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WIRTSCHAFT+MARKT Mindestlohn nur Einstieg (Vorschau)

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A 40799 ■ ISSN 0863-5323 ■ 22. Jahrgang ■ Dezember 2011 ■ Preis: EURO 3,50<br />

Wirtschaft&Markt<br />

Wirtschaft&Markt<br />

DAS OSTDEUTSCHE WIRTSCHAFTSMAGAZIN<br />

AUTO-EXPERTEN<br />

Flotte Flitzer in Sachsen<br />

SCHIFF-EXPERTEN<br />

Junge Seeleute in Rostock<br />

ROBOTER-EXPERTEN<br />

Eiserne Helfer in Ilmenau<br />

Securitas-Deutschland-Chef Manfred Buhl:<br />

<strong>Mindestlohn</strong> <strong>nur</strong> <strong>Einstieg</strong>


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Buttern im Nebel<br />

HELFRIED LIEBSCH<br />

Chefredakteur<br />

EDITORIAL<br />

Handwörterbuch Außenwirtschaft<br />

GER|MA|NY<br />

TRADE|&|IN|VEST *<br />

<br />

*<br />

GermanyTrade&Invest<br />

ist die Wirtschaftsförderungsgesellschaft<br />

der Bundesrepublik Deutschland.<br />

Liebe Leserin, lieber Leser,<br />

was mögen Historiker in 2050 über 2011<br />

schreiben, angesichts heutiger Schlagzeilen,<br />

dieser Mischung aus himmelhoch<br />

jauchzend und zu Tode betrübt, aus<br />

Schönfärberei und Alarmismus?<br />

Je nun – dem Vorwurf der Schwarzmalerei<br />

entgeht der »Bericht der Bundesregierung<br />

zum Stand der Deutschen Einheit<br />

2011«. Da gleicht er den Vorläufern<br />

wie ein Ei dem anderen. Doch er schlägt<br />

auch andere Töne an. In dem neuen<br />

Bericht finden sich Formulierungen, die<br />

früher als Spinnerei, als linke zumal, abgetan<br />

wurden. Dazu zählt der Abschied<br />

des Aufbaus Ost vom Nachbau West. Verwiesen<br />

wird auf die Chance, dass die<br />

neuen Länder zu »Schrittmachern« für<br />

ganz Deutschland werden. Und der Innenminister<br />

sieht in der Bewältigung<br />

der demografischen Herausforderungen<br />

Ost sogar eine Blaupause für den Westen.<br />

Derlei Lobpreisungen nähren den Verdacht,<br />

dass nun Schluss sein soll mit der<br />

verstärkten Förderung Ost – obwohl der<br />

Angleichungsprozess stagniert. Deshalb<br />

immer wieder die Betonung, dass am<br />

Solidarpakt nicht gerüttelt wird, dass die<br />

Regierung sich für Milliardenzuflüsse<br />

aus Brüssel einsetzt und selbst bei ihren<br />

Hilfen zu bleiben gedenkt? Beziffern will<br />

die Bundesregierung ihre Versprechen<br />

nicht. Mit Verlaub, das 137-Seiten-Papier<br />

stochert im Nebel. Keine Antwort gibt es<br />

auf Fragen nach der Fachkräfteproblematik,<br />

Lohnuntergrenzen (S. 10), der sich<br />

verfestigenden Langzeitarbeitslosigkeit,<br />

nach der Zukunft der Investitions- und<br />

Innovationsförderung. Das ist ärgerlich,<br />

denn wenn Wirtschaft etwas braucht,<br />

dann verlässliche Rahmenbedingungen.<br />

»Wie viel Energiewende verträgt der<br />

Mittelstand?« (S. 6) will deshalb die Interessengemeinschaft<br />

der Unternehmerverbände<br />

Ostdeutschlands und Berlins bei<br />

einem Parlamentarischen Abend am 24.<br />

November in der Hauptstadt erörtern. Er<br />

lenkt die Aufmerksamkeit auf die eigentlichen<br />

Akteure des Aufbaus Ost – die mittelgroßen,<br />

kleinen und kleinsten Unternehmen.<br />

Die Rede ist von solchen mutigen<br />

Mittelständlern wie dem Ingenieur<br />

Rolf Rätzer. Er gehört zu der Handvoll<br />

Entschlossener, die das Dessauer Motorenwerk<br />

1993 in einem Management-<br />

Buy-out vor dem Ende bewahrten (S. 50).<br />

Da drängt sich Äsops Fabel von den<br />

Fröschen auf, die in einen Milchtopf fielen.<br />

Einer gab auf und ertrank. Der andere<br />

strampelte, bis er auf einem Butterklumpen<br />

stand und herausspringen<br />

konnte. Der Aufbau Ost, das sind gerade<br />

diese Unternehmer, die täglich strampeln<br />

müssen, um nicht unterzugehen.<br />

Sie buttern im Nebel. Fabelhaft, oder?<br />

Herzlichst<br />

Ihr<br />

Unser Service<br />

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Gefördert vom Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie und vom<br />

Beauftragten der Bundesregierung für die Neuen Bundesländer aufgrund eines<br />

Beschlusses des Deutschen Bundestages.


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INHALT<br />

WIRTSCHAFT & MARKT<br />

im Dezember 2011<br />

REPORT EXTRA REPORT<br />

SEITE 50 SEITE 35<br />

SEITE 47<br />

CHANCENREICHE MARKTNISCHE:<br />

Elektromotorenwerk Dessau setzt sich durch<br />

BOOMENDE GESUNDHEITSBRANCHE:<br />

Region Berlin-Brandenburg nutzt Chancen<br />

WACHSENDER LOGISTIKMARKT:<br />

Rostocker Spedition investiert am Hafen<br />

Editorial<br />

Aktuell<br />

3<br />

6<br />

Buttern im Nebel<br />

Interview, Nachrichten, Pro und Contra, Impressum<br />

Wirtschaft und Politik<br />

Report<br />

TITEL<br />

10<br />

14<br />

48<br />

50<br />

MANFRED BUHL, Vorsitzender der Geschäftsführung der SECURITAS Deutschland<br />

Holding, zu neuen Herausforderungen im Sicherheitsgewerbe, Facharbeiternachwuchs und<br />

zur Einführung von gesetzlichen Mindestlöhnen in der Branche<br />

ROBOTERSPEZIALIST METRALABS: Begleiter im Baumarkt<br />

CHEMIKALIE BISPHENOL A: Gefährliche Weichmacher<br />

ELEKTROMOTORENWERK DESSAU: Erfolg in der Nische<br />

Fotos: T. George, PictureDisk, T. Schwandt<br />

Bericht<br />

Porträt<br />

Interview<br />

Special<br />

W&M-Extra<br />

W&M-Service<br />

Verbands-News<br />

Ständige Rubriken<br />

W&M Privat<br />

Kolumnen<br />

16<br />

21<br />

32<br />

60<br />

19<br />

47<br />

20<br />

22<br />

26<br />

28<br />

35<br />

51<br />

58<br />

62<br />

64<br />

30<br />

66<br />

AIDA CRUISES: Attraktive Jobs auf allen Weltmeeren<br />

OSTSEE-GASPIPELINE: Landgang in Lubmin<br />

AUTOLAND SACHSEN: Werkbank im Wandel<br />

BRANDENBURG REGENERATIV: Grüner Quantensprung<br />

OPTIK-CLUSTER BERLIN-BRANDENBURG: Hightech-Produkt Licht<br />

ROSTOCKER SPEDITION GUSTKE: Ran an den Hafen<br />

Inhalt<br />

HARALD EISENACH, Vorstandsvorsitzender des Ostdeutschen Bankenverbandes e. V., zu<br />

wirtschaftlichen Entwicklungen in den neuen Bundesländern<br />

FÖRDERUNG: Investitionsbank Sachsen-Anhalt – Förderer und Partner des Mittelstandes<br />

FÖRDERBANKEN: Frisches Geld für Ideen<br />

GELDANLAGE: Finanz- und Versicherungswirtschaft – Kein sicherer Zins<br />

GESUNDHEITSLAND BERLIN-BRANDENBURG: Fachkräfte für heute und morgen<br />

Multimedia, Steuern, Recht, Geld<br />

INGENIEUR-NACHRICHTEN: Deutsche Bahn – Talent und Termine<br />

UV-AKTUELL: Nachrichten aus den Unternehmerverbänden<br />

Bücherbord, Leute & Leute, Leserbriefe<br />

HEINER FLASSBECK: Am Abgrund<br />

KLAUS VON DOHNANYI: Die Schmerzen der Freiheit<br />

WIRTSCHAFT & MARKT 12/11 5


AKTUELL<br />

Fotos: DPA/Zentralbild (1), Archiv<br />

INTERVIEW<br />

HARTMUT BUNSEN,<br />

Sprecher der Interessengemeinschaft<br />

der Unternehmerverbände<br />

Ostdeutschlands<br />

und Berlins<br />

Energiewende, aber wie?<br />

W&M: Herr Bunsen, der ostdeutsche<br />

Mittelstand fragt: Wie viel Energiewende<br />

vertragen wir?<br />

BUNSEN: Eine im wahrsten Sinne<br />

des Wortes brennende Frage.<br />

Die Interessengemeinschaft der<br />

Unternehmerverbände wird das<br />

auf einem parlamentarischen<br />

Abend in Berlin thematisieren.<br />

W&M: Die Politik hat ihr Wort doch<br />

schon gesprochen.<br />

BUNSEN: Ja, aber jetzt geht es<br />

um das Wie. Wir wollen klären,<br />

wie sich die neue Energiepolitik<br />

unter den regionalen Besonderheiten<br />

des Ostens auf den Mittelstand<br />

auswirkt.<br />

W&M: Welche konkreten Fragen stehen<br />

im Vordergrund?<br />

BUNSEN: Der Ausstieg aus der<br />

Kernenergie wird die Strompreise<br />

verteuern. Welche Konsequenzen<br />

hat das im KMU-Bereich? Ist<br />

ein wirtschaftliches und konkurrenzfähiges<br />

Handeln im internationalen<br />

Wettbewerb unter<br />

den veränderten Rahmenbedingungen<br />

überhaupt möglich?<br />

W&M: Ihre Prognose?<br />

BUNSEN: Die energiepolitische<br />

Kehrtwende der Bundesregierung<br />

wird tief greifende Auswirkungen<br />

auf alle Bereiche des gesellschaftlichen<br />

und wirtschaftlichen<br />

Lebens nehmen, die wir<br />

noch gar nicht alle kennen. Aber<br />

sie bietet dem Mittelstand auch<br />

neue Chancen.<br />

W&M: Zum Beispiel?<br />

BUNSEN: Wer rechtzeitig neue<br />

tragfähige Ideen für den effizienteren<br />

Umgang mit der Energie<br />

entwickelt, wird auf den Märkten<br />

der Zukunft erfolgreich sein.<br />

W&M: Ein weites Themenfeld für die<br />

Diskussion mit den Abgeordneten.<br />

BUNSEN: Wir werden nichts auslassen:<br />

Von der Strukturpolitik<br />

über Finanzen und Recht bis zu<br />

den Steuern.<br />

Interview: Peter Jacobs<br />

Energiewende<br />

Osten führt bei Ökostrom<br />

118 deutsche Regionen erstreben eine vollständige<br />

Versorgung mit Ökostrom. Der Osten ist Vorreiter.<br />

Zouma siegt im Test<br />

TRADITIONSMARKEN<br />

Das Elektrofahrrad Zouma<br />

Sport+ aus den Diamantwerken<br />

im erzgebirgischen Großhartmannsdorf<br />

ist bei einem<br />

E-Bike-Test der Stiftung Warentest<br />

als Sieger hervorgegangen.<br />

Den Ausschlag für die Bewertung<br />

gaben das neue getriebelose<br />

Antriebskonzept sowie die<br />

Bremsanlage mit einer einzigartigen<br />

Energierückgewinnungsfunktion.<br />

Die Marke Diamant<br />

existiert seit 1885. Alle DDR-<br />

Radrennfahrer, darunter Weltmeister<br />

Täve Schur, fuhren<br />

Diamanträder. Die Hartmannsdorfer<br />

Werke wurden nach<br />

1990 von der Schweizer Villiger-<br />

Gruppe übernommen.<br />

Im 21. Jahr der deutschen<br />

Einheit können die neuen<br />

Bundesländer einen<br />

überproportionalen Anteil an<br />

Windrädern, Biogas-, Solarund<br />

anderen Anlagen zur alternativen<br />

Energiegewinnung<br />

vorweisen. Brandenburg erreicht<br />

in diesem Jahr trotz seines<br />

hohen Anteils an Braunkohleverstromung<br />

für die Versorgung<br />

Berlins die 20-Prozent-Marke.<br />

Die Zahl der Beschäftigten<br />

in der Ökostrom-<br />

Industrie liegt höher als bei<br />

der Braunkohleverstromung.<br />

Deutschlandweit sind zurzeit<br />

insgesamt 340.000 Menschen<br />

für die Gewinnung alternativer<br />

Energien tätig.<br />

Traum vom Schaum<br />

Die einst sehr beliebte Plastikente<br />

von Badusan schwimmt<br />

wieder in Kinderbadewannen.<br />

Matthias Gabel, ein Radebeuler<br />

Maschinenbauer, hat die<br />

Markenrechte für Badusan<br />

samt allen<br />

Rezepten<br />

vom insolventen<br />

Hersteller<br />

Gerana<br />

Kosmetik erworben und im<br />

Gewerbegebiet Kesselsdorf<br />

bei Dresden eine Neuproduktion<br />

gestartet. Der nach<br />

Rosskastanien duftende, in<br />

den traditionellen Behältnissen<br />

Flasche, Fisch, Ente und<br />

Schwein abgefüllte Badeschaum<br />

wird vor allem online<br />

und in Tante-Emma-Läden<br />

vetrieben. 2011 sollen wieder<br />

50 Tonnen abgesetzt werden.<br />

GEFÖRDERTE INVESTITIONEN<br />

Regionale Aufteilung der durch GRW- und ERP-Mittel geförderten<br />

Investitionen in den ostdeutschen Bundesländern<br />

■ Investitionen/Einwohner; ■ Einwohnerzahlen in Tausend<br />

Berlin<br />

Brandenburg<br />

Mecklenb.-Vorp.<br />

Sachsen<br />

Sachsen-Anhalt<br />

Thüringen<br />

0 10.000 20.000 30.000<br />

DIE GEWERBLICHE WIRTSCHAFT in den neuen Ländern wurde<br />

laut Bundeswirtschaftsministerium in den Jahren seit 1990 mit mehr<br />

als 20.000 Euro pro Einwohner aus GRW- und ERP-Mitteln gefördert.<br />

AUS DEN LÄNDERN<br />

Sachsen<br />

Seit ihrer Gründung hat die Wirtschaftsförderung<br />

Sachsen GmbH<br />

rund 430 Unternehmensansiedlungen<br />

begleitet. Dabei sind mehr<br />

als 47.300 Arbeitsplätze entstanden,<br />

hauptsächlich in den Branchen<br />

Mikroelektronik/IKT, Mobilität<br />

(v. a. Automobilindustrie, Logistik),<br />

Maschinen- und Anlagenbau<br />

sowie Umwelttechnik/Energie.<br />

Die betreffenden Firmen haben im<br />

Freistaat Sachsen bisher über<br />

sieben Milliarden Euro investiert.<br />

Thüringen<br />

In Thüringen wird am 8. Dezember<br />

zum ersten Mal der Preis für Innovative<br />

Gründungen vergeben. Die<br />

Stiftung für Technologie, Innovation<br />

und Forschung Thüringen (STIFT)<br />

hat ein Preisgeld von 10.000 Euro<br />

zur Verfügung gestellt. Insgesamt<br />

ist der Gründerpreis Thüringen<br />

2011 mit 60.000 Euro dotiert.<br />

Die Thüringer Aufbaubank (TAB)<br />

erhält von der Europäischen Investitionsbank<br />

(EIB) ein Globaldarlehen<br />

in Höhe von 100 Millionen<br />

Euro. Das Geld ist für den Ausbau<br />

der kommunalen Infrastruktur im<br />

Land bestimmt. Die TAB hatte 2008<br />

und 2009 EIB-Darlehen von insgesamt<br />

125 Millionen Euro erhalten,<br />

die an 40 Kreditnehmer gingen.<br />

Brandenburg<br />

Seit 2001 gibt es in allen Kreisen<br />

und kreisfreien Städten Brandenburgs<br />

so genannte regionale<br />

Lotsendienste, die erwerbslose<br />

Gründerinnen und Gründern bei der<br />

Existenzgründung mit Rat und Tat<br />

unterstützen. Das Arbeitsministerium<br />

unterstützt diese Gründungen<br />

jährlich mit 7,6 Millionen Euro aus<br />

ESF- und Landesmitteln. Inzwischen<br />

haben die Lotsendienste insgesamt<br />

11.500 Menschen erfolgreich in<br />

die Selbständigkeit begleitet.<br />

Der Anteil ausländischer Studenten<br />

in Brandenburg liegt deutlich über<br />

dem Bundesdurchschnitt. An der<br />

Technischen Universität Cottbus<br />

sind 25 Prozent, an der Europa-<br />

Universität Viadrina Frankfurt (Oder)<br />

40 Prozent Kommilitonen nichtdeutscher<br />

Herkunft immatrikuliert.<br />

Berlin<br />

Das Jüdische Museum in Berlin hat<br />

zusammen mit dem Energiedienstleister<br />

Johnson Controls den European<br />

Energy Service Award gewonnen.<br />

Das Museum reduzierte im<br />

Rahmen eines so genannten Energiespar-Contracting<br />

den Energieverbrauch<br />

um insgesamt 46 Prozent<br />

und die CO 2 -Emissionen um<br />

jährlich 1.800 Tonnen.<br />

6 WIRTSCHAFT & MARKT 12/11


AKTUELL<br />

WIRTSCHAFTSBILD<br />

DES MONATS<br />

BRIEF AUS BRÜSSEL<br />

Von THOMAS HÄNDEL,<br />

Europaabgeordneter<br />

Die Linke<br />

Mieser Kompromiss<br />

Endlich sollten im EU-Parlament<br />

hochspekulative Finanzinstrumente<br />

wie CDS und<br />

Leerverkäufe strikt reguliert<br />

werden. Leider gelangte wieder<br />

<strong>nur</strong> ein Kompromisslein zur<br />

Abstimmung.<br />

ES WEIHNACHTET in den bundesweit vier Logistikzentren des Online-Händlers Amazon, von denen eines<br />

in Leipzig betrieben wird. Das Unternehmen hat mehr als 10.000 Mitarbeiter zusätzlich für das Saisongeschäft<br />

eingestellt. Nirgendwo und zu keiner Jahreszeit wird deutlicher, welchem Konsumrausch Deutschland<br />

trotz aller Ängste vor der Finanzkrise unterliegt. Schon im zweiten Quartal 2011 hatte Amazon seinen<br />

Umsatz um 51 Prozent auf 9,9 Milliarden Euro gesteigert – an der Spitze stand dabei der Lebensmittelhandel<br />

mit 114.000 Artikeln. Ähnlich boomt das E-Book-Geschäft mit 35.000 Titeln. Weihnachten kann kommen.<br />

KONJUNKTUR-BAROMETER<br />

Ostdeutschland zu 40 Prozent im Rückstand<br />

Das Pro-Kopf- Bruttoinlandsprodukt im Osten<br />

Deutschlands stagniert bei etwa 70 Prozent<br />

des Westniveaus. Den Bevölkerungsschwund<br />

von 1,3 Millionen Menschen seit 1995 und<br />

den gleichzeitigen Zuwachs im Westen berücksichtigt,<br />

liegt das Ost-Niveau sogar <strong>nur</strong> bei<br />

rund 60 Prozent. Das spüren die Ostdeutschen<br />

vor allem in der Lohntüte, in der im Durchschnitt<br />

20 Prozent weniger Geld landet als bei<br />

vergleichbaren Arbeitnehmern im Westen.<br />

Diese ernüchternden Zahlen zeigen, dass die<br />

konjunkturelle Entwicklung im Osten Deutschlands<br />

stagniert und dass von ihr keine Impulse<br />

für ein positive Entwicklung der Lebensverhältnisse<br />

zu erwarten sind.<br />

Die Zahl der Langzeitarbeitlosen verharrt auf<br />

hohem Niveau, immer mehr Geringverdiener<br />

kommen hinzu und das Armutsrisiko – wächst.<br />

Armutsgefährdet ist, wer von weniger als 825<br />

Euro im Monat leben muss. Bei Familien mit<br />

Von DR. HERBERT BERTEIT<br />

zwei Kindern beginnt Armut bei 1735 Euro.<br />

2010 lebten 14,5 Prozent aller Bürger in<br />

Deutschland armutsgefährdet. Am höchsten<br />

war der Anteil in Mecklenburg-Vorpommern<br />

(22,4 Prozent). Sachsen-Anhalt (19,8), Sachsen<br />

(19,4),Thüringen (17,6) und Brandenburg<br />

(16,3) standen nicht viel besser da.<br />

Kein Wunder, dass sich die konjunkturellen<br />

Hoffnungen der Ostdeutschen eintrüben und<br />

die Sorge um die Arbeitsplätze wieder steigt.<br />

Neben einer notwendigen Angleichung der<br />

ostdeutschen Löhne und Renten an das West-<br />

Niveau sollte von der Politik bei der Diskussion<br />

über flächendeckende Mindestlöhne und<br />

Lohnuntergrenzen bedacht werden, dass dies<br />

nicht <strong>nur</strong> den Tarifpartner überlassen werden<br />

kann. Denn im Osten Deutschlands sind<br />

mehr als die Hälfte aller Arbeitnehmer in Unternehmen<br />

und Einrichtungen beschäftigt, die<br />

gar keiner Tarifbindung unterliegen.<br />

Der französische Abgeordnete<br />

Pascal Canfin hatte den Entwurf<br />

der Kommission mit weitreichenden<br />

Einschränkungen<br />

dieser Instrumente verbessert –<br />

kein Verbot, aber nahe dran.<br />

Im Parlament wurde dieser Vorschlag<br />

von den Konservativen<br />

und Euroskeptikern zugunsten<br />

der Finanzindustrie verschlechtert,<br />

war aber immer noch akzeptabel.<br />

Nach den Verhandlungen<br />

mit dem EU-Rat steht etwas<br />

zur Abstimmung, das einem<br />

Schweizer Käse gleicht. Zu viele<br />

Ausnahmen, zu wenig Kontrollmöglichkeiten<br />

und langwierige<br />

Interventionsphasen für die<br />

Kontrolleure machen das Instrument<br />

nahezu wirkungslos. Unterdessen<br />

verbreitet man immer<br />

noch die Mär, hochspekulative<br />

Finanzinstrumente dienten der<br />

Wirtschaft und dürften deswegen<br />

<strong>nur</strong> so schonend wie möglich<br />

reguliert werden. In Wahrheit<br />

geht es um den Schutz und<br />

die »Freiheiten« der Finanzindustrie.<br />

Insbesondere Großbritannien<br />

blockiert jede wirksame<br />

Lösung. Die Regierenden<br />

der europäischen Mitgliedsstaaten<br />

scheinen nicht bereit,<br />

aus der Krise zu lernen. Wir<br />

bleiben dabei: Die Finanzmärkte<br />

gehören entmachtet – das Primat<br />

der Politik über die Gestaltung<br />

der Gesellschaft muss<br />

(wieder) hergestellt werden.<br />

WIRTSCHAFT & MARKT 12/11 7


AKTUELL<br />

Fotos: DPA/Zentralbild (5), privat,<br />

KURZ NOTIERT<br />

ERNTEAUSFÄLLE<br />

Pacht gestundet<br />

Witterungsgeschädigte<br />

Bauern in Brandenburg<br />

haben von der BVVG Zahlungsaufschub<br />

erhalten.<br />

Wegen der Trockenheit im<br />

Frühjahr und nach dem sehr<br />

nassen Sommer ernteten die<br />

märkischen Landwirte in<br />

diesem Jahr 400.000 Tonnen<br />

Getreide und 280.000 Tonnen<br />

Raps weniger als 2010. Die<br />

Obstbauern beklagen infolge<br />

Anfang Mai erfrorener Blüten<br />

Ertragsausfälle von 2,5 Millionen<br />

Euro. Bauern, die von<br />

erheblichen Ernteausfällen<br />

betroffen sind, erhielten die<br />

Pachten für Ackerland von der<br />

bundeseigenen Bodenverwertungs-<br />

und -verwaltungsgesellschaft<br />

(BVVG) gestundet.<br />

MARKENZEICHEN<br />

MV-Designpreis<br />

Alle zwei Jahre wird der<br />

Designpreis des Landes<br />

Mecklenburg-Vorpommern<br />

ausgeschrieben.<br />

Gemeinsam mit dem Landesdesignzentrum<br />

lobte das<br />

Wirtschaftsministerium in<br />

diesem Jahr den Lilienthal-<br />

Designpreis und den gleichnamigen<br />

Nachwuchspreis aus.<br />

Ziel des Wettbewerbs ist die<br />

Unterstützung der Wirtschaft<br />

und damit verbunden die<br />

Etablierung marktfähiger<br />

Produkte, die sich durch ein<br />

unverwechselbares Design<br />

auszeichnen. Der Designpreis<br />

wurde zum ersten Mal im Jahr<br />

1992 konzipiert, um das Gestaltungsbewusstsein<br />

im Land<br />

zu stärken und die Qualität<br />

von Produkten und Präsentationen<br />

zu verbessern. Das<br />

Konzept wird in den kommenden<br />

Jahren weiter verfolgt.<br />

»Design made in MV« soll sich<br />

künftig zu einem Markenzeichen<br />

entwickeln, das der<br />

Wirtschaft des Landes neue<br />

Impulse verleihen und sie<br />

weiter voranbringen soll.<br />

NACHRICHTEN AUS DEN REGIONEN<br />

KLIMASCHUTZ<br />

Algen schlucken CO 2<br />

In der Senftenberger Hochschule<br />

Lausitz wurde ein Forschungslabor zur<br />

Nutzbarmachung von Algen für den<br />

Klimaschutz eingerichtet.<br />

Zu diesem Zweck wurde der Algenphotobioreaktor<br />

(Foto) um einen Thermolyse-<br />

Versuchsstand<br />

und eine CO 2 -<br />

Extraktionsanlage<br />

erweitert.<br />

Während ihrer<br />

Wachstumsphase<br />

binden die Algen<br />

mittels Photosynthese<br />

große<br />

Mengen an<br />

Kohlendioxid aus<br />

Rauchgasen.<br />

Das Projekt<br />

wird in Zusammenarbeit<br />

mit<br />

der IVG GmbH<br />

und der Universität Potsdam realisiert und<br />

von der brandenburgischen Landesregierung<br />

mit 214.000 Euro gefördert.<br />

MANAGER : TÜFTLER : ERFINDER<br />

Ein Rasierpinselmacher, der vom<br />

Trend zur Nassrasur profitiert<br />

CHRISTIAN MÜLLER, (38) PEER LEITHOLD, (47)<br />

Geschäftsführer der Hans-<br />

Jürgen Müller GmbH & Co. KG<br />

im erzgebirgischen Stützengrün,<br />

hat mit seinem Traditionsprodukt<br />

den Weg zurück in die<br />

Badezimmer gefunden. Mehr<br />

als 1,5 Millionen Rasierpinsel<br />

von der Standardqualität bis<br />

zum Dachshaarmodell werden jährlich in seinem<br />

Familienunternehmen industriell hergestellt, weitere<br />

20.000 aus der Handfertigung kommen hinzu. Die<br />

30 Firmenmitarbeiter erwirtschafteten im vergangenen<br />

Jahr einen Umsatz von fast 4,6 Millionen Euro und<br />

werden in diesem Jahr noch zulegen. Müllers natürlicher<br />

Verbündeter ist der seit längerem am Toilettentisch<br />

der Männerwelt zu beobachtende Trend einer<br />

Rückkehr zur Nassrasur. Zu den Großabnehmern gehören<br />

der Rasiermittelhersteller Wilkinson und die<br />

Drogeriekette Rossmann. Der Markt reicht bis in die<br />

USA und nach Japan. Für exquisite Stücke zahlt verwöhnte<br />

Kundschaft bis zu 350 Euro. Um mit der fast<br />

500 Artikel umfassenden Produktpalette stets gut bevorratet<br />

zu sein, hat Müller 1,5 Millionen Euro in ein<br />

Hochregallager investiert. Auftragsrückgänge befürchtet<br />

er nicht: »Das Barthaar wächst immer wieder nach.«<br />

TOURISMUS<br />

Sachsen will mehr Gäste<br />

Der Freistaat Sachsen hat sich eine neue<br />

Tourismusstrategie verordnet und will<br />

die Zahl der Übernachtungen bis zum Jahr<br />

2020 auf 19 Millionen anheben.<br />

Im sächsischen Doppelhaushalt 2011/12 sind<br />

elf Millionen Euro für die Tourismusförderung<br />

ausgewiesen. Schon im Jahr 2010 verzeichnete<br />

Sachsen ein Rekordhoch von 16,3 Millionen<br />

Übernachtungen. Für die kommenden Jahre<br />

beschloss die Landesregierung die Einführung<br />

eines Punktesystems zur effizienteren<br />

Verteilung der Fördermittel. Nachholbedarf<br />

bestehe vor allem in den Regionen Chemnitz,<br />

Vogtland und Sächsisches Elbland.<br />

Ein Chemiker, der Äcker mit<br />

Hilfe von Satelliten düngen kann<br />

Chef der Agri Con GmbH,<br />

schwört auf die Hightech-<br />

Zukunft in der Landwirtschaft.<br />

Auf einem ehemaligen<br />

Bauernhof im sächsischen<br />

Ostrau ertüftelt er Sensoren,<br />

die sekundenschnell die<br />

Beschaffenheit der Pflanzen<br />

und des Bodens ermitteln können. Seine Hightech-<br />

Geräte, montiert auf Traktoren, verbinden das Wissen<br />

über Pflanzen, Agrochemie und Biologie mit der Landtechnik.<br />

Zum Vermessen der Felder greift der gelernte<br />

Agrochemiker auch auf die GPS-Technik zurück.<br />

Bereits im Versuchstadium ermittelte er, dass sich<br />

mit seinen Gerätschaften zehn Prozent der Düngemittel<br />

und 15 Prozent der Pflanzenschutzmittel einsparen<br />

lassen. Im vergangenen Jahr erzielte Agri Con<br />

einen Umsatz von 6,2 Millionen Euro, vor allem bei<br />

ostdeutscher Kundschaft. Die 45 Beschäftigten,<br />

darunter viele Ingenieure, sind über den Winter damit<br />

beschäftigt, den Einsatz der Sensortechnik weiter<br />

zu optimieren. Der Hightech-Farmer würde sein Knowhow<br />

gern global vermarkten. An neuen Ideen mangelt<br />

es ihm nicht: »Vielleicht stehen wir sogar am Beginn<br />

einer neuen Revolution in der Landwirtschaft.«<br />

8 WIRTSCHAFT & MARKT 12/11


AKTUELL<br />

IMPRESSUM<br />

Wirtschaft & Markt<br />

Das ostdeutsche Wirtschaftsmagazin<br />

Magazin der Interessengemeinschaft<br />

der Unternehmerverbände<br />

Ostdeutschlands und Berlin<br />

Redaktionsanschrift:<br />

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E-Mail: wumberlin@t-online.de<br />

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Herausgeber:<br />

Klaus George<br />

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Helfried Liebsch,<br />

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Thomas Schwandt<br />

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Redaktion:<br />

Peter Jacobs, Hans Pfeifer,<br />

Matthias Salm, Siegfried Schröder,<br />

Steffen Uhlmann<br />

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Verlagsassistenz:<br />

Sten Seliger<br />

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Gestaltung:<br />

Ralf Puschmann<br />

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Titelfoto: Torsten George<br />

Druck: Möller Druck Berlin<br />

Autoren dieser Ausgabe:<br />

Thomas Bencard, Peter Jacobs,<br />

Matthias Kasper, Hannelore Koard<br />

Vertrieb und Anzeigenverwaltung:<br />

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Verlag:<br />

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Geschäftsführender Gesellschafter:<br />

Michael Schulze<br />

schulze@wirtschaftundmarkt.de<br />

ISSN 086 353 23 Erscheint monatlich.<br />

Die Zeitschrift Wirtschaft&Markt ist das<br />

Magazin der Interessengemeinschaft der<br />

ostdeutschen Unternehmerverbände und<br />

Berlin. Die Mitglieder der Verbände erhalten<br />

die Zeitschrift im Rahmen ihrer<br />

Mitgliedschaft. Einzelpreis: 3,50 EURO;<br />

Jahresabonnement Inland 30,00 Euro<br />

inkl. 7% Mwst.; Ausland 37,00 Euro inkl.<br />

Porto. Sonderpreis für Studenten:<br />

(Nachweis) jährlich 20,00 EURO. Das<br />

Jahresabonnement gilt zunächst für ein<br />

Jahr (10 Ausgaben). Danch besteht die<br />

Möglichkeit, das Abonnement jederzeit zu<br />

kündigen.Namentlich gekennzeichnete<br />

Beiträge müssen nicht mit der Meinung<br />

der Redaktion übereinstimmen. Für unverlangt<br />

eingesandte Manuskripte und Fotos<br />

übernehmen wir keine Haftung. Nachdruck<br />

<strong>nur</strong> mit Genehmigung des Verlages.<br />

MESSETERMINE<br />

Dezember<br />

30.11., Berlin<br />

OSTPRO. Verkaufsmesse<br />

für Ostprodukte<br />

04.12., Plauen<br />

Modellbahnbörse<br />

10.12., Erfurt<br />

Bundeskaninchenschau<br />

06.12., Berlin<br />

MASTER AND MORE<br />

10.12., Hamburg<br />

stuzubi, Karrieremesse<br />

für Abiturienten und<br />

Fachabiturienten<br />

PRO<br />

& CONTRA<br />

Soll Frauenquote per Gesetz<br />

durchgedrückt werden?<br />

Eine freiwillige Selbstverpflichtung der Wirtschaft<br />

gibt es seit 2001 – ohne große Wirkung. Muss ein Gesetz<br />

nachhelfen, das die Arbeitsministerin fordert?<br />

JA<br />

INGRID SEHRBROCK,<br />

stellvertretende Vorsitzende,<br />

Deutscher Gewerkschaftsbund<br />

Zehn Jahre haben Wirtschaft<br />

und Politik bei der<br />

Förderung der Chancengleichheit<br />

in der Privatwirtschaft mit<br />

der freiwilligen Selbstverpflichtung<br />

vertrödelt. Das Gutachten<br />

der Sachverständigen zum<br />

Gleichstellungsbericht empfiehlt<br />

jetzt unmissverständlich<br />

eine Geschlechterquote für<br />

Aufsichtsräte. Doch wirklichen<br />

Gestaltungswillen in der Gleichstellungspolitik<br />

der Regierung<br />

gibt es kaum. Das beginnt mit<br />

dem zögerlichen Ausbau von<br />

Kinderbetreuungseinrichtungen<br />

und Ganztagsschulen,<br />

wo wir weit unter dem Niveau<br />

vergleichbarer Länder liegen.<br />

Vielen qualifizierten Frauen<br />

wird so eine gleichberechtigte<br />

berufliche Teilhabe verbaut. Es<br />

setzt sich fort bei der Entgeltungleichheit<br />

zwischen Frauen<br />

und Männern, wo Deutschland<br />

mit 23 Prozent Differenz einen<br />

der hinteren Plätze in der EU<br />

einnimmt. Und es endet bei der<br />

Besetzung von Aufsichtsräten.<br />

Lediglich 4,7 Prozent der Aufsichtsratsmitglieder<br />

auf der<br />

Anteilseignerseite in den 160<br />

börsennotierten Unternehmen<br />

sind weiblich. Die geschlechtergerechte<br />

Besetzung der Aufsichtsräte<br />

ist ein Puzzlestück<br />

auf dem Weg zur Gleichstellung.<br />

Um eine tatsächliche<br />

Gleichstellung zu erreichen,<br />

müssen noch viele Teile<br />

zusammengefügt werden.<br />

ROLAND WOLF,<br />

Geschäftsführer Arbeitsrecht,<br />

Bundesvereinigung der<br />

Deutschen Arbeitgeberverbände<br />

NEIN<br />

Der Anteil von<br />

Frauen in Aufsichtsräten<br />

wie auch in Vorständen,<br />

hat sich positiv entwickelt<br />

und wird sich in den nächsten<br />

Jahren noch deutlich erhöhen<br />

– ganz ohne gesetzliche Vorgaben.<br />

Dies hat das Jahr<br />

2011 eindrucksvoll belegt.<br />

Mehr als vierzig Prozent der<br />

durch Nachwahlen zu besetzenden<br />

Aufsichtsratspositionen<br />

wurden von Frauen eingenommen.<br />

Die Dax-30-Unternehmen<br />

haben sich darüber<br />

hinaus in einer gemeinsamen<br />

Erklärung mit selbst gesetzten,<br />

realistischen und messbaren<br />

Zielen dazu verpflichtet,<br />

den Frauenanteil in der<br />

Belegschaft und in Führungspositionen<br />

zu erhöhen. Eine<br />

gesetzliche Quote kann dagegen<br />

die spezifischen Strukturen<br />

eines Unternehmens<br />

und auch einer Branche nicht<br />

berücksichtigen. Es stehen<br />

zum Beispiel noch heute in<br />

den technisch-naturwissenschaftlichen<br />

Branchen nicht<br />

in ausreichender Zahl Bewerberinnen<br />

zur Verfügung.<br />

Jährliche Berichtspflichten<br />

über den Frauenanteil führen<br />

nicht weiter und schaffen <strong>nur</strong><br />

neue Bürokratie. Eine Erhöhung<br />

des Frauenanteils kann<br />

<strong>nur</strong> dort erfolgen, wo es sich<br />

um eine echte Neubesetzung<br />

eines frei werdenden Aufsichtsratsmandats<br />

handelt.<br />

INVESTITIONEN<br />

Neues Pumpspeicherwerk<br />

Bei Tambach-Dietharz in Thüringen<br />

soll ein neues Pumpspeicherwerk<br />

gebaut werden. In einer Beteiligungsgesellschaft<br />

haben sich 35 Stadtwerke<br />

zusammengefunden. Das<br />

Erfurter Wirtschaftsministerium<br />

stellte Investitionen von mehr<br />

als 500 Millionen Euro in Aussicht.<br />

Laser für Solarzellen<br />

20 Millionen Euro hat das norwegische<br />

Unternehmen Innotech Solar<br />

ASA in Halle an der Saale in seine<br />

neue Solarfabrik investiert. Auf<br />

einer Produktionsfläche von 7.000<br />

Quadratmetern werden künftig bis<br />

zu 20.000 Solarzellen pro Stunde<br />

veredelt. Innotech Solar hat ein<br />

industrielles Verfahren entwickelt,<br />

das Solarzellen verschiedener<br />

Hersteller analysiert und mit speziellen<br />

Lasern Verunreinigungen<br />

isoliert. In Halle wurden dafür<br />

50 Arbeitsplätze eingerichtet.<br />

Weitere 80 sollen in der nächsten<br />

Ausbaustufe hinzukommen.<br />

Oberhof gestaltet um<br />

Mit einem Investionsaufwand von<br />

25 Millionen Euro werden in dem<br />

thüringischen Wintersportzentrum<br />

Oberhof die Skiarena und die Rennsteigthermen<br />

umgestaltet. Beson-<br />

dere Aufmerksamkeit wird nach dem<br />

Duisburger Loveparade-Unglück auf<br />

die Gestaltung der Fluchtwege gelegt.<br />

(Foto: Panorama-Hotel)<br />

EWE-Servicecenter<br />

Der Energiedienstleister EWE<br />

ENERGIE AG hat in Wildau, südöstlich<br />

von Berlin sein erstes Kundencenter<br />

in Brandenburg eröffnet. Es bietet<br />

Service und Beratung über alle Produkte<br />

und Dienstleistungen der EWE<br />

ENERGIE und des Kommunikationsunternehmens<br />

EWE TEL sowie über<br />

Energiesparen, Hausenergietechnik,<br />

Erdgas als Kraftstoff und über Klimaschutz.<br />

Mit Computeranimationen<br />

werden Energiethemen optisch<br />

erlebbar gemacht.<br />

Hubwagen aus Landsberg<br />

Das international tätige Unternehmen<br />

Jungheinrich hat rund 30 Millionen<br />

Euro in sein Werk in Landsberg bei<br />

Halle investiert. Die Kapazität des<br />

neuen Werkes liegt bei 30.000<br />

Elektro-Niederhubwagen pro Jahr.<br />

WIRTSCHAFT & MARKT 12/11 9


GESPRÄCH<br />

Manfred Buhl, Vorsitzender der Geschäftsführung der Securitas Deutschland<br />

Holding, zu neuen Herausforderungen im Sicherheitsgewerbe, Facharbeiternachwuchs<br />

