünglich<br />
geplante Bestellung so genannter Geldwäschebeauftragter<br />
– das wären in der Regel die Angehörigen<br />
der steuerberatenden Berufe gewesen<br />
– verworfen.<br />
➔Steuern KOMPAKT<br />
FREIBERUFLER<br />
<strong>Nur</strong> eine Betriebsstätte<br />
Das Finanzgericht Baden-Württemberg<br />
hat im Fall eines freiberuflichen<br />
Dozenten die steuerliche Abzugsfähigkeit<br />
von Fahrtkosten erhöht.<br />
Der Kläger war selbständiger Personalberater<br />
und als Dozent an Hochschulen<br />
tätig. Seine Fahrten vom<br />
Büro im eigenen Haus zu den Hochschulen<br />
wertete das Finanzamt als<br />
Fahrten von der Wohnung zur Betriebsstätte<br />
und da<strong>mit</strong> nicht als unbeschränkt<br />
abzugsfähig. Das Finanzgericht<br />
(Az. 3 K 1849/09) ließ aber<br />
die Kosten als Reisekosten und<br />
da<strong>mit</strong> als unbegrenzt abzugsfähig zu.<br />
Ein Selbständiger kann nur eine Betriebsstätte<br />
haben, so die Richter.<br />
Diese ist ein Ort, an dem sich der<br />
ortsgebundene Mittelpunkt der<br />
betrieblichen Tätigkeit eines<br />
Gewerbetreibenden, Selbständigen<br />
oder eines Landwirts befinde.<br />
DISKOTHEKEN<br />
Betreiber haftet<br />
Der Steuerabzug bei ausländischen<br />
Künstlern, die in einer Diskothek in<br />
Deutschland auftreten, verstößt<br />
nicht gegen EU-Recht.<br />
Das hat das Finanzgericht Düsseldorf<br />
(Az. 11 K 1171/09 H) entschieden.<br />
Die deutsche Finanzverwaltung muss<br />
sich nicht darauf verweisen lassen,<br />
ihre Steuerforderung im Wege der<br />
zwischenstaatlichen Amtshilfe nach<br />
der EG-Beitreibungsrichtlinie zu<br />
realisieren, teilt das Düsseldorfer<br />
Finanzgericht <strong>mit</strong>. Sie könne den<br />
Betreiber der Diskothek, der den<br />
Steuerabzug nicht vorgenommen<br />
hat, in Haftung nehmen.<br />
GEBÄUDE<br />
<strong>Nur</strong> auf dem Boden<br />
Eine auf dem Wasser schwimmende<br />
Anlage stellt bewertungsrechtlich<br />
kein Gebäude dar, urteilten die<br />
Richter des Bundesfinanzhofs.<br />
In dem Fall (Az. 2011 II R 27/10)<br />
ging es um ein Event- und Konferenzzentrum,<br />
das auf einem Kanal im<br />
Gebiet des Hamburger Hafens liegt<br />
und aus drei Schwimmkörpern und<br />
einem Pfahlbau besteht. Das Finanzamt<br />
wollte neben dem Pfahlbau auch<br />
die Schwimmkörper als Gebäude<br />
behandeln und hierfür einen Einheitswert<br />
feststellen. Der BFH verneinte:<br />
Bewertungsrechtlich liegt ein Gebäude<br />
nur dann vor, wenn es <strong>mit</strong><br />
dem Boden fest verbunden und<br />
standfest ist. Schwimmkörpern fehlen<br />
diese Eigenschaften, daher unterliegen<br />
sie nicht der Grundsteuer.<br />
WIRTSCHAFT & MARKT 03/12 47
W&M-SERVICE<br />
DAS<br />
THEMA<br />
INTERVIEW<br />
Fotos: Archiv<br />
PFLEGEZEIT<br />
Unternehmen<br />
in Vorleistung<br />
Das neue Gesetz zur Familienpflegezeit<br />
soll helfen,<br />
Beruf und Pflege besser<br />
vereinbaren zu können.<br />
Das Gesetz sieht vor, dass Beschäftigte<br />
ihre Arbeitszeit bis<br />
zu zwei Jahre lang, abhängig<br />
vom Beschäftigungsverhältnis,<br />
um 50 Prozent auf mindestens<br />
15 Wochenstunden reduzieren<br />
können – bei 75 Prozent des<br />
ursprünglichen Gehalts.<br />
Anschließend arbeiten die<br />
Pflegezeitler für den gleichen<br />
Zeitraum wieder zu 100 Prozent<br />
bei weiterhin 75 Prozent<br />
Entgelt.<br />
Die Unternehmen müssen also<br />
in der Pflegezeit 25 Prozent<br />
mehr Gehalt zahlen als geleistet<br />
wird. Um die Unternehmen<br />
zu entlasten, gibt es von der<br />
Staatsbank KfW ein zinsloses<br />
Darlehen. Die Rückzahlung<br />
beginnt nach Ende der Pflegezeit.<br />
Beschäftigte haben<br />
keinen Rechtsanspruch auf die<br />
Familienpflegezeit. Währenddessen<br />
und im Anschluss gilt<br />
aber ein besonderer Kündigungsschutz.<br />
Um sich gegen Berufsunfähigkeit<br />
oder Tod abzusichern,<br />
muss der Mitarbeiter eine Versicherung<br />
abschließen.<br />
Außerdem springt in vielen<br />
Fällen das Bundesamt für Familie<br />
und zivilgesellschaftliche<br />
Aufgaben ein, wenn der<br />
Beschäftigte die Versicherungsprämie<br />
nicht zahlt oder Ausgleichsansprüche<br />
nicht erfüllt.<br />
Laut einer Studie der Steinbeis-<br />
Hochschule Berlin summieren<br />
sich die volkswirtschaftlichen<br />
Folgekosten einer mangelnden<br />
Vereinbarkeit von Beruf und<br />
Pflege auf 19 Milliarden Euro<br />
im Jahr. Durch Gegenmaßnahmen<br />
ließen sich hingegen<br />
rund 14.000 Euro pro Mitarbeiter<br />
in Pflegezeit sparen.<br />
www.familien-pflege-zeit.de<br />
www.kfw.de<br />
(Suchwort »pflegezeit«)<br />
www.bmfsfj.de<br />
BIOTECH<br />
Schlankes<br />
Wachstum<br />
Biotechnologie-Unternehmen<br />
starten laut Branchenverband<br />
BIO optimistisch<br />
ins Jahr 2012.<br />
Laut Stimmungsbarometer<br />
von BIO Deutschland gehen<br />
die Biotech-Firmen auch im<br />
laufenden Jahr von weiterem<br />
Wachstum aus. Zwar seien die<br />
Erwartungen etwas gedämpfter<br />
als im Vorjahr, in der Branche<br />
herrsche jedoch weiter<br />
Optimismus.<br />
Das führt Verbandschef Peter<br />
Heinrich darauf zurück,<br />
dass sich die Firmen ziemlich<br />
gut an die Finanzknappheit<br />
angepasst hätten und dennoch<br />
weiter neue Produkte<br />
entwickelten. Auch die zunehmende<br />
Profitabilität mache<br />
die Biotechnologie-Branche<br />
krisenfest.<br />
Einen »Kauf« wert ist den<br />
Experten von Warburg Research<br />
die Aktie von 4 SC aus<br />
dem Prime Standard (WKN<br />
575 381). Das Unternehmen<br />
soll laut Warburg einen wichtigen<br />
Meilenstein bei der Entwicklung<br />
eines Krebsmedikaments<br />
erreicht haben.<br />
AKTIENMARKT<br />
ENERGIE<br />
Windkraft<br />
macht Dampf<br />
Die erneuerbaren Energien<br />
als Nummer zwei<br />
im deutschen Strommix<br />
sollen weiter wachsen.<br />
Nach einer Prognose des Beratungshauses<br />
Frost & Sullivan<br />
kann die europäische Windenergiebranche<br />
weiter <strong>mit</strong><br />
Wachstum rechnen.<br />
Die erneuerbaren Energien<br />
machen laut Bundesverband<br />
der Energie- und Wasserwirtschaft<br />
bereits rund 20 Prozent<br />
im deutschen Strommix aus –<br />
die Windkraft liegt dabei <strong>mit</strong><br />
7,6 Prozent an der Spitze. Ihr<br />
Anteil hatte sich 2011 noch<br />
gesteigert. Besonders wachstumsträchtig<br />
seien die Märkte<br />
in Mittel- und Osteuropa für<br />
die Energiegewinnung an<br />
Land sowie der Offshore-<br />
Markt, schätzen die Experten<br />
von Frost & Sullivan. Ein klarer<br />
»Kauf« ist für die Analysten<br />
von Close Brothers Seydler<br />
Research der ÖkoDax-Wert<br />
PNE Wind (WKN A0J BPG),<br />
ein international tätiger<br />
Projektierer für On- und Offshore-Windkraftanlagen<br />
und<br />
Stromproduzent.<br />
DAX BÖRSENSTARS<br />
+<br />
WKN 659990 Merck + 27,37%<br />
WKN A1EWWW Adidas + 27,15%<br />
WKN 519000 BMW + 24,47%<br />
WKN 766403 Volkswagen + 24,36%<br />
WKN 578560 Fresenius + 23,28%<br />
Merck: Der Pharma-Riese hat Kosten gespart und seinen Nachschub bei neuen Medikamenten<br />
<strong>mit</strong> dem Kauf eines vielversprechenden neuen Krebswirkstoffs aufgestockt.<br />
Kurs-Performance 1 Jahr; Schluss: 06.02.2012<br />
DAX BÖRSENFLOPS<br />
–<br />
WKN 803200 Commerzbank - 59,01%<br />
WKN 725750 Metro - 43,78%<br />
WKN 703712 RWE - 39,16%<br />
WKN KSAG88 K+S - 30,48%<br />
WKN ENAG99 E.ON - 30,22%<br />
Commerzbank: Das Bankhaus muss ein Milliardenloch im Eigenkapital stopfen, lehnt<br />
Staatshilfe aber ab. Zudem belasten die Diskussionen um das Rettungspaket für<br />
Griechenland. Kurs-Performance 1 Jahr; Schluss: 06.02.2012<br />
Quelle: W&M, ohne Gewähr<br />
JESSICA RIES<br />
von der youmex<br />
AG über Unternehmensfinanzierung<br />
via Anleihen<br />
Anleihe als Alternative<br />
W&M: Frau Ries, ein Bäcker in<br />
Hessen begibt selbst eine Anleihe –<br />
die Alternative zum Bankkredit?<br />
RIES: Emissionen in Eigenregie<br />
an eigene Kunden sind die<br />
Ausnahme. Sie sind selbst für<br />
starke Marken nur in kleinen<br />
Volumina platzierbar. Es gibt<br />
bankalternative Finanzierungen,<br />
die besser geeignet sind.<br />
W&M: Etwa börsengehandelte<br />
Anleihen?<br />
RIES: Eine Anleihe ist sinnvoll,<br />
wenn sie den Finanzierungsmix<br />
eines Unternehmens ergänzt.<br />
Mittelstandsanleihen<br />
werden jedoch kaum an private<br />
Anleger platziert, sondern<br />
zu 85 bis 95 Prozent an institutionelle<br />
Investoren. Diese<br />
brauchen für einen möglichen<br />
Ausstieg aus dem Investment<br />
einen Börsenhandel für die<br />
Zeichnung der Neuemission.<br />
W&M: Was muss der E<strong>mit</strong>tent<br />
erfüllen?<br />
RIES: Er muss sich bewerten<br />
lassen. Transparenz, Authentizität<br />
sowie eine lückenlose<br />
Kommunikation spielen die<br />
größte Rolle für eine erfolgreiche<br />
Emission. Neben der<br />
Schlüssigkeit des Geschäftsmodells<br />
zählen eine plausible<br />
Mittelverwendung, Fähigkeit<br />
der Rückzahlung und ein<br />
gutes Rating. Erst ab einem<br />
Emissionsvolumen von 50 Millionen<br />
Euro wird eine Anleihe<br />
für institutionelle Investoren<br />
richtig interessant.<br />
W&M: Anleihe oder Kredit?<br />
RIES: Die Überlegung sollte<br />
nicht »entweder – oder« lauten,<br />
sondern »wie ergänzt sich<br />
was«. Bankalternative und<br />
-ergänzende Finanzierungen<br />
werden im Zuge der restriktiven<br />
Kreditvergabe der Banken<br />
immer wichtiger. Mit guten<br />
Zahlen sind Fremdkapital von<br />
institutionellen Kapitalgebern<br />
oder Eigenkapital auf Zeit<br />
(Mezzanine) gute Alternativen<br />
zur Anleihe.<br />
48 WIRTSCHAFT & MARKT 03/12
W&M-SERVICE<br />
GELD & ANLAGE<br />
➔<br />
Geld KOMPAKT<br />
ROBECO<br />
Erfolgreiche<br />
US-MidCaps<br />
Die Investmentgesellschaft<br />
Robeco bietet einen Fonds,<br />
der auf erfolgreiche US-amerikanische<br />
MidCaps baut.<br />
Der »US Select Opportunities<br />
Equities« investiert laut Anbieter<br />
in Aktien von US-Mittelständlern.<br />
Große Chancen<br />
sieht das Management im<br />
Technologie-, Konsumgüterund<br />
Gesundheitssegment. Die<br />
US-MidCaps hätten sich gut<br />
entwickelt. Die sich erholende<br />
US-Wirtschaft lasse ein BIP-<br />
Wachstum von zwei bis drei<br />
Prozent erwarten. Die MidCaps<br />
wachsen, weil sie nicht <strong>mit</strong><br />
übersättigten Märkten kämpfen<br />
müssten. Zudem seien die<br />
Aktien wegen der düsteren<br />
Wirtschaftslage zurzeit<br />
günstig. Bei der Auswahl der<br />
Titel werden neben traditionellen<br />
Faktoren auch kurzfristige<br />
Entwicklungsperspektiven<br />
und langfristige Fundamentaldaten<br />
berücksichtigt.<br />
WKN: A1JKVL<br />
DIE MEINUNG DES EXPERTEN<br />
BVI<br />
Geldsteuer<br />
trifft Vorsorger<br />
Der Privatanleger ist kein Herdentier<br />
Viele Publikumsfonds sind <strong>mit</strong>tlerweile so konzipiert,<br />
dass es kaum noch Abweichungen zum<br />
Vergleichsindex, der sogenannten Benchmark,<br />
gibt. Das gilt für Ausschläge nach oben wie<br />
nach unten. Die Zahl der »Wetten«, die der<br />
Fondsmanager eingeht, um eine bessere Performance<br />
als seine Benchmark zu erzielen,<br />
sinkt dabei stetig. Vielen Privat- und Kleinanlegern<br />
gefällt das gar nicht. Dazu passt die jüngste<br />
Statistik des Bundesverbandes Investment<br />
und Asset Management e.V. wie die Faust aufs<br />
Auge: Demnach zogen alleine im November<br />
2011 Privatinvestoren 5,2 Milliarden Euro aus<br />
Publikumsfonds ab. Alleine das turbulente<br />
zweite Börsenhalbjahr 2011 für diese Entwicklung<br />
verantwortlich zu machen, reicht als eine<br />
Begründung nicht aus. Privatanleger erwarten<br />
offensichtlich auch wieder mehr Mut von ihrem<br />
Die geplante Finanztransaktionsteuer<br />
(FIT) zielt auch<br />
auf Investmentfonds – und<br />
trifft so Vorsorge-Sparer.<br />
Deshalb kritisiert der Bundesverband<br />
Investment und Asset<br />
Management (BVI) die Einführung<br />
der FTT auf Investmentfonds.<br />
Besonders hart träfe es<br />
langfristige Sparer: Aufgrund<br />
der demografischen Entwicklung<br />
sparen immer mehr Menschen<br />
privat für das Alter. Bei<br />
Riester-Fonds und wertsicherungsorientierten<br />
Anlagestrategien<br />
sei die Steuer besonders<br />
kontraproduktiv. Aber auch<br />
Unternehmen und Investoren<br />
<strong>mit</strong> Sitz in Deutschland seien<br />
betroffen. Der BVI zweifelt an<br />
der gewünschten Wirkung der<br />
FTT und fürchtet lediglich eine<br />
Verteuerung für den Endkunden.<br />
Denn Steuern würden sowohl<br />
bei Transaktionen innerhalb<br />
des Fonds als auch bei<br />
Käufen und Verkäufen von<br />
Fondsanteilen fällig.<br />
Von GERD RÜCKEL,<br />
CEFA-Wertpapieranalyst, Frankfurt/M.<br />
DEKA<br />
Mischfonds für<br />
Deutschland<br />
Einen flexiblen Mischfonds<br />
für Deutschland <strong>mit</strong> einer<br />
Balance aus Chance und<br />
Stabilität bietet die Deka.<br />
Mit dem Fonds »Deka-Deutschland<br />
Balance« profitiere der<br />
Anleger laut Anbieterangaben<br />
von einem ausgewogenen<br />
Konzept aus aussichtsreichen<br />
deutschen Aktien und Bundesanleihen.<br />
Der Fonds verfolge<br />
eine konservative Strategie:<br />
Das Portfolio bestehe zu<br />
15 Prozent aus Aktien und zu<br />
85 Prozent aus Anleihen. Der<br />
Aktienanteil könne jedoch<br />
auch ausgeweitet, der Anleihenanteil<br />
reduziert werden.<br />
Gegebenenfalls sei auch eine<br />
Anlage in Termingelder möglich.<br />
Die optimalste Gewichtung<br />
werde wöchentlich<br />
er<strong>mit</strong>telt. Das Fondsmanagement<br />
will sich in der größten<br />
Volkswirtschaft Europas, am<br />
