WIRTSCHAFT+MARKT Standortplus Mitte (Vorschau)
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A 40799 ■ ISSN 0863-5323 ■ 22. Jahrgang ■ September 2011 ■ Preis: EURO 3,50<br />
Wirtschaft&Markt<br />
Wirtschaft&Markt<br />
DAS OSTDEUTSCHE WIRTSCHAFTSMAGAZIN<br />
KAUFLAUNE<br />
Konsum in Weimar<br />
AUTORAUSCH<br />
Ausstellung in Frankfurt<br />
WAHLSTIMMUNG<br />
Visite in Schwerin und Berlin<br />
Ministerpräsident Reiner Haseloff:<br />
<strong>Standortplus</strong> <strong>Mitte</strong>
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Eine Region geht mit Dynamik sowie Zuversicht an den<br />
Start und wir sind dabei. Gemeinsam mit unseren kommunalen<br />
Partnern in der Gemeinde Schönefeld und<br />
dem Umland packen wir mit an, um der Region neue<br />
Zukunftsperspektiven zu eröffnen. Viel haben wir dabei<br />
schon erreicht und mindestens ebenso viel haben wir<br />
uns noch vorgenommen. Für die zuverlässige Energieversorgung<br />
des Flughafens Berlin Brandenburg Willy<br />
Brandt BER leisten wir mit unseren neuen, im Sommer<br />
2011 gestarteten Energiezentralen einen wichtigen<br />
Beitrag. Und auch für die erfolgreiche wirtschaftliche<br />
Entwicklung des Flughafenumlandes haben wir zusammen<br />
mit den Kommunen durch den gezielten Ausbau<br />
der Energienetze eine solide Basis gelegt.<br />
* 3,9 ct/Min. aus dem deutschen Festnetz,<br />
Mobilfunkpreise max. 42 ct/Min.
EDITORIAL<br />
Handwörterbuch Außenwirtschaft<br />
Wo sind die Mücken?<br />
GER|MA|NY<br />
TRADE|&|IN|VEST *<br />
<br />
HELFRIED LIEBSCH<br />
Chefredakteur<br />
*<br />
Germany Trade & Invest<br />
ist die Wirtschaftsförderungsgesellschaft<br />
der Bundesrepublik Deutschland.<br />
Liebe Leserin, lieber Leser,<br />
gewiss haben Sie bemerkt, dass es in diesem<br />
Jahr kaum mal nötig war, die Frontscheiben<br />
nach schneller Autobahnfahrt<br />
von Insektenresten zu reinigen. War der<br />
Sommer zu nass, liegts’s an den Umweltgiften,<br />
kommen die Mücken noch? Wie<br />
auch immer – sie fehlen.<br />
Kaum zu bemerken war dagegen, dass<br />
die hiesigen Bundespolitiker ins Sommerloch<br />
abgetaucht waren. Möglicherweise<br />
haben sie ja vermeint, durch ihre<br />
Abwesenheit zur Beruhigung der internationalen<br />
Lage beizutragen.<br />
In diesem Verdacht hat mich ein Mitglied<br />
der Bundesregierung bestärkt, das<br />
sich – hinter vorgehaltener Hand – fragte,<br />
ob sich Politik nicht überschätze. Wir<br />
sollten, so der Mann, in der Politik eine<br />
neue Bescheidenheit entwickeln und<br />
anerkennen, dass in einem marktwirtschaftlichen<br />
System nicht alles mit Regierungsvorgaben<br />
zu steuern ist. Deren<br />
Agieren hänge stark von Wählererwartungen<br />
ab. Man könne sich wohl Ziele<br />
setzen, aber auf dem Wege seien auch<br />
ganz andere Optionen möglich. Die<br />
Marktwirtschaft baue auf den Sachverstand<br />
von Hunderttausenden von Akteuren<br />
und nicht allein auf die Klugheit von<br />
622 Bundestagsabgeordneten.<br />
Eine bedenkenswerte oder bedenkliche<br />
Ansicht? Wohl beides. Gewiss überschätzt<br />
sich Politik ständig. Noch schlimmer,<br />
wenn sich das in Profilierungssucht,<br />
Voluntarismus äußert. Die Mehrheit<br />
der Deutschen hält unterdessen die<br />
Regierungspartei FDP in Steuerfragen<br />
für ähnlich inkompetent wie die Linke.<br />
Wenn auch niemand etwas dagegen hätte,<br />
weniger Steuern zu zahlen, für zwei<br />
von drei Bundesbürgern ist Schuldenabbau<br />
wichtiger als die von Schwarz-gelb<br />
angekündigten Steuersenkungen. Selbst<br />
CDU-Politiker stellen sich quer (S. 10). Besonders<br />
fatal wird es aber, wenn der Regulierungseifer<br />
im Lande einhergeht mit<br />
dem Deregulierungsmantra bei globalen<br />
Problemen. Jahrelang wurde die Entfesselung<br />
der Marktkräfte gefeiert, jeder<br />
regulatorische Eingriff befehdet und seine<br />
Befürworter für ewiggestrig erklärt.<br />
Die Politiker sind aus dem Sommerloch<br />
zurück. Schön. Schöner wäre es,<br />
wenn angesichts dessen, dass Rating-<br />
Agenturen ganze Volkswirtschaften ins<br />
Wanken bringen, von Rückkehr der Politik<br />
gesprochen werden könnte. Jenseits<br />
von Aktionismus und Schockstarre. Unser<br />
Kolumnist Heiner Flassbeck liefert<br />
dafür eine ironische Vision (S. 30). Die<br />
Richtung stimmt. Auf eine Mückenplage<br />
kann man gut verzichten – und wer will<br />
schon von den vielbeschworenen»volatilen<br />
Märkten« regiert werden?<br />
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INHALT<br />
WIRTSCHAFT & MARKT<br />
im September 2011<br />
REPORT PORTRÄT SPECIAL<br />
SEITE 46 SEITE 42<br />
SEITE 54<br />
BRANDENBURG:<br />
In Potsdam wächst ein neuer Landtag.<br />
THÜRINGEN:<br />
Schlemmerteam nutzt das Internet.<br />
MECKLENBURG-VORPOMMERN:<br />
Auf dem Weg zur Gesundheitsregion.<br />
Editorial<br />
Aktuell<br />
3<br />
6<br />
Wo sind die Mücken?<br />
Interview, Nachrichten, Pro und Contra, Impressum<br />
Wirtschaft und Politik<br />
Serie<br />
TITEL<br />
10<br />
14<br />
REINER HASELOFF, Ministerpräsident Sachsen-Anhalts, zu Steuersenkungsplänen,<br />
Standortvorteilen und zum Vorhaben, familienfreundlichstes Land zu werden<br />
MARKEN-MACHER-MÄRKTE Konsum-Chefin Sigrid Hebestreit: Nur wer sich ändert,<br />
bleibt sich treu<br />
Fotos: DPA/ZB, H. Lachmann, Tourismus GmbH Graal-Müritz<br />
Thema<br />
Report<br />
Special<br />
Sonderveröffentlichung<br />
W&M-Service<br />
Porträt<br />
W&M Privat<br />
Ständige Rubriken<br />
Kolumnen<br />
WAHL<br />
EXTRA<br />
18<br />
20<br />
22<br />
23<br />
46<br />
47<br />
26<br />
42<br />
32<br />
48<br />
54<br />
57<br />
56<br />
30<br />
58<br />
DIE HAUPTSTADT VOR DER WAHL: Der Krampf um Berlin<br />
LANDTAGSWAHL IN MECKLENBURG-VORPOMMER: Regierungschef gibt den doppelten<br />
Sellering<br />
LORENZ CAFFIER, Innenminister Mecklenburg-Vorpommerns und Landesvorsitzender<br />
der CDU, über schlagkräftige Verwaltungen und Freiräume für die Wirtschaft<br />
HELMUT HOLTER, Linke-Fraktionschef im Landtag Mecklenburg-Vorpommern,<br />
zu politischer Kultur und öffentlich bezahlten Jobs<br />
LANDTAGSNEUBAU IN POTSDAM: Unverrückbarer Fakt<br />
NACHGEFRAGT BEIM MINISTER: Zeitverzug und zähes Verhandeln<br />
IAA FRANKFURT 2011: Zukunft serienmäßig<br />
GESUNDHEITSWIRTSCHAFT: Jobmotor von morgen?<br />
REGIONALE WACHSTUMSKERNE BRANDENBURG<br />
Steuern, Recht, Geld<br />
THÜRINGER SPEZIALITÄTEN: Auf Schlemmerkurs<br />
Leute & Leute, English at Work<br />
UV-Aktuell: Nachrichten aus den Unternehmerverbänden<br />
HEINER FLASSBECK: Wie die Welt verrückt und wieder vernünftig wurde<br />
KLAUS VON DOHNANYI: Europa – trotz Eurokrise!<br />
Inhalt<br />
WIRTSCHAFT & MARKT 09/11 5
AKTUELL<br />
Fotos: Deutsche Bank, DPA/Zentralbild, T. George<br />
INTERVIEW<br />
DR. KURT<br />
HORNSCHILD,<br />
Ex-Leiter der Abteilung<br />
Innovation, Industrie,<br />
Dienstleistung im DIW<br />
Berlin, Vorsitzender<br />
der Jury von ZIMNEMO<br />
Neues Element<br />
W&M: Herr Dr. Hornschild, Sie analysieren<br />
laufend die Innovationspolitik<br />
für den <strong>Mitte</strong>lstand, warum?<br />
HORNSCHILD: Staatliche Förderung<br />
ist nur gerechtfertigt,<br />
wenn dem Aufwand ein entsprechender<br />
volkswirtschaftlicher<br />
Ertrag gegenübersteht.<br />
W&M: Wie fällt das Ergebnis für<br />
das zentrale Innovationsförderprogramm<br />
für den <strong>Mitte</strong>lstand aus?<br />
HORNSCHILD: Positiv! In dem<br />
Programm sind mit ZIM-SOLO,<br />
ZIM-KOOP und ZIM-NEMO die<br />
Hauptelemente der KMU-Innovationsförderung<br />
der letzten<br />
30 Jahre zusammengefasst. Das<br />
eigentlich neue Element ist ZIM-<br />
NEMO zur Förderung von innovativen<br />
Netzwerken.<br />
W&M: Was ist die Besonderheit?<br />
HORNSCHILD: Kleinere innovative<br />
Unternehmen können sich<br />
nur am Markt durchsetzen,<br />
wenn sie die Fähigkeit zur Kooperation<br />
haben und sich in<br />
Netzwerkstrukturen einbringen.<br />
In den bislang knapp 160 geförderten<br />
Netzwerken sind mehr<br />
als 1.500 Unternehmen und<br />
rund 250 wissenschaftliche Institutionen<br />
als Partner integriert.<br />
W&M: Warum ist das so wichtig?<br />
HORNSCHILD: Die Märkte verlangen<br />
zunehmend Problemlösungen,<br />
bei denen mehrere Technologien<br />
auf neuestem Stand<br />
beherrscht, zu Innovationen zusammengefügt<br />
und als komplexes<br />
Paket – bestehend aus Produkt<br />
und Dienstleistungen – angeboten<br />
werden.<br />
W&M: Was kostet das Programm?<br />
HORNSCHILD: Vergleichsweise<br />
wenig. Die Fördersumme ist mit<br />
im Durchschnitt weniger als<br />
150.000 Euro pro Netzwerk in<br />
der für die Weichenstellung des<br />
Netzwerks entscheidenden Phase<br />
eins sehr gering.<br />
Interview: Thomas Bencard<br />
Konjunkturumfrage<br />
92 Prozent Optimisten<br />
Der ostdeutsche Maschinen- und Anlagenbau<br />
befindet sich weiterhin auf der Überholspur<br />
Lernhilfe Wasser<br />
TRADITIONSMARKEN<br />
800 Schüler im sächsischen<br />
Frankenberg tranken vor den<br />
Sommerferien 30 Tage lang<br />
insgesamt 12.000 Liter Mineralwasser<br />
– während des Unterrichts<br />
und kostenlos. Die Auswertung<br />
des Pilotprojekts der<br />
Lichtenauer Mineralquellen<br />
GmbH ergab, dass sich Konzentration<br />
und Reaktionsvermögen<br />
vieler Schüler erhöhten. Der<br />
Marktführer in den neuen Bundesländern<br />
(u. a. Margon und<br />
Vita Cola) brachte den Sommer<br />
über täglich mehr als 1,5 Millionen<br />
Liter erzgebirgisches<br />
Tiefenwasser auf den Markt.<br />
Im vergangenen Jahr setzte er<br />
50 Millionen Euro um.<br />
BEVÖLKERUNGSSCHWUND<br />
Laut Ostdeutschem Bankenverband e. V. sinkt der Anteil der<br />
Erwerbsfähigen bis 2030 von 66 auf 56 Prozent (in Millionen)<br />
21,0<br />
18,0<br />
15,0<br />
12,0<br />
9,0<br />
6,0<br />
3,0<br />
0,0<br />
Eine Konjunkturumfrage<br />
unter den 350 Mitgliedern<br />
des VDMA-<br />
Landesverbandes Ost ergab,<br />
dass 92 Prozent der Unternehmen<br />
des Maschinen- und<br />
Anlagenbaus im dritten Quartal<br />
bessere oder mindestens<br />
gleichbleibende Geschäfte erwarten<br />
wie im Quartal zuvor.<br />
42 Prozent der Firmen wollen<br />
bis Jahresende neue Mitarbeiter<br />
einstellen. Schwierig<br />
gestaltet sich derzeit noch die<br />
Lage im Druck- und Druckverarbeitungsgewerbe.<br />
Häufig<br />
beklagt wird der Mangel an<br />
qualifiziertem Personal.<br />
Heilsame Natur<br />
Kamille und Schafgarbe sind<br />
die Hauptbestandteile des<br />
Pharma-Klassikers aus DDR-<br />
Zeiten namens Kamillan. Das<br />
rezeptfreie pflanzliche Arzneimittel<br />
wird seit mehr als<br />
40 Jahren in den Wernigeröder<br />
Extraktions- und Konfektionierungsanlagen<br />
hergestellt<br />
– von der Droge bis zum<br />
Fertigprodukt. 97 Mitarbeiter<br />
erwirtschaften jährlich mehr<br />
als zehn Millionen Euro Umsatz.<br />
Neben Kamillan werden<br />
in der Harz-Stadt mehr als<br />
150 weitere Arzneimittel hergestellt<br />
und mittlerweile in<br />
18 Länder exportiert.<br />
■ 0–15 ■ 15–65 ■ 65 u. älter<br />
2010 2015 2020 2025 2030<br />
MIT DER SCHRUMPFENDEN EINWOHNERZAHL geht in Ostdeutschland<br />
eine Veränderung der Altersstruktur einher. Der Anteil der über<br />
65-Jährigen steigt von einem Viertel auf ein Drittel.<br />
AUS DEN LÄNDERN<br />
Sachsen<br />
Das Geschäftsvolumen der Sächsischen<br />
Landesbank kletterte erstmals<br />
auf mehr als vier Milliarden<br />
Euro. Die Überschüsse stiegen im<br />
ersten Quartal um 17 Prozent auf<br />
17,5 Millionen Euro. Neue Regionalstellen<br />
entstanden in Chemnitz,<br />
Erfurt und Magdeburg. Die Bank will<br />
sich zum führenden <strong>Mitte</strong>lstandsfinanzierer<br />
der Region entwickeln.<br />
Wichtigste Branchen sind die<br />
Autoindustrie, der Maschinenbau<br />
und die Solarenergie.<br />
Wissenschaftler der isw Gesellschaft<br />
für wissenschaftliche Beratung<br />
und Dienstleistung mbH in<br />
Halle (Saale) haben in einer breit<br />
angelegten Studie alle 536 deutschen<br />
Wirtschaftswettbewerbe<br />
miteinander verglichen. Das Resultat:<br />
Der von der Leipziger Oskar-<br />
Patzelt-Stiftung vergebene Große<br />
Preis des <strong>Mitte</strong>lstandes gilt als<br />
Deutschlands wichtigster Wirtschaftspreis.<br />
Thüringen<br />
Die größeren Thüringer Industriebetriebe<br />
zählten am Ende des<br />
zweiten Quartals 2011 über<br />
132.000 Beschäftigte. Das waren<br />
gut 8.000 mehr als ein Jahr zuvor.<br />
Mit einem Plus von mehr als sechs<br />
Prozent lag der Freistaat deutlich<br />
über dem gesamtdeutschen Durchschnitt<br />
von 2,4 Prozent.<br />
Brandenburg<br />
Sechs Monate vor dem Auslaufen<br />
des Zukunftsinvestitionsgesetzes<br />
zum 31. Dezember 2011 waren in<br />
Brandenburg 1.999 mit <strong>Mitte</strong>ln aus<br />
dem Konjunkturpaket II geförderte<br />
Vorhaben realisiert. Als größtes<br />
bislang abgeschlossene Projekt gilt<br />
die Dreifeld-Sporthalle in Schwedt/<br />
Oder mit einem Investitionsvolumen<br />
von 2,7 Millionen Euro, gefolgt von<br />
der energetischen Sanierung der<br />
Astrid-Lindgren-Grundschule in<br />
Spremberg (Spree-Neiße) für rund<br />
2,3 Millionen Euro. In beiden Fällen<br />
kam der Hauptbetrag aus dem<br />
Konjunkturpaket. Die Kommunen<br />
sind ebenfalls beteiligt.<br />
Mehr als 300 Filme werden jährlich<br />
in der Medienregion Berlin/Brandenburg<br />
produziert. Um die Finanzierungsmöglichkeiten<br />
weiter zu<br />
verbessern, hat die Investitionsbank<br />
des Landes Brandenburg (ILB)<br />
mit Unterstützung des Potsdamer<br />
Wirtschaftsministeriums ein neues<br />
Darlehensprogramm aufgelegt. Es<br />
soll der Schließung von Finanzierungslücken<br />
bei Filmen dienen, die<br />
in der Region produziert werden.<br />
6 WIRTSCHAFT & MARKT 09/11
AKTUELL<br />
WIRTSCHAFTSBILD<br />
DES MONATS<br />
NACHGEFRAGT<br />
Gold fürs Depot?<br />
Der Goldpreis stieg seit<br />
Anfang 2011 um mehr als<br />
45 Prozent. Dr. Ulrich<br />
Stephan, Global Chief<br />
Investment Officer Privatund<br />
Geschäftskunden der<br />
Deutschen Bank, rät Anlegern<br />
dennoch von massiven<br />
Goldkäufen ab.<br />
NACHTS LEBT DER AIRPORT: Gut eine Viertelmillion Sendungen werden von den DHL-Mitarbeitern<br />
auf dem Flughafen Leipzig/Halle pro Werktag umgeschlagen. Ein bedeutender Wirtschaftsfaktor für<br />
den unter sinkenden Passagierzahlen leidenden mitteldeutschen Airport. Binnen 24 Stunden starten bis<br />
zu 60 Maschinen vom Luftdrehkreuz der Posttochter DHL mit mehr als 1.500 Tonnen Fracht. Es gibt kein<br />
Nachtflugverbot – ein enormer Vorteil gegenüber dem künftigen Großflughafen Berlin/Brandenburg.<br />
Die Großstädte Leipzig und Halle sind weit genug entfernt und werden von Fluglärm nicht belästigt.<br />
KONJUNKTUR-BAROMETER<br />
Förderprogramm NEMO auf der Kippe<br />
Von DR. HERBERT BERTEIT<br />
Aus dem Bundeswirtschaftsministerium ist zu<br />
vernehmen, dass die technologieoffene Netzwerkförderung<br />
(Netzwerkmanagement Ost –<br />
NEMO) im Zentralen Innovationsprogramm<br />
(ZIM) eingestellt werden soll. Das verwundert<br />
Kenner und Nutzer, weil NEMO eine Erfolgsgeschichte<br />
ist. Das Programm unterstützt die<br />
Organisation von innovativen Netzwerken mit<br />
mindestens sechs kleinen und mittelständischen<br />
Unternehmen sowie Forschungseinrichtungen,<br />
Dienstleistern und regionalen Akteuren.<br />
Es gleicht bei zu geringen Betriebsgrößen<br />
Nachteile aus, die für den Aufbau von Netzwerken<br />
zur Erschließung neuer und bei der<br />
Erweiterung von vorhandenen Märkten entstehen.<br />
Außerdem gestattet es den Austausch<br />
von Know-how zwischen den Partnern und<br />
erschließt somit Synergieeffekte.<br />
Seit 2002 wurde die Bildung solcher Netzwerke<br />
in Ostdeutschland gefördert, seit 2008<br />
in allen Regionen Deutschlands. Rund 25 Millionen<br />
Euro wurden dafür aufgeboten. Diese<br />
Summe haben die Partner durch den Einsatz<br />
eigener Investitionsmittel mehr als verfünffacht.<br />
Das Modell wird von Unternehmensverbänden,<br />
Landesregierungen und Kammern als<br />
eine sehr effiziente Fördermaßnahme gelobt<br />
und ist sogar international anerkannt.<br />
Analysen belegen, dass jedes geförderte<br />
NEMO ein Unikat darstellt und nicht mit<br />
einfachen Kooperationen vergleichbar ist.<br />
Ein solches mit hoher Effizienz eingeführtes<br />
und bewährtes Programm einzustellen, würde<br />
insbesondere in Ostdeutschland als Konjunkturbremse<br />
wirken und der weiteren Entwicklung<br />
der noch schwachen industriellen Basis notwendige<br />
Impulse entziehen. Es bleibt zu hoffen,<br />
dass das Bundeswirtschaftsministerium<br />
seine Überlegungen überdenkt und das NEMO-<br />
Förderprogramm nicht einstellt und bei den<br />
beteiligten KMU Vertrauen in die Wirtschaftspolitik<br />
zurückkehrt.<br />
»Gold wird von vielen Menschen<br />
als Hort der Sicherheit<br />
angesehen – als ultimative<br />
Krisenwährung sozusagen«,<br />
weiß der Frankfurter<br />
Deutschbanker. Das Spektrum<br />
der Goldkäufer in der<br />
gegenwärtigen Krisensituation<br />
ist weit aufgefächert.<br />
In China die Goldnachfrage<br />
schon 2010 um 32 Prozent<br />
auf über 700 Tonnen gestiegen.<br />
Ob Privatanlegern jetzt zu<br />
Goldkäufen anzuraten sei –<br />
dieser Frage begegnet der<br />
Finanzfachmann mit Skepsis:<br />
»Wenn die Krisenstimmung<br />
nachlässt, kann der<br />
Goldpreis wieder kräftig<br />
zurückgehen. Ich empfehle<br />
Gold nur als Beimischung<br />
im Depot.«<br />
Wenn schon Goldkauf,<br />
dann steht die Frage der<br />
Aufbewahrung an einem<br />
sicheren Ort. Als praktischer<br />
empfiehlt der Banker<br />
börsengehandelte Rohstoff-<br />
Wertpapiere, die sogenannten<br />
Exchange Traded<br />
Commodities, kurz ETC.<br />
»Diese Papiere sind mit<br />
physischem Gold hinterlegt<br />
und auf diese Weise besichert.<br />
Außerdem können<br />
ETC eine Währungsabsicherung<br />
umfassen. Damit<br />
ist der Anleger geschützt,<br />
falls sich der US-Dollar weiter<br />
abschwächen sollte.«<br />
WIRTSCHAFT & MARKT 09/11 7
AKTUELL<br />
KURZ NOTIERT<br />
ENERGIEPOLITIK<br />
Bonus der ILB<br />
Brandenburg plant eine<br />
Bonusförderung für besonders<br />
ressourcenschützende<br />
Produktionsverfahren.<br />
Die Potsdamer Landesregierung<br />
will damit Brandenburgs<br />
Profil als Land der grünen<br />
Technologien weiter schärfen.<br />
Deshalb werde der Brandenburg-Kredit<br />
um ein Programm<br />
Erneuerbare Energien der<br />
Landesinvestitionsbank (ILB)<br />
erweitert. Das neue Förderprogramm<br />
soll vor allem der zinsgünstigen<br />
Finanzierung von<br />
Windkraftanlagen dienen. Seit<br />
2006 hat die ILB 37,5 Millionen<br />
Euro eingestellt, um die Zinsvergünstigung<br />
zu finanzieren.<br />
Das bisherige Energieeffizienz-<br />
Förderprogramm richtete sich<br />
ausschließlich an kleine und<br />
mittlere Unternehmen. Jetzt<br />
können auch größere Unternehmen<br />
Unterstützung aus<br />
diesem Topf erhalten. Maximal<br />
eine Million Euro pro Projekt<br />
sind möglich. Das Potsdamer<br />
Wirtschaftsministerium sieht<br />
Brandenburg als Vorreiter auf<br />
dem Zukunftsmarkt der Clean<br />
Technologies<br />
NACHRICHTEN AUS DEN REGIONEN<br />
ROHSTOFFE<br />
Wismut verkauft Uran<br />
Die für die Sanierung des früheren<br />
Uranerzbergbaus der DDR zuständige<br />
Wismut GmbH will in diesem Jahr fünf<br />
Tonnen Uran verkaufen.<br />
Die Wismut GmbH hat seit 1991 bereits<br />
3.089 Tonnen Uran verkauft und damit<br />
67 Millionen Euro erlöst. Wie lange noch<br />
Uran anfällt, kann das bundeseigene Unternehmen<br />
nicht angeben. Das hängt davon<br />
ab, wie lange die Uranabtrennung als<br />
Bestandteil der Wasserbehandlung am<br />
Standort Königstein (Foto) erhalten werden<br />
muss. Für Umweltprojekte zur Sanierung<br />
der Hinterlassenschaften des Uranerzbergbaus<br />
wurden bisher 5,5 Milliarden Euro<br />
zur Verfügung gestellt.<br />
MANAGER : TÜFTLER : ERFINDER<br />
Ein McDonald’s-Chef, der sich mit<br />
Computergastronomie versucht<br />
BINNENSCHIFFFAHRT<br />
Tieferes Bett für die Elbe<br />
32 Industrie- und Handelskammern aus<br />
Tschechien, Polen und Deutschland<br />
fordern einen wirksamen Ausbau der Elbe<br />
für die Binnenschifffahrt.<br />
<strong>Mitte</strong>l- und Oberelbe zwischen Hamburg und<br />
Dresden müssten an mindestens 345 Tagen im<br />
Jahr eine stabile Fahrrinnentiefe von 1,60 Meter<br />
aufweisen, um den Binnenschiffern einen<br />
höheren Ladungsanteil<br />
zu ermöglichen.<br />
Insbesondere<br />
beim niedersächsischen<br />
Hitzacker<br />
und beim sächsischen<br />
Coswig müsste<br />
die Fließgeschwindigkeit<br />
durch verlängerte<br />
Steinwälle,<br />
sogenannte Buhnen,<br />
erhöht werden, um<br />
wandernde Sandbänke<br />
zu vermeiden.<br />
(Foto: Ein Massengutfrachter<br />
passiert<br />
Magdeburg)<br />
Ein Musikhändler, der seine<br />
Kunden aus der Scheune beliefert<br />
Fotos: DPA/Zentralbild (4), privat (2)<br />
(saubere Technologien). Bei<br />
Windenergie ist das Land die<br />
Nummer zwei in Deutschland.<br />
Fast jedes zweite deutsche<br />
Solarmodul stammt schon<br />
aus der Region um Berlin. In<br />
keinem anderen Bundesland<br />
wird soviel Biosprit hergestellt<br />
wie in Brandenburg. Zu den<br />
Bemühungen um ressourcenschützende<br />
Produktionsverfahren<br />
zählen auch die Leichtbau-Forschungen<br />
zum an der<br />
TU Cottbus und zum Kunststoff-Leichtbau<br />
in den Fraunhofer-Instituten<br />
des Landes.<br />
Matthias Krauß<br />
GERHARD SCHÖPS, (53) DENIS KORN, (33)<br />
einstiger Markenchef von<br />
McDonald’s für Europa, will<br />
Deutschland mit einer neuen,<br />
ebenso flotten wie eleganten<br />
Restaurantkette beglücken.<br />
Nach Frankfurt am Main hat er<br />
sich Berlin als zweiten Standort<br />
für seine computergestylte<br />
Gastronomie auserkoren. Schnellaufsteiger Schöps,<br />
der schon Sprintkarrieren bei Unilever, Langnese, BMW<br />
und der Werbeagentur Euro RSCG hingelegt hat, fand<br />
heraus, dass ein Durchschnittgast seiner Zielgruppe<br />
nur 30 Minuten Zeit hat für sein Mittagessen. Seine<br />
zweite Schöpfung auf deutschem Boden ist derzeit der<br />
letzte Schrei für eilige Jungbeamte und durchreisende<br />
Geschäftsleute, die es gern preisgünstig haben, denen<br />
aber McDonald’s zu popelig ist. Bei Holyfields Unter<br />
den Linden warten statt Kellnern 15 Touchsreens am<br />
Eingang darauf, der Gast tippt die Bestellung selber<br />
ein und erfährt sogleich, wann und an welchem Tresen<br />
er das Essen abholen kann. Schöps verkauft seine<br />
Tellerkreationen auch gern mit einem Heiligenschein –<br />
von Holypotatoes bis Holywater. Mitunter aber landet<br />
er doch wieder in den Niederungen von McDonald’s:<br />
Es gibt bei ihm auch Holyburger.<br />
Gründer des ersten DJ-Ladens<br />
in der mittelsächsischen Stadt<br />
Oschatz, hat es mit Fachberatung<br />
und Online-Handel<br />
zum größten Musikhändler<br />
in Ostdeutschland gebracht.<br />
In der umgebauten Scheune<br />
eines alten Vierseit-Bauernhofes<br />
am Rande der Stadt hält er Schlagzeuge und<br />
Saxophone, Keybords und DJ-Ausrüstungen, Licht und<br />
Bühnentechnik bereit. Für den Filialhandel ebenso<br />
wie für E-Commerce. Mindestens 8.000 Produkte sind<br />
in seinem Logistikzentrum immer vorrätig und binnen<br />
eines Tages über den Versandhandel zu haben.<br />
Weitere 18.000 werden im Sortiment geführt. Schon<br />
als DJ verkaufte Korn Mischpulte und Plattenteller<br />
an seine Kollegen. Binnen zwei Jahren baute er ein<br />
Unternehmen auf, das heute 60 Mitarbeiter und<br />
16 Auszubildende zählt, die meisten im kaufmännischen<br />
Bereich samt IT-Abteilung und Callcenter unter<br />
dem Scheunendach, andere in den Läden in Oschatz,<br />
Dresden und Leipzig. Als Mittzwanziger wollte der<br />
Musikfreund noch Gitarre lernen, ließ es aber mangels<br />
Talent bald sein: »Wenn ich etwas anfasse, dann<br />
muss es mir perfekt gelingen.«<br />
8 WIRTSCHAFT & MARKT 09/11
AKTUELL<br />
TERMINE<br />
September<br />
02.09, Berlin<br />
Internationale Funkausstellung<br />
– World of<br />
Consumer Electronics<br />
02.09, Rostock<br />
RoBau<br />
Baufachausstellung<br />
des Landes M-V<br />
07.09, Berlin<br />
b2d Berlin<br />
Regionale <strong>Mitte</strong>lstands-<br />
Messe<br />
IMPRESSUM<br />
Wirtschaft & Markt<br />
Das ostdeutsche Wirtschaftsmagazin<br />
Magazin der Interessengemeinschaft der<br />
Unternehmerverbände Ostdeutschlands<br />
und Berlin<br />
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ISSN 086 353 23 Erscheint monatlich.<br />
Die Zeitschrift Wirtschaft&Markt ist das<br />
Magazin der Interessengemeinschaft der<br />
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Jahresabonnement gilt zunächst für ein<br />
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Möglichkeit, das Abonnement jederzeit zu<br />
kündigen.Namentlich gekennzeichnete<br />
Beiträge müssen nicht mit der Meinung<br />
der Redaktion übereinstimmen. Für unverlangt<br />
eingesandte Manuskripte und Fotos<br />
übernehmen wir keine Haftung. Nachdruck<br />
nur mit Genehmigung des Verlages.<br />
Dieser Ausgabe liegt ein W&M-Extra<br />
»Exportoffensive Ost« und in einer<br />
Teilauflage ein W&M-Extra »Gesundheitswirtschaft<br />
Berlin-Brandenburg« bei.<br />
PRO<br />
& CONTRA<br />
Soll die Pkw-Maut für<br />
Autobahnen kommen?<br />
Wenn es nach der CSU ginge, dann würde es schon bald<br />
eine Pkw-Maut geben. Bundeskanzlerin Angela Merkel<br />
(CDU) erteilte dieser Forderung vorerst eine Absage.<br />
GERD LANDSBERG,<br />
Hauptgeschäftsführer<br />
des Deutschen Städte- und<br />
Gemeindebundes<br />
Die Pkw-Maut ist dann<br />
JA<br />
sinnvoll, wenn folgende<br />
Voraussetzungen erfüllt werden:<br />
Die Autofahrer dürfen<br />
nicht zusätzlich belastet werden.<br />
Im Gegenzug könnte die<br />
Kfz-Steuer abgeschafft werden.<br />
Auch dürfen die Einnahmen<br />
nicht in die allgemeinen Haushalte<br />
fließen, sondern müssten<br />
zur nachhaltigen Verbesserung<br />
des Straßennetzes genutzt<br />
werden. Alle Träger von Straßen<br />
sollten anteilig Investitionsmittel<br />
aus der Maut erhalten<br />
– eine große Chance,<br />
unser Straßennetz nachhaltig<br />
zu sanieren. Schon jetzt fehlen<br />
jährlich vier bis fünf Milliarden<br />
Euro für die notwendigsten<br />
Maßnahmen. Und auch die<br />
Lenkungsfunktion der Maut<br />
müsste genutzt werden. Wer im<br />
Ballungsgebiet zur Rushhour<br />
fahren will, sollte mehr bezahlen,<br />
als derjenige, der nachts<br />
fährt oder seine Strecke im<br />
ländlichen Raum zurücklegt. So<br />
könnte ein wichtiger Beitrag<br />
zum Abbau der Staus geleistet<br />
werden. Zusätzlich könnte die<br />
Höhe der Maut dazu dienen,<br />
schadstoffintensive Fahrzeuge<br />
stärker zu belasten oder aber<br />
Elektrofahrzeuge von dieser<br />
Gebühr zu befreien. Die Diskussion<br />
muss jetzt beginnen, und<br />
zwar ohne Denkverbote. Nur so<br />
werden wir unsere Mobilität<br />
nachhaltig stärken und das<br />
Klima schützen.<br />
JAN MÜCKE (FDP),<br />
Parlamentarischer Staatssekretär<br />
im Bundesverkehrsministerium<br />
NEIN<br />
Verkehrswege sind<br />
die Schlagadern<br />
unserer Volkswirtschaft und<br />
Voraussetzung für individuelle<br />
Mobilität als Teil der persönlichen<br />
Freiheit. Wir brauchen<br />
eine Infrastrukturfinanzierung,<br />
die von den Unwägbarkeiten<br />
des Bundeshaushalts unabhängig<br />
ist. Die Pkw-Maut ist<br />
nicht der richtige Weg. Die<br />
Autofahrer tragen bereits mit<br />
mehr als 53 Milliarden Euro<br />
jährlich durch Kfz-Mineralölsteuer<br />
und andere Abgaben<br />
zur Finanzierung des Staates<br />
bei. Dem standen in den letzten<br />
Jahren nur fünf Milliarden<br />
Euro Investitionen in die Bundesfernstraßen<br />
gegenüber. Es<br />
fehlt nicht an Geld, sondern<br />
an der Disziplin der Politik.<br />
Auch öffentlich-private Partnerschaften<br />
können ein Weg<br />
zur nachhaltigen Finanzierung<br />
von Verkehrsprojekten sein.<br />
Eine ADAC-Studie ergab, dass<br />
aus einer Pkw-Maut am Ende<br />
nur vier bis fünf Milliarden<br />
Euro übrig blieben. Auch eine<br />
allgemeine Autobahnnutzungsgebühr<br />
von zum Beispiel 100<br />
Euro jährlich bei Senkung der<br />
Kfz-Steuer wäre letztlich ein<br />
Nullsummenspiel. Und vergessen<br />
wir nicht, dass es durch<br />
die Maut zum Ausweichverkehr<br />
auf Bundes- und Landstraßen<br />
kommt, was zu höherer<br />
Verkehrsdichte mit mehr<br />
Verkehrstoten führt.<br />
INVESTITIONEN<br />
Infineon erweitert<br />
Der Halbleiterhersteller Infineon will<br />
in Dresden eine neue Technologie<br />
etablieren. In einer ersten Ausbaustufe<br />
bis 2014 werden rund 250<br />
Millionen Euro investiert. Dadurch<br />
entstehen 250 neue Arbeitsplätze.<br />
Audi nach Berlin<br />
34 Millionen Euro investiert der<br />
Autobauer Audi in Berlin für ein<br />
neues Gebrauchtwagenzentrum.<br />
Der Vollfunktionsbetrieb entsteht<br />
auf einer Fläche von über 22.000<br />
Quadratmetern direkt an der<br />
Stadtautobahn A 113 in unmittelbarer<br />
Nähe des neuen Großflughafens<br />
BBI.<br />
Rangierriese für Halle<br />
In Halle soll ab 2012 der größte<br />
Rangierbahnhof <strong>Mitte</strong>ldeutschlands<br />
gebaut werden. Der Bund und die<br />
Deutsche Bahn haben dafür eine<br />
Finanzierungsvereinbarung über<br />
120 Millionen Euro getroffen.<br />
Täglich sollen auf der sogenannten<br />
Zugbildungsanlage Halle-Nord bis zu<br />
2.400 Güterwagen zu neuen Zügen<br />
zusammengestellt werden können.<br />
Inder als Retter<br />
Das indische Unternehmen Hindusthan<br />
National Glass & Industries Ltd.<br />
kauft die Agenda Glas AG in Garde-<br />
legen. Das hochmoderne Glaswerk<br />
war 2008 von Managern aus der<br />
Glasindustrie gegründet worden und<br />
hatte rund 50 Millionen Euro staatliche<br />
Förderung und Kredite erhalten,<br />
meldete jedoch im Februar 2011 Insolvenz<br />
an. Der Einstieg des börsennotierten<br />
indischen Unternehmens<br />
rettet in der Altmark 150 Arbeitsplätze.<br />
Neuer Jachthafen<br />
Der ehemalige Stützpunkt Stahlbrode<br />
der DDR-Volksmarine am Strelasund<br />
wird zu einem Jachthafen umgebaut.<br />
Für den Ausbau des südlichen Hafenbeckens,<br />
die Verlängerung der Molen,<br />
den Bau von Funktionsgebäuden und<br />
Promenaden sind Investitionen in<br />
Höhe von zwei Millionen Euro vorgesehen.<br />
1,5 Millionen davon kommen<br />
aus der Gemeinschaftsaufgabe Verbesserung<br />
der regionalen Wirtschaftsstruktur.<br />
Der vorpommersche Wasserrastplatz<br />
weist eine Wassertiefe<br />
von 3,5 Metern auf und ist auch für<br />
die große Bootsklasse geeignet.<br />
WIRTSCHAFT & MARKT 09/11 9
GESPRÄCH<br />
Reiner Haseloff, Ministerpräsident Sachsen-Anhalts, zu Steuersenkungsplänen,<br />
Standortvorteilen und zum Vorhaben, familienfreundlichstes Land zu werden<br />
»<strong>Mitte</strong>ldeutschland wächst zusammen«<br />
Fotos: Torsten George<br />
W&M: Herr Ministerpräsident, in diesem<br />
Sommer registrierten Medien erstaunt eine<br />
neue Aufmüpfigkeit des Ostens. Bei der Energiewende<br />
wurde im Bundesrat das Gesetz<br />
zur Förderung der Gebäudesanierung nicht<br />
durchgewinkt, Sie halten Steuersenkungen<br />
zumindest für verfrüht. Ein Zuwachs an<br />
Selbstbewusstsein?<br />
REINER HASELOFF: Ach, selbstbewusst<br />
waren wir immer. Aber im mitteldeutschen<br />
Raum passiert wirklich etwas<br />
Bemerkenswertes. Politiker dreier Landesregierungen<br />
– Sachsen, Sachsen-Anhalt<br />
und Thüringen – ziehen an einem<br />
Strang. Das ist in der öffentlichen Wahrnehmung<br />
von Vorteil. In den alten Ländern<br />
wurde eine Reihe von CDU-geführten<br />
Regierungen abgewählt. In Nordrhein-Westfalen,<br />
Hamburg, Baden-<br />
Württemberg. Da nimmt es nicht wunder,<br />
wenn sich die Medien stärker auf<br />
<strong>Mitte</strong>ldeutschland konzentrieren.<br />
W&M: Wächst da zwischen Dresden, Magdeburg<br />
und Erfurt etwas zusammen, was zusammengehört?<br />
REINER HASELOFF: Zumindest sprechen<br />
die Verantwortungsträger eine Sprache.<br />
Das hat mit den Erfahrungen, Nöten und<br />
Herausforderungen der Länder mehr zu<br />
tun als mit der Parteizugehörigkeit. Ja,<br />
<strong>Mitte</strong>ldeutschland wächst zusammen.<br />
Auch dank der gemeinsamen Traditionen.<br />
Außerdem haben wir eben gelernt,<br />
dass man durch koordiniertes Zusammengehen<br />
sein Gewicht auf Bundesebene<br />
verstärkt.<br />
W&M: Oder kehren vielmehr neue Besen gut?<br />
REINER HASELOFF: Ausschlaggebend ist,<br />
dass nicht nur Christine Lieberknecht in<br />
Erfurt oder Stanislaw Tillich in Dresden,<br />
sondern auch Matthias Platzeck in Brandenburg<br />
oder Erwin Sellering in Schwerin<br />
grundsätzlich ähnliche Probleme haben.<br />
Richtig ist, dass wir auch als neue<br />
Politikergeneration angekommen sind –<br />
nach den Biedenkopfs und Vogels, den<br />
Böhmers, Stolpes oder Ringstorffs.<br />
W&M: Ihr Vorgänger, Wolfgang Böhmer, war<br />
bundesweit dafür bekannt, dass er gelegentlich<br />
wider den CDU-Stachel löckte. Treten Sie<br />
in seine Fußtapfen?<br />
REINER HASELOFF: Professor Böhmer<br />
hat das nicht um des Löckens Willen getan,<br />
sondern weil einem Ministerpräsidenten<br />
die Landesinteressen immer vor<br />
den Parteiinteressen gehen. Erst das<br />
Land, dann die Partei – so halte ich es<br />
auch. Das mediale Interesse hat wohl<br />
auch damit zu tun, dass aus dem Osten<br />
weniger Ostalgie zu hören ist, sondern<br />
mehr interessante Beiträge zu nationalen,<br />
ja, kontinentalen Debatten. Wir sind<br />
doch von der Schuldenkrise als Exportland<br />
genauso betroffen wie andere Bundesländer.<br />
Wir brauchen einen stabilen<br />
Euro und vernünftige Kurse.<br />
W&M: Sie haben schon die jüngsten Wahlergebnisse<br />
angesprochen, die Ihnen ja schier ein<br />
Alleinstellungsmerkmal geschenkt haben.<br />
Nur in Sachsen-Anhalt hat Ihre Partei gewonnen.<br />
Was haben Sie richtig gemacht, was die<br />
anderen falsch?<br />
REINER HASELOFF: Wir hier in Sachsen-<br />
Anhalt sind der Meinung, dass es keine<br />
unumstößlichen Blöcke in der Politik<br />
gibt, keine monolithischen Lager, die<br />
eine Volkspartei zwingen, nur in einer<br />
bestimmten Koalition zu regieren oder<br />
in die Opposition zu gehen. Wenn man<br />
gestalten will, dann braucht man Optionen.<br />
Wenn also Schwarz-gelb nicht geht,<br />
dann muss nicht Rot-rot die Folge sein. In<br />
Sachsen-Anhalt ist die Wahl zugunsten<br />
einer strukturellen Mehrheit der <strong>Mitte</strong><br />
ausgegangen und nicht einer Mehrheit<br />
jenseits der CDU.<br />
W&M: Die FDP pocht angesichts der günstigen<br />
konjunkturellen Entwicklungen auf<br />
Steuersenkungen und scheint sich in Berlin<br />
zumindest teilweise durchgesetzt zu haben.<br />
Warum sind Sie dagegen?<br />
REINER HASELOFF: Ich finde es unerträglich,<br />
dass wir jetzt, nachdem wir das<br />
Krisental durchschritten haben – mit<br />
Konjunkturprogrammen, mit neuen<br />
Schulden also, auch im Lande, um gegenzusteuern<br />
– schon wieder an der Schraube<br />
drehen wollen. Wir haben doch in den<br />
vergangenen Jahren faktisch die Steuern<br />
schon gesenkt, indem wir die eigentlich<br />
notwendigen Steuererhöhungen vermieden<br />
haben. Diese relative Steuerabsenkung<br />
ist gewissermaßen mit neuen<br />
Schulden erkauft worden, die wir jetzt<br />
erst einmal abtragen sollten, statt Steuergeschenke<br />