und zur Einführung von gesetzlichen Mindestlöhnen in der Branche<br />

»Gute Dienstleistungen kosten eben<br />

Fotos: Torsten George<br />

W&M: Herr Buhl, für was stehen die drei<br />

roten Punkte im Logo von Securitas?<br />

MANFRED BUHL: Ehrlichkeit, Aufmerksamkeit,<br />

Hilfsbereitschaft – ich kenne<br />

kein anderes Sicherheitsunternehmen<br />

auf der Welt, das seine Werte im Logo<br />

reklamiert. Ein, so finde ich, bemerkenswertes<br />

Alleinstellungsmerkmal.<br />

W&M: Sie haben 2007 als Vizepräsident des<br />

heutigen Bundesverbandes der deutschen Sicherheitswirtschaft<br />

beklagt, dass die Branche<br />

als unseriös gilt. Sie haben auf laxe Zugangsbedingungen<br />

zum Job, schlechte Ausbildung<br />

und Niedriglöhne, einen stagnierenden<br />

Markt und immer neue Anbieter, darunter<br />

schwarze Schafe, aufmerksam gemacht. Das<br />

hat sicher Begeisterung ausgelöst?<br />

MANFRED BUHL: Klar, die anderen<br />

Marktteilnehmer fanden es nicht so toll,<br />

dass ihnen ein Spiegel vor das Gesicht gehalten<br />

wurde. Aber es war richtig, denn<br />

wenn wir als Verband es nicht schaffen,<br />

aus dieser Ecke heraus zukommen, wer<br />

dann?<br />

W&M: Welche wirtschaftlichen Ursachen sehen<br />

Sie für den schlechten Ruf der Branche?<br />

MANFRED BUHL: Es hält sich hartnäckig<br />

die Ansicht, das Sicherheitsgewerbe würde<br />

unglaublich boomen. Aber weder Umsatz<br />

noch Beschäftigung haben in den<br />

vergangenen Jahren deutlich zugenommen.<br />

Das einzige, was drastisch gestiegen<br />

ist, sind die Markteintritte. Der Kuchen<br />

ist nicht größer geworden, aber es<br />

gibt mehr Firmen, die ein Stück davon erheischen<br />

wollen. Damit sind Arbeits- und<br />

Lebensbedingungen in diesem Markt<br />

nicht besser, sondern schlechter geworden.<br />

W&M: Ergo, es existiert ein harter Verdrängungswettbewerb<br />

unter den schätzungsweise<br />

4.000 privaten Sicherheitsunternehmen in<br />

Deutschland.<br />

MANFRED BUHL: Ja, in der Security-Umwelt,<br />

wie wir sagen, sind die Bedingungen<br />

mies. Hinzu kommt, dass es in<br />

Deutschland im Vergleich zu anderen europäischen<br />

Ländern einfach ist, ein Sicherheitsgewerbe<br />

anzumelden.<br />

W&M: Noch vor Jahren reichte ein 40-Stunden-Lehrgang<br />

bei der IHK – und heute?<br />

MANFRED BUHL: Inzwischen sind es 80<br />

Stunden. Aber es wird immer noch nicht<br />

geprüft, was der Anmelder kaufmännisch<br />

beherrscht, ob er über Sozialkompetenz<br />

verfügt. Entscheidend sind <strong>nur</strong><br />

Aufträge, und Mitarbeiter zu finden. Die<br />

Konjunktur hat nach der Immobilienkrise<br />

erst wieder angezogen. Vorher gab<br />

es eine hohe Arbeitslosigkeit und es war<br />

relativ einfach, auf dem Markt Menschen<br />

zu rekrutieren. Sie waren bereit, für<br />

weniger Geld zu arbeiten, als es der Tarif<br />

vorsah. Auch die Kunden wollten sparen.<br />

Unternehmen, die wie wir sauber kal-<br />

»Entscheidend ist, dass in der<br />

Umsetzung der Mindestlöhne<br />

EFFEKTIV KONTROLLIERT<br />

wird und Verstöße wirksam<br />

sanktioniert werden.«<br />

kulieren und wo schon der Betriebsrat es<br />

nicht zulässt, unter Tarif zu bezahlen,<br />

hatten es da schwer.<br />

W&M: Aber Wettbewerb belebt doch das Geschäft?<br />

MANFRED BUHL: Solange er auf fairen<br />

Bedingungen fußt – keine Frage. Deshalb<br />

war die Zustandsbeschreibung auch an<br />

die Kunden gerichtet, sich nicht für das<br />

billigste, sondern für das wirtschaftlichste,<br />

letztlich für das beste Angebot zu<br />

entscheiden.<br />

W&M: Was unterscheidet denn das Securitas-<br />

Angebot von anderen?<br />

MANFRED BUHL: Normalerweise schreiben<br />

Unternehmen Stellen im Sicherheitsdienst<br />

aus. Zum Beispiel suchen sie<br />

einen Sicherheitsmitarbeiter für eine gewisse<br />

Zahl an Stunden. Das Sicherheitssystem<br />

des Unternehmens ist schon definiert.<br />

Es geht <strong>nur</strong> noch um personelle Ergänzung.<br />

Wir bieten dagegen dem<br />

Kunden eine Sicherheitsanalyse, eine Risikobewertung<br />

und dann eine maßgeschneiderte<br />

Dienstleistung an. Inklusive<br />

Technik, Organisation und Manpower.<br />

Wir bringen alles mit, vom Zaun über die<br />

Video- und Alarmanlage bis zur Feuerwehr.<br />

Vor allem aber haben wir den fachkompetenten<br />

Sicherheitsexperten, der<br />

das Management des Kunden berät.<br />

W&M: Das dürfte für einen Mittelständler<br />

kaum erschwinglich sein?<br />

MANFRED BUHL: Nein, darum geht es gar<br />

nicht, sondern um eine völlig andere<br />

Qualität der Dienstleistung, um eine andere<br />

Kultur. Und auch um eine höhere<br />

Qualifikation unserer Mitarbeiter beim<br />

verstärkten Einsatz von Technik.<br />

W&M: Sie forderten aus diesen Gründen seit<br />

vier Jahren einen gesetzlichen <strong>Mindestlohn</strong><br />

für die rund 170.000 Beschäftigten im Wachund<br />

Sicherheitsgewerbe. Seit 1. Juni 2011 ist<br />

er Gesetz. Für die östlichen Bundesländer gelten<br />

6,53 Euro als Untergrenze. Zufrieden?<br />

MANFRED BUHL: Natürlich reichen 6,53<br />

Euro nicht aus, aber wir kommen von<br />

4,30 Euro, wie sie in Thüringen gezahlt<br />

wurden. Machen Sie einem Kunden aber<br />

erstmal verständlich, dass er jetzt ein<br />

Drittel mehr für die Dienstleistung aufwenden<br />

soll. Im Übrigen sind die Mindestlöhne<br />

gestaffelt. Außer für den Osten<br />

gilt diese Untergrenze für Berlin, Rheinland-Pfalz,<br />

Saarland und Schleswig-Holstein.<br />

Für Baden-Württemberg sind es<br />

8,60 Euro. Die restlichen Bundesländer<br />

liegen dazwischen.<br />

W&M: Nicht ausreichend, sagen Sie – wie soll<br />

es weitergehen?<br />

MANFRED BUHL: Die Sätze steigen überall<br />

in zwei Stufen zum 1. März 2012 und<br />

zu Anfang 2013 auf 7,50 Euro bis 8,90<br />

Euro – befristet bis Ende 2013. Entscheidend<br />

ist, dass in der Umsetzung der Mindestlöhne<br />

effektiv kontrolliert wird und<br />

10 WIRTSCHAFT & MARKT 12/11


gutes Geld«<br />

»Die zunehmende<br />

Ungerechtigkeit in der<br />

Verteilung in der Welt<br />

ist der Ausgangspunkt dafür,<br />

dass sich das<br />

SICHERHEITSRISIKO<br />

verschärft.«<br />

Verstöße wirksam sanktioniert werden.<br />

W&M: Das klappt?<br />

MANFRED BUHL: Ich bin unlängst von<br />

meinem Regionalmanager in Thüringen<br />

informiert worden, dass der Zoll dort die<br />

Einhaltung kontrolliert. Das scheint zu<br />

klappen.<br />

W&M: Gibt es im Branchenverband, wie anderswo<br />

nicht unüblich, eine Art freiwillige<br />

Selbstverpflichtung, Mindestlöhne zu zahlen?<br />

MANFRED BUHL: Nein, warum denn<br />

auch? Der <strong>Mindestlohn</strong> ist Gesetz, wer<br />

ihn nicht zahlt, verhält sich rechtswidrig.<br />

Aber er ist nicht das Ende eines Prozesses,<br />

wie manche glauben, sondern<br />

<strong>nur</strong> der Anfang. Er zieht eine Untergrenze,<br />

aber die Staffelung verhindert nicht<br />

den Lohn-Tourismus. Zum Beispiel von<br />

Thüringen nach Bayern. Zum anderen<br />

müssen wir aufpassen, dass sich nicht<br />

das ganze Entgelt-Gefüge des Gewerbes<br />

über den <strong>Mindestlohn</strong> definiert. Denn es<br />

gibt in der Branche qualifizierte Ausbildung,<br />

hoch qualifizierte Tätigkeiten. Wir<br />

müssen in ganz Deutschland dahin kommen,<br />

dass fachlich anspruchsvolle<br />

Dienstleistungen gut bezahlt werden. Bis<br />

zur Stunde ist aber nicht einheitlich geregelt,<br />

was eine Fachkraft für Schutz und<br />

Sicherheit – ein Ausbildungsberuf – bekommen<br />

soll.<br />

W&M: Bilden Sie selbst aus?<br />

MANFRED BUHL: Ja, wir haben ein eigenes<br />

Ausbildungszentrum in Schwerin<br />

und eine Betriebsakademie in Düsseldorf.<br />

Wir halten verschiedene Bildungsangebote<br />

vor und verbinden diese mit<br />

Praktika, damit die jungen Leute nicht<br />

ins kalte Wasser springen müssen. Zudem<br />

bereiten wir unsere Mitarbeiter zielgerichtet<br />

auf ihren künftigen Einsatzort<br />

vor, beispielsweise in einem Kraftwerk.<br />

W&M: Wie viele Auszubildende haben Sie?<br />

MANFRED BUHL: 90 – seit fünf Jahren<br />

gibt es zwei Ausbildungsberufe in der Sicherheitswirtschaft,<br />

neben der Fachkraft<br />

auch die Servicekraft.<br />

W&M: Wie sah es vorher aus?<br />

MANFRED BUHL: Nichts dergleichen.<br />

Man muss berücksichtigen, dass vor der<br />

Wende das Sicherheitsgewerbe in der<br />

Bundesrepublik von Quereinsteigern gekennzeichnet<br />

war. Nach 1990 kamen aus<br />

Zoll, Polizei und Armee der DDR qualifizierte,<br />

ausgebildete Fachkräfte in die<br />

Branche. Diese neue Qualität hat das<br />

Gewerbe nachhaltig beeinflusst. Es war,<br />

wie gesagt, leicht, gute Leute für wenig<br />

Geld zu kriegen. Sie sind heute zum Teil<br />

in Rente. Der Wettbewerb um den<br />

Fachnachwuchs ist entbrannt. Die demografische<br />

Entwicklung verschärft ihn<br />

dramatisch.<br />

W&M: Woher kommen die Auszubildenden?<br />

MANFRED BUHL: Wir werben intensiv –<br />

in Schulen, auf Bildungsmessen, unter<br />

den Zeitsoldaten der Bundeswehr und<br />

anderswo.<br />

W&M: Warum sollte ein junger Mensch bei<br />

Ihnen anheuern?<br />

MANFRED BUHL: Wir haben eine Reihe<br />

von sehr interessanten Aufgabengebieten<br />

mit großer Perspektive – es gibt<br />

faktisch keinen wirtschaftlichen, wissenschaftlichen<br />

und gesellschaftlichen Bereich,<br />

wo wir nicht sind. Das Unternehmen<br />

ist ein Seismograph. Wir spüren<br />

Entwicklungen zuerst, die Probleme<br />

hautnah. Für junge Menschen, die eine<br />

Affinität zu Sicherheit mitbringen, gibt<br />

es ausgezeichnete Karrierechancen.<br />

W&M: Wie begründen sich diese?<br />

MANFRED BUHL: Das hängt mit unserer<br />

Struktur zusammen. Wir scheinen mit<br />

annähernd 20.000 Beschäftigten in<br />

Deutschland ein großer Dampfer zu sein,<br />

aber eigentlich sind es viele Securitas-<br />

Schnellboote, die das Unternehmen ausmachen.<br />

Kleine Einheiten, 150 Leute, die<br />

jeweils 25 Kunden betreuen mit fünf Millionen<br />

Euro Jahresumsatz. Securitas<br />

Deutschland ist faktisch mittelständisch<br />

aufgestellt.<br />

WIRTSCHAFT & MARKT 12/11 11


GESPRÄCH<br />

MANFRED BUHL<br />

erläutert<br />

W&M-Redakteur<br />

Helfried Liebsch<br />

die Unternehmensstrategie.<br />

W&M: Wer lernt denn drei Jahre, um dann<br />

6,53 Euro die Stunde zu verdienen?<br />

MANFRED BUHL: Genau das ist die Frage.<br />

Der <strong>Mindestlohn</strong> kann deshalb <strong>nur</strong> der<br />

<strong>Einstieg</strong> sein. Wir müssen unseren Kunden<br />

– kleinen und mittelgroßen Unternehmen<br />

– verständlich machen, dass eine<br />

gute Dienstleistung gutes Geld kostet.<br />

W&M: Womit muss sich eine Fachkraft für<br />

Schutz und Sicherheit heute auskennen –<br />

auch mit der Abwehr von Cyber-Kriminalität?<br />

MANFRED BUHL: Diese spezielle Dienstleistung<br />

kaufen wir noch zu. Aber wenn<br />

Sie sich mal ein Lehrbuch zur Schiffssicherheit<br />

ansehen, dann ist das schon<br />

beeindruckend. Sowohl, was die rechtlichen<br />

Vorschriften angeht, als auch<br />

technische Kenntnisse.<br />

W&M: Wie könnte eine Securitas-Arbeitsplatzbeschreibung<br />

von morgen aussehen?<br />

MANFRED BUHL: Das ist spannend und<br />

hat mit der klassischen Wach- und<br />

Schließgesellschaft <strong>nur</strong> noch wenig zu<br />

tun. Traditionell dominierte das Kirchturm-Gewerbe.<br />

In einer Stadt gab es ein,<br />

zwei Sicherheitsunternehmen und die<br />

haben alles an Aufträgen rund um den<br />

Kirchturm aufgelesen. Da war eine Bank,<br />

eine Verwaltung, ein Unternehmen. Seit<br />

rund zehn Jahren zeichnen sich gravierende<br />

Veränderungen ab. Vor allem bei<br />

Securitas. Der Kunde rückt in den Mittelpunkt,<br />

wir bieten ihm eine integrierte<br />

Sicherheitslösung an, in die er einbezogen<br />

ist. Das geht in unserem Unternehmen<br />

einher mit einer Spezialisierung<br />

und Segmentierung.<br />

W&M: Zum Beispiel?<br />

MANFRED BUHL: Frankfurt am Main ist<br />

ein Bankenstandort. Unsere Fachleute<br />

dort betreuen inzwischen Bankkunden<br />

bundesweit. Deren Arbeitsplatz unterscheidet<br />

sich gravierend von dem eines<br />

Sicherheitsfachmanns in einem Chemiebetrieb,<br />

der eine Feuerwehr-Ausbildung<br />

besitzt, oder in einem Kernkraftwerk,<br />

auf einem Flugplatz oder im Stadion.<br />

Dort sind Generalisten gefragt, der Trend<br />

aber geht hin zum Spezialisten.<br />

W&M: Weisen die Visitenkarten des größten<br />

privaten Sicherheits-Unternehmens in<br />

Deutschland das schon aus?<br />

MANFRED BUHL: Securitas unterteilt sich<br />

in vier große Segmente – den integrierten<br />

Sicherheitslösungen, ein All-in-one-<br />

ZUR<br />

Reformator<br />

PERSON<br />

Der im Februar 1952 in Forst (Brandenburg)<br />

geborene Manfred Buhl steht<br />

seit 2002 an der Spitze der Securitas<br />

Deutschland Holding GmbH & Co. KG in<br />

Düsseldorf. Er hat als Vorsitzender der<br />

Geschäftsführung maßgeblich die Entwicklung<br />

des mit fast 20.000 Beschäftigten<br />

und mehr als einer halben Milliarde<br />

Euro Umsatz größten Unternehmens<br />

des privaten Sicherheitsgewerbes<br />

in Deutschland geprägt. Zu einem<br />

»Knowledge Leader«, wie es auf der<br />

Website heißt. Ein Ausweis dafür ist das<br />

Angebot einer »Integrierten Sicherheitslösung«<br />

für die Kunden. 2007 hat<br />

das schwedische Unternehmen mit seinen<br />

knapp 300.000 Beschäftigten in<br />

50 Ländern mit der Implementierung<br />

einer neuen Unternehmensstrategie<br />

begonnen, die auf Spezialisierung in<br />

den einzelnen Kundensegmenten setzt.<br />

Manfred Buhl, der an der Frunse-Militärakademie<br />

in Moskau studiert hat, wechselte<br />

zu Beginn der 90er Jahre von der<br />

Führungsakademie der Bundeswehr<br />

in Hamburg nach Potsdam, wo er von<br />

1991 an die Geschäfte der DWS Security<br />

führte, die 1996 in die Securitas<br />

überging. Buhl lebt seit Jahrzehnten in<br />

Strausberg, ist verheiratet und hat<br />

zwei Töchter. Er ist Vizepräsident im<br />

Bundesverband der Sicherheitswirtschaft<br />

(BDSW) und u. a. Mitglied des<br />

Vorstands der Schwedischen Handelskammer<br />

in der Bundesrepublik.<br />

Paket aus Manpower, Technik, Service<br />

und Investment, eine Notruf-Service-<br />

Leitstelle, mobilen Sicherheitsdienste<br />

und Aviation Services. Wir verfügen über<br />

zwei Notrufzentralen, in Berlin und<br />

Mannheim, mit insgesamt 40.000 Aufschaltungen,<br />

privatwirtschaftlich oder<br />

staatlich. Das Interventionszentrum<br />

SECNIC in Potsdam ist eine hochmoderne,<br />

leistungsfähige Einsatzleitstelle, ausgerüstet<br />

mit Hightech. Die mobilen Dienste<br />

sind mit der Zentrale verbunden und<br />

arbeiteten mehr als 100.000 Interventionen<br />

jährlich ab.<br />

W&M: Apropos Aviation Services – was<br />

kommt mit dem neuen Großflughafen Berlin<br />

Brandenburg auf Sie zu?<br />

MANFRED BUHL: Das ist eine riesige Security-Herausforderung,<br />

wie man sie <strong>nur</strong><br />

einmal im Leben bestehen muss – das Zusammenführen<br />

zweier Flughäfen in einer<br />

Nacht auf einen neuen Standort. Der<br />

Aufwand in punkto Sicherheit ist allenfalls<br />

vergleichbar mit dem zur Fußballweltmeisterschaft<br />

2006 in Deutschland.<br />

W&M: Verschärfte Sicherheitsmaßnahmen<br />

sind auf Flughäfen längst Alltag. Ist die Welt<br />

unsicherer geworden?<br />

MANFRED BUHL: Nehmen Sie <strong>nur</strong> die verschiedenen<br />

aktuellen Entwicklungen im<br />

arabisch-afrikanischen Raum. Die wachsende<br />

Ungerechtigkeit in der Verteilung<br />

in der Welt ist Ausgangspunkt dafür,<br />

dass sich das Risiko verschärft. Die Welt<br />

wird zumindest nicht sicherer.<br />

W&M: Ein anderes Beispiel sind sicherlich die<br />

östlichen Bundesländer. Dort verändern sich<br />

mit der demografischen Entwicklung die<br />

Strukturen dramatisch. Hinzukommt, dass<br />

Länder und Kommunen sparen müssen. Zum<br />

Beispiel bei der Polizei. Eine neue Chance garade<br />

für Sie?<br />

MANFRED BUHL: Es muss verstärkt darüber<br />

nachgedacht werden, wer die Akteure<br />

der Sicherheit sind. Das »Programm<br />

Innere Sicherheit« der Innenministerkonferenz<br />

der Länder hat in seiner aktuellen<br />

Fortschreibung von 2009 zum<br />

ersten Mal anerkannt, dass das private<br />

Sicherheitsgewerbe ein Bestandteil der<br />

Sicherheitsarchitektur in Deutschland<br />

ist. Wenn man sich also fragt, wer könnte<br />

denn Partner der Polizei sein, dann<br />

kommt man am privaten Sicherheitsgewerbe<br />

nicht vorbei. Aber es bedarf für<br />

diese zuverlässige Partnerschaft eines<br />

höheren Niveaus in der Branche. Da sind<br />

noch eine Reihe von Hausaufgaben zu erledigen.<br />

W&M: Es geht um Partnerschaft, nicht um<br />

Ersatz?<br />

MANFRED BUHL: Nur darum, wir können<br />

und wollen keine hoheitlichen Aufgaben<br />

erledigen.<br />

W&M: Vielen Dank für das Gespräch. &<br />

12 WIRTSCHAFT & MARKT 12/11


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KOOPERATION MIT WISSENSCHAFT<br />

Toomas der Shopping-Roboter und Scitos<br />

der Senioren-Roboter gehören zu den<br />

computergesteuerten Assistenzsystemen,<br />

an denen das thüringische Unternehmen<br />

MetraLabs aus Ilmenau bereits seit<br />

einigen Jahren forscht. Das allerdings<br />

nicht im Alleingang. »Unser Assistenz-Roboter,<br />

der sich einmal als verlässlicher<br />

Weggefährte im Alter bewähren soll, ist<br />

Gegenstand eines internationalen Entwicklungsprojekts,<br />

an dem insgesamt 18<br />

Forschungspartner aus sieben europäischen<br />

Ländern beteiligt sind«, sagt MetraLabs-Geschäftsführer<br />

Andreas Bley.<br />

Der zweite deutscher Partner in diesem<br />

länderübergreifenden Forschungsverbund<br />

ist dabei Ilmenaus Technische<br />

Universität. »Mit dem von Prof. Horst-<br />

Michael Groß geleiteten Fachbereich<br />

Neuroinformatik und kognitive Robotik<br />

arbeiten wir schon seit unserer Gründung<br />

vor zehn Jahren zusammen«, erzählt<br />

der MetraLabs-Chef. Im Mittelpunkt<br />

der gemeinsamen Arbeit stehe die<br />

eigentliche Intelligenz der Roboter, ohne<br />

die ein selbständiges Agieren der blechernen<br />

Helfer in häuslicher Umgebung,<br />

in Geschäften oder eben in Baumärkten<br />

unmöglich sei. »Der Bereich der Technischen<br />

Universität bringt dafür ihre<br />

neuesten Ergebnisse zur kognitiven Robotik<br />

ein«, sagt Bley. »Wir wiederum<br />

designen, konstruieren und bauen die<br />

Assistenz-Roboter, und nehmen sie dann<br />

letztlich auch in Betrieb.«<br />

Fotos: MetraLabs<br />

Roboterspezialist MetraLabs<br />

Begleiter im Baumarkt<br />

Moderne Servicerobotik soll die Geschäftswelt und auch den Alltag<br />

pflegebedürftiger Menschen revolutionieren. Die Ilmenauer Firma<br />

MetraLabs entwickelt und baut Shopping- und Senioren-Roboter.<br />

Toomas steht am Eingang eines Erfurter<br />

Baumarkts und ist ein ziemlich<br />

flotter Typ. Er blinzelt freundlich,<br />

sagt »Guten Tag, was kann ich für<br />

Sie tun?«. Hören kann der Blechtyp den<br />

Kunden nicht. Aber man kann über<br />

einen berührungsempfindlichen Bildschirm<br />

mit ihm ins »Gespräch« kommen.<br />

Zum Beispiel einfach »Rohrzange« eintippen.<br />

Dann geleitet Toomas den Kunden<br />

durch die schier endlosen Regalfluchten<br />

des Baumarkts – genau dorthin, wo das<br />

gesuchte Werkzeug liegt.<br />

Sein Kollege Scitos G5 kommt als flacher<br />

grauer Kasten lange nicht so fesch<br />

daher. Hilfsbereit aber ist auch er – zum<br />

Beispiel wenn die 80-jährige Ingeburg<br />

Neumann ihre Medikamente braucht,<br />

den Hausschlüssel oder ihre Brille sucht,<br />

einen Termin vergessen hat oder mal<br />

wieder ihr wöchentliches »Gehirnjogging«<br />

betreiben will.<br />

Nach einigen Übungseinheiten im Labor<br />

der Technischen Universität Ilmenau<br />

hat die demenzgefährdete Rentnerin<br />

ihre blecherne Haushalts- und Pflegehilfe<br />

weitgehend in Griff. Sie könnte sich<br />

vorstellen, Scitos bei sich zu Hause aufzunehmen.<br />

Aber soweit ist es mit ihm noch<br />

lange nicht.<br />

STEIGENDER ROBOTER-EINSATZ<br />

Dass MetraLabs mit der Technischen Universität<br />

kooperiert, hat nicht <strong>nur</strong> mit<br />

den kurzen Wegen in dem thüringischen<br />

Städtchen Ilmenau zu tun. Sowohl Bley<br />

als auch die drei übrigen Firmengründer<br />

Christian Martin, Matthias Merten und<br />

Johannes Trabert stammen aus der<br />

Region und kennen sich schon seit der<br />

Schulzeit. Alle vier haben auch an der<br />

Ilmenauer Universität studiert, allerdings<br />

nicht alle das gleiche Fach. »Und<br />

dann hat auch jeder von uns noch ein<br />

Studium oder Praktika irgendwo in der<br />

Welt drangehangen«, sagt der jetzt 33-<br />

jährige Firmenchef. Er selbst hat nach<br />

seinem Ilmenauer Studium Wirtschaftsingenieurwesen<br />

noch an der Friedrich-<br />

Alexander-Universität in Erlangen-Nürnberg<br />

im Fachbereich Volkswirtschaftslehre<br />

promoviert. Alle vier seien aber<br />

nach den individuellen »Lehr- und Wanderjahren«<br />

wieder nach Ilmenau zurückgekehrt.<br />

»Wir sind«, so Bley, »uns und<br />

unserer Stadt treu geblieben.«<br />

Nur folgerichtig findet der junge<br />

Thüringer, dass sie dann 2001 auch zusammen<br />

ihre Firma gegründet haben,<br />

die nun an der Schnittstelle zwischen<br />

künstlicher Intelligenz und Robotik<br />

agiert. Schließlich seien sie schon 1997<br />

mit ihrem intelligenten Steuerungs- und<br />

autonomen Navigationssystem gemein-<br />

14 WIRTSCHAFT & MARKT 12/11


REPORT<br />

sam Sieger im thüringischen Landeswettbewerb<br />

»Jugend forscht« geworden.<br />

»Das System ist dann in die Entwicklung<br />

der mobilen Roboterplattform Scitos<br />

und der autonomen Navigationssoftware<br />

CogniDrive eingeflossen«, erklärt Bley.<br />

»Wenn man so will, war das unsere Plattform<br />

für die Firmengründung.«<br />

Das Thema Serviceroboter, mit dem<br />

sich die Ilmenauer beschäftigen, ist zwar<br />

in aller Munde, aber eher noch Spielwiese<br />

für Forschungsinstitute als stabiler<br />

Wachstumsmarkt für Robotik-Unternehmen.<br />

Die konzentrieren ihre Anstrengungen<br />

bislang vornehmlich auf<br />

den Industriebereich. Nach der Studie<br />

»World-Robotics 2011« der Internationalen<br />

Föderation für Roboter (IFR) wird sich<br />

der Roboterabsatz im jetzt zu Ende gehenden<br />

Jahr gegenüber 2010 um fast ein<br />

Fünftel auf 140.000 Einheiten erhöhen –<br />

ein neuer Spitzenwert. Schon im vergangenen<br />

Jahr hatten sich die Roboterverkäufe<br />

im Vergleich zu 2009 auf gut<br />

118.000 Einheiten nahezu verdoppelt.<br />

Und auch für die nächsten Jahre prognostiziert<br />

die IFR mit durchschnittlich<br />

sechs Prozent einen deutlichen Absatzzuwachs.<br />

Treffen dieses Wachstumsraten<br />

ein, dann werden Ende 2014 weltweit insgesamt<br />

1,3 Millionen Roboter in den Fabriken<br />

eingesetzt sein.<br />

»Ein Zukunftsmarkt sind auch die Serviceroboter<br />

aus dem nichtindustriellen<br />

Bereich allemal«, ist Bley überzeugt, bekennt<br />

aber nüchtern: »Dafür müssen sie<br />

alsbald noch viel mehr können als Toomas<br />

oder Scitos G5.« Zwar hat MetraLabs<br />

für die Entwicklung seines Shopping-Roboters<br />

mit der Baumarktkette »toom« einen<br />

regionalen Partner gefunden und<br />

für Toomas zusammen mit den Wissenschaftlern<br />

der Ilmenauer TU 2010 den<br />

Thüringer Forschungspreis erhalten; der<br />

wirtschaftliche Durchbruch aber war das<br />

für die Ilmenauer Jungunternehmer<br />

noch nicht. Das Interesse unter Betreibern<br />

von Spezialmärkten wie Elektronik-<br />

Läden sei nach den erfolgreichen Langzeittests<br />

groß, sagt Bley. Aber auch trotz<br />

Nachweis seiner Praxistauglichkeit habe<br />

es für Toomas bislang noch nicht zu einer<br />

wirklichen Serienfertigung gereicht.<br />

PFLEGE-ASSISTENT AM ANFANG<br />

Auch der hilfreiche Geist für Senioren<br />

steckt noch in den Kinderschuhen. Derzeit<br />

führen Forscher der Technischen<br />

Universität weitere Labortests mit »leicht<br />

dementen« Probanden durch, die Bley<br />

zufolge viele neue Erkenntnisse zu Verbesserungen<br />

des Pflege-Roboters offerierten.<br />

So sei die 80-jährige Frau Neumann<br />

zwar auf Anhieb mit der Bedienung des<br />

mobilen Automaten zurechtgekommen,<br />

SPEZIALISTEN: MetraLabs-Mitarbeiter<br />

gleichzeitig aber hätte sie Schwierigkeiten<br />

mit der Akustik des Roboters gehabt.<br />

»Sie hat ihn nicht auf Anhieb verstanden«,<br />

sagt Bley. Der Pflege-Assistent brauche<br />

daher unbedingt eine Wiederholungsfunktion<br />

bei der Sprachausgabe. In<br />

den nächsten Monaten soll zudem erkundet<br />

werden, ob der Roboter im Alltag<br />

von der Zielgruppe wirklich angenommen<br />

wird. »Im besten Falle wie ein intelligentes<br />

Haustier«, sagt Bley.<br />

Ihre Hoffnungen auf den Zukunftsmarkt<br />

Service-Roboter machen die Ilmenauer<br />

an den demografischen Daten und<br />

an diversen Pflegestatistiken fest. Danach<br />

werden knapp 70 Prozent der pflegebedürftigen<br />

Menschen in Deutschland<br />

derzeit zu Hause betreut. Das Bundesgesundheitsministerium<br />

schätzt, dass die<br />

Zahl der Pflegebedürftigen bis zum Jahr<br />

2030 auf über 3,5 Millionen ansteigen<br />

wird. »Gleichzeitig nehmen Betreuungspersonal<br />

und Betreuungszeit ab«, weiß<br />

der MetraLabs-Chef und ist sich sicher,<br />

dass sich da für seine Firma über kurz<br />

oder lang ein riesiger Markt auftut.<br />

»Wir können zwar die menschliche<br />

Nähe und Zuwendung nicht ersetzen,<br />

aber zumindest die Lücke bei der intensiven<br />

Pflege schließen helfen«, sagt Bley.<br />

»Immerhin steht unser Roboter den Bedürftigen<br />

rund um die Uhr zur Seite.<br />

Und er ermüdet dabei nicht.«<br />

Neben der technischen Weiterentwicklung<br />

der Assistenz-Roboter sei es aber<br />

auch nötig, die finanzielle Basis für seinen<br />

massenweisen häuslichen Einsatz zu<br />

schaffen, betont Bley. Vorstellbar für ihn<br />

wäre, dass die Krankenkassen den derzeit<br />

etwa 10.000 Euro teuren Roboter genauso<br />

wie Rollstühle als Hilfsmittel für<br />

Senioren anerkennen. »Das rechnet sich<br />

in einer alternden Gesellschaft«, sagt er.<br />

Schließlich könne damit eine viel kostenintensivere<br />

Heimunterbringung zeitlich<br />

nach hinten verschoben werden.<br />

TEAM VON SPEZIALISTEN<br />

Bley läuft durch die weitläufigen Räume<br />

seines Unternehmens, das in einem Industriezentrum<br />

am Rande Ilmenaus seinen<br />

Platz gefunden hat. Neben einer<br />

großen Montagewerkstatt verfügt das<br />

Unternehmen über diverse Räume mit<br />

Computerarbeitsplätzen. Der eigentliche<br />

Schatz aber, so Bley, seien die Mitarbeiter.<br />

Im zehnten Jahr nach Gründung<br />

beschäftigt MetraLabs nun auch zehn<br />

hochmotivierte Roboterspezialisten, die<br />

fest oder teilweise noch frei an das Unternehmen<br />

gebunden sind.<br />

Mit einer halben Million Euro Umsatz<br />

wird MetraLabs voraussichtlich das Jahr<br />

abschließen und dabei zwischen 50 und<br />

60 Roboter montiert und verkauft haben<br />

– vornehmlich an Forschungs- und Hochschuleinrichtungen<br />

in ganz Europa.<br />

Die vier Ilmenauer Firmengründer<br />

können mit diesem noch bescheidenen<br />

Absatz derzeit jedoch gut leben, weil<br />

über gemeinsame Forschungsprojekte<br />

mit wissenschaftlichen Einrichtungen<br />

wie der Ilmenauer TU und durch industrielle<br />

Dienstleistungen weiteres Geld in<br />

die Firmenkasse kommt. Zufrieden aber<br />

ist Bley mit der Stückzahl nicht. Spätestens<br />

in fünf Jahren will er mindestens<br />

fünfmal soviele Service-Roboter verkaufen.<br />

»Das ist zu schaffen«, sagt Bley.<br />

»Dann wird es auch den Senioren-Roboter<br />

ganz sicher zu kaufen geben – aber<br />

gemach, für Vorbestellungen ist es jetzt<br />

noch zu früh.«<br />

Steffen Uhlmann<br />

&<br />

WIRTSCHAFT & MARKT 12/11<br />

15


BERICHT<br />

Fotos: AIDA Cruises, T. Schwandt<br />

AIDA Cruises<br />

Attraktive Jobs auf allen Weltmeeren<br />

Der deutsche Marktführer in der Kreuzschifffahrt gehört zu den 21 attraktivsten Arbeitgebern bundesweit.<br />

Für Personalchefin Haike Witzke ist das positive Firmen-Image wesentlicher Baustein, um den Bedarf<br />

an Fachkräften bei AIDA Cruises zu sichern. Mit dem Ausbau der Clubschiff-Flotte wächst dieser rasant.<br />

Der spontane Schlag mit der rechten<br />

Hand auf die Tischplatte war<br />

von einer Bestimmheit, die keinen<br />

Zweifel lässt. »Wir werden in einigen<br />

Jahren einen weiblichen Chiefengineer<br />

und sicher einen weiblichen Kapitän in<br />

der Flotte haben.« Für den Moment hat<br />

sich Haike Witzkes Lächeln zu einem<br />

Strahlen verstärkt. Es verrät den persönlichen<br />

Ehrgeiz, den die Personalchefin<br />

von AIDA Cruises an das Ziel knüpft, eine<br />

Frau als Leitenden Technischen Ingenieur<br />

in der Clubschiff-Flotte zu etablieren.<br />

Dies sei kein frommer Wunsch.<br />

»Unter unseren Mechatroniker-Azubis<br />

sind einige Mädchen, die mit Bestleistungen<br />

glänzen und ein festes Ziel haben.«<br />

Bei AIDA Cruises, wo Haike Witzke in<br />

der Funktion eines Vice President Human<br />

Resources Management die Personalpolitik<br />

des Rostocker Kreuzfahrtunternehmens<br />

managt, sind schnelle und<br />

ungewöhnliche Karrieren längst selbstverständlich<br />

geworden. An Bord des<br />

neuen, in diesem Jahr in Dienst gestellten<br />

Clubschiffes »AIDAsol« ist beispielsweise<br />

der Leitende Technische Ingenieur,<br />

Christian Rosenthal, 1978 geboren; die<br />

34-jährige Steffi Girbig leitet als 1. Hausdame<br />

den großen Bereich House Keeping<br />

mit 102 philippinischen und indonesischen<br />

Mitarbeitern. Jürgen Malieske (34)<br />

kümmert sich als so genannter Crew Purser<br />

um alle für die Arbeit und das Leben<br />

an Bord relevanten Belange der über 600<br />

Besatzungsmitglieder, und Tommy Freitag,<br />

der Barchef der Vinothek auf Deck 9,<br />

zählt gerade mal 24 Jahre.<br />

LANGE WACHSTUMSPHASE<br />

Das Durchschnittsalter der Mitarbeiter<br />

auf den aktuell acht AIDA-Clubschiffen<br />

liegt bei zirka 34 Jahren. Für Haike Witzke<br />

resultiert die niedrige Quote aus »der<br />

langen Wachstumsphase«, die bei AIDA<br />

Cruises vor gut sechs Jahren eingeläutet<br />

worden ist. Diese eröffne jungen Menschen<br />

anspruchsvolle Aufgaben und<br />

hervorragende Karrierechancen. »Aus<br />

unternehmerischer Sicht ist es zwingend<br />

notwendig, die Entwicklungswege zu<br />

verkürzen«, unterstreicht die Personalstrategin.<br />

Auf 5.600 ist die Zahl der AIDA-<br />

Mitarbeiter inzwischen angewachsen.<br />

Und der enorme Bedarf an gut qualifizierten<br />

Fach- und Führungskräften an<br />

Land und an Bord ebbt in den kommenden<br />

Jahren nicht ab.<br />

Seit 2007 wird die AIDA-Flotte jährlich<br />

um ein neues Schiff erweitert. Das langfristige<br />

Investitionsprogramm ist erst<br />

kürzlich um zwei zusätzliche Schiffsprojekte<br />

erweitert worden. Die Clubschiffe<br />

Nummer elf und zwölf werden in Japan<br />

gebaut und 2015 beziehungsweise 2016<br />

in Fahrt gehen. Weit mehr als zwei Milliarden<br />

Euro steckt die Reederei, die dem<br />

börsennotierten US-Konzern Carnival<br />

Corporation & plc angehört, dem weltweit<br />

größten Kreuzfahrtanbieter, in das<br />

ehrgeizige Neubauprogramm.<br />

Der rasante Ausbau der AIDA-Flotte<br />

auf ein Dutzend Clubschiffe, die sämtlich<br />

den markentypischen roten Kussmund<br />

am Bug tragen, beschert dem Unternehmen<br />

ein extrem beschleunigtes<br />

Wachstum. Mittlerweile kratzt AIDA an<br />

der Umsatzmarke von einer Milliarde<br />

Euro im Jahr.<br />

Auf über 9.000 Mitarbeiter an Land<br />

und auf See beziffert Haike Witzke den<br />

16 WIRTSCHAFT & MARKT 12/11


BERICHT<br />

Personalbedarf, um die angepeilten Unternehmensziele<br />

abzusichern. »Wachstum<br />

ist zum Tagesgeschäft geworden«,<br />

sagt sie. Was für die 52 Mitarbeiter im<br />

Bereich Human Resources Management<br />

bedeutet, permanent in die Zukunft zu<br />

schauen. »Wir kümmern uns um das Personal<br />

von übermorgen, vom Kapitän bis<br />

zur Blumenfrau.« Es sei daher <strong>nur</strong> konsequent<br />

gewesen, nicht unerhebliche Mittel<br />

»in den Faktor Mensch zu investieren«,<br />

umreißt die Personalchefin, die<br />

direkt President Michael Thamm unterstellt<br />

ist, den Lernprozess innerhalb des<br />

Unternehmens. Die Personalpolitik sei<br />

einer »der Schlüsselbereiche für die Zukunft<br />

von AIDA« resümiert die 53-Jährige<br />

selbstbewusst.<br />

EIGENE AUS- UND WEITERBILDUNG<br />

Der gebürtigen Rostockerin sind Leben<br />

und Arbeit an Bord vertraut. Sie erlebte<br />

fünf Jahre Seefahrt als Purserin (Zahlmeisterin)<br />

bei der Deutschen Seereederei<br />

(DSR), dem einstigen Schifffahrtsunternehmen<br />

der DDR, und absolvierte bis<br />

1986 ein Wirtschaftsfernstudium. Später<br />

wechselte sie in die Personalplanung,<br />

koordinierte dort den Offizierseinsatz in<br />

der Containerschifffahrt.<br />

Nach der Privatisierung der DSR war<br />

sie von Anbeginn dabei, als mit dem Neubau<br />

der »AIDA«, der heutigen »AIDAcara«,<br />

der Startschuss für ein neuartiges Clubschiffkonzept<br />

erfolgte. »In der Branche<br />

hat das damals niemand für bare Münze<br />

genommen«, erinnert sie sich an die mutige<br />

wie nicht risikofreie Unternehmensentscheidung.<br />

AIDA ZU HAUSE IN ROSTOCK Haike Witzke managt die Personalentwicklung der Reederei.<br />

An qualifiziertem seemännischen Personal<br />

mangelte es in den 90er Jahren<br />

nicht, im Gegensatz zu heute. »Es waren<br />

gut ausgebildete Nautiker und Techniker<br />

auf dem Markt.« Eingedenk des demografischen<br />

Wandels, der seit geraumer Zeit<br />

die Wirtschaft vor große Herausforderungen<br />

stellt, käme es insbesondere in<br />

der Werbung auf eine zielgruppengerechte<br />

Ansprache an. Natürlich helfe<br />

auch die erneute Auszeichnung zum »Attraktiven<br />

Arbeitgeber« in diesem Jahr,<br />

die Aufmerksamkeit junger und auch erfahrener<br />

Menschen auf AIDA zu lenken.<br />

»Zumal wir ein tolles Produkt anbieten.«<br />

Doch dies werde genau hinterfragt,<br />

weiß Haike Witzke aus der Praxis. Umso<br />

mehr sei es geboten, »alle Tasten auf der<br />

Klaviatur von Personalentwicklung und<br />

Mitarbeiterbindung zu spielen, im Sinne<br />

von Qualität und Nachhaltigkeit«. Neben<br />

einem positiven Arbeitgeber-Image und<br />

professioneller Rekrutierung von Fachkräften<br />

auf dem freien Markt stehe die<br />

eigene Aus- und Weiterbildung ganz<br />

oben auf der Agenda.<br />

Als einen entscheidenden Schritt bezeichnet<br />

es Haike Witzke, 2008 die firmeninterne<br />

Ausbildung zum Mechatroniker<br />

entwickelt und etabliert zu haben.<br />

»Unsere modernen Schiffe sind voll gepackt<br />

mit Hightech, da genügt die klassi-<br />

sche Ausbildung zum Schiffsmechaniker<br />

nicht mehr, und Bewerber von außen<br />

sind kaum noch in der Lage, diese<br />

Schiffssysteme ad hoc zu beherrschen.«<br />

Ein Fünftel des Mechatroniker-Ausbildungsprogramms<br />

ist auf die spezifischen<br />

Erfordernisse bei AIDA zugeschnitten.<br />

JUNGE FÜHRUNGSKRÄFTE<br />

Der 23-jährige Paul Dargel aus der Nähe<br />

von Bernau (Brandenburg) gehört zu den<br />

ersten Azubis, die 2008 bei AIDA eine<br />

dreieinhalbjährige Mechatroniker-Lehre<br />

begonnen haben. Im zweiten Halbjahr<br />

2011 war er mehrere Monate in der praktischen<br />

Ausbildung mit der »AIDAsol« unterwegs.<br />

»Mein Ziel ist es, als Leitender<br />

Technischer Ingenieur zur See zu fahren.«<br />

Der Weg dorthin ist vorgezeichnet.<br />

Nach Lehrabschluss folgt ein Bachelor-<br />

Studium in Schiffsbetriebstechnik an der<br />

firmeneigenen European Cruise Academy<br />

in Rostock. Im September dieses<br />

Jahres haben in der Rostocker Reederei<br />

28 Mechatroniker in spe, 14 künftige<br />

Schiffsbetriebstechniker sowie zehn Nautiker<br />

und zwei Elektro-Techniker eine<br />

Ausbildung oder ein Studium aufgenommen.<br />

Insgesamt gibt es in der Kussmund-<br />

Flotte derzeit 160 Azubis.<br />

Das berufliche Ziel von Paul Dargel<br />

hat Christian Rosenthal bereits erreicht.<br />

WIRTSCHAFT & MARKT 12/11 17


BERICHT<br />

KARRIEREN AN BORD Chiefengineer Christian Rosenthal, 1. Hausdame Steffi Girbig und Azubi Paul Dargel (v. l.)<br />

Der 33-jährige Chief auf der »AIDAsol«<br />

stammt aus dem Sauerland. Früh habe es<br />

ihn zur Seeschifffahrt gezogen, sagt er.<br />

Nach Schiffsmechaniker-Lehre und vierjährigem<br />

Studium an der Schifffahrtsschule<br />

in Flensburg (Schleswig-Holstein)<br />

landete er vor sechseinhalb Jahren bei<br />

AIDA Cruises. Als 3. Ingenieur heuerte er<br />

auf der »AIDAvita« an. »So ein hochkomplexes<br />

System wie ein Kreuzfahrtschiff<br />

ist eine enorme Herausforderung«,<br />

schätzt Rosenthal ein. Durch stetige Weiterbildung<br />

auch an Bord sei er jedoch<br />

zielgerichtet auf seine Leitungsfunktion<br />

vorbereitet worden.<br />

Bei AIDA wird in puncto Qualifizierung<br />

von jungen Führungskräften nichts<br />

dem Zufall überlassen. Neben einem internen<br />

Bildungsportal gibt es spezielle<br />

»Management Development Programme«.<br />

Ein Kerngedanke besteht darin, aus<br />

dem bestehenden Mitarbeiterstamm<br />

frühzeitig geeignete Mitarbeiter zu identifizieren,<br />

die Führungsaufgaben übernehmen<br />

können. »Potenziale erkennen«<br />

nennt das Personalmanagerin Witzke.<br />

Und fügt hinzu: »Jeder Mitarbeiter hat<br />

das Recht, vom Unternehmen einzufordern,<br />

auf dem persönlichen Entwicklungsweg<br />

unterstützt zu werden.« Daher<br />

werde bei entsprechenden Signalen<br />

nachgefasst, werden Karriere- und Perspektivegespräche<br />

geführt und individuelle<br />

Trainee-Programme erstellt. Dies<br />

trage zu einer hohen Motivation und engen<br />

Bindung an AIDA bei.<br />

ZEHN BIS 15 JAHRE SEEFAHRT<br />

Modernes Personalmanagement in der<br />

Seeschifffahrt heißt aber auch, dass sich<br />

das Unternehmen dem Arbeits- und Lebensrhythmus<br />

der Mitarbeiter anpassen<br />

muss. Entsprechend wurden in den<br />

zurückliegenden Jahren flexible Freizeitund<br />

Arbeitszeitmodelle entwickelt. Auch<br />

fahre heutzutage »niemand 30 Jahre und<br />

länger zur See«. Zehn bis 15 Jahre, so<br />

Haike Witzke, sind im nautischen und<br />

technischen Bereich die Regel. AIDA<br />

macht aus diesem Umstand eine Tugend.<br />

Da sich mit dem Ausbau der Flotte auch<br />

die Aufgaben und Bereiche an Land ausweiten,<br />

sollen »vor allem Spitzenleute<br />

aus den technischen Fachrichtungen an<br />

Bord für eine anschließende Tätigkeit an<br />

Land gewonnen werden«. Grundsätzlich<br />

bestehen für hochqualifizierte Nautiker<br />

und Schiffsingenieure beste Chancen,<br />

nach der Fahrenszeit in der Wirtschaft<br />

einen Job zu finden.<br />

Das berufliche Spektrum auf einem<br />

Kreuzfahrtschiff gleicht dem Arbeitsfeld<br />

in einer Kleinstadt – von der Verwaltung<br />

über Gastronomie, Hotellerie und Einzelhandel<br />

bis hin zu technischen Versorgungsaufgaben.<br />

Dabei kommt es in der<br />

inselgleichen Welt eines Schiffes mit<br />

AIDA Cruises<br />

FAKTEN<br />

AIDA Cruises ist Deutschlands führende<br />

Kreuzfahrtreederei mit einem Anteil am<br />

deutschen Kreuzfahrtmarkt (mehr als eine<br />

Million Passagiere) von 37 Prozent. Gut<br />

die Hälfte aller Gäste bucht mittlerweile<br />

eine Kreuzfahrt auf einem der aktuell acht<br />

AIDA-Clubschiffe. Durchschnittlich sind<br />

die Urlauber acht Tage an Bord, die Bandbreite<br />

der Reisedauer erstreckt sich von<br />

drei bis zu 23 Tagen.<br />

Die Reederei startete 1996 in Rostock.<br />

Mit der in Finnland gebauten »AIDA« (heute<br />

»AIDAcara«) brachte sie nicht <strong>nur</strong> ein buntes<br />

Schiff – der Rostocker Künstler Feliks<br />

Büttner kreierte die markante Kussmundund<br />

Augenoptik am Schiffsrumpf – auf den<br />

Markt, sondern ein völlig neues Konzept:<br />

das Clubschiff. Die klassische Kreuzschifffahrt<br />

öffnete sich einem breiten und jüngeren<br />

Publikum, das aktiven und erlebnisintensiven<br />

Urlaub bevorzugt. Heute zählt<br />

AIDA in Deutschland zu den bekanntesten<br />

Marken. Der Altersdurchschnitt der AIDA-<br />

Kunden liegt bei 43 Jahren.<br />

AIDA Cruises ist nach einer Erhebung der<br />

Nord/LB die Nummer eins unter den 100<br />

größten Unternehmen in Mecklenburg-Vorpommern.<br />

Die Reederei beschäftigt derzeit<br />

5.600 Mitarbeiter an Land und auf See.<br />

über 2.000 Passagieren und rund 600 Besatzungsmitgliedern<br />

auf jedes einzelne<br />

Crewmitglied in besonderer Weise an.<br />

»Würden <strong>nur</strong> einige ausfallen, wäre das<br />

sofort zu spüren«, verdeutlicht Clemens<br />

Spangler, Club Direktor auf der »AIDAsol«,<br />

die ganz spezifische Seite des Seefahrtsberufes.<br />

TRAININGSCENTER IM AUSLAND<br />

Um Bewerbern einen möglichst praxisnahen<br />

und lebendigen Einblick in das Arbeitsleben<br />

an Bord eines über 200 Meter<br />

langen Clubschiffes zu geben, nutzen die<br />

Personalentwickler bei AIDA die Liegezeiten<br />

von Clubschiffen in Warnemünde<br />

oder Hamburg, um direkt auf den Schiffen<br />

mit den potenziellen neuen Mitarbeitern<br />

ins Gespräch zu kommen und die<br />

Möglichkeiten einer Zusammenarbeit<br />

auszuloten. »Für die jungen Leute ist diese<br />

Begegnung mit dem Bordalltag immer<br />

mit einem Aha-Effekt verbunden«, sagt<br />

Haike Witzke. Ausgang offen.<br />

Bei den Entscheidungen über den<br />

Neubau weiterer Schiffe ist die AIDA-<br />

Personalmanagerin in der Geschäftsführung<br />

stets gefragt worden, woher sie<br />

gedenkt, die notwendigen Mitarbeiter<br />

für die Clubschiffe zu rekrutieren. Standen<br />

hierbei bisher Deutschland, Österreich<br />

und die Schweiz im Fokus, so<br />

spannt Haike Witzke heute den Bogen<br />

weiter. »Wir sind inzwischen auch in Polen,<br />

Ungarn und der Ukraine unterwegs<br />

sowie in Asien.« In Manila auf den Philippinen<br />

und in Indien existieren bereits<br />

AIDA-eigene Trainingscenter, im indonesischen<br />

Djakarta wird demnächst ein<br />

weiteres in Betrieb genommen.<br />

Am 12. Mai 2012 wird in Hamburg mit<br />

der »AIDAmar« das nächste Clubschiff<br />

mit Kussmund am Bug getauft. Das 252<br />

Meter lange und 32 Meter breite Schiff<br />

befindet sich derzeit noch im Bau auf<br />

der Meyer Werft im emsländischen Papenburg.<br />

Eines steht jedoch schon fest:<br />

Das Gros der Schiffsbesatzung.<br />

Thomas Schwandt<br />

&<br />

18 WIRTSCHAFT & MARKT 12/11


PORTRÄT<br />

Optik-Cluster Berlin-brandenburg<br />

Hightech-Produkt Licht<br />

Prof. Günther Tränkle setzt als Sprecher des neuen Wirtschafts- und<br />

Wissenschafts-Clusters »Optik« darauf, die Kompetenzen von 400<br />

Unternehmen auszubauen und überregionale Verbünde zu stärken.<br />

Berlin ist helle, schon von alters her.<br />

»Die Stadt hatte schließlich die erste<br />

elektrische Straßenbeleuchtung<br />

weltweit«, greift Prof. Günther Tränkle<br />

bis ins Jahr 1879 zurück, um den Ruf Berlins<br />

als »Stadt des Lichts« zu untermauern.<br />

Tränkles neuer Job gilt allerdings<br />

dem Licht der Zukunft. Als Sprecher des<br />

neu gebildeten Wirtschafts- und Wissenschafts-Clusters<br />

»Optik« der beiden Länder<br />

Berlin und Brandenburg soll der Physiker<br />

die Vernetzung innerhalb der<br />

Hightech-Branche organisieren.<br />

Die Optik-Region Berlin-Brandenburg<br />

braucht ihr Licht nicht unter den Scheffel<br />

zu stellen. Treiber für wirtschaftliches<br />

Wachstum sind vor allem die Forschungseinrichtungen<br />

in der Hauptstadt.<br />

Prof. Tränkle ist der Gründungsdirektor<br />

des Ferdinand-Braun-Instituts<br />

für Höchstfrequenztechnik im Technologiepark<br />

Adlershof, das sich seit Mitte der<br />

90er Jahre zu einer der führenden Einrichtungen<br />

für Lasertech und Mikrowellentechnik<br />

entwickelt hat. Zugleich steht<br />

er dem Kompetenznetzwerk OpTecBB<br />

Berlin-Brandenburg vor, das sich seit<br />

2000 zum größten Verbund von Firmen<br />

und Laboren der Optik-Technologien und<br />

Mikrosystemtechnik bundesweit gemausert<br />

hat. Jüngst kam als 100. Mitglied die<br />

Berliner Firma First Sensor hinzu.<br />

Insgesamt sind es nach der jüngsten<br />

Erhebung des Netzwerks rund 400 Unternehmen<br />

mit 13.700 Beschäftigten in der<br />

Hauptstadt-Region, die mit Produkten<br />

der optischen Technologien Geschäfte<br />

machen. Dazu zählen die Sparten photonische<br />

Kommunikationstechnik, Lasertechnik,<br />

Lichttechnik, optische Meßtechnik,<br />

Anwendungen in der Biomedizin sowie<br />

Mikrosystemtechnik und Sensorik.<br />

Hinzu kommen weitere 1.700 Mitarbeiter<br />

in der Forschung. Für 2011 erwarten die<br />

Firmen ein Umsatzplus von bis zu 15 Prozent<br />

und einen Beschäftigtenzuwachs<br />

von etwa sieben Prozent. Auch für die<br />

nahe Zukunft gibt es optimistische<br />

Wachstumsaussichten.<br />

Die Politik freut's. »Wichtig für die<br />

weitere Entwicklung zu einem starken,<br />

länderübergreifenden Optik-Cluster wird<br />

sein«, sagte Berlins bisheriger Wirtschaftsenator<br />

Harald Wolf (Die Linke),<br />

»neben den starken Impulsgeber Wissenschaft<br />

eine nachhaltige industrielle Entwicklung<br />

zu stellen«. Im Schulterschluss<br />

mit Brandenburg konzentriert Berlin<br />

daher seine Innovationspolitik auf fünf<br />

technologische Zukunftsfelder, jedes mit<br />

einer ausgefeilten Cluster-Strategie. Nach<br />

Medizin, Verkehr, IuK-Technik und Energie<br />

hat nun die Optik das Quintett vervollständigt.<br />

»Es macht viel Spaß, die Kompetenzen<br />

in dieser Weise voranzutreiben«, bekennt<br />

Prof. Tränkle. Dabei geht es ihm nicht<br />

<strong>nur</strong> um fachliche Vernetzungen zwischen<br />

einzelnen Technologien (»cross innovation«),<br />

sondern auch um überregionale<br />

Bündnisse. Beispielhaft hierfür ist<br />

eine vertiefte Kooperation mit der Optik-<br />

Region Jena. »Wir wollen die Thüringer<br />

gewinnen, sich stärker an unserer Messe<br />

Laser-Optik-Berlin zu beteiligen«, erläutert<br />

Cluster-Sprecher Tränkle. Die nächste<br />

Messe unter dem Berliner Funkturm<br />

SPRECHER: Prof. Günther Tränkle<br />

wird im März stattfinden. Beide Regionen<br />

könnten sich gut ergänzen. Berlin<br />

mit vielen Kleinunternehmen hat einen<br />

Schwerpunkt auf der Halbleiter-Optik,<br />

Jena brilliert mit seinen Großunternehmen<br />

bei Medizin-Anwendungen.<br />

Für die internationale Ausstrahlung,<br />

wie Prof. Tränkle kürzlich bei einem Besuch<br />

in Japan erfahren hat, kann eine<br />

bessere Wahrnehmung der Optik-Region<br />

Mitteldeutschland im Bund mit Berlin-<br />

Brandenburg <strong>nur</strong> von Vorteil sein.<br />

Manfred Ronzheimer<br />

&<br />

OPTIK-CLUSTER<br />

Innovationslieferant<br />

Fotos: FBH/P. Immerz, FBH/M. Schönenberger<br />

SPITZENFORSCHUNG: Institut für Höchstfrequenztechnik in Adlershof.<br />

Optische Technologien in Unternehmen<br />

und Forschungseinrichtungen der<br />

Bundesländer Berlin und Brandenburg<br />

werden jetzt durch ein Cluster-Management<br />

koordiniert. Die Optik gilt auch<br />

als Innovationslieferant für Bereiche<br />

wie Telekommunikation, Messwesen<br />

und Oberflächenbehandlung. Das<br />

Institut von Cluster-Sprecher Prof.<br />

Günther Tränkle, das Ferdinand-Braun-<br />

Institut für Höchstfrequenztechnik, hat<br />

seinen Sitz im Wissenschafts- und<br />

Wirtschaftsstandort Adlershof, dem<br />

größten Technologiepark Berlins mit<br />

20 wissenschaftlichen Einrichtungen<br />

und 800 Hightech-Firmen.<br />

WIRTSCHAFT & MARKT 12/11 19


INTERVIEW<br />

Harald Eisenach, Vorstandsvorsitzender des Ostdeutschen Bankenverbandes e.V.,<br />

zu wirtschaftlichen entwicklungen in den neuen Bundesländern, zu industriellen<br />

Stärken und Rückgewinn von Vertrauen der Bürger in Politik und Finanzinstitute<br />