deutschen Rentenmarkt, messen<br />
lassen.<br />
WKN: DK2CFB<br />
Fondsmanager. Das Anlageverhalten vieler<br />
Privatinvestoren ist nicht so klischeebehaftet<br />
wie weitläufig angenommen. Das zeigt auch<br />
eine Auswertung von rund fünf Millionen Wertpapierdepots<br />
privater Anleger <strong>mit</strong> mehr als<br />
einer Million Transaktionen durch die Transaktionsbank<br />
Deutsche Wertpapierservice (DWP).<br />
Ein Hang zum Herdentrieb war dabei nicht zu<br />
erkennen. Trotz schwerer Börsenzeiten wurden<br />
mehr Aktien gekauft als verkauft, angesagt war<br />
antizyklisches Handeln. Um aber <strong>mit</strong> Einzelengagements<br />
eine gute Streuung im Portfolio<br />
zu erreichen, bedarf es einer »kritischen Masse«.<br />
Viele Kleinanleger verfügen nur über<br />
begrenzte Geld<strong>mit</strong>tel, deren Anlage am Aktienmarkt<br />
ohne das Vehikel Aktienfonds kaum<br />
lohnend ist. Hier steckt ein riesiges Potenzial<br />
für die Fondsbranche. Sie ist nun gefordert.<br />
FINANZKRISE<br />
Keine Sorgen<br />
Die Deutschen blicken trotz<br />
Finanzkrise <strong>mit</strong> großer Zuversicht<br />
ins neue Jahr, so der Finanzdienstleister<br />
AWD.<br />
Rund 71 Prozent der Bundesbürger<br />
erwarten genausoviel oder mehr<br />
Geld als im Vorjahr im Portemonnaie,<br />
wie eine Umfrage von Forsa<br />
im Auftrag des Finanzdienstleisters<br />
AWD herausfand.<br />
Zudem hält der Spar-Trend an: Insgesamt<br />
78 Prozent der Befragten<br />
möchte mindestens genauso viel<br />
sparen wie in 2011. Auf Platz eins<br />
der Sparziele der Deutschen: die<br />
Energiekosten. Es folgen Restaurantbesuche<br />
und Lebens<strong>mit</strong>tel. <strong>Nur</strong><br />
sechs Prozent wollen bei der Altersvorsorge<br />
Abstriche machen.<br />
BANKEN<br />
Im Netzwerk<br />
Drei von fünf Banken wollen bis<br />
2014 in einen Auftritt bei Facebook<br />
& Co. investieren, meldet<br />
Steria Mummert Consulting.<br />
Laut einer Studie von Steria Mummert<br />
Consulting und dem F.A.Z.-<br />
Institut wollen 40 Prozent der<br />
Banken in absehbarer Zeit ein<br />
Social-Media-Projekt auf Plattformen<br />
wie Xing, Facebook,<br />
Twitter oder Youtube starten.<br />
Ganz vorne dabei: Die Sparkassen.<br />
Etwa 69 Prozent von ihnen setzen<br />
schon kurzfristig Projekte um.<br />
Die Banken zielen vor allem auf<br />
die jüngeren Kunden, für die<br />
Social Media ein immer gängigerer<br />
Informationskanal sind.<br />
ZAHLUNGSVERKEHR<br />
Geld-Gehirntraining<br />
Fast die Hälfte der Deutschen<br />
fürchtet nach einer aktuellen<br />
Umfrage Nachteile durch die<br />
geplante 22-stellige IBAN.<br />
Die neue Kontonummer ist nach<br />
aktuellem Stand der Planungen ab<br />
2014 Pflicht. Laut einer Umfrage<br />
der Beratungsgesellschaft Faktenkontor<br />
und dem Marktforscher<br />
Toluna glauben 46 Prozent der<br />
Befragten, dass <strong>mit</strong> der Umstellung<br />
die Bankgeschäfte komplizierter<br />
werden.<br />
38 Prozent würden lieber ihre<br />
alte – und viel kürzere – Kontonummer<br />
behalten. Die IBAN soll<br />
den Zahlungsverkehr innerhalb der<br />
EU vereinfachen. Überweisungsgebühren<br />
fallen da<strong>mit</strong> weg.<br />
WIRTSCHAFT & MARKT 03/12<br />
49
W&M-SERVICE<br />
Fotos: BHW, BRAMAC, privat<br />
DAS THEMA<br />
PFUSCH AM BAU<br />
Rechtsstreit<br />
wird meist teuer<br />
Baurechtsstreitigkeiten<br />
bergen ein nicht unerhebliches<br />
Risiko und verursachen<br />
beträchtliche Kosten.<br />
Das ist das Fazit der Auswertung<br />
von 1.800 baurechtlichen Mandaten,<br />
die bundesweit von Vertrauensanwälten<br />
des Bauherrenschutzbundes<br />
e. V. (BSB) betreut<br />
wurden. Wie die aktuelle Analyse<br />
offenbarte, beruhen mehr<br />
als die Hälfte der gerichtlichen<br />
Streitigkeiten auf Konflikten<br />
<strong>mit</strong> Bauträgern, Generalunternehmern<br />
oder Generalübernehmern.<br />
Architekten sind <strong>mit</strong><br />
14 Prozent, Einzelgewerke <strong>mit</strong><br />
17 Prozent, Sonderfachleute <strong>mit</strong><br />
fast neun Prozent und Versicherungen<br />
<strong>mit</strong> sieben Prozent beteiligt.<br />
Dabei geht es <strong>mit</strong> einem<br />
durchschnittlichen Streitwert<br />
von 42.000 Euro um hohe Beträge.<br />
Die überwiegende Mehrzahl<br />
der Rechtsfälle liegt im Streitwert<br />
über 5.000 Euro. Häufigste<br />
Konfliktquellen für gerichtliche<br />
Auseinandersetzungen sind<br />
Baumängel – zu 19 Prozent vor<br />
der Abnahme und zu 40 Prozent<br />
danach. Vertragsverstöße und<br />
Schadenersatzforderungen sind<br />
zu 14 Prozent Ursache und Leistungsverweigerungen<br />
zu 11,3<br />
Prozent. Streitfälle wegen Firmeninsolvenzen<br />
machen 8,5<br />
Prozent aus. Kosten ergeben sich<br />
auch aus der Arbeit von Sachverständigen,<br />
Gerichten und<br />
Anwälten. So summieren sich<br />
die Gutachterkosten auf durchschnittlich<br />
rund 3.000 Euro. Die<br />
Kosten gerichtlicher Verfahren<br />
betragen im Durchschnitt 8.000<br />
Euro. Die Kosten selbstständiger<br />
Beweisverfahren – die anteilig<br />
39 Prozent ausmachen – belaufen<br />
sich durchschnittlich auf<br />
7.000 Euro. Die Kosten außergerichtlicher<br />
Verfahren schlagen<br />
im Schnitt <strong>mit</strong> fast 4.000 Euro<br />
zu Buche. Nahezu 60 Prozent<br />
der Rechtsfälle mussten <strong>mit</strong><br />
außergerichtlichen und gerichtlichen<br />
Sachverständigengutachten<br />
untermauert werden.<br />
MEHRKOSTEN<br />
Umlage bedarf<br />
Zustimmung<br />
Bauunternehmen dürfen<br />
Mehrkosten nicht ohne<br />
Einverständnis des<br />
Bauherrn geltend machen.<br />
Mitunter treten während laufender<br />
Arbeiten Probleme auf,<br />
die teure alternative Lösungen<br />
erfordern. So erging es<br />
umlängst auch einer Baufirma,<br />
die eine Dichtwand errichten<br />
sollte. Auf Grund der<br />
Bodenbeschaffenheit, die so<br />
nicht in den Planungen dokumentiert<br />
war, hätte man anders<br />
vorgehen müssen, so das<br />
Argument der Firma.<br />
Im Ergebnis entstanden<br />
hohe Mehrkosten. Wer dafür<br />
aufkommen müsste, darüber<br />
stritten Bauherr und Baufirma.<br />
Das Oberlandesgericht<br />
Düsseldorf (Az. I-23 U 47/08)<br />
verdonnerte die Baufirma<br />
schließlich zur Kostenübernahme.<br />
Nach Informationen<br />
des Infodienstes Recht und<br />
Steuern der LBS war für das<br />
Urteil ausschlaggebend, dass<br />
die Firma keine rechtsgeschäftliche<br />
Erklärung des<br />
Bauherrn vorweisen konnte,<br />
wonach dieser <strong>mit</strong> den zusätzlichen<br />
Arbeiten und da<strong>mit</strong><br />
<strong>mit</strong> den Kosten einverstanden<br />
gewesen sei.<br />
GEWERBE<br />
BAURECHTSSTREIT<br />
BERATER<br />
Finanzierung<br />
vom Ver<strong>mit</strong>tler<br />
Die Baufinanzierung muss<br />
nicht von der Bank kommen.<br />
Unabhängige Berater<br />
erobern Marktanteile.<br />
In den vergangenen Jahren<br />
haben Banken und Sparkassen<br />
im Baufinanzierungsgeschäft<br />
immer mehr Boden<br />
eingebüßt.<br />
Gewonnen haben vor allem<br />
Direktbanken, Discountund<br />
Internetbroker. Sie bündeln<br />
die Einkaufsmacht der<br />
Nachfrager und haben Produkte<br />
von gleich mehreren<br />
Banken und Bausparkassen<br />
im Angebot.<br />
Das führt zu günstigen<br />
Konditionen. Weil Baufinanzierung<br />
ein beratungsintensives<br />
Geschäft ist, arbeiten die<br />
Finanzdienstleister <strong>mit</strong> Ver<strong>mit</strong>tlern<br />
zusammen, die die<br />
Kreditnehmer beraten und<br />
betreuen.<br />
Die Vorteile für die Kunden<br />
bestehen in der individuellen<br />
Beratung und in möglicherweise<br />
günstigen Konditionen<br />
sowie darin, dass die Ver<strong>mit</strong>tler<br />
nicht nur auf die standardisierten<br />
Produkte einer<br />
Bank, sondern auf eine Vielzahl<br />
von Produkten zugreifen<br />
können.<br />
Teuer und voller Risiken<br />
Kosten bei einem durchschnittlichen Streitwert von 42.000 Euro.<br />
(Auswertung von 1.800 baurechtlichen Mandaten)<br />
Kosten im gerichtlichen Verfahren<br />
(Anwalts- und Gerichtskosten)<br />
Selbständiges Beweisverfahren<br />
Kosten im außergerichtlichen Verfahren<br />
Gutachterkosten<br />
Quelle: Bauherrenschutzbund e. V.<br />
8.000 Euro<br />
7.000 Euro<br />
4.000 Euro<br />
3.000 Euro<br />
UP<br />
W&M-Markttrend<br />
➔<br />
Up: Umbauanreize<br />
Der Staat hat die Anreize<br />
für die energetische Sanierung<br />
und den altersgerechten<br />
Umbau von Mietwohnungen<br />
verbessert. Werden die Arbeiten<br />
innerhalb von drei Monaten abgeschlossen,<br />
dürfen Mieter auch dann<br />
die Miete nicht mehr kürzen, wenn<br />
der Wohnwert während der Umbaumaßnahmen<br />
eingeschränkt ist. Seit<br />
Januar gibt es zudem von der KfW<br />
wieder zinsgünstige Kredite.<br />
➔<br />
&<br />
DOWN<br />
Down: Zinsbindung<br />
Deutsche Immobilienfinanzierer<br />
haben kaum<br />
Interesse an Darlehen<br />
<strong>mit</strong> variablen Zinsen. Das geht aus<br />
dem jüngsten Trendindikator Baufinanzierung<br />
des Finanzdienstleisters<br />
Dr. Klein hervor. Auch der Anteil von<br />
Forward-Darlehen sei zum Jahresende<br />
2011 um etwa 17,5 Prozent<br />
zurückgegangen.<br />
IMMOBILIENTIPP<br />
LED-Lampen fürs Heim<br />
Lichtdioden halten zusehends<br />
Einzug in die Vorgärten, schaffen<br />
Atmosphäre und Sicherheit und<br />
senken die Kosten.<br />
Mit bis zu 50.000 Stunden Lebensdauer<br />
sind LED-Leuchten nachhaltig<br />
aktiv und für den Außeneinsatz ideal<br />
geeignet, rät die Bausparkasse BHW.<br />
Sehr beliebt sind am Boden montierte<br />
Spotlights. Leuchtdioden verbrau-<br />
LICHT INS DUNKEL <strong>mit</strong> LED.<br />
chen bis zu 90 Prozent weniger Strom<br />
als Glühbirnen. Zeitschaltuhren oder<br />
Bewegungsmelder senken den Energiebedarf<br />
zusätzlich. LED-Lampen <strong>mit</strong><br />
hoher Lebensdauer kosten zirka 40<br />
Euro. Wenn 2012 die Glühbirnen endgültig<br />
vom Markt verschwinden, werden<br />
die Preise für LEDs weiter sinken,<br />
vermutet der Fachverband für Elektroleuchten<br />
und elektrische Lampen.<br />
50 WIRTSCHAFT & MARKT 03/12
W&M-SERVICE<br />
MIETEN<br />
Im Osten<br />
bleibt es billig<br />
Geringer als erwartet<br />
sind im vergangenen Jahr<br />
die Bestandsmieten in<br />
Deutschland gestiegen.<br />
Dies geht aus dem F+B-Mietspiegelindex<br />
2011 hervor. Die<br />
durchschnittliche Miete stieg<br />
2011 um lediglich ein Prozent.<br />
Weiterhin führt München<br />
den Mietspiegelindex an. Mit<br />
einer durchschnittlichen<br />
Nettokaltmiete von 9,58 Euro<br />
pro Quadratmeter müssen<br />
Mieter dort 59 Prozent mehr<br />
für ihre Wohnung bezahlen<br />
als im Bundesdurchschnitt.<br />
Auf Rang 24 des F+B-Mietspiegelindex<br />
ist die einzige in<br />
den Top 50 vertretene ostdeutsche<br />
Stadt platziert: Jena liegt<br />
<strong>mit</strong> 6,89 Euro pro Quadratmeter<br />
als einzige Stadt der<br />
neuen Bundesländer deutlich<br />
über dem Bundesdurchschnitt<br />
von 6,04 Euro pro Quadratmeter.<br />
Weit darunter liegen<br />
die meisten anderen ostdeutschen<br />
Städte.<br />
DIE MEINUNG DES EXPERTEN<br />
PRIVAT<br />
BAUSPAREN<br />
Beliebter in<br />
Zeiten der Krise<br />
Für die deutschen Bausparkassen<br />
war 2011 ein sehr<br />
gutes Jahr. Sachanlagen sind<br />
in unsicheren Tagen gefragt.<br />
Das steigende Interesse an<br />
Sachwerten und die Furcht vor<br />
der Geldentwertung lässt viele<br />
Verbraucher zu Bausparfinanzierungen<br />
greifen. Allein der<br />
Marktführer, die Bausparkasse<br />
Schwäbisch Hall, konnte das<br />
Neugeschäft um gut zehn<br />
Prozent steigern. Die gesamte<br />
Branche rechnet <strong>mit</strong> einer<br />
Steigerung des Finanzierungsgeschäfts.<br />
Bauspardarlehen<br />
und Sofortfinanzierungen von<br />
den Bausparkassen stehen vor<br />
allem wegen der langfristig<br />
stabilen und niedrigen Zinsen<br />
bei den Immobilienerwerbern<br />
hoch im Kurs. Auch 2012 erwarten<br />
die Bausparkassen ein<br />
gutes Jahr. Zwar seien im Moment<br />
die Kapitalmarktzinsen<br />
noch niedrig, für Ende 2012<br />
rechnen die Bausparkassen<br />
jedoch <strong>mit</strong> einem Anstieg.<br />
IMMOBILIEN<br />
Gebraucht<br />
und günstig<br />
Attraktive Kaufpreise und<br />
niedrige Zinsen sorgen in<br />
Ostdeutschland für eine<br />
Blüte des Gebrauchtmarkts.<br />
Vor allem im den ostdeutschen<br />
Metropolen sei in den vergangenen<br />
zwei Jahren ein Nachfrageboom<br />
registriert worden, so<br />
die Einschätzung der LBS Immobilien<br />
GmbH in Potsdam.<br />
Zwar steigen auch die Preise,<br />
<strong>mit</strong> Ausnahme des Segments<br />
der Luxus-Eigentumswohnungen<br />
sei aber nicht <strong>mit</strong> der Bildung<br />
von Preisblasen zu rechnen.<br />
Auch in Mittel- und Kleinstädten<br />
habe die Nachfrage<br />
deutlich zugenommen, erwartet<br />
wird jedoch eine stabile<br />
Preisentwicklung <strong>mit</strong> langfristiger<br />
Perspektive. Es gebe einen<br />
Trend zum Erwerb von Wohnimmobilien<br />
deutlich vor dem<br />
Rentenalter. Das attraktive<br />
Preis-Mieten-Verhältnis locke<br />
inzwischen auch kleinere<br />
Immobilieninvestoren aus<br />
Westdeutschland an.<br />
Von HANS PFEIFER,<br />
Wirtschaftsjournalist, Berlin<br />
Immobilien KOMPAKT<br />
➔<br />
KORREKTUR<br />
Portale im Internet<br />
In Heft 01-02/12 stellten wir die<br />
Internetportale »vermietsicher. de«<br />
und »kautionsfrei.de« vor. Dabei kam<br />
es zu einer Verwechslung im Text.<br />
Irrtümlich hieß es in der Meldung,<br />
dass »kautionsfrei.de« eine Absicherung<br />
gegen Mietausfälle böte.<br />