zu versprechen.<br />
W&M: Sparsamkeit galt in der Vergangenheit<br />
nicht gerade als sachsen-anhaltische<br />
Tugend. Das ändert sich mit Ihnen?<br />
REINER HASELOFF: Das hat sich schon<br />
geändert und das ist ein entscheidender<br />
Punkt des schwarz-roten Koalitionsvertrages.<br />
Wir wollen von 2012 an keine<br />
Schulden mehr machen und 2014 mit<br />
dem Abbau der 20 Milliarden Euro Schulden<br />
aus den vergangenen 20 Jahren beginnen.<br />
Gerade wir in Ostdeutschland<br />
brauchen diese Schuldentilgung. Selbst<br />
wenn wir die Steuern nicht senken,<br />
wächst wegen der demografischen Entwicklung<br />
die Pro-Kopf-Verschuldung.<br />
W&M: Bei der Energiewende hat es einen<br />
Konsens im Bundesrat gegeben – mit einer<br />
Ausnahme: Die Länderkammer hat dem Gesetz<br />
zur Förderung der Gebäudesanierung<br />
nicht zugestimmt. Was haben Sie gegen Wärmedämmung?<br />
REINER HASELOFF: Wir haben nichts gegen<br />
die Wärmedämmung. Im Gegenteil.<br />
Die Energiewende wird nicht zu schaffen<br />
sein, wenn wir nicht auf Gas und Kohle<br />
zurückgreifen. Damit aber steigt der<br />
CO 2 -Ausstoß. Er muss anderswo aufgefangen<br />
werden – mit Energieeffizienz<br />
und Wärmedämmung. Das größte Volumen<br />
haben wir im Wohnungsbestand.<br />
Da hat die Bundesregierung vorgeschlagen,<br />
über steuerliche Abschreibungsmöglichkeiten<br />
die Wärmedämmung<br />
zu realisieren. Die Mehrheit der Verfügungsmasse,<br />
die wir hier klimapolitisch<br />
zum Tragen bringen können, liegt aber<br />
außerhalb der steuerrelevanten Haushalte.<br />
Wir brauchen eine Lösung für die<br />
kleinen Leute – beispielsweise Rentner –,<br />
die gar keine Steuern zahlen. Zuschüsse<br />
oder andere Instrumente. Das fehlte uns.<br />
W&M: Was passiert nun, wird der Vermittlungsausschuss<br />
angerufen?<br />
REINER HASELOFF: Die Sache könnte<br />
auch ohne Vermittlungsausschuss noch<br />
ins Lot kommen. Die Bundesregierung<br />
überlegt wohl, ob da etwas über KfW-Kredite<br />
zu machen ist oder es andere Lösun-<br />
10 WIRTSCHAFT & MARKT 09/11
GESPRÄCH<br />
»Wir haben doch in den<br />
vergangenen Jahren faktisch die<br />
STEUERN SCHON GESENKT,<br />
indem wir die eigentlich<br />
notwendigen Steuererhöhungen<br />
vermieden haben.«<br />
gen gibt. Dann wäre unser Widerstand<br />
erfolgreich gewesen.<br />
W&M: Apropos Erfolg. Ihre Regierung hat<br />
sich vorgenommen, Sachsen-Anhalt zum familienfreundlichsten<br />
Land der Bundesrepublik<br />
zu machen. An welchen Kriterien machen Sie<br />
das fest und welche Schritte wollen Sie gehen?<br />
REINER HASELOFF: Rein quantitativ,<br />
wenn man das an Plätzen in den Kindertagesstätten<br />
festmacht, liegen wir schon<br />
an der Spitze. Aber wir müssen konstatieren,<br />
dass mit der Ein-Kind-Familie die demografische<br />
Reproduktion nicht zu<br />
schaffen ist. Wir brauchen die Mehrkinderfamilie.<br />
Dafür müssen wir zumindest<br />
Signale setzen und Anreize geben.<br />
W&M: Welche zum Beispiel?<br />
REINER HASELOFF: Ich könnte mir vorstellen,<br />
dem zweiten und dritten Kind einen<br />
unentgeltlichen Kita-Platz anzubieten.<br />
Oder das Land beteiligt sich an den<br />
Kinder-Kosten, die in den Familien über<br />
einen Sockelbeitrag hinaus anfallen. Das<br />
ist noch in der Diskussion, aber es besteht<br />
ganz dringender Handlungsbedarf.<br />
Kinder sind für das Land eine Chance, da<br />
dürfen sie für Familien kein Risiko sein.<br />
W&M: Sparen und zugleich mehr Geld ausgeben,<br />
wie geht das zusammen?<br />
REINER HASELOFF: Natürlich können<br />
wir kein Geld drucken, sondern müssen<br />
anderswo sparen. Es geht aber gar nicht<br />
immer um große Summen – wir wollen<br />
Signale setzen. Wir brauchen eine Kultur,<br />
in der Kinder erwünscht sind, in der<br />
sich Betriebe mit Familienfreundlichkeit<br />
einen Wettbewerbsvorteil schaffen. Bis<br />
hin zum Betriebskindergarten in großen<br />
Unternehmen. Wir haben mit Erfolg die<br />
Zahl der Pendler zurückgeführt, damit<br />
Partner wieder zusammenleben können.<br />
W&M: Nun ist es für Familien zunächst einmal<br />
wichtig, dass wenigstens einer der<br />
Partner einen Arbeitsplatz hat, von dem die<br />
Familie leben kann, ohne auf staatliche Aufstockung<br />
angewiesen zu sein. Ist da die Lage<br />
im Land besser als die Stimmung?<br />
REINER HASELOFF: Genau so ist es. Wir<br />
haben in vielen Wirtschaftsbereichen<br />
Mindestlöhne, die für allgemeinverbindlich<br />
erklärt sind. Auch für Zeitarbeit gibt<br />
es unterdessen einen Mindestlohn.<br />
W&M: Lässt sich von dem Lohn eine Familie<br />
ernähren, wenn nur ein Partner Arbeit hat?<br />
REINER HASELOFF: Zweifelsfrei sind<br />
Stundenlöhne von 12, 14 Euro notwendig,<br />
damit am Ende mehr als Hartz IV<br />
herauskommt, aber an der Stelle ist viel<br />
in Bewegung. Da spielt auch die demografische<br />
Entwicklung eine Rolle, wer<br />
Fachkräfte haben will, muss sie ordentlich<br />
bezahlen. Ich will aber auch daran<br />
erinnern, dass es in der DDR nur dann<br />
ein auskömmliches Familieneinkommen<br />
gab, wenn beide Eltern berufstätig waren.<br />
W&M: Sie wollen, dass mehr Frauen wieder<br />
in Lohn und Brot kommen?<br />
REINER HASELOFF: Ja, an ihnen hängt –<br />
in mehrfacher Hinsicht – die Zukunft<br />
des Landes. Die ganze Dramatik spiegelt<br />
sich in nüchternen Statistiken. Jedes Jahr<br />
gehen hier in Sachsen-Anhalt 45.000<br />
Menschen in Rente. Es stoßen aber nur<br />
16.000 ins Arbeitsleben. Manche gehen<br />
noch zum Studium und kommen nicht<br />
zurück. Daran lässt sich ermessen, wie<br />
weit die Schere aufgeht.<br />
W&M: Was kann die Politik überhaupt tun?<br />
REINER HASELOFF: Sie muss zumindest<br />
zeigen, was geht. Die Vereinbarkeit von<br />
Familie und Beruf hat heute einen völlig<br />
anderen Stellenwert. Heimarbeitsplätze,<br />
Telearbeit, Arbeitszeitkonten werden immer<br />
wichtiger. Flexible Kita-Öffnungszeiten.<br />
Und wir müssen die Generationen<br />
wieder zusammenbringen.<br />
W&M: Bitte?<br />
REINER HASELOFF: Mutter, Vater, Kind –<br />
darauf beschränkt sich Familie nicht. Es<br />
gibt Geschwister, Großeltern, andere Verwandte.<br />
In der ganzen Bundesrepublik<br />
ist das Thema Familie über Jahre vernachlässigt<br />
worden! Das wirkliche Leben<br />
spielt sich doch nicht vor allem auf dem<br />
Börsenparkett oder im Regierungskabinett<br />
ab, sondern in den Städten und Dörfern.<br />
Wir bauen zum Beispiel verstärkt<br />
Mehrgenerationen-Häuser.<br />
W&M: In den vergangenen 20 Jahren hat das<br />
Land mehr als eine halbe Million Einwohner<br />
verloren. Zehntausende sind abgewandert.<br />
Wie steht es um die eventuelle Rückholung<br />
der Landeskinder?<br />
REINER HASELOFF: Das versuchen wir<br />
mit PFIFF – dem Internet-Portal des Landes<br />
für interessierte und flexible Fachkräfte<br />
– schon seit drei Jahren. Immerhin<br />
haben wir in dieser zurückliegenden Zeit<br />
WIRTSCHAFT & MARKT 09/11 11
GESPRÄCH<br />
REINER HASELOFF im Gespräch mit W&M-Redakteur<br />
Helfried Liebsch; <strong>Mitte</strong>: Regierungssprecher Franz Kadell.<br />
schon 3.000 Familien zurückgeholt. Obwohl<br />
sich die Lage auf dem Arbeitsmarkt<br />
erst in jüngster Zeit entspannt hat. Das<br />
Entscheidende sind Jobs und die werden<br />
jetzt frei. Bis 2016 werden dem Arbeitsmarkt<br />
im Land 150.000 Arbeitskräfte<br />
weniger als heute zur Verfügung stehen,<br />
daher müssen wir jetzt in die Offensive<br />
kommen. Dazu planen wir eine bundesweite<br />
Kampagne.<br />
W&M: Sie wollen 150.000 zurückholen?<br />
REINER HASELOFF: Nein, nicht in dieser<br />
Größenordnung, aber eine fünfstellige<br />
Zahl. Wir wollen alle Reserven ausschöpfen.<br />
Mehr Frauen in Lohn und Brot bringen,<br />
Langzeitarbeitslose für eine Beschäftigung<br />
fit machen, die Schulabbrecher-<br />
Quote von zwölf Prozent verringern,<br />
Absolventen von Universitäten und<br />
Hochschulen im Lande halten – und jene<br />
zurückgewinnen, die anderswo ihr<br />
Glück gesucht haben. Eine Kaskade.<br />
W&M: Heißt die Konzentration auf Rückwanderer,<br />
dass Ihnen andere Zuwanderer<br />
unwillkommen sind?<br />
REINER HASELOFF: Nein, aber nach unserer<br />
Erfahrung haben 80 bis 90 Prozent<br />
der Menschen, die ins Land kommen,<br />
hier ihre Wurzeln. Bei ihnen fallen auch<br />
die Vorurteile weg. Eine Aktion zum Jahresende<br />
2010 hat gezeigt, dass das Interesse<br />
an einer Rückkehr riesengroß ist.<br />
Zuwanderung aus anderen Ländern der<br />
Welt zum Nulltarif wird es nicht geben.<br />
W&M: Wie erfährt ein gebürtiger Magdeburger,<br />
der unterdessen in Köln oder Hamburg<br />
lebt, von ihrer Kampagne?<br />
REINER HASELOFF: Wir informieren im<br />
Herbst in überregionalen Medien. Aber<br />
die Information ist im Internet-Zeitalter<br />
das geringste Problem. Onkel oder Tante<br />
greifen zum Hörer, die Familiennetzwerke<br />
funktionieren, Klassenkameraden<br />
mailen. Zum Jahresende hin war die Hotline<br />
überlastet. Es kamen selbst Anrufe<br />
aus dem Ausland, so aus Schweden.<br />
W&M: Wenn die Information<br />
funktioniert, dann hängt es an<br />
den Jobs – und die an Investitionen.<br />
Laut Information von Germany<br />
Trade & Invest (GTAI), der<br />
Gesellschaft für Außenwirtschaft<br />
und Standortmarketing,<br />
ist Sachsen-Anhalt das Land mit<br />
den meisten ausländischen Direktinvestitionen<br />
Ost. Worauf<br />
führen Sie das zurück?<br />
REINER HASELOFF: Eine<br />
monokausale Erklärung gibt<br />
es nicht und kein Patentrezept.<br />
Und weil Sie die GTAI<br />
erwähnen, gerade sie hat<br />
uns immens geholfen, zusammen<br />
mit der Investitionsund<br />
Marketinggesellschaft<br />
des Landes. Eine ganze Reihe von Investitionen<br />
in den Bereichen Glas oder Solar<br />
sind auf sie zurückzuführen. Deutschland<br />
bleibt mit seinem Nachweis, Krisen<br />
bewältigen zu können, verlässliche Rahmenbedingungen<br />
zu bieten, qualifizierte<br />
Arbeitskräfte zur Verfügung zu haben,<br />
ein gefragter Investitionsstandort.<br />
W&M: Auch Ostdeutschland?<br />
REINER HASELOFF: Ich habe zum Beispiel<br />
dieser Tage den Grundstein für die<br />
erste private chinesische Investition in<br />
ganz Deutschland gelegt. Der weltweit<br />
zweitgrößte Lieferant von sterilen Verpackungsmaterialien<br />
wird in Halle produzieren.<br />
Wir sind sicher, nachdem<br />
ZUR<br />
PERSON<br />
Buch-Halter und Beatles-Fan<br />
Seit dem 19. April 2011 hat das Land<br />
Sachsen-Anhalt mit Dr. Reiner Haseloff<br />
einen Ministerpräsidenten, der auf den<br />
ersten Blick ein Buchhalter sein könnte.<br />
Und das ist der 1954 in Bülzig nahe der<br />
Lutherstadt Wittenberg geborene Katholik<br />
tatsächlich: bibliophil. Einer, der<br />
wöchentlich mindestens drei Bücher<br />
in der Hand hält – und sie verschlingt.<br />
Auf der CDU-Website gibt es zudem ein<br />
Jugendfoto, das seine Vorliebe für die<br />
Beatles langhaarig dokumentiert. Landesvater<br />
– dieser Ehrentitel will zu dem<br />
Familienvater, der seit 1976 mit der späteren<br />
Zahnärztin Dr. Gabriele Haseloff,<br />
verheiratet ist, zwei Kinder und vier Enkel<br />
hat, noch nicht recht passen. Der<br />
promovierte Naturwissenschaftler ist<br />
Schnelldenker und zum gelegentlichen<br />
Verdruss auch Schnellredner. Zumal<br />
seine verschachtelten Sätze zuweilen<br />
kein Ende finden. Zum guten Ende hat er<br />
indes seinen Job als Vorsitzender der<br />
Ministerpräsidentenkonferenz gebracht.<br />
Im Bundesrat stimmten die Länder mit<br />
16:0 dem rascheren Atomausstieg zu.<br />
schon das Maschinenbau-Unternehmen<br />
Schiess in Aschersleben durch einen<br />
chinesischen Staatsbetrieb übernommen<br />
wurde, dass da noch etwas nachkommt.<br />
Jedenfalls wurden weitere Gewerbeflächen<br />
gekauft.<br />
W&M: Noch einmal gefragt: Was ist Ihr besonderes<br />
Rezept?<br />
REINER HASELOFF: Wir haben offensiv,<br />
intensiv und gezielt akquiriert, uns dabei<br />
auf einige Länder konzentriert – wir<br />
können nicht in der ganzen Welt unterwegs<br />
sein. China gehört dazu, Polen,<br />
Italien, die baltischen Staaten – da haben<br />
wir Auslandsbüros eingerichtet. In<br />
Shanghai zum Beispiel oder in Mailand.<br />
Da gibt es viele Querverbindungen zum<br />
hiesigen Chemiestandort.<br />
W&M: Nehmen Sie mehr Geld in die Hand als<br />
andere, fördern Sie stärker?<br />
REINER HASELOFF: Nein, aber wir spielen<br />
natürlich unsere strategische Lage<br />
aus, schon seit Tausenden von Jahren<br />
kreuzen sich hier Handelsstraßen. Heute<br />
das Luftdrehkreuz Leipzig/Halle, die Autobahn<br />
A9/A2, jetzt die A14, die endlich<br />
nach Norden hin verlängert wird. Von<br />
hier aus sind es nur wenige Stunden bis<br />
Polen oder Italien.<br />
W&M: Die Zeit der großen Auslandsinvestitionen<br />
sei vorbei, sagt man. Auch Sie?<br />
REINER HASELOFF: Richtig daran ist,<br />
dass unter dem Eindruck der weltweiten<br />
Wirtschafts- und Finanzkrise gegenwärtig<br />
Milliardeninvestitionen eher die Ausnahme<br />
sind. Wir beobachten, dass Investoren<br />
in Etappen vorgehen. Die GA Pack<br />
investiert 50 Millionen in Halle und hat<br />
weitere Millionen auf dem Tableau. So<br />
verhalten sich auch die Inder mit ihrer<br />
Flaschenfabrik bei Gardelegen. Wir haben<br />
fünf strategische Gewerbegebiete,<br />
auf die wir uns konzentrieren, zwei werden<br />
mit der A 14 hinzukommen. Die Erschließung<br />
solcher Gebiete in guter Lage<br />
ist eine notwendige, wenn auch nicht<br />
hinreichende Bedingung. Damit kann<br />
und muss ich dann werben.<br />
W&M: Schicken sie einen Investor wieder<br />
weg, wenn sein Vorhaben nicht in die Cluster-<br />
Struktur des Landes passt?<br />
REINER HASELOFF: Nein! Cluster sind<br />
wichtig und richtig, aber durch die Krise<br />
sind wir gekommen, weil wir eben keine<br />
Monostrukturen mehr haben. Wir werden<br />
weiter diversifizieren und zugleich<br />
die Leitbranchen mit besonderen Steuerinstrumenten<br />
fördern, vor allem Wissenschaft<br />
und Produktion noch enger verknüpfen.<br />
Diese Verknüpfung ist heute<br />
schon ein entscheidender Standortvorteil<br />
und ein ausschlaggebendes Ansiedlungsargument.<br />
W&M: Herr Ministerpräsident, wir danken<br />
für das Gespräch.<br />
12 WIRTSCHAFT & MARKT 09/11
GESPRÄCH<br />
REINER HASELOFF im Gespräch mit W&M-Redakteur<br />
Helfried Liebsch; <strong>Mitte</strong>: Regierungssprecher Franz Kadell.<br />
schon 3.000 Familien zurückgeholt. Obwohl<br />
sich die Lage auf dem Arbeitsmarkt<br />
erst in jüngster Zeit entspannt hat. Das<br />
Entscheidende sind Jobs und die werden<br />
jetzt frei. Bis 2016 werden dem Arbeitsmarkt<br />
im Land 150.000 Arbeitskräfte<br />
weniger als heute zur Verfügung stehen,<br />
daher müssen wir jetzt in die Offensive<br />
kommen. Dazu planen wir eine bundesweite<br />
Kampagne.<br />
W&M: Sie wollen 150.000 zurückholen?<br />
REINER HASELOFF: Nein, nicht in dieser<br />
Größenordnung, aber eine fünfstellige<br />
Zahl. Wir wollen alle Reserven ausschöpfen.<br />
Mehr Frauen in Lohn und Brot bringen,<br />
Langzeitarbeitslose für eine Beschäftigung<br />
fit machen, die Schulabbrecher-<br />
Quote von zwölf Prozent verringern,<br />
Absolventen von Universitäten und<br />
Hochschulen im Lande halten – und jene<br />
zurückgewinnen, die anderswo ihr<br />
Glück gesucht haben. Eine Kaskade.<br />
W&M: Heißt die Konzentration auf Rückwanderer,<br />
dass Ihnen andere Zuwanderer<br />
unwillkommen sind?<br />
REINER HASELOFF: Nein, aber nach unserer<br />
Erfahrung haben 80 bis 90 Prozent<br />
der Menschen, die ins Land kommen,<br />
hier ihre Wurzeln. Bei ihnen fallen auch<br />
die Vorurteile weg. Eine Aktion zum Jahresende<br />
2010 hat gezeigt, dass das Interesse<br />
an einer Rückkehr riesengroß ist.<br />
Zuwanderung aus anderen Ländern der<br />
Welt zum Nulltarif wird es nicht geben.<br />
W&M: Wie erfährt ein gebürtiger Magdeburger,<br />
der unterdessen in Köln oder Hamburg<br />
lebt, von ihrer Kampagne?<br />
REINER HASELOFF: Wir informieren im<br />
Herbst in überregionalen Medien. Aber<br />
die Information ist im Internet-Zeitalter<br />
das geringste Problem. Onkel oder Tante<br />
greifen zum Hörer, die Familiennetzwerke<br />
funktionieren, Klassenkameraden<br />
mailen. Zum Jahresende hin war die Hotline<br />
überlastet. Es kamen selbst Anrufe<br />
aus dem Ausland, so aus Schweden.<br />
W&M: Wenn die Information<br />
funktioniert, dann hängt es an<br />
den Jobs – und die an Investitionen.<br />
Laut Information von Germany<br />
Trade & Invest (GTAI), der<br />
Gesellschaft für Außenwirtschaft<br />
und Standortmarketing,<br />
ist Sachsen-Anhalt das Land mit<br />
den meisten ausländischen Direktinvestitionen<br />
Ost. Worauf<br />
führen Sie das zurück?<br />
REINER HASELOFF: Eine<br />
monokausale Erklärung gibt<br />
es nicht und kein Patentrezept.<br />
Und weil Sie die GTAI<br />
erwähnen, gerade sie hat<br />
uns immens geholfen, zusammen<br />
mit der Investitionsund<br />
Marketinggesellschaft<br />
des Landes. Eine ganze Reihe von Investitionen<br />
in den Bereichen Glas oder Solar<br />
sind auf sie zurückzuführen. Deutschland<br />
bleibt mit seinem Nachweis, Krisen<br />
bewältigen zu können, verlässliche Rahmenbedingungen<br />
zu bieten, qualifizierte<br />
Arbeitskräfte zur Verfügung zu haben,<br />
ein gefragter Investitionsstandort.<br />
W&M: Auch Ostdeutschland?<br />
REINER HASELOFF: Ich habe zum Beispiel<br />
dieser Tage den Grundstein für die<br />
erste private chinesische Investition in<br />
ganz Deutschland gelegt. Der weltweit<br />
zweitgrößte Lieferant von sterilen Verpackungsmaterialien<br />
wird in Halle produzieren.<br />
Wir sind sicher, nachdem<br />
ZUR<br />
PERSON<br />
Buch-Halter und Beatles-Fan<br />
Seit dem 19. April 2011 hat das Land<br />
Sachsen-Anhalt mit Dr. Reiner Haseloff<br />
einen Ministerpräsidenten, der auf den<br />
ersten Blick ein Buchhalter sein könnte.<br />
Und das ist der 1954 in Bülzig nahe der<br />
Lutherstadt Wittenberg geborene Katholik<br />
tatsächlich: bibliophil. Einer, der<br />
wöchentlich mindestens drei Bücher<br />
in der Hand hält – und sie verschlingt.<br />
Auf der CDU-Website gibt es zudem ein<br />
Jugendfoto, das seine Vorliebe für die<br />
Beatles langhaarig dokumentiert. Landesvater<br />
– dieser Ehrentitel will zu dem<br />
Familienvater, der seit 1976 mit der späteren<br />
Zahnärztin Dr. Gabriele Haseloff,<br />
verheiratet ist, zwei Kinder und vier Enkel<br />
hat, noch nicht recht passen. Der<br />
promovierte Naturwissenschaftler ist<br />
Schnelldenker und zum gelegentlichen<br />
Verdruss auch Schnellredner. Zumal<br />
seine verschachtelten Sätze zuweilen<br />
kein Ende finden. Zum guten Ende hat er<br />
indes seinen Job als Vorsitzender der<br />
Ministerpräsidentenkonferenz gebracht.<br />
Im Bundesrat stimmten die Länder mit<br />
16:0 dem rascheren Atomausstieg zu.<br />
schon das Maschinenbau-Unternehmen<br />
Schiess in Aschersleben durch einen<br />
chinesischen Staatsbetrieb übernommen<br />
wurde, dass da noch etwas nachkommt.<br />
Jedenfalls wurden weitere Gewerbeflächen<br />
gekauft.<br />
W&M: Noch einmal gefragt: Was ist Ihr besonderes<br />
Rezept?<br />
REINER HASELOFF: Wir haben offensiv,<br />
intensiv und gezielt akquiriert, uns dabei<br />
auf einige Länder konzentriert – wir<br />
können nicht in der ganzen Welt unterwegs<br />
sein. China gehört dazu, Polen,<br />
Italien, die baltischen Staaten – da haben<br />
wir Auslandsbüros eingerichtet. In<br />
Shanghai zum Beispiel oder in Mailand.<br />
Da gibt es viele Querverbindungen zum<br />
hiesigen Chemiestandort.<br />
W&M: Nehmen Sie mehr Geld in die Hand als<br />
andere, fördern Sie stärker?<br />
REINER HASELOFF: Nein, aber wir spielen<br />
natürlich unsere strategische Lage<br />
aus, schon seit Tausenden von Jahren<br />
kreuzen sich hier Handelsstraßen. Heute<br />
das Luftdrehkreuz Leipzig/Halle, die Autobahn<br />
A9/A2, jetzt die A14, die endlich<br />
nach Norden hin verlängert wird. Von<br />
hier aus sind es nur wenige Stunden bis<br />
Polen oder Italien.<br />
W&M: Die Zeit der großen Auslandsinvestitionen<br />
sei vorbei, sagt man. Auch Sie?<br />
REINER HASELOFF: Richtig daran ist,<br />
dass unter dem Eindruck der weltweiten<br />
Wirtschafts- und Finanzkrise gegenwärtig<br />
Milliardeninvestitionen eher die Ausnahme<br />
sind. Wir beobachten, dass Investoren<br />
in Etappen vorgehen. Die GA Pack<br />
investiert 50 Millionen in Halle und hat<br />
weitere Millionen auf dem Tableau. So<br />
verhalten sich auch die Inder mit ihrer<br />
Flaschenfabrik bei Gardelegen. Wir haben<br />
fünf strategische Gewerbegebiete,<br />
auf die wir uns konzentrieren, zwei werden<br />
mit der A 14 hinzukommen. Die Erschließung<br />
solcher Gebiete in guter Lage<br />
ist eine notwendige, wenn auch nicht<br />
hinreichende Bedingung. Damit kann<br />
und muss ich dann werben.<br />
W&M: Schicken sie einen Investor wieder<br />
weg, wenn sein Vorhaben nicht in die Cluster-<br />
Struktur des Landes passt?<br />
REINER HASELOFF: Nein! Cluster sind<br />
wichtig und richtig, aber durch die Krise<br />
sind wir gekommen, weil wir eben keine<br />
Monostrukturen mehr haben. Wir werden<br />
weiter diversifizieren und zugleich<br />
die Leitbranchen mit besonderen Steuerinstrumenten<br />
fördern, vor allem Wissenschaft<br />
und Produktion noch enger verknüpfen.<br />
Diese Verknüpfung ist heute<br />
schon ein entscheidender Standortvorteil<br />
und ein ausschlaggebendes Ansiedlungsargument.<br />
W&M: Herr Ministerpräsident, wir danken<br />
für das Gespräch.<br />
12 WIRTSCHAFT & MARKT 09/11
SERIE<br />
M arken<br />
acher<br />
ärkte<br />
Konsum-Chefin Sigrid Hebestreit<br />
Nur wer sich<br />
ändert, bleibt<br />
sich treu<br />
Die markante Marke, ein von zwei<br />
Löwen gehaltenes kräftigrotes K,<br />
macht sich rar in der Öffentlichkeit.<br />
Die Kaufhäuser und Fachgeschäfte<br />
der Konsumgenossenschaft Weimar<br />
indes sind desto<br />
präsenter – in<br />
erstklassigen<br />
Lagen der Stadt der Dichter und<br />
Denker, ganz Thüringens und auch<br />
in Sachsen. Sigrid Hebestreit,<br />
die Vorstandsvorsitzende, und<br />
ihre Mitarbeiter schreiben<br />
eine imposante Erfolgsgeschichte<br />
mit vielen Happy Ends.<br />
14 WIRTSCHAFT & MARKT 09/11
SERIE<br />
macht, ist es in der Öffentlichkeit nirgendwo<br />
präsent, nicht einmal an den Lebensmittel-<br />
und Getränkemärkten, die<br />
der Konsum in einer gemeinsamen<br />
GmbH mit dem langjährigen Partner<br />
REWE betreibt. Die Läden heißen Xquisit,<br />
Gerry Weber, Arqueonautas, Taifun,<br />
Samoon, Antilope, Rieker, Tamaris oder<br />
Schuhprofi, und das ist wohlbedacht.<br />
»Hinter der Konsumgenossenschaft Weimar«,<br />
sagt Sigrid Hebestreit, »stehen 138<br />
Jahre Geschichte. Davon wissen die meisten<br />
jungen Leute aber kaum etwas, und<br />
ausländische Kunden können mit dem<br />
Konsum schon gar nichts anfangen.« Die<br />
Alteingesessenen wiederum verbinden<br />
mit dem Namen oft noch Markenkleben<br />
und die Mangelwirtschaft der DDR.<br />
Mit ihrer Struktur, ihren Verkaufskonzepten<br />
und ihrem Erfolg bilden der<br />
Konsum Weimar und seine Tochtergesellschaften<br />
heute ein hochmodernes<br />
Unternehmen. Etwa 43 Millionen Euro<br />
Gesamtumsatz im vergangenen Jahr machen<br />
ihn zu einem der führenden Einzelhandelsunternehmen<br />
in Thüringen und<br />
mittlerweile auch in Sachsen.<br />
Auch die Mitglieder, über 6.000 an der<br />
Zahl, wissen die Vorzüge ihrer Genossenschaft<br />
zu schätzen: Sie kommen in den<br />
Genuss spezieller Einkaufsvorteile und<br />
kostenloser Bedienung in der Änderungsschneiderei,<br />
und ihre Einlagen von<br />
gut einer Million Euro wurden auch 2010<br />
wieder mit sechs Prozent verzinst.<br />
Motor der erfreulichen Entwicklung<br />
ist seit vielen Jahren Sigrid Hebestreit.<br />
Beim Konsum Weimar hat sie ihre Lehre<br />
als Verkäuferin und später in der Konsum-Fachschule<br />
Blankenburg ein Studium<br />
absolviert, danach ein kurzes Gastspiel<br />
in der Personalabteilung gegeben<br />
und eine Zeitlang als stellvertretende<br />
Filialbereichsleiterin für Lebensmittel<br />
gearbeitet. Der Aufstieg zur Vorstandsvorsitzenden<br />
kam überraschend. 1984,<br />
ihre beiden Kinder waren gerade eingeschult,<br />
übernahm Sigrid Hebestreit ein<br />
Unternehmen mit 1.200 Mitarbeitern<br />
und 230 Millionen Mark Jahresumsatz.<br />
Mit Ende Zwanzig musste sie in einer<br />
Führungsriege, die im Durchschnitt<br />
mehr als doppelt so alt war, Durchsetzungskraft<br />
beweisen.<br />
Ein gutes Training, das ihr auch in<br />
den unübersichtlichen Wende- und<br />
Nachwendezeiten zugute kam: »Als ein<br />
aus dem Westen zugereister Bürgermeister<br />
seine Hand auf Grundstücke legen<br />
wollte, die seit eh und je der Genossenschaft<br />
gehörten, habe ich mich gewehrt,<br />
bis die Sache zu unseren Gunsten entschieden<br />
war.« Ihre Unsicherheiten in Sachen<br />
westlicher Handelsstrukturen<br />
machte sie durch unerschöpfliche Neu-<br />
An großen Namen herrscht in Weimar<br />
kein Mangel. Goethe und<br />
Schiller – die berühmtesten aller<br />
Prominenten, die jemals in der beschaulichen<br />
Residenzstadt zu Hause waren –<br />
haben Unsterblichkeit erlangt. Zugleich<br />
machen sie den Nachgeborenen das gern<br />
entgegengenommene Geschenk, dennoch<br />
vor langer Zeit gestorben zu sein –<br />
vor so langer Zeit, dass ihre Namen heute<br />
jedermann zum (hoffentlich pietätvollen)<br />
Gebrauch zur Verfügung stehen.<br />
Im Fall der beiden Kaufhäuser, die<br />
nach den Weimarer Klassikern benannt<br />
sind, sollte es da kaum Klagen geben. Erstens<br />
haben sich Goethe und Schiller einiges<br />
auf ihre Volkstümlichkeit zugute gehalten<br />
(»Solch ein Gewimmel möcht’ ich<br />
sehn, auf freiem Grund mit freiem Volke<br />
stehn«), und Einkaufen ist nun mal ein<br />
populäres Vergnügen. Zweitens handelt<br />
es sich um noble Konsumtempel mit anspruchsvollem<br />
Warensortiment, dessen<br />
sich niemand zu schämen braucht.<br />
Das Volk ist so frei, das vom Dichterfürsten<br />
prophezeite Gewimmel auf den<br />
großzügigen, attraktiv gestalteten Verkaufsflächen<br />
herzustellen. Man könnte<br />
sogar sagen: die Völker. Denn der Handel<br />
in Weimar profitiert wie in keiner anderen<br />
thüringischen Stadt vom florierenden<br />
Tourismus. An Wochenenden machen<br />
auswärtige Besucher etwa 60 Prozent<br />
der Kundschaft in den Kaufhäusern<br />
und in vielen anderen Geschäften der Innenstadt<br />
aus. In der Woche ist das Verhältnis<br />
zu den Einheimischen etwa umgekehrt,<br />
was immer noch sehr beachtlich<br />
ist.<br />
»Urlauber«, sagt Sigrid Hebestreit, »geben<br />
ja gern Geld aus.« Dazu kommen die<br />
vielen zahlungskräftigen Teilnehmer<br />
Dutzender nationaler und internationaler<br />
Kongresse. Auch die Weimarer sind<br />
dem Shopping nicht abgeneigt, und das<br />
nahe gelegene Jena, dessen Bürger gern<br />
mal zum Einkaufsbummel herüberkommen,<br />
hat die höchste Kaufkraft weit und<br />
breit. Handtaschen zum stolzen Preis<br />
von 300 Euro, vom angesagten Label Liebeskind<br />
etwa, sind keineswegs Ladenhüter.<br />
Im Gegenteil.<br />
138 JAHRE GESCHICHTE<br />
Sigrid Hebestreit ist die Vorstandsvorsitzende<br />
der Konsumgenossenschaft Weimar,<br />
die das Goethe Kaufhaus und das<br />
Schiller Kaufhaus betreibt. Und mehr als<br />
20 weitere Fachgeschäfte für Bekleidung<br />
und Schuhe, die nicht nur in Weimar,<br />
sondern auch in Erfurt, Gera, Jena, Gotha,<br />
Dresden und Chemnitz gut besucht<br />
werden. Obwohl das neu gestaltete Logo<br />
– ein von zwei Löwen gehaltenes rotes K<br />
auf schwarzem Grund – einiges her-<br />
WIRTSCHAFT & MARKT 09/11 15
SERIE<br />
KONSUM WEIMAR verbindet mit Gerry Weber seit vielen Jahren eine erfolgreiche Partnerschaft.<br />
Fotos: Torsten George (7), Konsum Weimar<br />
gier wett und stellte dabei fest, dass eine<br />
gewisse Ahnungslosigkeit durchaus auf<br />
Gegenseitigkeit beruhte. Die Frage<br />
»Macht ihr im Osten eigentlich auch Bilanzen?«<br />
verschlug ihr die Sprache, aber<br />
nur für einen Moment. Dann stellte sie<br />
wieder eigene Erkundigungen an.<br />
Die Vorstandsvorsitzende wartete weder<br />
auf Eingebungen von oben noch auf<br />
Einflüsterungen schwer durchschaubarer<br />
Unternehmensberater. Mit dem Wartburg<br />
fuhr sie durch die alten Bundesländer,<br />
im Kofferraum Benzinvorräte, auf<br />
der Rückbank die provisorische Schlafgelegenheit.<br />
Bei REWE blieb sie hängen.<br />
Der Joint-Venture-Vertrag, der für beide<br />
Beteiligte je die Hälfte der Anteile festschreibt,<br />
ist bis heute gültig. Sigrid Hebestreit<br />
ist stolz, gut verhandelt zu haben.<br />
Monate vor der Währungsunion kamen<br />
die ersten Westwaren in den Konsum,<br />
in Sechserreihen, die sich um das<br />
Goethe-Schiller-Denkmal ringelten, standen<br />
die Kunden trotz horrender Preise<br />
nach Ananas und Früchtejoghurt an.<br />
Im Gegenzug hat die Chefin den<br />
REWE-Verantwortlichen dieses und jenes<br />
Ostprodukt schmackhaft gemacht.<br />
IM STILLEN WEGE BAHNEN<br />
Wenig später musste sie dann unpopuläre<br />
Maßnahmen durchsetzen. »Es ging<br />
um unsere Existenz«, sagt sie. »240 Lebensmittelgeschäfte,<br />
davon 90 Prozent<br />
auf dem Land, so konnten wir nicht überleben.«<br />
Mit der Schließung der meisten<br />
Filialen – bei wenigen nur lohnte sich<br />
die Privatisierung – und der Entlassung<br />
von 800 der 1.200 Mitarbeiter hat sie sich<br />
auch in der Bevölkerung nicht immer<br />
Freunde gemacht. Bürgermeister und<br />
Kunden verlangten Rechtfertigung und<br />
waren doch oft nicht zu überzeugen. Im<br />
Konsum, verkündeten viele, kaufen wir<br />
so schnell nicht wieder ein.<br />
Auch manch älterer Vorstandskollege<br />
hätte lieber abgewartet, Sigrid Hebestreit<br />
allerdings sah das Heil in der Offensive.<br />
Einsam fühlte sie sich auch in schwierigen<br />
Zeiten nie: »Es gab und gibt immer<br />
Menschen, mit denen man neue Wege<br />
KONSUM WEIMAR bürgt sowohl im Foodals<br />
auch im Nonfood-Bereich für Qualität.<br />
gehen kann. Mein Prinzip ist, Bedenken<br />
ernst zu nehmen und so lange zu diskutieren,<br />
bis wir die beste Lösung gefunden<br />
haben.«<br />
Damals, so erinnerte sich ihr gegenüber<br />
kürzlich eine ehemalige Mitarbeiterin,<br />
habe diese das nicht einsehen wollen.<br />
»Heute weiß ich«, ergänzte die einstige<br />
Kollegin im Gespräch, »die harten<br />
Schnitte waren richtig.«<br />
Nur wer sich ändert, bleibt sich treu,<br />
findet die Vorstandsvorsitzende und zitiert<br />
Goethe: »Auch aus Steinen, die einem<br />
in den Weg gelegt werden, kann<br />
man Schönes bauen.« Inzwischen hat der<br />
Konsum Weimar wieder 740 Mitarbeiter.<br />
Etwa 60 sollen in diesem Jahr dazukommen,<br />
die meisten im Chemnitz Center in<br />
Röhrsdorf, wo der Konsum Weimar am<br />
1. September auf 5.500 Quadratmetern<br />
sein Life Style Xquisit Kaufhaus eröffnet.<br />
Die Hinwendung vom Lebensmittelhandel<br />
zum Non-Food-Bereich ist einer<br />
persönlichen Vorliebe der Chefin geschuldet,<br />
in erster Linie aber ihrem festen<br />
Willen, ihr Unternehmen unabhängig<br />
zu machen. Leicht war es nicht für<br />
eine Frau aus dem Osten und aus einer<br />
Firma, die fast ausschließlich Erfahrungen<br />
mit Lebensmitteln hatte, in der Textilbranche<br />
ernst genommen zu werden.<br />
Mancher mag sich später gewünscht<br />
haben, das muntere Funkeln in ihren<br />
Augen nicht ignoriert zu haben.<br />
Sigrid Hebestreits Strategie: Im Stillen<br />
Wege bahnen und dann mit der eigenen<br />
Leistung in die Offensive gehen. So konnte<br />
sie, die mit ihrer Gelassenheit und<br />
16 WIRTSCHAFT & MARKT 09/11
SERIE<br />
Freundlichkeit nicht selten<br />
unterschätzt wurde (was sie<br />
stets in Vorteile umzumünzen<br />
verstand), einen Erfolg<br />
nach dem andern verbuchen.<br />
Renommierte Textilfirmen,<br />
die ihr ein ums andere<br />
Mal die kalte Schulter zeigten,<br />
kommen heute von allein,<br />
um dem Konsum Weimar<br />
ihre hochwertigen Sortimente<br />
anzubieten. Und der<br />
Konsum, mit seinem beachtlichen<br />
Einkaufsvolumen im<br />
Rücken kann überaus vorteilhafte<br />
Verträge aushandeln.<br />
Im Service lässt sich die<br />
Konsum-Belegschaft von niemandem<br />
übertreffen. Neben<br />
den Dichtern und Denkern,<br />
die so viele Besucher nach<br />
Weimar locken, sind die Mitarbeiterinnen<br />
(»Wir sind<br />
eine Weiberwirtschaft», sagt<br />
die Chefin, »das ist ein gutes<br />
Arbeiten«) das Pfund, mit<br />
dem das Unternehmen wuchert.<br />
Textilien verkaufen viele, aber<br />
längst nicht alle so feinfühlig und begeistert,<br />
wie das in Weimar der Fall ist. Die<br />
Verkäuferinnen sind geschult, den Kunden<br />
von den Augen abzulesen, ob sie sogleich<br />
engagierte Beratung wünschen<br />
oder lieber in Ruhe gelassen werden<br />
möchten. Sonja Pfirschke etwa arbeitet<br />
seit 48 Jahren beim Konsum und hat ihre<br />
heutige Chefin einst als Lehrling betreut.<br />
Das Engagement und die Innovationsfreude<br />
von Sigrid Hebestreit hat der<br />
Thüringer Verband der Unternehmerinnen<br />
(VdU) in diesem Jahr in besonderer<br />
WÄHREND DIE GATTIN shoppt, entspannt der Gatte im<br />
tiefen Kaufhaus-Fauteuil.<br />
Weise gewürdigt. Die Konsum-Chefin<br />
gehört zu den diesjährigen drei Preisträgerinnen<br />
des Emily-Roebling-Preises. Der<br />
Thüringer VdU verleiht die Auszeichnung<br />
für außergwöhnliche Leistungen<br />
von Unternehmerinnen im Bundesland.<br />
DER KUNDE IST KÖNIG<br />
Auswärtigen Gästen werden die Einkäufe<br />
ins Hotel gebracht, ins berühmte »Elephant«<br />
beispielsweise, und wenn einem<br />
Gast kurz vor einem wichtigen Termin<br />
der Koffer abhanden gekommen ist, empfängt<br />
ihn das Schiller Kaufhaus ausnahmsweise<br />
einmal auch spät am<br />
Abend. In Hotelfoyers stellt der Konsum<br />
Schmuckkollektionen aus und kleidet<br />
von Zeit zu Zeit die Mitarbeiter an der Rezeption<br />
ein. Da sich Sigrid Hebestreit<br />
auch im Tourismus-Marketing engagiert,<br />
weiß sie immer aus erster Hand, was in<br />
ihrer Stadt los ist und kann sich mit besonderen<br />
Aktionen darauf einstellen.<br />
Männer, die ihre Frauen beim Einkauf<br />
begleiten, werden in komfortable Sessel<br />
gebeten und mit Kaffee oder Sekt bei<br />
Laune gehalten. Sie sind es dann auch,<br />
die am schnellsten zu begeistern sind,<br />
wenn zweimal im Jahr Stammkunden zu<br />
Abendveranstaltungen eingeladen werden,<br />
auf denen bei freundlicher Bewirtung<br />
neue Modetrends vorgestellt werden,<br />
nach Herzenslust eingekauft und<br />
dabei ein wenig gefeiert werden kann.<br />
Die letzten Gäste gehen nicht vor zwei,<br />
drei Uhr morgens.<br />
Männer für Einkaufs-Events gewinnen:<br />
Fast sieht es so aus, als wäre dem<br />
Konsum Weimar nichts unmöglich. An<br />
einer Kleinigkeit ist er bisher aber doch<br />
gescheitert: Goethe und Schiller auf<br />
ihrem Denkmalssockel vor dem Nationaltheater<br />
waren nicht zu bewegen, ihre<br />
Plätze zu tauschen. Deshalb steht Johann<br />
Wolfgang bis auf weiteres näher am<br />
Schiller Kaufhaus, Friedrich näher am<br />
Kaufhaus, das Goethes Namen trägt. Um<br />
die Ordnung herzustellen, könnten<br />
natürlich auch die Häuser ihre Namen<br />
wechseln. Aber kleine Schönheitsfehler<br />
sollen ja den Reiz einer Sache durchaus<br />