»2012 weiter mit Wachstum«<br />

Fotos: Ostdeutscher Bankenverband, DPA/ZB<br />

W&M: Herr Eisenach, Sie verantworten seit<br />

2004 in Berlin das Firmenkundengeschäft der<br />

Deutschen Bank in der Region Nordost. Im<br />

Sommer 2011 haben Sie das Amt des Vorstandsvorsitzenden<br />

im Ostdeutschen Bankenverband<br />

übernommen. Wie beurteilt der Verband<br />

die aktuelle wirtschaftliche Situation in<br />

Ostdeutschland?<br />

EISENACH: Es mag den einen oder anderen<br />

angesichts der täglichen Meldungen<br />

zur EU-Staatsschuldenkrise und dem damit<br />

einhergehenden Auf und Ab an den<br />

internationalen Börsen vielleicht überraschen,<br />

aber aus Sicht unseres Verbandes<br />

verlief die wirtschaftliche Entwicklung<br />

Ostdeutschlands 2010/11 ausgesprochen<br />

gut und auch perspektivisch sind wir<br />

hier keineswegs pessimistisch.<br />

W&M: Auch Ihr Verband weist aber immer<br />

wieder auf Schwächen der Wirtschaftsstruktur<br />

und andere Problemfaktoren hin. Woraus<br />

leiten Sie dennoch Ihre sehr positive Gesamtbewertung<br />

konkret ab?<br />

EISENACH: Bei einer solchen Gesamtbewertung<br />

darf nicht übersehen werden,<br />

dass in den letzten 15 Jahren die Industrie<br />

in ganz Ostdeutschland die wichtigste<br />

Stütze des Wachstums war. Das gilt für<br />

die stärker industrialisierten mitteldeutschen<br />

Länder, also für Sachsen, Sachsen-<br />

Anhalt und Thüringen, ebenso wie für<br />

Brandenburg und Mecklenburg-Vorpommern.<br />

Auch in Berlin hat sich das<br />

Bewusstsein für die Relevanz des verarbeitenden<br />

Gewerbes wieder intensiviert.<br />

In allen ostdeutschen Regionen haben<br />

die Industrieunternehmen in dieser Zeit<br />

deutlich an Statur gewonnen, sind stärker<br />

auf Auslandsmärkten aktiv geworden<br />

und investieren zunehmend in Innovationsprozesse.<br />

W&M: Das lässt sich auch beziffern?<br />

EISENACH: Ja, das hat sich auch in Zahlen<br />

deutlich niedergeschlagen. Von 1996<br />

bis 2007 ist das verarbeitende Gewerbe in<br />

ganz Ostdeutschland in jedem Jahr mindestens<br />

doppelt so stark gewachsen wie<br />

in Westdeutschland. Und nach den Krisenjahren<br />

2008 und 2009 haben wir im<br />

letzten Jahr mit einem Plus von 10,3 Prozent<br />

bereits wieder ein zweistelliges Industriewachstum<br />

erreicht.<br />

W&M: Aber dieser Trend ist doch nicht überall<br />

gleich stark ausgeprägt?<br />

EISENACH: Das langfristige, solide Industriewachstum<br />

ist ein flächendeckender<br />

Trend. Darüber hinaus gibt es selbstverständlich<br />

von Bundesland zu Bundesland<br />

erhebliche Unterschiede – sowohl<br />

beim Anteil der Industrie an der Gesamtwirtschaft<br />

als auch beim Branchenmix.<br />

Der Industrieanteil ist in Thüringen mit<br />

22 Prozent doppelt so hoch wie in Mecklenburg-Vorpommern<br />

oder Berlin. Sachsen-Anhalt<br />

und Sachsen liegen etwas<br />

unter dem Wert von Thüringen, Brandenburg<br />

bei 15 Prozent. Alle Länder haben<br />

aber ihre industriellen Stärken kon-<br />

HARALD EISENACH – der neue Vorstandsvorsitzende<br />

des Ostdeutschen Bankenverbandes<br />

e. V. kommt von der Deutschen<br />

Bank und leitet dort das Firmenkundengeschäft<br />

Nordost.<br />

tinuierlich ausgebaut und verfügen deshalb<br />

über weltweit wettbewerbsfähige<br />

Kompetenzen.<br />

W&M: Zum Beispiel?<br />

EISENACH: Viele sind inzwischen gut auf<br />

den Märkten etabliert, etwa der Automotive-Sektor<br />

in Mitteldeutschland, die Mikroelektronik<br />

in Dresden, die Chemie in<br />

Halle-Merseburg-Bitterfeld oder die<br />

Schienenverkehrstechnik in Berlin-Brandenburg.<br />

Auch in der maritimen Industrie<br />

Mecklenburg-Vorpommerns gibt es<br />

Unternehmen, die ungeachtet der aktu-<br />

ellen Probleme der heimischen Werften<br />

mit ihren qualitativ hochwertigen Spezialprodukten<br />

auf dem Weltmarkt sehr<br />

erfolgreich sind.<br />

W&M: Sie haben jetzt viel über die Industrie<br />

gesprochen. Gerade im Nordosten ist die Wirtschaft<br />

aber doch stark durch andere Branchen<br />

geprägt.<br />

EISENACH: Eindeutig. Wie haben z. B. in<br />

ganz Ostdeutschland eine enge Verbindung<br />

von Agrarwirtschaft und Ernährungsindustrie,<br />

die naturgemäß in den<br />

stärker landwirtschaftlich geprägten<br />

Ländern Mecklenburg-Vorpommern und<br />

Brandenburg sowie im nördlichen Sachsen-Anhalt<br />

besonders ausgeprägt ist. Die<br />

Bedeutung des Tourismus in Mecklenburg-Vorpommern<br />

ist ja hinlänglich<br />

bekannt. Die zunehmende Verzahnung<br />

des Tourismus mit dem Thema Gesundheitswirtschaft<br />

bietet hier weitere Entwicklungspotenziale<br />

– selbstverständlich<br />

auch für andere Bundesländer.<br />

W&M: Und wie sieht es im Dienstleistungssektor<br />

aus?<br />

EISENACH: Wenn wir über diesen Sektor<br />

sprechen, dürfen wir auch die Unternehmensdienstleister<br />

nicht vergessen, die<br />

sich in den ostdeutschen Flächenländern<br />

vor allem durch die Nachfrage aus der<br />

Industrie und in Berlin aufgrund der<br />

Metropolenfunktion einer Bundeshauptstadt<br />

gut entwickelt haben.<br />

W&M: Wie hat sich diese Entwicklung im<br />

Kreditgeschäft Ihrer Mitgliedsbanken niedergeschlagen?<br />

EISENACH: Für unser Kreditgeschäft ergab<br />

sich daraus, wie schon in den letzten<br />

Jahren, keine gleichförmige Entwicklung<br />

in den einzelnen Geschäftssegmenten.<br />

So verzeichneten wir bei den Krediten<br />

an Unternehmen in Ostdeutschland<br />

von Mitte 2010 bis Mitte 2011 ein deutliches<br />

Plus unserer Kreditbestände, und<br />

zwar um rund zwei Milliarden Euro auf<br />

jetzt 26,4 Milliarden Euro Gesamtbestand.<br />

Damit stehen in diesem Geschäftssegment<br />

52 Prozent aller Kredite an Unternehmen<br />

in Ostdeutschland in unseren<br />

Büchern. Wir sind hier die klare<br />

Nummer eins im Markt.<br />

W&M: Liegen sie auch bei den Krediten an<br />

Selbständige vorn?<br />

EISENACH: Bei den Krediten an Selbstän-<br />

20 WIRTSCHAFT & MARKT 12/11


INTERVIEW<br />

dige, also an Einzelhändler, Handwerker,<br />

Freiberufler usw., sind wir mit einem<br />

Marktanteil von 36 Prozent und einem<br />

Kreditbestand von 7,8 Milliarden Euro<br />

ebenfalls stark im Markt vertreten. Die<br />

Kreditbestände in diesem Marktsegment<br />

haben in den vergangenen Jahren aber in<br />

allen Bankengruppen <strong>nur</strong> geringfügig<br />

zugelegt. Hier besteht die seit Jahren festzustellende<br />

Investitionszurückhaltung<br />

der Kunden also weiter fort.<br />

W&M: Seit dem Sommer hat die Angst vor<br />

einer neuen Krise wieder deutlich zugenommen.<br />

Wie beurteilen Sie die Konjunkturperspektiven<br />

für die ostdeutsche Wirtschaft?<br />

EISENACH: Die Geschäftslage unserer<br />

mittelständischen Unternehmenskunden<br />

ist nach wie vor gut und für das Gesamtjahr<br />

2011 ist mit einem klaren Plus<br />

beim Bruttoinlandsprodukt zu rechnen.<br />

In der Tat haben sich die Erwartungen<br />

für 2012 seit einigen Monaten deutlich<br />

eingetrübt. Dazu hat vor allem die<br />

europäische Schuldenkrise beigetragen,<br />

zudem sind hier aber auch die schwache<br />

Wirtschaftsentwicklung in den USA wie<br />

die gestiegenen Energie- und Rohstoffpreise<br />

relevant. Dennoch rechnen wir für<br />

das Jahr 2012 weiter mit Wachstum,<br />

wenn auch weniger ausgeprägt als noch<br />

im Frühjahr erwartet.<br />

W&M: Stichwort Vertrauen der Bürger gegenüber<br />

Politik und Banken – haben Sie da<br />

als Vertreter der privaten Banken nicht ein<br />

mindestens genauso großes Problem wie die<br />

Politik?<br />

EISENACH: Zweifelsohne ist die Stimmung,<br />

wenn das Wort »Banken« fällt, aktuell<br />

zumeist sehr kritisch. Da glaubte<br />

man die globale Finanz- und Wirtschaftskrise<br />

überwunden, an deren Anfang in<br />

der Tat mit der Subprimekrise auch Managementversagen<br />

von Bankern rund<br />

um den Globus stand. Und jetzt wird erneut<br />

über milliardenschwere Maßnahmen<br />

zur Stützung von Banken in Europa<br />

diskutiert. Allerdings ist die Ursache<br />

diesmal eine andere: Nicht Verluste aus<br />

spekulativen Finanzinstrumenten mit<br />

kaum zu durchschauenden Risikostrukturen,<br />

sondern der mögliche Ausfall als<br />

sicher geglaubter Staatsanleihen von EU-<br />

Mitgliedsländern.<br />

W&M: Worauf kommt es jetzt an?<br />

EISENACH: Der Vertrauensverlust in der<br />

Bevölkerung ist insgesamt groß und<br />

wird von uns sehr ernst genommen. Jetzt<br />

kommt es darauf an, dass alle, die in Politik<br />

und Finanzwelt Verantwortung tragen,<br />

gemeinsam konstruktiv an der raschen<br />

Bewältigung der Krise arbeiten,<br />

damit das unverzichtbare Vertrauen wiedergewonnen<br />

wird.<br />

Weitere Infos: www.ostbv.de<br />

&<br />

OSTSEE-GASPIPELINE<br />

Landgang in Lubmin<br />

Russisches Erdgas strömt seit Anfang November durch die neue<br />

Pipeline Nord Stream in der Ostsee direkt nach Deutschland.<br />

Der kleine Ostsee-Badeort Lubmin bei<br />

Greifswald hat seit Anfang November<br />

dieses Jahres direkten Anschluss an die<br />

sibirischen Weiten Russlands. Mit einem<br />

symbolischen Dreh an einem übergroßen<br />

Ventilrad nahmen Bundeskanzlerin<br />

Angela Merkel, der russische Präsident<br />

Dmitri Medwedew und weitere<br />

hochrangige Vertreter aus nationaler<br />

und internationaler Politik und Wirtschaft<br />

am 8. November die neue Ostsee-<br />

Gaspipeline Nord Stream in Betrieb.<br />

Seitdem strömt russisches Erdgas durch<br />

den ersten fertiggestellten 1.224 Kilometer<br />

langen Rohrstrang, der Lubmin<br />

mit Vyborg an der russischen Ostseeküste<br />

verbindet. Ein ebenso langer Parallelstrang<br />

ist noch im Bau und soll Ende<br />

2012 für den Transport von Erdgas quer<br />

durch die Ostsee freigegeben werden.<br />

Damit gelangt der in Westeuropa stark<br />

nachgefragte Energierohstoff ohne Umwege<br />

durch dritte Transitländer direkt<br />

von den Förderfeldern im arktischen<br />

Norden Russlands bis nach Deutschland.<br />

Nord Stream ergänzt die seit Jahrzehnten<br />

existierenden zwei Trassen, die auf<br />

osteuropäischem Festland verlaufen.<br />

Bei voller Auslastung der beiden Rohrstränge<br />

der Ostsee-Pipeline werden künftig<br />

jährlich 55 Milliarden Kubikmeter<br />

Erdgas in Lubmin angelandet. Von der<br />

Anlandestation (Foto) wird das Gas weitergeleitet<br />

durch die ebenfalls neu<br />

errichteten landseitigen Pipelines Opal<br />

und NEL (noch im Bau). Die Opal-Leitung<br />

führt über 470 Kilometer in Richtung<br />

Tschechische Republik und stellt die Verbindung<br />

zum Europäischen Gasnetz her.<br />

Die 440 Kilometer lange NEL verlängert<br />

den Transportweg des russischen Erdgases<br />

von Lubmin nach Westeuropa.<br />

Die Ostsee-Pipeline wird von dem Konsortium<br />

Nord Stream finanziert und<br />

gebaut. Der russische Energieriese Gazprom<br />

hält 51 Prozent der Anteile, desweiteren<br />

sind unter anderem das BASF-<br />

Tochterunternehmen Wintershall und<br />

die E.ON Ruhrgas AG, mit je 15,5 Prozent<br />

beteiligt. In die von Merkel als »das<br />

größte Energieinfrastrukturprojekt<br />

unserer Zeit« bezeichnete Pipeline<br />

werden 7,4 Milliarden Euro investiert.<br />

Es gilt als langfristige Lösung für die<br />

Versorgungssicherheit Europas.<br />

Der Ministerpräsident von Mecklenburg-<br />

Vorpommern, Erwin Sellering (SPD), betonte<br />

beim Start von Nord Stream, welche<br />

Aufwertung der Energiestandort<br />

Lubmin – hier lieferte bis zur Wende ein<br />

Kernkraftwerk russischer Bauart Strom<br />

für die DDR – mit der Erdgas-Anlandung<br />

erfährt. Dies sei »für die wirtschaftliche<br />

Entwicklung des Landes ein wichtiger<br />

Schritt«, so Sellering.<br />

Thomas Schwandt<br />

WIRTSCHAFT & MARKT 12/11 21


SPECIAL<br />

und Gebäude, Baumaßnahmen, Maschinen,<br />

Anlagen oder in immaterielle Wirtschaftsgüter<br />

finanzieren. Als förderfähig<br />

gilt auch der Erwerb einer tätigen Beteiligung,<br />

beispielsweise im Rahmen einer<br />

Unternehmensnachfolge.<br />

Die Mindestdarlehenssumme beträgt<br />

beim Förderprogramm »Sachsen-Anhalt<br />

IMPULS« 25.000 Euro. Maximal können<br />

aus dem Programm Förderdarlehen bis<br />

zu einer Höhe von 1,5 Millionen Euro<br />

ausgereicht werden. Bei einer Laufzeit<br />

von maximal 15 Jahren sind die ersten<br />

beiden Jahre tilgungsfrei.<br />

Foto: Torsten George<br />

Investitionsbank Sachsen-Anhalt<br />

Förderer und Partner<br />

des Mittelstands<br />

Die Investitionsbank Sachsen-Anhalt ist die zentrale Förderbank<br />

des Landes. Mit einer breiten Palette an Förderprodukten von<br />

Zuschüssen, Bürgschaften und Darlehen unterstützt sie vor allem<br />

die mittelständische Wirtschaft und Existenzgründer aber<br />

auch private und öffentliche Kunden.<br />

Schon frühzeitig hat das Land Sachsen-Anhalt<br />

sich entschieden, seine<br />

Förderpraxis schrittweise von Zuschussprogrammen<br />

hin zu revolvierenden<br />

Fonds wie den KMU-Darlehensfonds<br />

weiterzuentwickeln. Diese Finanzierungsform<br />

ermöglicht es dem Land, aus<br />

Rückflüssen von Darlehen neues Fondsvermögen<br />

aufzubauen. Auf diese Weise<br />

soll über das Jahr 2013 hinaus eine langfristige<br />

Förderpolitik ermöglicht werden.<br />

Denn das Jahr 2013 gilt als Wegscheide.<br />

Dann endet die aktuelle Strukturfonds-<br />

Förderperiode der Europäischen Union.<br />

Sicher ist, dass in der dann folgenden<br />

Förderperiode deutlich weniger Mittel<br />

aus EU-Töpfen bereitstehen werden.<br />

Der KMU-Darlehensfonds des Landes<br />

Sachsen-Anhalt wird aus Mitteln des Europäischen<br />

Fonds für regionale Entwicklung<br />

(EFRE) gespeist und über die Investitonsbank<br />

(IB) Sachsen-Anhalt kofinanziert.<br />

Der KMU-Darlehensfonds hat sich<br />

als Förderinstrument für den Mittelstand<br />

zwischen Altmark und Burgenlandkreis<br />

bewährt. Vom Jahr 2008 bis<br />

einschließlich 30. September 2011 wurden<br />

aus dem KMU-Darlehensfonds 775<br />

Kreditzusagen an die mittelständische<br />

Wirtschaft erteilt. Insgesamt betrug das<br />

Darlehensvolumen 242,6 Millionen Euro.<br />

Besonders im Krisenjahr 2009 erwiesen<br />

sich die Finanzierungsprodukte der<br />

Investitionsbank Sachsen-Anhalt als ein<br />

Stabilitätsanker. Damit wurden Gesamtinvestitionen<br />

in Höhe von 796,4 Millionen<br />

Euro ausgelöst.<br />

Kleine und mittlere Unternehmen<br />

(KMU), Existenzgründer sowie Freiberufler<br />

können folgende Finanzierungsbausteine<br />

des KMU-Darlehensfonds beantragen:<br />

SACHSEN-ANHALT IMPULS<br />

Mit einem Kredit aus dem Förderprogramm<br />

»Sachsen-Anhalt IMPULS« können<br />

KMU, Existenzgründer und Freiberufler<br />

etwa Investitionen in Grundstücke<br />

SACHSEN-ANHALT MUT<br />

Das Programm »Sachsen-Anhalt MUT«<br />

soll der mittelständischen Wirtschaft die<br />

Vorfinanzierung von Aufträgen sichern.<br />

Gerade kleinere Betriebe sind oft nicht<br />

in der Lage, bei Großaufträgen entsprechend<br />

in Vorleistung zu gehen. »Sachsen-<br />

Anhalt MUT« ermöglicht KMU, Freiberuflern<br />

und Existenzgründern mit einem<br />

zinsverbilligten Darlehen, typische<br />

Ausgaben zur Vorfinanzierung von Aufträgen<br />

wie Personalkosten oder die Materialbeschaffung<br />

zu tätigen.<br />

Für diese Finanzierungsanlässe steht<br />

den Unternehmen maximal ein Darlehensvolumen<br />

von 500.000 Euro bei einer<br />

Laufzeit des Kredits von bis zu zehn Jahren<br />

bereit. Die Mindestdarlehenssumme<br />

beträgt 25.000 Euro.<br />

SACHSEN-ANHALT WACHSTUM<br />

Das Programm »Sachsen-Anhalt WACHS-<br />

TUM« ist ein Ansatz, die geringe Eigenkapitalquote<br />

vor allem kleinerer Mittelständler<br />

aufzubessern und damit ihre<br />

Chancen auf dem Fremdkapitalmarkt zu<br />

verbesssern. Rund ein Drittel der Betriebe<br />

im Land gelten mit einer Quote von<br />

weniger als zehn Prozent Eigenkapital<br />

immer noch als unterkapitalisiert. Zur<br />

Stärkung der Eigenkapitalbasis vergibt<br />

IB<br />

SACHSEN-ANHALT<br />

Kontakt für Beratung<br />

Kostenfreie Hotline: 0800 56 007 57<br />

Mo.-Do.: 8.00–18.00 Uhr<br />

Freitag: 8.00–15.00 Uhr<br />

Förderberatungszentrum Magdeburg<br />

Domplatz 12<br />

Montag, Dienstag, Donnerstag:<br />

8.00–18.00 Uhr<br />

Mittwoch, Freitag: 8.00–15.00 Uhr<br />

Regionalbüro Halle, Marktplatz 1<br />

Montag: 9.30–17.00 Uhr<br />

E-Mail: info@ib-lsa.de<br />

Internet: www.ib-sachsen-anhalt.de<br />

22 WIRTSCHAFT & MARKT 12/11


UNSER PROGRAMM FÜR DIE ZUKUNFT: ERP-INNOVATIONSPROGRAMM<br />

Sie suchen Unterstützung<br />

bei der Realisierung Ihrer Idee?<br />

Nutzen Sie unser Förderangebot für etablierte Unternehmen und Freiberufler. Die KfW unterstützt<br />

die Forschung und Entwicklung innovativer Produkte, Verfahren oder Dienstleistungen<br />

sowie deren Markteinführung mit günstigen Finanzierungspaketen. Mehr Informationen<br />

erhalten Sie bei Ihrer Hausbank, unter www.kfw.de oder direkt über das Infocenter der KfW.<br />

Tel. 0800 5399001 *<br />

*<br />

Kostenfreie Rufnummer<br />

Die Zukunftsförderer


SPECIAL<br />

die Investitionsbank Sachsen-Anhalt deshalb<br />

Mezzanine-Darlehen. Bei ihnen<br />

steht die Investitionsbank als Darlehensgeber<br />

im Haftungsfall hinter anderen<br />

Gläubigern im Rang zurück. Deshalb<br />

kommt solchen Mezzanine-Darlehen in<br />

der Bilanz der Unternehmen ein eigenkapitalähnlicher<br />

Status zu.<br />

Mit einem Mezzanine-Darlehen erhält<br />

das Unternehmen eine Mischform aus Eigenkapital-<br />

und Fremdkapital, ohne dass<br />

der Darlehensgeber – die Investitionsbank<br />

– Mitspracherechte im Unternehmen<br />

erhält. In diesem Programm stehen<br />

ebenfalls zwischen 25.000 und 1,5 Millionen<br />

Euro als Darlehenssumme zur Verfügung.<br />

Bei einer Laufzeit von bis zu 15 Jahren<br />

und mit fünf tilgungsfreien Anlaufjahren<br />

ist zudem eine langfristige Planungssicherheit<br />

gegeben.<br />

SACHSEN-ANHALT IDEE<br />

Weil der Mittelstand in Sachsen-Anhalt<br />

eher kleinteilig strukturiert ist, fehlen<br />

vielen Unternehmen die Mittel, um die<br />

finanziellen Risiken von Innovationsprozessen<br />

tragen zu können. Deshalb fördert<br />

die Investitionsbank gezielt das<br />

Innovationspotenzial kleinerer Unternehmen.<br />

Eine Aufgabe, die wie die Vernetzung<br />

von Wissenschaft und Wirtschaft<br />

künftig noch stärker im Fokus der<br />

Wirtschaftspolitik stehen wird.<br />

»Sachsen-Anhalt IDEE« richtet sich an<br />

bestehende Unternehmen und Freiberufler<br />

der gewerblichen Wirtschaft, die<br />

in der Forschung tätig sind. Als Nachrangdarlehen<br />

zeichnet sich das zinsgünstige<br />

IB-Innovationsdarlehen durch seinen<br />

eigenkapitalähnlichen Charakter<br />

aus. Finanzieren lassen sich damit Ausgaben<br />

für die Markteinführung eines<br />

Produkts, eines Verfahrens oder einer<br />

Dienstleistung. Zu den förderfähigen<br />

Ausgaben zählen zum Beispiel Investitionen,<br />

die sich aus dem Forschungs- und<br />

Entwicklungsprozess ergeben sowie Ausgaben<br />

für die Markterschließung.<br />

Vorteilhaft für die Unternehmen: Die<br />

Finanzierungsbausteine sind bedarfsorientiert<br />

konzipiert und können auch<br />

in Kombination in Anspruch genommen<br />

werden.<br />

Matthias Salm<br />

Ein gewaltiger Modernisierungsschub:<br />

474,9 Millionen Euro flossen zwischen<br />

2009 und dem Jahresende 2011 im Rahmen<br />

des Konjunkturprogramms II in Investitionen<br />

in die Infrastruktur Sachsen-<br />

Anhalts. Das Gros der Mittel, von denen<br />

auf den Bund 356,1 Millionen Euro, auf<br />

das Land 77,9 Millionen und auf die Kommunen<br />

40,8 Millionen Euro entfielen, kam<br />

dabei den Bildungseinrichtungen im Land<br />

zugute. So konnten die Lern-, Unterrichtsund<br />

Betreuungsbedingungen vielerorts<br />

nachhaltig verbessert werden.<br />

Beispiel Bildungshaus Carl Ritter: Mitte<br />

Mai konnten nach fast zweijähriger Sanierungszeit<br />

die Kreisvolkshochschule, die<br />

Kreismusikschule und die Kreisbibliothek<br />

des Harz-Landkreises in Quedlinburg ihr<br />

neues Domizil beziehen. Nach Jahren provisorischer<br />

Unterbringung haben die drei Bildungseinrichtungen<br />

in dem imposanten<br />

neugotischen Gebäude, 1862 als »Königliches<br />

Gymnasium« eingeweiht, wieder eine<br />

angemessene Heimat gefunden. Dazu waren<br />

die Treppenhäuser in dem historischen<br />

Gebäude komplett umgebaut und die beiden<br />

oberen Etagen grundlegend saniert<br />

worden. Neue Fenster und Innentüren,<br />

Elektroinstallationen, Heizflächen und Sanitäreinrichtungen<br />

komplettierten die<br />

Modernisierungsmaßnahmen. Was zuvor<br />

lange Zeit an der schwierigen Finanzlage<br />

des Landkreises Harz gescheitert war, ermöglichten<br />

die Mittel des Konjunkturpakets<br />

II und des Förderprogramms STARK I.<br />

Die Modernisierung des Bildungshauses<br />

Carl Ritter ist <strong>nur</strong> eine der Erfolgsgeschichten<br />

des Konjunkturpakets. Die Investitionsbank<br />

Sachsen-Anhalt hatte dabei für nahezu<br />

die Hälfte der insgesamt im Land vorge-<br />

BILANZ<br />

Investitionen in die Infrastruktur<br />

Das im Zusammenhang mit der Finanzkrise aufgelegte Konjunkturpaket II wurde in Sachsen-Anhalt erfolgreich umgesetzt.<br />

MASSNAHMEN<br />

Bewilligte Projekte der IB Sachsen-Anhalt<br />

im Rahmen des Konjunkturpakets II<br />

Schulinfrastrukturpauschale<br />

470 Bescheide<br />

Volumen: 89,7 Millionen Euro<br />

Pauschale kommunale Einrichtungen<br />

der Weiterbildung<br />

20 Bescheide<br />

Volumen:<br />

6,5 Millionen Euro<br />

Kommunale Investitionspauschale<br />

1.228 Bestätigungen<br />

Volumen: 43,7 Millionen Euro<br />

Frühkindliche Infrastruktur (Kita)<br />

60 Bescheide<br />

Volumen: 29,3 Millionen Euro<br />

IT-Pauschale<br />

43 Bestätigungen<br />

Volumen:<br />

7,0 Millionen Euro<br />

sehenen rund 475 Millionen Euro (inklusive<br />

des Finanzierungsanteils von Land und<br />

Kommunen von je 12,5 Prozent) den Auftrag<br />

erhalten, Antragsverfahren,<br />

Anmeldungen, Bescheid-Erteilung und Mittelabfluss<br />

zeitnah zu organisieren und<br />

abzuwickeln. Die Mittel sind mittlerweile<br />

wie vorgesehen abgeflossen, die Sanierungsprojekte<br />

sollen bis Ende des Jahres<br />

abgeschlossen sein. Profitiert haben davon<br />

nicht <strong>nur</strong> zahlreiche Einrichtungen, sondern<br />

vor allem auch viele Handwerksbetriebe in<br />

den Regionen des Landes – quer über alle<br />

Gewerke vom Heizungs- und Sanitärwesen<br />

über Dachdecker, Zimmerer und Fensterbauer<br />

bis hin zu Maurern und Malern. Die<br />

Möglichkeit der freihändigen Vergabe von<br />

Auftragsvolumina bis 100.000 Euro bewirkte<br />

zusätzlich eine Konzentration der Auftragsvergabe<br />

an lokale Firmen. Dank dieser<br />

konjunkturellen Impulse konnten die Folgen<br />

der Finanzkrise für die KMU im Land abgefedert<br />

werden.<br />

Auch die Kommunen und sonstigen Träger<br />

der Bildungseinrichtungen werden langfristig<br />

wirtschaftlich profitieren. Die Fokussierung<br />

auf energetische Sanierungsmaßnahmen<br />

führt zu deutlichen Einspareffekten<br />

beim Energieverbrauch. Vielerorts<br />

wurde historische Bausubstanz durch Maßnahmen<br />

zur Wärmedämmung, den Einbau<br />

neuer Heizungsanlagen sowie durch den<br />

Einsatz von erneuerbaren Energien den<br />

heutigen Anforderungen an den Klima- und<br />

Umweltschutz angepasst.<br />

Um insbesondere finanzschwachen Kommunen,<br />

Landkreisen und kreisfreien<br />

Städten die Inanspruchnahme der Mittel<br />

aus dem Konjunkturprogramm II zu ermöglichen,<br />

startete die Investitionsbank<br />

Sachsen-Anhalt parallel zum Start von<br />

K-II das Darlehensprogramm STARK I.<br />

STARK I diente zur Finanzierung des kommunalen<br />

Eigenanteils von 12,5 Prozent,<br />

der zur Nutzung der K-II-Fördermittel von<br />

den Kommunen und Landkreisen aufzubringen<br />

war. Mit STARK I haben das Land und<br />

die Investitionsbank Sachsen-Anhalt eine<br />

innovative und effiziente Lösung für das<br />

Problem der Kofinanzierung gefunden.<br />

Mit Stand 30. September 2011 wurden<br />

350 Darlehensanträge von Kommunen<br />

über ein Fördervolumen von 25,5 Millionen<br />

Euro im Rahmen von STARK I bewilligt.<br />

Sachsen-Anhalt hat nun als bisher einziges<br />

Land eine Evaluierung in Auftrag gegeben,<br />

die den Nutzen des Konjunktur-pakets II<br />

im Detail belegen soll. Die Untersuchungsergebnisse<br />

werden zurzeit ausgewertet.<br />

24 WIRTSCHAFT & MARKT 12/11


30.-31. März<br />

POTSDAM<br />

Filmpark Babelsberg, Großbeerenstraße<br />

Veranstalter:<br />

EINTRITT<br />

FREI!<br />

MÄRKISCHE<br />

BILDUNGS-<br />

MESSE 2012<br />

Seminare « Vorträge « Aktionsinseln «<br />

AUSSTELLUNGSTHEMEN:<br />

Schule, Ausbildung, «<br />

Studium & Job<br />

Beratung, Weiterbildung & «<br />

Qualifizierung<br />

Existenzgründung, «<br />

Franchising & Karriere<br />

KONTAKT:<br />

MPG Messe Potsdam GmbH<br />

Tel.: 0331 20166-79<br />

info@messe-potsdam.de<br />

JETZT ANMELDEN!<br />

Frühbucherpreise bis zum<br />

16.12.11<br />

www.märkische-bildungsmesse.de<br />

Ostdeutsche Förderbanken<br />

Frisches Geld für Ideen<br />

Die Förderung öffentlicher und privater Investitionsvorhaben<br />

in den Bereichen Wirtschaft, Infrastruktur und Wohnungsbau ist<br />

das Kerngeschäft der ostdeutschen Förderbanken. Für kleine und<br />

mittlere Betriebe eine Chance, über Zuschüsse, zinsgünstige Kredite<br />

und Beteiligungen an Kapital für Investitionen zu gelangen.<br />

V<br />

on den Angeboten der Förderbanken<br />

profitieren beispielsweise<br />

kleine Unternehmen mit hohem<br />

Innovationspotenzial, denn Innovationsförderprogramme<br />

sind ein wichtiger<br />

Bestandteil in deren Produktpalette.<br />

Die Investitionsbank Berlin (IBB) beispielsweise<br />

hat im August dieses Jahres<br />

das neue Förderprogramm »Berlin Kredit<br />

Innovativ« gestartet. Das Förderdarlehen<br />

richtet sich speziell an kleine und mittlere<br />

Unternehmen (KMU), die in den Berliner<br />

Clustern und Zukunftsfeldern aktiv<br />

sind. Im Einzelnen sind dies die Bereiche<br />

– Gesundheitswirtschaft<br />

– Energietechnik<br />

– Informations- und Kommunikationstechnologie/Medien<br />

– Verkehr, Mobilität, Logistik<br />

– Optik.<br />

Es können Darlehen für Investitionen<br />

und Betriebsmittel bis 500.000 Euro im<br />

Hausbankenverfahren vergeben werden.<br />

Eine Haftungsfreistellung der Hausbank<br />

in Höhe von 60 Prozent durch die IBB ist<br />

ein zusätzlicher Anreiz für die Hausbank,<br />

den Kredit zu vergeben.<br />

Für technologieorientierte Unternehmen<br />

in der Hauptstadt ist dies aber nicht<br />

die einzige Fördermöglichkeit. Zu einer<br />

stärkeren Verzahnung von Wissenschaft<br />

und Wirtschaft dient das Programm »Pro<br />

FIT«. Hier werden Einzel- und Verbundvorhaben<br />

von gewerblichen Unternehmen<br />

und Kooperationen von Forschungseinrichtungen<br />

mit Unternehmen unterstützt.<br />

So gibt es beispielsweise im<br />

Rahmen von »Pro FIT« Darlehen für Entwicklungs-<br />

und Markteinführungsprojekte<br />

von KMU in Höhe von bis zu drei<br />

Millionen Euro bei einem Finanzierungsanteil<br />

von bis zu 80 Prozent der jeweiligen<br />

Projektausgaben.<br />

Die Investitionsbank Brandenburg<br />

(ILB) stärkt die Innovationsfähigkeit kleiner<br />

und mittlerer Unternehmen und die<br />

Einführung neuer Technologien im Rahmen<br />

ihres »Innovationsfonds«. Dafür<br />

stellt sie zinsgünstige Darlehen für bis zu<br />

40 Prozent der förderfähigen Kosten zur<br />

Verfügung. Maximal können die Darlehen<br />

255.000 Euro bei einer Laufzeit von<br />

zehn Jahren und zwei tilgungs- und zinsfreien<br />

Anlaufjahren betragen. In Einzelfällen<br />

werden auch Beteiligungen eingegangen.<br />

Finanzieren lassen sich so Materialkosten,<br />

Fremdleistungen, Personalund<br />

Reisekosten sowie Investitionskosten<br />

für Maschinen bei der Entwicklung neuer<br />

technischer Produkte, Verfahren und<br />

produktionsnaher Dienstleistungen.<br />

Die Sächsische Aufbaubank hat im<br />

September 2011 ein Programm zu Förderung<br />

innovativer Ansätze in der Gesundheitswirtschaft<br />

aufgelegt. Finanziert<br />

werden unter anderem die telematische<br />

Vernetzung und die Einführung technischer<br />

Assistenzsysteme in Krankenhäusern<br />

und Altenpflege sowie Maßnahmen<br />

zur Energieeffizienz in der Gesundheitswirtschaft.<br />

Mit einem weiteren Förderprogramm<br />

für innovative Firmen, der »Innovationsprämie«,<br />

führt die Förderbank des Freistaats<br />

kleine und mittlere Unternehmen<br />

an eine Kooperation mit Forschungseinrichtungen<br />

heran. Zum Förderumfang<br />

zählt die Inanspruchnahme externer<br />

FuE-Dienstleistungen für die Planung<br />

und Entwicklung neuer Produkte, Verfahren<br />

oder Dienstleistungen, etwa in<br />

Form von Machbarkeits- und Werkstoffstudien<br />

oder Leistungen zur technischen<br />

Unterstützung wie Konstruktionsleistungen,<br />

Produkttests zur Qualitätssicherung<br />

oder Laborleistungen.<br />

INFOS IM INTERNET:<br />

Investitionsbank des Landes<br />

Brandenburg (ILB):<br />

www.ilb.de<br />

Investitionsbank Berlin (IBB):<br />

www.ibb.de<br />

Landesförderinstitut M-V:<br />

www.lfi-mv.de<br />

Investitionsbank Sachsen-Anhalt:<br />

www.ib-sachsen-anhalt.de<br />

Sächsische Aufbaubank:<br />

www.sab.sachsen.de<br />

Thüringer Aufbaubank:<br />

www.aufbaubank.de<br />

26 WIRTSCHAFT & MARKT 12/11


10 JAHRE FÖRDERPROGRAMM „INNOVATIVE REGIONALE WACHSTUMSKERNE“<br />

Durch Wachstum zum Erfolg<br />

Seit 2001 entstehen überall in den Neuen Ländern „Innovative regionale<br />

Wachstumskerne“. Die regionalen unternehmerischen Bündnisse gehen<br />

neue Wege und haben erstaunliche Erfolge. Das hat auch mit Kaffeerösten<br />

und Heimtextilien aus „Plauener Spitze“ zu tun.<br />

Zum zehnten Geburtstag ist der Blick zurück erlaubt, ausnahmsweise. Es ist eine ungewöhnliche<br />

Perspektive auf ein Förderprogramm, das für die Zukunft der ostdeutschen<br />

Regionen steht wie kein zweites. Innovative regionale Wachstumskerne sind<br />

Zukunfts modelle, weil sie auf Kooperation, unternehmerisches Denken und spezifische<br />

regionale Stärken setzen.<br />

DEUTSCHE SPITZE<br />

Schon über 150 Jahre lang werden im Vogtland Heimtextilien maschinell bestickt, die<br />

Marke „Plauener Spitze“ ist weltbekannt. Seit 2007 nutzen Unternehmen, Forschungsund<br />

Bildungseinrichtungen der Region ihre technologische Kompetenz gemeinsam.<br />

Im Wachstumskern „highSTICK“ entwickeln sie Stickereitechnologie für Zukunftsmärkte<br />

– von der gestickten Fußboden heizung über Sticksensoren für medizinische<br />

Bandagen bis hin zu Verstärkungsstrukturen für Hohlgussbauteile.<br />

INTERNATIONALER WIRBEL<br />

Der Magdeburger Wachstumskern „WIGRATEC“ konzentriert sich indes auf das Wirbelschicht-Verfahren.<br />

Die bereits 1975 in Magdeburg für Kaffeeröstereien entwickelte<br />

Technologie verwandelt flüssige Ausgangsstoffe in feste Granulate. Mit vielfäl tigen<br />

Einsatzmöglichkeiten in der Landwirtschaft, Ernährungswirtschaft oder Pharmazie<br />

sorgt WIGRATEC heute inter national für Wirbel.<br />

BEWERBEN SIE SICH JETZT!<br />

Das Förderprogramm „Innovative<br />

regionale Wachstumkerne“ ist<br />

themenoffen, eine Bewerbung<br />

jederzeit möglich.<br />

Informieren Sie sich unter<br />

www.unternehmen-region.de<br />

oder nehmen Sie Kontakt auf mit:<br />

Projektträger Jülich – PTJ<br />

„Fördermanagement<br />

Unternehmen Region“<br />

Zimmerstr. 26–27, 10969 Berlin<br />

Tel. (0 30) 2 01 99-4 82<br />

E-Mail: wachstumskerne@<br />

unternehmen-region.de<br />

ZWEI AUS 41<br />

WIGRATEC und highSTICK sind <strong>nur</strong> zwei Beispiele<br />

für erfolg reiche Wachstumskerne, zwei<br />

von bisher 41 Allianzen regionaler Unternehmer<br />

und Wissenschaftler aus den verschiedensten<br />

Fachgebieten. Sie alle gehen neue Wege,<br />

haben für ihr Bündnis eine Vision, eine Strategie,<br />

Kunden und Wettbewerber von Anfang an im<br />

Blick, bringen ihre Region voran. Und sie alle<br />

haben sich für ein außergewöhnliches Förderprogramm<br />

entschieden.<br />

EIN FÜNFTEL MEHR UMSATZ UND ARBEITSPLÄTZE<br />

Das Programm Innovative regionale Wachstumskerne<br />

aus der Familie „Unternehmen Region“ stellt hohe Ansprüche<br />

an die Bewerber – und an sich selbst. Deshalb beinhaltet die Förderung unterschiedlichste<br />

Beratungsangebote und Workshops zu Themen wie Management,<br />

Organisation oder Finanzierung. Die Auszeichnung als Wachstums kern ist aber auch<br />

lukrativ: Zwischen dem Programm start 2001 und dem Jahr 2014 investiert das BMBF<br />

Fördergelder in Höhe von 243 Millionen Euro in 843 Projekte. Die Zwischen bilanz spricht<br />

für sich: rund ein Fünftel mehr Umsatz und Arbeitsplätze sowie über 200 Patente.<br />

DAS WACHSTUMSKERNE-PROGRAMM<br />

IST NICHT DAS RICHTIGE FÜR SIE?<br />

Mehr Informationen über die<br />

Programm familie Unter neh men<br />

Region, darunter auch das Programm<br />

„Wachstums kerne Poten zial“, finden<br />

Sie ebenfalls unter<br />

www.unternehmen-region.de<br />

Nun muss der Blick aber wieder nach vorne gehen, hin zu neuen Bewerbern mit neuen<br />

Ideen. In den ostdeutschen Regionen schlummert zu viel ungenutztes Potenzial. Wecken<br />

wir es! Denn Zukunft heißt: Erfolg durch Wachstum.