Richtig muss es natürlich heißen,<br />
dass »vermietsicher.de« einen Schutz<br />
für Vermieter gegen Mietausfälle<br />
anbietet. kautionsfrei.de hingegen<br />
offeriert für Mieter eine Alternative<br />
zur Kautionshinterlegung in bar.<br />
WOHNTRENDS<br />
Zu früh geträumt<br />
Die Mehrheit der Deutschen<br />
wünscht bei Immobilien Energieeinsparungen<br />
und erneuerbare<br />
Energien, so eine Umfrage.<br />
Für 82 Prozent der Befragten ist ein<br />
niedriger Energieverbrauch sehr<br />
WOHNTRAUM: Erneuerbare Energien<br />
wichtig, für 68 Prozent der Einsatz<br />
von erneuerbaren Energien. Das ist<br />
das Ergebnis einer Umfrage des<br />
IMWF Institut für Management- und<br />
Wirtschaftsberatung im Auftrag der<br />
Interhyp AG über »Wohnträume<br />
der Deutschen«. Das barrierefreie<br />
Wohnen favorisieren 48 Prozent.<br />
Zum Schrotthandel gehören vier<br />
Da ist in Berlin ein Senator wegen seiner beruflichen<br />
Rolle als Beurkunder dubioser Immobiliengeschäfte<br />
nach nur zwölf Tagen aus dem<br />
Amt geschieden. Manche feiern das als Sieg<br />
des Verbraucherschutzes. Das dürfte verfrüht<br />
sein. Denn der Notar konnte so agieren, weil<br />
drei andere Beteiligte <strong>mit</strong>gemacht haben: der<br />
Immobilienver<strong>mit</strong>tler, der Verkäufer und der<br />
Käufer. Was den Ver<strong>mit</strong>tler betrifft, ist die<br />
Sache klar. Er ist allein provisionsgetrieben.<br />
Was die Verkäufer betrifft, so wissen wir aus<br />
der Berliner Szene inzwischen, dass sich sogar<br />
gemeinnützige Wohnungsbaugesellschaften<br />
nicht zu schade sind, <strong>mit</strong> Hilfe dubioser Ver<strong>mit</strong>tler<br />
und dank der Dienste williger Mitternachtsnotare<br />
Immobilien zu Mondpreisen zu<br />
verscherbeln. Wirklich beklagenswert ist allein<br />
die Rolle der Käufer. Und da ist Mitleid nun wirklich<br />
nicht angebracht. Hat ein Käufer, der eine<br />
große Summe unter Zeitdruck in eine Wohnung<br />
investieren will, die er nicht besichtigt hat, noch<br />
alle Tassen im Schrank? War er im Vollbesitz<br />
seiner geistigen Kräfte, als ihn der Verkäufer zu<br />
später Stunde zum Notar schleifte, der in atemberaubender<br />
Geschwindigkeit Unverständliches<br />
herunterrasselte? Wo war sein Widerspruch,<br />
als ihn der Ver<strong>mit</strong>tler auch noch einimpfte, auf<br />
die Pflichtfragen des Notars wahrheitswidrig zu<br />
antworten? Das Verhalten des Notars war<br />
standeswidrig und seine Berufung zum Senator<br />
deshalb ein Fehler. Das Verhalten von leichtsinnigen<br />
oder gierigen Käufern kann nicht anders<br />
geahndet werden als durch finanzielle<br />
Verluste. Dummheit muss bestraft werden.<br />
Einen Gebrauchtwagen kauft auch niemand<br />
nachts im Dunkeln und ohne Probefahrt.<br />
TRENNUNG<br />
Wie in der Ehe<br />
Auch bei der Trennung nichtehelicher<br />
Partner kann es<br />
zu vermögensrechtlichen Auseinandersetzungen<br />
kommen.<br />
Dies ist vor allem der Fall, wenn die<br />
Partner gemeinsam ein Eigenheim<br />
gebaut haben. Nach einem Urteil<br />
des Bundesgerichtshofs (XII ZR<br />
190/08) kann man verlangen, einen<br />
Teil seiner Eigenleistungen und<br />
Bauzuschüsse vergütet zu erhalten,<br />
wenn durch sie ein dauerhafter<br />
Vermögenszuwachs beim Ex-Partner<br />
eingetreten ist.<br />
Die Wüstenrot Bausparkasse AG<br />
rät deshalb, vor dem Hausbau<br />
die gegenseitigen Ausgleichsansprüche<br />
vertraglich zu regeln.<br />
WIRTSCHAFT & MARKT 03/12 51
ANALYSE<br />
Fotos: WMi Sachsen-Anhalt, WMi Thüringen<br />
Förder<strong>mit</strong>tel in Mitteldeutschland<br />
Abschied von<br />
der Gießkanne<br />
Strategiewechsel bei der Wirtschaftsförderung in Sachsen-Anhalt:<br />
Statt Zuschüsse <strong>mit</strong> der Gießkanne zu verteilen, will die Landesregierung<br />
dort helfen, wo hochwertige Arbeitsplätze in Wachstumsbranchen<br />
entstehen. Auch Thüringen geht neue Wege.<br />
Mit weniger Förder<strong>mit</strong>teln die<br />
Wirtschaft in Sachsen-Anhalt in<br />
der Breite fördern – das ist der<br />
Spagat, den die Landesregierung schaffen<br />
will. Statt auf Masse soll auf Klasse gesetzt<br />
werden, so Wirtschaftsministerin<br />
Birgitta Wolff. Seit dem 1. Februar gelten<br />
neue Förderrechtlinien. Die Unterstützung<br />
wird stärker auf Forschungs- und<br />
wertschöpfungsintensive Unternehmen<br />
fokussiert, die dauerhafte und anspruchsvolle<br />
Arbeitsplätze schaffen und<br />
tarifliche Standards berücksichtigen.<br />
Die zum Teil drastischen Änderungen<br />
sind Sparzwängen geschuldet: Die EU-<br />
Förder<strong>mit</strong>tel werden gedrosselt. Statt<br />
370 Millionen Euro 2010 stehen dieses<br />
Jahr nur noch 167 Millionen Euro zur<br />
Verfügung. 2013 schrumpfe die Summe<br />
auf 130 Millionen, sagt die CDU-Ministerin.<br />
Es fehlen sowohl Fachkräfte als auch<br />
qualifizierte, gut bezahlte Jobs. In der<br />
Folge werden in Sachsen-Anhalt nur 70<br />
Euro je Einwohner an Forschungs- und<br />
Entwicklungsleistungen durch Unternehmen<br />
erwirtschaftet, während es in<br />
Thüringen immerhin 200 Euro sind.<br />
In Sachsen-Anhalt wurden seit 2000<br />
insgesamt 4.211 Investitionsvorhaben<br />
<strong>mit</strong> 3,75 Milliarden Euro zur Verbesserung<br />
der regionalen Wirtschaftsstruktur<br />
gefördert, sagt Wolff. Das gesamte Investitionsvolumen<br />
habe 15,62 Milliarden<br />
Euro betragen. Da<strong>mit</strong> seien knapp<br />
182.000 Arbeitsplätze geschaffen beziehungsweise<br />
gesichert worden. Dennoch<br />
ist jetzt ein Strategiewechsel bei der<br />
Wirtschaftsförderung erforderlich. Es<br />
braucht mehr Firmen, die Dank bester<br />
Produkte gute Löhne zahlen und Fachkräfte<br />
binden – oder herholen. Jährlich<br />
gehen etwa 30.000 Leute hier in Rente,<br />
aber nur gut 15.000 Arbeitnehmer kommen<br />
neu hinzu. Zusammen <strong>mit</strong> dem<br />
Wanderungssaldo ergibt sich eine Differenz<br />
von etwa 30.000 Personen im<br />
Jahr. Und so wird Ministerpräsident Reiner<br />
Haseloff (CDU) nicht müde zu erklären:<br />
Sachsen-Anhalt werde verstärkt<br />
um Rückkehrer werben.<br />
Viele Jahre war es die wichtigste Aufgabe,<br />
möglichst viele Firmen anzusiedeln.<br />
Jetzt heißt es: Klasse statt Masse.<br />
Bei Erweiterungsinvestitionen startet ein<br />
neues Fördersystem: Während es früher<br />
Abzüge gab, wenn Förderkriterien – die<br />
Zahl von Arbeitsplätzen oder Lehrstellen<br />
– nicht erreicht wurden, gibt es jetzt<br />
Boni für die Erfüllung der Auflagen.<br />
Dazu zählen die Errichtung des Hauptsitzes<br />
in Sachsen-Anhalt, der Nachweis<br />
eines Tarifvertrages, die Kooperation <strong>mit</strong><br />
Hochschulen und die Übernahme von<br />
mindestens der Hälfte der Auszubildenden,<br />
wenn deren Zahl fünf Prozent aller<br />
Beschäftigten der Firma übersteigt.<br />
WOLFF (CDU) UND MACHNIG (SPD) wollen<br />
Wildwuchs der Leiharbeit beschneiden.<br />
Eingeführt wird ein Basisfördersatz<br />
von bis zu 35 Prozent der Investitionssumme,<br />
der nach einem Punktesystem<br />
um bis zu 15 Prozent aufgestockt werden<br />
kann. Nicht mehr gefördert werden Erweiterungsinvestitionen,<br />
bei denen keine<br />
neuen Dauerarbeitsplätze entstehen.<br />
Insgesamt gehen die Zuschusssummen<br />
um teilweise bis zu 50 Prozent zurück.<br />
Die maximale Fördersumme liegt bei<br />
zehn Millionen Euro und nicht mehr bei<br />
40 Millionen. Keine Zuschüsse gibt es<br />
künftig, wenn ein Betrieb mehr als<br />
20 Prozent Zeitarbeiter beschäftigt, weniger<br />
als 70.000 Euro investiert – bislang<br />
waren es 25.000 Euro – oder für bestimmte<br />
Branchen, wie Recyclingfirmen oder<br />
Biogas- und Bioethanol-Produzenten.<br />
Auch der Amtskollege aus dem Nachbarland<br />
Thüringen – Wirtschaftsminister<br />
Matthias Machnig (SPD) – will <strong>mit</strong> einem<br />
bundesweit einzigartigen Modell<br />
den Missbrauch von Zeitarbeit verhindern.<br />
Der Freistaat ist nach wie vor ostdeutscher<br />
Primus in Sachen Arbeitslosigkeit.<br />
Doch das Jobwunder hat seine Kehrseite:<br />
Von den gut 14.000 neuen Stellen<br />
2009 zu 2010 entstanden fast zwei Drittel<br />
in Zeitarbeitsfirmen. Im Land bieten 416<br />
solcher Firmen ihre Dienste an. Und wer<br />
sich bei ihnen verdingt, bleibt oft Kunde<br />
der Arbeitsagentur. Denn der Leiharbeiter<br />
verdient hier fast 800 Euro weniger<br />
als eine Stammkraft. Die Fluktuation ist<br />
hoch. Auch vor diesem Hintergrund wagte<br />
Machnig den Vorstoß. Firmen, die zu<br />
viele Leiharbeiter beschäftigen, bekommen<br />
nun bestimmte Fördergelder gekappt.<br />
Bei mehr als zehn Prozent Leiharbeitern<br />
reduziert sich der Zuschuss spürbar,<br />
bei über 30 Prozent entfällt er. In<br />
Machnigs Augen wird Leiharbeit im<br />
Osten missbraucht. Der Staat dürfe »Billiglöhne<br />
nicht noch subventionieren«.<br />
Während die Zahl der indirekt Beschäftigten<br />
in den letzten zwei Jahren<br />
bundesweit um 33 Prozent stieg, sind es<br />
in Thüringen fast 50 Prozent. Mit einem<br />
Leiharbeiteranteil von 3,7 Prozent ist das<br />
Land nun auch hier unter den Flächenländern<br />
Negativ-Spitzenreiter.<br />
Wachsenden Missbrauch von Leiharbeit<br />
stellt auch Thüringens DGB-Chef<br />
Stefan Körzell fest. Es gebe Firmen, die<br />
bereits »ihr ganzes Geschäftsmodell darauf<br />
aufbauen«. Dagegen stimme es fast<br />
nie, so Körzell, dass solch ein Job eine<br />
Chance sei, später in eine Festanstellung<br />
zu wechseln. Jener »Klebeeffekt« liege in<br />
Thüringen bei gerade sieben Prozent.<br />
Die Leiharbeitsbranche setzt bundesweit<br />
geschätzte 20 Milliarden Euro um.<br />
Rund 20.000 Firmen tummeln sich am<br />
Markt. Der Bundesverband BZA kündigte<br />
denn auch Widerstand an. Die Thüringer<br />
Initiative sei »rechtlich nicht haltbar«,<br />
heißt es hier. Doch Machnig setzt noch<br />
einen drauf: Künftig wird sein Ministerium<br />
Billig- und Leiharbeit auch nicht<br />
mehr über den ESF fördern lassen.<br />
Wie die Weichenstellung in Thüringen,<br />
so ist auch die neue Förderpolitik<br />
Sachsen-Anhalts auf Widerstand eines<br />
Teils der Wirtschaft gestoßen. Der Präsident<br />
des Arbeitgeber- und Wirtschaftsverbandes<br />
Sachsen-Anhalt, Klemens Gutmann,<br />
kritisiert, dass die Anforderungsliste<br />
für die Arbeitsplatz-Förderung zu<br />
kompliziert sei. Das sehen auch die IHK<br />
in Magdeburg und Halle so. Dort glaubt<br />
man, dass die Regelungen, um in den Genuss<br />
einer zusätzlichen Förderung zu<br />
kommen, zu bürokratisch sind und es<br />
KMU schwer machen, sie zu erfüllen.<br />
Dana Micke/ Harald Lachmann<br />
&<br />
52 WIRTSCHAFT & MARKT 03/12
ANALYSE<br />
Enquetekommission in Potsdam<br />
Brandenburger Legenden widersprochen<br />
Wissenschaftler sehen in den Ergebnissen der brandenburgischen Wirtschaftspolitik der Nachwendezeit<br />
kaum Unterschiede zu anderen Ländern. Der Vorwurf »kleine DDR« sei nicht aufrechtzuerhalten.<br />
Die Enquetekommission zur Aufarbeitung<br />
der Nachwendezeit in<br />
Brandenburg hat eine Bewertung<br />
der Wirtschaftspolitik seit 1990 vorgelegt.<br />
Das Gutachten »Analyse der Schlüsselentscheidungen<br />
im Bereich der Wirtschaftspolitik«,<br />
das von den Wissenschaftlern<br />
Karl Brenke, Udo Ludwig und<br />
Joachim Ragnitz vorgelegt worden ist,<br />
zeichnet ein differenziertes Bild. Die Ausgaben<br />
des Landes konnten in diesen zwei<br />
Jahrzehnten zwar bei zwölf Milliarden<br />
Euro jährlich stabilisiert werden, die<br />
Deckungslücke blieb während des gesamten<br />
Zeitraums »mehr oder minder deutlich<br />
dahinter zurück«. Mit 17,5 Milliarden<br />
Euro ist Brandenburg, je Einwohner gerechnet,<br />
»eines der höchstverschuldetsten<br />
Bundesländer in Deutschland«. Weil alle<br />
Anstrengungen zur Wirtschaftsförderung<br />
das Blatt nicht wenden konnten, weist<br />
das Land eine hohe »Transferabhängigkeit<br />
der öffentlichen Haushalte« auf.<br />
Die Gutachter gestehen der Landesregierung<br />
jedoch zu, seit einiger Zeit erhebliche<br />
Anstrengungen zu unternehmen,<br />
um die Ausgaben den Einnahmen anzupassen.<br />
Der Kampf um die Erhaltung<br />
von Arbeitsplätzen hatte die 90er Jahre<br />
geprägt (»Mega-ABM«), es ging um die Bewahrung<br />
industrieller Kerne um beinahe<br />
jeden Preis. Großprojekte des Landes<br />
waren <strong>mit</strong>unter erfolgreich (Bombardier,<br />
Schwedt, Eisenhüttenstadt), <strong>mit</strong>unter<br />
auch nicht (Chipfabrik, Cargolifter, Transrapid).<br />
Das Streben der SPD-Landesregierungen,<br />
Entwicklung in die Fläche zu<br />
tragen, sei so ehrenwert wie tendenziell<br />
wirkungslos gewesen. Industrielle Kerne,<br />
die auch mal Entwicklungszentren oder<br />
Wachstumskerne hießen, haben die in sie<br />
gesetzten Erwartungen nicht erfüllt. Dem<br />
Gutachten zufolge handelt es sich aber<br />
um kein spezifisch brandenburgisches,<br />
sondern ein ostdeutsches Merkmal,<br />
wie auch sonst das Land in wesentlichen<br />
Gesichtspunkten »überhaupt kein Unterschied«<br />
von den anderen Ost-Ländern<br />
aufweist und es zu »überall ungefähr gleichen«<br />
Ergebnissen kam, die alle – von<br />
Sachsen in einigen Punkten abgesehen –<br />
gleich schlecht genannt zu werden verdienen.<br />
Da<strong>mit</strong> wurde der Vorwurf, schon zu<br />
den Zeiten von Regine Hildebrandt und<br />
Manfred Stolpe habe das Land eine »kleine<br />
DDR« verkörpert, ins Reich der Legende<br />
verwiesen. Die Wissenschaftler arbeiteten<br />
heraus, dass der Einfluss der Landespolitik<br />
– entgegen eigener Darstellung –<br />
auf die Entwicklungen sehr gering ist und<br />