erhöhen. Außerdem ist es immer gut, ein<br />
paar besondere Ziele in petto zu haben.<br />
So hat es der Konsum Weimar immer gehalten.<br />
Constanze Treuber<br />
&<br />
Brasilien<br />
Brasil<br />
www.brasilianische-botschaft.de<br />
WIRTSCHAFT & MARKT 09/11 17
BETRACHTUNG<br />
Platt, platter – Wahlplakate<br />
Der Krampf<br />
um Berlin<br />
WAHL<br />
EXTRA<br />
BERLIN<br />
Wo bitte geht’s hier zum Wahlkampf?<br />
Noch vor Wochen fragte man sich,<br />
ob tatsächlich am 18. September<br />
in der Hauptstadt über ein neues<br />
Abgeordnetenhaus abgestimmt werde.<br />
Heute ist Berlin für einige Millionen<br />
Euro zugekleistert. Mit krampfhaft<br />
originellen Sprüchen und platten Parolen.<br />
Inhalte? Trennschärfe? Fehlanzeige.<br />
Fotos: Torsten George (3), H. Liebsch<br />
Früher war alles besser. Da konnte<br />
man nach dem Angebot an alkoholischen<br />
Getränken bei den Wahlveranstaltungen<br />
entscheiden, welcher Partei<br />
man seine Stimme gibt. Das bezeugte<br />
weiland Kurt Tucholskys älterer, leicht<br />
besoffener Herr. In vino veritas? Na ja,<br />
nicht ganz. Denn nach SPD-Besuch beschließt<br />
der wohl bekannteste Besitzer<br />
eines »selbständjen Jemieseladens«, bei<br />
der Stimmabgabe auch seine Interessenlage<br />
zu berücksichtigen: »Ick werde<br />
wahrscheinlich diese Pachtei wähln – es<br />
is so ein beruhjendes Jefiehl. Man tut wat<br />
for de Revolutzjon, aber man weeß janz<br />
jenau: mit diese Pachtei kommt se nich.«<br />
KABARETTREIFE FARBENSPIELE<br />
Rund 80 Jahre später geht es zwar in den<br />
hauptstädtischen Wahlveranstaltungen<br />
viel trockener zu – ob man das allerdings<br />
auch von den Meetings in den<br />
Kampagnezentralen der Parteien beziehungsweise<br />
den Kommunikations- oder<br />
Kreativagenturen sagen kann, da bestehen<br />
erhebliche Zweifel. Jedenfalls angesichts<br />
der mit Plakaten zugemüllten<br />
Stadt. Annähernd fünf Millionen Euro<br />
sollen dem Vernehmen nach die Parteien<br />
in diesem Jahr für ihre Wahlkämpfe ausgeben.<br />
Geld, das inzwischen an Wänden<br />
und Laternenpfählen die seltsamsten<br />
Blüten treibt. Beispielsweise fragt ein<br />
Piratenpartei-Kandidat von oben herab:<br />
»Warum häng’ ich hier eigentlich, ihr<br />
geht ja eh’ nicht wählen!«<br />
Es hat tatsächlich den Anschein, als<br />
sollten die Berlinerinnen und Berliner<br />
am 18. September 2011 statt der Abgeordnetenhaus-Wahl<br />
so eine Art Elferrats-Sitzung<br />
abhalten. Eine ganze Reihe von Parlamentsanwärtern<br />
nimmt sich offenbar<br />
das legendäre Vera-Lengsfeld-Plakat zum<br />
Vorbild. Die hatte sich zur Bundestagswahl<br />
2009 per Fotomontage Seite an Seite<br />
mit der gleichfalls tief dekolletierten<br />
Kanzlerin gestellt und behauptet: »Wir<br />
haben mehr zu bieten!« Den Sieg trug<br />
damals im Berliner Wahlbezirk Friedrichshain-Kreuzberg<br />
allerdings nicht der<br />
Lengsfeld-Busen davon, sondern die vergleichsweise<br />
flache Brust des grünen<br />
Urgesteins Christian Ströbele.<br />
Eine Blütenlese 2011 verrät indes die<br />
Langzeitwirkung des Kultplakats. Das<br />
schreibt die DIE NEUE FDP auf gelben<br />
Grund: »Wir meinen, dass es eine nette<br />
Geste wäre, in Paris nach Croissants statt<br />
nach Schrippen zu fragen.« Hä? Zuviel<br />
Cognac im Kaffee? Dann dämmert es:<br />
Das ist der um drei Ecken gedachte<br />
Beitrag der Neu-FDP zur bundesweiten<br />
Integrationsdebatte. Er will sagen, wir<br />
sind hier in Deutschland und da wird<br />
Deutsch gesprochen. Dagegen wendet<br />
sich die »Berliner Zeitung« mit dem lapi-<br />
daren Hinweis, dass es wahrscheinlich<br />
nicht zielführend wäre, in Paris nach<br />
Croissants statt nach Schrippen zu fragen.<br />
Wer Schrippen wolle, der müsse sich<br />
eben Petits Pains wünschen.<br />
Es spricht einiges für übermäßigen<br />
Genuss von Pfefferminzlikör, wenn die<br />
Grünen einen auf dem Dach liegenden S-<br />
Bahn-Waggon mit dem Slogan verbinden:<br />
»DA MÜSSEN WIR RAN!« Wer sind<br />
wir? Die großflächig plakatierte Spitzenkandidatin<br />
Renate Künast hat schon angekündigt,<br />
nach der Wahl in die Bundespolitik<br />
zurückzukehren statt sich landespolitisch<br />
zu verschleißen. Allenfalls als<br />
Regierende würde sie bleiben. Das wird<br />
nach aktueller Lage der Umfragen nur etwas,<br />
wenn die Grünen wieder stark zulegen<br />
– und zusammen mit der CDU die<br />
Stadt regieren können. Ein verlockender<br />
Gedanke. Man könnte sich künftig die<br />
Kabarett-Karten sparen!<br />
ROTER SENAT AN ALLEM SCHULD<br />
Apropos CDU. Sie kommt herkömmlich<br />
und traditionsbewusst daher und ohne<br />
direkten Bezug zur verkehrten Welt der<br />
S-Bahn. Suggestiv blickt ihr Frontmann<br />
Frank Henkel seinen potenziellen Wählerinnen<br />
und Wählern in die Augen. Links<br />
werden die 100 Probleme von Berlin angekündigt,<br />
rechts die 100 Lösungen, die<br />
Christdemokraten in der Tasche haben.<br />
18 WIRTSCHAFT & MARKT 09/11
BETRACHTUNG<br />
den Bürgermeister Klaus Wowereit. Er<br />
bittet in tollen Schnappschüssen, nein,<br />
nicht um Vergebung, sondern demütig<br />
um Verständnis für seinen Politikstil:<br />
»Berlin verstehen«. Sympathisch. Bei der<br />
Vorstellung der Kampagne prägte der<br />
SPD-Landesvorsitzende Michael Müller<br />
ein Wort, das Jahrhunderte überdauern<br />
könnte: »Wir wollen selbstbewusst klarmachen:<br />
Es reicht nicht, die Stadt zu kennen.<br />
Wer hier regieren will, muss die<br />
Stadt auch verstehen.« Obendrein hat das<br />
Motto einen hohen Wiederverwendungswert<br />
für alle künftigen SPD-Wahlkämpfe.<br />
München, Köln, Kiel, Nürnberg ... verstehen.<br />
Da kann kein Alkohol im Spiele<br />
gewesen sein, da muss etwas Stärkeres<br />
seine Wirkung entfaltet haben.<br />
AM ENDE IN DER OPPOSITION?<br />
Mal ganz nüchtern: Was sich dieser Tage<br />
in den Straßen Berlins darbietet, beleidigt<br />
den Verstand. Dieses Verständnis<br />
von Politik zwischen Allmacht (CDU) und<br />
Ohnmacht (SPD) verstellt jeden Blick darauf,<br />
was wirklich zu tun ist. Man muss<br />
nicht auf Paris oder London verweisen,<br />
man kann auch in Berlin erfahren, wie<br />
Stadtentwicklung verläuft, wenn man<br />
sie den Marktkräften überlässt. Die soziale<br />
Entmischung schreitet fort, schier<br />
ungebremst. Berlin ist zudem die Hauptstadt<br />
der Aufstocker, der Leute, die von<br />
Man kann sie auch am Kiosk kaufen,<br />
nicht die Demokraten, sondern die Lösungen<br />
– für gerade mal 50 Cent. Da<br />
keimt Hoffnung. Besonders dann, wenn<br />
man nach durchzechter Nacht am Morgen<br />
kaum die Augen aufbekommt und<br />
wirklich ein dickes Problem hat. Da ist<br />
man doch erleichtert, wenn der Blick das<br />
Plakat streift und man liest: 100 Probleme<br />
– Frank Henkel.<br />
Aber das heimtückisch-schadenfrohe<br />
Plakat war nur zum Aufwärmen gedacht.<br />
Für die restliche Kampagne hat sich deren<br />
Zentrale offenbar über eine Kiste<br />
»Blauen Würger« aus alten Ost-CDU-Beständen<br />
hergemacht. Weiß auf blauem<br />
Grund heißt es: »Frank Henkel – damit<br />
sich was ändert«. Plakat und Plagiat in einem.<br />
Wer mag, erinnert sich an die Bundestagswahl<br />
2009 und »Grün wählen –<br />
damit sich was ändert«. Und dann wird<br />
gegen Arbeitslosigkeit, Schmutz, Lehrermangel,<br />
Schulden, Mietanstieg, Gewalt<br />
und andere vom rot-roten Senat unmittelbar<br />
verursachten Missstände Front gemacht.<br />
Man fürchtet sich, um die nächste<br />
Ecke zu gehen und mit dem Schriftzug<br />
konfrontiert zu werden: »Henkel<br />
statt Sozialismus«.<br />
Da muss die SPD dagegenhalten. Mit<br />
großflächigen Konterfeis von glücklich<br />
regierten Berlinerinnen und Berlinern<br />
und einem noch glücklicheren Regierenihrem<br />
Job nicht leben können. Wer das<br />
für sexy hält, der ist geistig arm.<br />
Selbstverständlich kann man das internationale<br />
Flair der Stadt bejubeln und<br />
preisen, dass ab 22 Uhr in den <strong>Mitte</strong>-<br />
Lokalen oder im Prenzlauer Berg nur<br />
noch Englisch gesprochen wird. Wenn<br />
aber Partei zur Party schrumpft, dann<br />
stimmt etwas nicht. Auch das S-Bahn-<br />
Desaster hat nachweislich mit Privatisierung<br />
und dem hellen Wahn zu tun, an<br />
der Börse mit der Deutschen Bahn richtig<br />
Geld einzusacken.<br />
Apropos Geld. Die Linke muss nach eigenen<br />
Worten in diesem Jahr an Geldern<br />
sparen und hat offenbar Rotkäppchen-<br />
Sekt und Cuba-Rum rationiert. Anders ist<br />
es nicht zu verstehen, dass sie mit platten<br />
Parolen, die ein bisschen vorgestrig<br />
anmuten, ihre Anhänger mobilisieren<br />
will: »Mieter vor Wild-West schützen«.<br />
Man reibt sich verdutzt die Augen und<br />
fragt sich, wer hier in Berlin seit 2002<br />
mitregiert. Mag sein, dass die Partei wie<br />
die CDU auf alte Frontstadt-Reflexe setzt<br />
und in den bösen Westkapitalisten ihr<br />
Feindbild recycelt. Vorwärts in die Vergangenheit?<br />
»Veränderung beginnt mit<br />
Opposition«, hieß einmal der Slogan der<br />
dunkelroten Genossen, nun, eine solche<br />
taktische Veränderung endet in der Opposition.<br />
Wetten?<br />
Hans Hansen<br />
&<br />
WIRTSCHAFT & MARKT 09/11 19
REPORT<br />
WAHL<br />
EXTRA<br />
KOALITIONSFRAGE OFFEN<br />
Sellering zeigt zwei Gesichter für die<br />
gleiche Aussage. Er lobt die gute Regierungsarbeit<br />
zusammen mit den Christdemokraten,<br />
stellt aber auch dem früheren<br />
Tandem mit der Linken ein passables<br />
Zeugnis aus. In einer Umfrage des Norddeutschen<br />
Rundfunks vier Wochen vor<br />
dem Urnengang lag die SPD mit 34 Prozent<br />
vor der CDU, die auf Sichtweite mit<br />
30 Prozent gehandelt wurde. Die Linken<br />
folgten mit 18 Prozent. Hat diese Relation<br />
am 4. September Bestand, bekommen<br />
die Bürger Mecklenburg-Vorpom-<br />
MECKLENBURG-<br />
VORPOMMERN<br />
Fotos: DPA/ZB, T. Schwandt<br />
Landtagswahl in Mecklenburg-Vorpommern<br />
Regierungschef gibt<br />
den doppelten Sellering<br />
Das Bundesland an der Ostseeküste entwickelt beachtenswerte Dynamik auf dem Weg zu einer<br />
sich selbst tragenden Wirtschaft. Das lähmt den Wahlkampf zwischen Wismar und Wolgast.<br />
partner aussuchen zu können. Weitermachen<br />
mit der CDU, wie in der zurückliegenden<br />
fünfjährigen Legislaturperiode,<br />
oder Neuauflage eines rot-roten<br />
Bündnisses, das bereits von 1998 bis 2006<br />
das nordöstliche Bundesland regiert hat.<br />
Im Wahlkampf hat CDU-Spitzenkandidat<br />
Lorenz Caffier seinen SPD-Kontrahenten,<br />
Ministerpräsident Erwin<br />
Sellering, klar abgehängt. Zumindest auf<br />
dem Plakat. Der Slogan »C wie Zukunft«<br />
neben dem freundlich-seriös lächelnden<br />
Unionspolitiker (C wie Caffier) erregte<br />
bundesweite Aufmerksamkeit unter humorlosen<br />
Orthografen und landesfernen<br />
Lästerfedern in hauptstädtischen Redaktionsstuben.<br />
SPD-Frontmann Sellering schaut dafür<br />
landesväterlich gleich doppelt vom<br />
Plakat auf das Wahlvolk. Der doppelte<br />
Sellering, das hat im Werbefeldzug zu<br />
den Landtagswahlen am 4. September<br />
dieses Jahres in Mecklenburg-Vorpommern<br />
charakterisierende Symbolik.<br />
Denn der sozialdemokratische Ministerpräsident<br />
ist in der komfortablen Lage,<br />
sich bei einem Wahlsieg den Koalitionsmerns<br />
den Sellering. Egal, welchen sie<br />
sich auf dem Wahlplakat ausgucken.<br />
Der CDU wird der Punktsieg im Plakatwettbewerb<br />
wenig behagen. Denn,<br />
der lautlose und blasse Wahlkämpfer<br />
Caffier könnte durchaus Kalkül sein. Die<br />
Sozialdemokraten auf der Zielgeraden<br />
noch knapp zu überholen, würde die Koalitionsfrage<br />
bereits am Wahlabend entscheiden.<br />
Da die FDP mit drei (Umfrage)<br />
Prozent an den außerparlamentarischen<br />
Katzentisch verwiesen werden wird und<br />
die Grünen mit acht Prozent auch rein<br />
rechnerisch als Partner keine Option<br />
sein werden, wäre Rot-Rot vorprogrammiert,<br />
landeten die siegreichen Christdemokraten<br />
auf der Oppositionsbank. Diese<br />
Zukunft mit C haben die Wahlstrategen<br />
der Union sicherlich nicht gemeint.<br />
Da Linke-Spitzenkandidat Helmut<br />
Holter, querab aller bundespolitischer<br />
20 WIRTSCHAFT & MARKT 09/11
REPORT<br />
Debatten und Vorbehalte seiner Partei zu<br />
Regierungsbeteiligungen, keinen Hehl<br />
daraus macht, künftig am Kabinettstisch<br />
sitzen zu wollen, läuft das Landtagswahlrennen<br />
im Nordosten seit Wochen als<br />
Buhler-Wettstreit um Sellerings Gunst.<br />
Der sagt, er werde den Partner bevorzugen,<br />
»mit dem wir mehr sozialdemokratische<br />
Inhalte umsetzen können«.<br />
ARBEITSMARKT STABIL<br />
In der arbeitsmarktpolitischen Entwicklung<br />
bescheinigt eine aktuelle Studie der<br />
Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft<br />
(INSM) dem Land Mecklenburg-Vorpommern<br />
eine beachtenswerte Dynamik. Im<br />
Vergleich aller 16 Bundesländer kam der<br />
Nordosten auf Platz drei ein. Nirgends<br />
sank die Arbeitslosenquote in den<br />
zurückliegenden vier Jahren so stark wie<br />
zwischen Wismar und Wolgast. Das ist<br />
umso bemerkenswerter, weil unter Ägide<br />
der großen Koalition in der schweren Krise<br />
2008/09 ein Desaster auf dem Arbeitsmarkt<br />
ausgeblieben ist. Zwar verloren<br />
1.200 Schiffbauer der insolventen Wadan-Werften<br />
ihre Jobs, doch unter maßgeblicher<br />
Regie des vom CDU-Politiker<br />
Jürgen Seidel geführten Wirtschaftsministeriums<br />
und der Agentur für Arbeit<br />
wurde einem Großteil der Betroffenen<br />
unbürokratische Hilfe zuteil. In der<br />
mittelständischen maritimen Zuliefererindustrie<br />
konnte der Flurschaden ebenfalls<br />
begrenzt werden. Auch weil die rotschwarze<br />
Landesregierung zügig den Fokus<br />
auf die sich abzeichnenden neuen<br />
Chancen im Bereich der erneuerbaren<br />
Energien, allen voran der Offshore Windenergie,<br />
richtete. Sellering wird nicht<br />
müde, dies als größte Wachstumschance<br />
SCHWERINER SCHLOSS Wahrzeichen und<br />
Machtzentrum in Mecklenburg-Vorpommern<br />
für den Nordosten zu apostrophieren. Da<br />
weiß er sich eins mit Wirtschaftsminister<br />
Seidel. So viel Einigkeit gab es nicht<br />
immer. Bei den inzwischen versenkten<br />
Plänen zum Bau eines Steinkohlekraftwerks<br />
im vorpommerschen Lubmin fuhren<br />
Ministerpräsident und Wirtschaftsminister<br />
einen gegensätzlichen Kurs.<br />
Arbeitsplätze schaffen, das Ziel ist parteiübergreifender<br />
Konsens. Die Linke<br />
möchte zum öffentlich geförderten Beschäftigungssektor<br />
zurück, hier 1.500<br />
Jobs schaffen. Der Sockel von schwer zu<br />
vermittelnden Langzeitarbeitslosen unter<br />
den 100.000 Erwerbslosen in Mecklenburg-Vorpommern<br />
ist hoch und fest. Die<br />
CDU erwägt, mit einer Bildungsoffensive<br />
die Langzeitarbeitlosen fit zu machen<br />
für den ersten Arbeitsmarkt. Auch, um<br />
dem Fachkräftemangel in der Wirtschaft<br />
zu begegnen. Über den Bildungsweg gehen<br />
auch die Grünen. Deren Spitzenmann<br />
Jürgen Suhr sieht in der hohen<br />
Schulabbrecherquote von 14 Prozent ein<br />
nicht zu akzeptierendes Defizit.<br />
Suhr fordert zudem mehr Geld für die<br />
Wissenschaft, deren Forschungsleistung<br />
aber »gezielter auf die Bedarfe in der<br />
Wirtschaft« ausgerichtet werden müsse.<br />
Hier stehe Mecklenburg-Vorpommern im<br />
Wettbewerb mit den anderen Bundesländern.<br />
Die FDP plädiert dafür, die Kernkompetenzen<br />
an den zwei Universitäten<br />
und den Hochschulen im Land zu schärfen<br />
und herauszustellen. Wissenschaft<br />
und Wirtschaft sieht Ministerpräsident<br />
Sellering »verzahnt genug«. Es gelte, so<br />
weiter zu machen. Aber, warnt er, das<br />
Land sei nicht in der Lage, bei der Finanzierung<br />
der Hochschullandschaft »jährlich<br />
fünf Prozent oben drauf zu packen«.<br />
SCHULDENBREMSE FEST<br />
Sellering will Mecklenburg-Vorpommern,<br />
das seit 2006 ohne Neuverschuldung<br />
auskommt, auch in Zukunft ohne<br />
neue Schulden regieren. Im Landtag ließ<br />
er die Schuldenbremse verfassungsrechtlich<br />
zementieren. Für ihn wie für seinen<br />
bisherigen Koalitionspartner ist dies eine<br />
Voraussetzung, um bis 2020 Mecklenburg-Vorpommern<br />
in die Lage zu versetzen,<br />
sich wirtschaftlich selbst zu tragen.<br />
Die Linken verweigerten dem Ministerpräsidenten<br />
im Landesparlament die<br />
Gefolgschaft. Die Schuldenfrage könnte<br />
zum Zünglein an der Waage werden, für<br />
welche Koalition sich Sellering entscheidet.<br />
An der Schuldenbremse gibt es für<br />
ihn kein Rütteln. Dass an diesem haushaltspolitischen<br />
Pfeiler Rot-Rot scheitern<br />
wird, ist damit aber nicht gesagt. Holter,<br />
Fraktionschef der Linken im Landtag,<br />
war im Plakatwald wochenlang nicht zu<br />
sichten. Auch eine Ansage – alles offen.<br />
Thomas Schwandt<br />
Hand aufs Herz<br />
FAKTEN<br />
Drei Fragen an die Spitzenkandidaten von CDU und Die Linke<br />
1. Welche (Wunsch-)Koalition regiert MV nach dem 4. September?<br />
Lorenz Caffier: Ich hoffe auf eine CDU-geführte Regierung. Da die Linken<br />
und die NPD als Partner entfallen, gibt es keine übermäßig großen Optionen.<br />
Helmut Holter: Klare Antwort, eine rot-rote Koalition.<br />
2. Welches Amt streben Sie an, wenn es mit dem des Ministerpräsidenten<br />
nicht klappt?<br />
Lorenz Caffier: Damit habe ich mich noch nicht beschäftigt.<br />
Helmut Holter: Als Minister für Wirtschaft und Arbeit hätte ich ein reizvolles<br />
Gestaltungsfeld.<br />
3. Was hat Ihre Partei nicht, was die SPD in der Wählergunst vorn liegen lässt?<br />
Lorenz Caffier: Den Ministerpräsidenten. Das ist ein Riesenproblem in einer<br />
funktionierenden großen Koalition. Die Fachminister sind für die Abteilung<br />
Probleme zuständig, der Chef ist zuständig für die Abteilung Sonnenschein.<br />
Helmut Holter: Wir haben nicht den Ministerpräsidenten.<br />
Umfrageergebnis<br />
vom 4. August 2011<br />
von Infratest-Dimap im Auftrag des NDR<br />
Prozent<br />
40<br />
30<br />
20<br />
10<br />
0<br />
SPD CDU Linke Grüne FDP NPD<br />
WIRTSCHAFT & MARKT 09/11 21
REPORT<br />
Lorenz Caffier, Innenminister Mecklenburg-Vorpommerns und Landesvorsitzender<br />
der CDU, über schlagkräftige Verwaltungen und Freiräume für die Wirtschaft<br />
Kein »Schotten dicht« in Europa<br />
W&M: Die CDU wirbt »Wirtschaft wächst, wo<br />
man sie lässt«. Wo will die CDU in Mecklenburg-Vorpommern<br />
die Wirtschaft lassen?<br />
CAFFIER: Trotz guter Vorsätze ist es<br />
nicht gelungen, Normen und Vorschriften,<br />
ob vom Land oder Bund, wesentlich<br />
zu reduzieren und zu vereinfachen. Der<br />
Abbau von Bürokratie muss energischer<br />
vorangetrieben werden. Ein neues Gesetz<br />
zieht in der Regel zehn neue Vorschriften<br />
nach sich. Da kommt selbst der kleine<br />
Handwerksbetrieb nicht umhin, einen<br />
Sachbearbeiter anzustellen, der<br />
nichts anderes macht, als Statistiken und<br />
Formulare zu bearbeiten. Entlastend ist<br />
es schon, wenn die vorhandenen Freiräume<br />
im Rahmen der Gesetze für die Wirtschaft<br />
besser genutzt werden.<br />
W&M: Was heißt das konkret?<br />
CAFFIER: Bürokratie abzubauen ist in<br />
Deutschland ein schwieriges Unterfangen.<br />
Mit der wachsenden Machtfülle der<br />
Europäischen Union wird es noch komplizierter.<br />
Umso wichtiger ist es, dass die<br />
öffentliche Hand, auch ich als Minister,<br />
ein Stück mehr Risiko eingehen. Wenn es<br />
zum Beispiel darum geht, die Freiräume,<br />
die jedem Gesetz innewohnen, im Sinne<br />
der Wirtschaft zu interpretieren. Nur die<br />
schwarzen Buchstaben lesen, das wirkt<br />
wirtschaftshemmend.<br />
W&M: Als Innenminister haben Sie mit der<br />
Kreisgebietsreform ein umstrittenes Thema<br />
angefasst. Ist diese Reform geeignet, den<br />
Bürokratieabbau voranzutreiben?<br />
CAFFIER: In Mecklenburg-Vorpommern<br />
treten bestimmte Probleme fünf bis zehn<br />
Jahre früher zutage als in anderen Ländern,<br />
etwa der Bevölkerungsrückgang.<br />
Diesen kann der öffentliche Dienst nicht<br />
ignorieren. Größere Einheiten auf Kreisebene<br />
sind notwendig, um betriebs- und<br />
wirtschaftsfähige Kommunalstrukturen<br />
zu erhalten. Das ist eine gute Chance, die<br />
Verwaltungen effektiver aufzustellen,<br />
ihre Schlagkraft zu erhöhen.<br />
W&M: Alle demokratischen Parteien wollen<br />
die Arbeitslosigkeit weiter verringern. Es gibt<br />
inzwischen sogar viele freie Stellen. Auf der<br />
anderen Seite werden Fachkräfte gesucht. Die<br />
CDU hat sich auf die Fahne geschrieben, Langzeitarbeitslose<br />
für den ersten Arbeitsmarkt fit<br />
zu machen. Was bestärkt Sie, darin die Lösung<br />
des Problems zu sehen?<br />
CAFFIER: Das Problem ist nicht schwarzweiß<br />
zu betrachten. Es hat viele Facetten.<br />
Eine ist die viel zu hohe Schulabbrecher-<br />
Quote von 14 Prozent im Land. Hier muss<br />
aktiv was getan werden. Das ist eine gesamtgesellschaftliche<br />
Aufgabe, nicht nur<br />
eine der Politik. In den letzten fünf Jahren<br />
haben wir auf die Schaffung von Jobs<br />
auf dem ersten Arbeitsmarkt gesetzt,<br />
und nicht wie die rot-rote Koalition zuvor<br />
auf den öffentlichen Beschäftigungssektor.<br />
Unser Kurs hat sich ausgezahlt,<br />
weil so mehr sozialversicherungspflichtige<br />
Arbeitsplätze entstanden sind. Für<br />
Langzeitarbeitlose planen wir ab 2014<br />
eine Bildungsoffensive. Da etliche dieser<br />
Menschen auch künftig schwer vermittelbar<br />
sein werden, wollen wir für sie die<br />
Möglichkeit zur Bürgerarbeit vorhalten.<br />
»Im Tourismus werden<br />
Jahresgehälter<br />
von durchschnittlich<br />
12.500 EURO<br />
brutto gezahlt.«<br />
W&M: Damit wird aber der wachsende Fachkräftemangel<br />
nicht behoben.<br />
CAFFIER: Um genügend Fachkräfte zu<br />
haben, werden wir in anderen Ländern<br />
werben müssen. In allen Facetten. Ein<br />
gutes Beispiel sind die Lehrer. Ich war immer<br />
gegen die Verbeamtung. Aber heute<br />
steht die Frage nicht mehr, ob junge Lehrer<br />
verbeamtet werden oder nicht. Inzwischen<br />
geht es darum, ob ich Lehrer bekomme<br />
oder nicht.<br />
W&M: Sie sind für Verbeamtung der Lehrer?<br />
CAFFIER: Für Neulehrer ja. Das steht in<br />
unserem Wahlprogramm. Die Union<br />
muss sich auch in der Frage einer gesteuerten<br />
Zuwanderung öffnen. Wir hatten<br />
2008 im Land 20.800 Schulabgänger, aktuell<br />
sind es noch 10.500. Dafür drängen<br />
aus dem Osten junge qualifizierte Menschen<br />
zu uns, die in einer Kulturlandschaft<br />
aufgewachsen sind, die unserer<br />
ähnelt. Wir können uns mitten in Europa<br />
nicht abschotten. Sonst ist das Problem<br />
der Alterspyramide nicht zu lösen.<br />
W&M: Im jüngsten Ranking der Bundesländer<br />
wird MV eine starke Dynamik bescheinigt<br />
beim Abbau der Erwerbslosigkeit. Trotzdem<br />
verlassen weiterhin viele junge Leute das<br />
Land. Was läuft da schief in der Wirtschaft?<br />
CAFFIER: Zunächst, der Abwanderungstrend<br />
ist ein bisschen gebrochen. 2010<br />
hatten wir im Saldo ein verringertes<br />
Minus von 3.300 jungen Menschen. Was<br />
läuft schief? Nehmen Sie den Tourismus,<br />
eine der Kernwirtschaftsbranchen im<br />
Land. Dort werden Jahresgehälter von<br />
durchschnittlich 12.500 Euro brutto gezahlt.<br />
Da ist man versucht zu fragen,<br />
warum die Leute überhaupt noch arbeiten<br />
gehen. Gutes Personal ist nur zu halten,<br />
wenn es gut bezahlt wird, sonst wandert<br />
es ab. Das ist ein dickes Problem für<br />
ein Land, das strukturell sehr von Tourismus<br />
und Landwirtschaft geprägt ist.<br />
W&M: Kann unter diesen Umständen die<br />
Wirtschaft das selbst regeln?<br />
CAFFIER: Die Politik jedenfalls kann es<br />
nicht regeln, das ist nicht ihre Aufgabe.<br />
Ich kann nur alle Beteiligten auffordern,<br />
die Gewerkschaften und Arbeitgeberverbände<br />
zu stärken, um auf dieser Basis akzeptable<br />
Tarife auszuhandeln. Die Politik<br />
sollte da nicht mit einem Mindestlohn<br />
eingreifen. Zehn oder zwölf Euro, in diesem<br />
Wettbewerb der Überbietung wird<br />
vergessen, dass die Politik die Mindestlöhne<br />
nicht erwirtschaften muss.<br />
W&M: Im Wahlprogramm plädiert Ihre Partei<br />
für mehr industrielle Wertschöpfung und<br />
Innovation, bleibt aber unkonkret. Nur auf<br />
Gesundheitswirtschaft und Tourismus wird<br />
näher eingegangen. Worauf setzen Sie noch?<br />
CAFFIER: Zu verbessern ist die Veredlung<br />
landwirtschaftlicher Produkte. Es kann<br />
nicht sein, dass Mecklenburg-Vorpommern<br />
als Agrarland in der Fleischproduktion<br />
seinen Eigenbedarf nicht absichern<br />
kann. Auch muss es gelingen, an den<br />
zwei Universitäten und den Fachhochschulen<br />
Wissenschaft und Wirtschaft enger<br />
zu verknüpfen. Wir benötigen mehr<br />
kleinere Firmen, wo Jobs entstehen. Die<br />
➔ Fortsetzung auf Seite 24<br />
22 WIRTSCHAFT & MARKT 09/11
Helmut Holter, Linke-Fraktionschef im Landtag Mecklenburg-<br />
Vorpommern, zu politischer Kultur und öffentlich bezahlten Jobs<br />
Das Land wird nur verwaltet<br />
WAHL<br />
EXTRA<br />
staltet werden. Die Regierung verlangt<br />
den Kommunen viel ab, hält sich selbst<br />
aber zurück. Dabei war lange versprochen<br />
worden, das Kabinett und die Landesverwaltung<br />
zu verkleinern.<br />
W&M: Da sagt Sellering, wir haben ein Viertel<br />
der öffentlichen Stellen abgebaut.<br />
HOLTER: Ich meine nicht Stellenabbau,<br />
sondern eine echte Funktionalreform, in<br />
der in Einheit mit einer Kreisgebietsreform<br />
viele Aufgaben des Landes auf Kreise<br />
und Kommunen übertragen werden.<br />
W&M: In der Arbeitsmarktpolitik verfolgen<br />
die Parteien das gleiche Ziel, aber sehr unterschiedliche<br />
Wege dahin. Die Linke plädiert für<br />
einen öffentlich finanzierten Beschäftigungs-<br />
MECKLENBURG-<br />
VORPOMMERN<br />
W&M: Ministerpräsident Sellering von der<br />
SPD sagt, er werde mit dem Partner koalieren,<br />
mit dem die meisten sozialdemokratischen<br />
Themen umgesetzt werden können. Bei welchen<br />
Themen wäre Die Linke mit im Boot?<br />
HOLTER: Was Sellering für seine Partei<br />
sagt, gilt auch für Die Linke. Wir streben<br />
in einer rot-roten Koalition an, ein Maximum<br />
an linker Politik zu verwirklichen.<br />
In den Wahlprogrammen von SPD und<br />
Linke gibt es zahlreiche Schnittmengen.<br />
In der Wirtschaftspolitik wollen die Sozialdemokraten,<br />
ähnlich wie wir, stärker<br />
auf zinsgünstige Darlehen, weniger auf<br />
Zuschüsse für innovative Betriebe setzen.<br />
Das ist ein Schritt, um den von uns angestrebten<br />
sozial-ökologischen Umbau der<br />
Gesellschaft praktisch zu untermauern.<br />
Ein anderes großes Thema eint alle Parteien,<br />
die Energiewende.<br />
W&M: Wo hören die Gemeinsamkeiten auf?<br />
HOLTER: Die SPD will die Partei der <strong>Mitte</strong><br />
sein und meint neuerdings, ihre Politik<br />
ausschließlich auf den ersten Arbeitsmarkt<br />
ausrichten zu müssen. Dagegen<br />
wollen wir, wie schon unter Rot-Rot, eine<br />
Gleichwertigkeit von wirtschafts- und beschäftigungspolitischen<br />
Maßnahmen,<br />
Stichwort öffentlich geförderter Beschäftigungssektor.<br />
Es sind viele Aufgaben zu<br />
erledigen im sozialen, kulturellen, ökologischen<br />
und Jugendbereich. Da wird<br />
kein Gewinn erwirtschaftet, sie sind aber<br />
gesellschaftlich unerlässlich. Das Ehrenamt<br />
allein kann dies nicht leisten. Das<br />
blendet die SPD völlig aus.<br />
W&M: Beim Abbau von Arbeitslosigkeit hat<br />
MV eine hohe Dynamik hingelegt, die Wirtschaft<br />
schaufelt mehr Steuereinnahmen in die<br />
Kassen der Kommunen. Sie aber betonen, das<br />
Land brauche einen Politikwechsel. Warum?<br />
HOLTER: Ein Politikwechsel ist notwendig,<br />
weil Kommunalvertreter, Lehrer und<br />
Unternehmer zunehmend darüber klagen,<br />
dass es keinen Dialog mehr gibt,<br />
dass das Land nur verwaltet wird. Das gemeinsame<br />
Finden von Lösungen für aktuelle<br />
Probleme bleibt im Hintergrund.<br />
Auch sind keine klaren Leitlinien zu sehen.<br />
Beim gescheiterten Bau eines Steinkohlekraftwerks<br />
in Lubmin hat die SPD<br />
zunächst auf Rechtsstaatlichkeit gepocht<br />
und das Projekt befürwortet. Letztlich<br />
war sie politisch dagegen und hat die erneuerbaren<br />
Energien entdeckt. Es gibt<br />
eine große Beliebigkeit und Unverbindlichkeit<br />
in der Regierung Sellering.<br />
W&M: Wo würden Sie klare Kante zeigen?<br />
HOLTER: Es geht um die Art und Weise<br />
von Politik, um Verlässlichkeit und Gestalten.<br />
Zum Beispiel ist es an der Zeit,<br />
sich von der bisher praktizierten einzelbetrieblichen<br />
Förderung bei Ansiedlung<br />
und Erweiterung zu trennen. Priorität<br />
muss ab sofort haben, etwas Eigenes im<br />
Land zu kreieren, Innovationen für neue<br />
Produkte und Technologien. Auch ist der<br />
Netzwerke-Dschungel zu lichten. Es ist<br />
kaum noch zu überblicken, wofür welches<br />
Netzwerk da ist. Einen Politikwechsel<br />
muss es auch in Bezug auf die Kommunen<br />
geben. Diese müssen entlastet,<br />
der kommunale Finanzausgleich neu ge-<br />
»Die Linke kann<br />
auch nicht<br />
MEHR GELD<br />
ausgeben,<br />
als in der Kasse ist.«<br />
sektor, will auf diese Weise 1.500 Jobs schaffen.<br />
Wie soll das bezahlt werden?<br />
HOLTER: Rot-Rot hat mit solider Haushaltsführung<br />
die Voraussetzungen geschaffen,<br />
dass das Land seit 2006 ohne<br />
Kreditneuaufnahme auskommt. Hier ist<br />
auch der Ansatz, um mehr Geld für Kommunen,<br />
Bildung und öffentlich geförderte<br />
Beschäftigung bereitzustellen. Mit politischem<br />
Willen sind haushaltspolitisch<br />
Reserven zu finden. Zum Beispiel ist zu<br />
prüfen, ob noch alles, was bisher gefördert<br />
wurde, so aufrecht gehalten werden<br />
kann. Wenn die SPD behauptet, die Linke<br />
wolle ihre Schlüsselprojekte mit neuen<br />
Schulden bezahlen, halte ich dagegen,<br />
die Linke kann auch nicht mehr Geld<br />
ausgeben, als in der Kasse ist.<br />
W&M: Wie kann mehr Geld in die Kassen<br />
kommen?<br />
HOLTER: Der landespolitische Spielraum<br />
für mehr Einnahmen ist gering. Die Linke<br />
fordert daher auf Bundesebene eine<br />
generelle Steuerreform. Kleine und mittlere<br />
Einkommen müssen steuerlich entlastet,<br />
Spitzenverdiener stärker belastet<br />
werden. Wir fordern zudem die Wiedereinführung<br />
der Vermögensteuer.<br />
W&M: Was aber kann Mecklenburg-Vorpommern<br />
selbst unternehmen?<br />
HOLTER: Um die wirtschaftliche Basis im<br />
Land zu stärken, gilt es, mit innovativen<br />
Produkten auf internationalen Märkten<br />
zu punkten und die Wertschöpfung im<br />
Land zu vertiefen. Dazu ist in wissenschaftliche<br />
Kapazitäten zu investieren,<br />
etwa in die Gründung eines Instituts für<br />
maritime Wirtschaft. Wachstumschancen<br />
bieten sich auch in Osteuropa und<br />
vor allem in Russland. Hier gibt es einen<br />
riesigen Nachholbedarf in der kommunalen<br />
Infrastruktur, bei Umwelttechnologien<br />
und in der Landwirtschaft. Dies<br />
eröffnet Firmen aus unserem Land neue<br />
Perspektiven. Umgekehrt sollte nichts<br />
unterlassen werden, um kapitalkräftige<br />
russische Investoren für Mecklenburg-<br />
Vorpommern zu interessieren.<br />
W&M: MV wurde Investoren bisher gern als<br />
Niedriglohnland empfohlen. Ist dies im Fachkräftemangel<br />
nicht kontraproduktiv?<br />
HOLTER: Wären niedrige Löhne ein zugkräftiges<br />
Argument, müssten Investoren<br />
im Land Schlange stehen. Gute Entlohnung<br />
ist der entscheidende Hebel, um<br />
Fachpersonal zu kriegen oder zu halten.<br />
➔ Fortsetzung auf Seite 24<br />
WIRTSCHAFT & MARKT 09/11 23
10 JAHRE FÖRDERPROGRAMM „INNOVATIVE REGIONALE WACHSTUMSKERNE“<br />
Durch Wachstum zum Erfolg<br />
Seit 2001 entstehen überall in den Neuen Ländern „Innovative regionale<br />
Wachstumskerne“. Die regionalen unternehmerischen Bündnisse gehen<br />
neue Wege und haben erstaunliche Erfolge. Das hat auch mit Kaffeerösten<br />
und Heimtextilien aus „Plauener Spitze“ zu tun.<br />
Zum zehnten Geburtstag ist der Blick zurück erlaubt, ausnahmsweise. Es ist eine ungewöhnliche<br />
Perspektive auf ein Förderprogramm, das für die Zukunft der ostdeutschen<br />
Regionen steht wie kein zweites. Innovative regionale Wachstumskerne sind<br />
Zukunfts modelle, weil sie auf Kooperation, unternehmerisches Denken und spezifische<br />
regionale Stärken setzen.<br />
DEUTSCHE SPITZE<br />
Schon über 150 Jahre lang werden im Vogtland Heimtextilien maschinell bestickt, die<br />
Marke „Plauener Spitze“ ist weltbekannt. Seit 2007 nutzen Unternehmen, Forschungsund<br />
Bildungseinrichtungen der Region ihre technologische Kompetenz gemeinsam.<br />
Im Wachstumskern „highSTICK“ entwickeln sie Stickereitechnologie für Zukunftsmärkte<br />
– von der gestickten Fußboden heizung über Sticksensoren für medizinische<br />
Bandagen bis hin zu Verstärkungsstrukturen für Hohlgussbauteile.<br />
INTERNATIONALER WIRBEL<br />
Der Magdeburger Wachstumskern „WIGRATEC“ konzentriert sich indes auf das Wirbelschicht-Verfahren.<br />
Die bereits 1975 in Magdeburg für Kaffeeröstereien entwickelte<br />
Technologie verwandelt flüssige Ausgangsstoffe in feste Granulate. Mit vielfäl tigen<br />
Einsatzmöglichkeiten in der Landwirtschaft, Ernährungswirtschaft oder Pharmazie<br />
sorgt WIGRATEC heute inter national für Wirbel.<br />
BEWERBEN SIE SICH JETZT!<br />
Das Förderprogramm „Innovative<br />
regionale Wachstumkerne“ ist<br />
themenoffen, eine Bewerbung<br />
jederzeit möglich.<br />
Informieren Sie sich unter<br />
www.unternehmen-region.de<br />
oder nehmen Sie Kontakt auf mit:<br />
Projektträger Jülich – PTJ<br />
„Fördermanagement<br />
Unternehmen Region“<br />
Zimmerstr. 26–27, 10969 Berlin<br />
Tel. (0 30) 2 01 99-4 82<br />
E-Mail: wachstumskerne@<br />
unternehmen-region.de<br />
ZWEI AUS 41<br />
WIGRATEC und highSTICK sind nur zwei Beispiele<br />
für erfolg reiche Wachstumskerne, zwei<br />
von bisher 41 Allianzen regionaler Unternehmer<br />
und Wissenschaftler aus den verschiedensten<br />
Fachgebieten. Sie alle gehen neue Wege,<br />
haben für ihr Bündnis eine Vision, eine Strategie,<br />
Kunden und Wettbewerber von Anfang an im<br />
Blick, bringen ihre Region voran. Und sie alle<br />
haben sich für ein außergewöhnliches Förderprogramm<br />
entschieden.<br />
EIN FÜNFTEL MEHR UMSATZ UND ARBEITSPLÄTZE<br />
Das Programm Innovative regionale Wachstumskerne<br />
aus der Familie „Unternehmen Region“ stellt hohe Ansprüche<br />
an die Bewerber – und an sich selbst. Deshalb beinhaltet die Förderung unterschiedlichste<br />
Beratungsangebote und Workshops zu Themen wie Management,<br />
Organisation oder Finanzierung. Die Auszeichnung als Wachstums kern ist aber auch<br />
lukrativ: Zwischen dem Programm start 2001 und dem Jahr 2014 investiert das BMBF<br />
Fördergelder in Höhe von 243 Millionen Euro in 843 Projekte. Die Zwischen bilanz spricht<br />
für sich: rund ein Fünftel mehr Umsatz und Arbeitsplätze sowie über 200 Patente.<br />
DAS WACHSTUMSKERNE-PROGRAMM<br />
IST NICHT DAS RICHTIGE FÜR SIE?<br />
Mehr Informationen über die<br />
Programm familie Unter neh men<br />
Region, darunter auch das Programm<br />
„Wachstums kerne Poten zial“, finden<br />
Sie ebenfalls unter<br />
www.unternehmen-region.de<br />
Nun muss der Blick aber wieder nach vorne gehen, hin zu neuen Bewerbern mit neuen<br />
Ideen. In den ostdeutschen Regionen schlummert zu viel ungenutztes Potenzial. Wecken<br />
wir es! Denn Zukunft heißt: Erfolg durch Wachstum.