SPECIAL<br />

Foto: Hans Pfeifer<br />

Kein Zins, nirgends! Zumindest<br />

kein sicherer Zins, denn die Staatspapiere<br />

der Schuldner- und Pleitestaaten<br />

bieten »Traumrenditen«, die jedoch<br />

hart an der Grenze zum Albtraum<br />

liegen. Deshalb will kein Versicherer und<br />

kein Investmentfonds den Ramsch kaufen.<br />

Und das ist das Dilemma: Die Finanz-<br />

und Versicherungsindustrie ist<br />

kaum mehr in der Lage, den Anlegern<br />

zinsträchtige Anlagen mit kalkulierbarem<br />

Risiko zu verkaufen. Für jegliche Art<br />

von Altersvorsorge ist das Gift. Die Renditen<br />

der Sparverträge sinken unaufhörlich.<br />

Wurden noch vor wenigen Jahren<br />

bei lang laufenden Lebensversicherungen<br />

Sparrenditen von sechs oder gar sieben<br />

Prozent erreicht, müssen Anleger<br />

jetzt schon froh sein, wenn ihr Versicherer<br />

eine vier vor dem Komma schafft.<br />

Weil die durchschnittliche Umlaufrendite<br />

von zehnjährigen Bundeswertpapieren<br />

immer weiter sinkt, hat das Finanzministerium<br />

verfügt, dass die Lebensversicherer<br />

für Neuverträge ab dem<br />

1. Januar 2012 den Mindestrechnungszins<br />

von bisher 2,25 auf 1,75 Prozent senken<br />

müssen. Einige Unternehmen und<br />

Vermittler nehmen dies zum Anlass, in<br />

die Schlussverkaufstrompete zu blasen.<br />

Wer vor dem 31. Dezember 2011 noch<br />

eine Lebens- oder Rentenversicherung<br />

abschließt, bekommt noch den alten,<br />

höheren Rechnungszins, so die Parole.<br />

Doch das ist noch kein Grund, einen<br />

neuen Vertrag abzuschließen. Denn der<br />

Rechnungszins ist nicht alles. Die Versicherer<br />

schreiben ihren Kunden außer<br />

den Rechnungszinsen laufende Überschüsse<br />

sowie Schlussüberschüsse gut, so<br />

dass das Sparkapital in der Regel deutlich<br />

höher als mit 2,25 Prozent rentiert.<br />

So bewegen sich die laufenden und garantierten<br />

Deklarationen – Rechnungszins<br />

plus Gewinnzins, ohne Schlussüberschüsse<br />

– für das Jahr 2011 im Durchschnitt<br />

des Marktes bei 4,07 Prozent, so<br />

eine Untersuchung des Branchendienstes<br />

map-Report. Doch die Bandbreite ist<br />

groß. In der Spitze werden 4,80 Prozent<br />

erreicht, am Ende 3,6 Prozent.<br />

Noch größer sind die Unterschiede bei<br />

den kalkulierten Ablaufleistungen in der<br />

Zukunft. Wer beispielsweise in diesem<br />

Jahr noch eine Kapitalversicherung mit<br />

20 Jahren Laufzeit abschließt, bekommt<br />

in den unverbindlichen(!) Beispielrechnungen<br />

– je nach Unternehmen – zwischen<br />

4,7 und 2,6 Prozent Rendite vorgerechnet.<br />

Es steht zu befürchten, dass viele<br />

Versicherer ihre Prognosen verfehlen<br />

werden. Unter Branchenkennern gilt als<br />

ausgemacht, dass heute schon Lebensversicherer<br />

ihre Überschüsse <strong>nur</strong> dadurch<br />

aufhübschen können, da sie viel Kapital<br />

Geldanlage<br />

Kein sicherer Zins<br />

Die diesjährige Leitmesse der Finanz- und Versicherungswirtschaft<br />

DKM in Dortmund offenbarte: Die Branche braucht neue Ideen,<br />

doch die sind rar. Was geht, sind Immobilien und Gold, auch<br />

die Anbieter von Beteiligungen blicken optimistisch in die Zukunft.<br />

den Rückstellungen für Beitragsrückerstattung<br />

(RfB) entnehmen. Das ist legal,<br />

denn der Sinn der RfB ist es, Kapitalmarktschwankungen<br />

auszugleichen und<br />

die Ergebnisse zu glätten. Angesichts der<br />

anhaltenden Talfahrt bei den Kapitalmarktzinsen<br />

stellt sich jedoch die Frage,<br />

wie lange das die Untenehmen durchhalten<br />

können, wie finanzstark sie sind.<br />

FINANZSTÄRKE IST GEFRAGT<br />

Das interessiert nicht <strong>nur</strong> Analysten, sondern<br />

auch die Anleger. Wer heute im Alter<br />

von beispielsweise 30 Jahren eine Rentenversicherung<br />

abschließt, muss sicher<br />

sein, dass der Versicherer auch in 50 Jahren<br />

noch die vereinbarte Rente zahlen<br />

kann. Dauerhafte, solide und nachhaltige<br />

Finanzstärke ist gefragt. Das um so<br />

mehr, als auf die Versicherer höhere<br />

Eigenkapitalanforderungen zukommen.<br />

Sie müssen die Garantien, die sie gewähren,<br />

mit Eigenmitteln besichern. Das<br />

ist teuer. Das Analyse- und Ratinghaus<br />

Morgen & Morgen hat erst unlängst die<br />

deutschen Lebensversicherer geratet. Dabei<br />

wurden die Nettoverzinsungen der<br />

Kapitalanlagen, Kostenquoten, Rückstellungen,<br />

Überschüsse, Eigenmittel und<br />

Reserven sowie das Wachstum bewertet.<br />

Ergebnis: Nur neun Versicherer erhielten<br />

die Bewertung »ausgezeichnet«, 21 Unternehmen<br />

sind »schwach« oder »sehr<br />

schwach« auf der Brust.<br />

Die Lebens- und Rentenversicherung<br />

als der Deutschen liebstes Vorsorgeprodukt<br />

schwächelt. Trotzdem gibt es immer<br />

noch gute Gründe, solche Verträge<br />

abzuschließen, und das noch dieses Jahr.<br />

Denn bei den staatlich geförderten Riester-Rentenverträgen<br />

und bei den steuerlich<br />

geförderten Basis-Rentenverträgen<br />

steigt die Altersgrenze. Wer noch 2011<br />

abschließt, kommt förderunschädlich<br />

vom 60. Lebensjahr an in den Genuss der<br />

Rente. Wer erst 2012 abschließt, muss bis<br />

zum 62. Lebensjahr als frühest möglichen<br />

Auszahlungsbeginn warten. Ähnlich<br />

verhält es sich bei der Besteuerung<br />

von ungeförderten privaten Lebensversicherungen.<br />

Bei bis Ende 2011 abgeschlossenen<br />

Verträgen werden die Erträge<br />

<strong>nur</strong> zur Hälfte besteuert, wenn der<br />

Vertrag mindestens zwölf Jahre gelaufen<br />

ist und das Kapital nicht vor Vollendung<br />

des 60. Lebensjahrs entnommen wird.<br />

Beim Abschluss ab 2012 steigt auch hier<br />

die Altersgrenze auf 62 Jahre.<br />

INVESTIEREN IN BETON<br />

Bei Investmentfonds bewegt sich im Moment<br />

kaum noch etwas, die Anleger halten<br />

sich angesichts hoch volatiler Börsen<br />

und niedriger Zinsen zurück. Dafür boomen<br />

die so genannten Sachwerteanlagen.<br />

Immobilien stehen hoch im Kurs. In<br />

(fast) allen Varianten. Bei Wohneigentum<br />

steigen die Bau- und Genehmigungszah-<br />

28 WIRTSCHAFT & MARKT 12/11


SPECIAL<br />

len nach Jahren des Rückgangs und der<br />

Stagnation enorm. Zu spüren bekommen<br />

das auch die Bausparkassen, deren Neugeschäft<br />

boomt. Abzulesen ist das auch<br />

am Neugeschäft für die Eigenheimrente,<br />

auch Wohn-Riester genannt. Dort bekommen<br />

Anleger die staatlichen Riester-<br />

Zulagen, wenn sie das Sparkapital über<br />

einen zertifizierten Eigenheimrentenvertrag<br />

zum Erwerb und/oder zur Entschuldung<br />

von selbst genutztem Wohneigentum<br />

einsetzen. Im Idealfall kann sich die<br />

Summe der Fördermittel bei einer Familie<br />

mit zwei Kindern auf bis zu rund<br />

50.000 Euro belaufen.<br />

Auch als Kapitalanlage sind Immobilien<br />

gefragt. Das führt zu steigenden<br />

Preisen in deutschen Städten vor allem<br />

bei Eigentumswohnungen. In Hamburg<br />

ist der Quadratmeterpreis in Top-Lagen<br />

binnen zwölf Monaten um ein Drittel auf<br />

knapp 5.900 Euro gestiegen. Der Wohnimmobilienmarkt<br />

boomt. Viele Anleger<br />

ziehen ihr Geld von Bankanlagen ab und<br />

investieren in Wohnimmobilien. Hinzu<br />

kommt: Fremdkapital ist immer noch<br />

billig und die Banken trauen sich zaghaft<br />

aus der Reserve. Die Anleger kaufen<br />

nicht <strong>nur</strong> Gebäude und Wohngrundstücke,<br />

sondern auch Acker- und Forstflächen.<br />

Die Folge ist eine Bodenwertsteigerung.<br />

Vor allem im Osten Deutschlands,<br />

wo sich in den letzten 20 Jahren<br />

kaum jemand um Wiesen und Brachen<br />

geschert hat, schnellen die Preise hoch.<br />

GOLDGLANZ BLENDET<br />

Ganz hoch im Kurs steht bei den Anlegern<br />

Gold. 13 Prozent der Sparer, die ihre<br />

Vorsorge ausbauen möchten, planen den<br />

Kauf von Gold, so ein Ergebnis der jüngsten<br />

Postbankstudie zur Altersvorsorge.<br />

Das sind mehr als Interessenten für eine<br />

Riester-Rente (zwölf Prozent). Gold gilt<br />

bei 39 Prozent der Sparer als »besonders<br />

sicher«, die Riester-Rente kommt <strong>nur</strong> auf<br />

21 Prozent. Das Münchener Edelmetallunternehmen<br />

»pro aurum« hat die Goldleidenschaft<br />

der Deutschen genauer untersuchen<br />

lassen. Danach rangiert Gold<br />

in den Gewinnerwartungen vor Festgeld,<br />

Fondsanteilen, Aktien und Anleihen. 34<br />

Prozent der Bürger würden sich für eine<br />

Goldanlage entscheiden, weil sie vermuten,<br />

dass das Edelmetall nach gut drei<br />

Jahren den meisten Gewinn bringt.<br />

Zudem will das Volk investieren in<br />

Gold in Gestalt von Barren und Münzen.<br />

Nicht mehr <strong>nur</strong> Gutsituierte kaufen heute<br />

Gold, sondern auch Auszubildende,<br />

Studenten und junge Familien mit Kindern,<br />

so die Einschätzung von »pro<br />

aurum«. Seit Anfang 2011 konnte das Unternehmen<br />

die Umsätze um 45 Prozent<br />

steigern. Davon, dass Gold keine Zinsen<br />

abwirft, eine hoch spekulative Anlage ist<br />

und meistens noch Geld für die sichere<br />

Verwahrung kostet, scheinen die meisten<br />

Käufer noch nichts gehört zu haben.<br />

BETEILIGUNGEN SIND IM KOMMEN<br />

Bisher galten sie als die »Schmuddelkinder«<br />

der Branche: Geschlossene Fonds,<br />

mit denen Privatanleger sich an Immobilien,<br />

Flugzeugen, Schiffen, Waldflächen,<br />

jungen Unternehmen oder Solar- und<br />

Windkraftanlagen beteiligen können.<br />

Geschlossene Fonds galten als »Graumarkt«,<br />

unter anderem auch deshalb,<br />

weil sich dort einige »graue Schafe« tummelten.<br />

Das soll und kann sich ändern.<br />

Vom kommenden Jahr an wird die Branche<br />

reguliert. Die Verkaufsprospekte<br />

werden von der Finanzaufsicht schärfer<br />

als bisher geprüft, Verkäufer müssen sich<br />

registrieren lassen und ihre Sachkunde<br />

nachweisen. Damit erreichen die geschlossenen<br />

Fonds das Anlegerschutzniveau<br />

von Versicherungen.<br />

Das wird es der Branche ermöglichen,<br />

von der »grauen« Kapitalanlage zur<br />

»weißen« zu mutieren. Unabhängig von<br />

der Regulierung hat die Branche jedoch<br />

bereits weitgehend einen inneren Wandel<br />

vollzogen. Standen früher Steuerspareffekte<br />

im Vordergrund, geht es den Initiatoren<br />

und Anlegern um langfristige<br />

und möglichst zuverlässige Renditen. Geschlossene<br />

Fonds bieten als einzige Assetklasse<br />

Anlegern die Möglichkeit, sich an<br />

realen Wirtschaftsgütern zu beteiligen,<br />

die sie sich allein nicht leisten könnten.<br />

Das sind Sachwertanlagen, die weitgehend<br />

unabhängig von Aktien- und Anleihemärkten<br />

sind. Sie gehören zur Streuung<br />

des Risikos in jedes Portfolio.<br />

Die kurzfristigen Aussichten für Versicherungen<br />

und Fonds scheinen derzeit<br />

nicht gerade in rosigem Licht, bei den<br />

Anbietern geschlossener Fonds macht<br />

sich Aufbruchstimmung breit, so der<br />

Eindruck von der jüngsten Finanzmesse.<br />

Das würde nicht <strong>nur</strong> den privaten Anlegern<br />

nutzen, sondern auch der Wirtschaft<br />

und vor allem dem Mittelstand.<br />

Denn Beteiligungskapital bietet echte<br />

Alternativen zur Bankenfinanzierung. Je<br />

mehr davon eingeworben und sinnvoll<br />

platziert werden kann, umso besser.<br />

Hans Pfeifer<br />

&<br />

WIRTSCHAFT & MARKT 12/11 29


KOLUMNE<br />

W<br />

enn man wie ich in der letzten<br />

Woche durch die Welt reist<br />

und Wirtschaftskonferenzen besucht,<br />

muss einem Angst und Bange werden.<br />

Die Unsicherheit der professionellen<br />

Ökonomen, aber auch der normalen<br />

Bürger ist mit Händen zu greifen. Das ist<br />

gefährlich. Wer unsicher ist, wessen<br />

Weltbild tief erschüttert ist, der macht<br />

Dinge, mit denen niemand vorher rechnet.<br />

Die globale Unsicherheit ist diesmal<br />

viel größer als ich das jemals vorher in<br />

meinen 35 Berufsjahren erlebt habe.<br />

Es kommt einfach zu vieles zusammen.<br />

Die USA, die keinen Ausweg aus der<br />

Stagnation finden und deswegen jede<br />

noch so kleine Wachstumsrate wie im<br />

dritten Quartal dieses Jahres bejubeln. Japan,<br />

das nach den Natur- und von Menschenhand<br />

begünstigten Katastrophen<br />

zu Beginn dieses Jahres weder politisch<br />

noch wirtschaftlich auf die Füße kommt,<br />

und Europa, das sich als vollkommen unfähig<br />

zeigt, mit seinen Problemen vernunftgetrieben<br />

umzugehen.<br />

Nimmt man hinzu, dass in allen diesen<br />

Regionen die Einkommen des durchschnittlichen<br />

Bürgers seit Jahren nicht<br />

mehr gestiegen sind, ist es nicht verwunderlich,<br />

dass jeder seine Groschen zusammenhält<br />

und versucht, irgendwie<br />

über die Runden zu kommen. Wenn<br />

dann noch, wie schon lange in Deutschland,<br />

aber jetzt auch in Frankreich,<br />

Italien und anderen Ländern der Währungsunion,<br />

von den regierenden Politikern<br />

Gürtel-enger-Schnallen in emotionalen<br />

Appellen als einziger Weg aus der<br />

Misere verordnet wird, ist das die Ur-Suppe,<br />

aus der ganz große Krisen entstehen.<br />

Beispiel Deutschland. Während sich<br />

die regierenden Politiker Tag und Nacht<br />

mit dem lächerlich kleinen Griechenland<br />

abmühen, haben sie die »Kleinigkeit«<br />

übersehen, dass ihr eigenes Land in<br />

eine Rezession gerät. Der wichtigste Indikator,<br />

die Auftragseingänge in der deutschen<br />

Industrie, sind im September regelrecht<br />

abgestürzt. Das zeigt, wie anfällig<br />

das Land ist, von dem viele behauptet<br />

haben, es würde nun, gestützt auf seine<br />

Inlandsnachfrage, auf einen langen und<br />

stabilen Aufschwung vertrauen können.<br />

Das ist bitter, zum einen, weil Europas<br />

Oberlehrer nun in der Gefahr ist, selbst<br />

sitzenzubleiben, es ist aber vor allem bitter,<br />

weil damit Deutschland die Nachwirkungen<br />

seiner eigenen Rezepte zu<br />

spüren bekommt. Weil alle anderen Länder,<br />

auch auf Druck Deutschlands, kräftig<br />

sparen, kaufen sie natürlich weniger<br />

AUS GENFER SICHT<br />

Am<br />

Abgrund<br />

Von HEINER FLASSBECK, Genf<br />

Internet: www.flassbeck.com<br />

im Ausland ein und treffen so die deutschen<br />

Ausfuhren.<br />

Wenn aber in Deutschland der Exportmotor<br />

nicht mehr brummt, wie will man<br />

aus einer solchen Rezession wieder herausfinden,<br />

wenn alle Welt spart? Ist jemand<br />

noch so naiv zu glauben, die deutschen<br />

Unternehmen, die in der Tat in<br />

Geld schwimmen, würden bei sich abschwächender<br />

Konjunktur neue Investitionen<br />

in einem Maße auslösen, dass damit<br />

die Nachfrageschwäche der übrigen<br />

Sektoren ausgeglichen werden könnte?<br />

Nein, wenn die Politik in Deutschland<br />

nicht bald begreift, dass man sich aus einer<br />

globalen Konjunkturschwäche nicht<br />

heraussparen kann, dann werden wir in<br />

einer tiefen Rezession enden. Diesen einfachen<br />

Zusammenhang anzuerkennen,<br />

ist aber in Deutschland aus ideologischen<br />

Gründen verboten. In den USA<br />

fragte mich kürzlich ein Kollege in sehr<br />

gutem Deutsch, wie es sein könne, dass<br />

in Deutschland nicht <strong>nur</strong> die Politik, sondern<br />

auch 90 Prozent der Medien den<br />

»Sparunsinn«, wie er es nannte, verbreiten<br />

könnten. So gleichgeschaltet könnten<br />

die Medien doch gar nicht sein, dass<br />

man andere Meinungen über das Sparen,<br />

die im Rest der Welt breit diskutiert würden,<br />

in Germany lange suchen müsste.<br />

Stattdessen feiert man die niedrigsten<br />

Zinsen, die der Staat je für seine Anleihen<br />

zahlen musste. Was ist denn das Sig-<br />

nal, das in diesen Zinsen steckt? Wenn<br />

die Nachfrage nach einem Produkt hoch<br />

ist, und nichts anderes bedeuten niedrige<br />

Zinsen (weil dies ausdrückt, dass der<br />

Preis der Anleihen hoch ist), würde jeder<br />

vernünftige Unternehmer mehr davon<br />

produzieren. Aber selbst dieser einfache<br />

und absolut marktkonforme Zusammenhang<br />

wird ignoriert.<br />

So gehen wir in dunkle Zeiten. Ohne<br />

Not und <strong>nur</strong> basierend auf schlichter<br />

Ideologie wird Europa an den Abgrund<br />

geführt. Es vergeht kein Tag, an dem<br />

nicht mit neuen Gerüchten und Vorwürfen,<br />

die zuletzt in der »Aufforderung« an<br />

Griechenland gipfelten, den Euroraum<br />

zu verlassen, dafür gesorgt wird, dass der<br />

Prozess der Deintegration, der sich ohne<br />

solche »Einflussnahme« über Jahre hinziehen<br />

könnte, sich rasant beschleunigt.<br />

Was sollen Menschen in Südeuropa oder<br />

in Irland tun, wenn sie Tag für Tag von<br />

den mächtigen Deutschen hören, wie<br />

schlecht ihre Regierungen sind, wie kaputt<br />

ihr System ist und wie wenig Chancen<br />

sie auf eine dauerhafte Bleibe in der<br />

europäischen Gemeinschaft haben?<br />

Sie tun, was jeder tun würde, solange<br />

noch Zeit dafür ist. Sie ziehen ihr Geld<br />

aus dem heimischen Bankensystem ab<br />

und legen es in Deutschland oder der<br />

Schweiz an, selbst wenn sie keine Zinsen<br />

bekommen. In Irland hat es ein irischer<br />

Ökonom auf die schöne Formel gebracht:<br />

Wer will schon eines Tages aufwachen<br />

und feststellen, dass das Geld auf seinem<br />

Konto sich halbiert hat, weil es nicht<br />

mehr Euro, sondern Drachme heißt.<br />

Das beschreibt nichts anderes als die<br />

Gefahr eines Bankruns, einer Situation,<br />

wo jeder innerhalb kürzester Zeit versucht,<br />

sein Geld zu sichern und es deswegen<br />

nicht möglich ist. Noch vollzieht sich<br />

das schleichend, aber das macht es nicht<br />

besser. Wenn die Banken in Südeuropa<br />

plötzlich ohne Einlagen dastehen, können<br />

sie keine Kredite mehr vergeben und<br />

verlieren die Geschäftsgrundlage. Das<br />

aber kann jederzeit eskalieren und ganze<br />

Bankensysteme innerhalb von Wochen<br />

oder gar Tagen zur Implosion bringen.<br />

Was tun? Wenn die Politik weiter stur<br />

bleibt, gibt es für die Menschen <strong>nur</strong> noch<br />

die Möglichkeit, ihre Frustration auf der<br />

Straße zum Ausdruck zu bringen. Was<br />

wir auf vielen Plätzen und Straßen weltweit<br />

schon sehen, wird vielleicht der Beginn<br />

einer Massenbewegung der Empörten<br />

werden, die nicht mehr hinnehmen<br />

wollen, dass ihre eigene und die Zukunft<br />

ihrer Kinder aufs Spiel gesetzt wird. &<br />

Foto: Torsten George<br />

30<br />

WIRTSCHAFT & MARKT 12/11


BERICHT<br />

Fotos: H. Lachmann<br />

Schon kommen die nächsten Karossen<br />

an der elektrischen Hängebahn<br />

durch die Leipziger Halle geschwebt.<br />

Wer sich mit Porsche auskennt,<br />

stutzt: Gleich zwei Modelle hängen am<br />

selben Band von der Decke herab – der<br />

Geländewagen Cayenne und der schnittige<br />

Oberklasseflitzer Panamera.<br />

Die Schiene senkt sich schließlich auf<br />

Bodenniveau herab, so dass die Monteure<br />

problemlos an die Chassis herankommen.<br />

Die Männer in den roten Latzhosen<br />

und weißen T-Shirts packen routiniert<br />

zu. Worte fallen fast gar nicht: Man hat<br />

hurtig zu tun, kennt seine Aufgabe. Die<br />

Handgriffe sitzen, sind tausendmal wiederholt.<br />

Alles wirkt wie durchgeplant<br />

und von Geisterhand gesteuert.<br />

»Ein minutiöser Zeit- und Ablaufplan<br />

ist das Rückgrat unseres Produktionssystems«,<br />

versichert der frühere Porsche-<br />

Chef und heutige VW-Vorstand Michael<br />

Macht und fügt nicht minder stolz hinzu:<br />

Auf die sächsischen Montageteams<br />

könne man sich absolut verlassen. Seit in<br />

Leipzig im April 2009 der Panamera in<br />

Serie ging, arbeite hier die modernste<br />

Automobilfabrik der Welt.<br />

Ein Qualitätssiegel, dass Porsche<br />

womöglich zu weiteren Engagements in<br />

Leipzig veranlasst. Erst kürzlich erhielt<br />

das sächsische Werk den Zuschlag für<br />

den kleinen Geländewagen Cajun, dessen<br />

Produktion noch 2011 beginnen soll.<br />

Hartnäckig hält sich auch das Gerücht,<br />

die neue Generation des Panamera könne<br />

komplett in Leipzig entstehen. Bisher<br />

schrauben hier die 680 Monteure Tag für<br />

Tag 280 Cayenne und 100 Panamera aus<br />

Teilen und Baugruppen zusammen, die<br />

aus Stuttgart, Bratislava und Hannover<br />

angeliefert werden.<br />

MILLIONEN FÜR KAROSSERIEBAU<br />

Doch mittlerweile kommt Porsche mit<br />

der Montage des Cayenne nicht mehr<br />

nach. Wie der Leipziger Werkleiter Siegfried<br />

Bülow unlängst mitteilte, werde die<br />

Tagesproduktion von derzeit 420 Fahrzeugen<br />

schrittweise angehoben. Zudem<br />

prüfe man die Einführung einer dritten<br />

Schicht. Auch hundert neue Monteure<br />

sollen eingestellt werden. Die feste Belegschaft<br />

stiege damit auf 800.<br />

Überdies investiert das Mutterhaus<br />

für den Cajun nun erstmals auch in Karosseriebau<br />

und Lackierung in Leipzig.<br />

500 Millionen Euro stehen dafür bereit.<br />

Es ist das größte Bauprojekt in der Unternehmensgeschichte.<br />

Auf 17 Hektar des<br />

Geländes im Leipziger Norden entsteht<br />

überdies ein Versorgungszentrum. Damit<br />

wird die Fertigungsstätte zum Vollwerk<br />

ausgebaut – und Leipzig im Konzern<br />

noch wichtiger.<br />

Autoland Sachsen<br />

Werkbank im Wandel<br />

Mit Millionen-Investitionen werten die Fahrzeughersteller Porsche,<br />

Volkswagen, BMW und MAN ihre Werke in Sachsen auf, verleihen<br />

diesen den Status vollwertiger Produktionsstandorte. Hier wird vor<br />

allem montiert, lackiert und geschraubt. Entwicklung und Vertrieb<br />

bleiben weiterhin in den Konzernzentralen im Westen angesiedelt.<br />

Als dies bekannt wurde, gab es vor Ort<br />

»hundertprozentig positive Reaktionen«,<br />

wie Knut Lofski, Betriebsratschef des<br />

sächsischen Werks, sagt. Der Zuschlag<br />

für Leipzig sei geradezu »genial«, denn er<br />

bedeute auch viele Neueinstellungen.<br />

Werkleiter Bülow beobachtet bereits einen<br />

Trend, »dass unter diesen Perspektiven<br />

auch viele abgewanderte Sachsen<br />

zurück in die Heimat wollen«. Alles in allem<br />

ist dank des Porsche Cajun von 1.000<br />

neuen Jobs die Rede. 2013 soll das neue<br />

Modell vom Band rollen. Was bewegt die<br />

süddeutsche Nobelmarke zu diesem Engagement<br />

in Leipzig? Als Motiv für die<br />

Vergabe des Cajun gilt vor allem eine »besonders<br />

hohe Flexibilität und Produktivität«<br />

am Standort Ost.<br />

Derweil wird es in der pieksauberen<br />

Leipziger Montagehalle feierlich: Die<br />

Hochzeit steht an. So nennen es die Autobauer,<br />

wenn sie den Wagenaufbau mit<br />

Fahrwerk und Antriebsstrang verbandeln.<br />

Schon schwebt die Karosserie heran,<br />

gewissermaßen die Braut. Die Männer<br />

kümmern sich derweil um die »Mitgift«:<br />

das anspruchsvolle Interieur des<br />

luxuriösen Viertürers.<br />

Zur Grundsteinlegung des Erweiterungsbaus<br />

Ende Oktober war auch Sachsens<br />

Ministerpräsident Stanislaw Tillich<br />

(CDU) erschienen. Stolz informierte er,<br />

dass die Automobilindustrie mit über<br />

70.000 Beschäftigten in 750 Betrieben<br />

heute wieder eine der wichtigsten Branchen<br />

des Freistaates bilde. Und die jüngste<br />

Entscheidung von Porsche eröffne weitere<br />

Wachstumschancen.<br />

Auch für Leipzigs Oberbürgermeister<br />

Burkhard Jung (SPD) habe Porsche den<br />

Industriestandort Leipzig »wachgeküsst«,<br />

nachdem hier 1999 der erste Spatenstich<br />

erfolgt war. Jeder Arbeitsplatz bei dem<br />

Sportwagenbauer ziehe zwei bis drei zusätzliche<br />

Jobs in der Region nach sich.<br />

Überdies entwickelte sich im Windschatten<br />

der Autobranche eine außerordentlich<br />

leistungsstarke Logistik. Sowohl<br />

Leipzig als auch die Landesregierung bekundeten<br />

denn auch, weiterhin ihr Möglichstes<br />

zu tun, um die wirtschaftlichen<br />

Rahmenbedingungen für neue Ansiedlungen<br />

weiterzuentwickeln.<br />

Nach Angaben von Porsche-Chef Matthias<br />

Müller sollen vom Cajun jährlich<br />

50.000 Wagen verkauft werden. Damit<br />

32 WIRTSCHAFT & MARKT 12/11


BERICHT<br />

würde dieser zum wichtigsten Modell<br />

des Sportwagenherstellers neben dem<br />

Cayenne. Deshalb sieht Müller in dem<br />

Ausbau des Leipziger Werks auch einen<br />

bedeutenden Schritt, um die ambitionierten<br />

Wachstumsziele des Unternehmens<br />

zu erreichen. Bis 2018 soll Porsches<br />

Jahresabsatz auf mindestens 200.000 Autos<br />

anwachsen – das ist eine Verdoppelung<br />

der bisherigen Stückzahl.<br />

»HEISSE KARTOFFEL« AN VW-CHEF<br />

Wegen des eingeleiteten Fusionsprozesses<br />

mit Porsche gewinnt der Standort<br />

Sachsen auch im VW-Konzern weiter an<br />

Gewicht. Bei den Investitionen, die Konzernchef<br />

Martin Winterkorn Anfang November<br />

in Leipzig ankündigte, ziehen<br />

die sächsischen Werke fast mit dem<br />

Stammsitz in Wolfsburg gleich. Der 62-<br />

jährige Winterkorn war in der Messestadt<br />

mit dem diesjährigen Wirtschaftsund<br />

Medienpreis »Heiße Kartoffel« geehrt<br />

worden, den der Mitteldeutsche<br />

Presseklub zu Leipzig jährlich an wichtige<br />

Macher in der oder für die Dreiländerregion<br />

vergibt.<br />

Die Investitionen in Sachsen sind Teil<br />

der ehrgeizigen Wachstumsstrategie<br />

Winterkorns. Bis 2018 will er den Konzern<br />

zum erfolgreichsten Autobauer der<br />

Welt puschen. Dafür steckt VW bis 2016<br />

weltweit 62,4 Milliarden Euro in Werke,<br />

neue Modelle und Antriebe. Die Gläserne<br />

Manufaktur in Dresden hat gute Chancen,<br />

den Zuschlag für das ab 2013 geplante<br />

Ein-Liter-Auto XL 1 zu bekommen –<br />

auch wenn sich Winterkorn dazu bislang<br />

noch nicht festlegen wollte. Entschieden<br />

ist dagegen, dass in Zwickau ab 2013 neben<br />

Golf und Passat auch der Golf Kombi<br />

produziert wird. Und in Chemnitz will<br />

VW 2012 die nächste Generation der Vierzylinder-Ottomotoren<br />

in Serie schicken.<br />

Gegenwärtig laufen in Zwickau jährlich<br />

rund 300.000 VW-Fahrzeuge vom<br />

Band. In Chemnitz werden täglich 3.000<br />

bis 3.400 Motoren sowie 4.000 Ausgleichswellengetriebe<br />

produziert. Und<br />

die Gläserne Manufaktur zu Dresden<br />

glänzt mit der VW-Nobelmarke Phaeton.<br />

Das Luxusmodell erlebt gerade in China<br />

einen enormen Nachfrageboom.<br />

Indes entspringt Porsches Engagement<br />

in Sachsen nicht reiner Nächstenliebe.<br />

Der Sportwagenbauer kalkuliert<br />

bei seinen mittlerweile 1,2 Milliarden<br />

Euro an Investitionen im Osten auch mit<br />

den hier nach wie vor geringeren Löhnen.<br />

Unterm Strich trägt ein Montagearbeiter<br />

am Band in Leipzig trotz solider tariflicher<br />

Absicherung noch immer gut<br />

ein Drittel weniger in der Lohntüte heim<br />

als sein Kollege in Stuttgart-Zuffenhausen<br />

– im Grunde für dieselbe Arbeit.<br />

WELTNIVEAU: Die Werke in Sachsen sind<br />

das Nonplusultra im Automobilbau.<br />

Gleiches trifft auf BMW zu. Der Münchener<br />

Konzern betreibt <strong>nur</strong> eine Autobahnabfahrt<br />

weiter im Leipziger Norden<br />

sein größtes außerbayrisches Werk. Kürzlich<br />

war hier Richtfest für ein nagelneues<br />

Kompetenzzentrum, in dem BMW seine<br />

Aktivitäten in Sachen Elektrofahrzeuge<br />

bündeln will. Vier große Montagehallen<br />

befinden sich im Bau. Dank dem 400-Millionen-Projekt<br />

soll 2013 die Serienfertigung<br />

für die Elektroautos BMW i3 und<br />

BMW i8 starten. Die Hallen sind dabei so<br />

angeordnet, dass die Bereiche für die<br />

Formung der Karbonteile, den Karosseriebau<br />

und die Montage zunächst auf<br />

separaten Bändern laufen, ehe sie zur finalen<br />

Montage mit dem Hauptband zusammengeführt<br />

werden.<br />

Für BMW-Produktionsvorstand Frank-<br />

Peter Arndt ist das Leipziger Werk »die<br />

Speerspitze der Elektromobilität für<br />

BMW und wird das auch bleiben«. Werde<br />

alles ausgereizt, habe das Werk eine Maximalkapazität<br />

von 200.000 Autos jährlich.<br />

2011 liege es »<strong>nur</strong> knapp darunter«.<br />

Danach befragt, weshalb BMW die<br />

e-Car-Schiene in Leipzig aufziehe, sagt<br />

Arndt, es gebe hier »eine hochqualifizierte<br />

und hoch motivierte Mannschaft, eine<br />

gute Infrastruktur und ausreichend<br />

Platz«. Die meisten anderen Standorte<br />

verfügten schlicht nicht über die notwendigen<br />

Flächenreserven, um bei wachsender<br />

Nachfrage auf zusätzlichen Kapazitätsbedarf<br />

reagieren zu können.<br />

Im Übrigen stehen die Chancen gut,<br />

dass jenes BMW-Engagement im e-Car-<br />

Segment bald schon einen neuen Technologie-Investor<br />

anlockt. SB LiMotive, das<br />

Batterie-Joint-Venture von Bosch und<br />

dem südkoreanischen Elektronikkonzern<br />

Samsung, das den bayerischen Autohersteller<br />

ab 2013 mit Batterien beliefern<br />

soll, fahndet derzeit nach einem geeigneten<br />

Standort für eine neue Produktionsstätte.<br />

In diesem Kontext stehen die<br />

Chancen bestens, dass sich SB LiMotive<br />

nebenan von BMW niederlässt. Platz<br />

wäre in Leipzigs Norden noch genug.<br />

IMMER NOCH VERLÄNGERTE WERKBANK?<br />

Neben den Leipziger Werken von Porsche<br />

und BMW bilden vier weitere sächsische<br />

Standorte unverzichtbare Kettenglieder<br />

im internationalen Automobilbau. Dazu<br />

gehört das Neoplan-Werk des Münchener<br />

MAN-Konzerns im vogtländischen<br />

Plauen. Hier waren vor kurzem erst die<br />

sprichwörtlichen drei Hammerschläge<br />

zu vernehmen – für den Bau eines neues<br />

Logistikzentrums, mit dem MAN den<br />

Ausbau dieses Standorts einleitete. Bis<br />

Ende 2013 sollen insgesamt 19 Millionen<br />

Euro in Erweiterung und Modernisierung<br />

der Fertigungsstätte fließen. Plauen<br />

dürfte damit zu einem der modernsten<br />

Bus-Werke in Europa aufsteigen. Geplant<br />

sind eine neue Lackiererei und<br />

eine weitere Montagehalle.<br />

Bekanntlich produziert auch der<br />

Wolfsburger Autoriese Volkswagen mit<br />

erheblichen Kapazitäten in Sachsen. In<br />

Zwickau, in Chemnitz und in Dresden.<br />

Bei allem Jubelgesang über die Renaissance<br />

des Automobilbaus in Sachsen, das<br />

als Autoland auf eine lange Tradition verweisen<br />

kann, ist nicht zu übersehen, dass<br />

Sachsen auch beim Automobilbau mehr<br />

oder minder <strong>nur</strong> eine verlängerte Werkbank<br />

des Westens ist.<br />

An konkreten Zahlen kann das Andreas<br />

Wächtler, Projektkoordinator für den Automobilzulieferer-Bereich<br />

bei der Beratungs-<br />

und Förderagentur RKW Sachsen,<br />

festmachen. Sachsen leiste sich vier<br />

Universitäten, darunter die drei Technischen<br />

in Chemnitz, Dresden und Freiberg,<br />

überdies vier weitere Technische<br />

Hochschulen, 15 Fraunhofer-, sieben<br />

Leibniz- und sechs Max-Planck-Institute.<br />

WIRTSCHAFT & MARKT 12/11<br />

33


BERICHT<br />

Hinzu kämen 290 Systemlieferanten für<br />

den Automotivebereich – doch von denen<br />

besäßen <strong>nur</strong> 172 wirklich sächsische<br />

Wurzeln, bedauert er. Bei den anderen<br />

handele es sich um »verlängerte Werkbänke«,<br />

so dass hier keine Produktentwicklung<br />

stattfinde.<br />

Es gebe zwar viele Investitionen und<br />

Auftragsvergaben großer Automotive-<br />

Konzerne an sächsische Forschungseinrichtungen,<br />

beobachtet Wächtler. Doch<br />

kämen diese dem Freistaat nicht zugute,<br />

schadeten sogar sächsischen Firmen.<br />

Denn die wissenschaftlichen Ergebnisse<br />

flössen direkt in die Mutterhäuser, stärkten<br />

somit die auswärtige Konkurrenz.<br />

Trotzdem könnte auch im Freistaat<br />

von unten langsam eine eigene wissenschaftlich-technische<br />

Basis heranwachsen.<br />

Nach Aussage von RKW-Geschäftsführer<br />

Helmut Müller initiierte und begleitete<br />

die Verbundinitiative Automobilzulieferer<br />

Sachsen (AMZ) seit dem Jahr<br />

1999 unter anderem insgesamt 277 Forschungs-<br />

und Entwicklungsprojekte, an<br />

FLITZER: Studenten kreieren Rennautos.<br />

denen sich 1.048 sächsische Branchenunternehmen<br />

beteiligten.<br />

Auch die studentischen Automobiltüftlerteams<br />

in Chemnitz, Dresden, Freiberg<br />

sowie der Westsächsischen Hochschule<br />

Zwickau nehmen jährlich mit in<br />

Eigenregie entwickelten und gebauten<br />

innovativen Fahrzeugen sowie wachsender<br />

Resonanz an den internationalen<br />

Wettbewerben in der Klasse Formula Students<br />

teil. Das Racetech-Racing-Team der<br />

Technischen Universität (TU) Bergakademie<br />

Freiberg kreierte beispielsweise in<br />

diesem Jahr den brandneuen Mini-Rennflitzer<br />

RT05, das Team Elbflorace von der<br />

TU Dresden präsentierte den erstmals<br />

rein elektrisch angetriebenen »Areos«. Es<br />

war schon der vierte Prototyp aus der<br />

Tüftlerwerkstatt an der Elbe, der auch<br />

international sehr viel Aufmerksamkeit<br />

und Anerkennung erfuhr.<br />

Was auf den ersten Blick beispielhaft<br />

und förderwürdig erscheint, hat wie bei<br />

vielen bemerkenswerten Initiativen und<br />

Engagements auch eine zweite Seite der<br />

Medaille: Zum Großteil gesponsert werden<br />

diese studentischen Projekte beispielsweise<br />

von BMW und Volkswagen.<br />

Die großen Automobilkonzerne bieten<br />

dem begabten Ingenieursnachwuchs oft<br />

Diplomarbeiten an, lassen ihn in den Firmen<br />

Praktika absolvieren – und ziehen<br />

die jungen Tüftler nach dem Studium in<br />

Sachsen in die bayrischen, schwäbischen<br />

oder niedersächsischen Gefilde ab.<br />

Harald Lachmann<br />

&<br />

Foto: Audi AG<br />

In den zurückliegenden zwei Jahrzehnten<br />

hat die Automobilindustrie in Sachsen<br />

eine Renaissance erfahren. Aktuelle Spitzenmodelle<br />

der großen Hersteller BMW,<br />

Porsche und Volkswagen rollen in den<br />

neuen Fabriken in Leipzig, Zwickau und<br />

Dresden vom Band. Automobilbau auf<br />

höchstem Niveau.<br />

Die in westdeutschen Landen angesiedelten<br />

Fahrzeugkonzerne haben sich nach<br />

der Wende in der DDR nicht von ungefähr<br />

des Produktionsstandorts Sachsen besonnen.<br />

Kaum ein anderes Bundesland<br />

AM FICHTELBERG: Audi K von 1921.<br />

AUTOLAND SACHSEN<br />

Zwischen Tradition und Aufbruch<br />

Der Automobilbau im Freistaat Sachsen hat in den zurückliegenden mehr als 100 Jahren Höhen und Tiefen erlebt.<br />

Ein aktuell erschienener Bildband erinnert an den Pioniergeist in der Branche und »Sachsens schönste Autos«.<br />

kann auf eine so lange Tradition und Produktionskultur<br />

im Automobilbau zurückblicken<br />

wie Sachsen. Seit mehr als<br />

100 Jahren ist dieser in Deutschland<br />

bedeutendste Industriezweig zwischen<br />

Zwickau und Leipzig angesiedelt.<br />

Im sich zu Ende neigenden 19. Jahrhundert<br />

rollten auf sächsischen Straßen die<br />

ersten Dampfmobile, die von dem Chemnitzer<br />

Techniker Hermann Michaelis entwickelt<br />

und gebaut wurden. Zu Beginn<br />

der 30er Jahre des vorigen Jahrhunderts<br />

erlebte ebenfalls Chemnitz die Gründung<br />

des Unternehmens Auto Union. Die damals<br />

bereits verwendeten vier verschlungenen<br />

Ringe sind heute Markenzeichen<br />

des Ingolstädter Audi-Konzerns.<br />

In der Stadt des Autopioniers August<br />

Horch in Zwickau wurde 1957 der erste<br />

Trabant montiert, der sich in den folgenden<br />

Jahrzehnten zu dem Auto der DDR<br />

schlechthin und inzwischen zum Kultfahrzeug<br />

entwickelte. Er ging in die<br />

Automobilgeschichte ein, weil der<br />

Wagen komplett mit einer Kunststoff-<br />

Karosserie gefertigt wurde. Bis 1991 rollten<br />

ingesamt über drei Millionen Trabant<br />

in Zwickau vom Montageband.<br />

Die facettenreiche und wechselvolle Geschichte<br />

des Automobilbaus in Sachsen<br />

ist jetzt in einem mit sehr vielen historischen<br />

Bildern illustrierten Bildband<br />

unterhaltsam dokumentiert. Das vom<br />

Verlag Neues Berlin aufgelegte Buch<br />

»Sachsens schönste Autos« spannt einen<br />

historischen Bogen von den Anfängen<br />

bis in die heutigen Tage. Die gezeigten<br />

Automobile, manche <strong>nur</strong> als Einzelstück<br />

gefertig, andere in Großserie, manche<br />

nie, zeichnen ein spektakuläres wie alltägliches<br />

Bild des Autolands Sachsen.<br />

Dort ist die Automobilindustrie längst<br />

zum Motor des verarbeitenden Gewerbes<br />

geworden. Die über 70.000 Beschäftigten<br />

in der Branche schreiben die glorreiche<br />

Geschichte des sächsischen Automobilbaus<br />

heute fort.<br />

INA REICHEL<br />

Sachsens schönste Autos<br />

Verlag Neues Leben, Berlin, 2011<br />

223 Seiten, 29,95 Euro<br />

ISBN 978-3-355-01790-9<br />

34 WIRTSCHAFT & MARKT 12/11


Wirtschaft&Markt<br />

SONDERHEFT GESUNDHEITSWIRTSCHAFT BERLIN-BRANDENBURG<br />

EXTRA<br />

TELEMEDIZIN<br />

Netzwerk für mehr<br />

Lebensqualität<br />

BILDUNGSREISE<br />

Schulen und Akademien<br />

im Porträt<br />

Aus- und Weiterbildung<br />

Fachkräfte für<br />

heute und morgen<br />

Foto: ZukunftsAgentur Brandenburg


Fotos: PictureDisk, ZukunftsAgentur Brandenburg<br />

Gesundheitsland Berlin-Brandenburg<br />

Gerät der Wachstumsmotor<br />

ins Stottern?<br />

Die Gesundheitsbranche boomt. Was langfristig fehlt, sind qualifizierte Mitarbeiter. Wirtschaft,<br />

Politik und Sozialträger sind gefragt, damit die Region 2030 nicht am Fachkräftemangel kollabiert.<br />

Die Gesundheitswirtschaft blickt<br />

positiv in die Zukunft. Dynamisch,<br />

geprägt von technischem<br />

Fortschritt, individualisierter Versorgung<br />

und höherer Lebenserwartung<br />

steht die Wachstumsbranche gleichzeitig<br />

unter Kosten- und Wettbewerbsdruck.<br />

2008 war bundesweit jeder zehnte Arbeitnehmer<br />

in der Gesundheitswirtschaft<br />

beschäftigt, über 80 Prozent allein<br />

in den besonders personalintensiven<br />

ambulanten und (teil)stationären Einrichtungen.<br />

Der Rest verteilt sich auf<br />

Pharmaindustrie, Medizintechnik, Verwaltung<br />

und sonstige Bereiche.<br />

Berlin und Brandenburg wollen dabei<br />

an die Spitze. Hier soll das innovativste<br />

und leistungsstärkste gesundheitswirtschaftliche<br />

Zentrum der Bundesrepublik<br />

entstehen. Und die beiden Länder sind<br />

auf einem guten Weg: Mehr als 350.000<br />

Beschäftigte, 134.000 in Brandenburg<br />

und 226.000 in Berlin, erwirtschafteten<br />

2009 eine Bruttowertschöpfung von<br />

rund 13,57 Milliarden Euro.<br />

Die ZukunftsAgentur Brandenburg<br />

GmbH (ZAB), einer der drei Partner des<br />

mit dem Masterplan gegründeten Gesundheitsnetzwerkes,<br />

sieht in der Hauptstadtregion<br />

eine einzigartige Forschungsdichte<br />

der Life-Sciences-Industrie.<br />

180 Biotech-, 270 Medizintechniksowie<br />

25 Pharma-Unternehmen schaffen<br />

15.000 hochmoderne Arbeitsplätze. Hinzu<br />

kommen zahlreiche weitere Firmengründungen.<br />

KRANKHEITSSYMPTOM: FACHKRÄFTE<br />

Doch schon zeichnen sich dunkle Wolken<br />

am Horizont der Wachstumsbranche<br />

ab. Bei der jüngsten Umfrage der DIHK<br />

im Frühsommer 2011 bewerteten zwei<br />

Drittel der beschäftigungsintensiven Gesundheits-<br />

und sozialen Dienste den dro-<br />

henden Fachkräftemangel als entscheidendes<br />

Risiko, das den Wachstumsmotor<br />

ins Stocken geraten lassen könnte.<br />

Die Gründe liegen auf der Hand: Medizinisch-technischer<br />

Fortschritt, der höhere<br />

Qualifikation verlangt, Abwanderung<br />

ausgebildeten Personals und Überalterung<br />

der Gesellschaft im Verbund<br />

mit zunehmenden chronischen Erkrankungen.<br />

Das alles generiert eine steigende<br />

Nachfrage an qualifizierten Fachkräften.<br />

Eine jüngst von der Bertelsmann-Stiftung<br />

veröffentlichte Studie weist Berlin<br />

und Brandenburg hinsichtlich der Altersstruktur<br />

ihrer Einwohner sogar einen<br />

traurigen Spitzenplatz zu. Bis 2030 wird<br />

die Zahl der über 80-Jährigen hier um<br />

über 90 Prozent steigen. Und nicht <strong>nur</strong><br />

die Patienten werden älter, auch die Beschäftigten<br />

der Gesundheitsbranche. In<br />

den personalintensiven Bereichen muss<br />

36 WIRTSCHAFT & MARKT 12/11


GESUNDHEITSWIRTSCHAFT BERLIN-BRANDENBURG<br />

schon jetzt der altersbedingte Ersatzbedarf<br />

berücksichtigt werden. Mit im<br />

Durchschnitt jüngeren Mitarbeitern<br />

blicken Medizintechnik und Pharmabranche<br />

gelassener in die Zukunft. Doch<br />

ohne gut ausgebildete, bestens qualifizierte<br />

und motivierte Mitarbeiter wird es<br />

auch für sie schwer, sich im internationalen<br />

Wettbewerb durchzusetzen.<br />

15.000 Studierende in den 88 Gesundheitsstudiengängen<br />

in Berlin-Brandenburg<br />

und 30.000 Auszubildende in einem<br />

der 60 staatlich anerkannten Gesundheitsberufe<br />

decken langfristig nicht<br />

den Bedarf.<br />

Innovative Denkansätze und die Loslösung<br />

von herkömmlichen Strukturen<br />

sind gefragt. Nicht neu, aber immer noch<br />

aktuell: die bessere Vereinbarkeit von Familie<br />

und Beruf, die verstärkte Beschäftigung<br />

älterer Fachkräfte, schnellere Anerkennung<br />

ausländischer Abschlüsse<br />

und eine sinnvoll gesteuerte Zuwanderung.<br />

BETRIEBE MÜSSEN AUSBILDEN<br />

Darin sind sich alle Akteure mit der Politik<br />

zumindest teilweise einig. Ende Juni<br />

verständigten sich Berlin und Brandenburg<br />

für die Altenpflege darauf, ihre<br />

Maßnahmen zur Fachkräftesicherung zu<br />

verstärken. In Berlin kündigte Berlins<br />

damalige Arbeitssenatorin Carola Bluhm<br />

intensive Gespräche mit Pflegeverbänden<br />

und Betrieben über Tarifbindung,<br />

Bezahlung, Arbeitsbedingungen und<br />

Einhaltung des <strong>Mindestlohn</strong>s an und forderte:<br />

»Wir brauchen bessere Ausbildungsangebote«.<br />

Viele Betriebe verzichteten lange Zeit<br />

auf eigene Ausbildung. Sie sahen den<br />

Fachkräftemangel nicht rechtzeitig heraufziehen,<br />

die rechtlichen Einschränkungen<br />

schienen ebenso wie der zeitliche<br />

oder finanzielle Aufwand für die<br />

Ausbildung zu hoch. Eine fatale Fehlentscheidung,<br />

wie sich nun zeigt.<br />

Auch Bluhms Brandenburger Kollege<br />

Günter Baaske sieht die Verantwortung<br />

für eine bessere Ausbildung von Nachwuchskräften<br />

bei den Betrieben: »Politik,<br />

Sozialpartner und Verbände können betriebliche<br />

Defizite in der Personalarbeit<br />

<strong>nur</strong> mildern« erklärte er. Schlüssel zum<br />

Erfolg liegen für ihn in der Schaffung<br />

von mehr Vollzeitstellen, besonders für<br />

Frauen, in der Fortbildung sowie in einem<br />

Gesundheitsmanagement für die<br />

Beschäftigten.<br />

Ein Weg in die richtige Richtung.<br />

Doch Defizite sehen viele in der Branche<br />

auch bei den Auszubildenden selbst.<br />

Magdalena Rösch, Bereichsleiterin an<br />

der Gesundheitsakademie der Charité,<br />

beklagt den Mangel an Basiskompetenzen<br />

wie Zuverlässigkeit, Pünktlichkeit<br />

und Rechtschreibung. Die Noten in<br />

Deutsch und naturwissenschaftlichen<br />

Fächern entsprächen <strong>nur</strong> teilweise den<br />

Anforderungen. Auch eine 2010 von<br />

PriceWaterhouseCooper veröffentlichte<br />

Studie verdeutlicht das Missverhältnis<br />

auf dem Arbeitsmarkt. Ursachen für den<br />

Fachkräftemangel in der Gesundheitswirtschaft<br />

seien auch in der mangelnden<br />

Qualität sowie in der geringen Motivation<br />

und Mobilität der Arbeitnehmer zu<br />

finden.<br />

AN EINEM STRANG<br />

Was also tun? Im November 2011 startete<br />

die ZukunftsAgentur Brandenburg in Zusammenarbeit<br />

mit dem Brandenburger<br />

Wirtschaftsministerium Regionalkonferenzen<br />

zum Thema »Unternehmen<br />

macht Schule«.<br />

»Wirtschaftsförderung ist Teamwork.<br />

Die ZAB steht bereit.« begründet Dr. Steffen<br />

Kammradt, Sprecher der Geschäftsführung,<br />

das Engagement. Auch das Gesundheitsnetzwerk<br />

HealthCapital, die Industrie-<br />

und Handelskammern Berlin<br />

und Potsdam sowie die Urania sind aktiv.<br />

Im März 2012 laden sie bereits zur vierten<br />

Karriere- und Qualifikationsmesse<br />

»Gesundheit als Beruf« nach Berlin ein<br />

und geben Einblick in Ausbildung, Studium,<br />

Weiterbildung sowie Berufschancen<br />

und Berufsbilder. Die sind in<br />

der Tat vielfältig, wie ein Blick in den von<br />

HealthCapital veröffentlichten »Ausbildungs-<br />

und Studienatlas« der Region<br />

AUS- und Weiterbildung ist im Interesse der<br />

Patienten und der eigenen Karriere.<br />

zeigt. Aufgeführt sind alle Ausbildungsund<br />

Studiengänge sowie die Ausbildungsinstitutionen<br />

– mehr Transparenz<br />

geht fast nicht.<br />

Auch vom akademischen Nachwuchs<br />

gibt es Positives zu vermelden: Jährlich<br />

verlassen rund 3.000 Absolventen Life-<br />

Sciences-Studiengänge und angrenzende<br />

Fachgebiete an den Berliner und Brandenburger<br />

Universitäten. Unternehmen<br />

können so aus einem exzellenten Pool an<br />

qualifiziertem Fachpersonal und Nachwuchswissenschaftlern<br />

schöpfen.<br />

Entscheidend ist, dass sie in der Region<br />

gehalten werden. 2008 entschieden<br />

sich 3.065 Mediziner, Deutschland zu<br />

verlassen. Das Flächenland Brandenburg<br />

beklagt einen großen Mangel an medizinischen<br />

Fachkräften. Mit einer finanziellen<br />

Spritze für Ärzte soll dem entgegen<br />

gewirkt werden. In den letzten vier Jahren<br />

flossen insgesamt über 650.000 Euro<br />

in die Förderung zur Ansiedelung von<br />

Praxen in den unterversorgten Regionen.<br />

ENGAGEMENT UND IDEEN GEFRAGT<br />

Die Kassenärztliche Vereinigung Brandenburg<br />

und die Krankenkassen locken<br />

mit bis zu 50.000 Euro je Niederlassung.<br />

Finanzielle Anreize sind das eine, doch<br />

immer noch fehlen 123 Ärzte auf dem<br />

Land. Lösungen, bei denen die Telemedizin<br />

eine große Rolle spielt, sind die<br />

zukunftsweisende Antwort. Und sie sind<br />

bereits vorhanden: Im September startete<br />

zum Beispiel mit dem Carl-Thiem-<br />

Klinikum Cottbus und dem Städtischen<br />

Klinikum Brandenburg/Havel das erste<br />

flächendeckende Netzwerk zur Versorgung<br />

von kardiologischen Hochrisikopatienten.<br />

Auch Brandenburgs Gesundheitsministerin<br />

Anita Tack ist überzeugt, dass<br />

es bereits viele innovative Modelle gibt.<br />

»Für Brandenburg ist es existentiell,<br />

Fachkräfte zu halten und zu gewinnen«<br />

erklärt sie. Damit es noch mehr werden,<br />

startete Ende Oktober der gemeinsam<br />

von Wirtschafts- und Gesundheitsministerium<br />

ausgelobte Ideenwettbewerb<br />

»ProVIEL«. Gesucht werden bis Februar<br />

2012 innovative und marktgerechte Gesundheitsdienste<br />

kleiner und mittelständischer<br />

Unternehmen, die mit Krankenhäusern,<br />

Reha-Kliniken oder Ärzten die<br />

Patientenversorgung verbessern, den<br />

Ressourceneinsatz optimieren und die<br />

Gesundheitskosten senken.<br />

Es gibt sie also, die Lösungsansätze.<br />

Wenn dann noch die Rahmenbedingungen<br />

stimmen und alle Akteure an einem<br />

Strang ziehen, wird der Wachstumsmotor<br />

Gesundheitswirtschaft in der Region<br />

Berlin-Brandenburg nicht besorgniserregend<br />

ins Stottern geraten.<br />

WIRTSCHAFT & MARKT 12/11 37


W&M-EXTRA<br />

Demografischer Wandel und die Folgen<br />

Attraktive Bedingungen schaffen<br />

Anita Tack (Die LINKE), Ministerin für Umwelt, Gesundheit und Verbraucherschutz<br />

des Landes Brandenburg, über die Fachkräftesituation in der Gesundheitsbranche<br />

W&M: Frau Ministerin, Brandenburg und<br />

Berlin wollen sich an die Spitze der Gesundheitsregionen<br />

setzen. Was kann die Politik<br />

tun, um den Fachkräftebedarf zu decken?<br />

TACK: Das Thema Fachkräfte nimmt im<br />

Masterplan »Gesundheitsregion Berlin-<br />

Brandenburg« einen wichtigen Platz ein.<br />

Und die »Beschäftigtenstrukturanalyse<br />

der Berlin-Brandenburger Gesundheitswirtschaft«<br />

– sie wurde von HealthCapital<br />

und der LASA Brandenburg GmbH im<br />

vergangenem Jahr veröffentlicht – zeigt<br />

uns genau den zukünftigen Bedarf an<br />

Fachkräften auf, insbesondere im Bereich<br />

Pflege. Die Ergebnisse und die<br />

Handlungsempfehlungen sind fester Bestandteil<br />

unserer Arbeit. Wir haben zudem<br />

ein ganzes Bündel von Maßnahmen<br />

ergriffen, um Ärzten attraktive Bedingungen<br />

in Brandenburg zu bieten: Von<br />

gemeinsamen Veranstaltungen mit der<br />

Charité, in denen wir Medizinstudierende<br />

für Brandenburg interessieren wollen,<br />

über Weiterbildungspakete »aus einer<br />

Hand« für künftige Hausärzte sowie<br />

Sicherstellungszuschläge, Umsatzgarantien<br />

und zukunftsweisende Unterstützungsmodelle<br />

(AGNES und AGNES zwei)<br />

bis hin zu unserem gemeinsamen Webportal<br />

www.arzt-in-brandenburg.de, das<br />

alles Wissenswerte schnell und kompetent<br />

zur Verfügung stellt. Verweisen<br />

möchte ich auch auf den aktuellen<br />

Ideenwettbewerb ProVIEL. Das Wirtschafts-<br />

und das Gesundheitsministerium<br />

des Landes Brandenburg haben gemeinsam<br />

Ende Oktober einen Ideenwettbewerb<br />

ausgelobt, in dem innovative<br />

Dienstleistungen zur ambulanten und<br />

stationären Patientenversorgung unter<br />

Einsatz neuester Technologien gesucht<br />

werden. Die Zusammenarbeit von Ärzten,<br />

den Pflegeberufen und den anderen<br />

Gesundheitsfachberufen muss sich weiter<br />

verbessern. In einem System integrierter<br />

Versorgung werden sich innovative<br />

Dienstleistungen positiv auswirken.<br />

W&M: Wie stellen sich die Brandenburger Gesundheitsunternehmen<br />

den Herausforderungen<br />

des demografischen Wandels?<br />

TACK: Hier gibt es regionale Unterschiede.<br />

Und leider ist das Problembewusstsein<br />

dafür auch sehr unterschiedlich entwickelt.<br />

So ist der Pflegekräfte- und Ärztemangel<br />

in vielen ländlichen Regionen<br />

schon heute ein Thema. Wenn Unternehmen<br />

selbst betroffen sind, wenn sie zum<br />

Beispiel einen hohen Anteil älterer Mitarbeiter<br />

haben oder vergeblich nach Azubis<br />

suchen, erst dann machen sie sich<br />

darüber Gedanken. Hier brauchen wir<br />

ein Umdenken. Infolge der Alterung der<br />

Belegschaften werden die Unternehmen<br />

zukünftig verstärkt auch ältere Mitarbeiter<br />

beschäftigen und sich um den Ersatz<br />

für ausscheidende Mitarbeiter stärker<br />

bemühen müssen. Ansätze hierzu gibt es<br />

bereits, so Maßnahmen, die die Arbeitsbelastung<br />

vermindern helfen oder dazu<br />

beitragen, dass Beschäftigte länger leistungsfähig<br />

bleiben, aber auch Anstrengungen<br />

zur besseren Vereinbarkeit von<br />

Familie und Beruf. Best practice Modelle<br />

werden kommuniziert und nachgefragt.<br />

W&M: In welchen Berufen und Branchensegmenten<br />

rechnen Sie mit dem größten Bedarf<br />

an qualifiziertem Personal?<br />

TACK: In keiner anderen Branche Berlin-<br />

Brandenburgs wird der aktuelle und der<br />

zu erwartende Fachkräftebedarf so hoch<br />

ausfallen wie in der Gesundheitswirtschaft.<br />

Die Zahl der Beschäftigten wird<br />

in den Krankenhäusern, den Einrichtungen<br />

des Sozialwesens, den Praxen und<br />

auch in Forschung und Entwicklung steigen.<br />

Gerade als Gesundheitsministerin<br />

gilt mein Augenmerk natürlich der Sicherstellung<br />

der gesundheitlichen Versorgung,<br />

der ich mich verpflichtet sehe.<br />

W&M: Was macht für junge Leute eine Karriere<br />

in der Gesundheitsbranche attraktiv?<br />

TACK: Wer hier einsteigt, setzt eigentlich<br />

auf eine sichere Bank, denn die Gesundheitswirtschaft<br />

ist weniger konjunkturabhängig<br />

als andere Branchen. Die Nachfrage<br />

nach Arbeitskräften ist groß und<br />

wird weiter steigen. Und durch den<br />

wachsenden Wettbewerb um die zukünftig<br />

zur Verfügung stehenden Beschäftigten<br />

werden sich auch die Rahmenbedingungen<br />

in der Branche verbessern.<br />

W&M: Welche Bedeutung hat die Gesundheitswirtschaft<br />

für den gesamten Arbeitsmarkt<br />

in Brandenburg?<br />

TACK: Die Gesundheitswirtschaft ist für<br />

die Entwicklung des Berlin-Brandenburger<br />

Arbeitsmarkts von herausragender<br />

Bedeutung. Sie zeichnet sich seit Jahren<br />

durch ein überdurchschnittliches<br />

Wachstum aus und unterliegt, wie bereits<br />

erwähnt, auch deutlich weniger als<br />

andere Wirtschaftszweige konjunkturellen<br />

Schwankungen. Aufgrund des wachsenden<br />

Anteils älterer Menschen an der<br />

Bevölkerung ist eine weitere Zunahme<br />

der Leistungen dieses personalintensiven<br />

Wirtschaftszweiges zu erwarten. Arbeitsmarktstrukturdaten<br />

zeigen: Die Gefahr<br />

ist groß, dass Beschäftigungsmöglichkeiten<br />

mittelfristig ungenutzt bleiben und<br />

die Branchenentwicklung aufgrund fehlenden<br />

Fachpersonals ins Stocken gerät.<br />

Hier müssen alle aktiv zusammenarbeiten,<br />

Betriebe, Gesundheitspolitik, aber<br />

auch Verbände und Netzwerke.<br />

W&M: Ist die Telemedizin geeignet, Engpässe<br />

zu überbrücken, die sich besonders in einem<br />

Flächenland wie Brandenburg auftun?<br />

TACK: Das ist sie in der Tat. Zukünftig<br />

werden Hausärzte ihre Patienten neben<br />

der Sprechstunde auch telemedizinisch<br />

betreuen. Die nicht-ärztlichen Praxisassistentinnen<br />

– wie die aus den AGNES-<br />

Modellprojekten hervorgegangene »Gemeindeschwester«<br />

jetzt bezeichnet wird<br />

– nutzen die digitale Verbindung, um bei<br />

Hausbesuchen gewonnene Daten und Informationen<br />

an den Hausarzt zu übermitteln.<br />

Die Verbesserung der hausärztlichen<br />

Versorgung und die stärkere Vernetzung<br />

zwischen den Krankenhäusern<br />

mittels Telemedizin ist auch ein Standortargument.<br />

So steigt die Attraktivität<br />

Berlin-Brandenburgs als Standort für Medizintechnik,<br />

die internationale Wettbewerbsfähigkeit<br />

wird verbessert.<br />

38 WIRTSCHAFT & MARKT 12/11


GESUNDHEITSWIRTSCHAFT BERLIN-BRANDENBURG<br />

Schulen, Bildungswerke, Akademien<br />

Orte lebenslangen Lernens<br />

Sechzig verschiedene Berufe in den Bereichen Pflege und Therapie, kaufmännische Verwaltung,<br />