ganz andere, meist äußere Einflüsse den<br />
Ausschlag geben.<br />
Matthias Krauß<br />
WIRTSCHAFT & MARKT 03/12 53
INGENIEUR-NACHRICHTEN<br />
Fotos: Archiv, Stadtwerke Bonn<br />
KOMMENTAR<br />
Von DR. NORBERT MERTZSCH,<br />
Vorsitzender des VBIW e.V.<br />
Plädoyer für Erdgas<br />
Der Atomausstieg in Deutschland<br />
und die Inbetriebnahme der Ostsee-<br />
Gaspipeline Nordstream Anfang<br />
November sind Marksteine der Energiewende.<br />
Dazu gehört auch der<br />
Ausstieg von Vattenfall aus der CCS-<br />
Technologie der Kohlenstoffdioxid-<br />
Abtrennung und -Speicherung. Danach<br />
bezweifeln auch Experten im<br />
VBIW, dass ein Braunkohlekraftwerk<br />
in Deutschland noch eine Chance<br />
hat. Unter dem Aspekt des Klimaschutzes<br />
sind hocheffiziente Gaskraftwerke<br />
vorzuziehen. Pro erzeugter<br />
Kilowattstunde entsteht bei ihnen<br />
deutlich weniger Kohlendioxid.<br />
Zudem lassen sie sich flexibel<br />
betreiben, um das schwankende<br />
Stromangebot der erneuerbaren<br />
Energien auszugleichen.<br />
Mit Erdgas können auch kleine<br />
Blockheizkraftwerke günstig Wärme<br />
und Strom erzeugen, z. B. das<br />
Mikroblockheizkraftwerk auf Basis<br />
eines Stirlingmotors unseres Mitglieds,<br />
des Potsdamer Unternehmers<br />
Dr.-Ing. Andreas Gimsa.<br />
Künftig ließe sich das Erdgasnetz<br />
auch als Speicher für überschüssige<br />
Wind- und Solarenergie nutzen,<br />
indem es für den Transport von Methan<br />
genutzt wird, dass <strong>mit</strong> erneuerbarer<br />
Energie erzeugt wird. Erdgas<br />
könnte als Reserve für eventuelle<br />
Engpässe eingespeist werden. Verbraucher<br />
könnten dann je nach Neigung<br />
oder Preis zwischen Biogas,<br />
erneuerbarem Methan, Erdgas oder<br />
einem Mix aus allen wählen. Ich<br />
meine, es sind jetzt pragmatische<br />
Entscheidungen notwendig, um das<br />
angestrebte Tempo der Energiewende<br />
in Deutschland zu schaffen.<br />
Erdgas bietet sich für den Übergang<br />
an. Das gilt für Heizung, Stromerzeugung<br />
und Verkehr, wobei Fahrzeuge<br />
rascher auf Erdgas umgestellt<br />
werden sollten. Braunkohle<br />
ließe sich zukünftig vielleicht sinnvoller<br />
in der Chemie nutzen.<br />
Energiewende<br />
DAS<br />
Europa ist jetzt über die<br />
längste Unterwasser-<br />
Gasleitung der Welt<br />
<strong>mit</strong> den Erdgasfeldern Russlands<br />
verbunden. Diese Energiequelle<br />
dürfte für eine lange<br />
Zeit verfügbar sein.<br />
Neue Gaskraftwerke könnten<br />
nun die Energielücke<br />
schließen, die durch das Aus<br />
der Atomkraft entstanden ist.<br />
Zwar wird bei der Verbrennung<br />
von Erdgas auch CO 2 abgeschieden,<br />
aber weniger als<br />
beim Verbrennen von Kohle<br />
oder Erdölprodukten. Gaskraftwerke<br />
lassen sich zudem<br />
relativ schnell errichten. Und<br />
sie können je nach Bedarf<br />
hoch- und heruntergefahren<br />
werden, wodurch das Problem<br />
der Speicherung von<br />
Strom entschärft wird.<br />
Erdgas hat seine führende<br />
Stellung im Wärmemarkt<br />
weiter ausgebaut. Jedes zweite<br />
der 97.000 zwischen Januar<br />
und Juni 2011 in Deutschland<br />
THEMA<br />
Auf Erdgas setzen<br />
Für eine Nutzung von Erdgas als Übergangstechnologie<br />
zur Strom- und Wärmeerzeugung und für den<br />
Kfz-Antrieb sprechen sich Experten des VBIW aus.<br />
errichteten Wohngebäude<br />
wird <strong>mit</strong> Gas beheizt. Mit Abstand<br />
folgen Wärmepumpe,<br />
Fernwärme und Holzpellets.<br />
2010 gab es in Deutschland<br />
rund 38,2 Millionen Wohneinheiten,<br />
bei 49 Prozent liefert<br />
Erdgas die Wärme.<br />
Gut geeignet ist Erdgas<br />
auch für den Antrieb von<br />
Kraftfahrzeugen. Beim Verbrennen<br />
von Erdgas entstehen<br />
weniger Stickoxide als bei<br />
Diesel, Feinstaub wird nahezu<br />
gar nicht e<strong>mit</strong>tiert. Die technischen<br />
Probleme des Erdgasantriebs<br />
sind gelöst.<br />
Die Nutzung von Erdgas<br />
für den Antrieb von Pkw und<br />
Lkw sowie von Bussen ist die<br />
am weitesten fortgeschrittene<br />
alternative Antriebsform. So<br />
setzt etwa der ÖPNV immer<br />
stärker auf Erdgasbusse, die<br />
bereits in mehr als 100 Städten<br />
fahren. 900 Erdgastankstellen<br />
gibt es deutschlandweit,<br />
ihre Zahl wächst rapide.<br />
92.000 Erdgas-Fahrzeuge waren<br />
Anfang Dezember 2011<br />
zugelassen, Tendenz steigend.<br />
Immer mehr Hersteller bringen<br />
serienmäßig hergestellte<br />
Erdgasfahrzeuge auf den<br />
Markt.<br />
Die Möglichkeiten des Einsatzes<br />
von Erdgas im Verkehr<br />
sind noch lange nicht erschöpft.<br />
Besonders Fahrzeugflotten<br />
regionaler Unternehmen<br />
wie Post, kommunale<br />
Ver- und Entsorger und Handwerker<br />
bieten sich an. Die Förderpolitik<br />
sollte entsprechend<br />
ausgerichtet werden.<br />
Der VBIW setzt sich für den<br />
weiteren Ausbau des Erdgas-<br />
Tankstellen-Netzes ein. Ein<br />
Hindernis aber bleibt: Noch<br />
werden zu wenige Fahrzeugtypen<br />
<strong>mit</strong> serienmäßigem<br />
Erdgasantrieb angeboten. Der<br />
VBIW wird künftig öffentlich<br />
auf Veranstaltungen für den<br />
Erdgasantrieb werben.<br />
Im Gegensatz zu Erdgas<br />
dümpelt die Entwicklung der<br />
Elektrofahrzeuge vor sich hin.<br />
Vorwiegend hört man von den<br />
Herstellern nur Absichtserklärungen,<br />
sieht bestenfalls<br />
Prototypen oder Kleinserien.<br />
Die Bundesregierung hat die<br />
Nationale Plattform Elektromobilität<br />
ins Leben gerufen.<br />
Dass dennoch kaum Elektroautos<br />
auf den Straßen fahren,<br />
hat bekannte Gründe: Reichweite,<br />
Ladezeit, Kaufpreis, Gewicht,<br />
Struktur und Organisation<br />
des Ladevorgangs.<br />
Der VBIW ist dafür, die Diskussion<br />
zu versachlichen,<br />
etwa indem ein städtischer<br />
Großraum als E-Modellregion<br />
ausgebaut wird. Elektro-Fahrzeuge<br />
könnten auch an Ausleihstationen,<br />
z. B. an Bahnhöfen<br />
und Flughäfen, in größeren<br />
Stückzahlen eingesetzt<br />
werden. Vorerst aber messen<br />
VBIW-Experten dem Erdgasantrieb<br />
praxistauglichere<br />
Chancen bei – bis langfristig<br />
gänzlich emissionsfreie Antriebe<br />
zur Verfügung stehen.<br />
54 WIRTSCHAFT & MARKT 03/12
INGENIEUR-NACHRICHTEN<br />
AKTUELL<br />
Foto: Arcelor Mittal<br />
EXKURSION: Besuch bei der ArcelorMittal GmbH.<br />
EXKURSION<br />
Studenten als<br />
VBIW-Gäste<br />
Angehende Ingenieure der<br />
FH Brandenburg erlebten<br />
die Praxis der Eisen- und<br />
Stahlerzeugung.<br />
Seit elf Jahren besteht eine<br />
Vereinbarung zwischen dem<br />
VBIW und der Fachhochschule<br />
Brandenburg (FHB). VBIW-Mit-<br />
glieder betreuen im Rahmen<br />
dieses Vertrages Diplomarbeiten<br />
und organisieren Betriebsbesichtigungen.<br />
Das Angebot,<br />
die ArcelorMittal GmbH in Eisenhüttenstadt<br />
zu besichtigen,<br />
deren Vorläufer als Eisenhüttenkombinat<br />
Ost (EKO) in den<br />
1950er Jahren als ein Roheisenwerk<br />
<strong>mit</strong> sechs Hochöfen entstand,<br />
nahmen 50 Maschinenbaustudenten<br />
und ihre Dozenten<br />
Ende November 2011 dankend<br />
an.<br />
Den Exkursionsteilnehmern<br />
erklärten Helmut Kummich<br />
und Klaus Menzel, beide VBIW-<br />
Mitglieder, bei der Werkbesichtigung<br />
Prozesse und Anlagen<br />
sowie die Entwicklung der<br />
Roheisen- und Stahlproduktion<br />
am Standort Eisenhüttenstadt.<br />
Die große Tour, an der<br />
sich auch weitere Betriebsführer<br />
des Unternehmens beteiligten,<br />
führte über die Roheisenerzeugung<br />
zum Konverter-<br />
Stahlwerk und zu den Warmund<br />
Kaltwalzwerken.<br />
Christina Niehus, Wissenschaftliche<br />
Mitarbeiterin der FHB<br />
EINLADUNG<br />
Vortrag von<br />
Prof. Hoier<br />
Über HDTV-Fernsehen<br />
spricht der Dekan der Fachhochschule<br />
Brandenburg<br />
beim VBIW.<br />
Auf einer weiteren Veranstaltung,<br />
die der VBIW gemeinsam<br />
<strong>mit</strong> der Fachhochschule Brandenburg<br />
ausrichtet, wird Prof.<br />
Dr.-Ing. Bernhard Hoier, Dekan<br />
Fachbereich Technik der FHB,<br />
über »HDTV – Das neue Fernsehen,<br />
Fernsehtechnik gestern,<br />
heute und morgen« sprechen.<br />
In seinem Vortrag wird Prof.<br />
Hoier auch die Geschichte des<br />
Fernsehens, heutige Zugangsmöglichkeiten<br />
per Antenne,<br />
Kabel, Satellit oder Internet<br />
sowie neue Spezifikationen<br />
behandeln. Beantworten wird<br />
er auch vier Grundfragen, die<br />
sich vor einer Kaufentscheidung<br />
für ein TV-Gerät stellen.<br />
Vereins<strong>mit</strong>glieder und Angehörige<br />
sind herzlich eingeladen.<br />
Termin: Dienstag, 13. März<br />
2012; 18.00 Uhr; Eisenhüttenstadt,<br />
Werkstraße 9, Technologiezentrum<br />
I. P. S. GmbH.<br />
Kontakt: Jutta Scheer<br />
Tel.: (03364) 374 834.<br />
KALENDER 2012<br />
Exkursionen<br />
und Erfinder<br />
Auf dem Veranstaltungskalender<br />
2012 des VBIW<br />
stehen eine Vielzahl von Exkursionen<br />
und Vorträgen.<br />
Bei der Erforschung des Lebens<br />
Brandenburger Erfinder und<br />
Technikpioniere steht in diesem<br />
Jahr der Flugzeugbauer<br />
Carl Clemens Bücker auf dem<br />
Programm. Er hatte 1933 in<br />
Berlin-Johannisthal sein Flugzeugwerk<br />
gegründet und später<br />
nach Rangsdorf verlagert.<br />
Aus diesem Anlass werden<br />
VBIW-Mitglieder das Bücker-<br />
Museum in Rangsdorf besichtigen.<br />
Weiter stehen Betriebsbesuche<br />
auf dem Programm wie<br />
der Neuen Oderwerft in Eisenhüttenstadt,<br />
die 2010 den Zukunftspreis<br />
der IHK Ostbrandenburg<br />
erhalten hatte.<br />
Der AK Elektrizitätswirtschaft<br />
plant eine Exkursion zur Pilotanlage<br />
der GMB GmbH und<br />
FHS Lausitz in Senftenberg,<br />
die Algen in Biokraftstoffe verwandelt<br />
und dabei CO 2 bindet.<br />
Mit dem Thema »Fluch und<br />
Segen chemischer Erfindungen«<br />
wird sich ein Vortrag von<br />
Prof. Dr. Dietmar Linke aus<br />
Berlin in Eisenhüttenstadt beschäftigen.<br />
In Frankfurt (Oder)<br />
wird Dipl.-Ing. Thoralf Schapke<br />
von der Solarregion Berlin-<br />
Brandenburg einen Vortrag zu<br />
»Entwicklung und Perspek-<br />
NACHRUF<br />
Trauer um<br />
Claus Andrae<br />
Unser Vereinsfreund Claus<br />
Andrae ist am 9.11.2011<br />
80-jährig nach schwerer<br />
Krankheit verstorben.<br />
Claus Andrae war eines der<br />
Gründungs<strong>mit</strong>glieder unseres<br />
nach der Wende neu<br />
gegründeten Vereins. Zuvor<br />
war er jahrzehntelang aktives<br />
Mitglied der KDT in Eisenhüttenstadt<br />
und Frankfurt<br />
(Oder). Hier war er im Ortsverein<br />
eines der aktivsten<br />
und zuverlässigsten Mitglieder.<br />
Durch seinen unermüdlichen<br />
Einsatz konnten wir<br />
viele interessante Vorträge<br />
und Exkursionen erleben.<br />
Auch legte er Grundlagen für<br />
die Zusammenarbeit <strong>mit</strong><br />
Hochschulen.<br />
Der VBIW wird sein Andenken<br />
immer in Ehren halten.<br />
Dr. Norbert Mertzsch,<br />
VBIW-Vorsitzender<br />
tive der Solarindustrie« halten.<br />
Prof. Dr. Ottmar Edenhofer<br />
vom Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung<br />
wird in<br />
einem Vortrag vor dem OV<br />
Potsdam erläutern, wie die<br />
Kohlendioxid-Emission eines<br />
Landes und der zu erwartende<br />
Temperaturverlauf berechnet<br />
werden. Alle Themen, Termine<br />
und Veranstaltungsorte<br />
können unter www.vbiw-ev.de<br />
abgerufen werden.<br />
Vorstand des VBIW<br />
ADRESSE<br />
Verein Brandenburgischer<br />
Ingenieure und Wirtschaftler e.V.<br />
Landesgeschäftsstelle Frankfurt (O.)<br />
Fürstenwalder Str. 46<br />
15234 Frankfurt (Oder)<br />
Tel.: (0335) 869 21 51<br />
E-Mail: buero.vbiw@online.de<br />
Internet: www.vbiw-ev.de<br />
WIRTSCHAFT & MARKT 03/12 55
BERICHT<br />
Frühlingserwachen in der Formel 1.<br />
Das Personalkarussell rotiert, die<br />
neu konstruierten Boliden werden<br />
spektakulär präsentiert. Im spanischen<br />
Jerez absolvieren die Formel-1-Piloten<br />
traditionell die ersten Testfahrten auf<br />
dem Asphalt. Die Saison 2012 in der Königsklasse<br />
des Motorsports startet am<br />
18. März in Melbourne <strong>mit</strong> dem Grand<br />
Prix von Australien. Es ist der Auftakt<br />
einer langen Rennserie <strong>mit</strong> insgesamt<br />
20 Grand-Prix-Veranstaltungen. Die letzte<br />
Rundenjagd erlebt das brasilianische<br />
Sao Paulo am 25. November. Dann steht<br />
der neue Champion fest und es ist die<br />
Frage beantwortet, ob es dem Weltmeister<br />
der Jahre 2010 und 2011, dem Deutschen<br />
Sebastian Vettel, gelungen sein<br />
wird, den begehrten Titel zum dritten<br />
Mal in Folge zu erobern. Spannung liegt<br />
in der Luft. Nicht zuletzt durch die Rückkehr<br />
des Ex-Weltmeisters Kimi Räikkönen<br />
aus Finnland in den Formel-1-Zirkus,<br />
Warmbold Energie und Klima GmbH<br />
Formel 1 unter Strom<br />
Die Königsklasse des Motorsports startet in diesem Monat<br />
in die neue Rennsaison. Dresdner Ingenieure und Techniker<br />
sorgen dafür, dass an den Strecken das Licht nicht ausgeht.<br />
Blackout leisten, betont Frank Warmbold,<br />
geschäftsführender Gesellschafter<br />
des <strong>mit</strong>telständischen Unternehmens<br />
aus Elbflorenz.<br />
Zum Formel-1-Engagement kam das<br />
Warmboldteam durch eine selbstbewusste<br />
und mutige Zusage des Firmenchefs.<br />
Vor einigen Jahren war in Dresden angefragt<br />
worden, ob das Warmboldteam in<br />
der Lage sei, den Cateringbereich eines<br />
Formel-1-Rennens <strong>mit</strong> Strom und Wasser<br />
zu versorgen sowie optimales Klima zu<br />
erzeugen. Die Art und Weise, wie die<br />
Dresdner den spektakulären Auftrag erledigten,<br />
überzeugte nachhaltig. Es folgte<br />
zunächst ein Drei-Jahresvertrag. Inzwischen<br />