SPECIAL<br />
IAA Frankfurt 2011<br />
Zukunft<br />
serienmäßig<br />
Die Autoindustrie boomt wie selten zuvor. Die Internationale<br />
Automobilausstellung <strong>Mitte</strong> September in der Mainmetropole<br />
wird zum Spiegelbild dieses Aufschwungs. Mehr Aussteller,<br />
mehr Besucher, mehr Innovationen. W&M-Mitarbeiter Hans-<br />
Jürgen Götz hat sich vorab einen Messeüberblick verschafft.<br />
Die Internationale Automobilausstellung<br />
IAA in Frankfurt geht in<br />
die 64. Neuauflage ihrer beeindruckenden<br />
Geschichte. Vom 15. bis 25.<br />
September präsentiert die Branche rund<br />
um die vier Räder ihre Produktneuheiten<br />
und Services in den Messehallen der<br />
Mainstadt. Erwartet werden an die 900<br />
Aussteller. Unter dem diesjährigen Motto<br />
»Zukunft serienmäßig« zeigen Hersteller<br />
und Zulieferer verstärkt neue Technologien<br />
und Lösungen für eine klimaneutrale<br />
Mobilität. Neben alternativen Antriebskonzepten<br />
gehören neue Personenwagen,<br />
Tuning und Sonderfahrzeuge<br />
sowie Pkw-Anhänger, Zubehör und Telematik<br />
ebenso zu den Messe-Schwerpunkten<br />
wie auch Concept Cars, die Visionen<br />
der Mobilität von morgen aufzeigen.<br />
Hinzu kommen einschlägige Anbieter<br />
von Car Hi-Fi-Produkten, Oldtimern,<br />
Werkstatt- und Garagenausrüstungen.<br />
GESCHÄFTSWAGEN<br />
Kombitrend ungebrochen<br />
Mit dem Auftauchen geräumiger Vans und SUV auf dem Markt<br />
schien das Schicksal der klassischen Geschäftswagen in der<br />
Kombiversion besiegelt. Doch weit gefehlt. Kombis mit großem<br />
Gepäckabteil erfreuen sich im gewerblichen Bereich weiter<br />
einer großen Nachfrage. Die Angebotspalette reicht bis in den<br />
Premiumsektor hinein. W&M stellt einige Modelle vor.<br />
Edles Raumschiff:<br />
Audi A6 Avant<br />
Einer, der zum erlauchten Premiumkreis<br />
gehört, ist der neue Audi A6 Avant. Der Ingolstädter<br />
Edellaster ist wie die Limousine<br />
leichter und sparsamer geworden. Um<br />
bis zu 70 Kilogramm haben die Techniker<br />
den Avant gegenüber dem Vorgänger abgespeckt<br />
und damit entscheidende Wege<br />
aufgezeigt, um den Verbrauch zu senken.<br />
Mit glatten fünf Litern Durchschnittsverbrauch<br />
und CO 2 -Emissionen von 132<br />
Gramm je Kilometer ist der 2.0 TDI eine<br />
Option auch für Menschen, die beim<br />
Dienstwagen eine Verbrauchsobergrenze<br />
beachten müssen. Zum Marktstart sind<br />
zunächst zwei Benziner und drei Diesel-<br />
Aggregate im Angebot. Das Leistungsspektrum<br />
reicht von 177 PS bis 245 PS.<br />
Der Top-Motor, ein Dreiliter-Diesel mit<br />
313 PS und 650 Newtonmetern Drehmoment<br />
kommt etwas später. Ebenso ein<br />
Vierzylinder-Benziner mit 180 PS. Für Kunden,<br />
die lieber schalten lassen, bietet Audi<br />
gleich drei Getriebe zur Wahl: die stufen-<br />
lose Multitronic für Frontantriebsmodelle,<br />
das Doppelkupplungsgetriebe 7-Gang-<br />
S-tronic für Quattro-Fahrzeuge und den<br />
Achtstufen-Wandlerautomaten für den<br />
Top-Diesel.<br />
Trotz gleicher Außenlänge von 4,93 Metern<br />
bietet der neue Kombi gegenüber<br />
dem Vorgänger mehr Platz für Passagiere<br />
und Gepäck. Der Radstand wuchs um<br />
sieben Zentimeter auf 2,91 Meter. Die<br />
besseren Platzverhältnisse kommen vor<br />
EDELLASTER: Audi A6<br />
allem den Mitfahrern im Fond zugute, die<br />
Staumöglichkeiten für das Gepäck sind<br />
beim Maximalwert ordentlich gewachsen.<br />
Wie sein Vorgänger kann der Kombi mindestens<br />
565 Liter einladen, das größtmögliche<br />
Stauvolumen mit umgeklappter<br />
Rückbank liegt bei 1.680 Litern. Das sind<br />
40 mehr als bislang.<br />
Als Businesslaster verfügt der Avant über<br />
einen WLAN-Hotspot, mit dem sich eine<br />
Internet-Verbindung für Handys und Notebooks<br />
herstellen lässt. Das ist aber nur<br />
eine Teilfunktion des neuen Navigationssystems.<br />
Es überzeugt vor allem durch<br />
die Online-Einbindung von Google-Verkehrsdaten<br />
und Google-Earth-Bildern in die<br />
Routenplanung und -führung. Dadurch wird<br />
die Navigation schneller und die Orientierung<br />
fällt leichter, weil man Display und<br />
Umgebung direkt vergleichen kann.<br />
Leistungsstarker Bayer:<br />
BMW 530d Touring<br />
Dieser Bayer ist ein echter Verführer. Kombi-Kultur<br />
pur mit einem 245 PS starken<br />
Sechszylinder unter der Haube. Die Funktio-<br />
26 WIRTSCHAFT & MARKT 09/11
SPECIAL<br />
Ein Schwerpunkt wird das derzeit in<br />
der Öffentlichkeit breit diskutierte Thema<br />
»Elektromobilität« sein.<br />
Während die IAA 2009 unter dem Eindruck<br />
der Wirtschaftskrise veranstaltet<br />
wurde, stehen die Vorzeichen in diesem<br />
Jahr für die Messe auf Wachstum und Besucherrekorde.<br />
Die derzeit glänzenden<br />
Geschäftszahlen der Automobilbranche,<br />
vor allem auf dem asiatischen und amerikanischen<br />
Markt erlauben diese Perspektive.<br />
Hersteller aus den USA und aus<br />
Asien, die vor zwei Jahren krisenbedingt<br />
nicht dabei waren, haben ihre Beteiligung<br />
angekündigt. Zu den »prominenten<br />
Rückkehrern« gehören Honda, Mitsubishi<br />
und Isuzu aus Japan, Chevrolet und<br />
Cadillac aus den USA sowie SsangYong<br />
aus Südkorea.<br />
Die Halbzeitbilanz des Automobiljahres<br />
2011 könnte besser kaum sein. Die<br />
Pkw-Neuzulassungen kletterten im ers-<br />
INFORMATIONEN<br />
Mekka der Mobilisten<br />
Veranstalter:<br />
Verband der Automobilindustrie<br />
e.V. (VDA)<br />
Fachbesuchertage:<br />
Donnerstag, 15. September,<br />
und Freitag, 16. September 2011<br />
Besuchertage:<br />
17. bis 25. September 2011<br />
Öffnungszeiten:<br />
täglich 9 bis 19 Uhr<br />
Preise:<br />
Fachbesuchertag: 45 Euro<br />
Publikumstag: 13 Euro,<br />
Wochenende: 15 Euro<br />
Weitere Informationen:<br />
www.iaa.de<br />
ten Halbjahr um zehn Prozent auf 1,6<br />
Millionen Fahrzeuge. Die Automobilkonjunktur<br />
zeigt sich auch an den rund<br />
13.000 neuen Mitarbeitern in dieser<br />
Schlüsselindustrie. Auch für das zweite<br />
Halbjahr ist der Verband der Automobilindustrie<br />
(VDA) voller Zuversicht: »Die<br />
Auftragsbücher sind gut gefüllt und wir<br />
sind weiter auf Wachstumskurs. Für das<br />
Gesamtjahr erwarten wir neue Höchststände<br />
beim Pkw-Export und der Produktion.<br />
Auf dem Inlandsmarkt rechnen wir<br />
mit über 3,1 Millionen Pkw-Neuzulassungen«,<br />
so VDA-Präsident Matthias Wissmann.<br />
Für 2011 rechnet der Branchenverband<br />
mit der Produktion von knapp<br />
sechs Millionen Pkw. Das würde sogar<br />
die Zahlen des bisherigen Rekordjahres<br />
2008 toppen.<br />
Beflügelt werden diese Aussichten<br />
durch ein wahres Modellfeuerwerk, das<br />
viele Autoliebhaber begeistern dürfte.<br />
nalität ist keinen Designspielereien zum<br />
Opfer gefallen, gediegene Materialwahl und<br />
harmonische Farbgestaltung schaffen ein<br />
einladendes Ambiente.<br />
Vor allem praktisch soll ein Kombi sein.<br />
Entsprechendes hat der 530d reichlich zu<br />
bieten. Das fängt bei der niedrigen Ladekante<br />
an (nur 62 cm überm Boden), setzt<br />
sich über die Breite des Gepäckschlunds<br />
fort (1,10 m) und erfährt seine Krönung<br />
in der Heckklappe, die sich per Fernbedienung<br />
auch elektrisch öffnen und auf<br />
Tastendruck an der Klappe schließen lässt.<br />
Dabei rollt das Abdeckrollo jeweils selbsttätig<br />
zurück oder vor; auch dann, wenn<br />
kleinere Dinge schnell im Auto verschwinden<br />
sollen und es deshalb ausreicht,<br />
lediglich die Heckscheibe hochzuklappen.<br />
Die Lehnen der Fondsitze lassen sich<br />
bei Bedarf auch vom Gepäckraum aus<br />
entriegeln und umlegen. So wächst<br />
das Gepäckraumvolumen schnell von 560<br />
Liter auf 1.670 Liter.<br />
Die grundsätzlichen Kombi-Tugenden teilt<br />
sich ein 5er Touring mit Wettbewerbern.<br />
Eigene Akzente aber setzt die Vollausstattung.<br />
Den besonderen Charakter eines<br />
530d formen Motor und Fahrwerk. Die<br />
üppige Leistung des Dreiliter-Reihensechszylinders<br />
macht das Auto erhaben. Mit<br />
kraftvollem motorischem Fauchen nimmt<br />
das stattliche, gut 4,90 Meter lange Gefährt<br />
Fahrt auf. Die achtgängige Automatik<br />
des überaus kultivierten Selbstzünders<br />
beschert völlig ruckfreien, harmonischen<br />
Gangwechsel. Übernehmen kann den aber<br />
auch der Fahrer. Die entsprechende Schaltgasse<br />
am Wählhebel und Schaltwippen<br />
am Lenkrad bieten sich dazu an. Trotz seines<br />
Leergewichts von fast 1,9 Tonnen vermag<br />
der 530d dank seiner mobilisierbaren<br />
245 PS und bärigen 540 Newtonmetern<br />
Drehmoment loszupreschen und in nur 6,4<br />
Sekunden Tempo 100 zu erreichen. Als<br />
kombinierten Durchschnittsverbrauch<br />
für 100 Kilometer gibt BMW für den Kombi<br />
6,4 Liter an. Damit kann sich ein potenter<br />
Sechszylinder sehen lassen.<br />
Vielseitiger Businesslaster:<br />
VW Passat Variant<br />
Das brave Brot-und-Butter-Auto ist der neue<br />
VW Passat längst nicht mehr. Wer in der<br />
heiß umkämpften <strong>Mitte</strong>lklasse ganz vorn<br />
sein will, der muss seiner Kundschaft<br />
etwas bieten. Hier steht der technische<br />
Fortschritt ganz oben auf der Wunschliste,<br />
auch wenn es diesen nicht zum Null-Tarif<br />
gibt. Die siebte Generation des Passat<br />
kann mit insgesamt 19 neuen Systemen<br />
KRAFTPAKET: BMW 5er Touring<br />
LADEMEISTER: VW Passat Variant<br />
WIRTSCHAFT & MARKT 09/11 27
SPECIAL<br />
Die Bandbreite reicht von Elektromobilen<br />
bis zum Supersportwagen mit über<br />
500 PS unter der Haube.<br />
DIE HIGHLIGHTS DER HERSTELLER<br />
An den Ständen der Hersteller werden<br />
vor allem die Neuheiten von den Besuchern<br />
umschwärmt werden. Die wichtigsten<br />
Premieren im Überblick:<br />
Audi zeigt neben dem Facelift für das<br />
ausgesprochen schöne <strong>Mitte</strong>lklasse-Fahrzeug<br />
A5 auch den A6 Avant und seinen<br />
kleinsten SUV, den neuen Audi Q3, der<br />
mit zwei Benzinern und einem Diesel-<br />
Motor bereits lieferbar ist. Zum ersten<br />
Mal in einem Q-Modell ist der Allradantrieb<br />
nicht Standard, sondern nur in<br />
Kombination mit den stärkeren Motoren<br />
zu haben. Insgesamt reicht das Leistungsband<br />
von 140 PS bis 211 PS.<br />
BMW stellt passend zum Schwerpunktthema<br />
»Elektroauto« neben seinen<br />
»verjüngten« Klassikern das Megacity-<br />
Vehicle-Modell i3 vor. Das Stadtauto gehört<br />
der neuen Submarke von BMW für<br />
nachhaltige Mobilitätslösungen »i« an.<br />
Das E-Auto mit maximaler Reichweite<br />
von 160 Kilometern hat eine Karosserie<br />
aus kohlefaserverstärktem Kunststoff.<br />
Zudem machen die Münchner ihre<br />
Kompaktklasse fit für die Zukunft. Die<br />
Generation des 1ers ist in Frankfurt<br />
zunächst als Fünftürer zu sehen. Die<br />
Steilhecklimousine präsentiert sich gewachsen,<br />
aber nicht groß, moderner,<br />
aber im bekannten Designstil, und mit<br />
sparsamen Downsizing-Turbobenzinern.<br />
Das Alleinstellungsmerkmal Hinterradantrieb<br />
bleibt zunächst erhalten.<br />
Citroen wird mit dem 200 PS starken<br />
Premium-Crossover DS5 mit Hybrid-<br />
Antrieb für Aufsehen sorgen. Wie auch<br />
seine kleineren Geschwister setzt der<br />
coupéhaft modellierte Crossover-Kombi<br />
auf Extravaganz. Diesmal nicht nur bei<br />
der Optik, sondern auch in Sachen Technik.<br />
Für den Antrieb sorgt erstmals eine<br />
Kombination aus Diesel- und Elektromotor.<br />
So soll trotz Allradantrieb und 200 PS<br />
Leistung ein Verbrauch von weniger als<br />
vier Litern Diesel möglich sein. Auch rein<br />
elektrisches Fahren ist machbar.<br />
Ferrari präsentiert die offene Version<br />
des Sportwagens 458 Spider mit einem<br />
570 PS starken 4,5-Liter-V8-Motor. Unter<br />
der Haube tut der bekannte V8-Benziner<br />
mit 565 PS Dienst, der für deutlich mehr<br />
als 300 km/h gut ist. Anders als beim<br />
Stahldachcabrio California wird es beim<br />
Italia ein klassisches Stoffverdeck geben.<br />
Fiat tritt mit dem deutlich gewachsenen<br />
neuen Panda an. Aus dem schmalen<br />
Hochdach-Mini ist in der dritten Generation<br />
auch dank flexiblem Innenraum<br />
fast ein kleiner Van geworden. Äußerlich<br />
bleibt es beim an Raumökonomie orien-<br />
GESCHÄFTSWAGEN<br />
Charmanter Franzose:<br />
Peugeot 508 SW<br />
Peugeot 508! Da schwingen Erinnerungen<br />
an seine Vorgänger mit, die wesentlich<br />
dazu beitrugen, die Löwen-Marke weit über<br />
Europa hinaus bekannt zu machen. Auf den<br />
ersten Blick unterscheidet sich der neue<br />
508 vom 407 durch einen deutlich »kleinmäuligeren«<br />
Frontgrill. Weniger schnell<br />
erfasst werden die zehn Zentimeter Längenzuwachs<br />
des Neuen. Neben komfortablem<br />
Raumzuwachs ist es Peugeot aber<br />
auch um ein ausdrucksstarkes elegantes<br />
Design, überzeugenden Fahrkomfort,<br />
wegweisende Umwelteffizienz und hohe<br />
Sicherheit gegangen.<br />
Der von einem großen Geschäftskombi<br />
erwartete Fahr- und Reisekomfort ist Peuglänzen.<br />
Dabei stehen Ausstattungen zur<br />
Verfügung, die man zuletzt nur aus dem<br />
Phaeton kannte. Hierfür stehen die Müdigkeitserkennung,<br />
der Front Assist mit City-<br />
Notbremsfunktion, die Fernlichtassistenten<br />
Light Assist, die Spurwechselwarnung<br />
Side Assist, die Verkehrszeichenerkennung,<br />
der Park Assist II und das Kofferraum-Öffnungssystem<br />
Easy Open.<br />
Steigt man in den neuen Passat ein, so<br />
bemerkt man, dass die Qualität ebenso<br />
verbessert werden konnte wie die Materialanmutung<br />
insgesamt. Ein entscheidender<br />
Vorteil zugunsten des Passat ist seine<br />
klare, einfache und praxisgerechte Bedienung.<br />
Der Fahrer sitzt hinter dem Lenkrad<br />
und findet gleich alles dort, wo es auch<br />
hingehört – auf designverspielte Schalter,<br />
Hebel oder Instrumente wurde bewusst<br />
verzichtet. Dass der neue Passat näher an<br />
die Luxus-Limousine Phaeton gerückt ist,<br />
mag VW kommunizieren, in der Praxis ist<br />
dies aber nicht so vergleichbar.<br />
Hingegen spürbar ist, dass VW dem neuen<br />
Passat einen verbesserten Komfort mit<br />
auf den Weg gibt. Der <strong>Mitte</strong>lklasse-Kombi<br />
fährt sich angenehm, auch deshalb, weil<br />
das Gefühl sicher aufgehoben zu sein,<br />
überwiegt. Mit dem kommoden Fahrkomfort<br />
punktet der <strong>Mitte</strong>lklässler aus Wolfsburg.<br />
Im Innenraum ist der Wagen merklich<br />
leiser geworden. Hier helfen auch die gezielt<br />
im Bereich des Armaturenbereichs<br />
und in den Türen eingesetzten Dämmstoffe,<br />
die Außen- und Motorgeräusche auszufiltern.<br />
Zudem kommt in der Windschutzscheibe<br />
und in den vorderen Seitenscheiben<br />
eine neue Akustikfolie zum Einsatz,<br />
die zusätzlich weitere Geräusche aus dem<br />
Innenraum fernhält.<br />
Der neue Passat ist in den bekannten<br />
Ausstattungen Trendline, Comfortline und<br />
Highline zu haben und startet als Trendline<br />
mit dem 122 PS starken 1.4 TSI.<br />
Das Motorenangebot umfasst vier konventionelle<br />
Benziner (zwischen 122 PS<br />
und 300 PS) sowie den 1.4 E85 (160 PS)<br />
für den Einsatz mit BioEthanol und den<br />
1.4 TSI EcoFuel (150 PS) mit Erdgasantrieb.<br />
Zudem stehen drei TDI mit 105<br />
PS (1.6) und 140 PS sowie 170 PS (2.0)<br />
zur Auswahl. Natürlich sind verschiedene<br />
Motoren mit dem hervorragenden Doppelkupplungsgetriebe<br />
(DSG) kombinierbar<br />
und auch der permanente Allradantrieb<br />
4MOTION ist für den Passat zu haben –<br />
beides ist beim Passat mit dem V6 serienmäßig<br />
an Bord.<br />
DESIGNER-KOMBI: Peugeot 508 SW<br />
28 WIRTSCHAFT & MARKT 09/11
SPECIAL<br />
tierten Kastendesign, auch wenn der<br />
Fünftürer nun etwas rundlicher auftritt.<br />
Kia ersetzt das farblose Kleinwagen-<br />
Mauerblümchen Rio durch eine deutlich<br />
zeitgemäßer wirkende Neuauflage. Optisch<br />
hat der Fünftürer einen Sprung gemacht,<br />
trägt nun den Kühlergrill im Knochendesign,<br />
dynamische Linien und ein<br />
breites Heck. Der hochwertig wirkende<br />
Innenraum erreicht fast VW Polo-Niveau.<br />
Vier Motoren stehen zur Verfügung, von<br />
denen der sparsamste (70 PS) mit nur<br />
3,5 Litern Diesel auskommen soll.<br />
Mercedes krempelt seine Kompaktklasse<br />
um. Die A-Klasse wird zum sportlichen<br />
Steilheckmodell à la BMW 1er. Die<br />
in Frankfurt debütierenden Schwestermodelle<br />
der B-Klasse entwickeln sich<br />
konsequent zum familienfreundlichen<br />
Van. Das Platzangebot soll deutlich zulegen.<br />
Der Verbrauch sinkt durch den Einsatz<br />
neuer Vierzylinderbenziner und<br />
eines Doppelkupplungsgetriebes. Einer<br />
der exklusiven »Sterne« am Mercedes-<br />
Stand dürfte das 571 PS starke Cabrio SLS<br />
AMG Roadster mit »Stoff-Mütze« sein.<br />
Opel präsentiert sein neues Hybrid-<br />
Umweltauto Ampera auf Basis des Chevrolet<br />
Volt und setzt sich damit an die<br />
Spitze der deutschen E-Auto-Bewegung.<br />
Der Clou: Nach rund 40 bis 80 Kilometern<br />
rein elektrischer Fahrt sind noch<br />
einmal deutlich mehr als 400 Kilometer<br />
Reichweite drin. Ein kleiner Benziner<br />
lädt die Batterien während der Fahrt auf.<br />
Peugeot bastelt seit Jahren am Dieselhybrid.<br />
Nun feiern die ersten 508er Modelle<br />
mit der sparsamen Antriebstechnik<br />
IAA-Premiere. Dank der Hybridtechnik<br />
gibt es gar Allradantrieb: Während ein<br />
163-PS-Diesel die Vorderräder antreibt,<br />
wirkt ein Elektromotor auf die Hinterachse.<br />
Die Kombination soll einen Verbrauch<br />
von nur 4,2 Litern ermöglichen.<br />
Porsche vollzieht bei der Legende 911<br />
höchstens einmal pro Jahrzehnt einen<br />
Generationswechsel. Grund genug, auf<br />
die Premiere des Neuen mit dem Werkscode<br />
991 hinzufiebern. Äußerlich wurde<br />
wenig verändert. Unter dem Blech gibt<br />
es einen neuen Einstiegs-Boxer mit kleinerem<br />
Hubraum und weniger Durst,<br />
aber mehr Leistung. Der neue 911er besitzt<br />
zudem das weltweit erste manuelle<br />
Siebenganggetriebe für Pkw.<br />
Volkswagen lanciert mit dem Lupo-<br />
Nachfolger »Up« einen City-Flitzer, der<br />
sicherlich zu den wichtigsten IAA-Premieren<br />
gehört. Mit dem sparsamen<br />
Stadtauto will VW die Kleinstwagenklasse<br />
revolutionieren. Gestartet wird mit<br />
dem Zwei- und Viertürer, die von Dreizylindermotoren<br />
angetrieben werden.<br />
Mit der ebenfalls schon in Frankfurt gezeigten<br />
Erdgasversion will VW neue Maßstäbe<br />
beim CO 2 -Ausstoß setzen. &<br />
geot gut gelungen: Straffe Federung und<br />
ausgewogene Dämpfung statt Sänfte. Das<br />
Gefühl, in einem Auto mit französischem<br />
Charme zu sitzen, vermitteln aber eher<br />
Designlösungen und verarbeitete hochwertige<br />
Materialien. Bei der Komfort-Volllederausstattung<br />
gibt es jetzt beispielsweise<br />
feinstes weiches Nappaleder.<br />
Peugeot und sparsame HDi-Turbodieselmotoren<br />
sind längst eine überzeugende<br />
Einheit. Schon heute kündigt Peugeot<br />
einen 508 mit Hybrid4-Technologie an.<br />
2012 ist es so weit. Auf den Spartrip lässt<br />
sich aber auch mit einem Peugeot 508<br />
e-HDI FAP 110 gehen. Es lockt ein kombinierter<br />
Durchschnittsverbrauch von 4,4 l<br />
Diesel/100 km. Die Bezeichnung e-HDi<br />
steht für ein Stop&Start-System neuester<br />
RAUMTRANSPORTER: Opel Zafira<br />
Generation. Es kombiniert erstmals ein<br />
Dieselaggregat mit einem reversiblen<br />
Starter-Generator, der auch zur Rückgewinnung<br />
der Bremsenergie genutzt wird. Er<br />
lässt den Motor, über einen Zahnriemen<br />
mit ihm verbunden, binnen 400 Millisekunden<br />
starten. Das ist fast doppelt so schnell<br />
wie herkömmliches Motoranlassen.<br />
Maximale Flexibilität:<br />
Opel Zafira<br />
Eine echte Alternative zum klassischen<br />
Kombi mit viel Platz für Passagiere ist der<br />
Opel Zafira. Bei seiner Markteinführung<br />
1999 war er der erste Siebensitzer seiner<br />
Klasse und setzte Maßstäbe für voll integrierte<br />
Onboard-Flexibilität.<br />
Maximale Flexibilität ohne Sitzausbau ist<br />
auch die Visitenkarte des neuen Zafira<br />
Tourer. Die Opel-Ingenieure haben das ausgeklügelte<br />
Flex7-Sitzkonzept nochmals<br />
erheblich weiterentwickelt. Während sich<br />
die dritte Reihe weiterhin komplett im<br />
Boden des Kofferraums versenken lässt,<br />
gestalteten sie die zweite Sitzreihe vollständig<br />
neu. Statt einer Sitzbank befinden<br />
sich hier serienmäßig drei separate Einzelsitze,<br />
die sich flach umlegen lassen und<br />
somit eine ebene Ladefläche ermöglichen.<br />
Die drei Einzelsitze können unabhängig<br />
voneinander 210 Millimeter in Längsrichtung<br />
verschoben werden.<br />
Mit dem einzigartigen »Lounge-Sitzsystem«,<br />
das optional erhältlich ist, erleben<br />
die Passagiere in der zweiten Reihe<br />
großzügige Platzverhältnisse wie in einer<br />
Oberklasselimousine. Dank eines raffinierten<br />
Klapp- und Drehmechanismus’ bildet<br />
hier die Rückenlehne des mittleren Sitzes<br />
komfortable Armlehnen für die Passagiere<br />
auf den beiden äußeren Plätzen. Die<br />
Außensitze lassen sich um bis zu 280 Millimeter<br />
verschieben – 70 Millimeter mehr<br />
als bei der Standard-Bestuhlung und<br />
80 Millimeter mehr als im aktuellen Zafira.<br />
Eine weitere Neuheit in diesem Segment:<br />
Die Sitze gleiten 50 Millimeter in Richtung<br />
Fahrzeugmitte.<br />
Das Verschieben der Sitze in Längs- und<br />
Querrichtung bietet Komfort erster Klasse<br />
und vermittelt das einzigartige Gefühl, in<br />
einer »Lounge auf Rädern« zu reisen. Dabei<br />
genießen die Passagiere ein Maximum an<br />
Platz und Ergonomie. Durch die Betonung<br />
des individuellen Komfort-Faktors ist der<br />
neue Zafira Tourer weitaus mehr als »nur«<br />
ein Familien-Fahrzeug.<br />
Die Opel-Designer erhoben den flexiblen<br />
Innenraum zu einem Ort der Entspannung<br />
und Erholung in einer geräumigen Atmosphäre<br />
– ob beim Business-Trip oder auf einer<br />
langen Urlaubsreise.<br />
Dank des großzügigen Kabinenlayouts und<br />
des flexiblen Sitzkonzepts bietet der Zafira<br />
Tourer als Fünfsitzer 710 Liter Gepäckraumvolumen<br />
(plus 65 Liter). Das maximale<br />
Ladevolumen von 1.860 Litern erreicht<br />
der Opel-Fahrer durch Umklappen der zweiten<br />
Sitzreihe.<br />
Zum Verkaufsstart im Herbst bietet Opel<br />
den Zafira Tourer mit dem aus Astra und<br />
Insignia bekannten 2.0 CDTI-Common-Rail-<br />
Turbodieselmotor in drei Leistungsstufen<br />
an: 110 PS und 130 PS sowie 165 PS im<br />
überarbeiteten Top-Aggregat. Außerdem<br />
sind zwei hocheffiziente 1,4-Liter-Turbobenziner<br />
mit 120 PS und 140 PS erhältlich,<br />
die mit der neuen Start-Stopp-Automatik<br />
ausgerüstet vor allem im innerstädtischen<br />
Verkehr zusätzlich Kraftstoff sparen soll.<br />
WIRTSCHAFT & MARKT 09/11 29
KOLUMNE<br />
Es war einmal vor kurzer Zeit. Da<br />
haben Banker und andere Geldmanager<br />
solange hemmungslos<br />
mit fremdem Geld gezockt, bis sie kurz<br />
vor der Pleite waren. Weil der Staat aber<br />
Angst hatte, die Pleite so vieler Banken<br />
könnte Panik bei normalen Menschen<br />
auslösen, nahm er die Schulden der<br />
Zocker zunächst auf die eigene Kappe<br />
und verlangte von seinen Bürgern, dass<br />
sie auf lange Sicht für die Schulden der<br />
Zocker geradestehen. Weil er aber die<br />
Zocker weder einsperrte, noch ihnen das<br />
Zocken für die Zukunft verbot, gingen<br />
die Zocker sofort wieder zum Zocken,<br />
denn sie hatten ja nichts anderes gelernt.<br />
Nun aber fanden die Zocker, dass es an<br />
der Zeit sei, auf die Pleite der Staaten zu<br />
wetten, denn die Staaten hatten ja jetzt<br />
enorm hohe Schulden. Also nannte man<br />
die von den Zockern ausgelöste Krise von<br />
nun an »Staatsschuldenkrise« und alle<br />
»guten« Ökonomen und Medien machten<br />
schleunigst mit, weil sie ja schon immer<br />
gewusst hatten, dass alles Übel nur vom<br />
Staat kommen kann. Statt über Unternehmen<br />
begannen die Banker und die<br />
anderen Zocker mit den ihnen nahe stehenden<br />
Rating-Agenturen nun Urteile<br />
über Staaten zu fällen. Weil in den Regierungen<br />
der Staaten viele auch Verantwortung<br />
tragen, die weiter glaubten, dass die<br />
Märkte immer Recht haben, gerieten sie<br />
in Panik und begannen zu tun, was die<br />
Banken von ihnen verlangten, nämlich<br />
auf Teufel komm raus zu sparen.<br />
Doch die Banken und Rating-Agenturen<br />
wussten allerdings, dass Staaten gar<br />
nicht sparen können. Wenn Staaten sparen<br />
und auch alle anderen Bereiche der<br />
Volkswirtschaft sich mit Ausgaben zurückhalten,<br />
wie das im Sommer 2011 der<br />
Fall war, dann führt das Sparen des Staates<br />
immer dazu, dass auch die Einkommen<br />
der Unternehmen und der Privathaushalte<br />
sinken, wodurch die wieder<br />
weniger Steuern zahlen oder mehr Hilfen<br />
vom Staat brauchen, so dass am Ende<br />
die Defizite des Staates umso höher sind,<br />
je mehr er zu sparen versucht.<br />
Weil die Staaten aber an der Sisyphos-<br />
Arbeit, die Defizite zu reduzieren, permanent<br />
scheiterten, wurden sie von den<br />
Rating-Agenturen, Banken und sonstigen<br />
Geldanlegern immer kritischer beäugt,<br />
die Kreditwürdigkeit wurde immer mehr<br />
bezweifelt. Nach einer »verlorenen Dekade«<br />
wurden Staatsanleihen nur noch auf<br />
Ramschniveau bewertet und die Anleger<br />
weigerten sich, noch Geld zu leihen oder<br />
gaben es nur zu extrem hohen Zinsen.<br />
AUS GENFER SICHT<br />
Wie die Welt<br />
verrückt und wieder<br />
vernünftig wurde<br />
Von HEINER FLASSBECK, Genf<br />
Internet: www.flassbeck.com<br />
In dieser Lage geschah Außerordentliches.<br />
Da die Zentralbanken, die das<br />
Geld schaffen, es den Banken immer<br />
noch zu extrem niedrigen Zinsen gaben,<br />
fragten sich einige vernünftige Leute,<br />
wofür man eigentlich die Banken brauche,<br />
die vom Staat über die Zentralbank<br />
Geld für fast nichts erhalten, sich dann<br />
aber weigern, es dem Staat zu einem vernünftigen<br />
Zins zurückzugeben, weil die<br />
Staaten ja nicht kreditfähig wären, weil<br />
sie ja die Banken gerettet hatten.<br />
Also ging man allmählich dazu über,<br />
dass die Zentralbanken dem Staat das<br />
Geld, das sie sonst den Banken gegeben<br />
hätten, direkt zu geben und zwar zu einem<br />
sehr niedrigen Zins. Weil der Zins<br />
aber so niedrig war, gelang es den Staaten<br />
allmählich, ihre Schulden zu reduzieren,<br />
denn das geht überhaupt nur bei<br />
einem niedrigen Zins. Als man das eine<br />
Weile gemacht hatte, merkte man, dass<br />
das ganz unproblematisch ist und man<br />
die Banken mit ihren hohen Gebühren<br />
gar nicht braucht. Also gaben die Zentralbanken<br />
den Banken gar kein Geld mehr<br />
und was immer die Banken und ihre Rating-Agenturen<br />
für Einschätzungen abgaben,<br />
war den Staaten komplett egal.<br />
Da aber die Banken kaum noch normales<br />
Geschäft hatten, sondern immer<br />
mehr zockten, wurden die Bürger unru-<br />
hig und zogen ihr Geld von den Banken<br />
ab und legten es in staatlichen Kassen<br />
an, wo sie zwar keine Zinsen bekamen,<br />
ihr Geld aber sicher war, weil der Staat<br />
versprach, ihre Renten und Sozialversicherungen<br />
auch dann zu zahlen, wenn<br />
sie nicht mehr arbeiten können.<br />
In der nächsten Zockerkrise gingen<br />
dann alle Banken und Rating-Agenturen<br />
unter, aber es hat niemanden wirklich<br />
interessiert, denn man wusste ja jetzt,<br />
dass man diese Institutionen überhaupt<br />
nicht braucht. Nach dieser Zockerkrise<br />
war es dann auch mit den Krisen überhaupt<br />
vorbei, weil die Zocker ausgestorben<br />
waren. Die Menschen wussten, dass<br />
sie arbeiten müssen, um ein vernünftiges<br />
Einkommen zu erzielen, die Unternehmen<br />
wussten, dass man in richtige<br />
Anlagen investieren muss, um Gewinne<br />
zu machen und der Staat wusste, dass<br />
er auf Zocker keine Rücksicht zu nehmen<br />
braucht, sondern sich so verschuldet,<br />
dass die Wirtschaft fähig ist, Beschäftigung<br />
und Einkommen zu schaffen.<br />
Das gute Ende wäre aber nicht möglich<br />
gewesen, hätten nicht auf dem Höhepunkt<br />
der Krise alle Regierungen eine<br />
drastische Maßnahme durchgesetzt: Sie<br />
versetzten alle professionellen Ökonomen,<br />
die sich positiv zum staatlichen<br />
Sparen geäußert hatten, in den sofortigen<br />
Ruhestand, verbunden mit der Auflage,<br />
sich nie mehr zu wirtschaftlichen<br />
Themen öffentlich zu äußern, und sie<br />
verboten allen Medien, über komplexe<br />
wirtschaftliche Themen wie Konsolidierung<br />
von Staatshaushalten auch nur zu<br />
berichten. Auch PR-Agenturen und Lobbyistenvereinigungen<br />
wurde verboten,<br />
sich zu Themen zu äußern, die mit<br />
gesamtwirtschaftlichen Sachverhalten<br />
zu tun hatten. Internationale Konferenzen<br />
fanden unter Ausschluss der Öffentlichkeit<br />
statt, Wissenschaftstagungen<br />
wurden nur erlaubt, wenn eine kritische<br />
Masse von gesamtwirtschaftlich denkenden<br />
Ökonomen mit von der Partie war.<br />
Nur durch diese Einschränkung der<br />
Meinungsfreiheit war es möglich, die<br />
sinnlose Konfrontation über staatliche<br />
Schulden, die die Politik zuvor jahrelang<br />
blockiert hatte, zu vermeiden und zu einer<br />
sachgerechten Debatte zu kommen.<br />
Zugleich starteten die Regierungen eine<br />
Bildungskampagne, um den Bürgern in<br />
der Schule und an Universitäten binnen<br />
zehn Jahren so viel an gesamtwirtschaftlichen<br />
Zusammenhängen zu erklären,<br />
dass später Diskurse über diese Fragen<br />
wieder zugelassen werden könnten. &<br />
Foto: Torsten George<br />
30<br />
WIRTSCHAFT & MARKT 09/11
VERANSTALTUNG<br />
POTSDAM<br />
TERMIN: 8. Sep. 2011<br />
DAUER: 14 - 20 Uhr<br />
ORT: Potsdam<br />
KOMMUNIKATION<br />
Die Umsetzung von Investitionsprojekten wird immer mehr zu einer großen<br />
Herausforderung für alle Beteiligten. Die halbtägige Veranstaltung QUO VADIS<br />
AKZEPTANZ? zeigt Planern, Investoren, politischen Akteuren und Medienvertretern<br />
Auswege aus diesem Dilemma auf.<br />
Besuchen Sie unsere Website: www.wbpr.de<br />
MODERATION<br />
Gerald Meyer<br />
(rbb)<br />
HÖHEPUNKTE<br />
EXPERTEN<br />
Keynote:<br />
Unternehmensstrategie und gesellschaftliche<br />
Akzeptanz von Investitionen am<br />
Beispiel der 50Hertz Transmission GmbH<br />
Vortrag:<br />
Erreichung gesellschaftlicher Akzeptanz<br />
bei der Einführung neuer Technologien<br />
und deren Umsetzung in die Praxis<br />
Beispiel:<br />
Das CCS-Projekt von Vattenfall – ein<br />
Erfahrungsbericht<br />
Podiumsdiskussion:<br />
„Technische Notwendigkeit kontra<br />
gesellschaftliche Akzeptanz - Trends und<br />
Perspektiven in Deutschland“<br />
Workshop 1:<br />
Moderne Projektplanung<br />
und Kommunikation<br />
14:10 Uhr<br />
14:40 Uhr<br />
15:00 Uhr<br />
15:30 Uhr<br />
Workshop 2:<br />
Instrumente und Maßnahmen der<br />
Akzeptanzkommunikation<br />
Boris Schucht<br />
(50Hertz Transmission GmbH)<br />
Dr. Wolfgang Rolland<br />
(Vattenfall Europe Carbon and Storage<br />
GmbH & Co. KG)<br />
Michael Schulze<br />
(wbpr_kommunikation)<br />
Weitere Experten:<br />
Dr. Manfred Wäsche (IHK Potsdam),<br />
Dr. Mathias Richter (Märkische Allgemeine Zeitung)<br />
Workshop 3:<br />
Den Bürgerdialog gestalten<br />
Experte: Rüdiger Hage, Geschäftsführer<br />
IPG Infrastruktur- und Projektentwicklungsgesellschaft<br />
mbH<br />
Experte: Dorothee Stacke, Referatsleiterin<br />
Strategische Kommunikation und<br />
Medien Ministerium für Wirtschaft und<br />
Europaangelegenheiten<br />
Experte: Mike Nagler, Initiator der erfolgreichen<br />
Leipziger Bürgerinitiative gegen<br />
Privatisierung städtischer Unternehmen<br />
ANMELDUNG<br />
per Fax an 0331 20166-99 . wbpr_kommunikation.<br />
Die Teilnahmegebühr beträgt 160,00 € zuzüglich gesetzlicher Mehrwertsteuer.<br />
Ja, ich melde mich hiermit verbindlich an. Workshop 1 Workshop 2 Workshop 3<br />
Name<br />
Firma<br />
Telefon<br />
E-Mail<br />
Jarno Wittig<br />
(wbpr_kommunikation)<br />
0331 20166-0<br />
VERANSTALTER . ORGANISATION<br />
wbpr_kommunikation<br />
Parkstraße 2, 14469 Potsdam, www.wbpr.de
SONDERVERÖFFENTLICHUNG<br />
Regionale Wachstumskerne<br />
Starke Standorte gefördert<br />
Neu ausgerichtete Förderpolitik des Landes Brandenburg beflügelt die Wirtschaft vor Ort<br />
Stärken stärken«. Das Motto, unter<br />
dem <strong>Mitte</strong> der 90er Jahre die Wirtschaftsförderung<br />
des Landes Brandenburg<br />
neu ausgerichtet wurde, hat<br />
sich bewährt. Die Konzentration von öffentlichen<br />
Fördermitteln auf 15 »Regionale<br />
Wachstumskerne« (RWK) führte in<br />
diesen Städten und Gemeinden zu überdurchnittlichem<br />
Wirtschaftswachstum,<br />
wie eine Evaluierung des Programms ergab.<br />
Vor diesem Hintergrund beschloss<br />
die Brandenburger Landesregierung im<br />
Februar 2011, die 2005 festgelegten RWK<br />
bis auf Weiteres beizubehalten und in<br />
drei Jahren erneut zu überprüfen.<br />
Anlass für die Einrichtung der Regionalen<br />
Wachstumskerne im Jahr 2005 war<br />
die in den kommenden Jahren absehbare<br />
Verringerung der Fördermittel von Bund<br />
und Europäischer Union. Weniger <strong>Mitte</strong>l<br />
sollten effizienter verteilt werden. Zugleich<br />
schälten sich neue Problemlagen<br />
heraus, wie demographische Entwicklung<br />
und ein absehbarer Fachkräftemangel,<br />
die besondere Maßnahmen erforderten.<br />
Auf der Grundlage ihrer wirtschaftlichen<br />
Profile und Zugehörigkeit<br />
zu bestimmten Branchenkompetenzfeldern<br />
wurden 15 Regionale Wachstumskerne<br />
mit 26 Städten und Gemeinden in<br />
allen Landesteilen festgelegt. Dabei handelt<br />
es sich um die Regionalen Wachstumskerne<br />
Brandenburg a. d. H., Cottbus,<br />
Eberswalde, Finsterwalde/Großräschen/Lauchhammer/Schwarzheide/<br />
Senftenberg/ (»Westlausitz«),<br />
Frankfurt (Oder)/Eisenhüttenstadt,<br />
Fürstenwalde,<br />
Luckenwalde, Ludwigsfelde,<br />
Neuruppin, Oranienburg/<br />
Hennigsdorf/Velten, Potsdam,<br />
Schwedt/Oder, Spremberg, Wildau/<br />
Königs Wusterhausen/Schönefeld<br />
(»Schönefelder Kreuz«) sowie Prignitz.<br />
Die RWK erstellten für ihre Gebiete<br />
Standortentwicklungskonzepte für den<br />
Ausbau der Infrastruktur, der Entwicklung<br />
von Gewerbegebieten, der Fachkräfteförderung,<br />
des Technologietransfers<br />
bis hin zu Vorhaben im Bereich der<br />
Kultur oder des Tourismus. Für diese insgesamt<br />
45 Maßnahmen erhalten sie eine<br />
erhöhte Förderquote seitens des Landes.<br />
Dabei sollen die Wachstumskerne auch<br />
auf die sie umgebenden Kommunen ausstrahlen<br />
und so als »Wirtschaftsmoto-<br />
ZUKUNFT Zu den RKW-Schwerpunkten gehört die Sicherung des Fachkräftenachwuchses.<br />
ren« ihrer Region fungieren. Die Entwicklung<br />