Technik und Handwerk sowie Wellness, Tourismus und Handel nennt der von Health Capital<br />

herausgegebene Ausbildungsatlas »Gesundheit in Berlin und Brandenburg«.<br />

Wir stellen fünf von etwa 130 Aus- und Weiterbildungsstätten vor.<br />

PRENZLAU<br />

Auf festen Füßen<br />

Die Medizinische Schule Uckermark<br />

e.V. bildet auch Podologen aus.<br />

Seit 1956 werden in Prenzlau professionelle<br />

Pflegekräfte ausgebildet, zunächst<br />

im klassischen Beruf der Krankenpflege.<br />

Heute ist die Medizinische Schule Uckermark<br />

eine staatlich anerkannte Schule<br />

für Gesundheits- und Krankenpflege, Gesundheits-<br />

und Krankenpfleghilfe sowie<br />

Altenpflege.<br />

Und ein weiterer, sehr gefragter medizinischer<br />

Beruf wird dort in zweijähriger<br />

Ausbildung gelehrt: Die Medizinische<br />

Schule Uckermark ist die einzige staatlich<br />

anerkannte Einrichtung im Land<br />

Brandenburg, in der Podologen ausgebildet<br />

werden. Zwei Klassen haben die Schule<br />

gerade absolviert, eine neue gibt es<br />

derzeit nicht. »Leider«, sagt Ilona Thiedig,<br />

die stellvertretende Schulleiterin.<br />

»Es gab Anfragen, aber zu wenige, um die<br />

vorgeschriebene Klassenstärke von mindestens<br />

15 Schülern zu erreichen.« Podologen<br />

werden in der Praxis dringend<br />

benötigt, doch oft scheitert eine Ausbildung<br />

an der Finanzierung. Podologische<br />

Praxen stellen lieber fertig ausgebildete<br />

Mitarbeiter ein, statt sich den Nachwuchs<br />

selbst heranzuziehen. Die Ausbildung<br />

hat einen hohen Theorieanteil, die<br />

Schüler stehen für die praktische Arbeit<br />

im Ausbildungsbetrieb nicht oft zur Verfügung.<br />

»Podologen brauchen umfangreiches<br />

Expertenwissen, zum Beispiel auf orthopädischem<br />

und dermatologischem<br />

Gebiet«, sagt Ilona Thiedig, »Ihr Aufgabenbereich<br />

geht weit über kosmetische<br />

Maßnahmen hinaus. Sie behandeln auf<br />

ärztliches Rezept, beispielsweise die<br />

Fußleiden von Diabetikern oder Nierenpatienten.<br />

Sie fertigen auch selbständig<br />

Orthesen zur Korrektur von Fehlstellungen<br />

an.«<br />

15 Lehrkräfte, durch die Bank Frauen,<br />

bilden derzeit etwa 300 Schüler, die<br />

meisten weiblich, zu Gesundheits- und<br />

Kranken- sowie Altenpflegern aus. Außerdem<br />

gibt es ein anspruchsvolles Fortund<br />

Weiterbildungsprogramm.<br />

Um Enttäuschungen vorzubeugen,<br />

können sich Interessenten bei regelmäßigen<br />

Informationsveranstaltungen ein<br />

detailliertes Bild von ihrem angestrebten<br />

Beruf machen und bei Eignungstests<br />

oder vorschulischen Praktika prüfen lassen.<br />

Und sich selbst genau prüfen – die<br />

Motivation muss für ein langes, oft strapaziöses<br />

Berufsleben reichen.<br />

Alle Absolventen des Jahrgangs 2011<br />

konnten, nach bestandenen Prüfungen,<br />

als examinierte Fachkräfte voll in den Arbeitsprozess<br />

einsteigen.<br />

DIE SCHULE für Gesundheitsberufe Ernst von Bergmann, Potsdam, bildet Pflegefachkräfte aus.<br />

POTSDAM<br />

Gut motiviert<br />

Das Brandenburgische Bildungswerk<br />

für Medizin und Soziales e.V. vermittelt<br />

moderne Handlungskompetenz.<br />

»Wir wollen, dass Sie etwas können,<br />

wenn Sie dürfen oder müssen.« So heißt<br />

der Leitspruch des Brandenburgischen<br />

Bildungswerks für Medizin und Soziales<br />

(BBW) in Potsdam, das zu Beginn der<br />

1990er Jahre aus der Bezirksakademie<br />

des Gesundheits- und Sozialwesens hervorging.<br />

Etwas können: Gemäß der Satzung<br />

wird Berufseinsteigern und -aufsteigern<br />

Handlungskompetenz für den Arbeitsalltag<br />

vermittelt, praxisnah und auf der<br />

Höhe der Zeit. Doch es geht nicht allein<br />

um Fachwissen. Ebenso wichtig ist den<br />

Lehrkräften, dass ihre Schülerinnen und<br />

Schüler sich Tag für Tag aufs neue für<br />

ihre verantwortungsvollen Aufgaben<br />

und ein Leben lang fürs Weiterlernen<br />

motivieren.<br />

Christoph Ritscher, einer der beiden<br />

bestellten Geschäftsführer, sieht eine besondere<br />

Stärke des Bildungswerks in der<br />

engen Verzahnung von Theorie und Praxis.<br />

Er legt Wert darauf, dass die mehr<br />

als 200 Dozentinnen und Dozenten fest<br />

im praktischen Berufsleben verwurzelt<br />

sind: »Da kommt der Notarzt direkt nach<br />

seinem Dienst in die Klasse, um angehende<br />

Rettungsassistenten zu unterrichten.«<br />

Auch in den Fachkabinetten, für Sterilisationsassistenz<br />

oder für Pflege etwa,<br />

wird für den Berufsalltag trainiert. Und<br />

für den Ernstfall. »Im Rettungs-Simulations-Kabinett«,<br />

sagt Ritscher, »wird<br />

nicht <strong>nur</strong> die stabile Seitenlage geübt. Da<br />

geht es richtig zur Sache, es wird Druck<br />

erzeugt, Stress aufgebaut. Die Schüler<br />

müssen lernen, damit umzugehen.«<br />

Gerade wegen der engen Verbindung<br />

von Theorie und Praxis haben zahlreiche<br />

Brandenburger und Berliner Gesundheits-<br />

und Sozialeinrichtungen Kooperationsverträge<br />

mit dem Bildungswerk<br />

abgeschlossen, um dort ihr Fachpersonal<br />

WIRTSCHAFT & MARKT 12/11 39


W&M-EXTRA<br />

aus-, weiter- und fortbilden zu lassen –<br />

zum Beispiel Angehörige der Krankenpflegeberufe<br />

in der Anästhesie- und Intensivpflege,<br />

in den operativen Diensten,<br />

der Onkologie und der Kinder- und Jugendpsychiatrie.<br />

In der Erstausbildung<br />

sind die Operationstechnische Assistenz<br />

und die Heilerziehungspflege sehr gefragt.<br />

Für 2012 ist erstmals eine dreijährige<br />

Ausbildung in Anästhesietechnischer<br />

Assistenz geplant.<br />

Seit Jahren kooperiert das Bildungswerk<br />

mit dem Bildungszentrum der IHK<br />

Potsdam in der Aufstiegsfortbildung<br />

zum Fachwirt im Sozial- und Gesundheitswesen.<br />

Jüngst wurde die Zusammenarbeit<br />

mit der Steinbeis-Hochschule<br />

Berlin besiegelt: Erstmals wird Nachwuchsführungskräften<br />

aus dem Gesundheits-<br />

und Sozialbereich ein berufsbegleitendes<br />

Studium zum Bachelor of Arts in<br />

Business Administration angeboten.<br />

Das BBW gehört heute zu den führenden<br />

Bildungsanbietern für Gesundheitsund<br />

Sozialberufe nicht <strong>nur</strong> in Berlin und<br />

Brandenburg, sondern – vor allem in der<br />

Fach- und Sachkundeausbildung für Sterilgutversorgung<br />

– auch bundesweit.<br />

NEURUPPIN<br />

Türen öffnen<br />

Eine Stärke der AGUS/GADAT Weiterbildungsakademie<br />

liegt in der Qualifizierung<br />

von Pflegefachkräften.<br />

Tänze im Sitzen für Menschen mit Demenz.<br />

Biographisches Arbeiten mit gerontopsychiatrisch<br />

erkrankten Menschen.<br />

Türöffnendes Verhalten bei Men-<br />

GELERNTwird zunächst am Modell.<br />

schen mit Demenz. Beratung und Zusammenarbeit<br />

mit Angehörigen. Umgang<br />

mit aggressivem Verhalten. Der<br />

heilsame Einsatz von Märchen in der Arbeit<br />

mit Demenzerkrankten.<br />

Viele Fortbildungsangebote der AGUS/<br />

GADAT Weiterbildungsakademie in Neuruppin<br />

lesen sich wie eine Reaktion auf<br />

die aktuelle Bertelsmann-Studie, die eine<br />

»Vergreisung« Brandenburgs und Berlins<br />

in den nächsten zwanzig Jahren prognostiziert.<br />

Danach wird bis zum Jahr 2030<br />

die Zahl der Hochbetagten in Berlin und<br />

Brandenburg im Vergleich zum Bundesgebiet<br />

besonders stark zunehmen. Doch<br />

Lehrgänge dieser Art gab es in Neuruppin<br />

schon zuvor.<br />

»Eine unserer Stärken ist seit eh und<br />

je die Fort- und Weiterbildung in der<br />

Pflege«, sagt Kajus Riese, der kommissarische<br />

Leiter der Weiterbildungsakademie.<br />

»Der steigende Bedarf ist seit längerer<br />

Zeit nicht zu übersehen. Immer mehr<br />

Menschen werden in Pflegeeinrichtungen<br />

betreut. Und gerade Demenz und Gerontopsychiatrie<br />

sind wichtige Themen.<br />

Die Lehrgänge, die wir dazu veranstalten,<br />

werden am stärksten nachgefragt.«<br />

Vor zehn Jahren hätten diese Themen in<br />

der Ausbildung noch keine so große Rolle<br />

gespielt, verschiedene moderne Betreuungskonzepte<br />

seien damals wenig<br />

bekannt gewesen. »Heute sind solche<br />

Konzepte fester Bestandteil der Ausbildung.<br />

Aber wer schon jahrelang in einem<br />

Pflegeberuf arbeitet, sollte sein Wissen<br />

nun auf den neuesten Stand bringen.«<br />

Einige der Fortbildungsangebote beschränken<br />

sich auf wenige Stunden oder<br />

Tage. Die AGUS/GADAT betreibt aber<br />

auch eine staatlich anerkannte Einrichtung<br />

zur Weiterbildung von Fachkräften<br />

für die gerontopsychiatrische Betreuung<br />

und Pflege – eine von wenigen im Land<br />

Brandenburg. Pflegefachkräfte und Heilerziehungspfleger,<br />

die über mindestens<br />

zwei Jahre Berufserfahrung verfügen,<br />

können sich dort in 720 Unterrichtsstunden<br />

zur Fachkraft für Gerontopsychiatrie<br />

qualifizieren.<br />

Hunderte Interessenten nehmen in jedem<br />

Jahr solche und andere Fort- und<br />

Weiterbildungsangebote der Akademie<br />

wahr. Sie kommen aus Gesundheits- und<br />

Sozialeinrichtungen der weiteren Neuruppiner<br />

Umgebung, aus der ambulanten<br />

Hauskrankenpflege, aus Seniorenstätten,<br />

Kindertagesstätten, der öffentlichen<br />

Verwaltung.<br />

Ein verzweigtes Netzwerk ermöglicht<br />

es der Akademie, freie Dozenten zu engagieren,<br />

die hauptberuflich in angesehenen<br />

Gesundheitseinrichtungen beschäftigt<br />

sind. »So betreut zum Beispiel eine<br />

Ergotherapeutin, die in zwei Seniorenheimen<br />

angestellt ist, einige unserer Kurse«,<br />

sagt Kajus Riese. »Durch Experten<br />

wie sie hat unser Fort- und Weiterbildungsprogramm<br />

einen starken Bezug<br />

zur Praxis. Darauf legen wir großen<br />

Wert.«<br />

POTSDAM<br />

Praxis im Team<br />

Das Klinikum Ernst von Bergmann<br />

betreibt eine renommierte Schule<br />

für Gesundheitsberufe.<br />

Zweimal im Jahr, im April und Oktober,<br />

beginnen an der Schule für Gesundheitsberufe<br />

neue Ausbildungsgänge. Ab<br />

Herbst 2012 ist eine Veränderung in der<br />

Ausbildung der Pflegeberufe geplant. Die<br />

derzeit noch getrennten Ausbildungsgänge<br />

der Gesundheits- und Krankenpflege<br />

sowie der Gesundheits- und Kinderkrankenpflege<br />

werden Y-förmig zusammengeführt:<br />

Eine zweijährige<br />

gemeinsame pflegerische Grundlagenausbildung<br />

führt im dritten Jahr in die<br />

jeweilige Spezialisierung. Mit dem Ende<br />

der Ausbildung haben die Absolventen<br />

den »traditionellen« Abschluss als Gesundheits-<br />

und Krankenpfleger oder als<br />

Gesundheits- und Kinderkrankenpfleger.<br />

Sabine Mallißa, die Leiterin des Ausbildungsbereichs,<br />

hält die Veränderungen<br />

für zeitgemäß: »Die Gemeinsamkeiten<br />

beider Berufe sind stärker als die Unterschiede.<br />

Die jeweilige Berufsspezifik<br />

bleibt natürlich erhalten. Denn Kinder<br />

sind nun mal keine kleinen Erwachsenen,<br />

sondern haben ganz eigene Bedürfnisse.<br />

Der erwachsene Patient mit seinen<br />

Erkrankungen wird in der Ausbildung<br />

gleichermaßen berücksichtigt.«<br />

Insgesamt erlernen an der Schule derzeit<br />

275 junge Menschen einen Pflegeberuf.<br />

Und noch, sagt Sabine Mallißa, könne<br />

die Schule unter sehr guten Bewerbern<br />

auswählen, die sich für die<br />

Ausbildung an der renommierten Einrichtung<br />

und den mit ihr kooperierenden<br />

Kliniken in Nauen, Rathenow, Hennigsdorf,<br />

Oranienburg, Birkenwerder,<br />

Potsdam, Ludwigsfelde und Schwedt interessieren.<br />

Doch gerade die guten Bewerber<br />

können sich ihrerseits aussuchen,<br />

wo sie lernen oder später arbeiten<br />

möchten. Immer stärker spielen auch die<br />

Höhe der Ausbildungsvergütung und des<br />

künftigen Gehalts eine Rolle.<br />

Die durch die geburtenschwachen<br />

Jahrgänge verursachten Probleme sieht<br />

Sabine Mallißa auch auf ihre Schule zukommen.<br />

Bei der Bewerberzahl für den<br />

zweiten Bereich der Ausbildung, die Medizinisch-technischen<br />

Assistenzberufe,<br />

zeichnen sie sich bereits ab. »Im Gegensatz<br />

zur dualen Ausbildung in den<br />

Pflegeberufen gibt es für die rein schulische<br />

Ausbildung zum Laboratoriumsoder<br />

Radiologieassistenten keine Ausbildungsvergütung.<br />

Da müssen die Eltern<br />

in die Zukunft ihrer Kinder investieren,<br />

40 WIRTSCHAFT & MARKT 12/11


GESUNDHEITSWIRTSCHAFT BERLIN-BRANDENBURG<br />

MODERN<br />

AUSGESTATTET<br />

sind die Lehrkabinette<br />

für den<br />

theoretischen<br />

Unterricht.<br />

Fotos: Klinikum Ernst von Bergmann, AGUS/GADAT<br />

und das kann sich nicht jede Familie leisten.«<br />

Die Ausbildungskapazität für Assistenzberufe<br />

beträgt 120 Plätze.<br />

Durch die enge Verbindung zum Klinikum<br />

Ernst von Bergmann gestaltet sich<br />

die Ausbildung sehr praxisnah. Auch die<br />

Kooperation mit dem Brandenburgischen<br />

Bildungswerk für Medizin und Soziales<br />

bei der Ausbildung Operationstechnischer<br />

Assistentinnen und Assistenten<br />

profitiert davon. Die Schule für<br />

Gesundheitsberufe verfügt über sehr modern<br />

ausgestattete Laboratoriums- und<br />

Röntgenkabinette. Und im Computerkabinett<br />

werden nicht <strong>nur</strong> die Medizinischtechnischen<br />

Assistenten unterrichtet,<br />

sondern auch die zukünftigen Pflegefachkräfte.<br />

»Wir sind dabei, die beiden<br />

Bereiche enger zu verknüpfen«, sagt die<br />

Schulleiterin. »In den Kliniken wird<br />

schließlich auch im Team gearbeitet.«<br />

BERLIN/BRANDENBURG<br />

Telemedizin<br />

Die Akademie der Gesundheit<br />

Berlin/Brandenburg e.V. ist an drei<br />

Standorten aktiv.<br />

»Die Länder Berlin und Brandenburg bilden<br />

in der Gesundheitsbranche eine Einheit«,<br />

sagt Jens Reinwardt. »Deshalb finde<br />

ich es ganz selbstverständlich, dass<br />

unsere Akademie Standorte in diesen<br />

Bundesländern hat, nämlich in Berlin-<br />

Buch, in Eberswalde und in Bad Saarow.«<br />

Reinwardt ist Geschäftsführer und Leiter<br />

der Akademie der Gesundheit Berlin/<br />

Brandenburg e. V., einer der größten privaten<br />

staatlich anerkannten Bildungseinrichtungen<br />

für pflegerische, therapeutische<br />

und medizintechnische Gesundheitsberufe<br />

in Deutschland, die sich<br />

als Zentrum für lebenslanges Lernen versteht.<br />

In zwölf Ausbildungsberufen, darunter<br />

Gesundheits- und Krankenpflege, Gesundheits-<br />

und Kinderkrankenpflege, Altenpflege,<br />

Masseur/medizinischer Bademeister,<br />

Ergo- und Physiotherapie,<br />

Operationstechnische Assistenz, Medizinisch-<br />

technische Radiologie-, Laboratoriums-<br />

und Funktionsdiagnostische Assistenz,<br />

werden dort junge Menschen ausgebildet.<br />

Dazu kommt ein vielfältiges Angebot<br />

für die fachspezifischen Weiterbildungen.<br />

Fortbildungsseminare werden auf<br />

Wunsch »mobil« auch direkt in medizinischen<br />

oder sozialen Einrichtungen<br />

durchgeführt.<br />

Seit knapp zwei Jahren bietet die Akademie<br />

als Studienzentrum der Steinbeis-<br />

Hochschule Berlin außerdem die Möglichkeit<br />

eines berufsbegleitenden Studiums.<br />

Der Bachelor-Studiengang ist auf<br />

das Management im Gesundheits- und<br />

Sozialwesen ausgerichtet.<br />

Das jüngste Vorhaben beschäftigt sich<br />

mit einem neuen Zweig der Medizin –<br />

der Telemedizin. Es wird vom Bundesministerium<br />

für Bildung und Forschung gefördert.<br />

Die Akademie der Gesundheit Berlin/Brandenburg<br />

ist einer von vielen nationalen<br />

Partnern dieses Projekts. Sie soll<br />

vor allem zur Vorbereitung von Weiterbildungsangeboten<br />

und Zusatzqualifikationen<br />

beitragen, damit telemedizinische<br />

Konzepte erfolgreich in die Regelversorgung<br />

überführt werden können.<br />

»In einem ersten Schritt«, sagt Reinwardt,<br />

»werden Anwendungsmöglichkeiten<br />

von Telemedizin erfragt und Anpassungen<br />

der Rahmenqualifikationen an<br />

die bestehende telemedizinische Gerätenutzung<br />

vorgenommen. Experten der<br />

mit uns kooperierenden Gesundheitsund<br />

Sozialeinrichtungen werden dazu<br />

befragt. Bereits jetzt kristallisiert sich<br />

heraus, dass in den Fachgebieten Onkologie,<br />

Intensivtherapie und Nephrologie<br />

denkbare Einsatzgebiete liegen könnten<br />

– gerade in Flächenländern, zu denen<br />

Brandenburg bekanntlich zählt.«<br />

Noch stünden sie am Anfang der Befragungen,<br />

so Jens Reinwardt. Vorbehalte,<br />

dass gerade ältere Patienten mit telemedizinischer<br />

Betreuung, vor allem mit<br />

der Handhabung der notwendigen Technik,<br />

überfordert sein könnten, hält er für<br />

unbegründet: »Es tut den Menschen gut,<br />

aktiv Verantwortung für ihre Gesundheit<br />

zu übernehmen, statt sich <strong>nur</strong> passiv behandeln<br />

zu lassen.«<br />

Im Frühjahr 2012 soll eine erste Pilotphase<br />

des Projekts starten.<br />

WIRTSCHAFT & MARKT 12/11 41


W&M-EXTRA<br />

Fotos: PictureDisk<br />

Beruf mit Tradition und Zukunft<br />

Pflege im Wandel<br />

Mit rund 712.000 Beschäftigten stellen die Gesundheits- und Krankenpfleger die größte Gruppe<br />

unter den Gesundheitsdienstberufen. Der Bedarf steigt, doch wie steht es um Ausbildung,<br />

Arbeitsbedingungen und Perspektiven?<br />

Florence Nightingale, Begründerin<br />

der modernen Krankenpflege, opferte<br />

sich für ihre Patienten auf –<br />

und war stets bereit zu einem aufmunternden<br />

Gespräch. Die Realität 2012 in<br />

Krankenhäusern, ambulanten oder (teil-)<br />

stationären Pflegeeinrichtungen sieht<br />

anders aus: Personalmangel, anstrengender<br />

Schichtdienst, kaum Zeit für ein<br />

Wort. Und dazu eine Vergütung, die der<br />

Verantwortung wenig gerecht wird.<br />

Auch wenn von 1995 bis 2008 die Zahl<br />

der Absolventen von 16.651 auf 13.889<br />

sank: Die Ausbildung ist gefragt. Rund<br />

750 Bewerbungen auf 80 Plätze erhielt<br />

die Gesundheitsakademie der Berliner<br />

Charité im Oktober 2011, meist von Frauen.<br />

Auch heute noch ist <strong>nur</strong> jede zehnte<br />

Fachkraft männlich.<br />

Was treibt junge Menschen an, solch<br />

eine Ausbildung zu beginnen? Arbeitsplatzsicherheit<br />

allein kann es nicht sein,<br />

auch wenn der Beruf zu jenen mit den<br />

besten Zukunftsaussichten gehört. Also<br />

der Wunsch, kranke und pflegebedürftige<br />

Menschen zu betreuen? In der Tat,<br />

auch heute noch motiviert die Aussicht<br />

auf eine sinnvolle Aufgabe dazu, die dreijährige<br />

Ausbildung an einer Berufsfachschule<br />

nebst zahlreichen Praktika zu absolvieren.<br />

Hinzu kommen die Bandbreite<br />

interessanter Aufgaben sowie vielfältige<br />

Qualifizierungsmöglichkeiten.<br />

Spezialisierungswege reichen von der<br />

Hygienefachkraft oder Study-Nurse über<br />

den Case Manager und die Public Health<br />

Nurse bis hin zur Familien- oder Schulgesundheitspflege.<br />

Chancen zum Aufstieg<br />

bietet unter anderem der Fachwirt im<br />

Sozial- und Gesundheitswesen. Magdalena<br />

Rösch, Leiterin des Bereichs Gesundheit<br />

und Krankenpflege an der Gesundheitsakademie<br />

der Charité, sieht darüber<br />

hinaus eine zunehmende Akademisierung<br />

des Berufs: »Gemeinsam mit der<br />

Evangelischen Hochschule Berlin bieten<br />

wir einen Bachelor in Pflege an.«<br />

Doch nicht selten steigen Fachkräfte<br />

vor Ende ihres Arbeitslebens aus. Zu<br />

hoch ist die seelische und körperliche Belastung.<br />

Laut Statistischem Bundesamt<br />

verblieben 2005 <strong>nur</strong> rund drei Viertel aller<br />

Gesundheits- und Krankenpflegekräfte<br />

in ihrem Beruf. Zugleich sank der<br />

Anteil an Vollzeitkräften. Jede vierte Gesundheits-<br />

und Krankenpflegekraft in<br />

den Brandenburger Krankenhäusern arbeitete<br />

2009 Teilzeit. Oft, so Johanna<br />

Knüppel, Pressereferentin des Deutschen<br />

Bundesverbandes für Pflege (DBfK), sei<br />

dies der <strong>Einstieg</strong> in den Ausstieg. Sie<br />

spricht sogar von »Berufsflucht«. So<br />

klafft die Schere zwischen Angebot und<br />

Nachfrage immer weiter auseinander.<br />

Ein neues Gesetz brachte 2004 die Erweiterung<br />

des traditionellen Berufsbildes<br />

um gesundheitsorientierte Aspekte wie<br />

Pflegeberatung, -überleitung und -prävention.<br />

Heute sind die Meinungen über<br />

den Erfolg geteilt. Während die Mehrzahl<br />

der Krankenhäuser konkrete Qualifikationssteigerungen<br />

sieht, schätzen<br />

Pflegeschulen den Nutzen eher gering<br />

KINDER brauchen spezielle Pflege.<br />

DIE NACHFOLGER von Florence Nightingale üben einen anspruchsvollen Beruf aus.<br />

ein. Im medizinischen Alltag sei zu wenig<br />

Zeit, die angestrebten Inhalte umzusetzen.<br />

Einigkeit besteht darin, dass die Rahmenbedingungen<br />

für die Gesundheitsund<br />

Krankenpflege attraktiver gestaltet<br />

werden müssen. »Wichtig ist eine leistungs-<br />

und verantwortungsgerechte Vergütung«,<br />

so Johanna Knüppel vom DBfK.<br />

Der hohe Frauenanteil erfordert flexible<br />

Arbeitszeiten. Ein Forschungsteam der<br />

TU Berlin will mit einer internationalen<br />

Studie Ursachen und Folgen der Arbeitssituation<br />

aufzeigen. Wenn künftig Faktoren<br />

wie Mitarbeiterzufriedenheit in<br />

die Einsatzplanung einfließen, wird dies<br />

einen positiven Einfluss auf die Qualität<br />

der Patientenversorgung haben. Dann ist<br />

das Beispiel Florence Nightingales doch<br />

nicht mehr so weit entfernt von dem,<br />

was den Beruf der Gesundheits- und<br />

Krankenpflege heute ausmacht.<br />

42 WIRTSCHAFT & MARKT 12/11


SPECIAL<br />

Sonderveröffentlichung<br />

Vorgestellt: German Technologies Center e.V.<br />

Mittelstand goes Asia<br />

Immer mehr deutsche Unternehmen verstärken ihre Präsenz in den<br />

asiatischen Staaten, insbesondere in der Volksrepublik China.<br />

Dieser Trend lässt sich nicht <strong>nur</strong> bei Großunternehmen<br />

beobachten, sondern spielt inzwischen auch im Mittelstand eine<br />

wichtige Rolle. Genau diese mittelgroßen Unternehmen haben ungefähr 90%<br />

der Technologien aus Deutschland in der Hand.<br />

Die chinesischen Märkte zeichnen sich durch ein<br />

enormes Potential und ein rasantes Wachstum<br />

aus. Sie sind noch weit von einer Sättigung<br />

entfernt. Offiziellen Angaben zufolge erwirtschafteten<br />

die staatseigenen und großen privaten<br />

Unternehmen im Land bislang einen Gewinn in<br />

Höhe von 2,8 Billionen RMB. Gegenüber dem<br />

Vorjahreszeitraum bedeutet dies ein Wachstum<br />

von28,3Prozent.ChinaistfünftgrößterInvestor<br />

weltweit. In 2010 sind Chinas direkte Auslandsinvestitionen<br />

auf 67,8 Milliarden US-Dollar gestiegen.<br />

Das waren über 40 Prozent mehr als im<br />

Vorjahr und der Trend hält an.<br />

SCHWERPUNKTBRANCHEN<br />

Beispiel Umwelttechnologie & Energiewirtschaft:<br />

Um ein nachhaltiges Wirtschaftswachstum zu<br />

erreichen, setzt die chinesische Regierung zunehmend<br />

auf „Grüne Technologien“, womit die<br />

Themen Energieeffizienz und -einsparung in der<br />

bilateralen Kooperation an Bedeutung gewonnen<br />

haben. Deutschland ist aufgrund seiner Vorreiterrolle<br />

und reichen Erfahrung bei der Nutzung<br />

der Wind- und Solarenergie ein sehr gefragter<br />

Gesprächs- und Wirtschaftspartner. Eine Vernetzung<br />

zwischen den Experten und Unternehmen<br />

beider Länder soll dies voranbringen.<br />

Beispiel Nukleare Sicherheit und Katastrophenschutz:<br />

China sieht sich permanent von geologischen<br />

Katastrophen bedroht. Laut offiziellen<br />

Angaben haben sich seit 1998 mehr als 320.000<br />

geologische Katastrophen in China ereignet, in<br />

deren Folge 14.000 Personen ihr Leben verloren.<br />

Die entstandenen wirtschaftlichen Schäden<br />

beliefen sich auf über 60 Milliarden RMB. Um<br />

dieser Situation entgegenzuwirken, hat der chinesische<br />

Staatsrat das Ziel formuliert, bis 2020 die<br />

Risiken gravierender geologischer Katastrophen<br />

weitgehend zu beseitigen und die durch Katastrophen<br />

verursachten Sachschäden und Todesfälle<br />

zu minimieren.<br />

KULTURELLE UNTERSCHIEDE<br />

Viele mittelständische Unternehmen wollen das<br />

Potenzial nutzen, das ein Engagement in China<br />

verspricht. Die Orientierung im chinesischen<br />

Markt jedoch offenbart viele Hürden. Geschäftsanbahnungen<br />

erfolgen in China fast ausschließlich<br />

über persönliche Kontakte, die intensiv<br />

gepflegtwerdenmüssen.Dabeiistesvonbesonderer<br />

Bedeutung, die Hierarchien, Strukturen und<br />

Besonderheiten der chinesischen Unternehmen<br />

zu kennen – denn schließlich bieten sich westlichen<br />

Verhandlungspartnern eine vollkommen<br />

fremde Businesskultur, Wertvorstellungen und<br />

somit auch andere Verhandlungsmechanismen.<br />

So ist es wichtig, sich klarzumachen, dass in China<br />

emotionalen Aspekten mehr Bedeutung beigemessen<br />

wird, als rationalen Entscheidungen.<br />

Eine solide Vertrauensbasis und die Präsenz vor<br />

Ort sind für erfolgreiche Geschäftsbeziehungen<br />

im Reich der Mitte von zentraler Bedeutung.<br />

ERFOLGREICHER EINSTIEG<br />

Die bisherigen, zentralen Aktionen der IHK’s in<br />

Deutschland sind <strong>nur</strong> sehr wenig effektiv. Eine<br />

konkrete Hilfestellung für den erfolgreichen<br />

Markteinstieg in China bietet das German TechnologiesCentere.V..<br />

Der politisch unabhängige und geschäftsorientierte<br />

Verband ist für deutsche Technologieunternehmen<br />

eine zentrale Institution für die gegenseitige<br />

Aufnahme von Geschäftskontakten, das<br />

Suchen und Finden von Geschäftspartnern in<br />

beiden Ländern und einen effektiv gestalteten<br />

Technologietransfer. Das Interesse Chinas ist groß,<br />

mit deutschen Unternehmen unterschiedlichster<br />

Branchen noch schneller und besser zusammen<br />

zu arbeiten. Folgende Branchen bilden dabei den<br />

Schwerpunkt:<br />

– Sicherheit, Reaktor- und Katastrophenschutz<br />

– Umwelttechnologie und Energiewirtschaft<br />

– Industrieautomatisierung/Robotertechnik<br />

– Kommunikationstechnologie<br />

– Maschinen-, Fahrzeug- und Schiffsbau<br />

– Medizintechnologie<br />

Durch seine chinesischen Geschäftsstellen, u.a.<br />

in Peking und Shanghai, bietet das German Technologies<br />

Center zentrale Knotenpunkte, um<br />

Geschäftskontakte herzustellen, auszubauen und<br />

zu festigen. Die enge Zusammenarbeit des Verbandes<br />

mit chinesischen Branchenverbänden,<br />

Unternehmen, Technologie-Transferstellen und<br />

Universitäten geben zielorientierte Unterstützung<br />

für interessierte Technologieunternehmen aus<br />

Deutschland. Schulungen zu den Bedingungen<br />

auf dem chinesischen Markt, Vorbereitung von<br />

Kooperationsverträgen oder Infoveranstaltungen<br />

zu aktuellen Branchenthemen sind <strong>nur</strong> ein<br />

Ausschnitt des Serviceangebots des Verbandes.<br />

INFORMIEREN SIE SICH JETZT.<br />

Das German Technologies Center (GTC)<br />

fördert die Entwicklung von erfolgreichen<br />

Geschäftsbeziehungen zwischen deutschen, mittelständischen<br />

Unternehmen mit Unternehmen<br />

und Kooperationspartner in China.<br />

Weitere Informationen zur Mitgliedschaft im<br />

German Technologies Center e.V. finden Sie auf<br />

den Internetseiten www.german-technologiescenter.de/<br />

mitgliedschaft<br />

Dipl.-Ing. Ulf Stremmel<br />

Präsident des German Technologies Center e.V.<br />

Kontakt:<br />

German Technologies Center e.V.<br />

Geschäftsstelle Berlin<br />

Grünhofer Weg 18, D-13581 Berlin<br />

phone: +49303230630036<br />

fax: +49303230630010<br />

info[at]german-technologies-center.de


W&M-EXTRA<br />

TeleMedizinZentren betreuen Herzpatienten<br />

Netzwerk für mehr Lebensqualität<br />

Hochrisiko-Herzpatienten können im Land Brandenburg jetzt auch zu Hause qualifiziert und<br />

kontinuierlich betreut werden. Ein im Oktober eingeweihtes telemedizinisches Netzwerk verbindet sie<br />

mit Spezialisten, die ihren Gesundheitszustand rund um die Uhr unter ärztlicher Kontrolle haben.<br />

Es ist mit 1.300 Betten nicht <strong>nur</strong><br />

eine der größten Kliniken Deutschlands,<br />

sondern auch das leistungsfähigste<br />

Krankenhaus in Brandenburg<br />

und ein akademisches Lehrkrankenhaus<br />

der Berliner Charité: Das Carl-Thiem-<br />

Klinikum Cottbus (CTK) beschäftigt 2.300<br />

Mitarbeiter, darunter etwa 300 Ärzte und<br />

1.000 Pflegekräfte. Rund 100.000 Patienten<br />

werden dort jedes Jahr ambulant<br />

oder stationär behandelt. Seine 25 Fachkliniken<br />

und Institute decken fast das gesamte<br />

Spektrum medizinischer Indikationen<br />

ab.<br />

VIELE PARTNER – EIN ZIEL<br />

Im Oktober nahm eine weitere Einrichtung<br />

die Arbeit auf. Ihre Patienten werden<br />

künftig rund um die Uhr auch in<br />

großer Entfernung betreut: Das Tele-<br />

MedizinZentrum Lausitz am CTK bildet<br />

gemeinsam mit seinem Pendant am<br />

Städtischen Klinikum in Brandenburg/<br />

Havel, das bundesweit erste flächendeckende<br />

telemedizinische Netzwerk zur<br />

Versorgung von kardiologischen Hochund<br />

Höchstrisiko-Patienten. Bis zu 500<br />

Menschen, die an chronischer Herzschwäche<br />

mit fortgeschrittenem Schweregrad<br />

leiden, kann so künftig effektiver<br />

geholfen werden. Ihre Lebensqualität<br />

wird nicht zuletzt durch das beruhigende<br />

Gefühl gehoben, dass Spezialisten<br />

ihren Gesundheitszustand in jeder Minute<br />

unter Kontrolle haben.<br />

Für die Realisierung des gemeinsam<br />

mit der Berliner Charité entwickelten<br />

Versorgungsangebots installierten die<br />

Deutsche Telekom und die GETEMED Medizin-<br />

und Informationstechnik die technische<br />

Infrastruktur. Das erste umfassende<br />

telemedizinische Projekt im Rahmen<br />

der Patientenversorgung wurde mit 1,53<br />

Millionen Euro aus Bundes- und Landesmitteln<br />

gefördert. Es soll helfen, belastende<br />

Doppeluntersuchungen und teure<br />

Krankenhausaufenthalte zu vermeiden.<br />

Vor allem aber soll die Lebensqualität der<br />

Herzpatienten verbessert werden. Die<br />

AOK Nordost hat dazu mit den Kliniken<br />

einen Versorgungsvertrag geschlossen.<br />

»Mit diesem Telemedizin-Netzwerk ist<br />

Brandenburg Vorreiter und beweist eindrucksvoll,<br />

wie gemeinsames Engagement<br />

von Partnern aus Politik, dem Gesundheitsbereich<br />

und der Wirtschaft die<br />

gesundheitliche Versorgung der Menschen<br />

maßgeblich verbessern kann«, sagte<br />

Brandenburgs Gesundheitsministerin<br />

Anita Tack zur Eröffnung am 12. Oktober<br />

in Cottbus. »Vor allem die Hausärztliche<br />

Betreuung von Patientinnen und Patienten<br />

in ländlichen Regionen wird davon<br />

profitieren.«<br />

MIT MODERNEN GERÄTEN ausgestattet, kann der Herzpatient von zu Hause aus alle<br />

wesentlichen Gesundheitsdaten an das telemedizinische Zentrum übermitteln.<br />

TELEMEDIZIN<br />

Wie funktioniert<br />

die Betreuung?<br />

Die im Vorfeld über das neue Angebot<br />

informierten ambulanten Kardiologen<br />

und internistisch tätigen Hausärzte<br />

können infrage kommende Patienten für<br />

das Programm anmelden. Jeder Teilnehmer<br />

wird zu Hause mit modernen<br />

diagnostischen Geräten ausgestattet.<br />

Per Datenleitung liefern diese medizinisch<br />

relevante Informationen an eines der<br />

beiden TeleMedizinZentren in Cottbus<br />

und Brandenburg/Havel. Ärztliche Teams<br />

in 24-Stunden-Bereitschaft werten die<br />

Daten aus und informieren bei einem sich<br />

abzeichnenden kritischen Gesundheitszustand<br />

sowohl den Patienten als auch<br />

seinen behandelnden Arzt. Hausärzten<br />

und Kardiologen liegen somit regelmäßig<br />

und bereits vor dem Patientenbesuch<br />

alle wichtigen Diagnosedaten vor.<br />

Die intelligent vernetzten Endgeräte, zum<br />

Beispiel eine Waage und ein Blutdruckmessgerät,<br />

sind von den Patienten in ihrer<br />

häuslichen Umgebung einfach zu bedienen.<br />

Automatisch und kabellos werden<br />

alle ermittelten Werte direkt in die elektronische<br />

Patientenakte im TeleMedizin-<br />

Zentrum übertragen. Von einem telemedizinischen<br />

Arbeitsplatz aus lassen sich<br />

die Werte dann überwachen. Vitaldaten<br />

wie EKG, Gewicht, Blutdruck und Sauerstoffsättigung<br />

des Bluts sowie Angaben<br />

zu Befunden und zur Medikamenteneinnahme<br />

liefern den Spezialisten in den<br />

angeschlossenen Zentren wichtige Hinweise,<br />

um den Zustand des Patienten aus<br />

der Ferne einschätzen und bei Bedarf<br />

intervenieren zu können. Durch den engen<br />

Kontakt und die kontinuierliche Rückkopplung<br />

wird der Patient außerdem in das<br />

Geschehen eingebunden, statt sich hilflos<br />

ausgeliefert zu fühlen. Die Geräte für den<br />

häuslichen Bereich und die Software für<br />

die Analyse des EKG entwickelte das<br />

Teltower Unternehmen GETEMED. Die Telekom<br />

bindet mit ihrem telemedizinischen<br />

Arbeitsplatz die beiden Kliniken und die<br />

Hausärzte an und versorgt alle Beteiligten<br />

mit Telefon-, Internet- oder Mobilfunkverbindungen.<br />

Die Telekom stellt auch die<br />

elektronische Patientenakte bereit.<br />

44 WIRTSCHAFT & MARKT 12/11


GESUNDHEITSWIRTSCHAFT BERLIN-BRANDENBURG<br />

DIE<br />

PARTNER<br />

Wer engagiert sich<br />

im Netzwerk?<br />

Carl-Thiem-Klinikum Cottbus<br />

Mit 1.300 Betten, rund 300 Ärzten,<br />

1.000 Pflegekräften und 1.000 weiteren<br />

Mitarbeitern ist es das leistungsfähigste<br />

Krankenhaus im Land Brandenburg.<br />

Die meisten der jährlich etwa 100.000 Patienten,<br />

die dort ambulant oder stationär<br />

behandelt werden, kommen aus Südostbrandenburg,<br />

viele aber auch aus anderen<br />

Regionen des Landes sowie aus Ostsachsen<br />

und Berlin.<br />

Fotos: CTK/S. Ramisch<br />

BEIM START DES TELEMEDIZINZENTRUMS Lausitz in Cottbus: Brandenburgs<br />

Gesundheitsministerin Anita Tack (l.) und CTK-Geschäftsführerin Heidrun Grünewald.<br />

Frank Michalak, Vorstandsvorsitzender<br />

der AOK Nordost, erklärt: »In dem<br />

Projekt wird nun durch modernste Technik,<br />

ein umfassendes Know-how der<br />

beteiligten Partner und die enge Zusammenarbeit<br />

mit den niedergelassenen<br />

Kardiologen auch die ambulante telemedizinische<br />

Betreuung von Patienten mit<br />

hohem oder sehr hohem Risiko für eine<br />

chronische Herzinsuffizienz ermöglicht.«<br />

Mit den von der Gesundheitskasse<br />

bereits etablierten Betreuungsansätzen<br />

für Herzpatienten – von Chroniker-Angeboten<br />

(DMP) bis zu Patientenschulungsprogrammen<br />

– komplettiert das neue<br />

Netzwerk die medizinische Versorgung<br />

von Herz-Risikopatienten.<br />

VOLKSKRANKHEIT HERZINSUFFIZIENZ<br />

Herzinsuffizienz gehört mit geschätzten<br />

zwei bis drei Millionen Betroffenen zu<br />

den häufigsten internistischen Erkrankungen<br />

in Deutschland. Nach Angaben<br />

des Statistischen Bundesamts war sie<br />

2010 die dritthäufigste Todesursache<br />

und der zweithäufigste Anlass für eine<br />

stationäre Behandlung.<br />

»Für eine bessere Versorgung chronisch<br />

herzinsuffizienter Patienten insbesondere<br />

in strukturschwachen Regionen,<br />

wie es die unsrige ja ist, bietet diese Vernetzung<br />

neue weitreichende Möglichkeiten,<br />

zumal es sich erstmals um eine Regelversorgung<br />

handelt«, sagt Dr. Jürgen<br />

Krülls-Münch, Chefarzt der I. Medizinischen<br />

Klinik des CTK. »Die enge Kooperation<br />

mit den niedergelassenen Kollegen<br />

aus der Kardiologie und dem Hausarztbereich<br />

und vor allem mit dem Klinikum<br />

Brandenburg, wo ja bereits gute Erfahrungen<br />

vorliegen, bietet alle Voraussetzungen<br />

für eine qualitativ hochwertige<br />

Vernetzung im Interesse der Patienten.«<br />

Prof. Dr. med. Michael Oeff, Chefarzt<br />

am Städtischen Klinikum Brandenburg,<br />

freut sich, die flächendeckende Versorgung<br />

von Herzpatienten nun mit modernster<br />

Technologie fortsetzen zu können:<br />

»Die jetzt eingesetzte Technik eignet<br />

sich ja für eine Kommunikation auch<br />

über weite Strecken, so dass dem Patienten<br />

und seinen Angehörigen lange Fahrten<br />

in unserem Flächenland erspart bleiben.<br />

Beginnende Verschlechterungen<br />

können wir frühzeitig erkennen und<br />

dann gegensteuern.«<br />

Vorangegangene Forschungsprojekte<br />

in der Havelstadt zeigten, dass sich Krankenhauseinweisungen<br />

um bis zu elf<br />

Prozent und die Zahl der stationären Behandlungstage<br />

um bis zu 23 Prozent reduzieren<br />

lassen, wenn Patienten kontinuierlich<br />

telemedizinisch betreut werden.<br />

BLICK IN DIE ZUKUNFT<br />

Die Geschäftsführerin des Carl-Thiem-<br />

Klinikums Cottbus, Heidrun Grünewald,<br />

schaut voraus: »Die Mitwirkung am Telemedizin-Netz<br />

ist für unser Klinikum eine<br />

neue Herausforderung, der wir uns aus<br />

vielen Gründen gern stellen: Wir erweitern<br />

unsere Betreuungsmöglichkeiten<br />

zeitlich und räumlich über das Krankenhaus<br />

hinaus. Das fordert Mitarbeiter<br />

ebenso wie Technik, Krankenhausorganisation<br />

und Verwaltungsprozesse. Eine<br />

Herausforderung, die in die Zukunft<br />

reicht, denn wir denken schon weiter.<br />

Morgen werden vielleicht Risikoschwangere,<br />

Diabetiker, Schlaganfallpatienten<br />

und pflegebedürftige Menschen in virtuelle<br />

Betreuungsnetze eingebunden sein.<br />

Wir bereiten uns darauf vor.«<br />

Städtisches Klinikum<br />

Brandenburg<br />

Das Klinikum, ein akademisches Lehrkrankenhaus<br />

der Berliner Charité, erfüllt<br />

Aufgaben eines Krankenhauses der<br />

qualifizierten Regelversorgung für die<br />

Havelstadt und die Region. Es verfügt<br />

über 466 Betten und betreut jährlich<br />

etwa 23.600 Patienten. Mit mehr als<br />

1.250 Beschäftigten gehört es, gemeinsam<br />

mit zwei Tochtergesellschaften,<br />

zu den größten Arbeitgebern der Stadt.<br />

AOK Nordost<br />

Mit 1,8 Millionen Versicherten ist sie<br />

in den Bundesländern Brandenburg,<br />

Berlin und Mecklenburg-Vorpommern die<br />

größte Krankenkasse. Die AOK Nordost<br />

steht für qualitätsgesicherte, innovative<br />

Versorgungsprogramme und für die<br />

umfassende Betreuung ihrer Kunden in<br />

112 Servicecentern.<br />

GETEMED<br />

Das Unternehmen mit Sitz in Teltow<br />

entwickelt und vertreibt seit 25 Jahren<br />

Geräte für die kardiologische Diagnostik,<br />

das Monitoring von Vitalfunktionen und<br />

für das Telemonitoring von Risikopatienten.<br />

Für seine innovativen Leistungen<br />

wurde es mehrfach ausgezeichnet.<br />

Besonders engagiert ist GETEMED im Land<br />

Brandenburg, das die telemedizinische<br />

Versorgung als ein zentrales gesundheitspolitisches<br />

Thema betrachtet.<br />

Deutsche Telekom<br />

Mit 241.000 Mitarbeitern in rund<br />

50 Ländern, 128 Millionen Mobilfunkkunden<br />

sowie 35 Millionen Festnetzund<br />

fast 17 Millionen Breitbandanschlüssen<br />

gehört der Konzern zu den<br />

führenden Telekommunikationsunternehmen<br />

weltweit. Er bietet Produkte<br />

und Dienstleistungen aus den Bereichen<br />

Festnetz, Mobilfunk, Internet und IPTV<br />

für Privatkunden sowie ICT-Lösungen<br />

für Groß- und Geschäftskunden an.<br />

WIRTSCHAFT & MARKT 12/11 45


PORTRÄT<br />

Fotos: T. Schwandt<br />

Der Rostocker Seehafen sei »als logistischer<br />

Standort ideal«, ist Stephan<br />

Gustke, Geschäftsführer der<br />

Spedition Heinrich Gustke GmbH, überzeugt.<br />

Anbindungen bestehen zu allen<br />

Verkehrsträgern. Zu den Autobahnen<br />

A 19 und A 20, zu den Ostsee-Fährlinien<br />

nach Skandinavien und ins Baltikum,<br />

zum internationalen Bahnnetz und zum<br />

nahen Flughafen Rostock-Laage – und in<br />

alle vier Himmelsrichtungen.<br />

Das bisherige Firmengelände des Unternehmens<br />

Gustke liegt <strong>nur</strong> fünf Kilometer<br />

entfernt vom Seehafen der Hansestadt.<br />

Für die Lagerlogistik der Spedition<br />

im Güterverkehrszentrum (GVZ) von Rostock<br />

sind die wenigen Kilometer und die<br />

damit verbundenen Lkw-Fahrten jedoch<br />

ein nicht unerheblicher Kostenfaktor.<br />

»Dieser Aufwand lässt sich einsparen,<br />

wenn im Hafen die Güter direkt vom<br />

Schiff ins Lager verbracht werden«, sagt<br />

Gustke. Nach zwei erfolgreichen Jahrzehnten<br />

im GVZ stößt das mittelständische<br />

Rostocker Unternehmen am aktuellen<br />

Standort strategisch an Grenzen. Für<br />

die künftige Entwicklung wird deshalb<br />

der Bau eines neuen Logistikzentrums<br />

nahe der Kaikante geplant. »Wir wollen<br />

ran an den Hafen.«<br />

»Erschlossen werden soll eine Lagerfläche<br />

von insgesamt 30.000 Quadratmetern«,<br />

skizziert Gustke den Neubauplan.<br />

Ein Drittel davon entfalle auf die vorgesehene<br />

Freilagerfläche. Ein modernes<br />

Hochregallager soll Stellplätze für zirka<br />

10.000 Paletten bieten. »Wir stecken fünf<br />

bis sechs Millionen Euro in das Projekt,<br />

mit dem wir die verschiedenen Verkehrsträger<br />

noch intelligenter und kostengünstiger<br />

miteinander verknüpfen wollen«,<br />

begründet Gustke die Investition,<br />

mit der sich das Unternehmen in der<br />

Lagerlogistik für die Zukunft stärker aufstellen<br />

will. Nächstes Jahr soll mit dem<br />

Bau des Ostsee-Logistikzentrums »4Way«<br />

begonnen und noch im Verlauf von 2012<br />

der Betrieb aufgenommen werden.<br />

Nach Angaben Gustkes beträgt der Anteil<br />

der Lagerlogistik am gesamten Unternehmensumsatz<br />

rund 20 Prozent. Der<br />

Bärenanteil wird noch mit direktem<br />

Ladungsverkehr ohne Umschlag (40 Prozent)<br />

und Stückgutverkehr mit Umschlag<br />

an verschiedenen Hubs (30 Prozent)<br />

in Deutschland erzielt. Doch der<br />

Wettbewerb im reinen Transportgeschäft<br />

wird schwieriger. Die osteuropäische<br />

Konkurrenz nimmt zu, und mit der<br />

steigenden Zahl von Subunternehmern<br />

wird das Geschäft austauschbarer. Die<br />

Rostocker Spedition behauptet sich dort,<br />

»wo Qualität nachgefragt wird«, sagt Stephan<br />

Gustke, »wo viel Wert auf Ladungssicherung<br />

und spezielle Ladevorrichtun-<br />

Rostocker Spedition Gustke<br />

Ran an den Hafen<br />

Die Spedition Heinrich Gustke schlägt mit dem Neubau des Ostsee-<br />

Logistikzentrums »4Way« ein neues Kapitel in der Firmengeschichte<br />

auf. Hafennah sollen dort alle Verkehrsträger gebündelt werden.<br />

gen gelegt wird«. Das Unternehmen generiert<br />

jährlich einen Umsatz von rund<br />

14 Millionen Euro.<br />

Im ersten Halbjahr 2011 konnte die<br />

Spedition ein Plus von fünf Prozent beim<br />

Ladungsaufkommen verbuchen. »Die<br />

Frachtraten sind aber nach der schweren<br />

Krise immer noch auf sehr schwachem<br />

Niveau«, wendet der Geschäftsführer ein.<br />

Mit fünf Lastkraftwagen war Stephan<br />

Gustkes Großvater Heinrich, der 1933 die<br />

Spedition in Rostock gegründet hatte,<br />

einst gestartet. Das Familienunternehmen<br />

bestand auch in der DDR als Privatfirma<br />

fort. »Mein Vater fuhr mit einem<br />

W-50-Lkw Spirituosen für einen hiesigen<br />

Hersteller«, erzählt Gustke junior. Nach<br />

HYBRID-LKW: Firmenchef Gustke.<br />

der Wende konnten Vater und Sohn unternehmerisch<br />

durchstarten. Die Lkw-<br />

Flotte wuchs bis dato auf 100 Lkw. Heute<br />

hat die Spedition, langjähriges Mitglied<br />

des regionalen Unternehmerverbandes<br />

Rostock und Umgebung, rund 170 Mitarbeiter<br />

beschäftigt. Darunter 120 Fahrer.<br />

»Wir arbeiten zu 99 Prozent mit eigenem<br />

Personal«, betont der Chef stolz.<br />

Täglich passieren um die 250 Tonnen<br />

Güter und Waren das Betriebsgelände im<br />

GVZ. Bei Stückgut reicht die Palette von<br />

Bekleidung über Getränke bis zu Gefahrgut.<br />

In der Lagerlogistik bestimmen Baustoffe,<br />

Kunststoff-Granulat und Maschinenteile<br />

das Bild. Dazu kommt der Bereich<br />

der Entsorgungslogistik.<br />

Mit dem Ostsee-Logistikzentrum setzt<br />

die Spedition Gustke, die zu den größten<br />

in Mecklenburg-Vorpommern gehört,<br />

ein weiteres Signal für Innovation und<br />

Kreativität vor Ort. In diesem Sommer<br />

sorgte der 44-jährige Geschäftsführer bereits<br />

für öffentliches Interesse. Die Spedition<br />

brachte den ersten Hybrid-Lkw im<br />

Nordosten in Fahrt. Der 12-Tonner mit<br />

kombiniertem Diesel- und Elektroantrieb<br />

wird seit Ende Juli im Rostocker<br />

Stadtverkehr eingesetzt. »Ein Überzeugungsprojekt«,<br />

kommentierte Gustke<br />

diesen umweltfreundlichen Schritt.<br />

Thomas Schwandt<br />

&<br />

WIRTSCHAFT & MARKT 12/11 47


REPORT<br />

Fotos: DPA/ZB, D. Kadell<br />

Chemikalie Bisphenol A<br />

Gefährliche Weichmacher<br />

Der Kunststoff-Weichmacher Bisphenol A ist eine Alltags-Chemikalie, die aber krank machen kann.<br />