ist das sächsische Unternehmen<br />
<strong>mit</strong> einem neuen Kontrakt weiter im Formel-1-Rennen<br />
und plant auf Hochtouren<br />
für die bevorstehende Saison.<br />
Längst geht der Warmbold-Konvoi, beladen<br />
<strong>mit</strong> leistungsstarken Stromaggregaten,<br />
Verteilern und zig Kilometern<br />
Energieleitungen, nicht mehr nur im<br />
Auftrag der Rennveranstalter auf Reisen.<br />
»Wir werden auch von einzelnen Rennställen<br />
gebucht, um deren Fahrerlager<br />
zuverlässig <strong>mit</strong> Strom, Wasser und angenehmem<br />
Raumklima zu versorgen«, sagt<br />
der 50-jährige Warmbold. »Vor drei Jahren,<br />
vor dem ersten Rennen in Japan, rief<br />
das Team Ferrari an. Es hatte Probleme<br />
<strong>mit</strong> den Technikern in Japan. Die Italiener<br />
waren sehr glücklich und dankbar,<br />
dass wir ihnen aus der Klemme helfen<br />
konnten.«<br />
Geplant und konzipiert werden die<br />
weltweiten Einsätze des Warmboldteams<br />
im Gewerbegebiet Klipphausen am Rande<br />
von Dresden. In einem nüchternen<br />
Hallengebäude geleiten viele bunte Plakate<br />
diverser Events den Besucher auf<br />
den Weg ins Obergeschoss. Am Ende<br />
eines unspektakulären Großraums <strong>mit</strong><br />
drei Computer-Telefon-Arbeitsplätzen<br />
führt eine weit geöffnete Tür ins ebenso<br />
AUFTAKT IN AUSTRALIEN: Am 18. März ist es in Melbourne wieder soweit (Foto von 2011).<br />
FAMILIENBETRIEB: Katharina Matern,<br />
Frank Warmbold und Frau Gitta (v. l.)<br />
Fotos: DPA/ZB, Heinz Richter; Warmboldteam<br />
den Weltmeister Vettel vorsorglich als<br />
»einen ernsthaften Gegner« betrachtet.<br />
Mehr noch als die Millionen Fans der<br />
Formel 1 weltweit fiebern in diesen Tagen<br />
die Mitarbeiter des Warmboldteams<br />
in Dresden dem Saisonstart entgegen.<br />
Denn sie sorgen auf ihre Weise für Spannung<br />
auf den Rennstrecken rund um<br />
den Globus. Unternehmer Frank Warmbold<br />
und seine 25 Mitarbeiter sind<br />
darauf spezialisiert, Sport- und Show-<br />
Großveranstaltungen versorgungstechnisch<br />
abzusichern. Das Warmboldteam<br />
wird gerufen, wenn es gilt, unter außergewöhnlichen<br />
und komplizierten örtlichen<br />
Gegebenheiten Strom, Wasser,<br />
Licht, Kühlung oder Heizung bereitzustellen<br />
– ob in der Wüste, in abgelegenen<br />
Arealen oder in Metropolen und großen<br />
Stadien. Die zuverlässige Versorgung <strong>mit</strong><br />
diesen Medien ist elementar für das<br />
Gelingen der Mega-Veranstaltungen. Auf<br />
diesem Markt dürfe man sich keinen<br />
56 WIRTSCHAFT & MARKT 03/12
BERICHT<br />
DER CHEF UND SEINE MITARBEITER verstehen sich als eine Mannschaft – als »Warmboldteam«.<br />
lichte, funktionale Chefzimmer. »Kurze<br />
Wege und ständiger Gedankenaustausch<br />
gehören zu unserer Firmenphilosophie.<br />
Die Nähe zu Frank ist unabdingbar«,<br />
meint Projektleiterin Katharina Matern<br />
<strong>mit</strong> Blick auf das Chef-Büro. Matern<br />
gehört zum vierköpfigen Projektmanager-Team.<br />
Die tägliche Aufgabe bestehe<br />
darin, auf die ganz spezifischen Anforderungen<br />
und Wünsche der Kunden einzugehen<br />
und manchmal »sogar das Unmögliche<br />
möglich zu machen«. Dazu gehört<br />
auch, nicht erst un<strong>mit</strong>telbar vor Ort zu<br />
entscheiden, wie und <strong>mit</strong> welcher Technik<br />
die geforderte Versorgung sichergestellt<br />
werden kann. Da sind ein reger Austausch<br />
von Ideen und Erfahrungen sowie<br />
mutiges und entschlussfreudiges Teamwork<br />
gefragt.<br />
Das Warmboldteam beschränkt sich<br />
nicht auf Big-Events wie die Formel 1.<br />
»Wir sind auch im Geschäft bei herkömmlichen<br />
Firmenveranstaltungen<br />
oder wenn die versorgungstechnische Infrastruktur<br />
etwa für Weihnachtsmärkte<br />
aufgebaut werden muss.« Dennoch<br />
schlägt das Herz der Firma besonders für<br />
den Motorsport. Bei der Deutschen Tourenwagen-Meisterschaft<br />
(DTM) beispielsweise<br />
sind die Dresdner das dienstälteste<br />
Serviceunternehmen. Die 25 fest angestellten<br />
Mitarbeiter werden in der Hauptsaison<br />
von 20 freien Mitarbeitern unterstützt.<br />
»Jemand, der zwei Monate bei uns<br />
<strong>mit</strong>macht und dann noch immer ein<br />
Leuchten in den Augen hat, der bleibt.<br />
Wer sich dagegen vom Glamour der Veranstaltungen<br />
blenden lässt und zudem<br />
lieber <strong>mit</strong> einem geregelten Arbeitstag<br />
liebäugelt, der geht hier baden«, beschreibt<br />
Unternehmer Warmbold seine<br />
Erfahrung.<br />
»Dennoch bemüht sich der Chef, in<br />
der Planung auf unsere persönlichen<br />
Wünsche einzugehen«, relativiert Katharina<br />
Matern. Dazu gehört, dass Warmbold<br />
auch mal den Ehepartnern seiner<br />
Angestellten ermöglicht, ein paar Tage<br />
bei einem großen internationalen Event<br />
dabei zu sein. Schließlich müssen sie oft<br />
genug längere Zeit auf ihre Liebsten verzichten.<br />
Das Warmboldteam ist meistens<br />
zuerst vor Ort und reist zuletzt ab. Acht<br />
40-Tonner gehören zum Fuhrpark der<br />
Dresdener Spezialisten. Häufig heißt es<br />
aber auch, weitere anzumieten. Zu einer<br />
Ski-Abfahrt-WM war das Warmboldteam<br />
schon mal <strong>mit</strong> 30 Lkw angerückt. Eine<br />
immense logistische Herausforderung.<br />
Und eine technische. Im einheimischen<br />
Lager werden allein 48 Kilometer Schuko-Leitungen<br />
vorgehalten. Um der Konkurrenz<br />
davonzufahren, setzt das Team<br />
auf Kreativität und Innovationen. So haben<br />
die Mitarbeiter eigene Stromaggregate<br />
<strong>mit</strong> Hydraulik-Füßen entwickelt, die<br />
ausgefahren werden können. Das spart<br />
die Kosten für einen Kran vor Ort. Ein<br />
neuartiger Verteilerschrank steht vor der<br />
Patentierung. Bei Bedarf können in diesem<br />
schnell und unkompliziert ganze<br />
Module ausgetauscht werden. Denn an<br />
den Einsatzorten in allen Herren Ländern<br />
sind die Stromsysteme sehr unterschiedlich.<br />
Das Warmboldteam kann so<br />
kostengünstig und flexibel arbeiten.<br />
»Am besten arbeiten wir, wenn keiner<br />
merkt, dass wir überhaupt vor Ort sind«,<br />
beschreibt Frank Warmbold seine Unternehmer-Devise.<br />
Ein Umsatzwachstum<br />
von 250 Prozent seit 2004 bis dato verdeutlicht,<br />
was er an den Formel-1-<br />
Strecken live erleben kann: Vorweg fährt<br />
derjenige, der nicht nur am schnellsten<br />
die Runden dreht, sondern am besten die<br />
Technik beherrscht und sein Rennen<br />
taktisch am klügsten gestaltet.<br />
In diesem Sinne lenkt der zweifache<br />
Familienvater auch die Geschicke des<br />
Warmboldteams. »Ich stelle gern Querdenker<br />
ein, Menschen <strong>mit</strong> ungewöhnlichen<br />
Ideen. <strong>Nur</strong> solche Unternehmen<br />
haben Zukunft. Und jene, die langfristig<br />
ihre Nachfolge regeln.« Frank Warmbold<br />
hofft, dass Sohn Daniel (27) nach dem gegenwärtigen<br />
Elektrotechnik/Elektronik-<br />
Studium an der Technischen Universität<br />
Dresden in seine Fußstapfen tritt. Es<br />
bleibt spannend im Warmboldteam und<br />
in der Formel 1.<br />
Heinz Richter/ Thomas Schwandt<br />
&<br />
WIRTSCHAFT & MARKT 03/12 57
AUTOMOBIL<br />
Ein handlicher Allrounder<br />
für Beruf und Freizeit<br />
ist der Fiat Panda.<br />
Davon haben sich in den zurückliegenden<br />
drei Jahrzehnten<br />
6,5 Millionen Käufer überzeugt.<br />
Nun kommt die dritte<br />
Generation des kleinen Italieners<br />
nach Deutschland. Der<br />
neue Panda, gefertigt in Polen,<br />
hat das Zeug, die Erfolgsstory<br />
fortzuschreiben.<br />
Mehr Kopffreiheit, mehr<br />
Beinfreiheit hinten und mehr<br />
Innenraumbreite – der neue<br />
Panda hat bei den Innenmaßen<br />
zugelegt und bleibt<br />
<strong>mit</strong> einer Länge von 3,65 Metern<br />
doch ein echter Kleinwagen.<br />
Gut, dass er jetzt satter<br />
auf der Straße steht. Die Designer<br />
haben ihm <strong>mit</strong> einem<br />
deutlich ausgestellten Heck<br />
eine breite Spur <strong>mit</strong>gegeben.<br />
Und elegant sieht er aus.<br />
Innen verfügt der Viertürer<br />
<strong>mit</strong> Heckklappe über eine<br />
hervorragende Flexibilität<br />
und ist top gestylt. Mit einer<br />
Vielzahl von Ablagen sowie<br />
den zahlreichen Verstellmöglichkeiten<br />
der Rücksitzbank<br />
ist der Innenraum variabel<br />
wie nie zuvor. Der Kofferraum<br />
bietet bei umgeklappter Lehne<br />
der Rückbank ein Volumen<br />
von bis zu 870 Litern.<br />
Fotos: Werkfotos<br />
Fiat Panda<br />
Italienischer Sparmeister<br />
Die dritte Generation des City-Flitzers geht <strong>mit</strong><br />
Top-Design, größerem Innenraum und geringen<br />
Verbrauchswerten in Deutschland an den Start.<br />
Vorbei sind die Zeiten der<br />
kargen Armaturen. Beim neuen<br />
Panda wird die Armaturentafel<br />
<strong>mit</strong> einem breiten Rand<br />
abgesetzt, orderbar in verschiedenen<br />
Farben. Im Cockpit<br />
finden alle Elemente für<br />
Lüftung, Heizung und Klima<br />
ihren Platz. Die Instrumente<br />
sind eher klassisch gehalten,<br />
ein kleines Zentraldisplay für<br />
Anzeigen und Daten aus dem<br />
Bordcomputer ergänzen sie.<br />
Auffallend auch die Sicherheitssysteme<br />
in dem Kleinwagen.<br />
Am bemerkenswertesten<br />
ist das Notbremssystem, das<br />
ein Hindernis erkennt und<br />
bei Geschwindigkeiten bis 30<br />
km/h automatisch eine Notbremsung<br />
einleitet, wenn der<br />
Fahrer nicht reagiert.<br />
Bei der Motorisierung verspricht<br />
Fiat »praxisgerechte<br />
Leistung« bei niedrigem Spritverbrauch<br />
und geringer Emission.<br />
Den Panda gibt es <strong>mit</strong><br />
Diesel (75 PS) und wahlweise<br />
<strong>mit</strong> Benzin-Motor (69 bzw. 85<br />
PS). Fiat beziffert den Verbrauch<br />
des Triebwerks <strong>mit</strong> 4,2<br />
Litern. Die CO 2 -Emissionswerte<br />
liegen bei vorbildlichen 99<br />
Gramm pro Kilometer. Da<strong>mit</strong><br />
hat der neue Panda das Zeug<br />
zum Sprit-Sparmeister.<br />
Hans Jürgen Götz<br />
Citroen DS5<br />
Extravaganter Franzose<br />
Mit dem DS5 liefert Citroen das I-Tüpfelchen in der<br />
aktuellen Modellreihe. Das Crossover-Fahrzeug hebt<br />
sich von Massenware ab und ist edel ausgestattet.<br />
Der französische Autobauer<br />
Citroen hatte in<br />
der Vergangenheit in<br />
Deutschland immer wieder<br />
<strong>mit</strong> extravaganten Modellen<br />
für Furore gesorgt. Doch zuletzt<br />
war es hierzulande auffällig<br />
ruhig um die Marke geworden.<br />
Der konservative und<br />
biedere Auftritt kam nicht an.<br />
Citroen ging im Einerlei der<br />
Mittelklasse unter. Dies soll<br />
sich nun wieder ändern.<br />
Mit dem neuen DS5 wollen<br />
die Franzosen an alte Tugenden<br />
anknüpfen. Die spannende<br />
Architektur und exklusive<br />
Ausstattung des Fünfers sollen<br />
der Extravaganz der jüngeren<br />
DS-Modelle die Krone<br />
aufsetzen. Der DS5 gibt sich<br />
<strong>mit</strong> kleinen Fenstern, verchromten<br />
Schwellern sowie<br />
großen Auspuffrohren auffällig<br />
und zieht unweigerlich die<br />
Blicke auf sich. Citroen selbst<br />
ordnet ihn als »Crossover« ein.<br />
Der 4,53 Meter lange Viertürer<br />
ist weder Kombi noch<br />
Coupé oder Limousine. Er<br />
zielt auf Kunden, die sich von<br />
der Masse abheben wollen.<br />
Der neue DS5 bietet <strong>mit</strong><br />
dem 460 Liter fassenden Kofferraum<br />
eine ordentliches<br />
Stauvolumen. Auch das Innenraumfeeling<br />
und die Sitzposition<br />
des Fahrers sind gut.<br />
Die breite Mittelkonsole, die<br />
Konsole im Dach und die beiden<br />
Fensterdächer für Fahrer<br />
und Beifahrer lassen eine Atmosphäre<br />
aufkommen, die an<br />
ein Flugzeug erinnert. Die<br />
vielen Schalter, Hebel und<br />
Instrumente unterstreichen<br />
diesen Eindruck. Nicht alles<br />
ist praktisch, aber dafür chic.<br />
Wie sich der DS5 insgesamt<br />
erfreulich edel zeigt. Er wird<br />
dank guter Verarbeitung dem<br />
luxuriösen Anspruch der DS-<br />
Reihe durchaus gerecht.<br />
Unter der Haube arbeitet<br />
der »Crossover« wahlweise <strong>mit</strong><br />
Benzinern (156 und 200 PS)<br />
und Dieselmotoren (112 und<br />
165 PS). Die von W&M gefahrenen<br />
Selbstzünder bewegen<br />
sich im unauffälligen Geräuschli<strong>mit</strong>.<br />
Die Bedienung<br />
fällt leicht, an Fahrsicherheit<br />
mangelt es nicht. Gemessen<br />
an der Größe des Wagens lässt<br />
sich gute Handlichkeit attestieren.<br />
Technischer Höhepunkt<br />
innerhalb der Baureihe<br />
ist jedoch der DS5 Hybrid4,<br />
der es auf eine Gesamtleistung<br />
von 200 PS (165 PS Dieselmotor<br />
und 35 PS Elektromaschine)<br />
bringt und knapp<br />
vier Liter verbraucht.<br />
Hans Jürgen Götz<br />
&<br />
58<br />
WIRTSCHAFT & MARKT 03/12
Fotos: AST GmbH, H. Lachmann<br />
MANAGER FÜR DREI: Christian Lohmann<br />
welten im Zusammenspiel von Wasser,<br />
Klang und Kunst entdeckt, die er in seiner<br />
Heimatstadt erfolgreich in Unterwasser-Happenings<br />
umsetzte. Mit diesem<br />
touristischen Konzept, davon waren<br />
Marion Schneider und Klaus-Dieter<br />
Böhm überzeugt, könnte Bad Sulza wieder<br />
eine wichtige Rolle innerhalb der<br />
heute insgesamt 20 historischen Kurorte<br />
und attraktiven Heil- und Wellnessbäder<br />
in Thüringen spielen.<br />
Die Rechnung ging auf. Mit der Auswahl<br />
als Außenprojekt für die Expo 2000<br />
in Hannover flossen europäische Förder<strong>mit</strong>tel,<br />
die zum Bau der lichtdurchfluteten<br />
Toskana Therme eingesetzt wurden.<br />
Schon kurz nach Eröffnung kürte die<br />
»New York Times« die futuristische Therme<br />
in Bad Sulza zu einem der fünf bes-<br />