der RWK wird durch eine interministerielle<br />
Arbeitsgruppe »Integrierte<br />
Standortentwicklung« aller Landesministerien<br />
unter Führung der Staatskanzlei<br />
begleitet.<br />
2010 wurde eine Evaluierung der Arbeit<br />
der Regionalen Wachstumskerne<br />
vorgenommen. Untersucht wurde, welche<br />
Effekte bei drei zentralen Zielen –<br />
FÖRDERGEBIETE<br />
Die 15 Wachstumskerne in Brandenburg.<br />
Abwanderung verhindern, Arbeitsplätze<br />
schaffen, Ansiedlungsbedingungen verbessern<br />
– in den Wachstumskernen erreicht<br />
wurden. Nach dem Urteil der Gutachter<br />
haben sich die RWK bei den »für<br />
die wirtschaftliche Entwicklung maßgeblichen<br />
Indikatoren besser als der Landesdurchschnitt<br />
entwickelt«. Dies treffe<br />
vor allem für die Zahl der sozialversicherungspflichtig<br />
Beschäftigten, der Arbeitsplatzdichte<br />
und den Pendlersalden<br />
zu. Lediglich bei der Bevölkerungsentwicklung<br />
rangieren die RWK unter dem<br />
Brandenburger <strong>Mitte</strong>lwert. Als Grund<br />
geben die Gutachter die Lage von mehrheitlich<br />
elf berlinfernen RWK an. In der<br />
Summe haben die Wachstumskerne<br />
»eine gute Entwicklung genommen«,<br />
ihren Förderstatus aktiv genutzt und<br />
verfügten über eine »hohe Arbeitsplatzzentralität«,<br />
urteilt die Studie. Die Regionalen<br />
Wachstumskerne seien »wirtschaftsstrukturelle<br />
Anker im Raum«.<br />
Aus ihrer Sonderstellung erwachsen<br />
den Regionalen Wachstumskernen allerdings<br />
auch besondere Verantwortungen,<br />
die in der nächsten Förderphase stärker<br />
zum Tragen kommen sollen. So sollen<br />
die RWK die Kooperation mit ihren Umland-Kommunen<br />
intensivieren. Die »Motorfunktion«<br />
soll auf die gesamte Region<br />
austrahlen, der kraftvolle Kern mithin<br />
nach außen wachsen.<br />
32 WIRTSCHAFT & MARKT 09/11
SONDERVERÖFFENTLICHUNG<br />
Matthias Platzeck, Ministerpräsident des Landes Brandenburg<br />
Erfolg ist das Ergebnis harter Arbeit<br />
Regionale Wachstumskerne bauen gezielt ihre Stärken aus und vernetzen wirtschaftliche Potenziale<br />
Foto: Staatskanzlei<br />
W&M: Herr Ministerpräsident, sieben Jahre<br />
Regionale Wachstumskerne in Brandenburg,<br />
haben sie dem Land Glück gebracht?<br />
PLATZECK: Glück ist für mich in diesem<br />
Zusammenhang nicht die richtige Kategorie.<br />
Wirtschaftlicher Erfolg ist das<br />
Ergebnis harter Arbeit, nicht nur der<br />
Landesregierung, sondern zuförderst der<br />
Unternehmer, der Mitarbeiter, der Gewerkschaften<br />
und vieler weiterer Akteure<br />
im Land. Richtig ist, die 2004 eingeleitete<br />
Neuausrichtung der Förderpolitik<br />
nach dem Prinzip »Stärken stärken« hat<br />
ein Umdenken und wichtige Impulse<br />
ausgelöst. Das wertvollste Ergebnis ist für<br />
mich, dass sich die Menschen überall im<br />
Land auf ihre eigenen Stärken und Potenziale<br />
besinnen und Ideen entwickeln. So<br />
haben alle Regionalen Wachstumskerne,<br />
kurz RWK, Standortentwicklungskonzepte<br />
erarbeitet und erste Maßnahmen<br />
auf den Weg gebracht, um ihre Kommunen<br />
voranzubringen. Orte außerhalb der<br />
RWK haben sich daran orientiert. Das<br />
heißt, ganz viele Regionen – und nicht<br />
nur RWK – haben in den vergangenen<br />
Jahren immer deutlicher ihre Stärken<br />
identifiziert und bauen diese gezielt aus.<br />
Heute sprechen alle von »integrierter<br />
Standortentwicklung«, bei der klassische<br />
Infrastrukturmaßnahmen, Fachkräfteförderung,<br />
Technologietransfer und die<br />
Entwicklung von Kultur und Tourismus<br />
zielgerichtet ineinandergreifen.<br />
W&M: Wie hat sich das auf die Strahlkraft<br />
des Wirtschaftsstandortes Brandenburg insgesamt<br />
niedergeschlagen?<br />
PLATZECK: Das alles hat dazu beigetragen,<br />
dass Brandenburg heute gut dasteht<br />
und ein moderner Produktions- und<br />
Dienstleistungsstandort mit zukunftsträchtigen<br />
Arbeitsplätzen ist. Brandenburg<br />
war 2010 und erneut 2011 dynamischstes<br />
Bundesland im Länderranking<br />
von »Wirtschaftswoche« und »Initiative<br />
Neue Soziale Marktwirtschaft«. Unser<br />
Land wurde vom EU-Ausschuss der Regionen<br />
zur »Europäischen Unternehmerregion<br />
2011« gekürt und wir konnten den<br />
»Leitstern« als bestes Bundesland für erneuerbare<br />
Energien verteidigen. Darüber<br />
hinaus ist Brandenburg von der EU als<br />
eine von drei europäischen Regionen als<br />
»Exzellenz-Region« ausgezeichnet worden.<br />
Das alles zeigt: Wir sind auf dem<br />
MATTHIAS PLATZECK<br />
Ministerpräsident von Brandenburg<br />
richtigen Weg – und manchmal haben<br />
wir sicherlich auch Glück...<br />
W&M: Vor einem Jahr wurden die geförderten<br />
Regionen evaluiert. Was sind Ihrer Meinung<br />
nach die wichtigsten Ergebnisse?<br />
PLATZECK: Es freut mich, dass die unabhängigen<br />
Gutachter zu dem Resultat kamen,<br />
dass die RWK – bei Unterschieden<br />
im Detail – eine gute Entwicklung genommen<br />
haben. Vor allem haben sie<br />
ihren Status genutzt, um den Standort<br />
voranzubringen. Wichtig ist auch, dass<br />
die RWK selbst ihre ganz spezifischen<br />
Strategien, Maßnahmen und Aktivitäten<br />
entwickeln, weil zuallererst die Entscheider<br />
vor Ort wissen, worauf es ankommt.<br />
Unsere Politik, an den regionalen Potenzialen<br />
unserer starken Standorte anzusetzen<br />
und diese gezielt zu entwickeln,<br />
hat also in den RWK Widerhall gefunden.<br />
Besonders gefreut hat mich, dass die<br />
Gutachter den RWK eine hohe Bedeutung<br />
für den Arbeitmarkt bescheinigten.<br />
Denn unsere Politik ist ja nicht Selbstzweck,<br />
sondern sie zielt darauf, den<br />
Menschen hier bei uns eine echte<br />
Perspektive, eben gute Arbeit mit guter<br />
Bezahlung zu ermöglichen.<br />
W&M: Sehen Sie also die neue Förderpolitik<br />
des Landes bestätigt?<br />
PLATZECK: Wenn Sie so wollen, wurde<br />
unsere vor sieben Jahren eingeleitete<br />
neue Förderpolitik durch die Evaluationsergebnisse<br />
vollauf bestätigt. Das ist<br />
für alle Beteiligten Ermutigung und Ansporn,<br />
diesen Weg weiterzugehen. Besonders<br />
wichtig ist mir dabei, dass die RWK<br />
auch ihr Umland im Blick haben und<br />
ihre Motorfunktion weiter stärken.<br />
W&M: Unlängst haben die Wachstumskerne<br />
mit einer Veranstaltungsreihe auf sich aufmerksam<br />
gemacht. Wird es 2011 weitere ähnliche<br />
landesweite Aktivitäten geben?<br />
PLATZECK: In der Veranstaltungsreihe<br />
»Starke Standorte« haben sich die RWK<br />
mit ihren spezifischen Stärken in den Regionen<br />
präsentiert. Damit wollten wir einen<br />
Rahmen und Impuls für stärkeres<br />
Standortmarketing vor Ort geben. Das ist<br />
aufgegangen. Die Wachstumskerne<br />
führen dies nun in Eigenregie weiter.<br />
W&M: Gibt es unter den Initiativen dieser<br />
Förderregionen ein Projekt, das Sie als Ministerpräsident<br />
besonders beeindruckt hat?<br />
PLATZECK: Mich beeindruckt, mit wie<br />
viel Initiative, Kreativität und Engagement<br />
die Beteiligten vor Ort ihren Standort<br />
voranbringen. Das spiegelt sich in<br />
den Präsentationen einzelner RWK in<br />
diesem Heft wieder. Dabei soll Noten verteilen<br />
nicht mein Job sein, aber lassen Sie<br />
mich ein paar Tendenzen skizzieren, die<br />
mir wichtig sind: In manchen RWK – so<br />
Neuruppin – wurde früh und systematisch<br />
begonnen, die Umlandgemeinden<br />
in die Standortentwicklung einzubeziehen.<br />
Andere – so Fürstenwalde – haben<br />
sich vorausschauend dem Thema Fachkräftesicherung<br />
zugewandt und dazu<br />
alle Akteure an einen Tisch gebracht.<br />
W&M: Sind enge Kooperation und Vernetzen<br />
stärkster Wesenszug der RKW?<br />
PLATZECK: Dort, wo mehrere Kommunen<br />
einen RWK bilden, wie Oranienburg-Hennigsdorf-Velten,<br />
wurde darauf<br />
gesetzt, die Zusammenarbeit zwischen<br />
den Orten systematisch zu organisieren<br />
und eine gemeinsame Strategie zu entwickeln.<br />
Auch das war richtig. Und ich<br />
fand es schon beeindruckend, wie in der<br />
Weltwirtschaftskrise schnell gute Projekte<br />
angeschoben werden konnten, als der<br />
Bund mit dem Zukunftsinvestitionsgesetz<br />
Geld zur Sicherung von Arbeitsplätzen<br />
zur Verfügung stellte. Auch diese<br />
bestandene Feuertaufe hat dazu beigetragen,<br />
dass unsere Regionalen Wachstumskerne<br />
inzwischen weit über die Landesgrenzen<br />
hinaus bekannte Beispiele<br />
für eine moderne Struktur- und Standortpolitik<br />
sind.<br />
WIRTSCHAFT & MARKT 09/11 33
SONDERVERÖFFENTLICHUNG<br />
Regionaler Wachstumskern Schwedt/Oder<br />
Top-Infrastruktur an der Oder<br />
Als »Stadt voller Energie« konzentriert sich Schwedt auf die Entwicklung neuer Geschäftsfelder<br />
Eine Besonderheit des Regionalen<br />
Wachstumskerns Schwedt/Oder ist<br />
seine starke industrielle Ausprägung<br />
mit den Schwerpunkten Mineralöl<br />
und Biokraftstoffe sowie Papiererzeugung.<br />
Das vor einem halben Jahrhundert<br />
gegründete Erdölverarbeitungswerk ist<br />
als PCK Schwedt auch heute noch größter<br />
Arbeitgeber in der Stadt. Die Raffinerie<br />
versorgt weite Teile Ostdeutschlands<br />
mit Kraftstoffen. Nach der Wende siedelte<br />
sich eine zweite Papierfabrik an. Damit<br />
entwickelte sich Schwedt zu einem<br />
der größten Papierstandorte Deutschlands.<br />
Dritter und jüngster industrieller<br />
VOLLER ENERGIE Annekathrin Hoppe<br />
Trend sind die erneuerbaren Energien.<br />
Die im Industriepark errichtete Biogasanlage<br />
der VERBIO Vereinigte BioEnergie<br />
AG wird nach Fertigstellung der zweiten<br />
Ausbaustufe mit einer Produktionskapazität<br />
von 50 Mio. Kubikmeter Erdgas im<br />
Jahr die größte Anlage ihrer Art weltweit<br />
sein. Auch das technische Verfahren zur<br />
Umwandlung von agrarischen Reststoffen<br />
in Biokraftstoff ist eine Weltneuheit.<br />
»So wird Schwedt zu einem Energiestandort<br />
zwischen Tradition und Moderne«,<br />
hebt Annekathrin Hoppe hervor, Leiterin<br />
der städtischen Wirtschaftsförderung.<br />
Die Maßnahmen im Rahmen der<br />
Wachstumskern-Strategie wollen diese<br />
Potenziale festigen und um neue Elemente<br />
erweitern, insbesondere zur Fachkräftesicherung.<br />
Eine Stärkung des Logistikstandortes<br />
Schwedt wird durch den<br />
Gleisanschluss des Hafens an der Oder<br />
erreicht, der Ende August 2011 in Betrieb<br />
geht. Auch die Papierfabriken erhalten<br />
Anschlussgleise an den Hafen und<br />
können dadurch erhebliche Transporte<br />
von der Straße auf die Schiene verlagern.<br />
Annekathrin Hoppe ist gleichzeitig<br />
die Geschäftsführerin der städtischen<br />
Infrastrukturgesellschaft InfraSchwedt<br />
Infrastruktur und Service GmbH. Ihr Auftrag<br />
ist es, die Ansiedlungsakquise und<br />
das Standortmarketing zu verstärken.<br />
Die wichtigsten entscheidungsrelevanten<br />
Infos über Ansiedlungsflächen wurden<br />
jetzt von der ICU Investor Center<br />
Uckermark GmbH in einer Datenbank<br />
zusammengestellt. »Auf der Expo Real im<br />
Oktober in München werden wir gemeinsam<br />
mit der Stadt Schwedt/Oder die Internet-Version<br />
mit Videos von 13 für Investoren<br />
in Frage kommenden Flächen<br />
erstmals vorstellen«, kündigt ICU-Geschäftsführer<br />
Silvio Moritz an.<br />
Seit drei Jahren besteht in Schwedt/<br />
Oder eine Präsenzstelle der Fachhochschule<br />
Brandenburg und der Hochschule<br />
für nachhaltige Entwicklung Eberswalde<br />
(FH). Die akademischen Einrichtungen<br />
bieten Weiterbildungsleistungen<br />
für Unternehmen an und stehen auch<br />
für Technologietransfers bereit. Ein Fernstudiengang<br />
Betriebswirtschaftslehre<br />
wird angeboten. Auf diese Weise sollen<br />
Fachkräfte qualifiziert und in der Region<br />
gehalten werden.<br />
Ein wichtiger Schritt zur Verbesserung<br />
des Qualifikations-Umfeldes ist das<br />
Haus der Bildung und Technologie, das<br />
derzeit in zentraler Lage entsteht. Hier<br />
sollen neben Bildung und Qualifizierung<br />
auch Angebote zu Technologie, Innovation<br />
und Unternehmensgründung gebündelt<br />
und ausgebaut werden. Auch die<br />
Präsenzstelle der FH wird hier Räume beziehen.<br />
Die Kontakte zur Universität im<br />
benachbarten polnischen Stettin können<br />
auf eine neue Basis gestellt werden.<br />
INTERVIEW<br />
JÜRGEN POLZEHL<br />
Bürgermeister<br />
von Schwedt/Oder<br />
W&M: Welche Auswirkungen hat der<br />
Status RWK auf die Stadt Schwedt/Oder?<br />
POLZEHL: Als einer von 15 Regionalen<br />
Wachstumskernen im Land Brandenburg<br />
wird unsere Stadt über die Landesgrenzen<br />
hinweg als ein entscheidender<br />
Wirtschaftsstandort wahrgenommen.<br />
Die Investition in den RWK<br />
Schwedt/Oder stärkt das wirtschaftliche<br />
Interesse und garantiert somit den<br />
zukunftsorientierten Ausbau unserer<br />
Region.<br />
W&M: Welche Branchen-Kompetenzfelder<br />
weist der RWK Schwedt/Oder auf?<br />
POLZEHL: Unsere Stadt weist durch die<br />
Branchen Mineralölwirtschaft und Biokraftstoffe,<br />
Papier, Metall und Logistik<br />
eine hohe Innovationskraft und Unternehmenskonzentration<br />
von maßgeblicher<br />
Bedeutung auf.<br />
W&M: Warum sollten sich Unternehmen<br />
in Schwedt/Oder ansiedeln?<br />
POLZEHL: Unsere Stadt bietet aufgrund<br />
ihrer hervorragend ausgebauten Infrastruktur<br />
interessierten Unternehmen<br />
optimale Möglichkeiten zur Neuansiedlung.<br />
Überzeugend ist auch der harmonisierende<br />
Bestand an weichen<br />
Standortfaktoren, insbesondere in den<br />
Bereichen Bildung, Freizeit und Kultur<br />
und Gesundheitswesen. Schwedt/Oder<br />
ist eine Stadt, in der es sich neben der<br />
Arbeit auch zu leben lohnt.<br />
34 WIRTSCHAFT & MARKT 09/11
SONDERVERÖFFENTLICHUNG<br />
Regionalmarke Uckermark<br />
Attraktive Nachbarschaft<br />
Die ICU Investor Center Uckermark GmbH holt kommunale Partner aus dem Umland ins RWK-Boot<br />
V<br />
erstärkt wird die gemeinsame<br />
Zusammenarbeit von der ICU Investor<br />
Center Uckermark GmbH<br />
mit Sitz in Schwedt/Oder, die sich neben<br />
der Akquise von auswärtigen Investoren<br />
auch um die Entwicklung einer charakteristischen<br />
»Regionalmarke UCKER-<br />
MARK« kümmert. Unter dieser Regionalmarke<br />
sind derzeit Leistungsträger im<br />
Landkreis aus sechs unterschiedlichen<br />
Bereichen (Wirtschaft, Landwirtschaft,<br />
Tourismus, Kommunen, Kultur/Freizeit/<br />
Sport und Natur/Landschaft) vereint.<br />
»Durch die Bündelung wird erstmals ein<br />
bereichsübergreifendes Management geschaffen,<br />
das zur Effizienzerhöhung und<br />
Informationserweiterung führt«, betont<br />
AUSBILDUNG Investition in die Zukunft.<br />
nehmend als einheitlicher Wirtschaftsraum<br />
versteht«, sagt ICU-Geschäftsführer<br />
Moritz. Höhepunkt der aktuellen Investoren-Werbung<br />
wird der Auftritt auf der<br />
Immobilien-Messe »Expo Real« im Oktober<br />
in München sein.<br />
So wie nach außen, wird auch im Innern<br />
die Wirtschaftskooperation verstärkt.<br />
Unter Nutzung von Fördermitteln<br />
der GRW-Maßnahme »Regionalbudget«<br />
haben die vier Städte Schwedt/Oder,<br />
Prenzlau, Templin und Angermünde zusammen<br />
mit dem Landkreis Uckermark<br />
eine Kooperationsvereinbarung zur<br />
Einrichtung einer Arbeitsgemeinschaft<br />
»Arbeitskreis Fachkräftesicherung« geschlossen.<br />
Die ersten drei gemeinsamen<br />
Projekte wollen den Innovationstransfer<br />
Deutschland/Polen mit einer Präsenzstelle<br />
in Stettin fördern sowie durch das<br />
Projekt »Berufsfelderkundung« und Maßnahmen<br />
zur betriebsnahen Weiterqualifizierung<br />
zur Fachkräftesicherung beitragen.<br />
»Beim Projekt Regionalbudget ist<br />
Schwedt/Oder auf die Nachbarstädte zugegangen«,<br />
berichtet die Leiterin der<br />
Wirtschaftsförderung in Templin, Dana<br />
Schöttler. »Für uns steht dabei der Aspekt<br />
der Fachkräfte im Vordergrund«. Weiterbildungsangebote<br />
sollen Berufserfahrene<br />
an den Standort binden und Betriebs-<br />
Praktika für Schüler Berufsneulingen<br />
den Start ins Arbeitsleben erleichtern.<br />
»Wir haben alle Firmen in unserer Stadt<br />
angeschrieben und eine Ausbildungsplatz-Übersicht<br />
erstellt«, so Frau Schöttler.<br />
»Die Nutznießer dieses Projekts werden<br />
die Schüler sein«, ist die Wirtschaftsförderin<br />
überzeugt.<br />
Auch in Prenzlau setzt man auf den<br />
Nutzen der regionalen Wirtschaftskooperation.<br />
»Wir haben uns in der Arbeitsgruppe<br />
darüber verständigt, wo uns am<br />
meisten der Schuh drückt«, sagt die Leiterin<br />
der Wirtschaftsförderung der Stadt<br />
Prenzlau, Silke Liebher. »Das Ergebnis<br />
war, dass uns in den nächsten Jahren viele<br />
Fachkräfte fehlen werden, wenn wir<br />
nichts unternehmen«. Die Erklärung zur<br />
Zusammenarbeit mit den Nachbarkommunen<br />
wurde sogar vom Prenzlauer<br />
Stadtparlament förmlich beschlossen.<br />
Frau Liebher: »Uns ist klar, dass die ökonomischen<br />
Strukturveränderungen von<br />
einer Stadt allein nicht zu bewältigen<br />
sind.« Erfolgreich ist in Prenzlau die erste<br />
Woche der »Berufsfelderkundung« verlaufen,<br />
die von Berufsbildungsvereinen<br />
für die achten Klassen der Oberschule angeboten<br />
wurde. »Diese Praxiswoche, mit<br />
der frühzeitige Kontakte zwischen<br />
Schülern und Betrieben hergestellt werden<br />
sollten«, so Prenzlaus Wirtschaftsförderin<br />
Liebher, »ist sehr gut angenommen<br />
worden«.<br />
Foto: ICU GmbH<br />
ICU-Geschäftsführer Silvio Moritz. »Auf<br />
diese Weise entsteht ein gestärkter<br />
Marktauftritt, so dass es zu einer erhöhten<br />
Wahrnehmung der Uckermark am<br />
Markt kommt«.<br />
Ein wichtiger Werbefaktor ist dabei<br />
der Regionale Wachstumskern in<br />
Schwedt/Oder. »Dass die Uckermark einen<br />
RWK mit einem Industrie-Highlight<br />
besitzt, ist für unsere Aktivitäten sehr<br />
hilfreich, da die Wachstumskerne generell<br />
eine erhöhte Beachtung finden.« Von<br />
13 Industrie- und Gewerbegebieten im<br />
Landkreis, die sich für Unternehmensansiedlungen<br />
besonders anbieten, hat das<br />
ICU Videofilme anfertigen lassen, die im<br />
Internet abrufbar sind. Zusammen mit<br />
der Zukunftsagentur Brandenburg (ZAB)<br />
wird verstärkt überregional für die<br />
Uckermark geworben. »Dabei stellen wir<br />
uns als eine zentrale Region auf der<br />
Achse Berlin-Stettin dar, die sich nach<br />
Wegfall der Grenzschranken zu Polen zu-<br />
KERNINDUSTRIEGEBIET SCHWEDT Papierwerke und das PCK.<br />
WIRTSCHAFT & MARKT 09/11 35
SONDERVERÖFFENTLICHUNG<br />
Regionaler Wachstumskern Oranienburg-Hennigsdorf-Velten<br />
Trio im starken Schulterschluss<br />
Die drei größten Städte des Landkreises Oberhavel bündeln Kapazitäten zu größtem Nutzen<br />
ierung. Die Diversifizierung trug dazu<br />
bei, dass sich die Zahl der Arbeitsplätze<br />
in den Jahren 2005 bis 2009 um gut sieben<br />
Prozent erhöhte (Landesdurchschnitt:<br />
5,6 Prozent). Auch die sechs Maßnahmen<br />
des RWK-Konzepts, von denen<br />
mittlerweile fünf umgesetzt wurden,<br />
hatten daran Anteil. Dabei handelt es<br />
sich um große Infrastrukturprojekte mit<br />
einem Gesamtvolumen von 25 Millionen<br />
Euro. Das größte unter ihnen ist – mit<br />
einem Volumen von 18 Millionen Euro –<br />
die Erschließung von ehemaligen Flächen<br />
des Hennigsdorfer Elektro-Stahlwerks<br />
(H.E.S.) zur Ansiedlung neuer Unternehmen.<br />
»Die Stadt hatte sich schon<br />
früher um dieses Projekt beworben, aber<br />
erst mit dem RWK kam es wirklich voran«,<br />
erklärt Sylvia Weise. Mittlerweile<br />
sind 70 Prozent der 17 Hektar großen<br />
Fläche an künftige Investoren vergeben<br />
oder optioniert: in der Regel auswärtige<br />
Unternehmen der Metall- und Biotech-<br />
Branche, die sich neu in Hennigsdorf ansiedeln.<br />
Ein Gutteil des Erfolges geht auch auf<br />
die straffe Organisationsform des Regio-<br />
STARKES TRIO Andreas Schulz, der Bürgermeister<br />
von Hennigsdorf (l.), Ines Hübner, die<br />
Bürgermeisterin von Velten, Hans-Joachim<br />
Laesicke, der Bürgermeister von Oranienburg.<br />
Die Bindestriche symbolisieren den<br />
Kooperationswillen – und inzwischen<br />
auch dessen Erfolg. O-H-V<br />
ist der Primus unter den 15 Brandenburger<br />
Wachstumskernen, wie die jüngste<br />
Evaluierung ergab. »Den größten Nutzen<br />
des Regionalen Wachstumskerns sehe<br />
ich in der engeren kommunalen Zusammenarbeit<br />
der drei Städte«, sagt Sylvia<br />
Weise, die als Geschäftsführerin der BBG<br />
Beteiligungs- und Beratungsgesellschaft<br />
mbH in Hennigsdorf für die Koordination<br />
des RWK zuständig ist. Inzwischen<br />
erstrecke sich die Kooperation auch auf<br />
Bereiche jenseits der RWK-Kernanliegen<br />
Wirtschaftsförderung und Fachkräftebereitstellung.<br />
Die wirtschaftlichen Leitbranchen des<br />
RWK sind die Biotechnologie, Kunststoffe<br />
und Chemie, Logistik, Metall und<br />
Schienenverkehrstechnik, an jedem<br />
Standort mit jeweils eigener Akzentunalen<br />
Wachstumskerns zurück, wie die<br />
Stadtoberhäupter nach der RWK-Evaluierung<br />
betonten. Ines Hübner (Bürgermeisterin<br />
der Stadt Velten), Hans-Joachim<br />
Laesicke (Bürgermeister der Stadt<br />
Oranienburg) und Andreas Schulz (Bürgermeister<br />
der Stadt Hennigsdorf): »Es<br />
war richtig, von Anfang an auf eine klare,<br />
transparente und leistungsfähige<br />
Organisationsstruktur zu setzen. Damit<br />
ist es gelungen, ein breites Spektrum an<br />
Maßnahmen und Aktivitäten, umzusetze.<br />
Für die Vorhaben ist ein Höchstmaß<br />
an finanzieller und förderseitiger Unterstützung<br />
erreicht worden. Jede der drei<br />
Städte profitiert von der Zusammenarbeit.<br />
Die Ergebnisse der RWK-Evaluierung<br />
sind ein eindeutiges Signal für die intensive<br />
Fortsetzung der Zusammenarbeit<br />
der drei Städte sowie für die Ausweitung<br />
auf weitere Themenfelder.«<br />
So wurde von den drei Städten ein gemeinsames<br />
Klimaschutzkonzept entwickelt,<br />
wozu Fördermittel des Bundesumweltministeriums<br />
eingesetzt werden<br />
konnten. Das Konzept sieht vor, mit Maßnahmen<br />
zur Verbesserung der Energieeffizienz<br />
und durch die Investition in weitere<br />
CO 2 -sparende Energie- und Wärmeerzeugung<br />
die Emissionen bis zum<br />
Jahr 2015 noch einmal um mehr als zehn<br />
Prozent zu senken.<br />
SYLVIA WEISE Geschäftsführerin der BBG<br />
Ein besonderes Maßnahmenbündel<br />
zielt auf die Verbesserung der Fachkräftesituation.<br />
Dafür wurde 2010 das »FIB –<br />
Fachkräfteinformationsbüro Oberhavel«<br />
für einen Zeitraum von zunächst drei<br />
Jahren eingerichtet. Das Büro offeriert<br />
Beratungs- und Coachingangebote für<br />
Unternehmen in allen Fragen der Nachwuchs-,<br />
Fachkräfte- und Führungskräftesicherung.<br />
RWK-Managerin Weise: »Das<br />
FIB führt eigene Projekte im Übergang<br />
von Schule und Beruf durch und stellt<br />
für die Unternehmen – gemeinsam mit<br />
der Präsenzstelle der Fachhochschule<br />
Brandenburg in der Stadt Hennigsdorf –<br />
Kontakte zu Bildungsträgern, Hochschulen<br />
und wissenschaftlichen Einrichtungen<br />
her.« Fachliche Unterstützung geben<br />
die Bundesagentur für Arbeit, die IHK<br />
Potsdam, die Handwerkskammer Potsdam,<br />
der Landkreis Oberhavel und die<br />
Landesagentur für Struktur und Arbeit<br />
(LASA).<br />
36 WIRTSCHAFT & MARKT 09/11
SONDERVERÖFFENTLICHUNG<br />
Regionaler Wachstumskern Prignitz<br />
Prignitz: In bester Lage<br />
Mit der dreifachen Verkehrsanbindung durch Straße, Bahn und<br />
Wasserweg punktet die Region im Nordwesten Brandenburgs. Mit<br />
der neuen Autobahn 14 wird dieser Vorteil erheblich aufgewertet.<br />
V<br />
on der Prignitz aus ist ein Einzugsgebiet<br />
von zehn Millionen Menschen<br />
in weniger als zwei Stunden zu<br />
erreichen. Das macht die Region für das<br />
Transportgewerbe interessant, aber auch<br />
für andere Branchen.<br />
Für Udo Staeck, Bürgermeister der Gemeinde<br />
Karstädt, ist es deshalb von entscheidender<br />
Bedeutung, dass auch das<br />
größte Projekt auf der Aufgabenliste des<br />
RWK bald in Angriff genommen wird:<br />
der Bau der Autobahn A 14 zwischen<br />
Magdeburg und Schwerin. »Das ist für<br />
unsere Region eine Schlüsselmaßnahme«,<br />
betont Staeck. Mit der Schnellstraße,<br />
die 2015 fertiggestellt sein soll,<br />
wird die Nord-Süd-Erreichbarkeit der<br />
Prignitz deutlich erhöht. Anfang August<br />
gab Bundesverkehrsminister Ramsauer<br />
endlich „grünes Licht“ für den 155 Kilometer<br />
langen Autobahnneubau.<br />
Doch auch schon jetzt steckt viel Dynamik<br />
in der Wirtschaftsregion im Nordwesten<br />
Brandenburgs. Die Evaluierung<br />
der RWK attestierte der Prignitz, ihren<br />
Status als Wachstumskern seit 2005<br />
»sehr aktiv genutzt« zu haben. Für Wittenberges<br />
Bürgermeister Dr. Oliver Hermann<br />
ist das wichtigste Ergebnis des bisherigen<br />
RWK-Prozesses, dass eine »Bündelung<br />
der Kräfte in der Region« erreicht<br />
worden ist. Ein entscheidendes Erfolgsmoment<br />
sieht Hermann in der gelungenen<br />
Kooperation von Politik und Wirtschaft:<br />
»Es war für unseren Wachstumskern<br />
wichtig, von Anfang an die Vertreter<br />
der Wirtschaft mit im Boot zu haben«.<br />
Lutz Lange, Sprecher des RWK und<br />
Vorsitzender der Wirtschaftsinitiative<br />
Westprignitz e. V., hebt hervor, dass diese<br />
gleichberechtigte Beteiligung eines Unternehmerverbandes<br />
im Wachstumskern<br />
»einmalig in Brandenburg« ist. Auf diese<br />
Weise hat sich das »Gemeinschaftsgefühl<br />
in der Region« deutlich verstärkt. Das<br />
gemeinsame Handeln wird in der Lenkungsgruppe<br />
des RWK alle 14 Tage abgestimmt.<br />
»Durch die Kommunikation auf<br />
kurzem Wege kann auch viel schneller<br />
reagiert werden«, hat Lange festgestellt.<br />
Die Ausweisung als Wachstumskern<br />
wirkte als »Aufbruchssignal« für die regionale<br />
Wirtschaft, was sich etwa daran<br />
ablesen lässt, dass die Wirtschaftsinitiative<br />
Westprignitz ihre Mitgliederzahl von<br />
36 zu Beginn auf jetzt über 120 erhöhen<br />
konnte.<br />
Die strategischen Oberziele des RWK<br />
sind neben der Stärkung der wirtschaftlichen<br />
Potenziale auch die Erweiterung<br />
der touristischen Angebotspalette und<br />
der Ausbau einer hochwertigen Bildungslandschaft.<br />
Von Bedeutung ist darüber<br />
hinaus die Zusammenarbeit der<br />
Kommunen zur Sicherung der zentralen<br />
Versorgungsfunktionen für die Region.<br />
Sie hat zur Beteiligung an dem EU-Projekt<br />
»PEA – Public Energy Alternatives«<br />
geführt, mit dem Energiesparpotenziale<br />
im öffentlichen Raum ermittelt und besser<br />
nutzbar gemacht werden sollen. Wittenberges<br />
Bürgermeister Hermann ist<br />
sich sicher, dass der Zuschlag für das Energieprojekt<br />
auf die gemeinsame Antragstellung<br />
der Kommunen zurückzuführen<br />
ist: »Für sich alleine hätte das keine<br />
der drei Kommunen geschafft.« Die Energiesparmaßnahmen<br />
sollen zudem nicht<br />
auf den RWK beschränkt bleiben, wie<br />
Bürgermeister Staeck betont: »Wir haben<br />
den Anspruch auszustrahlen und wollen<br />
andere Gemeinden mitnehmen.«<br />
Großaufgabe Bildung und Fachkräftesicherung:<br />
Um die Ausbildungschancen<br />
zu verbessern und damit auch den Fachkräftebedarf<br />
in der Region zu sichern,<br />
wurde das »Prignitzer Netzwerk Schule-<br />
Wirtschaft« ins Leben gerufen. Erster<br />
Schritt ist, das Wissen der Schüler über<br />
die Arbeitswelt und ihre beruflichen<br />
Möglichkeiten, insbesondere in der Prignitz,<br />
zu erhöhen. Hierzu finanziert der<br />
RWK zwei Berufs- und Karriereplaner,<br />
die Projekte aus dem Bereich Schule-<br />
Wirtschaft organisieren und regelmäßig<br />
Sprechtage an den Schulen der Region<br />
durchführen.<br />
Von hoher wirtschaftlicher Bedeutung<br />
ist auch der Ausbau des Binnenhafens<br />
Wittenberge zum »trimodalen Umschlagknoten«<br />
an der Elbe. An je einer<br />
Lade- und Lösch-Pipeline kann im »Elbeport<br />
Wittenberge« Flüssiggut umgeschlagen<br />
werden. Mit seinem zweiten Anleger<br />
hat sich der Binnenhafen zum Multi-Purpose-Terminal<br />
entwickelt. Die Maßnahmen<br />
zahlen sich aus. So wäre ohne das<br />
Hafenprojekt beispielsweise der Verbleib<br />
eines Unternehmens der chemischen Industrie<br />
fraglich gewesen.<br />
Nach den Anfangserfolgen in Wirtschaft<br />
und Bildung wird verstärkt auch<br />
die Kooperation in anderen Bereichen gesucht,<br />
wie der Bürgermeister der Stadt<br />
Perleberg, Fred Fischer, berichtet. Die Zusammenarbeit<br />
erstreckt sich inzwischen<br />
auch auf die Bereiche Gesundheitsversorgung,<br />
Soziales, räumliche Entwicklung,<br />
Tourismus und Kultur. »Die Maßnahmen<br />
greifen relativ verzahnt ineinander«,<br />
stellt Fischer fest. Der Geist der Kooperation,<br />
freut sich Perlebergs Stadtoberhaupt,<br />
»verbreitet sich in unserem<br />
Wachstumskern auf immer mehr Feldern«.<br />
WIRTSCHAFT & MARKT 09/11 37
SONDERVERÖFFENTLICHUNG<br />
Regionaler Wachstumskern Ludwigsfelde<br />
Ludwigsfelde bewegt<br />
Es läuft rund in Ludwigsfelde. Die größte Stadt im Landkreis Teltow-Fläming, direkt an der<br />
Autobahn gelegen, ist ein Schwergewicht im Verkehrsbereich. Luftfahrttechnik, Automotive und Logistik<br />
zählen zu den prägenden Branchenkompetenzfeldern des Regionalen Wachstumskerns Ludwigsfelde.<br />
Das Leitmotiv der Stadt lautet kurz und knapp: »Ludwigsfelde bewegt«.<br />
GUTE VERKEHRSANBINDUNG: Ludwigsfelde zieht Unternehmen an.<br />
Schon 1936 errichtete Daimler Benz<br />
hier ein Flugzeugmotorenwerk, in<br />
dem heute die Transporter vom Typ<br />
Sprinter und Vario produziert werden.<br />
Ebenfalls setzt MTU am Standort Triebwerke<br />
in Stand und Thyssen Krupp Umformtechnik<br />
produziert Karosserieteile<br />
für Fahrzeuge. 2006 kam ein Logistikzentrum<br />
von Volkswagen und jüngst von<br />
Siemens hinzu. Die gute Verkehrsanbindung,<br />
auch zum nahe gelegenen Großflughafen<br />
in Schönefeld, zieht weitere<br />
Unternehmen an.<br />
Allerdings achtet Ludwigsfelde verstärkt<br />
darauf, sich in seiner Wirtschaftsentwicklung<br />
nicht zu sehr von den dominanten<br />
Branchen abhängig zu machen.<br />
»Wir streben eine breitere Diversifizierung<br />
an«, sagt Wilfried Thielicke, der<br />
Wirtschaftsförderer der Stadt Ludwigsfelde.<br />
Metall und Ernährungswirtschaft<br />
sind weitere Kompetenzfelder, die bereits<br />
am Standort vertreten sind. »Wir<br />
sind aber offen für alle Branchen, die<br />
hierher passen«, betont Thielicke. Als<br />
Beispiel nennt er die modernen Energietechnologien.<br />
So ist Ludwigsfelde inzwischen<br />
eine ausgewählte Bioenergie-Region<br />
des Bundeslandwirtschaftsministeriums.<br />
Auch um Firmen mit einem erhöhtem<br />
Forschungs- und Entwicklungsanteil<br />
will man werben.<br />
Drei zentrale Maßnahmen setzt Ludwigsfelde<br />
im Rahmen des RWK-Programms<br />
um: die Unterstützung des städtischen<br />
Arbeitskreises zur Fachkräftesicherung<br />
der Zukunft, ein Kultur- und<br />
Bürgerhaus als »identitätsstiftende <strong>Mitte</strong><br />
im Stadtzentrum« sowie den Aufbau und<br />
die Entwicklung eines webbasierten<br />
kommunalen Geoportals. Die bisherige<br />
Entwicklung des Regionalen Wachstumskerns<br />
wird im Evaluierungsbericht von<br />
2010 positiv bewertet. »Der RWK Ludwigsfelde<br />
weist aufgrund seiner Arbeitsplatzzentralität<br />
und dynamischen Wirtschafts-<br />
und Beschäftigungsentwicklung<br />
eine wachsende Motorwirkung bzw. Ausstrahlkraft<br />
auf«, urteilten die Gutachter.<br />
Die Studie bescheinigte dem RWK die<br />
zweitbeste Beschäftigungsentwicklung<br />
aller brandenburgischen Wachstumskerne.<br />
Das Zentrum für Aus- und Weiterbildung<br />
Ludwigsfelde (ZAL) ist ein wichtiger<br />
Baustein zur Fachkräftesicherung. Es bietet<br />
einen Rundum-Service für Unternehmen<br />
und Arbeitskräfte.<br />
Was mit der Ansiedlung von Unternehmen<br />
bisher gelungen ist, will die<br />
Stadt künftig bei den Fachkräften fort-<br />
BRÜCKENFEST unter der BAB 10.<br />
setzen: Sie sollen nicht nur zu den Ludwigsfeldern<br />
Arbeitsplätzen einpendeln,<br />
sondern sich als Neu-Bürger dauerhaft<br />
niederlassen. »Ludwigsfelde soll nicht<br />
nur mit interessanten Jobs verbunden<br />
werden, sondern wir streben an, dass<br />
mehr Menschen hier leben wollen«, erklärt<br />
Thielicke. Etliche der weichen<br />
Standortfaktoren sind bereits vorhanden,<br />
wie ein sehr gutes Schulangebot<br />
und Betreuungsplätze im vorschulischen<br />
Bereich.<br />
Verstärkte Aktivitäten gelten in den<br />
kommenden Jahren dem Merkmal »Urbanität«,<br />
wozu ein Standortentwicklungskonzept<br />
sowie ein Einzelhandelsund<br />
Zentrenkonzept erstellt wurde. Maßnahmen<br />
in diesem Zusammenhang sind<br />
die Stärkung des Einzelhandels, die Aufwertung<br />
des öffentlichen Raumes durch<br />
einen »Aktiv-Stadtpark« an der Autobahn<br />
sowie die Profilierung des kulturellen<br />
Angebots durch die Sanierung des Kultur-<br />
und Bürgerhauses. Vor allem das<br />
Kulturhaus gilt als zentrales Projekt.<br />
»Unser Ziel«, betont Wirtschaftsförderer<br />
Thielicke, »ist die Ausrichtung auf eine<br />
nachhaltige Standortentwicklung«.<br />
38 WIRTSCHAFT & MARKT 09/11
SONDERVERÖFFENTLICHUNG<br />
Foto: Stadt Cottbus<br />
Regionaler Wachstumskern Cottbus<br />
Kreative Energie<br />
Die enge Verknüpfung von Wissenschaft und Wirtschaft sowie<br />
von Tradition und Moderne sind im Süden des Landes Brandenburg<br />
die entscheidenden Schlüssel für den ökonomischen Aufschwung.<br />
Nicht nur Fußball-Fans ist bekannt,<br />
dass Cottbus viel mit Energie<br />
zu tun hat. Die größte Stadt<br />
im Süden des Landes Brandenburg ist<br />
das Tor zur Braunkohleregion Lausitz<br />
und besitzt mit der Energiewirtschaft<br />
ein markantes Branchenkompetenzfeld.<br />
Auch wirtschaftliche Ansiedlungserfolge<br />
der letzten Jahre stehen in Zusammenhang<br />
mit diesem Energiestandort. Im<br />
Rahmen des Regionalen Wachstumskerns<br />
werden jedoch auch gezielt Infrastrukturen<br />
ausgebaut, mit denen die<br />
»kreative Energie in den Köpfen« besser<br />
genutzt werden.<br />
Das ist jetzt auch auf dem Industrieund<br />
Technologiepark im Norden der<br />
Stadt erlebbar: Im dort neu errichteten<br />
Technologie- und Forschungszentrum arbeiten<br />
schon seit Monaten kreative Köpfe<br />
aus dem IT- und Sensorikbereich. Wenige<br />
Gehminuten entfernt wird das Energiezentrum<br />
auf dem Campus der Brandenburgischen<br />
Technischen Universität<br />
Cottbus gerade im Rohbau errichtet.<br />
Forschen werden dort künftig die Nachwuchsforscher<br />
der Zukunft, denn<br />
nochmals einen Steinwurf entfernt wird<br />
ein Schulhaus für den Einzug des Max-<br />
Steenbeck-Gymnasiums saniert, einer<br />
international erfolgreichen Schule mit<br />
mathematisch-naturwissenschaftlicher<br />