In der EU ist sie seit Sommer dieses Jahres in Babyflaschen verboten. Frankreich untersagt sogar den<br />

Einsatz in Lebensmittelverpackungen. Deutschland sieht die Risiken, aber keinen Handlungsbedarf.<br />

Frankreich wird ab 1. Januar 2014<br />

die Verwendung von Bisphenol A,<br />

kurz BPA, in allen Lebensmittelverpackungen<br />

verbieten. Eine weltweite Premiere.<br />

Pionier war das Land schon beim<br />

Verbot der Chemikalie in Babyflaschen,<br />

das Gesetz trat im Juni 2010 in Kraft ist.<br />

Zwölf Monate später zog die Europäische<br />

Union (EU) nach. Dänemark weitete das<br />

Verbot aus auf alle Verpackungen für<br />

Kindernahrung, Beißringe, Spielzeug<br />

und Geschirr für Kinder bis drei Jahre.<br />

Auch in Kanada ist ein ähnliches Gesetz<br />

in Kraft. In Japan werden schon seit<br />

Jahren die Innenlegierungen von Konserven<br />

und Getränkebüchsen mit einer<br />

Schutzschicht versehen, damit weniger<br />

BPA von der Verpackung in das Lebensmittel<br />

oder Getränk wandern kann. In<br />

den USA bieten Unternehmen inzwischen<br />

Lebensmittelverpackungen an, die<br />

auf Bisphenol A ganz verzichten und aus<br />

pflanzlichem Material hergestellt sind.<br />

BPA ist eine der am meisten untersuchten<br />

Chemikalien weltweit. Es gibt<br />

etwa 5.000 Studien. An die 500 befassen<br />

sich mit den Wirkungen auf Mensch,<br />

Tier und Pflanze. Einige wenige Studien<br />

attestierten BPA keine negative Wirkung.<br />

Entwicklungsbiologe Frederick vom Saal<br />

von der University of Missouri überprüfte<br />

im Jahr 2007 insgesamt 163 dieser Studien.<br />

Das Fazit: Von 152 öffentlich finanzierten<br />

Analysen wiesen 138 auf Gesundheitsschäden<br />

durch BPA hin. Dagegen<br />

kam keine der elf von der Industrie gesponserten<br />

Arbeiten zu einem negativen<br />

Schluss!<br />

BPA ist ein großes Geschäft: Weltweit<br />

werden derzeit fast vier Millionen Tonnen<br />

jährlich produziert, mit einem<br />

Nachfrageplus von sechs bis zehn Prozent<br />

pro Jahr. Deutschlandweit sind es<br />

an die 410.000 Tonnen. Bisphenol A ist<br />

eine der wichtigsten Alltags-Chemikalien.<br />

Ausgangsstoff für Polycarbonatkunststoffe<br />

und Epoxidharze, woraus viele<br />

Kunststoffverpackungen und Gefäße,<br />

aber auch CDs und DVDs bestehen.<br />

BPA steckt heutzutage fast überall<br />

drin. In Lebensmittelverpackungen zum<br />

Beispiel. Täglich hantieren wir damit:<br />

Wir essen Mais aus der Dose. Trinken<br />

Wasser aus Kunststoff-Flaschen. Geben<br />

Kindern Milch in Plastik-Nuckelflaschen.<br />

BPA entweicht in minimalen Mengen in<br />

unsere Nahrung, die gesundheitlich unbedenklich<br />

sind. In der Regel jedenfalls.<br />

Trotzdem fordern seit über 20 Jahren<br />

Umweltverbände ein Verbot von BPA in<br />

risikoreichen Anwendungen.<br />

In zahlreichen Tierversuchen zeigte<br />

BPA eine ähnliche Wirkung wie das weibliche<br />

Sexualhormon Östrogen. Neben natürlichen<br />

Hormonen können auch Chemikalien,<br />

die die Wirkung der Botenstoffe<br />

nachahmen, erbähnliche Veränderungen<br />

an der DNA bewirken. Auch<br />

Bisphenol A, das 1936 als synthetisches<br />

Hormon kreiert wurde.<br />

Hormone sind die Herrscher über unseren<br />

Körper. Gebildet von spezialisierten<br />

Geweben und Organen, übernehmen<br />

sie die lebenswichtige Rolle von biochemischen<br />

Vermittlern, die das Zusammenspiel<br />

der rund 30 Billionen Zellen<br />

des menschlichen Organismus mit der<br />

Außenwelt koordinieren. Sie passen die<br />

körperliche Aktivität dem Wechsel von<br />

Tag und Nacht an, indem sie Wach- und<br />

BISPHENOL A: Nachweisbar in vielen Verpackungen.<br />

Schlafrhythmen steuern. Hormone treiben<br />

uns zum Essen und Trinken an,<br />

wecken die Lust auf Sexualität, machen<br />

Mütter zu mutigen Kämpferinnen für<br />

ihren Nachwuchs. Die Verfügungskraft<br />

der Botenstoffe reicht weit über den eigenen<br />

Körper hinaus. Körpereigene Hormone<br />

können sogar in der nachfolgenden<br />

Generation fortwirken.<br />

Wie BPA als Sexualhormon wirkt, bemerkte<br />

Entwicklungsbiologe Frederick<br />

vom Saal 1998 zufällig bei Labormäusen:<br />

Deren Prostata vergrößerte sich, nachdem<br />

sie in Öl gelöstes Bisphenol A gefressen<br />

hatten. Die Pubertät setzte früher<br />

ein, die Spermienqualität litt. Andere<br />

Forscher bestätigten dies oder deckten<br />

weitere Schadwirkungen auf.<br />

»Ähnliche Effekte einer Östrogenwirkung<br />

sind auch bei der Spermienproduktion<br />

des Mannes und der Eizellentwicklung<br />

der Frau durch BPA zu erwarten«,<br />

warnt Prof. Jürgen Kleinstein, Direktor<br />

der Universitätsklinik für Reproduktionsmedizin<br />

Magdeburg. »Zudem ist<br />

davon auszugehen, dass eine Reihe<br />

48 WIRTSCHAFT & MARKT 12/11


REPORT<br />

gutartiger Erkrankungen der Frau auf<br />

diese Östrogenwirkung zurückzuführen<br />

sind. Ebenso ein großer Teil von Karzinomen.«<br />

Kleinstein kennt die Gefahren von<br />

BPA, sein Haus kümmert sich um Paare<br />

mit ungewollter Kinderlosigkeit.<br />

2001 hat der Toxikologe Prof. Gilbert<br />

Schönfelder vom Institut für Klinische<br />

Pharmakologie und Toxikologie der Berliner<br />

Charité nachgewiesen, dass BPA<br />

von Schwangeren an ihr Kind weitergegeben<br />

wird. In der Folge fanden Kollegen<br />

auch signifikante Mengen von aktivem<br />

BPA im Blut von Schwangeren und Föten.<br />

Bei Ungeborenen löse BPA Effekte aus,<br />

die normalerweise erst nach der Pubertät<br />

eintreten, warnte Schönfelder 2010<br />

auf einem Symposium in Leipzig.<br />

Das bestätigt eine aktuelle Studie der<br />

Harvard School of Public Health. Sie<br />

zeigt zum ersten Mal aber auch, dass<br />

eine Belastung im Mutterleib im späteren<br />

Lebensverlauf von Mädchen zu aggressivem,<br />

hyperaktivem, ängstlichem<br />

und depressivem Verhalten führt.<br />

Obwohl Experten schon seit mehr als<br />

zehn Jahren vor BPA warnen, sieht die<br />

EU-Behörde für Lebensmittelsicherheit<br />

EFSA für den Menschen derzeit keine Gefährdung,<br />

solange die tägliche Dosis 50<br />

Mikrogramm pro Kilogramm Körpergewicht<br />

nicht überschreite. Was das Urteil<br />

wert ist, belegten MDR-Recherchen Ende<br />

2010: Mitarbeiter der EFSA arbeiten direkt<br />

für Industrieverbände. Die Entscheidung<br />

der Behörde zur Unbedenklichkeit<br />

von BPA zeige, »dass die interessierte<br />

Industrie dort mehr Gehör findet als unabhängige<br />

Forscher«, kritisiert Sarah<br />

Häuser, Chemikalienexpertin der Umweltorganisation<br />

BUND.<br />

In Deutschland scheiden sich an BPA<br />

die Geister. Das Bundesinstitut für Risikoforschung<br />

hat keine Bedenken. Begründung:<br />

Die Substanz wandle sich im<br />

menschlichen Körper schnell in ein Stoffwechselprodukt<br />

um, das keine östrogene<br />

Wirkung mehr habe und über die Nieren<br />

ausgeschieden werde. Jochen Flasbarth,<br />

Präsident des Umweltbundesamtes in<br />

Dessau-Roßlau, kontert: Trotz der Datenlücken<br />

sollten »doch die vorliegenden<br />

Kenntnisse ausreichen, die Verwendung<br />

bestimmter BPA-haltiger Produkte aus<br />

Vorsorgegründen zu beschränken«.<br />

Was also bleibt unterm Strich? Auch<br />

die Verpackung kann ein Essen madig<br />

machen. Chemikalien, zum Beschichten<br />

von Dosen oder Abdichten von Deckeln<br />

eingesetzt, können sich lösen und in Lebensmittel<br />

gelangen. Besonders fetthaltige<br />

Produkte wie eingeschweißte Fertiggerichte<br />

oder Fischkonserven setzen<br />

Substanzen aus ihren Verpackungen frei,<br />

da Öle als Lösungsmittel wirken. Weich-<br />

macher lösen sich durch UV-Strahlung<br />

aus PET-Flaschen, gelangen in Getränke.<br />

Der BUND hat im Sommer BPA in Kindertagesstätten<br />

bundesweit nachgewiesen.<br />

Das hormonell wirksame, bisher <strong>nur</strong><br />

in Babyflaschen verbotene BPA fand sich<br />

in 92 der 107 vom Umweltverband untersuchten<br />

Staubproben aus Kitas. BUND-<br />

Chemieexpertin Sarah Häuser: »Unsere<br />

Analysen zeigen, dass Kinder wahren<br />

Giftcocktails ausgesetzt sind. Doch obwohl<br />

Verbraucherschutzministerin Ilse<br />

Aigner schon mehrmals von uns auf diese<br />

Gefahren hingewiesen wurde, glänzt<br />

sie bisher durch Untätigkeit.«<br />

Dafür engagiert sich die CSU-Politikerin<br />

für das Verbraucherportal »Lebensmittelklarheit.de«<br />

im Internet. Der Start<br />

im Sommer war zäh: Der User-Ansturm<br />

zwang die Server zu Anfang in die Knie.<br />

Täglich laufen rund 20 neue Beschwerden<br />

beim Verbraucherportal ein – und<br />

manche stoßen bei den Herstellern auf<br />

offene Ohren.<br />

MAHNER: Prof. Jürgen Kleinstein.<br />

Doch das findet nicht <strong>nur</strong> Beifall: FDP-<br />

Ernährungsexpertin Christel Happach-<br />

Kasan will für das »Meckerportal« kein<br />

weiteres Steuergeld. Der Bund für Lebensmittelrecht<br />

und Lebensmittelkunde<br />

mahnt mehr Sachlichkeit und Objektivität<br />

an und die Gewerkschaft Nahrung-<br />

Genuss-Gaststätten kritisierte, Aigner<br />

überlasse es den Verbrauchern nach dem<br />

Zufallsprinzip, willkürlich Lebensmittel<br />

zu beurteilen. Ruiniert hat das bislang<br />

aber offenbar keinen Hersteller.<br />

Warum macht sich Aigner nicht auch<br />

für BPA-freie Lebensmittelverpackungen<br />

stark? Bisphenol A bleibt ein Risikofaktor,<br />

gehört nicht ins Essen, nicht in Lebensmittelverpackungen.<br />

Die Politik ist<br />

jetzt am Zuge. Damit wäre das Problem<br />

aber nicht vom Tisch. Auch wenn noch<br />

Wissenslücken zu füllen sind, bevor BPA<br />

endgültig bewertet werden kann, wird<br />

bereits vor möglichen, aber schlechter<br />

untersuchten Ersatzstoffen gewarnt.<br />

Dana Micke<br />

&<br />

HINTERGRUND<br />

Umweltamt warnt<br />

Das Umweltbundesamt (UBA) in Dessau-<br />

Roßlau hat sich in einer Publikation unter<br />

dem Titel »Massenchemikalie mit unerwünschten<br />

Nebenwirkungen« mit dem<br />

Phänomen Bisphenol A auseinandergesetzt.<br />

Darin heißt es unter anderem:<br />

Die Gesamtschau der bisher vorliegenden<br />

Studien über die Wirkungen und die Exposition<br />

von Bisphenol A offenbart Hinweise<br />

auf mögliche Risiken für die menschliche<br />

Gesundheit. Aus Sicht des UBA ist es deshalb<br />

gerechtfertigt, Vorsorgemaßnahmen<br />

zur gezielten Minderung der Exposition für<br />

solche Bevölkerungsgruppen zu erwägen,<br />

die aufgrund ihrer Empfindlichkeit und Exposition<br />

am ehesten gefährdet sind.<br />

Es wird dazu geraten, alle vorliegenden<br />

Daten zur Bewertung des Stoffes durch<br />

die Behörden heranzuziehen. Die zahlreichen<br />

Studien ergeben ein konsistentes<br />

Bild. Ihre Ergebnisse sollten angemessen<br />

berücksichtigt werden.<br />

Die Aufnahme von Bisphenol A liegt in diesen<br />

Studien deutlich unterhalb der Menge,<br />

die die EFSA als gesundheitlich<br />

bedenklich bewertet, trotzdem sind diese<br />

Mengen in der Lage, in Tierversuchen<br />

ernsthafte Wirkungen hervorzurufen.<br />

Aus fachlicher Sicht des UBA existiert somit<br />

ein ausreichendes Besorgnispotenzial.<br />

Das UBA spricht sich deshalb dafür<br />

aus, vorsorgend tätig zu werden und die<br />

Verwendung bestimmter Produkte, die<br />

Bisphenol A enthalten, zu beschränken.<br />

Dies gilt besonders für Produkte im<br />

Kontakt mit Lebensmitteln. Für diese<br />

ergeben sich außerhalb des Stoffrechts<br />

(REACH) zusätzliche Regelungsoptionen.<br />

Hinsichtlich der Regelungsoptionen ist<br />

zwischen Lebensmittelbedarfsgegenständen<br />

(Materialien und Gegenstände, die<br />

dazu bestimmt sind, mit Lebensmitteln in<br />

Berührung zu kommen) und anderen Bedarfsgegenständen<br />

(etwa Gegenstände,<br />

die dazu bestimmt sind, zum Beispiel<br />

mit den Schleimhäuten des Mundes in<br />

Berührung zu kommen) zu unterscheiden.<br />

Die rechtlichen Vorgaben für beide Produktgruppen<br />

im Kontakt mit Lebensmitteln<br />

ergeben sich überwiegend aus dem<br />

europäischen Recht. Daher können nationale<br />

Maßnahmen <strong>nur</strong> ergriffen werden,<br />

wenn es das europäische Recht zulässt.<br />

Die EU-Regelungen zu Lebensmittelbedarfsgegenständen<br />

sind weitgehend abschließend.<br />

Der Gestaltungsspielraum<br />

für den deutschen Gesetzgeber ist darum<br />

recht klein. Deshalb ist zunächst auf<br />

EU- Ebene auf eine Herabsetzung der<br />

Vorgaben zu den Höchstmengen von Bisphenol<br />

A in Lebensmittelbedarfsgegenständen<br />

aus Kunststoff zu drängen.<br />

Info: www.umweltbundesamt.de<br />

WIRTSCHAFT & MARKT 12/11<br />

49


REPORT<br />

Anfang der 90er Jahre hat das Dessauer<br />

Unternehmen begonnen, sich auf die<br />

Herstellung von Drehstrom-Asynchronmotoren<br />

und Drehstrom-Synchrongeneratoren<br />

zu spezialisieren. »Wir entwickeln<br />

und fertigen auf Kundenwunsch.<br />

Die Marktnische ist da, wo die<br />

großen Serienhersteller abwinken müssen.<br />

Bei uns ist alles made in Germany.«<br />

Das wiederum funktioniert <strong>nur</strong> mit eigener<br />

Nachwuchsarbeit. Die AEM hat gegenwärtig<br />

25 Lehrlinge, bildet in acht<br />

Facharbeiterberufen selbst aus.<br />

AEM Dessau ist mit seinen derzeit 220<br />

Mitarbeitern auf Erfolgskurs. Der Jahresumsatz<br />

pendelt zwischen 20 und 24 Millionen<br />

Euro. »Wir sind auf der Welle der<br />

Fotos: T. George<br />

Elektromotorenwerk Dessau<br />

Erfolg in der Nische<br />

Die Anhaltinische Elektromotorenwerk Dessau GmbH (AEM) erfüllt<br />

weltweit spezielle Kundenwünsche, fertigt Sondermaschinen. Eine<br />

Marktnische, bei der große Serienhersteller der Branche abwinken.<br />

Wer auf die englische Version der<br />

Internet-Homepage der Anhaltischen<br />

Elektromotorenwerk Dessau<br />

GmbH (AEM) klickt, schaut zuerst<br />

auf eine Animation: Eine kleine blaue<br />

Weltkugel, die kurz eingeblendet wird<br />

und dann dem Firmenlogo AEM weicht.<br />

Die hier entwickelten und gefertigten<br />

Sondermaschinen genießen international<br />

einen exzellenten Ruf. Mit AEM-Generatoren<br />

wird Strom erzeugt. Im Tagebau<br />

und in Produktionshallen werden<br />

Pumpen und Krananlagen mit Motoren<br />

aus Dessau angetrieben. Europa, Südamerika,<br />

China – die Auftraggeber sitzen<br />

überall. »Seit dem Jahr 2005 gehen etwa<br />

50 Prozent unserer Produktion in den Export«,<br />

sagt Rolf Rätzer, Geschäftsführer<br />

und Miteigentümer des mittelständischen<br />

Unternehmens.<br />

Das gibt es so seit 1993, eine Neugründung<br />

nach der Privatisierung. Der 63-<br />

jährige Ingenieur ist einer von vier leitenden<br />

Angestellten, die die inzwischen<br />

über 60-jährige Elektromotoren-Tradition<br />

in Dessau in der Wendezeit am Leben<br />

hielten. 1989 gab es hier 1.800 Beschäftigte,<br />

drei Jahre später <strong>nur</strong> noch<br />

150. Eigentlich wollte der Aufsichtsrat<br />

des Mutterunternehmens VEM 1992 das<br />

Werk schließen. Aber die vier Gesellschafter<br />

der neu gegründeten AEM überzeugten<br />

die verwaltende Treuhandanstalt<br />

mit ihrem Konzept. »Wir mussten<br />

eine pönalisierte Beschäftigungsgarantie<br />

für 130 Mitarbeiter geben und zehn Millionen<br />

D-Mark Investitionen zusichern«,<br />

so Rolf Rätzer, der mit Reiner Storch<br />

heute noch einen der Mitgründer als Geschäftsführer<br />

an seiner Seite hat.<br />

»Wir sind damals von Null gestartet.<br />

Wir hatten nirgendwo einen Markt, alles<br />

war weggebrochen. Wir mussten durch<br />

anwendungsfreundliche, technisch-technologisch<br />

innovative und sichere Erzeugnisse<br />

mit hoher Qualität und Zuverlässigkeit<br />

bestechen. Das Schwierigste war,<br />

die Firma deutschland-, ja weltweit bekannt<br />

zu machen, Kunden zu überzeugen,<br />

den Markt aufzubauen«, erinnert<br />

sich Rätzer. Und sagt dann selbstbewusst:<br />

»Wir sind eines der wenigen rein ostdeutschen<br />

Management-buy-out von dieser<br />

Größe, die es geschafft haben.«<br />

Im Jahr 2007 hat die Firma als einer<br />

der ersten Elektromaschinenhersteller<br />

die Elektroblechfertigung komplett auf<br />

die Lasertechnik umgestellt, die auch bei<br />

Losgröße »1« eine hohe Produktivität gewährleistet.<br />

Rätzer preist die Hochgeschwindigkeitslaser<br />

in höchsten Tönen.<br />

»Eine innovative Technologie ohne Werkzeugbindung.<br />

Wir sind flexibel.« Eine<br />

der Stärken von AEM.<br />

ZUVERSICHTLICH: Manager Rolf Rätzer<br />

Globalisierung gewachsen, da trifft uns<br />

natürlich auch ein Einbruch der Weltkonjunktur.<br />

Wir sind Komponentenlieferant<br />

für Großprojekte, die aber werden<br />

in Krisenzeiten überall <strong>nur</strong> schwer entschieden.«<br />

Das hat für AEM im Jahr 2010<br />

teilweise Kurzarbeit bedeutet, finanziert<br />

durch den Staat.<br />

Eine Unterstützung, die Rätzer nicht<br />

missen will. Auch nicht die Unternehmerreisen<br />

ins Ausland, die Zuschüsse für<br />

Messebeteiligungen, die Vermarktungshilfeprogramme,<br />

eben Förderung durch<br />

Bund und Land. »Für uns als kleine Mittelständler<br />

wäre sonst vieles gar nicht<br />

möglich gewesen«, zeigt sich der Dessauer<br />

überzeugt. Er sieht AEM auch für die<br />

Zukunft gut gerüstet.<br />

Bislang hat das Unternehmen alle<br />

Hürden gemeistert. Und 24 Millionen<br />

Euro in den Standort investiert. Rätzer<br />

schätzt hier das historisch gewachsene<br />

Umfeld von Maschinenbaubetrieben wie<br />

die Gewerbeansiedlung im Großraum<br />

Halle-Leipzig. Auch die äußerst günstigen<br />

Verkehrsanbindungen für ganz<br />

Deutschland und die gut besetzten Universitäten.<br />

Diese seien technisch sehr gut<br />

ausgerichtet, verfügen aber noch über zu<br />

wenig Praxisnähe. In Sachsen-Anhalt jedenfalls<br />

will er bleiben.<br />

Dana Kadell<br />

&<br />

50 WIRTSCHAFT & MARKT 12/11


W&M-SERVICE<br />

DAS THEMA<br />

KOMPAKT<br />

PERSONALSUCHE<br />

Internet dient<br />

zur Information<br />

Bei der Auswahl neuer Mitarbeiter<br />

informiert sich gut<br />

die Hälfte aller Unternehmen<br />

im Internet über Bewerber.<br />

Dies ergab eine repräsentative<br />

BITKOM-Umfrage unter 1.500<br />

Geschäftsführern und Personalverantwortlichen.<br />

49 Prozent<br />

der Firmen nutzen Internet-<br />

Suchmaschinen, um Informationen<br />

über Bewerber zu gewinnen.<br />

Gut ein Fünftel recherchiert<br />

in Online-Netzwerken,<br />

die einen beruflichen Schwerpunkt<br />

haben. 19 Prozent suchen<br />

auch in privat orientierten<br />

Online-Netzwerken. Rechtlich<br />

ist es zurzeit noch zulässig, im<br />

Internet nach Informationen zu<br />

Bewerbern zu suchen.<br />

Für Bewerber besteht die Gefahr,<br />

dass im Internet Widersprüche<br />

im Lebenslauf, unvorteilhafte<br />

Fotos oder schädliche Äußerungen<br />

auftauchen. Der Branchenverband<br />

BITKOM gibt Hinweise,<br />

worauf Bewerber achten sollten.<br />

Sich selbst suchen: Neben<br />

Google, Bing und Yahoo gibt es<br />

spezielle Personensuchmaschinen<br />

wie Yasni oder 123People.<br />

Eigene Präsenz aufbauen:<br />

Profile in Online-Netzwerken<br />

oder eine eigene Website erscheinen<br />

in den Ergebnislisten<br />

der Suchmaschinen in der Regel<br />

oben und bestimmen damit die<br />

Außenwirkung. Meinungen<br />

kontrolliert äußern: Wer sich<br />

im Internet in Blogs oder Foren<br />

mit kompetenten Beiträgen äußert,<br />

wird positiv wahrgenommen.<br />

Beleidigende Äußerungen<br />

sind dagegen Tabu. Wer sich<br />

privat austauschen will, muss<br />

nicht seinen echten Namen<br />

nennen.<br />

Unvorteilhaftes entfernen:<br />

Sollten sich falsche oder unvorteilhafte<br />

Inhalte über die eigene<br />

Person im Internet häufen, kann<br />

professionelle Hilfe sinnvoll<br />

sein. Einige Agenturen sind darauf<br />

spezialisiert, gegen Bezahlung<br />

unerwünschte Inhalte aus<br />

dem Web zu entfernen.<br />

IT-PERSONAL<br />

Bedarf legt<br />

deutlich zu<br />

In deutschen Unternehmen<br />

gibt es aktuell rund<br />

38.000 offene Stellen für<br />

IT-Experten.<br />

Das ist das Ergebnis einer Studie<br />

zum Arbeitsmarkt für IT-<br />

Fachkräfte, die der Hightech-<br />

Verband BITKOM vorgestellt<br />

hat. Bei der repräsentativen<br />

Umfrage wurden 1.500 Geschäftsführer<br />

und Personalverantwortliche<br />

von Unternehmen<br />

aller Branchen befragt.<br />

Nach Einschätzung der befragten<br />

Firmen hat sich parallel<br />

der Fachkräftemangel verschärft.<br />

58 Prozent sagen,<br />

dass ein Mangel an IT-Spezialisten<br />

herrscht. Das ist ein<br />

höherer Wert als in den<br />

Boom-Jahren 2007 und 2008.<br />

Positiv entwickeln sich die<br />

Gehälter von IT-Experten.<br />

Nach einer Untersuchung der<br />

Personalberatung Kienbaum<br />

steigen die Gehälter von IT-<br />

Spezialisten in der ITK-Branche<br />

im laufenden Jahr im<br />

Durchschnitt um 4,7 Prozent.<br />

2010 erhielten Beschäftigte<br />

in der ITK-Wirtschaft ein<br />

Bruttojahresgehalt von durchschnittlich<br />

60.100 Euro.<br />

IM UNTERNEHMEN<br />

IKT-FACHKRÄFTE<br />

Software-Entwickler gesucht<br />

DOMAIN<br />

Bald Start für<br />

Bewerbungen<br />

Der bisher verschobene<br />

Start für neue Homepage-<br />

Namen im Internet steht<br />

jetzt bevor.<br />

Ab dem 12. Januar 2012 will<br />

die zuständige Internet-Verwaltung<br />

Icann Bewerbungen<br />

für neue »Top Level Domains«<br />

entgegennehmen. Dann können<br />

Unternehmen, Städte<br />

und Regionen eigene Adressendungen<br />

nach dem Muster<br />

».firma« oder ».stadt« erhalten.<br />

In Deutschland gibt es<br />

unter anderem Initiativen für<br />

die Adressen .berlin, .hamburg<br />

und .köln. Branchen-Domains<br />

wie .film oder .hotel<br />

sind ebenfalls geplant. »Alle<br />

interessierten Institutionen<br />

sollten ihre Vorbereitungen<br />

zur Bewerbung intensivieren,<br />

wenn sie die neuen Möglichkeiten<br />

möglichst schnell nutzen<br />

wollen«, rät der Präsident<br />

des Hightech-Verbandes BIT-<br />

KOM, Prof. Dieter Kempf. Bewerbungen<br />

sollen zunächst<br />

von Mitte Januar bis Mitte<br />

April eingereicht werden können.<br />

Icann plant, bis zum November<br />

2012 die Anträge zu<br />

prüfen und neue Top Level<br />

Domains zuzulassen.<br />

Rund 16.000 der offenen Stellen für IT-Experten entfallen auf<br />

die ITK-Branche, der Großteil davon auf Anbieter von Software<br />

und IT-Dienstleistungen. Besonders gesucht: Software-Spezialisten<br />

für die Entwicklung neuer Anwendungen.<br />

Gesuchte Job-Profile in der IT-Branche (Angaben in Prozent)<br />

Sotware-Entwickler 84<br />

Marketing-/Vertriebs-Profis 40<br />

IT-Berater 36<br />

IT-Administratoren 20<br />

Hardware-Entwickler 14<br />

KARTENDIENST<br />

Google will Geld<br />

Der Internetkonzern hat neue<br />

Nutzungsbedingungen für den Kartendienst<br />

Maps veröffentlicht.<br />

Unternehmen müssen nun zahlen.<br />

Dies gilt, wenn Unternehmen Google<br />

Maps auf ihren Internetseiten einbinden<br />

wollen. Damit rückt Google von<br />

der bisher praktizierten Strategie mit<br />

Gratisangeboten ab. Die Entscheidung<br />

hat die Diskussion über die Zukunft<br />

von Bezahlmodellen im Internet<br />

neu befeuert. Google selbst ist zu<br />

einem Anteil vom mehr als 90 Prozent<br />

bei seinen Umsatzerlösen vom Anzeigengeschäft<br />

abhängig und sucht<br />

deshalb auch nach neuen Einnahmequellen.<br />

Es ist das erste Mal, dass<br />

Google ein Gratisangebot für bestehende<br />

Kunden kostenpflichtig macht.<br />

Eine kommerzielle Nutzung von<br />

Maps soll künftig <strong>nur</strong> für bis zu<br />

25.000 Seitenaufrufe am Tag kostenlos<br />

sein, für eine darüber hinaus<br />

gehende Nutzung werden Gebühren<br />

erhoben. Google ist Marktführer bei<br />

Online-Kartendiensten. Gerade bei<br />

Webangeboten in der Reisebranche<br />

oder bei so genannten Empfehlungsportalen<br />

gehören Karten zum festen<br />

Bestandteil ihres Web-Sevices.<br />

DOMAIN<br />

DENIC muss löschen<br />

Die DENIC, eine Gesellschaft zur<br />

Vergabe von Internet-Domains,<br />

muss Domainnamen in Fällen eindeutigen<br />

Missbrauchs löschen.<br />

Das entschied der BGH (Az. I ZR<br />

131/10). Geklagt hatte der Freistaat<br />

Bayern. Unternehmen mit Sitz in<br />

Panama hatten Domainnamen registriert,<br />

die aus dem Wort »regierung«<br />

und dem Namen jeweils einer der<br />

bayerischen Regierungsbezirke gebildet<br />

wurden (z. B. »regierung-oberfranken.de«).<br />

Der Freistaat, der für seine<br />

Regierungsbezirke ähnliche Domainnamen<br />

hat registrieren lassen (z. B.<br />

»regierung.oberfranken.bayern.de«),<br />

verlangte die Löschung der Domainnamen.<br />

Die DENIC habe zwar <strong>nur</strong><br />

eingeschränkte Prüfpflichten, räumten<br />

die Richter ein. Bei der Registrierung<br />

selbst, die in einem automatisierten<br />

Verfahren allein nach<br />

Prioritätsgesichtspunkten erfolgt,<br />

müsse deshalb keinerlei Prüfung erfolgen.<br />

In Fällen, in denen die Gesellschaft<br />

aber auf einen offenkundigen<br />

Missbrauch hingewiesen wird, ist<br />

sie zum Handeln gezwungen. Dass<br />

die genannten Bezeichnungen allein<br />

einer staatlichen Stelle und nicht<br />

einem Unternehmen in Panama<br />

zustehen, sei ein solcher Fall.<br />

WIRTSCHAFT & MARKT 12/11 51


W&M-SERVICE<br />

AKTUELL<br />

STEUERSCHÄTZER<br />

Hoffnung auf<br />

Geldsegen<br />

Prognosen in Zeiten der<br />

Euro-Krise sind äußerst<br />

gewagt. Dies gilt auch für die<br />

jüngste Steuerschätzung.<br />

Der Arbeitsmarkt boomt, der<br />

private Konsum zieht an. Anlass<br />

genug für den Arbeitskreis<br />

Steuerschätzung, Bund, Länder<br />

und Gemeinden ein Plus bei den<br />

Steuereinnahmen vorherzusagen.<br />

Der Gesamtstaat soll demnach<br />

von 2011 bis 2015 39,5 Milliarden<br />

Euro mehr in den Kassen<br />

haben als es die vorherige Prognose<br />

im Mai erwarten ließ. Neben<br />

der Lohnsteuer soll der<br />

Milliardensegen für die Staatskassen<br />

vor allem durch die<br />

Umsatzsteuer getragen werden.<br />

Im Einzelnen kommt die aktuelle<br />

Steuerschätzung zu dem Ergebnis,<br />

dass der Staat mit Mehreinnahmen<br />

von 48,1 Milliarden<br />

Euro rechnen kann, davon 17,5<br />

Milliarden Euro bereits im Jahr<br />

2011. Dem sind Mindereinnahmen<br />

aufgrund von Änderungen<br />

im Steuerrecht von 8,6 Milliarden<br />

Euro gegenzurechnen. Ein<br />

Steuerplus gibt es auch für die<br />

Länder und in geringerem Maße<br />

2011 und 2012 für die Kommunen.<br />

Diese müssen allerdings<br />

2013 bis 2015 mit Mindereinnahmen<br />

rechnen.<br />

Inwieweit solche Schätzungen<br />

im Zuge der weltweiten Schuldenkrise<br />

für nachhaltige Planungen<br />

verlässliche Daten liefern,<br />

sei dahingestellt. In jedem<br />

Fall haben sie die Berliner Koalitionsregierung<br />

zu einer<br />

milden Steuerreform bewegen<br />

können. Um sechs Milliarden<br />

Euro will man die deutschen<br />

Steuerzahler entlasten, indem<br />

die »kalte Progression« in der<br />

Einkommensteuer abgeschwächt<br />

wird. Die Entlastung<br />

soll in zwei Schritten 2013 und<br />

2014 wirksam werden. Dazu<br />

wird der Grundfreibetrag angehoben<br />

und der Tarif verschoben.<br />

Die Anhebung des Grundfreibetrages<br />

war durch die Rechtsprechung<br />

ohnehin fällig.<br />

IM<br />

STEUERPRÜFUNG<br />

Beim Chi-Test<br />

durchgefallen<br />

Auffälligkeiten beim sogenannten<br />

Chi-Test reichen<br />

zur Beanstandung der<br />

Buchführung nicht aus.<br />

Bei dem Test wird davon ausgegangen,<br />

dass derjenige, der<br />

bei seinen Einnahmen unzutreffende<br />

Werte in das Kassenbuch<br />

eingibt, unbewusst eine<br />

Vorliebe für gewisse Lieblingszahlen<br />

hat und diese entsprechend<br />

häufiger verwendet.<br />

Einem Friseursalon wurde<br />

vorgeworfen, dass die Kassenbücher<br />

in Form von Excel-Tabellen<br />

geführt worden seien.<br />

Diese könnten nachträglich<br />

geändert werden. Der Chi-Test<br />

legte eine solche Manipulation<br />

nahe. Das Finanzamt erhöhte<br />

deshalb die erklärten<br />

Umsatzerlöse um jährlich<br />

3.000 Euro.<br />

Das FG Rheinland-Pfalz widersprach<br />

(Az. 2 K 1277/10):<br />

Der Test allein sei nicht geeignet,<br />

Beweise dafür zu erbringen,<br />

dass die Buchführung<br />

nicht ordnungsgemäß sei. Zudem<br />

ergebe sich aus der Preisliste<br />

des Friseursalons naturgemäß<br />

eine Häufung bestimmter<br />

Zahlen.<br />

Der Staat trinkt mit<br />

UNTERNEHMEN<br />

FILMTHEATER<br />

Kein Kino<br />

ohne Popcorn<br />

Der Verkauf von erwärmtem<br />

Popcorn und Nachos<br />

im Kino unterliegt dem<br />

ermäßigten Steuersatz.<br />

Der BFH (Az. V R 3/07) hat entschieden,<br />

dass die Umsätze,<br />

die Kinobetreiber mit dem<br />

Verkauf von Popcorn und<br />

Nachos erzielen, dem ermäßigten<br />

Steuersatz unterliegen.<br />

Es handelt sich um die<br />

Abgabe von Standardspeisen,<br />

die nicht auf Bestellung eines<br />

bestimmten Kunden, sondern<br />

entsprechend der allgemein<br />

vorhersehbaren Nachfrage<br />

vorgenommen werden.<br />

Im dem zu entscheidenden<br />

Fall hatte das Finanzamt eine<br />

Restaurationsleistung als Teil<br />

des Angebot angenommen<br />

und den vollen Umsatzsteuersatz<br />

berechnet. Als Dienstleistungselement<br />

galt das Mobiliar<br />

im Kino-Foyer. Das sahen<br />

die Richter anders, weil die<br />

Tische und Stühle im Kino-<br />

Foyer nicht ausschließlich für<br />

den Verzehr von Lebensmitteln<br />

gedacht waren, sondern<br />

auch allen wartenden Kinobesuchern<br />

zur Verfügung<br />

standen.<br />

STEUERN AUF ALKOHOL<br />

Insgesamt 3,1 Milliarden Euro Steuereinnahmen flossen im<br />

Jahr 2010 über den Absatz alkoholischer Getränke in die öffentlichen<br />

Kassen Deutschlands. Das Biersteueraufkommen steht<br />