Wellness in Thüringen<br />
Top-Form<br />
Das Bundesland Thüringen<br />
setzt im Gesundheitstourismus<br />
auf moderne Wellness-Trends.<br />
In Bad Sulza bietet die Toskana<br />
Therme den Gästen aus nah<br />
und fern ein Programm zum<br />
Wohlfühlen. 36 Prozent der<br />
Deutschen geben als primäres<br />
Urlaubsmotiv an, aktiv etwas<br />
für die Gesundheit zu tun.<br />
Die Bezeichnung »General Manager«<br />
gefällt Christian Lohmann<br />
nicht. Mit »Hoteldirektor« kann<br />
sich der sympathische Mittfünfziger<br />
schon eher anfreunden. Doch es trifft<br />
nicht ganz zu, denn neben dem Hotel des<br />
Gesellschafters Toskana GmbH stehen<br />
auch die Klinik und die Toskana Therme<br />
des staatlich anerkannten Sole-Heilbads<br />
Bad Sulza unter seiner Leitung. »Schwierig,<br />
alles auseinander- und doch zusammenzubekommen«,<br />
bekennt Lohmann.<br />
30 Prozent Auslastung im Reha-Bereich<br />
sei schon ein zufriedenstellender Wert.<br />
Doch das ist auf Dauer nicht tragend. So<br />
musste die Mutter-Kind-Klinik vor 15 Jahren<br />
mangels Belegung ihre Pforten<br />
schließen. Doch die thüringische Stadt<br />
wollte das einstige Vorzeige-Sanatorium<br />
für Beschäftigte der Wismut nicht dem<br />
Verfall überlassen. Ein Mischgeschäft aus<br />
Kur und touristischem Unternehmen<br />
sollte dem Thermalbad im Bauhausstil<br />
wieder Leben einhauchen.<br />
Den Anfang machte das Unternehmer-Paar<br />
Schneider und Böhm, das sich<br />
nach der Wende in Bad Sulza angesiedelt<br />
hatte. Die Wellness-Expertin Schneider<br />
holte den Visionär Micky Remann ins<br />
Boot. Auf seinen Weltreisen hatte der<br />
Frankfurter Deutschlehrer neue Sinnesten<br />
Bäder weltweit. Bald folgte ein Bademantelgang,<br />
der den Reha-Bereich und<br />
die Wellness-Therme verbindet.<br />
Remann bastelt unterdessen unermüdlich<br />
weiter am »Liquid Sound«-Konzept<br />
für das Wohlfühl-Refugium. Klang,<br />
Farbe und Licht so harmonisch in Einklang<br />
zu bringen, dass »der Körper<br />
schwerelos im Wasser schwebt und der<br />
Geist belebt wird«, diesem Ziel kommt<br />
der künstlerische Direktor der Toskana<br />
Therme stetig näher. Panta rhei, alles<br />
fließt, so könnte nach dem griechischen<br />
Philosophen Heraklit auch Remanns<br />
Leitsatz lauten: »Monotonie ist für uns<br />
der größte Gegner«, sagt er. Bei seinen<br />
»Liquid-Sound-Festivals«, die schon zehn<br />
Mal höchst erfolgreich Klang und Farbe<br />
in das erste graue November-Wochenende<br />
brachten, zieht der Kunst-Beauftragte<br />
TOURISMUS<br />
der Toskana Therme rund um die Uhr<br />
von Sonnabend zehn Uhr bis Sonntag 22<br />
Uhr alle Register. Das hat sich bei den Badegästen<br />
jeder Altersgruppe aus der<br />
näheren und weiteren Umgebung<br />
schnell herumgesprochen.<br />
General Manager Lohmann stimmt<br />
die Bilanz der Therme äußerst zufrieden.<br />
Die Gäste, die zum Erhalt ihrer Gesundheit<br />
einen Wellness-Kurzurlaub buchen<br />
und für eine 70-Prozent-Auslastung der<br />
Therme sorgen, gleichen die Gesamtbilanz<br />
seines Hauses locker aus.<br />
Darüber hinaus eröffnet der Erfolg<br />
der Toskana Therme auch anderen krea-<br />
ON TOUR MIT SEGWAY: Sylvia Laube<br />
tiven Kleinunternehmern Chancen. Die<br />
Gesundheitstrainerin Sylvia Laube beispielsweise<br />
hatte gemeinsam <strong>mit</strong> ihrem<br />
Mann die Idee, den Wellness-Urlaubern<br />
kleine Ausflüge in und um ihr Heimatstädtchen<br />
anzubieten. Bequem sollten<br />
die Touren sein, die durch den Kurpark<br />
und zum historischen Gradierwerk<br />
führen, durch das idyllische Ilmtal und<br />
weiter in das sanft hügelige Saale-<br />
Unstrut-Weinanbaugebiet bis nach Auerstedt.<br />
Deshalb schafften die Laubes vor<br />
gut einem Jahr zehn moderne Segways<br />
an. Seitdem ist das Ehepaar regelmäßig<br />
<strong>mit</strong> Kurgästen auf den wendigen Zweirädern<br />
unterwegs. »Für diese gibt es keine<br />
Altersbeschränkung«, betont der Chef<br />
des neuen Kleinunternehmens. »Aber<br />
man sollte mindestens 45 und höchstens<br />
118 Kilogramm wiegen«, ergänzt er.<br />
Im historisch beladenen Nachbarort<br />
Auerstedt gehört das Kutschenmuseum<br />
im Schloss zu den lohnenswerten Haltepunkten.<br />
Vor über 200 Jahren hat Kriegsund<br />
Feldherr Napoleon in der Schlacht<br />
bei Auerstedt die Preußen besiegt. Zum<br />
Dank schickte Herzog August von Sachsen-Gotha-Altenburg<br />
dem französischen<br />
Kaiser eine eigens für ihn gebaute<br />
»Napoleonische Kutsche« nach Auerstedt.<br />
Dort steht das <strong>mit</strong> allen damaligen technischen<br />
Raffinessen ausgestattete Gefährt<br />
noch heute.<br />
Renate Wolf-Götz<br />
&<br />
WIRTSCHAFT & MARKT 03/12 59
BERICHT<br />
Logistik in Mitteldeutschland<br />
Schkeuditzer Frachtdrehkreuz<br />
In Leipzig/Halle entwickelt sich der Logistiksektor rasant. Es ist Deutschlands dynamischste Region in<br />
der Branche. W&M hat etablierte und neu angesiedelte Firmen besucht. Teil 1: Amazon, Airport und Co.<br />
V<br />
ollchaotisch« gehe es in seinem<br />
Beritt zu, schmunzelt Cavit Yilmaz<br />
und sieht dabei belustigt aus. Doch<br />
in der Tat, der junge Generalmanager<br />
der Leipziger Amazon Distribution<br />
GmbH meint es so. Man muss sich nur in<br />
den endlosen Regalreihen des elf Fußballfelder<br />
großen Logistikzentrums im<br />
Nordosten der Stadt umsehen: Da lagern<br />
nicht Bücher neben Büchern, Skihelme<br />
neben Skihelmen oder Damenschuhe neben<br />
Damenschuhen. Nein, Barbie-Puppen,<br />
Autoscheiben-Enteiser, Kaffeetassen<br />
stehen neben Mozart-CD-Box.<br />
»Wir packen alles so in die Regale, dass<br />
es schnell auf den Weg zum Kunden gehen<br />
kann«, erläutert Yilmaz. Das sei wie<br />
beim »Prinzip Kinderzimmer«: Die vielbenutzten<br />
Sachen liegen in Griffnähe, und<br />
von allen anderen weiß man in etwa, wo<br />
zu suchen ist. »Regalplatz ist eben teuer«,<br />
so der Manager, der das Leipziger Tochterunternehmen<br />
des US-amerikanischen<br />
Internet-Handelsgiganten maßgeblich<br />
<strong>mit</strong> aufgebaut hat. Neu eintreffende<br />
Ware werde stets dort eingelagert, wo gerade<br />
Platz sei. Die Logistiksoftware des<br />
gewaltigen Versandtempels wisse dann<br />
schon, wo was liegt im kilometerlangen<br />
Metallgerüst-Labyrinth. Alles funktioniere<br />
<strong>mit</strong> drahtlosen Barcode-Scannern, die<br />
nach Reihe, Etage und Fachnummer angeben,<br />
wo bestellte Produkte zu finden<br />
sind. »Chaos ist Ordnung durch Verteilung<br />
im Raum«, sagt Yilmaz. »Wir sparen<br />
Zeit, indem das System das auf kürzestem<br />
Weg verfügbare Exemplar anzeigt.«<br />
Fotos: H. Lachmann<br />
Yilmaz ist stolz auf den Betrieb. Alles<br />
sei auf Effizienz getrimmt, versichert er:<br />
»Kurze Wege, jeder Handgriff optimiert.«<br />
Es wäre eben wie beim Amazonas, dem<br />
Urwaldfluss, der Firmengründer Jeff Bezos<br />
einst bei der Namenswahl Pate stand.<br />
Wie im Regenwald fließen in diesem virtuellen<br />
Dschungel die bestellten Sachen<br />
aus zahllosen Nebenarmen irgendwann<br />
dem Hauptstrom zu, wo sie gesammelt<br />
und versandt werden. Zugleich komme<br />
permanent neue Ware an, Tag für Tag in<br />
mehr als 100 Lkw-Ladungen. Sei diese<br />
erstmal über lange Laufbänder in freien<br />
Fächern deponiert, wisse nur noch die<br />
intelligente Software, wo was steckt.<br />
HOCHBETRIEB VOR WEIHNACHTEN<br />
In Spitzenzeiten, wie vor Weihnachten,<br />
verlassen bis zu 275 Lkw täglich das Versandzentrum.<br />
Allein das sei eine logistische<br />
Herausforderung, so Yilmaz. Sein<br />
Ehrgeiz bestehe darin, unabhängig von<br />
der Zahl der Bestellungen immer gleich<br />
schnell auszuliefern, ob nach Leipzig,<br />
Hamburg oder Hongkong. Schließlich interessiere<br />
den Kunden ja nicht, »wie viele<br />
andere wir gleichzeitig noch bedienen<br />
müssen.« Im Dezember ging es nicht<br />
ohne drei Schichten rund um die Uhr.<br />
Der Standort Leipzig, der 2006 als<br />
zweites deutsches Logistikzentrum von<br />
Amazon in Betrieb ging, wächst weiter.<br />
Als Yilmaz hier begann, beschäftigte die<br />
Firma 400 Mitarbeiter. Derweil sind es<br />
gut 1.000, die vor Weihnachten noch um<br />
3.000 Saisonarbeiter aufgestockt werden.<br />
Es war kein Zufall, dass Amazon sich<br />
für Leipzig entschieden hat. Schon lange<br />
prophezeien Prognosen dem Raum Leipzig/Halle<br />
– der neben Berlin einwohnerstärksten<br />
Region Ostdeutschlands – eine<br />
Zukunft als Handelsdrehscheibe. Die besaß<br />
Leipzig immerhin 800 Jahre lang als<br />
einst wichtigster Messeplatz der Welt.<br />
Und Autobahnen, Eisenbahnschiene und<br />
zunehmend Fluglinien kreuzen sich hier<br />
nach wie vor. Ein vom Fraunhofer Institut<br />
SCS Nürnberg vorgestelltes Standortgutachten<br />
wertet den <strong>mit</strong>teldeutschen<br />
Ballungsraum als die »dynamischste Logistikregion<br />
Deutschlands«.<br />
Bestätigt wurde das durch das SCI-<br />
Logistikbarometer, das auf der Befragung<br />
von über 200 bedeutenden Logistikdienstleistern<br />
basiert. Leipzig richtet<br />
zudem seit einigen Jahren das Weltverkehrsforum<br />
aus, zu dem sich Fachminister<br />
und Logistikexperten aus allen Erdteilen<br />
auf dem Messegelände zu Strategiedebatten<br />
treffen.<br />
Besonders wird in der Fraunhofer-<br />
Studie die Infrastruktur hervorgehoben.<br />
Sie ermögliche es den Logistikunternehmen,<br />
am Markt zeitnah zu reagieren,<br />
heißt es. Das gelte für nahezu alle Nuancen<br />
der Logistik, freut sich Uwe Albrecht<br />
(CDU), Bürgermeister und zuständig für<br />
das Dezernat Wirtschaft und Arbeit in<br />
Leipzig. »Egal, ob es die klassische Logistik,<br />
die Logistik über Luftfracht oder die<br />
Logistik <strong>mit</strong> einer hohen Wertschöpfung<br />
vor Ort ist – alle Teilbereiche, die man<br />
sich in der Branche heutzutage vorstel-<br />
60 WIRTSCHAFT & MARKT 03/12
BERICHT<br />
MANAGER DES CHAOS: Cavit Yilmaz lässt sich von der Warenflut bei Amazon nicht aus der Ruhe bringen<br />
len kann, sind in Leipzig möglich«, betont<br />
er. Abstriche gebe es lediglich bei<br />
der Binnenschifffahrt.<br />
Einen Saalehafen hat immerhin das<br />
benachbarte Halle. Dessen Betreiber ist<br />
Mitglied im Netzwerk Logistik Leipzig-<br />
Halle. Das entstand 2008 aus zunächst<br />
20 Partnern. Mittlerweile weitete es sich<br />
bis Bitterfeld im Norden, Grimma im<br />
Osten und Weißenfels im Süden aus und<br />
wächst weiter. Unlängst wurde Mitglied<br />
Nr. 99 begrüßt. Die Bandbreite des Clusters<br />
erstreckt sich vom <strong>mit</strong>telständischen<br />
Unternehmen bis zum internationalen<br />
Konzern, umfasst das Cargo- und<br />
Speditionsgewerbe ebenso wie Datenverarbeiter<br />
und Immobilienunternehmen.<br />
Auch Personaldienstleister, Kommunen,<br />
Verbände und Kammern sind vertreten.<br />
Zudem engagiert sich eine Reihe von Forschungs-<br />
und Bildungseinrichtungen.<br />
BOOM BEI ANSIEDLUNGEN<br />
Gemeinsam sehen die Networker sich als<br />
»Motor für die Metropolregion«, wie es<br />
Dierk Näther, Chef des Airports Leipzig/<br />
Halle, nennt. Der Verbund zeigt seit Jahren<br />
gemeinsam auf Fachmessen Flagge,<br />
beispielsweise auf der Expo Real in München,<br />
der TransRussia in Moskau und der<br />
transport logistic China in Shanghai.<br />
»Das führte schnell zu einer größeren<br />
Wahrnehmung – regional, überregional<br />
und international«, hebt Vorstandsvorsitzender<br />
Toralf Weiße hervor. Um die<br />
Funktion von Leipzig/Halle als »europäische<br />
Distributionsscheibe« zu stärken,<br />
seien in Moskau und Shanghai Dependancen<br />
eröffnet worden.<br />
Alexander Nehm von der Fraunhofer-<br />
Arbeitsgruppe für Supply Chain Services,<br />
der die Standortstudie erstellte, lenkt<br />
besonders auf den Flughafen Halle/<br />
Leipzig hin. Mit seinem 24-Stunden-Betrieb,<br />
sieben Tage die Woche, sei er das<br />
»Rückgrat der Logistikregion«. Denn ein<br />
SCHWERGEWICHT: DHL startet durch<br />
triert auch Prof. Uwe Arnold, Vorstand<br />
des Logistiknetzwerks. So vergeht derzeit<br />
kaum eine Woche ohne neue Meldungen<br />
über Ansiedlungen von Logistikfirmen<br />
in der Region. Auch wenn manches eher<br />
als eine Art Kompensation zu sehen ist.<br />
Denn mehrere neue Investoren siedelten<br />
sich im alten Quelle-Komplex an. Das<br />
galt in den 1990er Jahren als modernstes<br />
Versandhaus der Welt – bis das fränkische<br />
Mutterhaus pleite ging.<br />
Zu den jüngsten Nachmietern gehören<br />
der Internethändler Momox, der 400<br />
Jobs schaffen will, die Logistikfirma Rudolph<br />
aus Kassel und ein für BMW tätiger<br />
Produzent und Zulieferer. Für diesen<br />
wurde unlängst reichlich Fläche akqui-<br />
Flughafen <strong>mit</strong> zwei voneinander unabhängigen<br />
Landebahnen, der »in den letzten<br />
Jahren seine Zuverlässigkeit selbst<br />
bei akuten Witterungsbehinderungen<br />
bewiesen« habe – das sei ein Faustpfand,<br />
um den andere den Raum Leipzig-Halle<br />
beneideten. Die Region habe sich da<strong>mit</strong><br />
»vom Spezialstandort für Logistikdienstleistungen<br />
zu einem branchenübergreifend<br />
agierenden Gateway von europäischer<br />
Bedeutung« entwickelt.<br />
»Immer mehr Unternehmen, die als<br />
Distributoren den gesamteuropäischen<br />
Markt erreichen möchten, kommen in<br />
die Region und investieren hier«, regisriert.<br />
Auf Sichtweite von Quelle-Areal<br />
und Neuer Messe wird für DB Schenker<br />
Logistics ein insgesamt 63.000 Quadratmeter<br />
großes Automotive-Logistikzentrum<br />
errichtet. Hier sollen 600 Beschäftigte<br />