Ausrichtung. Man spürt es: In Cottbus<br />
drehen sich Kräne für bauliche Investitionen<br />
in die junge Kreativität.<br />
Eine Gelegenheit, dieses Potenzial<br />
sehr unterhaltsam zu erkunden, ist die<br />
»Nacht der kreativen Köpfe«. Zur fünften<br />
Auflage dieser Entdeckungstour am 15.<br />
Oktober 2011 gibt es von 19 bis 24 Uhr an<br />
20 Veranstaltungsorten Vorträge, Workshops,<br />
Theater, Ausstellungen und vieles<br />
mehr. Ausgewählte Firmen und Institutionen<br />
öffnen ihre Pforten und widmen<br />
sich dem Jahresthema der Stadt »Wirtschaft<br />
und Ehrenamt«. Sie entführen in<br />
ihre Wissens-Welt und gestatten den<br />
berühmten Blick hinter die Kulissen.<br />
Kurz: eine Veranstaltung, die über Nacht<br />
klüger macht!<br />
Die »Nacht der kreativen Köpfe« begreift<br />
sich aber auch als Schulterschluss<br />
der »Macher«, möchte die innovativen<br />
Potenziale der Region aufzeigen um<br />
Ängsten und Szenarien, wie dem demographischen<br />
Wandel, Abwanderung und<br />
Fachkräftefragen kreative Antworten<br />
entgegenzusetzen.<br />
Gerade deshalb greifen die Veranstaltungsorte<br />
gern Themen wie Tradition<br />
und Moderne, Erhaltenswertes und Neuerungen,<br />
Jung und Alt oder das Miteinander<br />
der Generationen auf, entwickeln<br />
Perspektiven für die Region und testen<br />
Ideen oder neue kreative Wege.<br />
Mit dem intelligenten Routenplaner,<br />
der vom Fraunhofer-Anwendungszentrums<br />
für Logistiksystemplanung und<br />
Informationssysteme (ALI) entwickelt<br />
wurde, können die Besucher ihre individuelle<br />
Route vorab im Internet sowie<br />
am Abend selbst je nach Interessenlage<br />
planen und mit dem Shuttle-Bus sind<br />
alle Veranstaltungsorte bequem und zeitlich<br />
passend erreichbar.<br />
LABOR Hochspannung in der Technischen<br />
Universität.<br />
Das Ticket berechtigt zum Besuch der<br />
NdkK-Veranstaltungen und zur Nutzung<br />
des Shuttle-Busses sowie von Bus und<br />
Bahn von CottbusVerkehr am 15.10.2011<br />
in der Zeit von 15 bis 12 Uhr (16.10.2011).<br />
Ticketvorverkauf: Ab dem 01.09.2011 an<br />
allen bekannten CTS-Vorverkaufsstellen<br />
sowie online buchbar unter Eventim.<br />
MEINUNG<br />
HENDRIK FISCHER<br />
Leiter der<br />
interministeriellen<br />
Arbeitsgruppe<br />
integrierte Standortentwicklung<br />
(IMAG)<br />
Zusammenspiel<br />
der Kerngebiete<br />
auf gutem Weg<br />
Für den Leiter der interministeriellen<br />
Arbeitsgruppe integrierte Standortentwicklung<br />
(IMAG), Hendrik Fischer,<br />
ist die Weiterentwicklung der Zusammenarbeit<br />
mit den 15 regionalen<br />
Wachstumskernen (RWK) notwendig,<br />
um diese im Land Brandenburg besonders<br />
geförderten Standorte weiter voranzubringen.<br />
Von den RWK erwarten<br />
er und die Experten dieses Gremiums,<br />
in den nächsten Jahren vor allem drei<br />
Dinge im Auge zu behalten:<br />
– die weitere Qualifizierung der<br />
strategischen Arbeit, die umfassende<br />
Kooperation mit ihren Umlandgemeinden<br />
und das Entwickeln und<br />
Umsetzen von strategischen Handlungsansätzen<br />
in den Themenfeldern<br />
Innovation und Fachkräftesicherung.<br />
– Auf dem Weg dorthin wird es wie<br />
in den vergangenen Jahren üblich<br />
jährliche Gesprächsrunden der IMAG<br />
mit den RWK geben. Dabei soll es<br />
dann besonders um die aktuelle wirtschaftlich<br />
Entwicklung am jeweiligen<br />
geförderten Standort, den Stand der<br />
Umsetzung der beschlossenen Maßnahmen<br />
sowie Vorschläge für etwaige<br />
neue prioritäre Vorhaben gehen.<br />
– Die nächste Gesprächsserie startet<br />
schon im September. Ziemlich sicher<br />
ist, dass es bei vielen Terminen noch<br />
stärker um qualitative Aspekte der<br />
Weiterentwicklung gehen wird. Mit<br />
aktuell 133 Vorhaben ist inzwischen<br />
eine Zahl geförderter Maßnahmen<br />
erreicht, die eine noch stärkere Prioritätensetzung<br />
offensichtlich notwendig<br />
macht. Auf die Ergebnisse dieser<br />
Diskussionen darf man deshalb durchaus<br />
gespannt sein.<br />
WIRTSCHAFT & MARKT 09/11 39
SONDERVERÖFFENTLICHUNG<br />
Beteiligte Wachstumskerne<br />
Weitere Wachstumskerne<br />
STADT COTTBUS<br />
Fachbereich Stadtentwicklung<br />
Frau Carola Neumann<br />
Karl-Marx-Straße 67, 03044 Cottbus<br />
Tel.: (03 55) 612-28 56<br />
E-Mail: carola.neumann@neumarkt.cottbus.de<br />
Internet: www.neumarkt.cottbus.de<br />
STADT LUDWIGSFELDE<br />
Stadtentwicklung und Wirtschaftsförderung<br />
Herrn Wilfried Thielicke<br />
Rathausstraße 3, 14974 Ludwigsfelde<br />
Tel.: (033 78) 82 7-110<br />
E-Mail: wilfried.thielicke@svludwigsfelde.brandemburg.de<br />
STADT BRANDENBURG AN DER HAVEL<br />
Amt für Wirtschaftsförderung und Tourismus<br />
Amtsleiter Hans-Joachim Freund<br />
www.stadt-brandenburg.de<br />
STADT EBERSWALDE<br />
Amt für Wirtschaftsförderung und Tourismus<br />
Amtsleiter Dr. Ronald Thiel<br />
www.eberswalde.de<br />
STADT FRANKFURT (ODER)<br />
Amt für Wirtschaftsförderung und Investitionen<br />
Abteilungsleiterin Wirtschaftsförderung<br />
Frau Bärbel Jegorow<br />
www.frankfurt-oder.de<br />
STADT SCHWEDT/ODER<br />
UND INVESTOR CENTER UCKERMARK<br />
Frau Hoppe<br />
Lindenallee 25–29<br />
16285 Schwedt<br />
Tel: (033 32) 44 62 06<br />
E-Mail: ahoppe@schwedt.de<br />
Internet: www.schwedt.de<br />
STADT FÜRSTENWALDE<br />
Wirtschaftsförderung und Tourismus<br />
Frau Andrea Schickert<br />
www.fuerstenwalde-spree.de<br />
STADT GROSSRÄSCHEN<br />
Wachstumskern Westlausitz<br />
Frau Wieduwilt<br />
www.wachstumskern-westlausitz.de<br />
REGIONALER WACHSTUMSKERN<br />
PERLEBERG-WITTENBERG-KARSTÄDT<br />
Koordinatorin Frau Annett Jura<br />
Laborstr. 1, 19322 Wittenberge<br />
Tel: (038 77) 984 271<br />
E-Mail: koordinatorin@wk-prignitz.de<br />
Internet: www.wachstumskern-prignitz.de<br />
RWK O-H-V<br />
c/o BBG Beteiligungs- und<br />
Beratungsgesellschaft mbH<br />
Frau Sylvia Weise<br />
Eduard-Maurer-Straße 13,<br />
16761 Hennigsdorf<br />
Tel: (033 02) 20 03 30<br />
E-Mail: info@rwk-ohv.de<br />
Internet: www.rwk-ohv.de<br />
STADT LUCKENWALDE<br />
Stabstelle Wirtschaftsförderung<br />
Frau Jutta Stohwasser<br />
www.luckenwalde.de<br />
INKOM NEURUPPIN – GESELLSCHAFT FÜR<br />
KOMMUNALE DIENSTLEISTUNGEN MBH<br />
Geschäftsführer Hans Schaefer<br />
www.inkom-neuruppin.de<br />
LANDESHAUPTSTADT POTSDAM<br />
Oberbürgermeister Jann Jakobs<br />
www.potsdam.de<br />
ALTSTADTSANIERUNGSGESELLSCHAFT<br />
SPREMBERG MBH<br />
Wirtschaftsförderung<br />
Frau Anja Beck<br />
www.stadt-spremberg.de<br />
Impressum<br />
STADT KÖNIGS WUSTERHAUSEN<br />
Bürgermeister Dr. Lutz Franzke<br />
www.stadt-kw.brandenburg.de<br />
Sonderveröffentlichung Regionale Wachstumskerne<br />
Eine Anzeigensonderveröffentlichung von<br />
Regionalen Wachstumskernen des Landes Brandenburg<br />
Verantwortlich für den Inhalt: Die beteiligten Regionalen<br />
Wachstumskerne<br />
Eine Produktion der Redaktion Sonderthemen<br />
für den Verlag Wirtschaft und Markt<br />
Redaktion: Manfred Ronzheimer<br />
Anzeigen: Michael Schulze (v. i. S. d. P.)<br />
Verlag: Wirtschaft & Markt Verlagsgesellschaft<br />
Druck: Möller Druck Berlin<br />
40 WIRTSCHAFT & MARKT 09/11
Die richtige Energie<br />
für die Zukunft<br />
Als eines der großen Energieunternehmen Deutschlands setzen wir uns<br />
für alles ein, was die Menschen in Brandenburg und Mecklenburg-<br />
Vorpommern nach vorne bringt. Wir unterstützen viele Projekte aus den<br />
Bereichen Wissenschaft, Forschung und Bildung und fördern den Ausbau<br />
erneuerbarer Energien.<br />
Ein Stück sichere Zukunft – entwickelt mit der richtigen Energie.<br />
Energie. Kommunikation. Mensch. | www.ewe.de
SPECIAL<br />
Anfang August liefen wieder einmal<br />
wenig verheißungsvolle Nachrichten<br />
aus dem deutschen Gesundheitssystem<br />
über die Agenturen: Auf dem<br />
Lande sterben die Hausärzte aus, so lautete<br />
– kurz gefasst – das aktuellste Horrorszenario<br />
aus dem an schlechten Neuigkeiten<br />
ohnehin nicht armen Gesundheitswesen.<br />
Wieder einmal droht ein<br />
Loch in der medizinischen Versorgung<br />
und im Reigen der rasch wechselnden<br />
Amtsinhaber im Bundesgesundheitsministerium<br />
ist es nun an Daniel Bahr,<br />
mit seinem Regierungsentwurf eines<br />
Versorgungsstrukturgesetzes, die ärztliche<br />
Grundversorgung in der Fläche zu<br />
sichern.<br />
Ein System von Anreizen und Sanktionen<br />
– so der Plan des FDP-Ministers – soll<br />
Ärzte aus überversorgten städtischen<br />
Zentren in die Peripherie locken. Die mit<br />
seinem Gesetz verbundenen Kosten bezifferte<br />
der liberale Gesundheitsminister<br />
auf maximal rund 320 Millionen Euro<br />
pro Jahr.<br />
Die Hausarztpraxis auf dem Land gilt<br />
wegen der vergleichsweise bescheidenen<br />
Verdienstmöglichkeiten bei gleichzeitig<br />
hohem Arbeitsaufwand als besonders<br />
unattraktiv für junge Ärzte. Nun sollen<br />
umzugswillige Mediziner in bis dato unterversorgten<br />
Gebieten von bestimmten<br />
Sparmaßnahmen ausgenommen werden.<br />
Auch die Residenzpflicht soll fallen<br />
– die Ärzte müssten dann nicht mehr am<br />
Standort ihrer Praxen leben.<br />
Fotos: PictureDisk<br />
BESSER ALS SEIN RUF<br />
Wenn es darum geht, den Ärztemangel<br />
auf dem flachen Land anschaulich zu illustrieren,<br />
schwärmen die Medien gerne<br />
nach Mecklenburg-Vorpommern aus. Ein<br />
naheliegender Reflex: Schließlich steht<br />
Deutschlands Nordosten ohnehin sinnbildlich<br />
für die Flucht vom Lande, für Abwanderung<br />
und siechende Infrastruktur<br />
in der Fläche. Und in Mecklenburg-Vorpommern<br />
gelten 85 Prozent der Landesfläche<br />
als »ländlicher Raum«, in dem<br />
trotz schrumpfender Einwohnerzahl immer<br />
noch mehr als zwei Drittel der Einwohner<br />
des Bundeslandes leben.<br />
Gegen das hartnäckige Klischee hilft<br />
es da wenig, dass erst in diesem Sommer<br />
der »Ärzteatlas 2011« des Wissenschaftlichen<br />
Instituts der AOK dem Land bescheinigte,<br />
im bundesweiten Vergleich<br />
der Ärzteversorgung keineswegs die rote<br />
Laterne, sondern einen soliden <strong>Mitte</strong>lplatz<br />
innezuhaben. Mit Blick auf die<br />
wahren Sorgenkinder Sachsen-Anhalt,<br />
Niedersachsen oder Brandenburg steht<br />
die Ostseeregion in der Versorgung mit<br />
Hausärzten vergleichsweise gut da. Anlass<br />
zur übertriebenen Sorglosigkeit bie-<br />
Gesundheitswirtschaft<br />
Jobmotor von morgen?<br />
Lange Zeit war die Gesundheitswirtschaft nur als Kostentreiber<br />
verschrien. Nun setzen immer mehr Regionen auch<br />
in Ostdeutschland auf die Branche als Wachstumsmarkt.<br />
Vor allem Mecklenburg-Vorpommern will sich bundesweit als<br />
führendes Gesundheitsland profilieren.<br />
tet die Statistik allerdings nicht. Auch<br />
zwischen Müritz und Ostsee ist die ungleiche<br />
regionale Verteilung der Arztpraxen<br />
zwischen Stadt und Land augenfällig.<br />
Auch droht die Überalterung der Gesellschaft<br />
gleich zweifach zur Belastung<br />
zu werden.<br />
Auf der einen Seite resultiert aus ihr<br />
in Zukunft ein weitaus höherer medizinischer<br />
Bedarf als bisher, auf der anderen<br />
Seite werden gerade in Ostdeutschland<br />
viele Ärzte in Zukunft altersbedingt<br />
ihre Praxen räumen. So manchem Hausarzt<br />
könnte bei der Suche nach einem<br />
Nachfolger unter den gegenwärtigen Bedingungen<br />
wenig Erfolg beschieden sein.<br />
GESUNDHEITSLAND NUMMER EINS<br />
Für die Miseren des Gesundheitssystems<br />
ist Mecklenburg-Vorpommern dennoch<br />
ein schlechtes Beispiel. Denn gerade hier<br />
hegt man im Gesundheitssektor große<br />
Pläne. Die Branche soll zwischen Rostock<br />
und Neubrandenburg zum Jobmotor der<br />
Zukunft avancieren. Mecklenburg-Vorpommern<br />
als Gesundheitsland Nummer<br />
eins in Deutschland – das ist erklärtes<br />
Ziel der Schweriner Regierung. Die Ge-<br />
42 WIRTSCHAFT & MARKT 09/11
SPECIAL<br />
WACHSTUM RUND UM DIE GESUNDHEIT<br />
Weiteres Wachstum wird gerade im zweiten<br />
Gesundheitsmarkt – den privat finanzierten<br />
Produkten und Dienstleistungen<br />
rund um die Gesundheit – erwartet.<br />
Dieser Markt – in der Definition nicht<br />
einheitlich abgegrenzt – reicht von frei<br />
verkäuflichen Arzneimitteln über den<br />
boomenden Fitness- und Wellnessmarkt,<br />
dem Gesundheitstourismus bis hin zu<br />
den Themen gesunde Ernährung und<br />
gesundes Wohnen. Im zweiten Gesundheitsmarkt<br />
werden bundesweit nach<br />
Angaben des Bundesgesundheitsministeriums<br />
knapp 55 Milliarden Euro ausgegeben.<br />
Das entspricht fast 20 Prozent der<br />
gesamten Konsumausgaben.<br />
Von diesem Trendmarkt will Mecklensundheitsbranche<br />
soll sich bis 2020 endgültig<br />
neben den traditionellen Standbeinen<br />
Schiffbau, Tourismus und<br />
Ernährungswirtschaft als feste Säule im<br />
Branchenmix etabliert haben.<br />
In den vergangenen zehn Jahren ist<br />
man an der Ostseeküste bei der Umsetzung<br />
dieser Vision bereits ein gutes<br />
Stück vorangekommen. Ein durchschnittliches<br />
jährliches Umsatzwachstum<br />
von 2,7 Prozent verzeichnet die<br />
Branche im Nordosten. Dies ist der zweithöchste<br />
Wert aller Bundesländer nach<br />
Berlin. Die Zahl der Beschäftigten stieg<br />
nach Erhebungen der NORD/LB zwischen<br />
1999 und 2008 jährlich durchschnittlich<br />
um etwa 1,3 Prozent. Schon jetzt ist die<br />
Gesundheitswirtschaft beschäftigungspolitisch<br />
bedeutsamer als etwa der Handel<br />
oder das verarbeitende Gewerbe. Der<br />
Anteil der Branche an der Bruttowertschöpfung<br />
des Landes liegt bei 13,7 Prozent.<br />
Damit belegt Mecklenburg-Vorpommern<br />
den Spitzenplatz.<br />
MEHR ALS NUR GRUNDVERSORGUNG<br />
Wobei zum besseren Verständnis festgehalten<br />
werden muss: Die Gesundheitswirtschaft<br />
ist mehr als der klassische erste<br />
Gesundheitsmarkt – also die über die<br />
gesetzliche und die privaten Krankenund<br />
Pflegeversicherungen finanzierte<br />
medizinische Grundversorgung von niedergelassenen<br />
Ärzten und in Kliniken.<br />
Von herausragender Bedeutung ist vor<br />
allem auch die Vorleistungs- und Zulieferindustrie,<br />
dazu zählen die pharmazeutische<br />
Industrie, die Medizin- und<br />
Gerontotechnik, die Bio- und Gentechnologie<br />
sowie das Gesundheitshandwerk<br />
und der medizinische Handel.<br />
burg-Vorpommern in den kommenden<br />
Jahren mit wachsendem Anteil profitieren.<br />
Frühzeitig hat man deshalb im<br />
Lande begonnen, die vorhandenen Kräfte<br />
zu bündeln. So dient beispielsweise<br />
ein alljährlicher Ideenwettbewerb Gesundheitswirtschaft<br />
des Schweriner<br />
Wirtschaftsministeriums dazu, innovative<br />
Ideen in der Branche zu fördern und<br />
Existenzgründungen zu befördern. Eine<br />
der treibenden Kräfte im Land beim weiteren<br />
Aufbau der Gesundheitswirtschaft<br />
ist die BioCon Valley GmbH. Als zentraler<br />
Ansprechpartner für Medizintechnik,<br />
Biotechnologie und Biowissenschaften<br />
versucht BioCon Valley die vorhandenen<br />
Kompetenzen in der heterogenen Gesundheitswirtschaft,<br />
sei es in Unternehmen<br />
– rund 120 sind es mittlerweile im<br />
Bereich Life Sciences –, Universitäten,<br />
Hochschulen oder Forschungseinrichtungen<br />
zu vernetzen. Denn Voraussetzung<br />
für ein erfolgreiches »Gesundheitsland«<br />
ist es, dass Touristiker, Mediziner<br />
und die Ernährungswirtschaft ihre Produkte<br />
und Dienstleistungen koordinieren.<br />
In einigen Regionen wird dieser Weg<br />
bereits beschritten. Rügen etwa vermarktet<br />
sich bundesweit im Zusammenspiel<br />
von Medizin und Touristik als »Gesund-
SPECIAL<br />
Foto: privat<br />
INTERVIEW<br />
ANDREAS SZUR, Senior<br />
Projektmanager und Leiter<br />
Gesundheitswirtschaft<br />
der BioCon Valley GmbH.<br />
Eckpfeiler der Wirtschaft<br />
W&M: Herr Szur, Mecklenburg-Vorpommern<br />
will sich als Gesundheitsland etablieren. Wie<br />
weit ist das Land bereits vorangekommen?<br />
SZUR: Die Gesundheitsbranche ist bereits<br />
jetzt ein strukturpolitischer Eckpfeiler<br />
und Jobmotor für Mecklenburg-<br />
Vorpommern. Sowohl der Umsatz mit<br />
rund vier Milliarden Euro als auch die<br />
mittlerweile zirka 100.000 Arbeitsplätze<br />
– das entspricht etwa 15 Prozent der Erwerbstätigen<br />
insgesamt – sind für eine<br />
strukturschwache Region wie Mecklenburg-<br />
Vorpommern unverzichtbar. Im<br />
Krisenjahr 2009 konnten wir beispielsweise<br />
einen Zuwachs von 3.000 sozialversicherungspflichtigen<br />
Beschäftigungsverhältnissen<br />
verzeichnen, was<br />
für die Stabilität der Branche spricht.<br />
W&M: Wo liegen die besonderen Stärken?<br />
SZUR: Infrastrukturell gesehen ist Mecklenburg-Vorpommern<br />
in den Bereichen<br />
Rehabilitation mit über 60 Kliniken,<br />
Gesundheitstourismus mit 58 Kur- und<br />
Erholungsorten und in der Ernährungswirtschaft<br />
besonders gut aufgestellt.<br />
Medizintechnik und Biotechnologie<br />
haben sich entgegen dem Bundestrend<br />
positiv gestaltet.<br />
W&M: Wo sind neue Arbeitsplätze denkbar?<br />
SZUR: Ich möchte als ein Beispiel den<br />
Bereich »Gesundes Altern« nennen. Hier<br />
gibt es noch vielschichtige Potenziale für<br />
den Arbeitsmarkt, etwa für das Handwerk<br />
durch den Umbau und Neubau von<br />
barrierearmen und altersgerechten Immobilien,<br />
für die Immobilienwirtschaft<br />
selbst, aber auch im Bereich der haushaltsnahen<br />
Dienstleistungen. Eine weitere<br />
Herausforderung für den Arbeitsmarkt<br />
besteht darin, den Fachkräftebedarf<br />
in der Pflegewirtschaft abzudecken.<br />
W&M: Ist die negative demografische Entwicklung<br />
dabei ein Hindernis?<br />
SZUR: Dies ist eine große Herausforderung<br />
für alle Branchen im Land. Dennoch<br />
überwiegen die Chancen, da wir<br />
in Mecklenburg-Vorpommern einen Bevölkerungszuwachs<br />
in der Kohorte der<br />
über 55jährigen zu verzeichnen haben.<br />
Diese Klientel ist finanzstark, erwirbt<br />
zum überwiegenden Teil Wohneigentum<br />
und ist bereit, auch Geld in die eigene<br />
Gesunderhaltung zu investieren,<br />
was für unsere Branche gut ist.<br />
heitsinsel«. BioCon Valley hat mit dem<br />
Verbund »ScanBalt« im Bereich Forschung<br />
und Entwicklung den Bogen zu<br />
den Nachbarländern in Skandinavien<br />
geschlagen. Zudem ist bei BioCon Valley<br />
das Projektbüro Gesundheitswirtschaft<br />
des Landes angesiedelt, das als Anlaufstelle<br />
für die Akteure der Branche dient<br />
(siehe Interview). Die Branche umfasst in<br />
MV rund 7.000 private Unternehmen und<br />
öffentliche Einrichtungen.<br />
Mit dem Masterplan Gesundheitswirtschaft<br />
2020 hat die Schweriner Landesregierung<br />
fünf Feldern definiert, in denen<br />
die Gesundheitswirtschaft im Land gezielt<br />
gefördert werden soll: Dazu zählen<br />
die Biotechnologie, Medizintechnik und<br />
die pharmazeutischen Industrie unter<br />
dem Dachbegriff Life Sciences, die Gesundheitsdienstleistungen,<br />
das »Gesunde<br />
Altern«, der Gesundheitstourismus sowie<br />
die Ernährungswirtschaft.<br />
GESUNDHEITSTOURISMUS IM FOKUS<br />
Prädestiniert für die Rolle des »Platzhirschen«<br />
ist Mecklenburg-Vorpommern vor<br />
allem im Gesundheitstourismus. Dass<br />
dieser längst kein Nischenmarkt mehr<br />
ist, belegen Untersuchungen des Qualitätsmonitors<br />
Deutschland-Tourismus.<br />
Nach dessen Zahlen klassifizierten im<br />
Jahr 2007/2008 bzw. im Untersuchungszeitraum<br />
2008/2009 rund 16 beziehungsweise<br />
17 Prozent aller deutschen Urlauber<br />
ihre Reise als Gesundheitsurlaub<br />
oder als Kur. Nach Angaben des Tourismusverbandes<br />
Mecklenburg-Vorpommern<br />
e. V. waren 2009 etwa 21 Prozent<br />
der Urlauber in Mecklenburg-Vorpommern<br />
Wellness-Gäste. Im Winterhalbjahr<br />
erreicht dieser Wert gar die 50-Prozent-<br />
Marke. Eine Studie der Forschungsgemeinschaft<br />
Urlaub und Reisen schließlich<br />
prognostiziert, dass sich die Zahl der<br />
Gesundheitstouristen von vier Millionen<br />
im Jahr 2009 auf sieben Millionen bis<br />
zum Jahr 2020 vergrößern wird – sei es<br />
ARBEITSMARKT<br />
Jobmotor Gesundheitsbranche<br />
Beschäftigungsentwicklung in der Gesundheitswirtschaft<br />
(Angaben in Prozent; 1999 = 100)<br />
Prozent<br />
110<br />
105<br />
100<br />
95<br />
■ Mecklenburg-Vorpommern<br />
■ Ostdeutschland ■ Westdeutschland<br />
zur Prävention, Gesundheitsförderung,<br />
Rehabilitation oder zur medical wellness,<br />
einer Mischform aus medizinischer<br />
Betreuung und Erholungsurlaub.<br />
ANGEBOTE AUFEINANDER ABSTIMMEN<br />
Ein wirtschaftlicher Selbstläufer ist der<br />
vermeintliche Megatrend aber nicht.<br />
Dazu ist der Gesundheitstourismus als<br />
Phänomen noch zu stark im Wandel begriffen.<br />
Eine hohe Hürde stellt die Fachkräftesicherung<br />
dar. Mecklenburg-Vorpommern<br />
will sich deshalb auch als Ausund<br />
Weiterbildungsstandort für die<br />
Branche positionieren.<br />
Neben dem gestiegenen Gesundheitsbewusstsein<br />
der Bevölkerung wird künftig<br />
das Thema der alternden Gesellschaft<br />
dominieren. Wer im Markt zu den Gewinnern<br />
gehören will, muss seine Angebote<br />
auf diese sich ändernden Rahmenbedingungen<br />
umstellen und entsprechend<br />
vermarkten – auch international.<br />
Der ärztliche verordnete Kuraufenthalt<br />
ist dabei nur noch ein Teilsegment<br />
der Gesundheitsreisen. Immer mehr<br />
Menschen nehmen eigenes Geld in die<br />
Hand, um Urlaub und Gesundheitsvorsorge<br />
zu verbinden. Aus dem rein anbieterorientierten<br />
Markt der Kurorte und<br />
Heilbäder wird sich mehr und mehr ein<br />
von Selbstzahlern bestimmter Nachfragemarkt<br />
entwickeln. Für einzelne Regionen<br />
die Chance, sich mit Spezialisierungen<br />
Alleinstellungsmerkmale in einem<br />
stark umkämpften Wettbewerb zu sichern.<br />
Solche Spezialisierungen können<br />
z. B. in Angeboten für chronisch Erkrankte<br />
bestehen. Reisen, die auf die Bedürfnisse<br />
von Herz- oder Diabeteskranken,<br />
Allergikern oder Menschen mit Lebensmittelunverträglichkeiten<br />
zielen, gelten<br />
als vielversprechendes Marktsegment,<br />
wenn es gelingt, die nötigen Therapieformen<br />
mit den traditionellen Erholungsurlaub<br />
zu verknüpfen.<br />
Matthias Salm<br />
&<br />
1999 2000 2001 2002 2003 2004 2005 2006 2007 2008<br />
Quelle: NORD/LB<br />
44 WIRTSCHAFT & MARKT 09/11
REPORT<br />
Fotos: DPA/ZB (2), T. George<br />
haben, innen allerdings voluminöser gebaut<br />
werden. Das würde den Innenhof<br />
kleiner machen. Immerhin gibt es einen<br />
Hof. Pläne, das Haus völlig zu überwölben,<br />
wurden vor einigen Jahren fallen gelassen.<br />
Gebaut wird mit der Maßgabe, dass<br />
ein Parlament dort einzieht, das – in Zukunft<br />
womöglich – von den Bürgern eines<br />
gemeinsamen Bundeslandes Berlin-<br />
Brandenburg gewählt wird. Das wäre<br />
dann größer als das 88-Personen-Parlament<br />
im heutigen Brandenburg. Bis es eines<br />
Tages soweit sein sollte, wird der den<br />
Berlinern vorbehaltene Bereich dem Lan-<br />
Die städtische Perle Potsdam wird<br />
seit nunmehr 20 Jahren baulich<br />
veredelt. Mit dem Neubau des<br />
Landtags wird jetzt eine Art innerstädtischer<br />
Schlussstein gesetzt. »Das hat etwas<br />
Unverrückbares, von jetzt an geht es<br />
nur noch vorwärts«, sagte bei Baubeginn<br />
Brandenburgs Ministerpräsident Matthias<br />
Platzeck (SPD). Im Potsdamer Stadtführer<br />
sind auf dem Stadtareal 16 Schlösser<br />
oder »schlossartige Gebäude« ausgewiesen.<br />
Das 17. ist im Entstehen.<br />
Gegenwärtig sind die Grundierungsarbeiten<br />
abgeschlossen und die ersten<br />
Wände erheben sich über dem Erdboden.<br />
So schnell nun der Bau voran geht, so<br />
kurvenreich war der Weg, den ein Projekt<br />
genommen hat, für das der Landtag<br />
2005 grünes Licht gab. Schwer kriegszerstört<br />
wurden die Ruinen des barocken<br />
Potsdamer Stadtschlosses zu DDR-Zeiten<br />
abgetragen, was, »in Verantwortung der<br />
SED« geschah, wie Finanzminister Helmuth<br />
Markov (Linke) anmerkte. Zwar verzögerte<br />
sich der Baustart ein wenig, weil<br />
die Dauer der archäologischen Arbeiten,<br />
der notwendigen Straßenverlegung und<br />
der Verlegung von Zuleitungen falsch<br />
eingeschätzt war. Doch werde man sich<br />
noch in 100 Jahren an einem schönen Gebäude<br />
erfreuen, für dessen werkgetreue<br />
Barockfassade der Software-Milliardär<br />
Hasso Plattner 20 Millionen Euro gespendet<br />
hatte, rühmt Markov.<br />
Noch in den neunziger Jahren war es<br />
in der Stadt mit großer SPD- und Linken-<br />
Mehrheit völlig undenkbar, dass sich<br />
eine Mehrheit für eine Schlosskopie finden<br />
würde – eine Umfrage unter den<br />
Potsdamern 2004 hatte zwar noch keine<br />
Mehrheit für die Schlossvariante ermitteln<br />
können, doch hatte keine der angebotenen<br />
Alternativ-Standorte für den<br />
neuen Landtag auch nur halb so viele Befürworter.<br />
Die Baukosten des in öffentlich-privater<br />
Partnerschaft (ÖPP) errichteten<br />
Gebäudes wurden auf 120 Millionen<br />
Euro veranschlagt.<br />
Errichtet wird ein modernes Parlament,<br />
ein Bürogebäude, das mit einer barocken<br />
Fassade versehen wird. So wird es<br />
sein: Außen erweckt das Haus den Eindruck,<br />
drei königliche Etagen zu besitzen,<br />
in Wirklichkeit werden es fünf sein.<br />
Parlamentarier und Landtagsangestellte<br />
sitzen in schlichten Büros. Zwischen Fassade<br />
und eigentlichem Haus wird eine<br />
Lücke klaffen. Ein Anliegen der Stiftung<br />
Preußische Schlösser und Gärten ist es,<br />
die in Potsdam unter Obhut der Stiftung<br />
deponierten Teile der alten Stadtschlossfassade<br />
dem Neubau einzupassen.<br />
Den Bauplänen zufolge wird das Gebäude<br />
außen die Kubatur und auch die<br />
Fassade des historischen Stadtschlosses<br />
Landtagsneubau in Potsdam<br />
Unverrückbarer Fakt<br />
Der brandenburgische Landtag erhält ein neues Domizil. Auf dem<br />
Areal des alten Stadtschlosses entsteht ein modernes Gebäude mit<br />
historischer Fassade. Zu den Projektkritikern zählen auch Berliner.<br />
ANSICHTSSACHE: Der künftige Landtag.<br />
desrechnungshof (LRH) als Domizil dienen.<br />
Das läuft nicht konfliktfrei. Der Präsident<br />
des Landesrechnungshofes Thomas<br />
Apelt kritisierte vor geraumer Zeit,<br />
dass seine Behörde in unangemessener<br />
Nähe zu den Abgeordneten und mit<br />
ihnen unter einem Dach unterkommen<br />
solle, wo außerdem zu wenig Platz für<br />
alle sei. Die Fraktionschefin der CDU,<br />
Saskia Ludwig, plädierte für Umplanung.<br />
SPD-Fraktionschef Ralf Holzschuher<br />
wollte den Fortgang aber nicht gefährden.<br />
Wenn es um die Frage der gemeinsamen<br />
Toilettenbenutzung gehe, dann<br />
sollte sich die Abtrennung des LRH-Bereiches<br />
»organisieren lassen«.<br />
Hinzu kommt, dass Berlin bereits die<br />
kalte Schulter gezeigt hat. Selbst wenn in<br />
Zukunft die Vereinigung der beiden Länder<br />
gelingen sollte – dessen Parlament<br />
werde in Berlin unterkommen und zwar<br />
im Preußischen Abgeordnetenhaus, stellte<br />
der Präsident des Berliner Abgeordnetenhauses<br />
Walter Momper in einem Brief<br />
an Landtagspräsident Fritsch (beide SPD)<br />
klar. Das gemeinsame Parlament in Potsdam<br />
war eine Vereinbarung vor dem ersten<br />
Versuch, beide Länder zu fusionieren.<br />
Er scheiterte 1996 am Nein der Brandenburger.<br />
Nun fühlt sich auch Berlin an<br />
die alten Verträge nicht mehr gebunden.<br />
46 WIRTSCHAFT & MARKT 09/11
REPORT<br />
Insofern wird es wohl einen anderen<br />
Akt des guten Willens auch nicht geben.<br />
Als in den sechziger Jahren die Ruine des<br />
Schlosses abgerissen wurde, transportierte<br />
man Sandsteinfiguren nach Berlin,<br />
zur Humboldt-Universität, die damals gerade<br />
rekonstruiert worden war. Es handelt<br />
sich um acht so genannte Attika-<br />
Figuren, die 1966 als Dauerleihgabe des<br />
damaligen Betriebes Schlösser und Gärten<br />
von Sanssouci auf die Seitenflügel<br />
der Universität gestellt worden sind. Die<br />
Rückführung dieser acht Skulpturen von<br />
Berlin auf den Landtagsneubau in Potsdam<br />
ist offen. Die Schlösserstiftung hat<br />
mit dem Berliner Denkmalamt und dem<br />
Präsidenten der Humboldt-Universität<br />
dazu Gespräche geführt. Dabei seien<br />
»nachvollziehbare konservatorische und<br />
denkmalpflegerische Argumente vorgebracht<br />
worden, die gegen eine Verbringung<br />
der Skulpturen auf den Landtagsneubau<br />
sprechen«, hieß es.<br />
Auf dem Dach des neuen Landtags in<br />
der Form des Potsdamer Stadtschlosses<br />
sollen insgesamt 150 Postamente für<br />
Figuren und Vasen errichtet werden. Einige<br />
dieser Sockel könnten auch zwei Figuren<br />
tragen. Somit sei sichergestellt,<br />
dass alle 76 ursprünglichen Attika-Figuren<br />
wiedererrichtet werden können. In<br />
den Bauplänen sind diese Figuren aber<br />
nicht enthalten. Das Land hofft an dieser<br />
Stelle auf die Initiative privater Spender.<br />
Der neue Landtag auf dem Potsdamer<br />
Alten Markt soll in jeder Hinsicht behindertengerecht<br />
errichtet werden. Für gehbehinderte<br />
Menschen wird es Fahrstühle<br />
und Aufzüge geben, die Zugänge zu allen<br />
öffentlichen Bereichen seien behindertengerecht<br />
geplant. Hörbehinderte Menschen<br />
könnten mit einem Audio-System<br />
rechnen. Im Innenhof des Landtags wird<br />
ein modernes Leitsystem gebaut.<br />
Eine Bewohnerin des historischen<br />
Knobelsdorffschen Stadtschlosses, an<br />
dessen Stelle der Neubau nun entsteht,<br />
lebt noch. Ingrid Semmrich war Kind des<br />
damaligen Schlossführers und erlebte<br />
im Weinkeller des Schlosses die Bombennacht<br />
im April 1945, in der mit der Residenzstadt<br />
Potsdam auch ihr Stadtschloss<br />
in Schutt und Asche sank. Vor dem Hintergrund<br />
des damals Erlebten freue sie<br />
sich, dass nun der Landtag das Areal bezieht,<br />
sagte sie bei der Grundsteinlegung.<br />
Ihre Geschichte nahm Landtagspräsident<br />
Gunter Fritsch (SPD) zum Anlass,<br />
darauf hinzuweisen, dass nach dem<br />
Ersten Weltkrieg das Schloss eben kein<br />
Fürstenhof mehr war, sondern ein öffentliches<br />
Gebäude, in dem Behörden untergebracht<br />
waren und auch die Potsdamer<br />
Stadtverordnetenversammlung.<br />
Matthias Krauß<br />
NACHGEFRAGT BEIM MINISTER<br />
Zeitverzug und zähes Verhandeln<br />
Brandenburgs Finanzminister Helmuth Markov (Die Linke) ist von<br />
Amts wegen Bauherr des neuen Landtags. W&M sprach mit ihm<br />
über Mehrkosten, öffentlich-private Partnerschaft und Bauaufträge.<br />
In Potsdam lässt sich die größte Baustelle<br />
der brandenburgischen Landeshauptstadt<br />
nicht mehr übersehen.<br />
Der Neubau des Landtages, der an historischer<br />
Stelle entsteht, nimmt Form an.<br />
Eine Musterfassade wurde errichtet. Im<br />
Herbst 2013 ist der Einzug der Abgeordneten<br />
geplant.<br />
Doch die Vorfreude wird getrübt. Mit<br />
dem Baufortschritt wuchern die Kosten.<br />
Anfang 2011 geisterte die Summe von<br />
15 Millionen Euro Mehrkosten durch den<br />
brandenburgischen Blätterwald, das wäre<br />
eine enorme Belastung für das hochverschuldete<br />
Bundesland.<br />
MARKOV: Abgeordnete haben entschieden.<br />
Der brandenburgische Finanzminister<br />
Helmuth Markov (Die Linke) will diese<br />
Summe nicht bestätigen: »Es gibt ein<br />
internes, vertrauliches Papier, in dem<br />
alle möglichen Risiken benannt sind.<br />
Wir haben auch ein Worst-Case-Szenario<br />
erarbeitet, ein solcher Fall ist aber sehr<br />
selten. Dass es bei der Durchführung von<br />
Bauprojekten in öffentlich-privater Partnerschaft<br />
zu unterschiedlichen Auffassungen<br />
kommt, was vertraglich geschuldete<br />
Leistungen sind und was nicht, das<br />
ist natürlich.« Zudem sei der Baugrund<br />
schwierig zu beurteilen gewesen, es seien<br />
Torflinsen aufgetreten, die man nicht<br />
vorhersehen konnte.<br />
Darüber hinaus sind architektonische<br />
Denkmäler gefunden worden, die zu bergen<br />
waren. Diese Unwägbarkeiten haben<br />
zu Zeitverzögerungen geführt, die Geld<br />
kosten. »Mit der ausführenden Baufirma,<br />
der BAM Deutschland AG, befinden wir<br />
uns in Verhandlungen darüber, wer welche<br />
Mehrkosten übernimmt und was ge-<br />
schuldete Leistungen sind. Diese Verhandlungen<br />
dauern an und sind intern.<br />
Wenn wir zu einem Ergebnis gekommen<br />
sind, werden wir das auch kundtun.«<br />
Erhebliche Zusatzkosten würde auch<br />
eine veränderte Größe des bereits begonnenen<br />
Landtagsneubaus verursachen,<br />
die von der Opposition mehrfach gefordert<br />
wurde (s. nebenstehenden Beitrag).<br />
Markov sieht da seine Hände gebunden:<br />
»Es gibt einen Beschluss des Landtages,<br />
den Bau in dieser Größe und in diesem<br />
Umfang zu realisieren.« Da er selbst kein<br />
Abgeordneter des Landtages sei, müsse<br />
derjenige, der die Absicht hegt, den Bau<br />
umzugestalten und zu verkleinern, dies<br />
im Landtag beantragen, um einen solchen<br />
Beschluss herbeizuführen. Das<br />
wäre dann der Auftrag an das Finanzministerium,<br />
neu zu planen und mit der<br />
BAM neu zu verhandeln.<br />
Allerdings: »Wir bauen ihn ja schon«,<br />
so Markov, »eine neue Planung würde erhebliche<br />
Mehrkosten verursachen. Deswegen<br />
halte ich eine solche Forderung<br />
schlicht für unrealistisch und nicht<br />
durchführbar. Aber das entscheide nicht<br />
ich, das entscheidet der Landtag.« Nicht<br />
müde wird er zu betonen, dass es keineswegs<br />
ein Schloss sei, was da in Potsdams<br />
<strong>Mitte</strong> entsteht: »Wir bauen kein<br />
Schloss, sondern ein Landtagsgebäude.«<br />
Es habe lange genug gedauert, bis sich<br />
dieser Gedanke auch in der politischen<br />
Landschaft durchgesetzt habe.<br />
Kritik am Bauprojekt und der Durchführung<br />
kommt auch aus den Reihen<br />
der brandenburgischen Wirtschaft, die<br />
sich zu wenig berücksichtigt sieht. Minister<br />
Markov weist die Kritik zurück. Beim<br />
Landtagsneubau kämen regionale Betriebe<br />
»in nicht geringer Zahl« zum Zuge. Es<br />
sei aber ein Nachteil von ÖPP-Projekten,<br />
dass der Partner, der das Ausschreibungsverfahren<br />
gewinnt, dann freie Wahl bei<br />
der Vergabe der Aufträge habe. »Wir haben<br />
keinen Einfluss darauf, an wen die<br />
Aufträge vergeben werden. Das ist der<br />
Unterschied zu öffentlichen Bauprojekten,<br />
wie dem Flughafenbau in Schönefeld,<br />
wo regionale Firmen in weit größerem<br />
Umfang zum Zuge gekommen sind.«<br />
Ulrike Borrmann<br />
&<br />
WIRTSCHAFT & MARKT 09/11 47
W&M-SERVICE<br />
AKTUELL<br />
SOLI-ZUSCHLAG<br />
Keine Steuer für<br />
die Ewigkeit<br />
Die Festsetzung des Solidaritätszuschlags<br />
zur Einkommen-<br />
und Körperschaftsteuer<br />
ist verfassungsgemäß.<br />
Dies hat der Bundesfinanzhof in<br />