den Bundesländern zu, alle anderen Steuereinnahmen aus<br />

Genussmitteln fließen in die Bundeskasse.<br />

Steuerart<br />

Branntweinsteuer<br />

Biersteuer<br />

Schaumwein und Zwischenerzeugnisse<br />

Steuer auf Alkopops<br />

Weinsteuer<br />

Quelle: Statistisches Bundesamt<br />

Aufkommen<br />

2.000 Mio. Euro<br />

713 Mio. Euro<br />

443 Mio. Euro<br />

2 Mio. Euro<br />

wird nicht erhoben<br />

STEUERN SPAREN<br />

W&M-Tipp für die PRAXIS<br />

Fehlstart für die<br />

Lohnsteuerkarte<br />

Dle ektronische Lohnsteuerkarte<br />

sollte zum Jahreswechsel starten.<br />

Doch nun gibt es technische<br />

Probleme und Verzögerungen.<br />

Noch vor kurzem wurde – auch an<br />

dieser Stelle – das Ende der Lohnsteuerkarte<br />

auf Pappe ausgerufen.<br />

Ersetzt werden sollte sie durch die<br />

elektronische Lohnsteuerkarte.<br />

Was bisher an Daten auf der Vorderseite<br />

der Lohnsteuerkarte stand,<br />

wird jetzt in einer zentralen Datenbank<br />

namens ELStAM erfasst.<br />

ELStaM ist die Abkürzung für »Elektronische<br />

Lohnsteuer-Abzugs-Merkmale«.<br />

Der Arbeitgeber kann auf<br />

diese Datenbank zugreifen, um den<br />

Lohnsteuerabzug seiner Mitarbeiter<br />

zu ermitteln, also in welcher Steuerklasse<br />

der Arbeitnehmer ist, wie<br />

viele Kinder er hat, welche Freibeträge<br />

er beantragt hat und welcher<br />

Religionsgemeinschaft er angehört.<br />

Nun stellt sich raus, dass viele der<br />

dort gespeicherten Daten falsch<br />

sind. Die Möglichkeit des Zugriffs<br />

wird sich deshalb wohl bis zum<br />

2. Quartal 2012 verzögern.<br />

Das ist nicht die erste Panne bei<br />

der Einführung elektronischer<br />

Verfahren bei den Behörden. Die<br />

Wirtschaft reagierte verärgert auf<br />

die dadurch zu erwartenden Mehrarbeiten<br />

bei der Umstellung in den<br />

Unternehmen.<br />

Die Lohnsteuerhilfevereine warnen<br />

unterdessen die Arbeitnehmer,<br />

dass viele der Infoblätter, die mit<br />

Beginn des Monats November verschickt<br />

wurden, um Arbeitnehmer<br />

aufzuklären, welche Daten über sie<br />

gespeichert sind, falsche Angaben<br />

enthalten.<br />

Besonders die Steuerklasse und<br />

die Religionszugehörigkeit sind oft<br />

nicht korrekt erfasst. Das könne<br />

zu falschen Abzügen führen. Einige<br />

Finanzämter wurden bereits von<br />

einem Ansturm von Korrekturwünschen<br />

überrollt.<br />

W&M-TIPP<br />

Wer fehlerhafte Angaben in seinem<br />

Schreiben entdeckt, sollte diese –<br />

am besten schriftlich – beim Finanzamt<br />

bis zum Jahresende melden.<br />

Ist die elektronische Lohnsteuerkarte<br />

dann eingeführt, gilt: Bei wem<br />

sich später Änderungen etwa durch<br />

einen Wechsel der Steuerklasse<br />

oder das Eintragen von Kinderfreibeträgen<br />

ergeben, muss diese<br />

ebenfalls dem Finanzamt anzeigen.<br />

Er muss aber auch den Arbeitgeber<br />

informieren, damit dieser die<br />

aktualisierten Angaben aus der<br />

Datenbank abrufen kann.<br />

52 WIRTSCHAFT & MARKT 12/11


W&M-SERVICE<br />

STEUERSOFTWARE<br />

Wenn der<br />

Rechner irrt<br />

Wer eine Steuersoftware<br />

für seine Steuererklärung<br />

nutzt, muss das Risiko für<br />

Fehler selbst tragen.<br />

Das hat das Finanzgericht<br />

Rheinland-Pfalz (Az. 3 K 2674/<br />

10) entschieden. Der Kläger<br />

hatte nachträglich rund 4.000<br />

Euro für die Kinderbetreuung<br />

absetzen wollen. Als Grund<br />

nannte er, dass seine Steuersoftware<br />

den Posten in der<br />

Steuererklärung nicht abgefragt<br />

habe. Das Computerprogramm<br />

habe ihm nicht automatisch<br />

das Steuerformular<br />

angezeigt, sondern durch ein<br />

eigenes Menu geführt. Das Finanzamt<br />

lehnte die nachträgliche<br />

Geltendmachung der<br />

Kosten ab und bekam von den<br />

Finanzrichtern Recht. Wenn<br />

die Software nicht alle Funktionen<br />

wie die amtlich bereitgestellte<br />

Steuersoftware habe,<br />

müsse der Steuerpflichtige<br />

das Risiko tragen. Mögliche<br />

Software-Fehler gleichen so<br />

Fehlern von Steuerberatern.<br />

DIE MEINUNG DES EXPERTEN<br />

Zu früh gefreut: Als an dieser Stelle in Heft 11/<br />

11 die Abzugsfähigkeit der Kosten für die Erstausbildung/das<br />

Erststudium als Werbungskosten<br />

als gerechter Ausgleich für die späteren<br />

Steuereinnahmen gefeiert wurde, hatte die Regierung<br />

bereits eine Klarstellung der vom Gesetzgeber<br />

gewollten Rechtslage definiert. Danach<br />

sind die Kosten für das Erststudium nun<br />

doch nicht absetzbar. Der Finanzausschuss<br />

reagierte prompt: Die vom BFH erkannte Lücke<br />

im Gesetz, deren Nutzung (rückwirkend ab<br />

2004) zum Tragen gekommen wäre, fiel der<br />

Haushaltsräson zum Opfer. Lediglich eine Erhöhung<br />

des Sonderausgabenabzugs für Ausbildungskosten<br />

von derzeit 4.000 auf 6.000 Euro<br />

ab 2012 wurde beschieden. In der Begründung<br />

heißt es, »dass die erste Berufsausbildung und<br />

PRIVAT<br />

FORMULARE<br />

Den Überblick<br />

verloren<br />

Das Finanzamt darf mit seinen<br />

Formularen keine überzogenen<br />

Anforderungen<br />

an den Steuerbürger stellen.<br />

Der Kläger lebt mit der Mutter<br />

seines im Jahr 2007 geborenen<br />

Kindes in nichtehelicher Lebensgemeinschaft.<br />

Seine<br />

Steuererklärung für das Jahr<br />

2008 gab er elektronisch mit<br />

ElsterFormular ab, ohne seine<br />

Unterhaltszahlungen an die<br />

Lebensgefährtin anzugeben.<br />

Erst nachdem sein Einkommensteuerbescheid<br />

bereits<br />

bestandskräftig geworden war,<br />

holte er die Angaben nach.<br />

Dies lehnte das Finanzamt ab.<br />

Das FG Hamburg urteilte anders<br />

(Az. 1 K 43/11): Die Steuererklärungsunterlagen,<br />

insbesondere<br />

im ElsterFormular,<br />

seien nicht deutlich. Erst bei<br />

genauerer Durchsicht der Anlage<br />

fände sich am Ende eine<br />

Erwähnung der Kindesmutter.<br />

Zudem sei es im ElsterFormular<br />

schwieriger, die auszufüllenden<br />

Felder zu überblicken.<br />

Von KARL-HEINZ BADURA<br />

Wirtschaftsjournalist und Finanzrichter,<br />

Nörvenich<br />

Ausbildungskosten – Haushaltsräson geht vor<br />

ZOLL<br />

Unkenntnis<br />

kann schützen<br />

Ein Käufer hatte über das<br />

Internet einen Blu-ray-Player<br />

zum Preis von rund 500 Euro<br />

im Ausland bestellt.<br />

Bei Abholung des Geräts beim<br />

Zollamt meldete er die Einfuhr<br />

ordnungsgemäß an. Der Zollbeamte<br />

gab die Daten in das<br />

EDV-System ein und erließ einen<br />

Einfuhrabgabenbescheid<br />

über 88,68 Euro, den der Käufer<br />

zahlte. Später bemerkten die<br />

Zollbeamten einen Fehler bei<br />

der Eingabe der Daten. Das<br />

Zollamt erhob deshalb nachträglich<br />

Einfuhrabgaben in<br />

Höhe von weiteren 77,21 Euro.<br />

Der Käufer hätte durch schlichtes<br />

Nachlesen der einschlägigen<br />

Gesetzesvorschriften den<br />

Fehler bei der Berechnung der<br />

Einfuhrabgaben bemerken können.<br />

Dem widersprachen die<br />

Hamburger Finanzrichter und<br />

ließen den Zoll abblitzen (Az. 4<br />

K 63/11): Der Kläger habe darauf<br />

vertrauen dürfen, dass die Zollbeamten<br />

über die erforderliche<br />

Sachkunde verfügen würden.<br />

das Erststudium als Erstausbildung der privaten<br />

Lebensführung zuzuordnen sind«. Diese<br />

Grundentscheidung folge auch den Grundsätzen<br />

des Sozialrechts, dass diese Ausbildungsbereiche<br />

der Bildungsförderung und nicht der<br />

Arbeitsförderung unterliegen würden. Die zeitliche<br />

Rückwirkung sei unter Berufung auf die<br />

Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts<br />

in diesem Falle zulässig.<br />

Dass mit derartig pragmatischen Begründungen<br />

die Zahl der Urteile zunimmt, die in<br />

ähnlicher Weise über den entschiedenen Fall<br />

hinaus nicht zu einer tatsächlichen Rechtsprechungsänderung<br />

führen können, ist<br />

äußerst unbefriedigend. Denn die beiden Ausbildungsurteile<br />

hätten tatsächlich eine Änderung<br />

der Rechtsprechung bedeutet.<br />

➔Steuern KOMPAKT<br />

BUCHTIPP<br />

In der Steuerfalle<br />

Der Staat ist zum Großeinkäufer von<br />

so genannten Steuer-CD geworden.<br />

Wann machen sich Steuerbürger<br />

eigentlich im Steuerrecht strafbar?<br />

Bei der Klärung dieser Frage hilft<br />

ein aktuelles Ratgeber-Werk aus<br />

dem C.H.Beck-Verlag. »Trotz ausführlichen<br />

Berichterstattungen in den Medien<br />

weiß kaum ein Bürger, wann genau<br />

er sich der Steuerhinterziehung<br />

strafbar macht, wie die Ermittler<br />

arbeiten und welche Sanktionen drohen«,<br />

erklärt Arne Lißewski, Fachanwalt<br />

für Steuerrecht und Strafrecht<br />

und Mitautor des Buches.<br />

Lißewski warnt davor, Steuerhinterziehung<br />

<strong>nur</strong> als Delikt einiger weniger<br />

Großverdiener anzusehen: »Steuerhinterziehung<br />

existiert in vielen Varianten,<br />

durch aktives Tun genauso<br />

wie durch Unterlassen.« Wer etwa<br />

mehr Reiseauslagen geltend macht<br />

als angefallen oder gegenüber dem<br />

Finanzamt Einnahmen verschweigt,<br />

macht sich strafbar. Doch nicht jede<br />

Steuersünde hat schwerwiegende<br />

rechtliche Folgen: »Abzugrenzen ist<br />

die leichtfertige Steuerverkürzung,<br />

die lediglich eine Ordnungswidrigkeit<br />

ist und <strong>nur</strong> zu einem Bußgeld führt«,<br />

erklärt Lißewski. Bei groben Rechtsverstößen<br />

drohen aber saftige Geldund<br />

sogar Haftstrafen. »Hinzu kommt,<br />

dass der Steuerhinterzieher für den<br />

Steuerschaden persönlich haftet,<br />

auch wenn ein Dritter von der Steuerhinterziehung<br />

profitiert hat«, warnt<br />

der Steuerexperte. »Der Staat hat<br />

auch die Möglichkeit, Vermögen einzukassieren<br />

oder ordnungsrechtliche<br />

Folgen auszusprechen wie die Gewerbeuntersagung.«<br />

Eine Möglichkeit, der Strafe zu entkommen,<br />

ist die Selbstanzeige, die<br />

es so <strong>nur</strong> im Steuerrecht gibt. Seit<br />

Mai 2011 gelten hierfür in Deutschland<br />

neue Regeln. Lißewski erläutert:<br />

»Die Teilselbstanzeige ist mit der<br />

Neuregelung unwirksam geworden.<br />

Es gilt das Prinzip des reinen Tisches.«<br />

Der Ratgeber erklärt aber nicht<br />

<strong>nur</strong> die rechtlichen Regeln, er gibt<br />

auch Tipps, was zu tun ist, wenn ein<br />

Verfahren nicht mehr abzuwenden ist.<br />

Lißewski/Suckow/Albers, Steuerhinterziehung<br />

– Straftat und Rechtsfolgen,<br />

Beck kompakt Ratgeber,<br />

2011, 128 Seiten, 6,80 Euro,<br />

ISBN: 978-3-406-61798-0<br />

WIRTSCHAFT & MARKT 12/11 53


W&M-SERVICE<br />

DAS<br />

THEMA<br />

HYGIENE<br />

Viele Betriebe<br />

schlampen<br />

Rund jeder vierte der von Lebensmittelkontrolleuren<br />

2010 untersuchten Betriebe<br />

verstieß gegen Auflagen.<br />

Das zeigen die Zahlen der<br />

amtlichen Lebensmittelüberwachung,<br />

die das Bundesamt<br />

für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit<br />

(BVL) vorgelegt<br />

hat. Insgesamt liegt die<br />

Zahl der Beanstandungen aber<br />

weiterhin konstant auf einem<br />

niedrigen Niveau. Im zurückliegenden<br />

Jahr haben die Kontrolleure<br />

der amtlichen Lebensmittelüberwachung<br />

in den Bundesländern<br />

921.000 Inspektionen<br />

in rund 538.000 deutschen<br />

Betrieben durchgeführt und<br />

408.000 Proben untersucht. Bei<br />

etwa 139.000 Betrieben stellten<br />

die Kontrolleure Verstöße fest.<br />

Besonders geschludert wurde<br />

bei der allgemeinen Betriebshygiene<br />

sowie beim Hygienemanagement<br />

in den Betrieben.<br />

Auch bei der Kennzeichnung<br />

und Aufmachung der Lebensmittel<br />

gab es Mängel. Hier waren<br />

von den rund 408.000 untersuchten<br />

Proben etwa 55.000<br />

Proben zu beanstanden. Ursachen<br />

waren in der Häfte der<br />

Fälle Kennzeichnungsmängel.<br />

Rund jedes fünfte Produkt wies<br />

Keime auf. Auch Gaststätten<br />

wurden umfangreich unter die<br />

Lupe genommen. Hygienemängel<br />

in den Getränkelagern<br />

sowie bei den Schanktischen<br />

und Zapfstellen wurden in<br />

16,3 Prozent der kontrollierten<br />

Gaststätten mit Vollküche und<br />

in 27,1 Prozent der kontrollierten<br />

reinen Schankwirtschaften<br />

festgestellt. Diese Ergebnisse<br />

zeigen, dass insbesondere in reinen<br />

Schankwirtschaften das<br />

Hygienebewusstsein noch nicht<br />

in zufriedenstellendem Maß<br />

vorhanden ist. Verbraucherschützer<br />

drängen angesichts<br />

der Ergebnisse weiter auf eine<br />

Veröffentlichung der Mängel<br />

einzelner Betriebe – etwa in<br />

Form einer Hygiene-Ampel.<br />

WETTBEWERB<br />

Presse-Grossist<br />

abgemeldet<br />

IM UNTERNEHMEN<br />

Der Großhandel mit Presseerzeugnissen<br />

erfolgt in<br />

Deutschland traditionell<br />

im Presse-Grosso-System.<br />

Die rund 70 Grossisten beliefern<br />

in ihren Vertriebsgebieten<br />

den Einzelhandel mit den<br />

Verlagserzeugnissen und haben<br />

dabei bis auf wenige Ausnahmen<br />

ein Gebietsmonopol.<br />

Nun hat der Bauer-Verlag seinen<br />

Vertrag mit dem Grossisten<br />

für das Hamburger Umland<br />

gekündigt. An dessen<br />

Stelle vertreibt jetzt eine verlagseigene<br />

Tochtergesellschaft<br />

die Presseerzeugnisse<br />

des Bauer-Verlags.<br />

Gegen die Kündiging konnte<br />

der Grossist auch vor dem<br />

Bundesgerichtshof nichts erwirken<br />

(Az. KZR 7/10). Die Produkte<br />

nicht über unabhängige<br />

Händler auszuliefern,<br />

sondern den Vertrieb selbst<br />

zu übernehmen, stehe jedem<br />

Unternehmen frei. Dass andere<br />

Grossisten in anderen Gebieten<br />

weiter beliefert werden,<br />

stelle auch keine Diskriminierung<br />

des gekündigten<br />

Grossisten dar, noch würden<br />

seine Wettbewerbschancen<br />

geschmälert.<br />

MINDESTLÖHNE<br />

URHEBERRECHT<br />

Bilderflut<br />

im Internet<br />

Wer Urheberrechte an<br />

seinen Werken im Internet<br />

geltend machen will, hat<br />

oft schlechte Karten.<br />

Ein Fotograf hatte eine TV-Moderatorin<br />

abgelichtet. Die Bilder<br />

zeigt die Bildsuchmaschine<br />

von Google mit dem Verweis<br />

auf zwei Fundstellen im<br />

Internet an.<br />

Den entsprechenden Seiten<br />

hatte der Fotograf allerdings<br />

keine Urheberrechte an dem<br />

Bild eingeräumt. Der Fotograf<br />

warf nun Google vor, mit den<br />

<strong>Vorschau</strong>bildern eine Verletzung<br />

seiner Urheberrechte begangen<br />

zu haben.<br />

Generell gilt: Wer Bilder ins<br />

Internet stellt und sie nicht<br />

gegen das Finden durch Suchmaschinen<br />

schützt, muss damit<br />

leben, dass diese dort als<br />

<strong>Vorschau</strong>bilder angezeigt werden.<br />

Zudem hatte der Kläger<br />

Dritten durchaus die Bildernutzung<br />

im Internet genehmigt.<br />

Ob das Bild im konkreten<br />

Fall nun gegen den Willen<br />

des Urhebers eingestellt wurde,<br />

könne die Suchmaschine<br />

nicht erkennen, erklärten die<br />

Richter und wiesen die Klage<br />

ab (BGH, Az. I ZR 140/10).<br />

In Europa weit verbreitet<br />

Gesetzlicher Stundenlohn 2010 ausgewählter Länder (in Euro)<br />

Luxemburg 10,61<br />

Frankreich 9,00<br />

Großbritannien 6,91<br />

Griechenland 4,28<br />

Spanien 3,89<br />

Portugal 2,92<br />

Polen 1,85<br />

Tschechien 1,82<br />

Litauen 1,40<br />

Rumänien 0,93<br />

Auf Basis des EU-Referenzkurses mit Stand vom März 2011; Quelle: WSI<br />

URTEIL AKTUELL<br />

Der Fall und DIE FOLGEN<br />

Lärm vertreibt<br />

die Kunden<br />

DER FALL: Eine Kirche wird<br />

seit mehr als zwei Jahren umfangreich<br />

saniert. Die Bauarbeiten<br />

hätten, so klagte ein benachbarter<br />

Imbiss, einen Umsatzeinbruch<br />

von 30 Prozent<br />

zur Folge. Der Gastronom kürzte<br />

darauf die Miete für sein Ladenlokal.<br />

Das wollte sich die<br />

Vermieterin allerdings nicht<br />

gefallen lassen.<br />

DAS URTEIL: Das Oberlandesgericht<br />

Branschweig (Az. 1<br />

U 68/10) gab der Vermieterin<br />

Recht. Eine Mietminderung erfordert<br />

grundsätzlich einen<br />

der Mietsache selbst anhaftenden<br />

Mangel. Dieser lag aber<br />

nicht vor.<br />

Äußere Einflüsse wie eine Baustelle<br />

können <strong>nur</strong> dann zur<br />

Mietkürzung führen, wenn die<br />

Tauglichkeit der Mietsache unmittelbar<br />

beeinträchtigt wird.<br />

Störungen des Mietgebrauchs<br />

durch Vorgänge auf dem Nachbargrundstück,<br />

führten die<br />

Richter weiter aus, seien <strong>nur</strong><br />

dann relevant, wenn damit bei<br />

Vertragsabschluss nicht zu<br />

rechnen gewesen sei.<br />

DIE FOLGEN: Das Urteil ist<br />

eine Warnung für alle, die einen<br />

Mietvertrag für ein Ladenlokal<br />

abschließen. Denn so die<br />

Richter: »Befindet sich auf dem<br />

Nachbargrundstück erkennbar<br />

ältere Bausubstanz, ist<br />

grundsätzlich mit Störungen<br />

durch Bau- und/oder Renovierungsarbeiten<br />

auf dem Nachbargrundstück<br />

zu rechnen.«<br />

Allerdings führten die Richter<br />

auch aus: »Auch in einer solchen<br />

Situation muss der Mieter<br />

grundsätzlich nicht damit<br />

rechnen, dass das Publikum<br />

seines Gewerbes die gemieteten<br />

Räume überhaupt nicht<br />

oder <strong>nur</strong> unter Inkaufnahme<br />

gravierender Erschwernisse erreichen<br />

kann.«<br />

Dem Imbissbetreiber nutzte<br />

dies im konkreten Fall nichts,<br />

denn solche Erschwernisse<br />

konnte er nicht nachzuweisen.<br />

54 WIRTSCHAFT & MARKT 12/11


W&M-SERVICE<br />

WASCHSTRASSE<br />

Statt sauber,<br />

beschädigt<br />

Ein Auto kam in einer<br />

Waschstraße zu Schaden,<br />

weil es mit dem Trocknungsgebläse<br />

kollidierte.<br />

Ein Autofahrer, der einen Schaden<br />

an seinem Fahrzeug nach<br />

Benutzung einer Autowaschstraße<br />

mit Schlepptrossenbetrieb<br />

geltend machen will, hat<br />

oft schlechte Karten. Nach<br />

einem Urteil des Landgerichts<br />

Berlin (Az. 51 S 27/11) muss er<br />

nämlich in vollem Umfang<br />

nachweisen können, dass ein<br />

Mangel der Waschanlage den<br />

Schaden herbeigeführt hat.<br />

Schwierig ist die Beweislage<br />

deshalb, weil der Fahrer sich<br />

während des Waschvorgangs<br />

im Auto befindet und den<br />

Schaden durch unsachgemäßes<br />

Verhalten auch selbst verursacht<br />

haben könnte. Anders<br />

bei Anlagen, bei denen der<br />

Fahrer sein Auto in der Waschanlage<br />

abstellt und der Waschvorgang<br />

automatisch abläuft.<br />

Hier liegt das Schadensrisiko<br />

allein beim Betreiber.<br />

DIE MEINUNG DES EXPERTEN<br />

Leben in der Warteschleife<br />

Endloses Gedudel in der Warteschleife, monotones<br />

Abfragen des Kundenwunsches durch ein<br />

Computerprogramm, bevor endlich ein Experte<br />

– oder jemand, der sich als solcher ausgibt –<br />

die Anfrage persönlich beantwortet. Hotlines,<br />

die dem Kunden gerne als Dienstleistung verkauft<br />

werden, können nicht <strong>nur</strong> zur Belastung<br />

der eigenen Nerven, sondern auch zu einer des<br />

Geldbeutels werden, wenn die Warteschleife<br />

auch noch kostenpflichtig ist. Dem will der<br />

Gesetzgeber ein Ende bereiten. Künftig soll die<br />

Wartezeit zu Beginn eines Anrufs wie auch<br />

während der Bearbeitung als Warteschleife gelten.<br />

Eine Kostenpflicht soll <strong>nur</strong> dann entstehen,<br />

wenn das Anliegen konkret bearbeitet<br />

wird. Erlaubt sein sollen Warteschleifen <strong>nur</strong> unter<br />

bestimmten Bedingungen: bei kostenlosen<br />

RECHT IM ALLTAG<br />

URLAUBSREISE<br />

Nicht ohne die<br />

Medikamente<br />

Ein Reiseveranstalter muss<br />

einen Kunden auf Einfuhrbestimmungen<br />

für Medikamente<br />

hinweisen.<br />

Darauf verweist das Landgericht<br />

Berlin in einem aktuellen<br />

Urteil (Az. 38 O 43/11). Dies gilt<br />

jedenfalls dann, wenn die Regelungen<br />

für den Veranstalter<br />

leicht über die Internetseite<br />

des Auswärtigen Amtes zu ermitteln<br />

sind. Der Reiseveranstalter<br />

muss den Vertragspartner<br />

über alle leicht erkennbaren<br />

Umstände, die die Reise<br />

vereiteln könnten, hinweisen.<br />

Geklagt hatte ein Reisender,<br />

der erst kurz vor der Abreise<br />

nach Dubai von einem Einfuhrverbot<br />

für zahlreiche Medikamente<br />

erfuhr. Er kündigte<br />

darauf den Vertrag, weil seine<br />

Frau ohne die Medikamente<br />

nicht gefahrlos reisen könne.<br />

Allerdings hätte auch der Kunde<br />

sich informieren können.<br />

Sein Mitverschulden bezifferte<br />

das Gericht wertmäßig mit<br />

einem Drittel.<br />

TESTAMENT<br />

Schludriger<br />

Nachtrag<br />

Eine nachträgliche Verfügung<br />

unterhalb der Unterschrift<br />

im Testament muss<br />

auch unterschrieben sein.<br />

Die Erblasserin verfasste und<br />

unterschrieb vor ihrem Tode<br />

eigenhändig ein Testament.<br />

Dort wurde ein Erbe für ihren<br />

Hausstand eingesetzt. Unterhalb<br />

der Unterschrift fügte<br />

sie einen weiteren Satz hinzu,<br />

worin sie dem Erben ebenfalls<br />

ihr Konto zukommen ließ.<br />

Darunter setzte sie handschriftlich<br />

die Abkürzung<br />

»D.O.« (die Obengenannte).<br />

Dies hielt das OLG Celle für<br />

unwirksam (Az. 6 U 117/10).<br />

Eine letztwillige Verfügung<br />

muss nach dem BGB eigenhändig<br />

geschrieben und<br />

unterschrieben sein. Die Unterschrift<br />

soll den Vor- und<br />

Nachnamen des Erblassers<br />

enthalten. Auch wenn an der<br />

Urheberschaft des Nachtrags<br />

keine Zweifel bestünden, sei<br />

er mit dem Kürzel nicht<br />

ordentlich unterschrieben.<br />

Von MATTHIAS SALM,<br />

Wirtschaftsjournalist, Berlin<br />

Servicenummern, wenn die angerufene Firma<br />

die Kosten trägt oder wenn für den gesamten<br />

Anruf ein Festpreis gilt. Festnetz-Vorwahlen fallen<br />

nicht unter die Regelung, da der Gesetzgeber<br />

von einer weiten Verbreitung von Flatrate-<br />

Tarifen ausgeht. Gültig wird die Regelung aber<br />

erst in einem Jahr nach Inkrafttreten. Den<br />

Unternehmen soll so eine Übergangsfrist zur<br />

technischen Anpassung eingeräumt werden.<br />

Ob diese lange Übergangsfrist wirklich nötig<br />

ist? Zumal in dieser Zeit <strong>nur</strong> die ersten beiden<br />

Warteminuten kostenlos sein sollen, danach<br />

aber noch Gebühren kassiert werden dürfen.<br />

Gut möglich, dass mancher in dieser Phase<br />

extra lange warten lässt, um doch noch kassieren<br />

zu können. Also nicht wundern, wenn es<br />

mal wieder etwas länger dauert.<br />

➔<br />

Recht KOMPAKT<br />

GEZ<br />

Gebühr für Studenten<br />

Eine Befreiung von der Rundfunkgebührenpflicht<br />

gibt es für Studenten<br />

<strong>nur</strong> bei Bezug von BAföG. Alle<br />

anderen müssen zahlen.<br />

Von der Rundfunkgebührenpflicht werden<br />

Bezieher bestimmter staatlicher<br />

Sozialleistungen befreit, etwa Empfänger<br />

von Sozialhilfe oder Arbeitslosengeld<br />

II, aber auch Studenten, die<br />

von der Ausbildungsförderung nach<br />

dem Bundesausbildungsförderungsgesetz<br />

(BAföG) leben, ferner behinderte<br />

Menschen mit einem bestimmten<br />

Grad der Behinderung. Über die<br />

Befreiung entscheidet auf Antrag die<br />

zuständige Landesrundfunkanstalt.<br />

Eine Studentin, die ihren Lebensunterhalt<br />

durch einen Studienkredit<br />

bestritt, empfand das als Ungleichbehandlung,<br />

scheiterte aber vor<br />

dem Bundesverwaltungsgericht<br />

(Az. BVerwG: 6 C 34.10).<br />

WERBUNG<br />

So gesund ist Bier<br />

Der Deutsche Brauer-Bund e.V.<br />

warb auf seiner Internetseite mit<br />

den gesundheitsfördernden<br />

Wirkungen des Bierkonsums.<br />

Gelobt wurde die vorbeugende Wirkung<br />

gegen Herzerkrankungen, Gallen-<br />

und Harnstein sowie Osteoporose.<br />

Auch das Demenz- und Diabetesrisiko<br />

wollten die Brauer gemindert<br />

wissen. Das Landgericht Berlin (Az.<br />

16 O 259/10) schob der Werbung mit<br />

Himweis auf eine europarechtliche<br />

Verordnung über nährwert- und<br />

gesundheitsbezogene Angaben zu<br />

Lebensmitteln einen Riegel vor.<br />

LEBENSMITTEL<br />

Mehr Beschwerden<br />

100 Tage nach Start der Plattform<br />

www.lebensmittelklarheit.de sind<br />

bereits mehr als 3.800 Produktmeldungen<br />

eingegangen.<br />

Am häufigsten melden Verbraucher<br />

Produkte, deren Bewerbung und Aufmachung<br />

Inhalte versprechen, die<br />

das Produkt gar nicht hat: Fruchtabbildungen<br />

ohne Frucht in der Zutatenliste,<br />

»Joghurt mit Macadamianüssen«,<br />

der <strong>nur</strong> einen Hauch von Nuss<br />

enthält oder ein Sahnewunder mit<br />

verstecktem Alkoholanteil. Zudem ärgern<br />

sich Verbraucher laut Bundesverbraucherministerium<br />

über Werbeaussagen<br />

wie »Ohne Nitritpökelsalz« oder<br />

»Ohne Geschmacksverstärker«, obwohl<br />

sich Zutaten mit ähnlicher Wirkung<br />

in der Zutatenliste wiederfinden.<br />

WIRTSCHAFT & MARKT 12/11 55


W&M-SERVICE<br />

DAS<br />

THEMA<br />

INTERVIEW<br />

Fotos: Archiv<br />

INVESTMENT<br />

Tipps für<br />

den Anleger<br />

Die Experten von Allianz<br />

Global Investors (AGI) geben<br />

aktuelle Empfehlungen für<br />

die Geldanlage.<br />

Reale Werte: Die Rendite beim<br />

Lieblingskind der Deutschen –<br />

dem Sparbuch – kann gegenwärtig<br />

durch die Inflation<br />

schnell angefressen oder gar<br />

ganz verspeist werden. Daher<br />

raten die AGI-Profis zu realen<br />

Werten: Immobilien, Rohstoffe,<br />

Gold, Aktien.<br />

Chancen nutzen: Gerade bei<br />

Aktien lohne es sich bei einer<br />

attraktiven Bewertung zuzugreifen.<br />

Vor allem gelte es,<br />

nicht <strong>nur</strong> vergangenen Kennzahlen<br />

zu trauen, sondern<br />

aktuelle Unternehmens- und<br />

Konjunkturdaten in die Prüfung<br />

einzubeziehen und<br />

deren zukünftige Auswirkung<br />

zu analysieren.<br />

Aktiv managen: Nach den Erfahrungen<br />

aus der Finanzkrise<br />

sollten Investoren ihre Anlagen<br />

aktiv managen, so die AGI-<br />

Analyse weiter. Globale Ungleichgewichte<br />

müssten künftig<br />

abgebaut werden, was<br />

Konjunktur und Kapitalmarkt<br />

stärker schwanken lasse.<br />

Streuen: Mit der Aufteilung<br />

des Portfolios in verschiedene<br />

Anlageklassen verringere sich<br />

das Verlustrisiko – ohne auf<br />

Chancen zu verzichten. Neben<br />

der Streuung seien langfristige<br />

Strategien bei Kapitalanlagen<br />

sinnvoll und weniger stressig.<br />

Reinvestieren: Unterschätzt<br />

würde den Finanzexperten zufolge<br />

das Thema Dividenden.<br />

Denn reinvestiert statt ausgeschüttet<br />

könnten sie die<br />

Gesamtrendite steigern.<br />

Auf Stabilität setzen: Ein neuer<br />

Stabilitätsanker seien die<br />

Schwellenländer. Eine Beimischung<br />

von Anlagen aus diesen<br />

Regionen könne lohnen.<br />

Auch Deutschland als Wiederaufsteiger<br />

bleibe als Anlageregion<br />

attraktiv.<br />

www.allianzglobalinvestors.de<br />

GESUNDHEIT<br />

Eine positive<br />

Prognose<br />

IKB Bank und Prognos prophezeien<br />

dem deutschen<br />

Gesundheitsmarkt anhaltend<br />

positives Wachstum.<br />

Nachfrage und Umsatz im<br />

Gesundheitssektor sollen bis<br />

2013 weiter steigen. Auch weil<br />

die Gesundheitsversorgung<br />

älterer Patienten aufrechterhalten<br />

werden müsse und<br />

diese Gruppe in Deutschland<br />

überproportional wächst. Damit<br />

steige die Nachfrage nach<br />

Gesundheitsdienstleistungen<br />

und medizinischen Produkten.<br />

Vor allem die Medizintechnik<br />

ist laut IKB ein Exportschlager.<br />

Deutschland sei der größte<br />

EU-Produzent für Medizintechnik.<br />

Die Bedeutung der<br />

Exporte werde weiter zunehmen,<br />

denn auch in den<br />

Schwellenländern wächst die<br />

Nachfrage. Die Analysten der<br />

Commerzbank haben deshalb<br />

zwei Aktienwerte auf<br />

»kaufen« gesetzt: die Medizintechnikfirma<br />

Carl Zeiss Meditec<br />

(WKN 531 370) und den<br />

Dienstleister Rhön-Klinikum<br />

(WKN 704 230).<br />

AKTIENMARKT<br />

FINANZBERATER<br />

Vertrauen<br />

im Sinkflug<br />

Immer mehr Anleger in<br />

Europa planen und<br />

entscheiden ihre Geldgeschäfte<br />

lieber selbst.<br />

Zu diesem Ergebnis kommt<br />

eine repräsentative TNS Sofres<br />

Studie im Auftrag von<br />

Fidelity Investment unter<br />

12.000 Privatanlegern in 14<br />

europäischen Ländern. Demnach<br />

treffen in Deutschland<br />

63 Prozent der Anleger nach<br />

vorheriger Beratung die endgültige<br />

Entscheidung selbst.<br />

Ein gutes Drittel verzichtet<br />

auf professionelle Beratung<br />

und nimmt die eigene Geldanlage<br />

komplett selbst in die<br />

Hand. Parallel sinkt das Vertrauen<br />

in Banken, Versicherungen<br />

& Co. Nur noch 13 Prozent<br />

der deutschen Befragten<br />

vertrauen ihrem Finanzberater<br />

(2008: 16 Prozent). Ursache<br />

des Vertrauensverlustes ist vor<br />

allem mangelnde Aufmerksamkeit<br />

für die Bedürfnisse<br />

der Kunden. Mehr als zwei<br />

Drittel sind überzeugt, dass<br />

ihr Berater in erster Linie<br />

eigene Interessen verfolgt.<br />

www.fidelity.de<br />

DAX BÖRSENSTARS<br />

+<br />

WKN 659990 Merck + 19,66%<br />

WKN 716460 SAP + 17,45%<br />

WKN 766403 Volkswagen VZ + 16,58%<br />

WKN 578580 Fresenius Medical Care + 15,58%<br />

WKN 578560 Fresenius + 15,53%<br />

Merck: Der Pharmariese hat für das dritte Quartal 2011 bessere Zahlen vorgelegt als<br />

erwartet. Außerdem will das Unternehmen effizienter werden und die Konzernstruktur<br />

schlanker gestalten. Kurs-Performance 1 Jahr; Schluss: 08.11.2011<br />

DAX BÖRSENFLOPS<br />

–<br />

WKN 803200 Commerzbank - 68,14%<br />

WKN 703712 RWE - 42,82%<br />

WKN 823212 Lufthansa - 39,75%<br />

WKN 725750 Metro - 34,72%<br />

WKN 514000 Deutsche Bank - 32,41%<br />

Commerzbank: Deutschlands zweitgrößte Privatbank muss ihr Eigenkapital bis Mitte<br />

2012 um 2,9 Milliarden Euro aufstocken. Ansonsten müssten wieder die Steuerzahler<br />

einspringen, befürchten Analysten. Kurs-Performance 1 Jahr; Schluss: 08.11.2011<br />