dem BMW-Werk zuarbeiten.<br />
Als ein besonderes Logistik-Schwergewicht<br />
agiert seit 2008 am Airport Leipzig/Halle<br />
die Post-Tochter DHL. Das »neue<br />
Tor zur Welt« ist ein riesiger Hangar. Ein<br />
gigantisches Warenhaus sowie 260 Beund<br />
Entladeplätze für Air-Container<br />
bilden derzeit Europas modernsten Umschlagplatz<br />
für Luftfracht. Pro Werktag<br />
starten und landen 60 Frachtmaschinen,<br />
werden jeweils gut 1.500 Tonnen Fracht<br />
umgeschlagen. Die Zahl der Cargo-Mitarbeiter<br />
soll kurzfristig auf 3.500 steigen.<br />
Trotz aller Technik braucht es noch<br />
immer vieler Arme, um an Deutschlands<br />
längster Sortieranlage – rund 6.500 Meter<br />
– Stunde für Stunde 60.000 Pakete<br />
und 36.000 Briefe zu bearbeiten.<br />
ENGPASS BEI LOGISTIKFACHLEUTEN<br />
Im Sog der DHL-Ansiedlung landeten<br />
weitere Luftlogistiker in Schkeuditz, darunter<br />
die Aerologic GmbH – eine gemeinsame<br />
Tochter von Deutscher Lufthansa<br />
und Deutscher Post. Die Flotte von Aerologic<br />
besteht aus acht Frachtflugzeugen<br />
vom Typ Boeing 777. Da<strong>mit</strong> stellt das<br />
Luftfrachtaufkommen am Flughafen<br />
Leipzig/Halle regelmäßig neue Rekorde<br />
auf. Mittlerweile beträgt die jährliche<br />
Umschlagmenge knapp 700.000 Tonnen<br />
an Gütern. Knapp wird es zunehmend<br />
beim Personal, vor allem was ausgebildete<br />
Fachleute im Logistiksektor betrifft.<br />
Harald Lachmann<br />
VORSCHAU TEIL 2<br />
Im Mittelpunkt von Teil 2 unseres Berichts<br />
»Logistik in Mitteldeutschland«, der im<br />
April-Heft erscheint, steht unter anderem<br />
der Magdeburger Hafen.<br />
&<br />
WIRTSCHAFT & MARKT 03/12 61
UV-AKTUELL<br />
GESCHÄFTSSTELLEN<br />
der Unternehmerverbände<br />
Unternehmerverband Berlin e.V.<br />
Präsident: Armin Pempe<br />
Hauptgeschäftsführer: Andreas Jonderko<br />
Geschäftsstelle:<br />
Ingrid Wachter (Sekretariat)<br />
Frankfurter Alllee 202, 10365 Berlin<br />
Tel.: (030) 981 85 00, 981 85 01<br />
Fax: (030) 982 72 39<br />
E-Mail: mail@uv-berlin.de<br />
Unternehmerverband Brandenburg e.V.<br />
Präsident: Eberhard Walter<br />
Hauptgeschäftsstelle Cottbus:<br />
Roland Kleint<br />
Schillerstraße 71, 03046 Cottbus<br />
Tel.: (03 55) 226 58, Fax: 226 59<br />
E-Mail: uv-brandenburg-cbs@t-online.de<br />
Bezirksgeschäftsstelle Potsdam:<br />
Bezirksgeschäftsführer: Hans-D. Metge<br />
Hegelallee 35, 14467 Potsdam<br />
Tel.: (03 31) 81 03 06<br />
Fax: (03 31) 817 08 35<br />
Geschäftsstelle Frankfurt (Oder):<br />
Geschäftsführer: Detlef Rennspieß<br />
Perleberger Str. 2, 15234 Frankfurt (O.)<br />
Tel.: (03 35) 400 74 56<br />
Mobil: (01 73) 633 34 67<br />
Unternehmerverband Rostock und<br />
Umgebung e.V.<br />
Präsident: Frank Haacker<br />
Geschäftsführerin: Manuela Balan<br />
Geschäftsstelle:<br />
Wilhelm-Külz-Platz 4, 18055 Rostock<br />
Tel.: (03 81) 242 58 -0, 242 58 -11<br />
Fax: 242 58 18<br />
Regionalbüro Güstrow:<br />
Am Augraben 2, 18273 Güstrow<br />
Tel.: (038 43) 23 61 12, Fax: 23 61 17<br />
Unternehmerverband Norddeutschland<br />
Mecklenburg-Schwerin e.V.<br />
Präsident: Rolf Paukstat<br />
Hauptgeschäftsführer: Wolfgang Schröder<br />
Geschäftsstelle:<br />
Brunnenstraße 32, 19053 Schwerin<br />
Tel.: (03 85) 56 93 33, Fax: 56 85 01<br />
Unternehmerverband Thüringen e.V.<br />
Präsident: Peter Baum<br />
Geschäftsstelle:<br />
IHK Erfurt<br />
Arnstädter Str. 34, 99099 Erfurt<br />
Tel.: (03 681) 42 00 50, Fax: 42 00 60<br />
Unternehmerverband Vorpommern e.V.<br />
Präsident: Gerold Jürgens<br />
Leiter d. Geschäftsst.: Wolfgang Kastirr<br />
Geschäftsstelle:<br />
Am Koppelberg 10, 17489 Greifswald<br />
Tel.: (038 34) 83 58 23, Fax: 83 58 25<br />
Unternehmerverband Sachsen e.V.<br />
Präsident: Hartmut Bunsen<br />
Vizepräs.: Dr. W. Zill, Dr. M. Reuschel,<br />
U. Hintzen<br />
Geschäftsführer: Rüdiger Lorch<br />
www.uv-sachsen.org<br />
Geschäftsstelle Chemnitz:<br />
Leiterin: Gabriele Hofmann-Hunger<br />
Marianne-Brandt-Str. 4, 09112 Chemnitz<br />
Tel.: (03 71) 49 51 29 12, Fax: -16<br />
E-Mail: chemnitz@uv-sachsen.org<br />
Geschäftsstelle Dresden:<br />
Repräsentant: Klaus-Dieter Lindeck<br />
Antonstraße 37, 01097 Dresden<br />
Tel.: (03 51) 899 64 67, Fax 899 67 49<br />
E-Mail: dresden@uv-sachsen.org<br />
Geschäftsstelle Leipzig:<br />
Leiterin: Silvia Müller<br />
Riesaer Straße 72 – 74, 04328 Leipzig<br />
Tel.: (03 41) 257 91-20, Fax: -80<br />
E-Mail: leipzig@uv-sachsen.org<br />
Unternehmerverband Sachsen-Anhalt e.V.<br />
Präsident: Jürgen Sperlich<br />
Geschäftsstelle Halle/Saale<br />
Berliner Str. 130, 06258 Schkopau<br />
Tel.: (0345) 78 23 09 24<br />
Fax: (0345) 78 23 467<br />
UV Brandenburg<br />
Verband lädt zum Technologietag ein<br />
Schon zum neunten Mal veranstalten der Unternehmerverband des Landes<br />
gemeinsam <strong>mit</strong> der Mittelstands- und Wirtschaftsvereinigung der CDU<br />
den TechnologieTagTeltow als Leistungsschau der regionalen Wirtschaft.<br />
Der TechnologieTagTeltow<br />
hat sich zu einer<br />
anerkannten Wirtschaftsveranstaltung<br />
in der<br />
Region entwickelt«, lobt Ralf<br />
Christoffers, brandenburgischer<br />
Minister für Wirtschaft<br />
und Europaangelegenheiten,<br />
in einem Grußwort die Veranstaltung.<br />
Er wird als Schirmherr<br />
am 23. März dieses Jahres<br />
zum Auftakt des Unternehmertreffens<br />
im pentahotel<br />
Berlin-Treptow sprechen. Der<br />
TechnologieTagTeltow 2012<br />
steht unter dem Motto:<br />
»Wachstumsmotor Mittelstand<br />
– Starke Unternehmen<br />
für eine starke Region«. Er<br />
will sich vor allem der Arbeitgebermarkenbildung<br />
(Employer<br />
Branding) und der<br />
Fachkräftesicherung widmen.<br />
Die Gäste werden unter anderem<br />
von Hermann Kühnapfel,<br />
Landesvorsitzender der MIT<br />
Mittelstands- und Wirt-<br />
schaftsvereinigung der CDU<br />
Brandenburg, und von Eberhard<br />
Walter, Präsident des Unternehmerverbandes<br />
des Landes,<br />
begrüßt.<br />
»<strong>Nur</strong> wenn es gelingt, Fachkräften<br />
Perspektiven in der<br />
Region zu bieten, werden<br />
auch die Unternehmen der<br />
Hauptstadtregion vom anhaltenden<br />
Aufschwung profitieren<br />
können«, so der Präsident.<br />
Nebenbei: Eberhard Walter<br />
JUBILAR Eberhard Walter.<br />
hat Mitte Februar in Cottbus<br />
seinen 60. Geburtstag gefeiert.<br />
Zu den Gratulanten zählten<br />
auch die UV-Präsidenten<br />
Hartmut Bunsen (Sachsen),<br />
Sprecher der Interessengemeinschaft<br />
der ostdeutschen<br />
Unternehmerverbände und<br />
Berlins, Rolf Paukstat (Norddeutschland<br />
Mecklenburg-<br />
Schwerin) und Jürgen Sperlich<br />
(Sachsen-Anhalt).<br />
Seine Dankesrede nutzte<br />
der Jubilar, um sich noch einmal<br />
gegen die Neugründung<br />
einer »Energieuniversität« in<br />
der Lausitz auszusprechen.<br />
Die Brandenburgische Technische<br />
Universität sei schon<br />
eine international anerkannte<br />
Marke, so Eberhard Walter.<br />
»22 Prozent ausländische Studierende<br />
an ihr sind dafür<br />
beredtes Zeugnis.« Namenswechsel<br />
und Neugründung<br />
würden die Uhr ohne Not<br />
zurückstellen.<br />
UV Sachsen<br />
Unterstützung für Firmen gefordert<br />
Traditionelles Treffen in Leipzig: Oberbürgermeister Burkhard Jung stand<br />
den Mitgliedern des UV Sachsen Rede und Antwort. Automobilbau und<br />
Logistik entwickeln sich positiv. Energie- und Bürokratiekosten zu hoch.<br />
Seit Jahren ein Höhepunkt<br />
des UV Sachsen: Das Unternehmergespräch<br />
<strong>mit</strong> dem<br />
Oberbürgermeister der Stadt<br />
Leipzig. Mit Burkhard Jung<br />
diskutierten UV-Präsident<br />
Hartmut Bunsen, IHK-Präsident<br />
Wolfgang Topf, Handwerkskammer-Präsident<br />
Ralf<br />
Scheler und der Vorsitzende<br />
des Vereins Gemeinsam für<br />
Leipzig, Dr. Mathias Reuschel.<br />
Jung zog vor 60 Unternehmern<br />
ein positives Fazit der<br />
wirtschaftlichen Entwicklung<br />
der Stadt und führte dafür<br />
den Ausbau der Automobilund<br />
Logistikbereiche als Beispiele<br />
an. Die Ansiedlungen<br />
hätten verstärkt Auswirkungen<br />
auf kleine und <strong>mit</strong>tlere<br />
Unternehmen, die durch Folgeaufträge<br />
direkt davon profitierten.<br />
Hartmut Bunsen<br />
bemängelte jedoch die fehlende<br />
Unterstützung der Unternehmen<br />
durch die Stadt und<br />
verwies auf die starken Belastungen<br />
durch Energie- und<br />
Bürokratiekosten, die sich bei<br />
der Kleinteiligkeit des Mittelstands<br />
bemerkbar machen.<br />
Dies seien negative Faktoren<br />
für ein weiteres Wachstum<br />
der sächsischen Wirtschaft.<br />
Als wesentlichen Kritikpunkt<br />
hob IHK-Präsident<br />
Wolfgang Topf die hohe<br />
Schulabbrecherquote hervor,<br />
die beim bestehenden Fachkräftemangel<br />
dringend auf<br />
die Agenda gesetzt werden<br />
muss. Bunsen forderte abschließend<br />
eine engere Zusammenarbeit<br />
Leipzigs <strong>mit</strong> dem<br />
Umland, um die wirtschaftliche<br />
Entwicklung weiter voranzutreiben.<br />
&<br />
62 WIRTSCHAFT & MARKT 03/12
W&M-PRIVAT<br />
BÜCHERBORD<br />
ZUKUNFTSFRAGEN<br />
Von den Mayas<br />
lernen<br />
Nein, die Welt wird am<br />
21. Dezember 2012 nicht untergehen,<br />
wie das der dann<br />
zu Ende gehende Maya-Kalender<br />
suggeriert. Die Philosophie<br />
der altamerikanischen<br />
Hochkultur hat uns mehr<br />
Zukunftshoffnungen hinterlassen<br />
als wir glauben. Ein<br />
Schweizer Soziologe analysiert,<br />
was wir heute noch lernen<br />
können von der straff<br />
geführten, auf Aus- und<br />
Weiterbildung setzenden<br />
Gesellschaftsform der Mayas.<br />
Gerade jetzt, da der demografische<br />
Wandel die westlichen<br />
Gesellschaften vor neue<br />
Herausforderungen stellt.<br />
Albert Stähli,<br />
Maya-Management.<br />
Lernen von<br />
einer Elitekultur,<br />
Frankfurter Allgemeine<br />
Buch, 240 Seiten,<br />
19,90 EUR<br />
Erde und<br />
Mensch<br />
Was halten wir eigentlich<br />
von unserer Erde? Haben wir<br />
nur ihre Ökosysteme durcheinander<br />
gebracht und eine<br />
Schneise der Verwüstung<br />
geschlagen? Oder ist unser<br />
Verhältnis zur Erde nicht<br />
eher als Erfolgsmodell zu beizeichnen,<br />
das – wenn wir <strong>mit</strong><br />
ihr nicht konkurrieren, sondern<br />
sinnvoll kooperieren –<br />
uns gerade jetzt eine großartige<br />
ökonomische und kulturelle<br />
Zukunft eröffnet? Australiens<br />
oberster Klimaschützer<br />
Tim Flannery versucht<br />
Antworten zu geben.<br />
Tim Flannery,<br />
Auf Gedeih und<br />
Verderb, S. Fischer<br />
Verlag, 368 Seiten,<br />
22,95 EUR<br />
HÖRBUCHFORUM auf der Leipziger Buchmesse 2011<br />
Leipziger Buchmesse<br />
Filme per Buchhandel<br />
Deutschlands Buchhändler erwarten für 2012<br />
einen Umsatz von mehr als sechs Milliarden Euro.<br />
Jetzt kommt der Verkauf von DVD-Filmen hinzu.<br />
Buchstadt Leipzig, das<br />
war einmal. In der deutschen<br />
Verlagslandschaft<br />
dominieren heute<br />
Adressen aus Berlin, Hamburg,<br />
Köln München und<br />
Stuttgart. Zumindest was die<br />
Großen der Branche betrifft.<br />
Aber Buchmesse Leipzig,<br />
das ist längst wieder ein Ereignis<br />
von nationalem und internationalem<br />
Rang. Mittlerweile<br />
auch geprägt vom Vormarsch<br />
der digitalen Medien.<br />
Neun DVD-Programmanbieter<br />
präsentieren auf der<br />
diesjährigen Leipziger Buchmesse<br />
vom 15. bis zum 18.<br />
März ihr Sortiment und die<br />
Blu-ray-Technik an einem gemeinsamen<br />
Stand, darunter<br />
Ascot Elite, Universal und<br />
Walt Disney. »Die Deutschen<br />
haben sich längst daran gewöhnt,<br />
Filme auch im Buchhandel<br />
zu kaufen«, weiß Oliver<br />
Zille, Direktor der Leipziger<br />
Buchmesse. »Wer den<br />
Einstieg ins Genre erwägt,<br />
kann geeignete Produkte am<br />
Stand der DVD- und Blu-ray-<br />
Anbieter finden.«<br />
Die klassischen Großverlage<br />
treten unterdessen immer<br />
ehrgeiziger im Digitalge-<br />
schäft auf. Die Kölner Verlagsgruppe<br />
Bastei Lübbe etablierte<br />
unter dem Namen »Digital<br />
First« einen speziellen Progammbereich<br />
für Erstveröffentlichung<br />
als App, E-Book,<br />
Audio-Download oder Read-&-<br />
Listen-Version. Der Bertelsmann<br />
Buchclub ist über die<br />
Onlineseiten von Club und<br />
Zeilenreich ins Geschäft <strong>mit</strong><br />
E-Books eingestiegen und offeriert<br />
bereits 50.000 elektronische<br />
Bücher. Zu diesem Sortiment<br />
gehören auch aktuelle<br />
Wirtschaftsbesteller wie die<br />
Biographie »Steve Jobs« von<br />
Walther Isaacson.<br />
Auch dem alt vertrauten<br />
gedruckten Buch widerfährt<br />
digitale Pflege. 33.333 Buchliebhaber<br />
können sich online<br />
registrieren lassen und aus<br />
einer Liste von 25 Büchern<br />
einen Titel auswählen, den sie<br />
insgesamt 30 Mal verschenken<br />
möchten – eine Aktion<br />
der Stiftung Lesen und des<br />
Börsenverein des Deutschen<br />
Buchhandels zum Welttag<br />
des Buches am 23. April: eine<br />
Million minus eins Bücher –<br />
von den Verlagen kostenlos<br />
zur Verfügung gestellt.<br />
Peter Jacobs<br />
URLAUBSTIPPS<br />
Landluft<br />
macht froh<br />
Trecker fahren, Pony reiten,<br />
Kühe füttern. Oder auch<br />
Inline-Skating, Blockbohlen-<br />
Sauna, Weinverkostung. Ein<br />
Aktivurlaub in deutschen<br />
Landen, das meinen Kenner,<br />
kann erholsamer und abenteuerlicher<br />
ausfallen als<br />
manche Reise in den verregneten<br />
Süden. Am Anfang<br />
stand eine wirtschaftliche<br />
Überlegung. Wie, so fragte<br />
man sich bei der Deutschen<br />
Landwirtschafts-Gesellschaft,<br />
ließe sich deutsche Wanderleidenschaft<br />
und Naturliebe<br />