gleich zwei Fällen für den Zeitraum<br />
bis 2007 entschieden (Az.<br />
II R 50/09 und II R 52/10). Das<br />
Jahr 2007 bezieht sich dabei auf<br />
das in der Klage konkret abgehandelte<br />
Jahr der Steuerfestsetzung.<br />
Auch nach einer Laufzeit<br />
von zu diesem Zeitpunkt 13 Jahren<br />
diene der Steueraufschlag<br />
noch zur Deckung des besonderen<br />
Finanzbedarfs des Bundes<br />
aus den Kosten der Wiederherstellung<br />
der deutschen Einheit.<br />
Zu einer Ewigkeitssteuer dürfe<br />
der Solidaritätszuschlag allerdings<br />
nicht werden, mahnten<br />
die Richter. Sie betonten, eine<br />
solche Abgabe dürfe nur zur<br />
Finanzierung eines konkreten<br />
Mehrbedarfs des Bundes erhoben<br />
werden. Ist dieser Zweck erreicht,<br />
könnte es gegen das<br />
Grundgesetz verstoßen, wenn<br />
der Soli-Zuschlag anschließend<br />
zur Deckung einer dauerhaften<br />
Finanzierungslücke verwendet<br />
wird. Die Richter erachteten<br />
aber weder eine konkrete zeitliche<br />
Begrenzung noch eine genaue<br />
Beschreibung der Verwendung<br />
der <strong>Mitte</strong>l als notwendig.<br />
Die klagende Rechtsanwältin<br />
werde zudem nicht dadurch<br />
benachteiligt, dass der Solidaritätszuschlag<br />
bei Gewerbetreibenden<br />
nach der Einkommensteuer<br />
bemessen werde, die<br />
zuvor bereits um pauschal anzurechnende<br />
Gewerbesteuer gemindert<br />
sei. Die Klägerin will<br />
sich damit nicht zufrieden geben<br />
und den Schritt zum Bundesverfassungsgericht<br />
wagen.<br />
Der Soli-Zuschlag beträgt 5,5<br />
Prozent zur Einkommen- und<br />
Körperschaftsteuer und fließt<br />
ausschließlich dem Bund zu. Im<br />
Jahr 2010 waren dies 11, 7 Milliarden<br />
Euro, für 2011 rechnen<br />
Steuerschätzer mit einem Aufkommen<br />
von 12,2 Milliarden.<br />
IM<br />
UMSATZSTEUER<br />
Grenze der<br />
Besteuerung<br />
Auf die Verwendung eines<br />
Gegenstandes des Unternehmens<br />
für private Zwecke<br />
fällt Umsatzsteuer an.<br />
Allerdings wird die Umsatzsteuer<br />
nicht erhoben, wenn es<br />
sich um einen Kleinunternehmer<br />
handelt. Bei Kleinunternehmern<br />
darf der Umsatz zuzüglich<br />
der darauf entfallenden<br />
Steuer im abgelaufenen<br />
Jahr nicht über 17.500 Euro<br />
gelegen haben und im laufenden<br />
Kalenderjahr 50.000 Euro<br />
voraussichtlich nicht überschreiten.<br />
Strittig ist, wie sich<br />
die private Nutzung eines betrieblichen<br />
Fahrzeugs auf die<br />
Berechnung des Gesamtumsatzes<br />
auswirkt. Das FG Berlin-Brandenburg<br />
(Az. 5 K 5162/<br />
10) befand, dass die Nutzung<br />
außer Betracht zu bleiben<br />
hat, wenn der Unternehmer<br />
bereits beim Erwerb Kleinunternehmer<br />
war und deshalb<br />
keine Vorsteuer geltend machen<br />
konnte. Nur solche privaten<br />
Nutzungen sind Teil der<br />
gesamten Umsätze, für die<br />
der Unternehmer zum Vorsteuerabzug<br />
berechtigt sei.<br />
UNTERNEHMEN<br />
WINDPARKS<br />
Abschreibung<br />
einheitlich<br />
Sichere EInnahmequelle des Bundes<br />
Ein Windpark besteht aus<br />
selbständigen Wirtschaftsgütern,<br />
die aber einheitlich<br />
abzuschreiben sind.<br />
Das hat der BFH entschieden<br />
(Az. IV R 46/09 und IV R 15/09).<br />
Als jeweils selbständige Wirtschaftsgüter<br />
werden demnach<br />
gewertet: jede einzelne<br />
Windkraftanlage mit Turm,<br />
Rotor sowie Generatorgondel<br />
inklusive aller mechanischen<br />
und elektrischen Bauteile, des<br />
Weiteren die mehrere Windkraftanlagen<br />
verbindende<br />
<strong>Mitte</strong>lspannungsverkabelung<br />
inklusive der Übergabestation<br />
zum Hochspannungsnetz sowie<br />
die Zuwegung. Diese Bestandteile<br />
weisen zwar unterschiedliche<br />
Nutzungsdauern<br />
auf, sind aber laut BFH<br />
wegen ihrer technischen Abstimmung<br />
aufeinander und<br />
der gemeinsamen Bau- und<br />
Betriebsgenehmigung einheitlich<br />
abzuschreiben. Maßgeblich<br />
sei die Nutzungsdauer<br />
der Windkraftanlagen. Diese<br />
betrug in den vom BFH<br />
entschiedenen Fällen zwölf<br />
beziehungsweise 16 Jahre.<br />
SOLI-ZUSCHLAG<br />
Das Aufkommen aus dem Solidaritätszuschlag in Milliarden Euro:<br />
12<br />
10<br />
8<br />
6<br />
4<br />
2<br />
0<br />
2005 2006 2007 2008 2009 2010 2011*<br />
* Schätzung Quelle: BMF<br />
STEUERN SPAREN<br />
W&M-Tipp für die PRAXIS<br />
Rechtsstreit – Kosten<br />
steuerlich abziehbar<br />
Der BFH hat entschieden, dass die<br />
Kosten eines Zivilrechtsprozesses<br />
bei der Einkommensteuer geltend<br />
gemacht werden können.<br />
Damit wichen die obersten Finanzrichter<br />
von ihrer bisherigen Rechtsprechung<br />
ab. Die Kosten können<br />
nun unabhängig vom Gegenstand<br />
des Prozesses als außergewöhnliche<br />
Belastungen steuerlich berücksichtigt<br />
werden. Nach Paragraf 33<br />
Abs. 1 des Einkommensteuergesetzes,<br />
so erläutert der Bundesfinanzhof<br />
sein Urteil (Az. VI R 42/ 10),<br />
können bei der Berechnung des zu<br />
versteuernden Einkommens außergewöhnliche<br />
Belastungen abgezogen<br />
werden. Als außergewöhnliche<br />
Belastungen gelten zwangsläufig<br />
entstehende größere Aufwendungen,<br />
die ähnliche Aufwendungen<br />
der Mehrzahl der Steuerpflichtigen<br />
unter sonst gleichen Umständen<br />
weit übersteigen. Bisher fielen Kosten<br />
eines Zivilprozesses nur bei<br />
Rechtsstreitigkeiten mit existenzieller<br />
Bedeutung für den Steuerpflichtigen<br />
in diese Kategorie. Jetzt hat<br />
das Gericht die steuerliche Anerkennung<br />
auf alle Zivilrechtsprozesskosten<br />
ausgeweitet. Einzige<br />
Einschränkung: Unausweichlich seien<br />
derartige Aufwendungen nur,<br />
wenn die Prozessführung hinreichende<br />
Aussicht auf Erfolg biete<br />
und nicht mutwillig erscheine. Im<br />
entschiedenen Fall ging es um eine<br />
Arbeitnehmerin, die arbeitsunfähig<br />
geworden war. Nachdem ihr Arbeitgeber<br />
nach sechs Wochen seine<br />
Gehaltszahlungen einstellte, nahm<br />
die Frau ihre Krankentagegeldversicherung<br />
in Anspruch. Nach rund<br />
einem halben Jahr wurde zusätzlich<br />
zur Arbeitsunfähigkeit auch eine<br />
Berufsunfähigkeit festgestellt. Die<br />
Krankenversicherung stellte die<br />
Zahlung von Krankentagegeld daraufhin<br />
ein. Die Klage dagegen blieb<br />
erfolglos, produzierte aber Kosten<br />
von 10.000 Euro, die sie steuerlich<br />
geltend machte. Das Finanzgericht<br />
hatte wegen intakter Familien- und<br />
Vermögensverhältnisse zunächst<br />
keine existenzielle Bedeutung des<br />
Prozesses gesehen.<br />
W&M-TIPP<br />
Die Neuregelung gilt auch für<br />
Steuerzahler, die bereits in den<br />
vergangenen Jahren einen Zivilprozess<br />
vor Gericht bestritten haben.<br />
Sie könnten nun noch rückwirkend<br />
Einspruch gegen ihren<br />
Steuerbescheid einlegen.<br />
48 WIRTSCHAFT & MARKT 09/11
W&M-SERVICE<br />
ÜBUNGSLEITER<br />
Verluste aus<br />
Nebentätigkeit<br />
Umstritten ist, wie Aufwendungen<br />
aus einer nebenberuflichen<br />
Übungsleitertätigkeit<br />
anzurechnen sind.<br />
Im Streitfall war der Kläger<br />
nebenberuflich als Tanzsportübungsleiter<br />
tätig. Solche<br />
Einnahmen sind bis insgesamt<br />
2.100 Euro steuerfrei. Wenn<br />
die Einnahmen den Betrag<br />
übersteigen, dürfen Ausgaben<br />
allerdings nur insoweit abgezogen<br />
werden, als der steuerfreie<br />
Betrag überschritten<br />
wird. Der Kläger bezog Einnahmen<br />
von 1.128 Euro und hatte<br />
Ausgaben von 2.417,30 Euro.<br />
Den Verlust wollte er geltend<br />
machen, das Finanzamt lehnte<br />
aber ab, da seine Einnahmen<br />
steuerfrei seien. Das FG Rheinland-Pfalz<br />
(Az. 2 K 1996/10)<br />
legte die Zielsetzung des Gesetzes<br />
zugunsten des Klägers<br />
aus. Zugelassen wurde ein Verlust<br />
in Höhe von 1.289,30 Euro<br />
(Einnahmen von 1.128 Euro<br />
abzüglich der Ausgaben von<br />
2.417,30 Euro).<br />
DIE MEINUNG DES EXPERTEN<br />
Wer Familienangehörige im Alter betreuen<br />
muss, stößt rasch an die Grenzen. Oft reichen<br />
die Zahlungen der Pflegeversicherung oder<br />
sonstiger Zuschussträger nicht aus, um die<br />
Lasten zu tragen. Dann mag die steuerliche<br />
Beteiligung an den Kosten ein Trost sein. Tatsache<br />
ist, dass sich hiermit die Finanzgerichte immer<br />
mehr beschäftigen müssen: So hatte das<br />
FG Köln 2009 (Az. 8 K 1337/08) entschieden,<br />
dass krankheitsbedingte Heimunterbringungskosten<br />
grundsätzlich als außergewöhnliche Belastung<br />
geltend gemacht werden können. Es<br />
war damit von der bisherigen Rechtsprechung<br />
des BFH (Az.III R 12/07) abgewichen, nämlich<br />
die Kosten für eine Heimunterbringung nur bei<br />
Vorliegen zusätzlicher Pflegekosten sowie der<br />
Schwerbehinderten-Merkzeichen »H« oder »Bl«<br />
PRIVAT<br />
KINDERGELD<br />
Praktikum<br />
mit Vergütung<br />
Die Vergütung für ein Praktikum<br />
während des Studiums<br />
kann für den Bezug des<br />
Kindergelds schädlich sein.<br />
Der BFH (Az. III R 28/09) hat<br />
entschieden, dass sich die Vergütung<br />
für ein Studenten-Praktikum<br />
für den Bezug des Kindergelds<br />
nachteilig auswirken<br />
kann. Sie darf nicht um die<br />
Kosten für Miete und Verpflegungsmehraufwand<br />
gekürzt<br />
werden, wenn gleichzeitig der<br />
Wohnsitz am Studienort aufgegeben<br />
wird. Derartige Aufwendungen<br />
für die auswärtige<br />
Unterbringung des Kindes in<br />
Ausbildung seien durch den<br />
Jahresgrenzbetrag für eigene<br />
Einkünfte und Bezüge des Kindes<br />
(gegenwärtig 8.004 Euro)<br />
abgegolten. Im Streitfall hatte<br />
der Student ein Praktikum in<br />
den USA absolviert. Die Vergütung<br />
und weitere Einkünfte<br />
überstiegen den Grenzbetrag.<br />
Anspruch auf Kindergeld hätte<br />
nur bestanden, wenn die Kosten<br />
anerkannt worden wären.<br />
Pflegekosten und Steuern – neu rechnen!<br />
PFLEGEKOSTEN<br />
Versicherung<br />
angerechnet<br />
Von KARL-HEINZ BADURA<br />
Wirtschaftsjournalist und Finanzrichter,<br />
Nörvenich<br />
Der BFH entschied, dass Leistungen<br />
aus einer ergänzenden<br />
Pflegekrankenversicherung<br />
anzurechnen sind.<br />
In dem Urteil (Az. VI R 8/10)<br />
heißt es, dass Aufwendungen<br />
wegen Pflegebedürftigkeit nur<br />
insoweit als außergewöhnliche<br />
Belastungen zu berücksichtigen<br />
sind, als die Pflegekosten<br />
die Leistungen der Pflegepflichtversicherung<br />
und das<br />
aus einer ergänzenden Pflegekrankenversicherung<br />
bezogene<br />
Pflegetagegeld übersteigen.<br />
Der Kläger bezog Leistungen<br />
aus der Pflegepflichtversicherung<br />
und einer privaten Pflegezusatzversicherung.<br />
Die Pflegeaufwendungen<br />
gab er als außergewöhnliche<br />
Belastungen<br />
an, ohne jedoch die Leistungen<br />
der Zusatzversicherung gegenzurechnen.<br />
Dem widersprach<br />
der BFH. Außergewöhnliche Belastungen<br />
seien nur insoweit<br />
abziehbar, als der Steuerpflichtige<br />
die Kosten endgültig selbst<br />
trage (s.a. Kommentar).<br />
anzuerkennen – ein Urteil, das der BFH (Az.<br />
VI R 38/09) 2010 bestätigte. Geklagt hatte<br />
eine betreute 74-jährige Rentnerin, die nach<br />
einer stationären psychiatrischen Behandlung<br />
auf ärztliche Empfehlung in einem Heim untergebracht<br />
wurde, ohne dass Pflegeaufwendungen<br />
angefallen waren. Der BFH erkannte nunmehr<br />
die Miet- und Verpflegungskosten des<br />
Heims abzüglich einer Haushaltsersparnis als<br />
außergewöhnliche Belastung an. Indes: In<br />
einem jüngeren Beschluss (Az. VI R 8/10) entschied<br />
der BFH, dass Aufwendungen wegen<br />
Pflegebedürftigkeit nur insoweit zu berücksichtigen<br />
sind, als sie die Leistungen der<br />
Pflegepflichtversicherung und das aus einer<br />
ergänzenden Pflegekrankenversicherung<br />
bezogene Pflege-(tage-)geld übersteigen.<br />
➔Steuern KOMPAKT<br />
KÜNSTLER<br />
Oper mit Steuerpflicht<br />
Die Inszenierung einer Oper durch<br />
einen selbständig tätigen Regisseur<br />
gegen Honorar ist nicht von der<br />
Steuer befreit.<br />
Zwar sind die Umsätze der Theater,<br />
Orchester und weiterer Einrichtungen<br />
des Bundes, der Länder, der Gemeinden<br />
oder der Gemeindeverbände<br />
steuerfrei und dies gilt auch für ähnliche<br />
Einrichtungen anderer Unternehmer,<br />
wenn sie anerkannt gleichartige<br />
kulturelle Aufgaben erfüllen. Diese<br />
Steuerfreiheit reklamierte auch der<br />
Regisseur der Opernaufführung für<br />
sich, zumal ihm die zuständige Behörde<br />
die Erfüllung einer gleichartigen<br />
kulturellen Aufgabe zuerkannt hatte.<br />
Dies allerdings verneinten sowohl die<br />
Finanzbehörden als auch der Bundesfinanzhof<br />
(Az. XI R 44/08).<br />
ABGELTUNGSTEUER<br />
Freibetrag ungenutzt<br />
Laut einer aktuellen Forsa-Studie<br />
hat es fast jeder siebte Deutsche<br />
bisher versäumt, einen Freistellungsauftrag<br />
einzurichten.<br />
Auf Kurserträge, Dividenden und<br />
Zinsen müssen Anleger grundsätzlich<br />
25 Prozent Abgeltungsteuer zahlen.<br />
Die Bank führt diese Steuer automatisch<br />
an das Finanzamt ab – außer, es<br />
liegt ein Freistellungsauftrag vor. Für<br />
Alleinstehende liegt der Freibetrag bei<br />
801 Euro, Ehepaaren gesteht der<br />
Staat die doppelte Summe zu. Laut<br />
Studie wissen vor allem Schüler und<br />
Studenten nicht um diese Möglichkeit,<br />
Geld zu sparen. Ähnlich unwissend<br />
sind Anleger unter 30 Jahren.<br />
STEUERSCHULDEN<br />
Berufliches Aus<br />
Wer hohe Steuerschulden hat, kann<br />
dadurch seine Gewerbeerlaubnis verlieren.<br />
Das entschied das Oberverwaltungsgericht<br />
Rheinland-Pfalz.<br />
Nach Ansicht der Richter zeigt sich<br />
bei hohen Steuerschulden, dass der<br />
Gewerbetreibende unzuverlässig ist.<br />
Damit erfüllt er einen der wesentlichen<br />
Gründe, nach denen laut Gewerbeordnung<br />
die Gewerbeerlaubnis<br />
versagt werden kann (Az. 6 A 10676/<br />
10).<br />
Im vorliegenden Fall hatte ein Gastwirt<br />
Insolvenz anmelden müssen. Er<br />
wollte aber seine Schankerlaubnis<br />
behalten und sah in seinen wirtschaftlichen<br />
Schwierigkeiten kein Zeichen<br />
von Unzuverlässigkeit. Damit<br />
stieß er beim Gericht allerdings auf<br />
taube Ohren.<br />
WIRTSCHAFT & MARKT 09/11 49
W&M-SERVICE<br />
DAS<br />
THEMA<br />
INTERNET<br />
Wachsende<br />
Kriminalität<br />
Mit der wachsenden Nutzung<br />
des Internets steigt auch die<br />
Kriminalität und somit die<br />
Zahl der Betroffenen.<br />
Das zeigen eine Umfrage des<br />
Branchenverbandes BITKOM sowie<br />
das Lagebild »Cybercrime<br />
2010« des Bundeskriminalamtes<br />
(BKA). Im Jahr 2010 wurden<br />
demnach in der Polizeilichen<br />
Kriminalstatistik rund 250.000<br />
Fälle von Internet-Kriminalität<br />
registriert. Im Vergleich zum<br />
Vorjahr bedeutete dies eine<br />
Zunahme von 20 Prozent. Im<br />
Visier der Täter steht die Identität<br />
der Internet-Nutzer, die die<br />
Täter für ihre kriminellen Geschäftsmodelle<br />
missbrauchen.<br />
Laut einer aktuellen BITKOM-<br />
Umfrage haben 70 Prozent aller<br />
deutschen Internet-Nutzer ab<br />
14 Jahren schon einmal negative<br />
Erfahrungen im Web gemacht.<br />
Viren und andere Schadprogramme<br />
stehen dabei für<br />
47 Prozent der User an erster<br />
Stelle. Jeder Siebte fühlte sich<br />
von einem Geschäftspartner<br />
betrogen, beispielsweise bei Online-Auktionen.<br />
Nahezu verdoppelt hat sich die<br />
Zahl der User, deren Zugangsdaten<br />
zu Plattformen, E-Mail-<br />
Diensten, Auktionshäusern<br />
oder zum Online-Banking ausspioniert<br />
wurden. Vor einem<br />
Jahr waren es noch rund 3,7<br />
Millionen, nun sind es knapp<br />
sieben Millionen.<br />
Laut Umfrage hat auch die<br />
Angst vor Internet-Kriminalität<br />
stark zugelegt. Fühlten sich<br />
2010 noch 75 Prozent aller User<br />
bedroht, sind es inzwischen<br />
85 Prozent. Einen Betrug beim<br />
Online-Banking fürchten 37<br />
Prozent der Befragten. Noch<br />
stärker stieg die gefühlte Bedrohung<br />
durch das Ausspähen und<br />
den Missbrauch persönlicher<br />
Daten. Paradox: Trotz der gestiegenen<br />
Angst vernachlässigen<br />
aber noch immer viele Nutzer<br />
die Grundregeln der Internet-<br />
Sicherheit.<br />
BETRIEBSRAT<br />
Pflicht zur<br />
Abmeldung<br />
IM UNTERNEHMEN<br />
Ein Betriebsratsmitglied,<br />
das während der Arbeit<br />
Betriebsratsaufgaben erledigt,<br />
muss sich abmelden.<br />
Zweck der Meldepflicht ist es,<br />
dem Arbeitgeber die Überbrückung<br />
des Arbeitsausfalls<br />
zu ermöglichen. Daher besteht<br />
keine vorherige Meldepflicht<br />
in Fällen, in denen<br />
eine vorübergehende Umorganisation<br />
der Arbeitseinteilung<br />
nicht ernsthaft in Betracht<br />
kommt. Entscheidend<br />
sind die Umstände des Einzelfalls<br />
wie z. B. die Art der Arbeitsaufgabe<br />
und die voraussichtliche<br />
Dauer der Arbeitsunterbrechung.<br />
In Fällen, in denen sich das<br />
Betriebsratsmitglied nicht<br />
vorher abmeldet, ist es verpflichtet,<br />
dem Arbeitgeber<br />
auf dessen Verlangen nachträglich<br />
die Gesamtdauer der<br />
in einem bestimmten Zeitraum<br />
geleisteten Betriebsratstätigkeit<br />
mitzuteilen. Damit<br />
scheiterte die Klage eines Betriebsrats<br />
vor dem BAG (Az. 7<br />
ABR 135/ 09), der sich gerichtlich<br />
eine generelle Verneinung<br />
der Abmeldepflicht bestätigen<br />
lassen wollte.<br />
ARBEITSVERTRAG<br />
Frage falsch<br />
beantwortet<br />
Die falsche Beantwortung<br />
einer Frage bei der Einstellung<br />
kann als arglistige<br />
Täuschung gelten.<br />
Das setzt voraus, dass die Täuschung<br />
für den Abschluss des<br />
Arbeitsvertrags ursächlich<br />
war. Wirkt sich die Täuschung<br />
im Arbeitsverhältnis<br />
weiterhin aus, kann zudem<br />
eine Kündigung gerechtfertigt<br />
sein. Ein Softwareunternehmen<br />
scheiterte dennoch<br />
mit der Anfechtung und Kündigung<br />
des Arbeitsvertrags einer<br />
Außendienstmitarbeiterin.<br />
Die Klägerin hatte bei der<br />
Einstellung die Frage nach<br />
einer Schwerbehinderung<br />
verneint. Diese Täuschung<br />
war jedoch nicht ursächlich<br />
für den Abschluss des Arbeitsvertrags.<br />
Das Unternehmen<br />
hat ausdrücklich erklärt, sie<br />
hätte die Klägerin auch dann<br />
eingestellt, wenn diese die<br />
Frage wahrheitsgemäß beantwortet<br />
hätte. Auch das Argument,<br />
die Anfechtung und<br />
Kündigung sei gerechtfertigt,<br />
weil die Arbeitnehmerin das<br />
Unternehmen über ihre Ehrlichkeit<br />
getäuscht habe, zog<br />
nicht (BAG, Az. 2 AZR 396/10).<br />
Das Internet als Tatort<br />
Persönliche Erfahrung der Internet-Nutzer (Angaben in Prozent)<br />
Infektion des PCs mit<br />
Schadprogrammen<br />
Betrug durch<br />
Geschäftspartner<br />
WEB-KRIMINALITÄT<br />
Zugangsdaten<br />
ausspioniert<br />
2011<br />
2010<br />
2009<br />
2011<br />
2010<br />
2009<br />
2011<br />
2010<br />
2009<br />
0 10 20 30 40 50<br />
Quelle: BITKOM, Forsa (2011); Basis: Internet-Nutzer ab 14 Jahren<br />
URTEIL AKTUELL<br />
Der Fall und DIE FOLGEN<br />
Formulare aus<br />
dem Internet<br />
DER FALL: Der Kläger hatte<br />
von einem privaten Verkäufer<br />
einen gebrauchten Pkw zum<br />
Preis von 6.900 Euro erworben.<br />
Als Kaufvertrag hatte der Verkäufer<br />
ein Formular aus dem<br />
Internet verwendet. Darin hieß<br />
es: »Der Verkäufer übernimmt<br />
für die Beschaffenheit des verkauften<br />
Kfz keine Gewährleistung«.<br />
Einige Monate nach<br />
dem Kauf stellte der Kläger<br />
einen schweren Unfallschaden<br />
am Auto fest. Er verlangte vom<br />
Verkäufer, der von dem Vorschaden<br />
keine Kenntnis hatte,<br />
die Rückabwicklung des Kaufgeschäfts.<br />
Der Verkäufer berief<br />
sich dagegen auf den vereinbarten<br />
Gewährleistungsausschluss.<br />
DAS URTEIL: Das Oberlandesgericht<br />
Oldenburg (Az. 6 U<br />
14/11) entschied, dass der konkret<br />
vereinbarte Gewährleistungsausschluss<br />
unwirksam<br />
sei. Bei den Kaufvertragsklauseln<br />
aus dem Internet handele<br />
es sich um Allgemeine Geschäftsbedingungen<br />
(AGB),<br />
weil diese für eine Vielzahl verschiedener<br />
Verwendungsmöglichkeiten<br />
vorformuliert seien.<br />
Für das Kaufgeschäft gelten<br />
aber die strengen Wirksamkeitsvoraussetzungen<br />
gemäß<br />
Paragraf 309 Nr. 7 a und b des<br />
BGB.<br />
Danach muss ein wirksamer<br />
Gewährleistungsausschluss<br />
eine Einschränkung für grob<br />
fahrlässige oder vorsätzliche<br />
Pflichtverletzungen sowie hinsichtlich<br />
möglicher Körperschäden<br />
enthalten. Da diese<br />
notwendigen Einschränkungen<br />
im konkreten Fall fehlten,<br />
sei der vereinbarte Gewährleistungsausschluss<br />
insgesamt<br />
nicht wirksam.<br />
DIE FOLGEN: Formulare im<br />
Internet geben juristischen<br />
Laien eine erste Orientierung.<br />
Von einer Verwendung ohne<br />
vorherige juristische Prüfung<br />
ist jedoch abzuraten.<br />
50 WIRTSCHAFT & MARKT 09/11
W&M-SERVICE<br />
ORGELMUSIK<br />
Lärm statt<br />
Kunstgenuss<br />
Eine Grundstückseigentümerin<br />
hat gegen die<br />
Orgelmusik des benachbarten<br />
Doms geklagt.<br />
»Musik wird oft nicht schön<br />
gefunden, weil sie stets mit<br />
Geräusch verbunden.« Was<br />
schon Wilhelm Busch wusste,<br />
wollte sich eine Grundstückseigentümerin<br />
gerichtlich bestätigen<br />
lassen. Sie wohnt seit<br />
1972 in unmittelbarer Nachbarschaft<br />
des Domes im niedersächsischen<br />
Verden und<br />
fühlte sich von der Domorgel<br />
mehr und mehr belästigt. Das<br />
OLG Celle (Az. 4 U 199/09) befand,<br />
dass es bei der Frage nach<br />
einer wesentlichen Lärmbeeinträchtigung<br />
nicht auf das subjektive<br />
Empfinden der Klägerin,<br />
sondern auf das eines<br />
Durchschnittsmenschen unter<br />
Würdigung anderer öffentlicher<br />
und privater Belange ankomme.<br />
Außerdem kam das<br />
Gericht zu dem Schluss, dass<br />
Orgelmusik kein besonders<br />
unangenehmes Geräusch sei.<br />
DIE MEINUNG DES EXPERTEN<br />
RECHT IM ALLTAG<br />
AUSKUNFTEIEN<br />
Unzureichende<br />
Informationen<br />
Der Verbraucherzentrale<br />
Bundesverband klagt, dass<br />
Daten von Auskunfteien<br />
oft unzureichend sind.<br />
Das ergab eine nichtrepräsentative<br />
Online-Befragung des<br />
Verbraucherzentrale Bundesverbandes<br />
(vzbv), an der sich<br />
1.531 Betroffene beteiligten.<br />
Seit dem 1. April 2010 haben<br />
Verbraucher das Recht, von<br />
Auskunfteien einmal im Jahr<br />
kostenlos zu erfahren, welche<br />
Daten über sie gespeichert<br />
sind und wie diese bei Bonitätsbewertungen<br />
(Scoring) verwendet<br />
werden. 75 Prozent der<br />
Umfrage-Teilnehmer gaben an,<br />
auf ihre Anfrage eine Auskunft<br />
erhalten zu haben. Allerdings<br />
war diese häufig wenig informativ.<br />
So kritisierten 60 Prozent<br />
der Befragten, dass die<br />
Antworten für sie unverständlich<br />
gewesen seien. 51 Prozent<br />
entdeckten zudem in den übermittelten<br />
Datenbeständen<br />
falsche oder veraltete Informationen.<br />
Wenn der Flieger am Boden bleibt<br />
HANDY<br />
Sperre war<br />
nicht zulässig<br />
Ein Mobilfunkanbieter<br />
darf den Handy-Anschluss<br />
nicht aus einem geringfügigen<br />
Anlass sperren.<br />
Der beklagte Mobilfunkdienstleister<br />
hatte in den AGB eine<br />
Reihe von Gründen genannt,<br />
die das Unternehmen berechtigt<br />
hätten, den Anschluss sofort,<br />
ohne Ankündigung und<br />
ohne zeitliche Begrenzung zu<br />
sperren. Eine sofortige Sperrung<br />
drohte Kunden bereits,<br />
wenn sie mit einem kleinen<br />
Betrag in Zahlungsverzug gerieten<br />
oder ihr eingeräumtes<br />
Kreditlimit überschritten. Dagegen<br />
klagte der Verbraucherzentrale<br />
Bundesverband, der<br />
die Klauseln für unverhältnismäßig<br />
und überzogen erachtete.<br />
Der BGH (Az. III ZR 157/10)<br />
schloss sich der Auffassung<br />
überwiegend an und untersagte<br />
acht der neun strittigen<br />
Klauseln in den AGB. Nur die<br />
missbräuchliche Nutzung des<br />
Anschlusses rechtfertige eine<br />
vollständige Sperre.<br />
Von MATTHIAS SALM,<br />
Wirtschaftsjournalist, Berlin<br />
Die Medien hatten schon das Chaos gewittert –<br />
ausgerechnet in der Reisezeit drohten die Fluglotsen<br />
Anfang August mit Streik. Doch die Bilder<br />
gestrandeter Urlauber an den deutschen<br />
Flughäfen blieben aus, eine Schlichtung in letzter<br />
Minute legte den möglichen Streik zunächst<br />
einmal auf Eis. Kommt es dennoch dazu, dass<br />
der geplante Flug platzt, ist es gut zu wissen,<br />
welche Rechte die Passagiere in solchen Fällen<br />
haben. Diese sind in der Fluggastrechte-Verordnung<br />
der EU geregelt. Bei Pauschalreisen sind<br />
auch die reiserechtlichen Bestimmungen im<br />
Bürgerlichen Gesetzbuch zu beachten. Die Fluggastrechte-Verordnung<br />
findet Anwendung bei<br />
Fluggesellschaften aus der EU. Bei Fluggesellschaften<br />
außerhalb der EU gilt die Fluggastrechte-Verordnung,<br />
wenn sich der Abflugort innerhalb<br />
der EU befindet. Bei einzeln gebuchten<br />
Tickets – also keine Pauschalreisen – gilt: Ab<br />
zwei Stunden Verspätung muss die Fluggesellschaft<br />
die Passagiere mit Essen und Trinken<br />
versorgen. Kostenlos sind zwei Telefonate,<br />
Faxe oder E-Mails. Falls notwendig fällt auch<br />
die Übernahme einer Hotelunterbringung und<br />
des Transfers vom Flughafen zum Hotel an.<br />
Aber Vorsicht: Nicht selbst das Hotel buchen,<br />
dies ist Aufgabe der Fluggesellschaft. Einen Anspruch<br />
auf eine zusätzliche Ausgleichszahlung<br />
(z. B. aufgrund eines versäumten Geschäftstermins),<br />
der einem Flugpassagier bei einer Annullierung<br />
zustehen würde, lehnen die Fluggesellschaften<br />
bei einem Streik aber meist ab, da<br />
sie diesen als »außergewöhnlichen Umstand«<br />
werten, für den sie nicht verantwortlich sind.<br />
➔<br />
Recht KOMPAKT<br />
KÜNDIGUNG<br />
Der Ehegatte als Bote<br />
Ein Kündigungsschreiben kann auch<br />
dem Ehepartner des gekündigten<br />
Mitarbeiters ausgehändigt werden,<br />
befand das Bundesarbeitsgericht.<br />
Das Schreiben gerät auf diese Weise<br />
in den Machtbereich der gekündigten<br />
Ehefrau, so das Urteil (Az. 6 AZR<br />
687/09). Für die Einhaltung der Frist<br />
komme es darauf an, wann mit der<br />
Kenntnisnahme der Gekündigten zu<br />
rechnen sei. In diesem Fall, wenn der<br />
Ehemann nach seiner Arbeit nach<br />
Hause fahre.<br />
SCHLÖSSER<br />
Fotos unerwünscht<br />
Die Stiftung »Preußische Schlösser<br />
und Gärten« darf die gewerbliche<br />
Nutzung von Fotos ihrer Gebäude<br />
und Gartenanlagen untersagen.<br />
Dies gilt, wenn die Stiftung Eigentümerin<br />
der Objekte ist und die Aufnahmen<br />
von ihren Grundstücken aus<br />
hergestellt wurden. Die Stiftung war<br />
gegen eine Fotoagentur und die<br />
Betreiber von Internetplattformen<br />
vorgegangen, die die Aufnahmen vermarktet<br />
hatten (BGH, Az. VZR 44/10,<br />
45/10 und 46/10).<br />
ATOMKRAFT<br />
Unerlaubte Werbung<br />
Mit den positiven Umwelteigenschaften<br />
von Windkrafträdern darf<br />
nicht für die Qualitäten von Atomkraftwerken<br />
geworben werden.<br />
Die Werbung für die Umwelteigenschaften<br />
von Atomkraftwerken mit<br />
Fotos von Windrädern stellt eine irreführende<br />
geschäftliche Handlung<br />
dar. Das hat das Landgericht Berlin<br />
(Az. 91 O 35/11) entschieden und<br />
damit eine zuvor erlassene einstweilige<br />
Verfügung im Wesentlichen<br />
bestätigt, mit der einem Verein und<br />
anderen Personen untersagt worden<br />
ist, eine Werbeanzeige mit einem<br />
entsprechenden Bild zu verbreiten.<br />
Auf dem Bild war das Kernkraftwerk<br />
Unterweser zu sehen, davor vier<br />
Windkraftanlagen eines von der Antragstellerin<br />
hergestellten Modells.<br />
Überschrieben war die Anzeige mit<br />
der Schlagzeile »Klimaschützer unter<br />
sich. Kernkraftwerk Unterweser und<br />
Windenergie: CO 2 -Ausstoss = Null«.<br />
Dies stelle, so das Landgericht Berlin,<br />
eine unzulässige Vereinnahmung<br />
der guten Eigenschaften von Windenergie<br />
zu Gunsten von Kernkraftwerken<br />
dar, die durch die verfassungsrechtlich<br />
garantierte Meinungsfreiheit<br />
nicht gerechtfertigt sei. Nun muss<br />
das Kammergericht entscheiden.<br />
WIRTSCHAFT & MARKT 09/11 51
W&M-SERVICE<br />
DAS<br />
THEMA<br />
INTERVIEW<br />
Fotos: Archiv, Hamburger Friedhof Ohlsdorf<br />
BESTATTUNG<br />
Der Tod ist<br />
nicht umsonst<br />
Verstirbt ein Angehöriger,<br />
stehen die Betroffenen vor<br />
vielen Aufgaben, aber auch<br />
vor hohen Kosten.<br />
Den Ratgeber »Was tun, wenn<br />
jemand stirbt« hat der Bundesverband<br />
der Verbraucherzentralen<br />
herausgebracht. Darin<br />
wird vorgerechnet, dass hohe<br />
Kosten auf die Hinterbliebenen<br />
zukommen können. So liegt<br />
der Preis für eine einfache Beerdigung<br />
zwischen 2.500 und<br />
4.000 Euro, der Durchschnitt<br />
beträgt 5.000 Euro. Auch Ausgaben<br />
bis zu 10.000 Euro sind<br />
keine Seltenheit. Die Preisspanne<br />
ergibt sich durch Qualitäts-<br />
und Leistungsunterschiede<br />
bei der gewünschten<br />
Bestattungsform. Zu den Kosten<br />
zählen etwa: die Trauer-<br />
DIE LETZTE RUHE ist teuer.<br />
feierlichkeiten inklusive Kleidung,<br />
Anzeigen, Einladungen<br />
und Blumen. Auch der Bestatter<br />
verlangt Honorar – für die<br />
Abwicklung von Formalitäten,<br />
den Sarg, das Herrichten und<br />
Überführen des Toten. Die<br />
Kommunen verlangen eine<br />
Grabnutzungsgebühr sowie<br />
Bestattungsgebühren. Auch<br />
ein Grabstein und spätere<br />
Grabpflege sind einzukalkulieren.<br />
Möglichkeiten der Bestattungsvorsorge:<br />
Private Versicherungen<br />
bieten Sterbegeldpolicen<br />
an. Beim Bestatter<br />
kann zu Lebzeiten ein Bestattungsvorsorgevertrag<br />
mit<br />
Treuhandkonto abgeschlossen<br />
werden, in dem Details der<br />
Beerdigung festgelegt sind.<br />
CHEMIE<br />
Kessel stehen<br />
unter Dampf<br />
Die deutsche Chemische<br />
Industrie erreichte im ersten<br />
Halbjahr 2011 einen beachtlichen<br />
Umsatzanstieg.<br />
Der Umsatz wuchs im Vergleich<br />
zum Vorjahr um zwölf<br />
Prozent auf 90,5 Milliarden<br />
Euro. Der Verband der Chemischen<br />
Industrie (VCI) prognostiziert<br />
der Branche nach der<br />
Rekordnachfrage im ersten<br />
Halbjahr eine erfolgreiche<br />
zweite Jahreshälfte mit guten<br />
Geschäften im In- und Ausland.<br />
Allein bis Juni 2011 stieg<br />
die Produktion der Chemieindustrie<br />
um 6,5 Prozent im<br />
Vergleich zum Vorjahreszeitraum.<br />
Die Mitarbeiterzahl ist<br />
ebenfalls seit 2010 um zwei<br />
Prozent gestiegen. Bei den Investitionen<br />
wird ein Anstieg<br />
um zehn Prozent erwartet.<br />
Dementsprechend gut läuft<br />
es beim Chemieriesen BASF:<br />
Die Analysten der Deutschen<br />
Bank raten zum Kauf der Aktie<br />
(WKN BASF11). Die Experten<br />
von UniCredit Research<br />
sind positiv gestimmt für den<br />
im Freiverkehr notierten Wert<br />
Syngenta (WKN 580 854).<br />
AKTIENMARKT<br />
BAUSTOFFE<br />
Auf festem<br />
Zement gebaut<br />
Der inländische Zementverbrauch<br />
soll 2011 klar<br />
ansteigen – um etwa sechs<br />
Prozent gegenüber 2010.<br />
Bereits in den ersten vier Monaten<br />
des laufenden Jahres<br />
verzeichnete die Zementbranche<br />
ein Nachfrageplus von 28<br />
Prozent im Vergleich zum<br />
Vorjahr, das entspricht 1,5<br />
Millionen Tonnen. Laut Bundesverband<br />
der Deutschen Zementindustrie<br />
könne die Zementindustrie<br />
zudem von<br />
witterungsbedingten Nachholeffekten<br />
aus 2010 profitieren.<br />
Für den Wohnungsbau<br />
werden in diesem Jahr deutliche<br />
Zuwächse mit einer gesteigerten<br />
Zementnachfrage<br />
zwischen acht und zwölf Prozent<br />
erwartet. Das gilt auch<br />
für den Industriebau, bei dem<br />
die Branche mit konjunkturbedingten<br />
Zuwächsen um<br />
neun Prozent rechnet.<br />
Über die Aktie von HeidelbergCement<br />
(WKN 604 700)<br />
haben die Experten von Independent<br />
Research und WestLB<br />
ein entsprechend einhelliges<br />
Urteil: »Kaufen«.<br />
DAX BÖRSENSTARS<br />
+<br />
WKN 766403 Volkswagen VZ + 40,10%<br />
WKN 519000 BMW + 32,33%<br />
WKN BASF11 BASF + 13,89%<br />
WKN 623100 Infineon + 13,71%<br />
WKN 648300 Linde + 12,03%<br />
Volkswagen: Der Automobil-Riese überzeugte Börsianer zuletzt durch gute Ergebnisse in<br />
den vergangenen Monaten und durch eine gute Gesamt-Positionierung.<br />
Kurs-Performance 1 Jahr; Schluss: 09.08.2011<br />
DAX BÖRSENFLOPS<br />
–<br />
WKN 803200 Commerzbank - 62,71%<br />
WKN 703712 RWE - 48,66%<br />
WKN 514000 Deutsche Bank - 39,19%<br />
WKN ENAG99 E.ON - 33,54%<br />
WKN 725750 Metro - 25,97%<br />
Commerzbank: Die zweitgrößte deutsche Privatbank belasten griechische Staatsanleihen<br />
durch hohe Abschreibungen. Der Gewinn im II. Quartal fiel nur mager aus.<br />
Kurs-Performance 1 Jahr; Schluss: 09.08.2011<br />
Quelle: W&M, ohne Gewähr<br />
ANDREAS<br />
VARNAVIDES<br />
Vorstandsmitglied<br />
der UBS<br />
Deutschland AG<br />
Kapitalerhalt gefragt<br />
W&M: Herr Varnavides, was hat<br />
sich auf dem Markt für institutionelle<br />
Anlagelösungen seit 2007 verändert?<br />
VARNAVIDES: Früher waren<br />
vor allem chancenorientierte<br />
Investments aktuell. Das erforderte<br />
den »Alpha-Manager«,<br />
der durch seine Kenntnis in<br />
Einzelmärkten Erträge generiert.<br />
Heute steht dagegen die<br />
Frage nach Kapitalerhalt und<br />
Risikomanagement noch vor<br />
den Renditechancen. Laufende<br />
taktische Gewichtung unterschiedlicher<br />
Anlage-Klassen<br />
innerhalb des Portfolios hat an<br />
Bedeutung gewonnen. Häufig<br />
wird auch keine Benchmark<br />
mehr zur Bewertung herangezogen,<br />
sondern ein definierter<br />
Mindestbetrag angestrebt.<br />
W&M: Konkurriert die Fondsbranche<br />
nicht zunehmend auch mit<br />
passiven Produkten?<br />
VARNAVIDES: Aus meiner<br />
Sicht sind diese eher Teil der<br />
Fondsbranche. ETFs lassen sich<br />
z. B. sehr aktiv in die Portfolio-<br />
Aufteilung einbinden, vor allem<br />
beim Investment in effiziente<br />
Märkte.<br />
W&M: Wie hat sich die Nachfrage<br />
nach den unterschiedlichen Anlage-Klassen<br />
entwickelt?<br />
VARNAVIDES: Aktien verlieren<br />
seit Jahren an Bedeutung. Für<br />
klassische europäische Rentenstrategien<br />
haben viele Fondsanbieter<br />
zudem hausinterne<br />
Kompetenz aufgebaut. Deshalb<br />
fordern die Nachfrager stärker<br />
sogenannte Spread-Produkte,<br />
also Schuldverschreibungen<br />
mit interessanten Renditeaufschlägen<br />
– wie Corporate<br />
Bonds, High Yields und Obligationen<br />
aus den Schwellenländern.<br />
Auch Anlagesegmente<br />
wie Immobilien oder Infrastruktur,<br />
die stabile Cashflows<br />
versprechen, erleben Zuwächse.<br />
All diese Märkte erfordern<br />
aber eine hohe Expertise und<br />
spezialisierte Asset-Manager.<br />
52 WIRTSCHAFT & MARKT 09/11<br />
.
GELD & ANLAGE<br />
KBC<br />
Anlegen gegen<br />
den Strom<br />
Die Fondsgesellschaft KBC<br />
Asset Management fährt<br />
mit zwei neuen Fonds unterschiedliche<br />
Strategien.<br />
Laut Anbieter orientiert sich<br />
der »KBC Equity Fund Euro<br />
Non Cyclicals« an defensiven,<br />
vom allgemeinen Wirtschaftszyklus<br />
unabhängigen Sektoren<br />
wie den Bereichen Versorgung,<br />
Nahrungsmittel<br />
und Gesundheitswesen. Europäische<br />
Werte dieser Sektoren<br />
sind mit mindestens 75<br />
Prozent im Portfolio vertreten.<br />
Der »KBC Equity Fund<br />
Indus-trials & Infrastructure«<br />
mit Schwerpunkt auf Ausbau<br />
und Erneuerung der Infrastruktur<br />
investiere mindestens<br />
75 Prozent der Anlagen<br />
in den weltweiten Industriesektor.<br />
Beide Fonds kommen<br />
ohne Referenzindex aus und<br />
werden aktiv verwaltet.<br />
WWKN Euro Non Cyclicals:<br />
A1JG8S, WKN Industrials &<br />
Infrastr.: A1JFVV<br />
DIE MEINUNG DES EXPERTEN<br />
Am 5. August hat die Fußball-Bundesliga ihre<br />
49. Saison angepfiffen. Vom einstigen Motto<br />
»Elf Freunde müsst ihr sein« ist nicht mehr viel<br />
übrig geblieben. Spitzenfußball ist schon lange<br />
eine reine Kommerz-Veranstaltung. Anleger, die<br />
daran teilhaben wollen, sollten ihr Engagement<br />
mit Bedacht wählen. Beim Fußball sind es eher<br />
die Ausrüster, die ihren Schnitt machen. Die<br />
Vereine hingegen sind selten die Gewinner. In<br />
Deutschland gibt es nur einen börsennotierten<br />
Club: Borussia Dortmund. Zwar stieg die Aktie<br />
in der Meistersaison 2010/2011 um weit über<br />
100 Prozent, langfristig betrachtet jedoch sieht<br />
die Performance eher traurig aus. Im Oktober<br />
2000 zu einem Emissionspreis von elf Euro<br />
gestartet, sitzen Erstzeichner noch immer auf<br />
einem kräftigen Minus. Im europäischen Ausland<br />
sind börsennotierte Fußball-Clubs zwar<br />
SCHRODERS<br />
Der europäische<br />
Kern zählt<br />
Der Vermögensverwalter<br />
Schroders investiert mit<br />
einem Aktienfonds vor<br />
allem in europäische Werte.<br />
Die Strategie des »Schroder ISF<br />
European Equity Focus« hat vor<br />
allem solche europäischen<br />
Titel im Blick, die vom Wachstum<br />
in den Schwellenländern<br />
profitieren. Denn das Fondsmanagement<br />
geht von einer<br />
anhaltenden Erholung der<br />
europäischen Wirtschaft aus.<br />
Neben Werten von Kernstaaten<br />
wie Frankreich, den skandinavischen<br />
Ländern und Deutschland<br />
setze das Management<br />
außerdem auf unterbewertete<br />
Aktien, deren Renditepotenzial<br />
unterschätzt werde. Unabhängig<br />
von einem Vergleichsindex<br />
unterliege der Fonds<br />
keinen Beschränkungen hinsichtlich<br />
Branchen, Ländern<br />
oder Unternehmensgröße. Das<br />
Portfolio sei dabei stark konzentriert<br />
auf 30 bis 35 Titel.<br />
WKN: A1H7MB<br />
Von GERD RÜCKEL,<br />
CEFA-Wertpapieranalyst, Frankfurt/M.<br />
Auf Sportartikler setzen statt auf Sportvereine<br />
FRANKFURT-TRUST<br />
Hauptsache<br />
Konsum<br />
Ein Fonds von Frankfurt-<br />
Trust Asset Management<br />
setzt auf wachsenden Konsum<br />
in Schwellenländern.<br />
Der Fonds »FT Emerging<br />
ConsumerDemand« investiert<br />
in Konsumwerte aus den<br />
Schwellenländern genauso<br />
wie in Konsumunternehmen<br />
der Industrieländer, die mehr<br />
als 30 Prozent ihres Umsatzes<br />
in den aufstrebenden Märkten<br />
machen. Denn in Schwellenländern<br />
steige mit dem Wohlstand<br />
auch die Nachfrage<br />
nach Basis- und Luxuskonsumgütern.<br />
Immerhin soll<br />
der Anteil dieser Märkte am<br />
Welt-Sozialprodukt laut Weltbank<br />
in den nächsten Jahren<br />
von 25 auf 50 Prozent anwachsen.<br />
Die etwa 40 Titel im<br />
Portfolio seien je hälftig auf<br />
Schwellenländer und Industrieländer<br />
verteilt. Dadurch<br />
sei der Fonds eher für risikoscheue<br />
Anleger geeignet.<br />
WKN: A1JGVL<br />
keine Seltenheit, eine langfristig erfolgreiche<br />
Fußball-Aktie ist dennoch schwer zu finden. Ob<br />
Juventus Turin, AS Rom oder die Tottenham<br />
Hotspurs: Mit Ausnahme kurzer Zwischenhochs<br />
entwickeln sich die Kurse dieser Papiere<br />
fast ausnahmslos gen Süden. Während TV-<br />
Gelder und Zuschauereinnahmen relativ vernünftig<br />
zu kalkulieren sind, fehlt bei Transfers<br />
und internationalen Wettbewerben die Planungssicherheit.<br />
Im hochemotionalen Fußball-<br />
Geschäft ist es schwierig, Fans und Investoren<br />
gleichermaßen gerecht zu werden. Anders sieht<br />
es bei den Sportartikelherstellern aus. Sie verdienen<br />
in ihrem »Brot- und Buttergeschäft« gutes<br />
Geld. Aktien etwa von Puma und Adidas<br />
eignen sich somit durchaus als langfristige Investition.<br />
Fußball-Aktien hingegen bieten allenfalls<br />
Potenzial für kurzfristige Spekulationen.<br />
<br />
Messe für<br />
GENUSS,<br />
LEBENSART<br />
UND AMBIENTE<br />
ANMELDESCHLUSS:<br />
7. Oktober 2011<br />
4.-6. NOVEMBER<br />
Metropolis Halle® | POTSDAM<br />
WWW.SALON-SANSSOUCI.DE<br />
parallel:<br />
WIRTSCHAFT & MARKT 09/11<br />
53
PORTRÄT<br />
Fotos: H. Lachmann, R. Wolf-Götz<br />
Was eine echte Thüringer Rostbratwurst<br />
ist, hat die EU über<br />
gestrenge Normen festgelegt. Sie<br />
muss mindestens 15 cm lang und mittelfein<br />
gefleischert sein, wahlweise darf sie<br />
roh oder gebrüht in einem engen Naturdarm<br />
stecken, doch die würzige Geschmacksnote<br />
muss sie klar als Thüringer<br />
Produkt ausweisen. Mehr als die<br />
Hälfte der verwendeten Rohstoffe haben<br />
darum aus Thüringen zu stammen.<br />
Exakt seit dem 6. Januar 2004 wird die<br />
Thüringer Rostbratwurst als regionales<br />
Produkt ähnlich streng geschützt wie<br />
französischer Cognac, Schwarzwälder<br />
Schinken oder Sherry aus Spanien.<br />
Die älteste bekannte urkundliche Erwähnung<br />
einer Bratwurst findet sich<br />
übrigens im Thüringischen Staatsarchiv<br />
Rudolstadt in der Abschrift einer Propstei-Rechnung<br />
des Arnstädter Jungfrauenklosters<br />
von 1404. Das älteste bekannte<br />
Rezept lässt sich im Staatsarchiv Weimar<br />
nachlesen. Es geht auf die »Ordnung für<br />
das Fleischerhandwerk zu Weimar, Jena<br />
und Buttstädt« vom 2. Juli 1613 zurück.<br />
Dass zur Herstellung von Thüringer<br />
Bratwurst fein gehacktes Schweinefleisch<br />
benötigt wird, eventuell auch entsehntes<br />
Kalb- oder Rindfleisch, welches<br />
dann mit Salz und Pfeffer sowie Kümmel,<br />
Majoran und Knoblauch nach speziellen<br />
Hausrezepten abschmeckt, gut<br />
vermengt und in einen sehr feinen<br />
Schweinedarm oder Schafsaitling gefüllt<br />
wird – all dies weiß Harald Puhlfürß seit<br />
seiner Kindheit. Denn der 45-Jährige entstammt<br />
in vierter Generation einer Fleischerdynastie<br />
in Jena-Lichtenhain. Auch<br />
er erlernte dieses Handwerk.<br />
Da sich der Familienbetrieb in einem<br />
Wohngebiet befand, musste 1999 der<br />
Standort gewechselt werden. Zusammen<br />
mit seinem Vater Wolfgang beteiligte<br />
sich Puhlfürß – mittlerweile selbst Fleischermeister<br />
– an einer Genossenschaft.<br />
Fortan handelte er auch mit Wurst- und<br />
Fleischwaren, die andernorts produziert<br />
wurden. Und ab 2004 wagte er sich gar in<br />
ein Metier, über das manch konventioneller<br />
Fleischermeister bis heute die<br />
Nase rümpft – den Online-Handel. Auf<br />
die Idee gebracht hatten ihn Experten<br />
der Intershop AG in Jena.<br />
Mit der Zeit kamen weitere Vertriebsschienen<br />
hinzu. Puhlfürß etablierte in<br />
Jenas Gewerbegebiet Tatzendpromenade<br />
einen »Schlemmertreff«, in dem Internet-Muffel<br />
einkaufen können. Daneben<br />
rollte er mit einem Verkaufswagen bei<br />
diversen Festen und Veranstaltungen vor.<br />
»Als kulinarischer Botschafter Thüringens«,<br />
erzählt er. Seine mobile Theke fiel<br />
dabei durch besondere Raffinessen auf:<br />
Im selben Anhänger werden sowohl fri-<br />
Thüringer Spezialitäten<br />
Auf Schlemmerkurs<br />
Würste und viele andere Köstlichkeiten »Made in Thuringia« gibt<br />
es auch online. Dank eines speziellen Internet-Shops. Die Betreiber<br />
aus Jena sehen sich als kulinarische Botschafter ihrer Heimat.<br />
sche Roster gebrutzelt als auch Bier gezapft.<br />
Irgendwann ging es ihm um mehr<br />
als die Wurst. Zur Roster gesellten sich<br />
peu à peu weitere Spezialitäten »Made in<br />
Thuringia«. Vor allem die Apoldaer<br />
Brauerei sei bis heute ein wichtiger Partner,<br />
freut er sich. Gemeinsam suche man<br />
nun verstärkt die Öffentlichkeit.<br />
Doch ein Fleischermeister ist nicht<br />
zwingend auch Marketing-Profi. So besann<br />
sich Puhlfürß seines alten Freundes<br />
Gerd-Uwe Hoffmann. Man kannte sich<br />
aus gemeinsamen Vorwendezeiten in einer<br />
Sportkompanie. Werbefachmann<br />
Hoffmann, der von Sachsen-Anhalt aus<br />
eine große norddeutsche Biermarke im<br />
Osten erfolgreich vermarktete, war sofort<br />
begeistert. Die vielseitigen lukullischen<br />
Angebote aus Thüringen in einem<br />
Internetshop an in- und ausländische<br />
Kunden zu bringen, reizte ihn.<br />
Sie entwickelten Strategien und Konzepte<br />
und gründeten im April in Jena die<br />
Schlemmertreff Thüringen GmbH. Der<br />
Schlemmershop im Netz www.thueringer-schlemmertreff.de<br />
ist seit Jahresbeginn<br />
2011 online. »Die Idee hat sich zu<br />
einem erfolgreichen Geschäft gemausert.<br />
Über 3.300 Kunden hat der Schlemmertreff<br />
im Internet bereits«, freut sich<br />
Puhlfürß und verweist neben der »einzigartigen<br />
Frische und handwerklichen<br />
Qualität« der Produkte vor allem auf den<br />
temporären Handelsaspekt: »Heute bestellt<br />
und morgen geliefert.«<br />
Wer die Seite anklickt, kann neben<br />
Original Thüringer Rostbratwurst eine<br />
bunte Vielfalt landestypischer kulinarischer<br />
Köstlichkeiten bestellen – wahlweise<br />
frisch, im Glas oder im opulenten Präsentkorb.<br />
Um die Palette zu erweitern,<br />
wird an einem Netzwerk einheimischer<br />
Spezialitätenhersteller gestrickt, das derweil<br />
elf Partner umfasst.<br />
Durchschnittlich 300 Schlemmerpakete<br />
– teils stilvoll verpackt in kleinen<br />
hölzernen Kisten – versenden die Mitarbeiter<br />
monatlich. »Tendenz steigend«,<br />
freut sich Chefvermarkter Hoffmann. Bestellungen<br />
kämen inzwischen auch aus<br />
Frankreich, Italien oder den Benelux-<br />
Staaten.<br />
54 WIRTSCHAFT & MARKT 09/11
PORTRÄT<br />
TEAM: H. Puhlfürß und G.-U. Hoffmann (r.)<br />
linaritäten beitragen. Sie wurde bereits<br />
zweimal Juniorenweltmeisterin, holte<br />
2010 in der deutschen Freistilstaffel<br />
EM-Gold und kehrte jüngst von der<br />
Schwimm-WM in Shanghai edelmetalldekoriert<br />
zurück: Als Schlussschwimmerin<br />
hatte sie das deutsche 4x100m-Freistil-Quartett<br />
zu Bronze gekrault.<br />
Puhlfürß und Hoffman stellen ihr florierendes<br />
Unternehmen derzeit auf mehrere<br />
Standbeine. Neben dem Internetshop<br />
und den mobilen Promotion-Touren<br />
als »Botschafter Thüringens« wollen<br />
sie das Label künftig auch auf Franchise-<br />
Basis grenzüberschreitend vermarkten.<br />
Auch hierbei denken sie nicht daran,<br />
kleine Brötchen zu backen. »In jeder<br />
europäischen Metropole, von Stockholm<br />
bis Paris, soll es künftig eine ›Botschaft<br />
Thüringens‹ geben«, schwärmt Puhlfürß.<br />
Eingebettet in ein nobles Verkaufsumfeld<br />
würden die Dependancen beste<br />
Chancen haben, sich zu etablieren.<br />
Harald Lachmann<br />
&<br />
Altenburger Senf<br />
Würzig bis frivol<br />
Helga und Karl Jungbeck haben mit kreativen Mischungen und<br />
Variationen den gewöhnlichen Senf zum Luxusprodukt gemacht.<br />
Helga Jungbeck ist in Stimmung.<br />
Sie steht hinter ihrem Stand, den<br />
sie auf der Thüringer Touristikmesse<br />
im Foyer des Kongresshauses in<br />
Altenburg aufgebaut hat, und wirbt für<br />
ihren »Altenburger Senf«. Vor allem die<br />
neuen Sorten preist sie an und reicht<br />
kleine Löffel zur Kostprobe. Darunter die<br />
Sansibar-Honig-Dill-Senfsoße, benannt<br />
nach der Sylter Promi-Kneipe, und der<br />
Feigen-Konfitüren-Senf mit dem Konterfei<br />
von Starkoch Johann Lafer auf dem<br />
Etikett. »Der Renner ist unser Liebessenf,«<br />
ruft sie und reicht einem der interessierten<br />
Standbesucher das Glas mit der<br />
giftig rosa Paste. »Aber nicht zuviel, sonst<br />
kann ich für nichts garantieren«, warnt<br />
sie verschmitzt lächelnd.<br />
Auch die Kostproben des zweiten Verkaufsschlagers<br />
dieser Saison, des blaugrünen<br />
»Trabi-Senf«, begleitet die kräftig<br />
gebaute Thüringerin mit humorvoll verkaufsfördernden<br />
Sprüchen. Wer sich<br />
nicht entscheiden kann zwischen »Liebes-,<br />
Erotik- oder Trabisenf«, dem empfiehlt<br />
die temperamentvolle Mittfünfzigerin<br />
den gemischten Dreierpack.<br />
Als Karl Jungbeck im Mai 1992 seine<br />
ersten eigenen Senfmischungen zusammenrührte,<br />
war der Erfolg nicht vorgezeichnet.<br />
Eher war der Handelsvertreter<br />
entmutigt worden, als er im Auftrag einer<br />
ostbayerischen Gewürzfabrik mit<br />
Senfkörnern und Würzmitteln gleich<br />
nach der Wende im ostdeutschen Lebensmittelhandel<br />
Geschäfte machen wollte.<br />
»Hier kaufen die Leute ihren Bautz’ner<br />
für 29 Pfennige und sonst keinen Senf«,<br />
bekam der inzwischen 65-Jährige immer<br />
wieder zu hören. Dennoch wollte der Gewürzvertreter<br />
seinen Senf dazugeben<br />
und ließ sich 1991 den Firmennamen<br />
»Altenburger Senf« schützen.<br />
Zunächst beschränkte sich das Sortiment<br />
auf die klassischen Geschmacksrichtungen<br />
»scharf« und »mittelscharf«.<br />
Sein erster Abnehmer war ein Altenburger<br />
Imbisshändler. Glücklicherweise<br />
kaufte der gleich einen 10-Kilo-Eimer, sodass<br />
der Tagesumsatz von 4,30 Mark gesichert<br />
war. Nach und nach baute Jungbeck<br />
seine Senffabrik auf. Dafür suchte<br />
er über die Agentur für Arbeit geeignete<br />
Mitarbeiter. Zwar hatte Jungbeck damals<br />
noch keinen »Liebessenf« im Sortiment.<br />
Doch die für ihn zuständige Arbeitsver-<br />
Kulinarisch Flagge zeigen die Thüringer<br />
aber nicht nur virtuell – und längst<br />
nicht nur in Thüringen. So tritt das junge<br />
Unternehmen auch als Sponsor und<br />
Caterer bei bedeutenden Sportereignissen<br />
auf, zum Beispiel beim Schwimmweltcup<br />
in Berlin, beim Fußball-Supercup<br />
des DFB für »Alte Herren« in Weimar,<br />
oder eben auch zur bundesweiten Hausmesse<br />
der renommierten Handelskette<br />
InterSport in Heilbronn.<br />
Als Markenbotschafterin für den<br />
»Thüringer Schlemmertreff« konnte das<br />
Unternehmen die erfolgreiche Schwimmerin<br />
Daniela Schreiber gewinnen. Sie<br />
trainiert beim SV Halle, Hoffman kennt<br />
sie aus seinem früheren Wirkungskreis.<br />
Die 22-jährige Blondine wird dank ihrer<br />
sportlichen Meriten einiges zu einer<br />
größeren Bekanntheit der Thüringer Kumittlerin<br />
konnte er ebenfalls für sich<br />
und seinen Senf gewinnen.<br />
Gemeinsam brachten Karl und Helga<br />
Jungbeck die neue Altenburger Senffabrik<br />
auf Erfolgskurs. Sukzessive erweiterten<br />
sie das Sortiment auf 300 Sorten. Darunter<br />
Klassiker wie Bauern-, Knoblauchoder<br />
Honigsenf und Besonderes wie den<br />
»Köstritzer-Schwarzbier-Senf«. Die Mitarbeiterzahl<br />
wuchs von drei auf 26.<br />
ALLES SENF: Spezialladen in Altenburg<br />
Im ersten, 2004 in der Altenburger Innenstadt<br />
gegründeten »Weltmeister-Senfladen«<br />
ist auch der preisgünstige Bautz’-<br />
ner Senf zu entdecken. Die eigenen<br />
Luxussorten sind deutlich teurer. Das<br />
sieht die Chefin gelassen: »Wir produzieren<br />
Qualität. Die Massenware ist kein<br />
Konkurrent.« Damit meint die Senfhändlerin<br />
das traditionelle Herstellungsverfahren,<br />
die Verwendung von Wasser aus<br />
eigenem Brunnen sowie naturbelassenen<br />
Zutaten. In der neuen »Senfonie« ist<br />
Discount-Ware nicht zu sehen. In dem<br />
vor einem Jahr eröffneten Kochstudio,<br />
wo Besucher die breite Palette an Senfsorten<br />
beim Kochkurs kennen lernen,<br />
erfahren diese alles rund um die Senfherstellung.<br />
Einen zweiten in Eigenregie geführten<br />
Senfladen, neben einigen Franchise-<br />
Nehmern, hat Jungbeck in Dresden eingerichtet.<br />
Direkt neben dem berühmten<br />
Milchladen in der Neustadt. Ein Riesencoup.<br />
Manche Busgruppe, die aussteigt,<br />
um den Milchladen zu besichtigen, lande<br />
schon mal versehentlich im Senfgeschäft,<br />
erzählt Helga Jungbeck.<br />
Renate Wolf-Götz<br />
&<br />
WIRTSCHAFT & MARKT 09/11 55
UV-AKTUELL<br />
GESCHÄFTSSTELLEN<br />
der Unternehmerverbände<br />
Unternehmerverband Berlin e.V.<br />
Präsident: Armin Pempe<br />
Hauptgeschäftsführer: Andreas Jonderko<br />
Geschäftsstelle:<br />
Ingrid Wachter (Sekretariat)<br />
Frankfurter Alllee 202, 10365 Berlin<br />
Tel.: (030) 981 85 00, 981 85 01<br />
Fax: (030) 982 72 39<br />
E-Mail: mail@uv-berlin.de<br />
Unternehmerverband Brandenburg e.V.<br />
Präsident: Eberhard Walter<br />
Hauptgeschäftsstelle Cottbus:<br />
Roland Kleint<br />
Schillerstraße 71, 03046 Cottbus<br />
Tel.: (03 55) 226 58, Fax: 226 59<br />
E-Mail: uv-brandenburg-cbs@t-online.de<br />
Bezirksgeschäftsstelle Potsdam:<br />
Bezirksgeschäftsführer: Hans-D. Metge<br />
Hegelallee 35, 14467 Potsdam<br />
Tel.: (03 31) 81 03 06<br />
Fax: (03 31) 817 08 35<br />
Geschäftsstelle Frankfurt (Oder):<br />
Geschäftsführer: Detlef Rennspieß<br />
Perleberger Str. 2, 15234 Frankfurt (O.)<br />
Tel.: (03 35) 400 74 56<br />
Mobil: (01 73) 633 34 67<br />
Unternehmerverband Rostock und<br />
Umgebung e.V.<br />
Präsident: Frank Haacker<br />
Geschäftsführerin: Manuela Balan<br />
Geschäftsstelle:<br />
Wilhelm-Külz-Platz 4, 18055 Rostock<br />
Tel.: (03 81) 242 58 -0, 242 58 -11<br />
Fax: 242 58 18<br />
Regionalbüro Güstrow:<br />
Am Augraben 2, 18273 Güstrow<br />
Tel.: (038 43) 23 61 12, Fax: 23 61 17<br />
Unternehmerverband Norddeutschland<br />
Mecklenburg-Schwerin e.V.<br />
Präsident: Rolf Paukstat<br />
Hauptgeschäftsführer: Wolfgang Schröder<br />
Geschäftsstelle:<br />
Brunnenstraße 32, 19053 Schwerin<br />
Tel.: (03 85) 56 93 33, Fax: 56 85 01<br />
Unternehmerverband Thüringen e.V.<br />
Präsident: Peter Baum<br />
Geschäftsstelle:<br />
IHK Erfurt<br />
Arnstädter Str. 34, 99099 Erfurt<br />
Tel.: (03 681) 42 00 50, Fax: 42 00 60<br />
Unternehmerverband Vorpommern e.V.<br />
Präsident: Gerold Jürgens<br />
Leiter d. Geschäftsst.: Wolfgang Kastirr<br />
Geschäftsstelle:<br />
Am Koppelberg 10, 17489 Greifswald<br />
Tel.: (038 34) 83 58 23, Fax: 83 58 25<br />
Unternehmerverband Sachsen e.V.<br />
Präsident: Hartmut Bunsen<br />
Vizepräs.: Dr. W. Zill, Dr. M. Reuschel,<br />
U. Hintzen<br />
Geschäftsführer: Rüdiger Lorch<br />
www.uv-sachsen.org<br />
Geschäftsstelle Chemnitz:<br />
Leiterin: Gabriele Hofmann-Hunger<br />
Neefestraße 88, 09116 Chemnitz<br />
Tel.: (03 71) 49 51 29 12, Fax: -16<br />
E-Mail: chemnitz@uv-sachsen.org<br />
Geschäftsstelle Dresden:<br />
Repräsentant: Klaus-Dieter Lindeck<br />
Antonstraße 37, 01097 Dresden<br />
Tel.: (03 51) 899 64 67, Fax 899 67 49<br />
E-Mail: dresden@uv-sachsen.org<br />
Geschäftsstelle Leipzig:<br />
Leiterin: Silvia Müller<br />
Riesaer Straße 72 – 74, 04328 Leipzig<br />
Tel.: (03 41) 257 91-20, Fax: -80<br />
E-Mail: leipzig@uv-sachsen.org<br />
Unternehmerverband Sachsen-Anhalt e.V.<br />
Präsident: Jürgen Sperlich<br />
Geschäftsstelle Halle/Saale<br />
Berliner Str. 130, 06258 Schkopau<br />
Tel.: (0345) 78 23 09 24<br />
Fax: (0345) 78 23 467<br />
UV SACHSEN<br />
Mitglied im<br />
Beirat<br />
Sachsens Staatsministerin<br />
für Soziales und Verbraucherschutz<br />
Christine Clauß<br />
hat einen Gleichstellungsbeirat<br />
ins Leben gerufen.<br />
Auf Vorschlag ihres Ministeriums<br />
wurde Gabriele Hofmann-Hunger,<br />
Leiterin der<br />
Repräsentanz Südwestsachsen<br />
des Unternehmerverbandes,<br />
als Mitglied in den Beirat berufen.<br />
Das Gremium, in dem<br />
Vereinigungen, Verbände und<br />
Wissenschaftler zu Wort kommen<br />
sollen, hat die Aufgabe,<br />
zur Verwirklichung der Chancengleichheit<br />
von Männern<br />
und Frauen in Staat, Wirtschaft<br />
und Gesellschaft beizutragen.<br />
UV-Repräsentantin<br />
Hofmann-Hunger schlug vor,<br />
die Perspektiven für Jugendliche<br />
ohne Berufsabschluss in<br />
der Privatwirtschaft und die<br />
Unterstützung für KMU bei<br />
der Vereinbarkeit von Beruf<br />
und Familie sowie Pflege und<br />
Beruf in den <strong>Mitte</strong>lpunkt der<br />
nächsten Sitzungen zu stellen.<br />
UV BRANDENBURG<br />
Repräsentanz<br />
verstärkt<br />
Der Verbandsbezirk Potsdam<br />
hat kürzlich seine<br />
Stadtrepräsentanten für<br />
den Bereich Berlin vorgestellt.<br />
Die fünf Unternehmerinnen<br />
und Unternehmer werden<br />
zukünftig die Interessen Berliner<br />
Unternehmen in Brandenburg<br />
vertreten. Dr. Burkhardt<br />
Greiff, Mitglied der<br />
Geschäftsleitung der REMON-<br />
DIS GmbH & Co. KG für die<br />
Region Ost und Mitglied des<br />
Präsidiums im Unternehmerverband<br />
Brandenburg, skizzierte<br />
die Ziele und Entwicklungsmöglichkeiten<br />
der<br />
Berliner Repräsentanz. Der<br />
Verband müsse hier sichtbarer<br />
werden und seinen Bekanntheitsgrad<br />
in der Region<br />
erhöhen. Dazu werden die<br />
Vertreter einen Standpunkt<br />
zu Berliner Schwerpunktthemen<br />
entwickeln und diesen<br />
auch artikulieren, so Greiff.<br />
Es soll der Fachkräftebedarf<br />
gesichert, günstige Rahmenbedingungen<br />
für Industrieansiedlungen<br />
geschaffen<br />
und der Wirtschaftsstandort<br />
Berlin insgesamt und mit<br />
Brückenfunktion in Richtung<br />
Osteuropa vorangebracht<br />
werden. Er plädiere außerdem<br />
dafür, dass Berlin und<br />
Brandenburg ihre Zusammenarbeit<br />
weiter verstärken<br />
und schneller zusammenwachsen<br />
sollten.<br />
Hans-Dietrich Metge, Bezirksgeschäftsführer<br />
des Verbandsbezirks<br />
Potsdam ergänzt:<br />
»Viele Berliner Unternehmen<br />
haben den Wunsch,<br />
mit ihren Interessen auch in<br />
Brandenburg wahrgenommen<br />
zu werden. Der UV Brandenburg<br />
kann hier mit<br />
seinen guten Kontakten zu<br />
den Entscheidern im Land<br />
eine Brücke bauen.«<br />
Umgekehrt gilt das auch für<br />
die Brandenburger Firmen in<br />
Berlin. Neben Dr. Burkhardt<br />
Greiff und Harri Brauer nehmen<br />
die fünf neuen Stadtrepräsentanten<br />
Birgit Dürsch<br />
(Pepcomm GmbH), Hagen<br />
Atzrodt (EUROSOLVENT Inkasso<br />
GmbH & Co. KG), Dr. Joachim<br />
Feske (Audita GmbH<br />
+ TERMINE+<br />
TERMINE<br />
UV Vorpommern<br />
3. September, 10 bis 16 Uhr<br />
»Der Ball ist bunt« – Eine Aktion<br />
für Demokratie in Vorpommern,<br />
Volksstadion Greifswald<br />
UV Thüringen<br />
22. September, 19 Uhr<br />
Vortrag Matthias Wierlacher,<br />
Vorstandsvorsitzender Thüringer<br />
Aufbaubank: Ausgewählte<br />
Förderprogramme für den<br />
Thüringer <strong>Mitte</strong>lstand, Radisson<br />
BLU Hotel Erfurt<br />
UV Rostock<br />
8. Oktober, 10 bis 18 Uhr<br />
Pendleraktionstag zur<br />
Gewinnung von Fach- und<br />
Nachwuchskräften,<br />
Universitätsplatz Rostock<br />
Steuerberatungsgesellschaft),<br />
Lorenz Mayr (Mayr – Kanzlei<br />
für Arbeitsrecht) und Markus<br />
Weyh (AIOS GmbH) nun diese<br />
Interessenvertretung wahr.<br />
UV SCHWERIN<br />
Kontakte zu<br />
US-Firmen<br />
Die amerikanische Generalkonsulin<br />
Inmi Kim<br />
Patterson begrüßte im Juni<br />
eine hochrangig besetzte<br />
Wirtschaftsdelegation aus<br />
dem US-Bundesstaat<br />
Washington und Vertreter<br />
der norddeutschen Wirtschaft<br />
zu Gesprächen in<br />
Hamburg.<br />
Für den UV Norddeutschland<br />
Mecklenburg-Schwerin<br />
nahmen Präsident Rolf Paukstat,<br />
Vizepräsident Karl-Heinz<br />
GESPRÄCHE: Garbe (l.) und Paukstat<br />
(r.) mit US-Generalkonsulin Patterson<br />
Garbe und Hauptgeschäftsführer<br />
Wolfgang Schröder die Gelegenheit<br />
wahr, zahlreiche Kontakte<br />
zu US-Unternehmen aus den<br />
Bereichen Biotechnologie, Automotive<br />
und Luftfahrt zu knüpfen.<br />
Die Washingtoner Gouverneurin<br />
Christin O’Grady Gregoire<br />
hob die Bedeutung ihres<br />
Bundesstaates als wirtschaftliches<br />
Schwergewicht im Staatenverbund<br />
der USA heraus.<br />
Dafür sind unter anderem<br />
Microsoft mit Sitz in Seattle und<br />
der Flugzeughersteller Boeing<br />
verantwortlich, der dort zwei<br />
große Standorte betreibt.<br />
O’Grady Gregoire warb für Investitionen<br />
aus dem Bereich der erneuerbaren<br />
Energien in ihrem<br />
Bundesstaat, denn die USA habe<br />
die grünen Technologien als<br />
Wachstumsmotor der kommenden<br />
Jahre ausgemacht.<br />
56 WIRTSCHAFT & MARKT 09/11
W&M-PRIVAT<br />
LEUTE & LEUTE<br />
NACHLESE<br />
English at Work<br />
Das Deutsche, so<br />
schwärmte Jean Paul,<br />
sei die Orgel unter den<br />
Sprachen. Mag sein. Sobald<br />
der Deutsche sich hinters<br />
Lenkrad seines Automobils<br />
klemmt und als Teilnehmer<br />
am Straßenverkehr mit uniformierten<br />
Vertreterinnen<br />
und Vertretern der Staatsmacht<br />
kommuniziert, stellt<br />
sich allerdings raus, dass er<br />
mehr Schimpfwörter auf der<br />
Pfanne hat als das dreiunddreißigbändige<br />
Wörterbuch<br />
der Brüder Grimm.<br />
Polizisten, die sich für<br />
Halbgötter aus Flensburg halten,<br />
sollten daher immer auf<br />
eine geballte Ladung einschlägiger<br />
Schmeicheleinheiten gefasst<br />
sein. Witzbold ist noch<br />
das schlichteste der Komplimente<br />
und auch das preisgünstigste.<br />
Es kostet laut Bußgeldkatalog<br />
nur 300 Euro. Der<br />
Wichser läuft entschieden<br />
stärker ins Geld und ist unter<br />
1.000 Euro nicht zu haben,<br />
ebenso der Raubritter, das<br />
Bullenschwein und der Trottel<br />
in Uniform. Cholerische<br />
Falschparker, die Politessen<br />
bei der Ausübung ihres Dienstes<br />
beleidigen möchten, sollten<br />
sich für die Schlampe<br />
(1.900 Euro) gegen die alte Sau<br />
(2.500 Euro) entscheiden und<br />
die finanzielle Differenz der<br />
dritten Welt als Spende überweisen.<br />
Karrikatur und Zeichnung: Rainer Schwalme<br />
Gesäßhusten<br />
und Arschfax<br />
Ernst Röhl versucht,<br />
die Sprache der Jugend<br />
zu sprechen<br />
Verbalinjurien wie diese,<br />
Beleidigungen, Kränkungen<br />
und »Ausdrücke« üben auf die<br />
Phantasie der deutschen Jugend<br />
einen mordsmäßigen<br />
Zauber aus. So erklärt es sich,<br />
dass die Schule zum Bildungsschuppen<br />
geworden ist, die<br />
Diskothek zum Zappelbunker,<br />
das Solarium zu Münzmallorca,<br />
der bleiche Teint<br />
des Computerfreaks zur Bildschirmbräune,<br />
das so genannte<br />
Public Viewing zum Rudelgucken,<br />
der Nordic Walker<br />
zur Stockente, der Blumenstrauß<br />
zum Heuchlerbesen,<br />
der Hängebusen zum Knieschoner,<br />
der USB-Stick zum<br />
Datenzäpfchen, die Blitzeraufnahme<br />
bei Geschwindigkeitsübertretungen<br />
zum Zielfoto<br />
und die geräuschvoll entweichende<br />
Blähung zum Gesäßhusten.<br />
Schnell fertig ist<br />
die Jugend mit dem Wort<br />
(Schiller).<br />
Bereits zum dritten Mal<br />
rief der Langenscheidt Verlag<br />
gemeinsam mit der Jugendzeitschrift<br />
»Spiesser« zur<br />
Wahl eines Jugendworts des<br />
Jahres auf. Unter die Top Five<br />
kamen ein »aufgetakeltes<br />
Mädchen in viel zu enger Kleidung«<br />
– die Speckbarbie und<br />
ein »Unterhosenetikett, das<br />
hinten aus der Hose raus<br />
hängt« – das Arschfax.<br />
Zeitungsschreiberlinge<br />
wissen mehr. Sie behaupten,<br />
die unreife Jugend nenne die<br />
reifere Jugend gern Gammelfleisch<br />
und die Ü30-Fete Gammelfleischparty,<br />
die Rente<br />
Abwrackprämie, die Apotheken-Umschau<br />
Rentner-Bravo<br />
und die Polizei Trachtengruppe.<br />
Verdächtig bloß, dass man<br />
diesen pubertären Slang in<br />
freier Wildbahn so selten<br />
hört. Umso öfter liest man<br />
ihn, und zwar in einer Zeitung<br />
mit extra fetten Überschriften.<br />
Könnte es sein, dass<br />
diese »Jugendsprache« nichts<br />
anderes ist als das krankhafte<br />
Blabla der Journalistendarsteller<br />
vom Springer-Verlag?!<br />
Mit einer Ausnahme vielleicht.<br />
Ein kleines, aber feines<br />
Verb setzte sich 2009 sogar als<br />
Jugendwort des Jahres durch.<br />
Es lautet: Hartzen.<br />
&<br />
Hand aufs Herz, verehrter leidlich<br />
oder auch solide des Englischen<br />
kundiger W&M-Leser:<br />
Wussten Sie<br />
wirklich, wie<br />
man den richtigen<br />
Ton anschlägt,<br />
wenn<br />
man auf einer<br />
internationalen<br />
Messe mit<br />
einem potenziellen britischen<br />
Geschäftspartner ins Gespräch<br />
kommen will? War Ihnen immer<br />
schon klar, wohin mit Ihren<br />
Emotionen beim Abfassen einer<br />
E-Mail?<br />
Und gaben Ihnen ihre Vorkenntnisse<br />
genug Sicherheit, Unzufriedenheit<br />
mit einer Dienstleistung<br />
taktvoll und effizient auszudrücken<br />
– auf Englisch, versteht<br />
sich – und der Gefahr zu entgehen,<br />
mit deutscher Plumpheit<br />
in herumstehende Fettnäpfchen<br />
zu treten?<br />
13 Jahre lang hat Ihnen auf dieser<br />
Seite in dieser Randspalte<br />
Chris van Niekerk Sprachlektionen<br />
aus dem weiten Kommunikationsspektrum<br />
von Smalltalk<br />
bis Business English erteilt. Belehrungen<br />
nicht ausgenommen.<br />
Jetzt wissen wir auch mehr von<br />
den Schwierigkeiten bei Übersetzungen<br />
aus der englischen<br />
Arbeitswelt und warum Leading<br />
und Management nicht dasselbe<br />
sind.<br />
Chris van Niekerk, Sonnyboy aus<br />
dem sonnigen Südafrika, exerziert<br />
sein fehlerfreies Deutsch<br />
hauptberuflich bei der English at<br />
Work Language School GmbH,<br />
einer Tochter der britischen<br />
English at Work School Ltd., am<br />
Standort Dresden. In Deutschland<br />
ist die renommierte Sprachtrainingsfirma<br />
auch in Berlin,<br />
Leipzig, Düsseldorf, Frankfurt<br />
am Main, Hamburg, Hannover,<br />
München, Nürnberg und Stuttgart<br />
vertreten. Ihre Kundschaft<br />
findet sie bei Großunternehmen<br />
ebenso wie in kleinen und mittelständischen<br />
Unternehmen<br />
und unter berufstätigen Einzelpersonen.<br />
Für jeden Lernenden<br />
wird eine genaue Bedarfsanalyse<br />
angefertigt, wozu er die<br />
Sprache braucht. Chris van<br />
Niekerk hat dies bei seinen<br />
Kolumnen für W&M stets berücksichtigt.<br />
Wofür wir ihm an<br />
dieser Stelle noch einmal ausdrücklich<br />
danke sagen wollen.<br />
Peter Jacobs<br />
WIRTSCHAFT & MARKT 09/11 57
KOLUMNE<br />
Europa – trotz Eurokrise!<br />
Man braucht eine wachsende Europa-Müdigkeit<br />
nicht durch<br />
Umfragen zu beweisen: Wahlergebnisse<br />
genügen. Während der letzten<br />
Jahre haben europakritische Parteien<br />
insbesondere im wirtschaftlich erfolgreicheren<br />
Norden Europas beachtliche Erfolge<br />
errungen. Ob kürzlich die »Wahren<br />
Finnen« oder die streng rechtsgerichtete<br />
Partei von Wilders in den Niederlanden;<br />
ob ein dänisches Parlament am ungehinderten<br />
Grenzübergang »Schengen«<br />
bastelt oder eine Marie Le Pen in Frankreich<br />
den EU-Ausstieg befürwortet.<br />
Die Kräfte der Globalisierung haben<br />
zu erheblichen sozialen Verwerfungen in<br />
den Mitgliedstaaten der EU geführt.<br />
Ganze Branchen wurden dem europäischen<br />
Kontinent entzogen und der aus<br />
Asien wirkende Lohndruck hat zu Einkommenseinbußen<br />
und wachsender Ungleichheit<br />
in unseren Breiten geführt.<br />
Das schafft Unruhe, Unwillen, Frust und<br />
politischen Zorn. Dieser trifft zwar noch<br />
immer in erster Linie die nationalen Regierungen,<br />
aber die europäischen Institutionen<br />
sind dann immer auch ein bequemer<br />
Sündenbock.<br />
Es gibt jedoch für die miese Europastimmung<br />
auch europäische Ursachen.<br />
Während der vergangenen Jahre – man<br />
müsste vermutlich Jahrzehnte sagen –<br />
haben die europäischen Institutionen<br />
immer mehr an sich gezogen. Aber gerade<br />
in Europa muss der Aufbau von unten<br />
nach oben erfolgen. Ein föderal organisierter<br />
Staat – und nur als solcher wären<br />
»Vereinigte Staaten von Europa« überhaupt<br />
denkbar – lebt von den Unterschieden<br />
seiner Mitglieder und von der Kreativität<br />
des dezentralen Wettbewerbs. Aber<br />
schon seit ihren Anfängen hat man für<br />
angeblich notwendige Gleichheit die Besonderheiten<br />
der Mitgliedstaaten allzu<br />
oft ohne Grund geopfert. Ich werde nie<br />
vergessen, wie ich in den 70er Jahren bei<br />
Brüsseler Verhandlungen als zuständiger<br />
Staatsminister für Europafragen die Studieninhalte<br />
und Länge des Ingenieurstudiums<br />
vereinheitlichen sollte – angeblich<br />
wegen des »gefährlichen« Wettbewerbs<br />
junger britischer Ingenieure,<br />
die nach kürzerem Studium sich dennoch<br />
– wie ihre deutschen Kollegen – »Ingenieure«<br />
nennen wollten. Warum, so<br />
argumentierte ich damals, kann man<br />
dieses Urteil nicht denjenigen überlassen,<br />
die diese Ingenieure später einstellen?<br />
Warum sollen nicht Prüfungen am<br />
ZUR SACHE<br />
Betrachtung<br />
zur wirtschaftlichen Lage<br />
Von Dr. Klaus von Dohnanyi<br />
Ort ermitteln, ob ein kürzeres Studium<br />
am spezifischen Arbeitsplatz ausreicht?<br />
Am Ende wurde das Verfahren gegenseitiger<br />
Anerkennung zwar wohl zur Regel,<br />
aber die Kommission verteidigte immer<br />
wieder sterile europäische Gleichheit.<br />
Den Menschen, die ja gerne europäische<br />
Bürger sind, können wir aber auf<br />
die Dauer das vielstimmige Theater um<br />
viele überflüssige, von Brüssel angestoßenen<br />
Regeln nicht zumuten. Jedenfalls<br />
nicht, bevor in den großen Fragen Europas<br />
eindeutig mehr Gemeinschaft besteht.<br />
Was sollen die Menschen, zum<br />
Beispiel, denken, wenn Frankreich und<br />
Großbritannien auf eigene Faust einen<br />
Krieg gegen Libyen führen, aber in der<br />
Europäischen Union langer Streit über<br />
einheitliche Biozeichen oder Kalorienhinweise<br />
auf den Lebensmittelverpackungen<br />
geführt wird?<br />
Es gibt zwar Bemühungen – insbesondere<br />
vonseiten der deutschen Regierung<br />
– die Einmischung in nationale Politik-<br />
bereiche zu begrenzen. »Subsidiarität«<br />
heißt das Ziel. Oder: In erster Linie sollen<br />
die Mitgliedstaaten zuständig bleiben, es<br />
sei denn, es wird nachgewiesen, dass es<br />
ohne europäische Gleichheit nicht geht.<br />
Ich bin sicher, wenn wir das Gefühl<br />
der Menschen für die Bedeutung der europäischen<br />
Integration wieder stärken<br />
wollen, dann müssen wir das Prinzip der<br />
Subsidiarität nicht nur in Worten hochhalten,<br />
sondern in Taten durchsetzen.<br />
Dafür wäre es nach nun über 50 Jahren<br />
EU-Erfahrung notwendig sich hinzusetzen<br />
und noch einmal, ganz von vorn,<br />
zu definieren, was von Brüssel, und warum<br />
gerade das, bestimmt werden sollte.<br />
Wenn man hier Einigung erzielt hat, sollte<br />
es einen großen Kehraus überflüssiger<br />
Projekte – und ihrer Bürokraten – geben.<br />
Das wäre die eine Seite: Die Rückbesinnung<br />
darauf, dass die Mitgliedstaaten<br />
die Gemeinschaft ausmachen und nicht<br />
umgekehrt. Die andere Seite, die mindestens<br />
ebenso bedeutsam für eine Wiederbelebung<br />
des Europagedanken wäre,<br />
wurde durch das Euro-Problem deutlich:<br />
Dort, wo sich Mitgliedstaaten an die Gemeinschaft<br />
gebunden haben, dort muss<br />
sicher sein, dass jeder sich an die nun<br />
gemeinsam beschlossenen Regeln hält.<br />
Und es muss im Falle eines Regelverstoßes<br />
auch entsprechende Sanktionen<br />
(Strafen!) geben.<br />
Letzteres war bisher schwer durchzusetzen;<br />
die »nationale Souveränität« wollte<br />
solche Eingriffe nicht erdulden. Aber<br />
hier ist die Eurokrise eine Mahnung. Hätte<br />
eine starke europäische Institution die<br />
volkswirtschaftlichen Daten Griechenlands,<br />
Spaniens, Irlands oder Portugals<br />
eingehend und unabhängig prüfen können,<br />
dann wäre mindestens Griechenland<br />
die Tür zum Euro nicht zugänglich<br />
gewesen. Und hätte dann die Europäische<br />
Zentralbank (die heute faule Schulden<br />
aufkaufen muss!) zum Beispiel das<br />
Recht, jede Aufnahme von Schulden jenseits<br />
der Maastricht-Kriterien zu untersagen,<br />
hätten wir das griechische Problem<br />
auch nicht.<br />
Europa kann integriert werden. Aber<br />
nicht durch immer mehr zentralistische<br />
Eingriffe, sondern durch klare Rahmenbedingungen,<br />
Transparenz der Datenlage<br />
und Sanktionen gegen Verstöße dieser<br />
Vereinbarungen. Wir sollten jetzt<br />
nicht leichtfertig einem neuen Zentralismus,<br />
sondern eher sanktionsbewehrten<br />
Rahmenregelungen Vorrang geben. &<br />
58 WIRTSCHAFT & MARKT 09/11
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