für einen bäuerlichen Nebenerwerb,<br />
für die Entwicklung<br />
eines neuen ländlichen<br />
Betriebszweiges nutzen?<br />
1963 schuf sich die DLG einen<br />
Sonderausschuss Urlaub und<br />
Ferien auf dem Lande. 1972<br />
verteilte man zum ersten Mal<br />
das Gütezeichen Urlaub auf<br />
dem Bauernhof. Mit der deutschen<br />
Einheit kam für den<br />
Osten, wo eben erst wieder<br />
Familienbetriebe entstanden,<br />
ein spezielles Prüfzeichen für<br />
Landurlaub hinzu. Heute, im<br />
Jahr 2012 kann die DLG 1.400<br />
Ferienziele in deutschen Landen<br />
ausweisen, <strong>mit</strong> mehr als<br />
10.000 Urlaubsangeboten. Zur<br />
Orientierung gibt es den Reiseführer<br />
»Urlaub auf dem<br />
Bauernhof«. Einen 749-Seiten-<br />
Folianten <strong>mit</strong> präzisen Hofbeschreibungen<br />
von der Insel<br />
Rügen bis zum Bayrischen<br />
Wald. Mit Spezialangeboten<br />
von Reiterhöfen über Kneipp-<br />
Gesundheitsangebote bis zum<br />
Übernachten im Heu. Gruppenangebote<br />
und rollstuhlgerechte<br />
Unterkünfte inbegriffen.<br />
Das Buch erschien<br />
<strong>mit</strong>tlerweile in 47. Auflage.<br />
Urlaub auf dem<br />
Bauernhof,<br />
DLG-Verlag,<br />
749 Seiten, zahlr.<br />
Abb., eingelegte<br />
Landkarte,<br />
12,90 EUR<br />
64 WIRTSCHAFT & MARKT 03/12
W&M-PRIVAT<br />
LEUTE & LEUTE<br />
LESERPOST<br />
UV und Rösler<br />
Heft 01/02-2012<br />
Wirtschaftsminister Rösler in<br />
seinem zerknitterten Anzug<br />
auf dem Gruppenfoto <strong>mit</strong> den<br />
Unternehmern macht einen<br />
etwas hilflosen Eindruck. Seine<br />
Antworten auf die Fragen<br />
wirken genauso zerknirscht.<br />
Überproportional viele ZIM-<br />
Mittel für den Osten? Keine<br />
Zukunft für die Investitionszulage?<br />
Das ist doch die alte<br />
Leier. Vermutlich hatte er<br />
dabei weniger den weiteren<br />
Aufbau Ost, als vielmehr<br />
die Schuldenbremse im Kopf.<br />
Olaf Bräunig, per E-Mail<br />
Foto: dpa/Zentralbild, Karrikatur und Zeichnung: Rainer Schwalme<br />
Die Kanzlerin würde<br />
ihrem deutschen Volke<br />
das Leben gern erleichtern,<br />
hat dafür aber keine<br />
Zeit. Sie ist restlos da<strong>mit</strong><br />
ausgelastet, Bundespräsidenten<br />
zurückzutreten und Nachfolger<br />
zu casten. Um Christian<br />
Wulff zum Rücktritt zu bewegen,<br />
musste sogar die Staatsanwaltschaft<br />
<strong>mit</strong> der Brechstange<br />
nachhelfen. Immerhin<br />
hat sich Wulff bei seinem Abgang<br />
wenigstens noch um<br />
den deutschen Karneval verdient<br />
gemacht.<br />
Bundesweit war er in den<br />
Büttenreden <strong>mit</strong> Abstand Thema<br />
Nummer eins. Wann hat<br />
es das schon gegeben in diesem<br />
unserem Deutschland:<br />
Eine moralische Instanz, der<br />
Bundespräsident, gerät, wie<br />
er sagt, »in Stahlgewitter«. Er<br />
flunkert am laufenden Band,<br />
vielleicht lügt er sogar, und<br />
steckt bis Unterkante Oberlippe<br />
in einer Glaubwürdigkeitslücke.<br />
Auch gegen die Pressefreiheit,<br />
die ein hohes Gut ist,<br />
versündigt er sich. Die Kölner<br />
Jecken aber sind häppi über<br />
die so genannte Causa Wulff;<br />
denn diese beschert ihnen<br />
gratis jede Menge Gags und<br />
Brüller. Die Büttenredner verklären<br />
Wulff zum Schlossgespenst<br />
von Bellevue, zum<br />
Schaf im Wulffspelz oder,<br />
weil er so fest am Sessel klebt,<br />
zum Pattex-Präsidenten.<br />
Der Nächste,<br />
bitte!<br />
Ernst Röhl fordert<br />
Ehrensold für<br />
Christian Wulff<br />
Größer und größer wurde<br />
die Zahl der Feinde, die seinen<br />
Rücktritt verlangten.<br />
Doch trotz Lug und Trug und<br />
Durchstecherei genoss er lange<br />
Wochen Muttis »vollstes«<br />
Vertrauen. Lange drückte die<br />
Kanzlerin beide Augen zu,<br />
bis sie schmerzlich erkannte,<br />
dass er die ganze Innung blamiert.<br />
Nach Köhler ist Wulff<br />
schon der zweite Präsident<br />
ihres Herzens, der den Weg<br />
des Duisburger Love-Parade-<br />
Bürgermeisters geht. Im Gegensatz<br />
zu Sauerland aber hat<br />
Wulff gemäß BPräsRuhebezG<br />
(Gesetz über die Ruhebezüge<br />
des Bundespräsidenten) lebenslang<br />
Anspruch auf einen<br />
jährlichen Ehrensold in Höhe<br />
seiner Bezüge von 199.000<br />
Euro plus Büro und Chauffeur.<br />
Diesen Ehrensold sollten<br />
ihm die Staatsanwälte, die<br />
ihn verfolgen, auf keinen Fall<br />
entziehen; denn dann wäre er<br />
ja wieder auf dubiose Privatkredite<br />
angewiesen.<br />
Ein Glück nur, dass an<br />
Wulff-Nachfolgern kein Mangel<br />
war. Zahllose Kandidaten<br />
standen bereit, unverzüglich<br />
ins verwaiste Schloss Bellevue<br />
nachzurücken. Philipp Rösler<br />
etwa, der einschlägige Erfahrungen<br />
als Oldenburger<br />
Grünkohlkönig <strong>mit</strong>bringt,<br />
wäre allemal ein erstklassiger<br />
Konsenskandidat gewesen.<br />
Ursula von der Leiharbeit hatte<br />
sich <strong>mit</strong> gequältem Lächeln<br />
in Stellung gebracht. Thomas<br />
Gottschalk war auch gerade<br />
frei. Markus Lanz stand als<br />
neuer Grüßaugust bereit, wetten<br />
dass! Auch Kerner, Carmen<br />
Nebel und Dirk Nowitzki.<br />
Schade nur, dass Günther<br />
Jauch nicht mehr für lumpige<br />
199.000 Peanuts arbeitet. Die<br />
Kanzlerin, das wahre deutsche<br />
Staatsoberhaupt, durchkreuzte<br />
alle eitlen Hoffnungen<br />
und erhörte nach theatralischem<br />
Zaudern den Ruf<br />
der Bildzeitung: »Gebt uns<br />
Gauck!«<br />
Wohin aber denn nun <strong>mit</strong><br />
Wulff? Das Beste wird sein,<br />
die EU in Brüssel stellt ihn –<br />
nach der von-und-zu-Guttenberg-Logik<br />
– als Korruptionsberater<br />
ein. Toi, toi, toi … &<br />
Wutbürger<br />
Heft 01/02-2012<br />
Sehr begrüße ich den Hinweis<br />
von IG-Sprecher Bunsen, dass<br />
die neuen Länder für den Abtransport<br />
ihres Überschusses<br />
an erneuerbarer Energie nach<br />
Bayern oder Hessen nicht <strong>mit</strong><br />
den Kosten belegt werden dürfen.<br />
Die Erdöllieferanten des<br />
Nahen Ostens werden ja auch<br />
nicht zur Kasse gebeten, wenn<br />
eine Pipeline nach Europa gebaut<br />
wird.<br />
Conrad Kutschmar, Hanau<br />
Flassbeck<br />
Heft 101/02-2012<br />
Rezession und Deflation als<br />
Gefahrenpotenzial für schwere<br />
politische Verwerfungen und<br />
Gefährdung der Demokratie –<br />
da denkt man jetzt vor allem<br />
an Griechenland. Aber vergessen<br />
wir nicht: In Deutschland<br />
kam es einstmals noch viel<br />
schlimmer: 1932/33!<br />
Dr. Hansjörg Boldt, Eisenach<br />
Steuersenkung<br />
Heft 01/02-2012<br />
Dass die Hotelbranche zufrieden<br />
ist <strong>mit</strong> der Halbierung der<br />
Mehrwertsteuer, hat man sich<br />
denken können. Den Kleinen,<br />
den »Mamma-und Papa-Betrieben«,<br />
sei es ja auch gegönnt.<br />
Aber wäre es nicht besser<br />
gewesen, die Branchenriesen<br />
davon auszunehmen?<br />
Ina Reimann, Cottbus<br />
WIRTSCHAFT & MARKT 03/12 65
KOLUMNE<br />
Mehr politische Zivilcourage<br />
Als die Mauer im November 1989 im<br />
wahrsten Sinn des Wortes ȟber<br />
Nacht« fiel, traf das Faktum offener<br />
Grenzen die Bürger und die Regierung<br />
der DDR völlig unvorbereitet. Mehr<br />
als 35 Jahre zuvor, am 17. Juni 1953, hatten<br />
in der DDR Arbeiter und Angestellte<br />
zuletzt den Versuch unternommen, Einfluss<br />
auf Politik und Wirtschaft ihres<br />
Staates zu gewinnen. Ungarn 1956; Prag<br />
1968; Danzig 1981: alle späteren Versuche<br />
im Ostblock scheiterten ebenfalls.<br />
In den Staaten Osteuropas, inklusive<br />
Russland, müssen nun die Menschen für<br />
den ideologischen Unsinn der kommunistischen<br />
Politik bis in diese Tage büßen.<br />
Dabei waren die Menschen in Leipzig,<br />
Budapest, Prag oder Danzig gewiss nicht<br />
weniger fähig als ihre Nachbarn in München,<br />
Kopenhagen, Amsterdam oder<br />
Wien. Nun erleben wir aber, dass auch<br />
die Länder des ehemals sogenannten<br />
»Westens« von schweren Verwerfungen<br />
betroffen sind. Auch deren Ursachen liegen<br />
Jahrzehnte zurück und haben ihre<br />
entscheidenden Wurzeln in der Politik.<br />
Der bedeutende deutsche Unternehmer<br />
und Politiker Walter Rathenau formulierte<br />
vor gut 100 Jahren: »Die Wirtschaft<br />
ist unser Schicksal«. Ich ergänze diese<br />
Einsicht gerne so: »...und die Politik ist<br />
das Schicksal der Wirtschaft!«<br />
Es ist nämlich immer die Politik, die<br />
den Boden für eine erfolgreiche Wirtschaft<br />
bereiten muss und die auch die<br />
Richtung bestimmt, in der sich die Wirtschaft<br />
entwickeln wird. Wie bedeutsam<br />
Politik für Wirtschaft und Gesellschaft<br />
ist, das sehen wir bis heute deutlich am<br />
unterschiedlichen Schicksal der beiden<br />
Teile Deutschlands, Ost und West. Und<br />
auch, wie langfristig diese Wirkung der<br />
Politik sein kann.<br />
Auch die Schuldenprobleme in der<br />
Eurozone sind weniger die Folge gieriger<br />
Banker als oft kenntnisloser, oberflächlicher<br />
oder auch opportunistischer Politiker.<br />
Sicherlich, die Finanzkrise 2006/<br />
2007, die in den USA ihren Anfang nahm<br />
und von einer profitsüchtigen Finanzwirtschaft<br />
vorangetrieben wurde, hat die<br />
Probleme der Staatsverschuldung verschärft.<br />
Aber niemand sollte sich einbilden,<br />
dass es zukünftig genügen wird,<br />
den Banken genauer auf ihre kreditwilligen<br />
Finger zu schauen. Denn, wie inzwischen<br />
auch dem naivsten Bankenfeind<br />
klar geworden sein muss: Es sind die<br />
Kräfte der Politik, die sich allzu oft vor<br />
ZUR SACHE<br />
Betrachtung<br />
zur wirtschaftlichen Lage<br />
Von Dr. Klaus von Dohnanyi<br />
den Einsichten in die weltökonomischen<br />
Notwendigkeiten drücken. Es geht eben<br />
nicht nur um Regulierung des Bankenwesens:<br />
Es geht auch um eine neue »Regulierung«<br />
und bessere Organisation der<br />
Politik! Der Euro-Fiskalpakt ist ein gutes<br />
Beispiel in dieser Richtung.<br />
Griechenland hat in den letzten Monaten<br />
gezeigt, wie wichtig dort eine bessere<br />
»Regulierung« der Politik wäre.<br />
Denn, anstatt sich <strong>mit</strong> der realen Lage<br />
und ihren Ursachen zu beschäftigen,<br />
wurden von griechischen Politikern <strong>mit</strong>ten<br />
in der lebensbedrohenden Krise die<br />
Probleme des eigenen Landes einfach auf<br />
Deutschland geschoben: Frau Merkel<br />
schmückte die Tagespresse in Nazi-Uniform<br />
und Gewerkschaften wie ihre populistischen<br />
Unterstützer lehnten zugleich<br />
jeden rationalen Dialog <strong>mit</strong> denjenigen<br />
ab, die doch dem Land sachbezogen zu<br />
Hilfe eilen wollten.<br />
Dabei mag es sehr wohl Meinungsverschiedenheiten<br />
über manche Sanierungsvorschläge<br />
aus Brüssel geben. Sparen<br />
allein wird weder Griechenland noch<br />
irgendein anderes Land der überschulde-<br />
ten Eurozone wieder auf die Beine stellen.<br />
Insofern konnte es Einwände gegen<br />
Lohn- und Rentenkürzungen geben. Aber<br />
dann hätten von jedem verantwortungsvollen<br />
Gegner der Brüsseler Sparpolitik<br />
andere Vorschläge gemacht werden müssen.<br />
Zum Beispiel: längere Arbeitszeiten<br />
bei gleichem Monatseinkommen; Streichung<br />
von Urlaubs- und Feiertagen ohne<br />
Lohnausgleich; Lohnstopp (wie jetzt vereinbart)<br />
für eine längere Zeit; größere<br />
Ausbildungsbereitschaft in den Betrieben<br />
und Verwaltungen ohne Mehrkosten<br />
für den Staat; und so fort.<br />
Was nicht nur in der griechischen Politik,<br />
sondern auch in anderen Staaten<br />
der Eurozone seit Jahren vermisst wird,<br />
ist ein kenntnisreicher und mutiger Umgang<br />
<strong>mit</strong> den wirtschafts- und sozialpolitischen<br />
Konsequenzen des globalen<br />
Wettbewerbs. Die Gier der Banker wurde<br />
zu einer bequemen Ausrede für die faktenscheuen<br />
und von sozialen Tabus umstellten<br />
Politiker. Niemand sollte diese allerdings<br />
schelten, nur weil sie auch auf<br />
Umfragen und Wahlaussichten blicken:<br />
Schließlich kann man ohne Stimmen sowenig<br />
Politik machen, wie ein Unternehmer<br />
ohne das »Kapital« von Märkten und<br />
Finanzierungen erfolgreich sein kann.<br />
Aber gerade deswegen ist eine frühe und<br />
mutige Aufklärung der Bürger über die<br />
Folgen grenzfreier weltwirtschaftlicher<br />
Konkurrenz unerlässlich.<br />
Es ist mir daher schwer verständlich,<br />
wie die deutsche Sozialdemokratie heute<br />
den illusionären französischen Präsidentschaftskandidaten<br />
Hollande unterstützen<br />
kann. War es doch Frau Merkel<br />
gerade erst mühsam gelungen, Präsident<br />
Sarkozy von den positiven Folgen der<br />
deutschen (und sozialdemokratischen!)<br />
»Agenda 2010« zu überzeugen. Der SPD-<br />
Kanzler Schröder hatte sie auf den Weg<br />
gebracht; das zunächst unpopuläre Maßnahmenpaket<br />
wurde von der Opposition<br />
im Bundesrat <strong>mit</strong>getragen, kostete aber<br />
Schröder die Kanzlerschaft. Ihn lud nun<br />
Sarkozy in das Elysée ein, um zu lernen.<br />
Und da wollen die deutschen Sozialdemokraten<br />
den französischen Gegner dieser<br />
erfolgreichen deutschen Politik,<br />
Hollande, unterstützen? Purer, parteipolitischer<br />
Opportunismus.<br />
Wir sollten aufhören, über zu wenig<br />
politische Zivilcourage in der deutschen<br />
Historie zu lamentieren, und Zivilcourage<br />
praktizieren! Das würde belegen: Wir<br />
haben aus der Geschichte gelernt. &<br />
66 WIRTSCHAFT & MARKT 03/12
Erste deutsche Dampflokomotive »Saxonia«<br />
Konstrukteur: Prof. Johann Andreas Schubert<br />
Deutschland, Wernesgrün (Vogtland),1838<br />
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hat man es manchmal<br />
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