Quelle: W&M, ohne Gewähr<br />

ELKE<br />

WEIDENBACH<br />

Finanzexpertin,<br />

Verbraucher-<br />

Zentrale NRW<br />

Abschluss lohnt kaum<br />

W&M: Frau Weidenbach, der Garantiezins<br />

für eine Kapitallebensversicherung<br />

sinkt. Lohnt sie sich?<br />

WEIDENBACH: Schon in der<br />

Vergangenheit lohnte der Abschluss<br />

einer KLV kaum. Durch<br />

die Senkung des Garantiezinses<br />

ab 2012 hat sich dies noch<br />

verschärft. Damit ist in den<br />

meisten Fällen der Abschluss<br />

eines Vertrages sinnlos.<br />

W&M: Für welche Personengruppen<br />

eignet sich die KLV?<br />

WEIDENBACH: Für kaum eine<br />

Personengruppe. Allenfalls für<br />

Verbraucher, die möglichst <strong>nur</strong><br />

einmalig einen solchen Vertrag<br />

abschließen wollen und<br />

sicher sind, dass sie den Vertrag<br />

durchhalten werden. Das<br />

kann man über die langen Vertragszeiten<br />

aber kaum kalkulieren.<br />

Wenn ein Arbeitgeber<br />

betriebliche Altersversorgung<br />

<strong>nur</strong> als KLV anbietet, kann der<br />

Abschluss gerechtfertigt sein.<br />

W&M: Wie alternativ vorsorgen?<br />

WEIDENBACH: Das Sparen und<br />

Versichern trennen. Versichern<br />

kann ich die Folgen für einen<br />

frühen Tod über eine Risikolebensversicherung.<br />

Das Sparen<br />

sollte abhängig von den<br />

Bedürfnissen erfolgen, etwa ob<br />

Gelder später kurz- oder langfristig<br />

benötigt werden oder<br />

ob sie für einen bestimmten<br />

Zweck verwendet werden sollen,<br />

für Anschaffungen oder<br />

für die Altersvorsorge.<br />

W&M: Worauf muss man bei<br />

Vertragsabschluss achten?<br />

WEIDENBACH: Die Entscheidung<br />

nicht übereilt treffen.<br />

Über einen langen Zeitraum<br />

zahlt man viel Geld in einen<br />

Vertrag ein. Es sollten von mehreren<br />

Versicherern Angebote<br />

mit den gleichen Rahmenbedingungen<br />

eingeholt werden.<br />

Überschussprognosen sind unverbindlich<br />

und ungewiss, daher<br />

zunächst <strong>nur</strong> garantierte<br />

Leistungen als Entscheidungsgrundlage<br />

vergleichen.<br />

56 WIRTSCHAFT & MARKT 12/11


W&M-SERVICE<br />

GELD & ANLAGE<br />

➔<br />

Geld KOMPAKT<br />

DWS<br />

China als<br />

Chance nutzen<br />

Der neue Rentenfonds von<br />

DWS Investment will von<br />

der Aufwertung der chinesischen<br />

Währung profitieren.<br />

Laut Anbieter können Anleger<br />

mit dem »China Bonds« an der<br />

wirtschaftlicher Stärke des<br />

Riesenreichs teilhaben. Denn<br />

die chinesische Währung<br />

Renminbi ist seit 2005 nicht<br />

mehr an den US-Dollar gekoppelt<br />

und hat laut DWS noch<br />

ein Aufwertungspotenzial von<br />

rund fünf Prozent jährlich in<br />

den nächsten fünf Jahren.<br />

Um direkt von der Aufwertung<br />

des Renminbi zu profitieren,<br />

sei der in Euro notierende<br />

Fonds gegen den US-Dollar<br />

abgesichert.<br />

Das Fonds-Portfolio bestehe<br />

aus bis zu 50 mittelfristigen<br />

Titeln guter Qualität: vor<br />

allem chinesische Staats- und<br />

Unternehmensanleihen<br />

sowie weltweiten Anleihen in<br />

Renminbi.<br />

WKN: (LCH) DWS08E<br />

DIE MEINUNG DES EXPERTEN<br />

BVI<br />

Anleger werden<br />

besonnener<br />

Antizyklisch Aktien kaufen – und zehn Jahre schlafen legen<br />

Börsenlegende Andrè Kostolany hätte seine<br />

Freude an der augenblicklichen Marktsituation<br />

gehabt. Denn für den Altmeister waren Krisen<br />

auch Chancen, um mit einem langfristigen Anlagehorizont<br />

aussichtsreiche Aktien günstig einzukaufen.<br />

»Kaufen Sie Aktien und legen Sie<br />

sich schlafen, am besten zehn Jahre«, predigte<br />

Kostolany. Beim Blick auf die europäischen<br />

Aktienmärkte möchte man diesem Rat gerne<br />

folgen. Es herrscht allgemeine Verunsicherung.<br />

Die Kurse der Dividendentitel durchleben eine<br />

atemberaubende Berg- und Talfahrt. Dem Börsen-Jubel<br />

auf die Beschlüsse des Euro-Gipfeltreffens<br />

folgte die Ernüchterung. Die Ankündigung<br />

des scheidenden griechischen Ministerpräsidenten,<br />

das Volk abstimmen zu lassen,<br />

ließ die Aktien kräftig purzeln. Mittlerweile ist<br />

auch das Referendum wieder Geschichte.<br />

Nach den heftigen Kursturbulenzen<br />

im August sind<br />

5,4 Milliarden Euro aus Publikumsfonds<br />

abgeflossen.<br />

Das war deutlich weniger als<br />

nach der Lehman-Pleite. Laut<br />

Bundesverband Investment<br />

und Asset Management (BVI)<br />

zogen Anleger nach der Lehman-Insolvenz<br />

im September<br />

2008 innerhalb eines Monats<br />

46 Milliarden Euro aus Publikumsfonds<br />

ab. Beim diesjährigen<br />

Kursrutsch im August<br />

seien aus Aktienfonds rund<br />

4,1 Milliarden und aus Mischfonds<br />

etwa 1,6 Milliarden Euro<br />

abgeflossen. Die Geldmarktfonds<br />

und Rentenfonds profitierten<br />

jedoch von den schwachen<br />

Aktienmärkten und<br />

sammelten je rund 1,4 Milliarden<br />

beziehungsweise 0,9 Milliarden<br />

Euro netto ein. Damit<br />

hielten sich die Verkäufe dem<br />

BVI zufolge in Grenzen, die<br />

Anleger reagierten besonnen.<br />

www.bvi.de<br />

ING IM<br />

Dynamik im<br />

Schwellenland<br />

Von GERD RÜCKEL,<br />

CEFA-Wertpapieranalyst, Frankfurt/M.<br />

Auf Werte mit hohen<br />

Dividenden aus Schwellenländern<br />

setzt die ING Investment<br />

Management.<br />

Der neu aufgelegte »Emerging<br />

Markets High Dividend« setzt<br />

dabei auf zwei Entwicklungen:<br />

Erstens wachsen die Schwellenländer<br />

dynamisch. Zweitens<br />

stiegen die Dividendenrenditen<br />

durch satte Gewinnspannen<br />

und niedrige Nettoverschuldung<br />

dort schneller.<br />

Ein Dividenden-Ansatz sorge<br />

daher für gute Anlagechancen.<br />

Als Benchmark dient der MSCI<br />

Emerging Markets Index. Die<br />

erzielten Dividendenrenditen<br />

sollen diesen um mindestens<br />

ein Prozent übersteigen. Das<br />

Management fokussiere zudem<br />

auf eine nachhaltige Ausschüttungspolitik,<br />

geringe<br />

Schwankungen der Werte, ein<br />

begrenztes Abwärtsrisiko und<br />

eine gleichmäßige Streuung<br />

des Risikos.<br />

ISIN: LU0300631982<br />

Sicher ist <strong>nur</strong>, dass Griechenland dringend Geld<br />

benötigt. Zu allem Überfluss gibt es ein noch<br />

größeres Euro-Sorgenkind. So beobachten die<br />

Experten einen beunruhigenden Anstieg der<br />

Renditen für italienische Staatsanleihen – ein<br />

untrügliches Zeichen für einen Vertrauensverlust<br />

von Investoren in die Staatsfinanzen<br />

Roms. Zusammen mit den eingetrübten Aussichten<br />

für die weltweite Konjunktur gibt es für<br />

Börsianer wenig zu lachen. Mutige Anleger sollten<br />

Kursrückschläge am Aktienmarkt dennoch<br />

zu antizyklischen Investments nutzen. Dabei<br />

dürfen auch die heimischen Finanz-Riesen<br />

Allianz und Deutsche Bank auf dem Kaufzettel<br />

stehen. Es gilt aber die Regel, <strong>nur</strong> einen überschaubaren<br />

Teil der verfügbaren Liquidität<br />

zu investieren – und dann schlafen legen, am<br />

besten zehn Jahre.<br />

BÜRGSCHAFTSBANK<br />

6.000. Bürgschaft<br />

Nach einem fulminanten Jahr<br />

2010 hat sich das Geschäft der<br />

Bürgschaftsbank Brandenburg<br />

2011 wieder normalisiert.<br />

Bis Oktober 2011 hat die Bank<br />

260 Bürgschaften und Garantien<br />

für Kredite und Beteiligungen mit<br />

einem Volumen von 65 Millionen<br />

Euro ausgereicht. Im Rekordjahr<br />

2010 waren es Bürgschaften und<br />

Garantien über ein Volumen von<br />

84 Millionen Euro. Im Oktober hat<br />

die Bürgschaftsbank Brandenburg<br />

zudem die 6.000. Bürgschaft seit<br />

ihrer Gründung vergeben. Über den<br />

positiven Bescheid freute sich die<br />

Stahnsdorfer Maschinenbau GmbH.<br />

Das Unternehmen entwickelt und<br />

fertigt komplexe Dreh- und Frästeile<br />

für den Maschinen- und Hydraulikanlagebau.<br />

Zweites Standbein ist<br />

der Getriebebau, beispielsweise<br />

für Solaranlagen oder Pellets-Heizsysteme.<br />

GRÜNDERFONDS<br />

Zweite Auflage<br />

Mit einem Volumen von 288,5 Millionen<br />

Euro hat der Hightech Gründerfonds<br />

II seine Geschäftstätigkeit<br />

aufgenommen.<br />

Mit 220 Millionen Euro steuert der<br />

Bund den größten Anteil zum Fonds<br />

bei. 40 Millionen Euro übernimmt<br />

die staatliche KfW Bankengruppe.<br />

Die Beteiligungen aus der Industrie<br />

(u. a. Robert Bosch, CEWE Color,<br />

Daimler, Deutsche Post DHL und die<br />

Deutsche Telekom) belaufen sich<br />

im Fonds II auf 28,5 Millionen. Der<br />

Hightech Gründerfonds II knüpft<br />

direkt an die Erfolgsbilanz des High-<br />

Tech Gründerfonds an. Dieser mit<br />

272 Millionen Euro ausgestattete<br />

Fonds investierte in rund 250 Hightech-Unternehmen.<br />

SANIERUNG<br />

Staat profitiert<br />

Für jeden Euro, der 2010 in die<br />

Förderung des energieeffizienten<br />

Bauens und Sanierens floss, nahm<br />

der Staat vier bis fünf Euro ein.<br />

Durch die KfW-Förderkredite in<br />

Höhe von 8,9 Milliarden Euro wurden<br />

Investitionen von 21,5 Milliarden<br />

Euro angestoßen. Das kommt<br />

vor allem regionalen Handwerkern<br />

und Bauunternehmen zugute, an<br />

die die Aufträge meist vergeben<br />

werden. In der Folge haben diese<br />

rund 340.000 Arbeitsplätze für ein<br />

Jahr geschaffen oder gesichert.<br />

WIRTSCHAFT & MARKT 12/11<br />

57


INGENIEUR-NACHRICHTEN<br />

Fotos: Archiv, Rudolf Miethig<br />

KOMMENTAR<br />

Von DR. NORBERT MERTZSCH,<br />

Vorsitzender des VBIW e.V.<br />

Energie der Zukunft<br />

Die 1. Summer School der TH Wildau<br />

hatte das Thema »Klimaschutz<br />

und Klimafolgenanpassung«. Organisiert<br />

von den Energiewerken Nord<br />

und der TH Wildau, bildete sie den<br />

Auftakt für eine Serie von Veranstaltungen<br />

im ehemaligen Kernkraftwerk<br />

Rheinsberg. Workshops, Exkursionen<br />

und Abendveranstaltungen<br />

ermöglichten den Teilnehmern,<br />

sich mit Experten auszutauschen<br />

und Tätigkeitsfelder zu definieren.<br />

Als Referent zum Thema »Ambivalenzen<br />

der Erneuerbaren Energien«<br />

als Beitrag des VBIW, hatte ich die<br />

Gelegenheit, die Vortragsveranstaltungen<br />

zu verfolgen. Nach einer Einführung<br />

von Prof. Peter C. Werner<br />

vom Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung<br />

e.V., wurde das Thema<br />

aus Sicht des UBA des Landes<br />

Brandenburg, der Versicherungswirtschaft<br />

und der Klimaplattform<br />

INKA BB analysiert.<br />

Am zweiten und dritten Tag ging es<br />

um Vorhaben als Reaktion auf den<br />

Klimawandel. Vorgestellt wurden<br />

weiterhin: Das autarke Energiedorf<br />

Feldheim, Ansätze für neue Geschäftsideen<br />

zum Klimaschutz,<br />

Probleme bei der Ausweisung von<br />

Windeignungsgebieten, Telematikanwendungen<br />

in Gebäuden, die Wiederverwendung<br />

von gereinigtem<br />

Abwasser im ländlichen Raum sowie<br />

integrierte Algenanlagen zur Gewinnung<br />

von Biowertstoffen und Energie.<br />

Besonders erwähnen möchte<br />

ich die Vorträge unseres Mitglieds<br />

Dr. Andreas Gimsa über den von<br />

ihm weiterentwickelten Stirling-Motor<br />

und von Christian Wenger-<br />

Rosenau über den Jetcar mit Elektroantrieb<br />

der Firma Jetcar Zukunftsfahrzeug<br />

GmbH aus Nietwerder.<br />

Mein Fazit: Die Veranstaltung ebenso<br />

wie die Wahl des Ortes waren<br />

eine gute Idee der TH Wildau. Der<br />

VBIW wird die Fortsetzung der Veranstaltungsreihe<br />

aktiv unterstützen.<br />

deutsche Bahn<br />

DAS<br />

Als eine Studiengruppe<br />

des VBIW im April 2010<br />

den Schienenfahrzeug-Hersteller<br />

Bombardier in<br />

Hennigsdorf besuchte, stand<br />

die Einführung des Nahverkehrszugs<br />

Talent 2 kurz bevor.<br />

Die Deutsche Bahn hatte die<br />

Abnahme von 321 Regionalzügen<br />

in Aussicht gestellt. Ein<br />

Großauftrag, der das Fortbestehen<br />

der rund 1.900 Arbeitsplätze<br />

des Werks in Hennigsdorf<br />

auf Jahre sichern würde.<br />

Schon damals allerdings<br />

schienen die ursprünglich<br />

anvisierten Liefertermine gefährdet.<br />

42 Triebwagen für<br />

die S-Bahn Nürnberg sollten<br />

ab Dezember 2010 eingesetzt<br />

werden.<br />

Was fehlte, war die Zulassung<br />

des neuen Zuges durch<br />

das Eisenbahn-Bundesamt.<br />

Für die Erprobung blieb wenig<br />

Zeit, die Kunden drängten<br />

jetzt, erklärte Dr. Dirk Ehlers,<br />

der zusammen mit Harald<br />

THEMA<br />

Talent und Termine<br />

Seine Probefahrt mit dem neuen Nahverkehrszug<br />

Talent 2 musste der VBIW-Arbeitskreis Verkehrswesen<br />

auf unbestimmte Zeit verschieben.<br />

Körger die VBIW-Ingenieure<br />

geführt hatte.<br />

Schon damals bezweifelten<br />

VBIW-Ingenieure, dass man<br />

Erprobungszeiten, Entwicklungsetappen<br />

und Produktion<br />

im gewünschten Umfang<br />

beschleunigen könne. Inzwischen<br />

wurde VBIW-Mitgliedern<br />

der Region bekannt, dass<br />

bereits produzierte Züge auf<br />

dem Rangierbahnhof Wustermark<br />

abgestellt sind.<br />

Was sind die Ursachen?<br />

»Der Kostendruck ist gewaltig,<br />

auch bei den Herstellern. Die<br />

müssen also in immer kürzerer<br />

Zeit die Fahrzeuge abliefern.<br />

Und da bleibt eben für<br />

manches keine Zeit. Und das<br />

ist meist die Erprobung«, zitiert<br />

die sächsische Tageszeitung<br />

»Freie Presse« Prof.<br />

Günter Löffler von der TU<br />

Dresden. Auch der AK Verkehrswesen<br />

des VBIW erklärt<br />

Erfindern und Entwicklern<br />

immer wieder, wie wichtig<br />

die gründliche Erprobung von<br />

Prototypen und kleinen Vorserien<br />

ist.<br />

Das wissen selbstverständlich<br />

auch die Fachleute bei<br />

Bombardier, konnten sich<br />

aber – wie es scheint – gewissen<br />

Zwängen nicht entziehen.<br />

Die neuen Züge sollen elektrisch<br />

angetrieben werden<br />

und aus zwei bis sechs Wagen<br />

bestehen. Laut Bombardier sei<br />

die Antriebsleistung je nach<br />

Zahl der angetriebenen Achsen<br />

wählbar. Beim Talent-Modell<br />

in klassischer Bauart können<br />

ausschließlich die vier<br />

Achsen der beiden Enddrehgestelle<br />

angetrieben werden.<br />

Wegen welcher Mängel<br />

wird dem Talent 2 die Zulassung<br />

verweigert? Nach Kenntnis<br />

des VBIW-AK Verkehrswesen<br />

ist ein Problem die geforderte<br />

»Bremslinie«, d. h. die<br />

Verzögerung eines Zuges bis<br />

zum Stillstand. Entspricht sie<br />

nicht den Forderungen, werde<br />

der Zug <strong>nur</strong> für maximal 140<br />

km/h zugelassen. Nach Meinung<br />

des AK könnten die Züge<br />

aber immerhin zunächst<br />

auf Strecken eingesetzt werden,<br />

die <strong>nur</strong> Geschwindigkeiten<br />

von 120 km/h erlauben.<br />

Der zweite Mangel: Der Talent<br />

2 erhält keine Zulassung für<br />

die so genannte »Mehrfachtraktion«.<br />

Wenn also die<br />

Züge nicht gekuppelt fahren<br />

können, müsste die Bahn zwei<br />

bis zu fünf einzelne Fahrzeuge<br />

hintereinander auf die<br />

Strecke schicken, um dieselbe<br />

Zahl von Fahrgästen zu befördern.<br />

Das kann sie verständlicherweise<br />

nicht akzeptieren.<br />

Nun hat sich Bundesverkehrsminister<br />

Peter Ramsauer eingeschaltet.<br />

60 Talent 2 sollen<br />

ab Fahrplanwechsel im Dezember<br />

fahren.<br />

Der VBIW-AK Verkehrswesen<br />

wird die Probefahrt hoffentlich<br />

2012 nachholen können.<br />

Mitglieder des VBIW sind<br />

herzlich eingeladen.<br />

VBIW-AK Verkehrswesen<br />

58 WIRTSCHAFT & MARKT 12/11


INGENIEUR-NACHRICHTEN<br />

AKTUELL<br />

Foto: N. Mertzsch<br />

EXKURSION<br />

Wartung für<br />

Agrarflieger<br />

Zur FSB-Aircraft Maintenance<br />

GmbH am Flughafen<br />

Kyritz ging eine Fachexkursion<br />

von VBIW-Mitgliedern.<br />

Die fachlichen Wurzeln des<br />

1993 gegründeten Unternehmens<br />

liegen in der langjährigen<br />

Tradition der Wartung von<br />

Agrarflugzeugen der Interflug.<br />

Geschäftsführer Matthias Weigelt<br />

stellte das Leistungsspektrum<br />

des Unternehmens vor:<br />

Es reicht von der Wartung von<br />

EXKURSION: Besuch bei der<br />

FSB-Aircraft Maintenance GmbH.<br />

Flugzeugen bis 5,7 Tonnen<br />

Gewicht über Flugzeuglackierung,<br />

Flugzeugklempnerei<br />

und Sternmotorenwartung bis<br />

zur Tätigkeit als Service-Center<br />

für Cessna- und Diamond-Flugzeuge<br />

sowie Centurion-Flugzeugantriebe.<br />

Zusätzlich ist<br />

FSB Cessna-Vertragshändler.<br />

Ein Rundgang führte auch zu<br />

drei modernen Hangars. Werner<br />

Ritter, Flugzeugprüfer und<br />

damit zuständig für technische<br />

Abnahmen, verwies auf<br />

die notwendige Qualität bei<br />

der Wartung von Flugzeugen.<br />

Am größten derzeit in Wartung<br />

befindlichen Flugzeug,<br />

der polnischen M 18 »Dromader«<br />

(deutsch Dromedar), demonstrierte<br />

Ritter den Aufbau<br />

und die Arbeitsweise von<br />

Agrarflugzeugen.<br />

Diese Maschinen aus dem Bestand<br />

der früheren Interflug<br />

wurden von den nachfolgenden<br />

Besitzern nach und nach<br />

in alle Welt verkauft.<br />

Inzwischen hat die benachbarte<br />

FSB-Airservice GmbH in<br />

Kyritz wieder vier gebrauchte<br />

M-18A angeschafft.<br />

Dr. Norbert Mertzsch (VBIW)<br />

ENERGIESPEICHER<br />

Solarstrom<br />

jederzeit<br />

Um Energiespeicher der<br />

Zukunft ging es bei einer<br />

Tagung in Fürstenwalde.<br />

Der VBIW war mit dabei.<br />

Der AK Umweltschutz/<br />

Erneuerbare Energien des<br />

VBIW nahm an der Tagung<br />

VERSAMMLUNG<br />

Einladung an<br />

alle Mitglieder<br />

Der Vorstand des VBIW<br />

lädt alle Mitglieder zur<br />

Jahreshauptversammlung<br />

am 28. Januar 2012 ein.<br />

Auf der Jahreshauptversammlung<br />

wird Rechenschaft<br />

über die Aktivitäten<br />

des Vereins Brandenburgischer<br />

Ingenieure und Wirtschaftler<br />

e. V. (VBIW) im<br />

Jahre 2011 abgelegt. Um<br />

Diskussionsbeiträge dazu<br />

wird gebeten. Zusätzlich<br />

zu den obligatorischen<br />

Tagungsordnungspunkten<br />

wird wieder ein Fachvortrag<br />

geboten.<br />

Tagungsort: IHP,<br />

Veranstaltungsraum 1. OG,<br />

Im Technologiepark 25,<br />

15236 Frankfurt (Oder).<br />

Zeitplan: 10.00–14.00 Uhr,<br />

Einlass ab 9.30 Uhr (Imbiss).<br />

Vorstand des VBIW<br />

»Energiespeicher der Zukunft<br />

– Photovoltaikstrom zu jeder<br />

Zeit« teil, die von der IHK Ostbrandenburg<br />

und dem Transferzentrum<br />

Ostbrandenburg<br />

e. V. veranstaltet wurde. Die<br />

Speicherung großer Mengen<br />

elektrischer Energie ist nötig,<br />

weil das Angebot an regenerativen<br />

Stromquellen starken<br />

zeitlichen Schwankungen<br />

unterworfen ist. Auf der Tagung<br />

wurden zwei Bereiche<br />

diskutiert.<br />

Erstens: Speicherung von Elektroenergie<br />

in Batterien.<br />

Zweitens: Umwandlung von<br />

elektrischer Energie in chemische<br />

Bindungsenergie von Gasen<br />

oder flüssigen Stoffen. Aus<br />

beiden Bereichen wurden Lösungen<br />

vorgestellt. Bei den Batteriespeichern<br />

vor allem Systeme<br />

für kleinere Anlagen. Bei<br />

der Umwandlung in flüssige<br />

bzw. gasförmige Energieträger<br />

existieren kleinere Anlagen.<br />

Ein erstes Hybridkraftwerk,<br />

das Wasserstoff aus Windkraft<br />

erzeugt und bei Bedarf mit Biogas<br />

mischt und verstromt, wurde<br />

inzwischen bei Prenzlau in<br />

Betrieb genommen.<br />

Dr. Ulrich Fleck (VBIW)<br />

WETTBEWERB<br />

Ingenieurkunst<br />

in Bildern<br />

Fotos gesucht: Der VBIW-<br />

Bildkalender 2013 wird das<br />

Thema »Ingenieurkunstwerke<br />

in Bildern« haben.<br />

Der Vorstand des VBIW ruft<br />

dazu auf, an der Gestaltung<br />

des vereinsinternen Kalenders<br />

mitzuwirken. Gesucht werden<br />

Fotos von besonderen Ingenieurleistungen.<br />

Die Motive<br />

sollen sich in Brandenburg<br />

befinden oder unmittelbaren<br />

Bezug zur Vereinstätigkeit<br />

haben. Mit der Einsendung er-<br />

klären die Autoren verbindlich,<br />

dass sie Urheber der Arbeiten<br />

sind und alle Bildrechte<br />

bei ihnen liegen. Ihre Fotos<br />

können im Rahmen der Erstellung<br />

eines Technikkalenders<br />

auf der VBIW-Internetseite<br />

und in Veröffentlichungen des<br />

VBIW kostenfrei verwendet<br />

werden. Rechte Dritter, insbesondere<br />

der abgebildeten Personen,<br />

dürfen dem nicht entgegenstehen.<br />

Drei Fotos pro Autor sind möglich.<br />

Eine Jury trifft eine bindende<br />

Auswahl. Der Rechtsweg<br />

ist ausgeschlossen. Der Vorstand<br />

behält sich das Recht vor,<br />

<strong>nur</strong> einen Auszug des Bilds zu<br />

veröffentlichen und die<br />

Beschreibung redaktionell zu<br />

bearbeiten. Die Einreicher der<br />

zwölf ausgewählten Fotos erhalten<br />

kleine Preise und ein<br />

Belegexemplar des Kalenders.<br />

– Einsendeschluss:<br />

29. Juni 2012.<br />

– Technische Ansprüche:<br />

Digitalfoto, 300 dpi,<br />

13 cm x 20 cm, Querformat,<br />

Farbe oder sw.<br />

– Erforderliche Angaben:<br />

Name und Vorname des<br />

Bildautors, Adresse, Titel<br />

des Fotos, Ort der Aufnahme,<br />

Beschreibung der<br />

Ingenieurleistung (120 bis<br />

maximal 400 Worte).<br />

– Einsendung: Per E-Mail:<br />

jutta.scheer@<br />

arcelormittal.com.<br />

– Per Post auf CD-ROM an<br />

Jutta Scheer, Buchwaldstr.<br />

5, 15890 Eisenhüttenstadt).<br />

Dr. Norbert Mertzsch<br />

ADRESSE<br />

Verein Brandenburgischer<br />

Ingenieure und Wirtschaftler e.V.<br />

Landesgeschäftsstelle Frankfurt (O.)<br />

Fürstenwalder Str. 46<br />

15234 Frankfurt (Oder)<br />

Tel.: (0335) 869 21 51<br />

E-Mail: buero.vbiw@online.de<br />

Internet: www.vbiw-ev.de<br />

WIRTSCHAFT & MARKT 12/11 59


BERICHT<br />

Fotos: H. Lachmann<br />

Brandenburg regenerativ<br />

Grüner Quantensprung<br />

Mit dem jetzt bei Prenzlau eingeweihten Hybrid-Kraftwerk hat<br />

Brandenburg in Sachen Energiewende einen grünen Leuchtturm<br />

geschaffen. Er steht im Land aber nicht allein auf weiter Flur.<br />

Steige hoch, du grüner Adler! Im Bereich<br />

der erneuerbaren Energien<br />

könnte Brandenburg mit der Umkolorierung<br />

seines roten Wappentieres<br />

liebäugeln. Auch wenn in den südlichen<br />

Landesteilen die Braunkohle weiter eine<br />

bedeutende Energieressource bleibt, hat<br />

es das Bundesland in den letzten Jahren<br />

vermocht, sich im Zukunftsfeld der regenerativen<br />

Energien bundesweit Spitzenpositionen<br />

zu erobern. Überall im märkischen<br />

Land sind »grüne Leuchttürme« gewachsen,<br />

die Aufmerksamkeit auf sich<br />

ziehen und Orientierung geben.<br />

Weltpremiere in der Uckermark: Ende<br />

Oktober ging bei Prenzlau das Wasserstoff-Hybridkraftwerk<br />

des Energieversorgers<br />

ENERTRAG AG in Betrieb (s. W&M<br />

11/2011). Erstmals sind in dieser Anlage<br />

die Energiequellen Wind, Wasserstoff<br />

und Biogas in einem technischen Verbund<br />

integriert. Der in drei Windturbinen<br />

erzeugte Strom wird in einer Elektrolyse-Anlage<br />

zur Herstellung von CO 2 -<br />

freiem Wasserstoff eingesetzt und kann<br />

so gespeichert werden. Diese fehlende<br />

Speichermöglichkeit galt bislang als<br />

energietechnischer »Flaschenhals«. Der<br />

»grüne« Wasserstoff kann in Zeiten hoher<br />

Nachfrage und bei fehlendem Wind<br />

im Blockheizkraftwerk wieder zu Strom<br />

umgewandelt werden. Gleichzeitig wird<br />

er an Wasserstoff-Tankstellen in Berlin<br />

und Hamburg für abgasfreie Stromautos<br />

geliefert.<br />

»Der heutige Tag gibt richtig Aufwind!«,<br />

freute sich Brandenburgs Ministerpräsident<br />

Matthias Platzeck bei der<br />

Einweihung des Hybridkraftwerks. Mit<br />

ihm gelinge es, »die schwankende Windenergie<br />

in eine verlässliche Größe umzuwandeln«,<br />

um sie als planbare Energie<br />

für Strom, Wärme und Mobilität eingesetzen<br />

zu können. Platzeck: »Wir haben<br />

es mit einem Quantensprung in der modernen<br />

Speichertechnologie zu tun.«<br />

PARTNER DER ENERGIEWENDE<br />

Werner Diwald, Vorstand der ENER-<br />

TRAG, hob hervor, dass die bedarfsgerechte<br />

Bereitstellung von Energie für die<br />

Sektoren Strom, Wärme und Mobilität<br />

allein aus erneuerbaren Quellen »ein<br />

zentraler Baustein für die Energiewende«<br />

ist. Aus diesem Grund entwickele das<br />

Energieunternehmen gemeinsam mit<br />

industriellen Partnern »Lösungen auf<br />

Basis heimischer Ressourcen, die die Energieversorgung<br />

Deutschlands in Übereinstimmung<br />

mit den politischen Zielen<br />

der Gesellschaft sicherstellen«. Partner<br />

beim Prenzlauer Kraftwerk sind die Vattenfall<br />

Europe AG für den »grünen«<br />

Strom, die Tankstellenkette TOTAL<br />

Deutschland für den Kraftstoff Wasserstoff<br />

sowie die Deutsche Bahn Energie<br />

GmbH als Stromkunde.<br />

Ein anderer Energieleuchtturm wächst<br />

über dem Lausitzring »EuroSpeedway«,<br />

der Motorsport-Anlage in der Niederlausitz,<br />

wortwörtlich in den Himmel. Hinter<br />

der Haupttribüne der Rennstrecke ist im<br />

November mit dem Bau der weltgrößten<br />

Windkraftaftanlage im Binnenland (installierte<br />

elektrische Leistung 7,5 MW)<br />

begonnen worden. Inklusive der Rotorblätter<br />

wird eine Turmhöhe von 200 Metern<br />

erreicht, das Gesamtgewicht beträgt<br />

2.811 Tonnen – ein »Energiegant«, der das<br />

Projekt »Grüner Lausitzring« komplett<br />

macht. Mit ihm wird die autarke Energieversorgung<br />

aus erneuerbaren Quellen<br />

angestebt. Nach derzeitigen Planungen<br />

soll das Windrad noch im Jahr 2011 den<br />

Betrieb aufnehmen. »Wenn uns kein allzuharter<br />

Winter dazwischen kommt«,<br />

sagt Werner Frohwitter von der Firma<br />

Energiequelle, die die Windkraftanlage<br />

baut. Pro Jahr können mit der Anlage<br />

rund 17.000 MWh elektrische Energie erzeugt<br />

und per Netzeinspeisung 15.000<br />

bis 18.000 Haushalte mit umweltfreundlichem<br />

Strom versorgt werden.<br />

Der erste Teil des »grünen Lausitzrings«,<br />

eine Solarcarportanlage mit integrierter<br />

solarer Stromtankstelle und Biogasanlage,<br />

läuft seit Oktober 2010. Die<br />

Solarcarportanlage, die zweitgrößte<br />

weltweit, überdacht 480 Auto-Stellplätze<br />

mit 4.548 Photovoltaik-Modulen, die eine<br />

Gesamtleistung von 999,21 kWp haben.<br />

Damit können pro Jahr bis zu 943 MWh<br />

an elektrischer Energie produziert werden.<br />

Das reicht für den Strombedarf von<br />

240 Vier-Personenhaushalten. Angeschlossen<br />

ist eine Stromtankstelle, an<br />

der Elektrofahrzeuge ihren umweltfreundlichen<br />

Treibstoff direkt laden können.<br />

Vier Ladestationen mit 230 Voltund<br />

400 Volt-Anschlüssen stehen den<br />

Fahrern von Elektroautos zur Verfügung.<br />

Fehlt <strong>nur</strong> noch eines auf der grünen<br />

Rennstrecke: die Wettfahrt von Elektroautos.<br />

Derzeit heulen auf dem Parcours<br />

noch die Verbrennungsmotoren.<br />

Auch Bürger können Wind machen,<br />

nicht <strong>nur</strong> protestierend. In Schlalach, einem<br />

Ortsteil der Gemeinde Mühlenfließ<br />

(Landkreis Potsdam-Mittelmark), ist aus<br />

dem Öko-Engagement von Einwohnern<br />

ein »Bürger-Windpark« mit 16 Windkraftanlagen<br />

entstanden. Die Windräder<br />

produzieren mit ihrer Leistung von 2,3<br />

Megawatt 60 mal mehr Strom, als die<br />

rund tausend Einwohner des Dorfes verbrauchen<br />

können. Für sein Modell des<br />

Bürger-Windparks wurde Schlalach von<br />

60 WIRTSCHAFT & MARKT 12/11


PREMIERENGÄSTE: Landrat Dietmar<br />

Schulze, DB-Energie-Geschäftsführer<br />

Dr. Hans-Jürgen Witschke, Vattenfall-<br />

Generalbevollmächtigter Rainer Knauber,<br />

ENERTRAG-Vorstand Werner Diwald,<br />

Ministerpräsident Matthias Platzeck,<br />

TOTAL-Deutschland-Geschäftsführer<br />

Hans-Christian Gützkow und ENERTRAG-<br />

Vorstandsvorsitzender Jörg Müller (v. l. n. r.).<br />

der Agentur für Erneuerbare Energien<br />

als »Energie-Kommune« des Monats im<br />

Dezember 2010 geehrt. Vor kurzen kam<br />

der Innovationspreis Erneuerbare Energien<br />

des Landkreises hinzu.<br />

Den Anstoß hatte die Ausweisung einer<br />

Windeignungsfläche in Schlalach<br />

durch die Regionale Planungsgemeinschaft<br />

Havelland-Fläming gegeben. Warum<br />

sollen wir nicht gemeinsam davon<br />

profitieren, war die Überlegung, die bald<br />

zur Gründung einer Arbeitsgruppe führte,<br />

die ein Flächenpachtmodell entwarf.<br />

Mit der Errichtung und dem Betrieb des<br />

Windparks wurde die Firma Enercon beauftragt.<br />

Nach dem Pachtmodell wird<br />

ein Fünftel der Pachteinnahmen an die<br />

Grundbesitzer ausgeschüttet, auf deren<br />

Boden das Windrad steht. Die restlichen<br />

80 Prozent werden auf alle Grundstückseigentümer<br />

des Windeinzugsgebiets verteilt.<br />

So fließt der »Windfall-Profit« nicht<br />

in die Taschen <strong>nur</strong> einiger weniger.<br />

Was Wunder, dass in Schlalach die Akzeptanz<br />

für Windkraftanlagen unter der<br />

Bevölkerung sehr hoch ist. Weitere Windräder<br />

sind in Planung. Für die Kommune<br />

ergibt sich zudem die Möglichkeit, an zusätzliche<br />

Steuereinahmen zu gelangen.<br />

Allein die jetzt aufgestellten 16 Windräder<br />

produzieren in ihrer Betriebszeit von<br />

20 Jahren Gewerbe- und Einkommensteuern<br />

von mehr als 3,3 Millionen Euro.<br />

Weitere 50.000 Euro jährlich kommen einer<br />

Bürgerstiftung zugute, die davon gemeinnützige<br />

Projekte finanziert.<br />

»Das Modell in Schlalach zeigt, dass<br />

durch gerechte Verteilung der Pachteinnahmen<br />

Konflikte im Vorhinein vermieden<br />

werden können«, betont Jörg Mayer,<br />

Geschäftsführer der Agentur für Erneuerbare<br />

Energien. Dank des dezentralen<br />

Charakters der erneuerbaren Energien<br />

könnten »die Bürger Energiepolitik vor<br />

Ort mitgestalten« und an der kommunalen<br />

Wertschöpfung beteiligt werden.<br />

Nach dem Motto »Was Hänschen nicht<br />

lernt« sollte die Orientierung auf die erneuerbaren<br />

Energien schon in der Schule<br />

beginnen. Nicht <strong>nur</strong> als Unterrichtsstoff,<br />

sondern im besten Fall auch als<br />

energetischer Gewinn im Alltag. Ein Beispiel<br />

ist das das Friedrich-Wilhelm-Gymnasium<br />

in Königs Wusterhausen, wo sich<br />

eine Schülerfirma seit 1997 mit den Möglichkeiten<br />

der alternativen Energiegewinnung<br />

beschäftigt. Die »Energie-Team<br />

Schüler-Aktiengesellschaft« hat dafür<br />

gesorgt, dass heute fünf Photovoltaikanlagen<br />

auf der Dachterrasse der Schule<br />

Solarstrom produzieren, der in das Netz<br />

der E.ON edis AG eingespeist wird.<br />

ÖKO-BAU AUF DEM SCHULHOF<br />

»Außerdem nutzen wir die Messdaten<br />

der verschiedenen Technologien für Forschungen<br />

im Bereich der Photovoltaik-<br />

Technologie und entwickeln entsprechend<br />

geeignete Messmethoden«, berichtet<br />

die Schüler-AG auf ihrer Webseite im<br />

Internet. »Daneben forschen wir auf dem<br />

Feld der Wind- und Wasserenergie, und<br />

projektieren die Installation einer kleinen<br />

Windkraftanlage«. Aus dem Umwelt-<br />

Engagement ist inzwischen auch eine<br />

»Ökolaube« auf dem Schulhof entstanden,<br />

die nahezu vollständig aus umweltverträglichen<br />

Materialien gebaut wurde.<br />

Auch regional sind die Energie-Gymnasiasten<br />

im Rahmen der Initiative »KWmacht-Watt«<br />

aktiv, um das Klima für regenerative<br />

Energien in Königs Wusterhausen<br />

zu verbessern. Unter anderem<br />

durch Projekttage an den Grundschulen.<br />

Ob mit großen, grünen Leuchttürmen<br />

oder dezentralen Aktivitäten an der Basis<br />

in Dörfern und Schulen – auf vielen<br />

Pfaden sucht Brandenburg, seinen Weg<br />

in die Energie-Zukunft zu finden.<br />

Manfred Ronzheimer<br />

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WIRTSCHAFT & MARKT 12/11<br />

61


UV-AKTUELL<br />

GESCHÄFTSSTELLEN<br />

der Unternehmerverbände<br />

Unternehmerverband Berlin e.V.<br />

Präsident: Armin Pempe<br />

Hauptgeschäftsführer: Andreas Jonderko<br />

Geschäftsstelle:<br />

Ingrid Wachter (Sekretariat)<br />

Frankfurter Alllee 202, 10365 Berlin<br />

Tel.: (030) 981 85 00, 981 85 01<br />

Fax: (030) 982 72 39<br />

E-Mail: mail@uv-berlin.de<br />

Unternehmerverband Brandenburg e.V.<br />

Präsident: Eberhard Walter<br />

Hauptgeschäftsstelle Cottbus:<br />

Roland Kleint<br />

Schillerstraße 71, 03046 Cottbus<br />

Tel.: (03 55) 226 58, Fax: 226 59<br />

E-Mail: uv-brandenburg-cbs@t-online.de<br />

Bezirksgeschäftsstelle Potsdam:<br />

Bezirksgeschäftsführer: Hans-D. Metge<br />

Hegelallee 35, 14467 Potsdam<br />

Tel.: (03 31) 81 03 06<br />

Fax: (03 31) 817 08 35<br />

Geschäftsstelle Frankfurt (Oder):<br />

Geschäftsführer: Detlef Rennspieß<br />

Perleberger Str. 2, 15234 Frankfurt (O.)<br />

Tel.: (03 35) 400 74 56<br />

Mobil: (01 73) 633 34 67<br />

Unternehmerverband Rostock und<br />

Umgebung e.V.<br />

Präsident: Frank Haacker<br />

Geschäftsführerin: Manuela Balan<br />

Geschäftsstelle:<br />

Wilhelm-Külz-Platz 4, 18055 Rostock<br />

Tel.: (03 81) 242 58 -0, 242 58 -11<br />

Fax: 242 58 18<br />

Regionalbüro Güstrow:<br />

Am Augraben 2, 18273 Güstrow<br />

Tel.: (038 43) 23 61 12, Fax: 23 61 17<br />

Unternehmerverband Norddeutschland<br />

Mecklenburg-Schwerin e.V.<br />

Präsident: Rolf Paukstat<br />

Hauptgeschäftsführer: Wolfgang Schröder<br />

Geschäftsstelle:<br />

Brunnenstraße 32, 19053 Schwerin<br />

Tel.: (03 85) 56 93 33, Fax: 56 85 01<br />

Unternehmerverband Thüringen e.V.<br />

Präsident: Peter Baum<br />

Geschäftsstelle:<br />

IHK Erfurt<br />

Arnstädter Str. 34, 99099 Erfurt<br />

Tel.: (03 681) 42 00 50, Fax: 42 00 60<br />

Unternehmerverband Vorpommern e.V.<br />

Präsident: Gerold Jürgens<br />

Leiter d. Geschäftsst.: Wolfgang Kastirr<br />

Geschäftsstelle:<br />

Am Koppelberg 10, 17489 Greifswald<br />

Tel.: (038 34) 83 58 23, Fax: 83 58 25<br />

Unternehmerverband Sachsen e.V.<br />

Präsident: Hartmut Bunsen<br />

Vizepräs.: Dr. W. Zill, Dr. M. Reuschel,<br />

U. Hintzen<br />

Geschäftsführer: Rüdiger Lorch<br />

www.uv-sachsen.org<br />

Geschäftsstelle Chemnitz:<br />

Leiterin: Gabriele Hofmann-Hunger<br />

Marianne-Brandt-Str. 4, 09112 Chemnitz<br />

Tel.: (03 71) 49 51 29 12, Fax: -16<br />

E-Mail: chemnitz@uv-sachsen.org<br />

Geschäftsstelle Dresden:<br />

Repräsentant: Klaus-Dieter Lindeck<br />

Antonstraße 37, 01097 Dresden<br />

Tel.: (03 51) 899 64 67, Fax 899 67 49<br />

E-Mail: dresden@uv-sachsen.org<br />

Geschäftsstelle Leipzig:<br />

Leiterin: Silvia Müller<br />

Riesaer Straße 72 – 74, 04328 Leipzig<br />

Tel.: (03 41) 257 91-20, Fax: -80<br />

E-Mail: leipzig@uv-sachsen.org<br />

Unternehmerverband Sachsen-Anhalt e.V.<br />

Präsident: Jürgen Sperlich<br />

Geschäftsstelle Halle/Saale<br />

Berliner Str. 130, 06258 Schkopau<br />

Tel.: (0345) 78 23 09 24<br />

Fax: (0345) 78 23 467<br />

UV Brandenburg<br />

Bundespolitik traf Wirtschaft<br />

SPD-Bundestagsabgeordnete Andrea Wicklein sprach mit Brandenburger<br />

Unternehmern über <strong>Mindestlohn</strong>, Fachkräftemangel und Förderpolitik.<br />

Ein Besuch des Bundeskanzleramtes stand ebenfalls auf dem Programm.<br />

Die Zeit drängte ein wenig.<br />

Nur wenige Tage<br />

vor der Abstimmung<br />

des Bundestages zur Euro-Rettung<br />

empfing Andrea Wicklein,<br />

Abgeordnete der SPD,<br />

gut 50 Unternehmer aus dem<br />

Land Brandenburg im Paul-<br />

Löbe-Haus. Trotz der hektischen<br />

Betriebsamkeit und der<br />

vielen Akten, die im Zuge der<br />

europäischen Entscheidungen<br />

zur Finanzkrise gewälzt<br />

werden mussten, nahm sich<br />

die studierte Diplom-Ökonomin<br />

fast eine Stunde Zeit für<br />

die Fragen der Verbandsmitglieder.<br />

Wicklein ist bereits<br />

seit drei Legislaturperioden<br />

im Bundestag vertreten und<br />

für den Wahlkreis 62, der die<br />

Landeshauptstadt Potsdam<br />

und große Teile Potsdam-Mittelmarks<br />

umfasst, direkt gewählt.<br />

Als Mitglied im Ausschuss<br />

für Wirtschaft und<br />

Technologie und dort verantwortlich<br />

für den Mittelstand<br />

und die Förderpolitik stand<br />

sie Rede und Antwort zu wirtschaftpolitischen<br />

Themen sowie<br />

zu den Verwerfungen an<br />

den Finanzmärkten.<br />

Die Unternehmer interessierten<br />

sich zum einen für die<br />

Haltung von Wicklein zum<br />

gesetzlichen <strong>Mindestlohn</strong>. Sie<br />

erfuhren, dass sich die SPD-<br />

Abgeordnete für die Einführung<br />

eines flächendeckenden<br />

<strong>Mindestlohn</strong>s einsetzt. Da<br />

sehe sie auch Vorteile für die<br />

Mittelständler. Wicklein fragte<br />

ihrerseits die Brandenburger<br />

UV-Mitglieder nach ihren<br />

Erfahrungen mit den bereits<br />

eingeführten, branchenspezifischen<br />

Regelungen.<br />

Die seien eher ambivalent,<br />

so die Firmenvertreter. Positive<br />

Effekte zeichneten sich<br />

kaum ab, denn die Dienstleistungen<br />

und Produkte werden<br />

durch den <strong>Mindestlohn</strong> letztlich<br />

teurer, ohne dass für den<br />

Kunden ein Mehrwert entstehen<br />

würde. Die Leistung werde<br />

somit, wenn möglich, vermieden.<br />

Auf diese Weise könne<br />

man keine Arbeitsplätze<br />

erhalten oder gar neue schaffen.<br />

Bemängelt wurden zudem<br />

die unterschiedlichen tariflichen<br />

Regelungen für Berlin<br />

und Brandenburg.<br />

Wicklein plädierte dezidiert<br />

für eine einheitliche Tarifpolitik<br />

in Berlin und Brandenburg,<br />

aber auch generell in<br />

Ost und West. Nur so sei es<br />

möglich, junge Menschen im<br />

Osten zu halten: »Branden-<br />

IM KANZLERAMT: Delegation Brandenburger Unternehmer.<br />

burg muss um jeden Jugendlichen<br />

kämpfen.«<br />

Kritisch bewerteten einige<br />

der Unternehmer auch die<br />

Förderpolitik von Bund und<br />

Ländern. Es gebe zum Teil<br />

ganze Branchen, die sich mittlerweile<br />

<strong>nur</strong> durch die Beratung<br />

und Vermittlung von<br />

Förderprogrammen über Wasser<br />

halten würden, so die Erfahrungen<br />

einzelner Verbandsmitglieder.<br />

Die Fördergelder<br />

werden allerdings<br />

zumeist durch die Länder vergeben<br />

und die Ausgabe in der<br />

Regel streng kontrolliert, sagte<br />

Andrea Wicklein. Sie versprach<br />

aber, das Problem im<br />

Auge zu behalten.<br />

Abschließend erläuterte<br />

sie ihre Sicht als Wirtschaftspolitikerin<br />

auf die Finanzmarktprobleme<br />

des europäischen<br />

Währungsraums. Ihrer<br />

Meinung nach ist die Struktur<br />

der kleinen und mittleren Unternehmen<br />

im Osten ein Vorteil<br />

in dieser Krise, schwierig<br />

könnte es allerdings für diejenigen<br />

werden, die einen hohen<br />

Kapitalbedarf haben.<br />

Wichtig sei es jetzt für Europa,<br />

von den Schulden herunter<br />

zu kommen und den Finanzsektor<br />

zu stabilisieren:<br />

»Dazu müssen das spekulative<br />

und das Kreditgeschäft entkoppelt<br />

werden. Das funktioniert<br />

aber nicht im nationalen<br />

Alleingang, sondern muss<br />

auf europäischer Ebene diskutiert<br />

werden.« Wo Entscheidungen<br />

von derartiger Tragweite<br />

getroffen werden, konnten<br />

die Verbandsmitglieder<br />

bei einem Rundgang durch<br />

das Bundeskanzleramt sehen.<br />

Von der Ahnengalerie der<br />

Kanzler über den Konferenzraum<br />

bis zum Kabinettssaal<br />

besichtigten sie das lichtdurchflutete,<br />

transparent gestaltete<br />

Regierungsgebäude.<br />

Ulrike Borrmann<br />

&<br />

62 WIRTSCHAFT & MARKT 12/11


UV-AKTUELL<br />

NACHRICHTEN<br />

Fotos: Deutscher Bundestag, A. Koslowski, UV Brandenburg<br />

UV BERLIN<br />

Sonderpreis an<br />

Unternehmer<br />

Der Berliner Wolfram Bürokommunikation<br />

GmbH &<br />

Co. KG ist am 22. Oktober<br />

2011 im Rahmen der<br />

Auszeichnungsgala » Großer<br />

Preis des Mittelstandes<br />

2011« der Sonderpreis<br />

»Premier« der Oskar-Patzelt-<br />

Stiftung verliehen worden.<br />

Zuvor hatten etwa 1.000 Institutionen,<br />

Kommunen, Kammern<br />

und Verbände nach einer<br />

öffentlichen Ausschreibung<br />

insgesamt 3.552 Unternehmen<br />

für den »Großen Preis des Mittelstandes<br />

2011« nominiert.<br />

Die Berliner Wolfram Unternehmensgruppe<br />

mit den<br />

drei Standbeinen Bürokommunikation,<br />

Consulting und IT-<br />

Systemhaus zählt mit rund<br />

50 Mitarbeitern und einem<br />

Jahresumsatz von rund acht<br />

Millionen Euro zu den bundesweit<br />

führenden Anbietern der<br />

Branche. Entgegen dem Branchentrend<br />

legte das Unternehmen<br />

in den letzten Jahren regelmäßig<br />

zu. Zwischen 2006<br />

und 2010 konnte der Umsatz<br />

mehr als verdoppelt werden.<br />

Der geschäftsführende Gesellschafter<br />

Mathias Wolfram (47)<br />

mit seiner fast 22jährigen unternehmerischen<br />

Erfahrung<br />

setzt vor allem auf frische<br />

Ideen, aus denen innovative<br />

Beratungs-, Finanzierungs-,<br />

Service- und Vertriebskonzepte<br />

für die Kunden entstehen.<br />

Das Fundament für die Unternehmensgründung<br />

wurde an<br />

einem historischen Tag, dem<br />

9. November 1989, gelegt.<br />

Während ganz Ostberlin im<br />

Westen »<strong>nur</strong> mal gucken« wollte,<br />

erstand Gründer Mathias<br />

Wolfram seine ersten fünf<br />

Kopierer und richtete sich in<br />

einem typischen Berliner Altbau<br />

im Prenzlauer Berg ein.<br />

Der heutige Unternehmenssitz<br />

befindet sich in Berlin-Pankow.<br />

Als einziger Wettbewerb in<br />

Deutschland bewertet der<br />

»Große Preis des Mittelstandes«<br />

SIEGER: Mathias Wolfram.<br />

Vor 20 Jahren wurde in<br />

Leipzig die Firma Messeprojekt<br />

GmbH gegründet.<br />

Für Geschäftsführer und<br />

UV-Präsident Hartmut Bunsen<br />

Grund genug, im November<br />

mit seinen 170 Mitarbeitern<br />

auf die Erfolgsgeschichte der<br />

größten ostdeutschen Messebaufirma<br />

anzustoßen.<br />

Sachsens Ministerpräsident<br />

Stanislaw Tillich ließ es sich<br />

nicht nehmen, bereits im<br />

Gründungsmonat Oktober<br />

persönlich zu gratulieren. Er<br />

nutzte seinen Besuch für einen<br />

Rundgang durch die Produktionshallen,<br />

zu Gesprächen<br />

mit Mitarbeitern und Auszubildenden<br />

und informierte<br />

sich über die Branche.<br />

»Mit Stanislaw Tillich besucht<br />

uns zum ersten Mal ein Ministerpräsident.<br />

Ich sehe darin<br />

eine Würdigung des Mittelder<br />

Oskar-Patzelt-Stiftung mittelständische<br />

Unternehmen<br />

als Ganzes samt ihrer gesellschaftlichen<br />

Rolle. Zu den Kriterien<br />

gehören die Gesamtentwicklung<br />

des Unternehmens,<br />

die Schaffung und Sicherung<br />

von Arbeits- und Ausbildungsplätzen,<br />

Innovation und Modernisierung,<br />

Service-und Kundennähe<br />

bzw. Marketing sowie<br />

das Engagement in der Region.<br />

+ TERMINE+<br />

TERMINE<br />

UV Brandenburg<br />

1. Dezember, 18.00–21.00 Uhr<br />

Unternehmertreff Königs<br />

Wusterhausen – Business<br />

Knigge für Fortgeschrittene,<br />

Residenzhotel Motzen,<br />

Mittenwald OT Motzen<br />

UV Sachsen<br />

6. Dezember, ab 19.30 Uhr<br />

Jahresabschluss – Traditionelles<br />

Unternehmergespräch mit<br />

Leipzigs Oberbürgermeister<br />

Burkhard Jung. Historischer<br />

Sitzungssaal der Deutschen<br />

Bank, Martin-Luther-Ring 2,<br />

Leipzig<br />

UV Thüringen<br />

15. Dezember<br />

Weihnachtsmarktbegehung mit<br />

anschließendem Weihnachtsessen,<br />

Weihnachtsmarkt Erfurt,<br />

Anmeldungen unter<br />

www.uv-thueringen.de<br />

UV THÜRINGEN<br />

Verband<br />

wieder online<br />

Auf der Mitgliederversammlung<br />

2011 zogen die Erfurter<br />

eine Bilanz der Verbandsarbeit<br />

des letzten Jahres.<br />

Mit der Vorstellung der neuen<br />

Internetseite wurde zudem<br />

eine letzte Lücke in der öffentlichen<br />

Wahrnehmung des UV<br />

Thüringen geschlossen.<br />

In diesem Jahr wurden wieder<br />

einige Mitgliederveranstaltungen<br />

durchgeführt. So berichtete<br />

Friedrich Schmitz, Mitglied<br />

des Vorstandes, vom Besuch<br />

des alten Heizhauses in Erfurt-<br />

Brühl, dem Vortrag des Leiters<br />

der Thüringer Green-Tech-<br />

Agentur (W&M berichtete) und<br />

einer ausgedehnten Kanu-Tour.<br />

»Was die Veranstaltungsplanung<br />

im nächsten Jahr betrifft,<br />

setzen wir in Zukunft<br />

eher auf Qualität als auf Quantität.<br />

Es wird Vorträge, Unternehmensbesichtigungen<br />

und<br />

einige Treffen geben, die eher<br />

Freizeitcharakter haben«, so<br />

Schmitz. Die konkrete Planung<br />

wird auf der Vorstandstagung<br />

am 13. Dezember erfolgen.<br />

Stefan Hoffmann, Geschäftsführer<br />

der Agentur eckpunkt<br />

aus Erfurt und Gestalter des<br />

neuen Webauftritts, stellte den<br />

Mitgliedern und Gästen des<br />

UV Thüringen die Internetseite<br />

vor. Neues Logo und<br />

neues Design sorgen für einen<br />

modernen Auftritt. In Zukunft<br />

wird es dort auch einen eigenen<br />

Mitgliederbereich und<br />

eine Einbindung in das soziale<br />

Netzwerk Facebook geben.<br />

Um den Gästen eine Vorstellung<br />

zu geben, wie das funktioniert,<br />

hatte der Vorstand einen<br />

Experten für Suchmaschinenmarketing<br />

und soziale Netzwerke<br />

eingeladen.<br />

Andreas Hörcher, Geschäftsführer<br />

der Finnwaa GmbH aus<br />

Jena, zeigte die Möglichkeiten<br />

auf, aber auch die Fallstricke,<br />

die bei Social Media im Allgemeinen<br />

und bei Facebook<br />

im Besonderen lauern.<br />

UV SACHSEN<br />

Regierungschef<br />

gratulierte<br />

AUFWARTUNG: Ministerpräsident<br />

Tillich (M.) bei Firma Messeprojekt.<br />

standes«, betonte Bunsen. Er<br />

teile die Zuversicht der Landesregierung,<br />

dass die Firmen im<br />

Freistaat die Schuldenkrise in<br />

Europa kaum zu spüren bekommen<br />

würden. »Die Wirtschaft<br />

steht besser da als es<br />

scheint. Das ist für die Stimmung<br />

im Land wichtig. Unsere<br />

Auftragsbücher sind voll. Der<br />

Messebau ist wie ein Schaufenster<br />

der Wirtschaft.« Tillich<br />

betonte den Mittelstand als stabile<br />

Säule der Wirtschaft. Die<br />

Messeprojekt GmbH sei ein beeindruckendes<br />

Beispiel.<br />

WIRTSCHAFT & MARKT 12/11 63


W&M-PRIVAT<br />

BERGBAU<br />

Die Explosion<br />

von Zwickau<br />

Er war jung und kaum grubenerfahren,<br />

der Hauer<br />

Hans Häber, als das Unglück<br />

geschah. Am 22. Februar 1960<br />

explodierte die 1. Kohlenabteilung<br />

auf dem Karl-Marx-<br />

Schacht in Zwickau. Häber<br />

überlebte, doch die Erinnerung<br />

ließ ihn nicht los. In<br />

einer voluminösen zweibändigen<br />

Dokumentation legt<br />

er jetzt dar, was damals in<br />

1.000 Meter Tiefe geschah<br />

und 123 Bergleuten das<br />

Leben kostete. Und warum so<br />

viele Details zu DDR-Zeiten<br />

verschwiegen wurden.<br />

Hans Häber,<br />

Die Explosion,<br />

Verlag DENKart,<br />

1.192 Seiten u. DVD,<br />

32,10 EUR<br />

SEEFAHRT<br />

Abenteuer<br />

unter Deck<br />

Chiefs von Fischereidampfern,<br />

Marine- und Fährschiffen<br />

erinnern sich an Zeiten,<br />

als die Frachtschiffe noch<br />

nicht digital gestützt unterwegs<br />

waren und nach Maschinenöl<br />

rochen. Von Kameradschaft<br />

und Konkurrenzkämpfen,<br />

von Schiffstechnik des<br />

vergangenen Jahrhunderts<br />

und drohenden Katastrophen,<br />

von politischem Stress<br />

der Seefahrt im geteilten<br />

Deutschland und von Umweltsünden.<br />

Ein Quentchen<br />

Sehnsucht nach Meer ist<br />

immer noch dabei.<br />

Hans-H. Diestel (Hrsg.),<br />

Schiffsingenieure<br />

berichten.<br />

Geschichten von<br />

Chiefs auf Großer<br />

Fahrt, Hinstorff<br />

Verlag, 208 Seiten,<br />

9,90 EUR<br />

I<br />

m Jahre 1980 kam der<br />

Berliner Telefon-Hersteller<br />

DeTeWe mit der ersten<br />

digitalen Telefonanlage der<br />

Welt auf den Markt, entwickelt<br />

in Zusammenarbeit<br />

mit dem Technik-Riesen Siemens.<br />

Eine tolle Kommunikationstechnik,<br />

dem Bedarf der<br />

Analog-Welt um einige Jahre<br />

voraus.<br />

Jedoch: Die Erfindung wurde<br />

ein wirtschaftlicher Flop.<br />

DeTeWe verlor seine Unabhängigkeit,<br />

ist heute Teil<br />

eines kanadischen Konzerns,<br />

und Siemens stieß seine Telekommunikationssparte<br />

ab.<br />

Boris Maurer und Sabine Fiedler<br />

erwähnen in ihrem Buch<br />

»Innovationsweltmeister« das<br />

Schicksal des traditionsreichen<br />

Berliner Telefon-Unternehmens<br />

als eines von zahllosen<br />

Beispielen für kritische<br />

oder gar gescheiterte Produkt-<br />

Innovationen. Von 100 Ideen<br />

für neue Produkte werden<br />

lediglich sechs letztendlich<br />

Verkaufsschlager.<br />

Doch das Buch der beiden<br />

Berliner Innovationsspezialisten<br />

will keinesfalls entmutigen,<br />

eher umgekehrt. Boris<br />

Mauer, bis 2010 bei der Unternehmensberatung<br />

McKinsey<br />

und heute als freier Konsultant<br />

tätig, und die Journalistin<br />

Sabine Fiedler, Pressesprecherin<br />

des Deutschen Instituts<br />

für Wirtschaftsforschung<br />

(DIW), haben ein Kompendium<br />

zusammengestellt, das<br />

viele Nutzerkreise anspricht:<br />

Sowohl den Geschäftsführer<br />

BÜCHERBORD<br />

Abenteuer(liche) Wirtschaft<br />

Wo irrte DeTeWe?<br />

Innovationen bieten Marktchancen, können aber<br />

ebenso sang- und klanglos enden. Ein neues Buch<br />

zu der unendlichen Geschichte von Flops und Tops<br />

und Forschungsleiter, der<br />

sein Unternehmen im Wirtschaftswettkampf<br />

zum Innovationsweltmeister<br />

aufbauen<br />

will, als auch den Politiker,<br />

dem gleiches für seine Volkswirtschaft<br />

vorschwebt.<br />

Zentrale Botschaft ist die<br />

Unterscheidung von zwei Innovationstypen.<br />

Die evolutionäre<br />

Innovation will im Wesentlichen<br />

über Produktneuerungen<br />

und -verbesserungen<br />

Marktanteile erobern, die revolutionäre<br />

Innovation eröffnet<br />

mittels Basis-Erfindungen<br />

gänzlich neue Märkte. Revolutionen<br />

für Deutschland – das<br />

fordern die Autoren durchgängig.<br />

Sie meinen damit die<br />

stärkere Ausrichtung auf<br />

grundlegende technische<br />

Neuerungen. Aber sie plädieren<br />

auch für engere Kooperationen<br />

unter den Innovations-<br />

Akteuren, wobei aus ihrer<br />

Sicht vor allem die Regionen<br />

als die »Spielfelder des Neuen«<br />

anzusehen sind.<br />

Ein Kapitel des Buchs ist<br />

dem Wirtschaftsstandort Berlin<br />

gewidmet. Um die an der<br />

Spree fehlenden 500.000 Arbeitsplätze<br />

bis zum Jahr 2020<br />

durch Innovation zu generieren,<br />

wird die Konzentration<br />

auf vier Zukunftsfelder empfohlen:<br />

Elektroautos, breiter<br />

Einsatz der Informationstechnik<br />

(smart city), Gesundheitswirtschaft<br />

und Tourismus.<br />

Für die Wirtschaftspolitiker<br />

des neuen Berliner Senats<br />

eine Pflichtlektüre.<br />

Manfred Ronzheimer<br />

BORIS MAURER, SABINE FIEDLER<br />

Innovationsweltmeister. Wie unsere<br />

Unternehmen unschlagbar werden<br />

Wiley-VCH Verlag, 2011, 374 Seiten<br />

PRESSE<br />

Druck aufs<br />

Gemüt<br />

Sie waren Chefredakteure,<br />

Auslandskorrespondenten,<br />

Pressereferenten, Fernsehmoderatoren,<br />

Parteiagitatoren.<br />

31 Journalisten, die<br />

zu DDR-Zeiten Karriere<br />

machten, nahmen es auf<br />

sich, nun ihrerseits befragt<br />

zu werden. Ein Buch, gefördert<br />

von der Deutschen<br />

Forschungsgemeinschaft,<br />

mit offenen Worten über<br />

menschliche Irrtümer und<br />

politisches Versagen im<br />

Beruf. Mit manchen erhellenden<br />

Einlassungen über die<br />

Kapriolen der Wirtschaftspropaganda<br />

in der späten<br />

Honecker-Ära.<br />

M. Meyen/A. Fiedler,<br />

Die Grenze im Kopf.<br />

Journalisten in<br />

der DDR,<br />

Panama Verlag,<br />

400 Seiten,<br />

24,90 Euro<br />

BESTSELLER<br />

Wirtschaftsbuch<br />

1. Dirk Müller: Crashkurs<br />

Droemer (19,99 EUR)<br />

2. Martin Wehrle: Ich arbeite<br />

in einem Irrenhaus<br />

Econ (14,99 EUR)<br />

3. Peer Steinbrück: Unterm Strich<br />

HoCa (23.00 EUR)<br />

4. Frank Lehmann. Ruth E. Schwarz:<br />

Über Geld redet man nicht<br />

Econ(18,00 EUR)<br />

5. Wilhelm Hankel: Das Euro-<br />

Abenteuer geht zu Ende. Kopp<br />

(19,95 EUR)<br />

6. Joseph Vogl: Das Gespenst des<br />

Kapitals. – diaphanes (14,90 EUR)<br />

7. M. Grandt, G. Spannbauer,<br />

U. Ulfkotte: Europa vor dem<br />

Crash – Econ (22 EUR)<br />

8. F. Wehrheim, M. Gösele: Inside<br />

Steuerfahndung<br />

Riva (19,99 EUR)<br />

9. Sahra Wagenknecht: Freiheit<br />

statt Kapitalismus<br />

Eichborn (19,95 EUR)<br />

10.Joachim Käppner: Berthold<br />

Beitz. Die Biographie<br />

Berlin Verlag (36,00 EUR)<br />

64 WIRTSCHAFT & MARKT 12/11


W&M-PRIVAT<br />

LEUTE & LEUTE<br />

LESERPOST<br />

Karrikatur und Zeichnung: Rainer Schwalme<br />

Heute nackt<br />

oder nie<br />

Ernst Röhl entdeckt die<br />

neue Körperkultur<br />

Der nächste Winter<br />

kommt bestimmt.<br />

Statt Nacktradeln ist<br />

Nacktrodeln angesagt, beispielsweise<br />

an den Hängen<br />

von Braunlage im Oberharz.<br />

Besorgte Mütter fragen sich,<br />

ob die Rodlerinnen und Rodler<br />

ihren Blößenwahn nicht<br />

entschieden zu weit treiben.<br />

In diesem Punkt aber gehen<br />

die Ansichten weltweit auseinander.<br />

Der Islam schreibt<br />

Frauen zu jeder Jahreszeit<br />

Ganzkörperverschleierung<br />

mittels Burka vor. Den Yanomami,<br />

wohnhaft am Orinoco<br />

in Südamerika, reicht eine<br />

dünne Sch<strong>nur</strong> in der Lendengegend,<br />

und dem Dresscode<br />

ist Genüge getan. Ganz ohne<br />

Sch<strong>nur</strong> allerdings fühlen sie<br />

sich sündhaft unangezogen.<br />

Nacktheit gehört zu den<br />

unverzichtbaren Werten der<br />

westlichen Welt, denn besser<br />

als alles andere lenkt dies das<br />

Interesse der Kundschaft auf<br />

Werbebotschaften aller Art.<br />

In den USA sorgte 2004 die<br />

Sängerin Janet Jackson für<br />

den so genannten Nipplegate-<br />

Skandal, als während des Auftritts<br />

ihr absichtsvoll verrutschendes<br />

Kleid die linke Brust<br />

enthüllte. Der kanadische<br />

Fernsehsender Naked News<br />

setzt in seinen Nachrichtenprogrammen<br />

<strong>nur</strong> unbekleidete<br />

Moderatorinnen und Reporterinnen<br />

ein, Parole: Möpse<br />

schauen dich an. Der Fotograf<br />

Spencer Tunick fotografierte<br />

vor dem Opernhaus in<br />

Sydney 5.200 unbekleidete<br />

Männlein und Weiblein und<br />

stellte dann in Mexiko City<br />

mit 18.000 Nacktivisten sogar<br />

den bis heute gültigen Nackedei-Weltrekord<br />

auf. Und drei<br />

junge Journalistinnen mussten,<br />

um zum israelischen Ministerpräsidenten<br />

Netanjahu<br />

vorgelassen zu werden, bei<br />

der Einlasskontrolle ihre Büstenhalter<br />

ablegen. Aus Sicherheitsgründen.<br />

Die MDR-Tatortkommissarin<br />

Simone Thomalla macht<br />

sich in Tatort-Krimis ziemlich<br />

rar, lieber präsentiert sie sich<br />

im PLAYBOY unten und oben<br />

ohne. Daniela Katzenberger<br />

(»Katzi«) posiert, wie Gott sie<br />

schuf, für einen Kalender.<br />

Jungbäuerinnen sind splitterfasernackt<br />

im Jungbäuerinnen-Kalender<br />

zu besichtigen.<br />

Studentinnen lassen sich für<br />

einen offenherzigen Aktkalender<br />

mit dem Titel »Lüneburg<br />

hüllenlos« ablichten.<br />

Flugbegleiterinnen der spanischen<br />

Linie Air Comet ließen<br />

die Hüllen fallen für einen<br />

Stewardessen-Aktkalender;<br />

Hintergedanke: Gehaltszahlungen,<br />

die Air Comet ihnen<br />

vorenthielt, durch den Verkauf<br />

des Kalenders wieder<br />

reinholen.<br />

Überhaupt gilt weibliche<br />

Nacktheit zumeist als edel<br />

motiviert. Elisabetta Canalis<br />

(33), einst Freundin von George<br />

Clooney, zog sich für die<br />

Tierschutzorganisation PETA<br />

aus, Motto: Lieber nackt als<br />

Pelz! Camilla Jackson, Tochter<br />

eines Jagdaufsehers, ritt barbusig<br />

durch die Londoner<br />

City, um gegen ein beabsichtigtes<br />

Verbot der Fuchsjagd zu<br />

demonstrieren. Im polnischen<br />

Wahlkampf 2011 öffnete<br />

die Kandidatin Katarzyna<br />

Lenart ihren BH, um den<br />

Jungwählern Einblicke in die<br />

Geheimnisse der Sozialdemokraten<br />

zu bieten. Und in Russland<br />

steht eine »Armee« von<br />

1.000 hübschen jungen Frauen<br />

bereit, pudelnackt für den<br />

aktuellen Präsidentschaftskandidaten<br />

zu kämpfen, und<br />

zwar mit dem Kampfschrei<br />

»Russland, Titten, Putin!« &<br />

Dohnanyi<br />

Heft 11-2011<br />

»Also ›Gelddrucken‹?«, fragt<br />

Klaus von Dohnanyi und<br />

antwortet: »Ja. ... Allerdings<br />

darf dieses ›Gelddrucken‹<br />

keine Inflationsgefahr verursachen.«<br />

Glaubt Herr<br />

Dohnanyi wirklich, wenn<br />

die EZB zum »Gelddrucken«<br />

einmal die Erlaubnis oder<br />

den Auftrag hat, dass dieser<br />

Zustand nicht von der Politik<br />

rigoros ausgenutzt wird, um<br />

Geld aus dem Nichts zu produzieren,<br />

um es weiter maßlos<br />

zu verschwenden? Ich bin<br />

eher davon überzeugt, dass<br />

unsere deutschen und die anderen<br />

Euro – Politiker/Eliten<br />

schon lange auf diese Möglichkeit<br />

warten und das sogar<br />

anstreben. Aus reinem Selbsterhaltungstrieb/Machtwahn.<br />

Sie haben gerade in der Krise<br />

seit 2008 mehrfach Versprechungen<br />

gebrochen und die<br />

Bevölkerung belogen. Mit<br />

dem angestrebten ESM verkaufen<br />

sie unser Land<br />

womöglich endgültig.<br />

Arno Kunath, per E-Mail<br />

Ragnitz-Talk<br />

Heft 11-2011<br />

Richtig ist der Hinweis, dass<br />

berufliche Qualifikationen<br />

veralten und es mit einer alternden<br />

Bevölkerung schwieriger<br />

wird, Produktionsfortschritte<br />

durchzusetzen. Gerade<br />

das aber sollte Anlass sein,<br />

auch den heute über 50-Jährigen<br />

Qualifizierungsangebote<br />

zu machen, damit sie noch<br />

volle Leistung bringen, wenn<br />

der Fachkräftemangel erst<br />

einmal voll durchschlägt.<br />

Jens Pöhnert, Eichwalde<br />

TUI<br />

Heft 11-2011<br />

Kurzurlaub an der Ostsee per<br />

Flugreise? Das hat der Veranstalter<br />

Germania nach 1990<br />

schon mal auf der Strecke<br />

Berlin-Usedom erfolglos angeboten.<br />

Vielleicht kann TUI<br />

das besser.<br />

Peter Panzram, Greifswald<br />

WIRTSCHAFT & MARKT 12/11 65


KOLUMNE<br />

Die Schmerzen der Freiheit<br />

Es ist mehr als 20 Jahre her, dass wir<br />

das Glück der Freiheit für die Deutschen<br />

im Ostteil des Landes feiern<br />

konnten. Ein kurzer Wortfehler des gutwilligen<br />

Funktionärs Schabowski in einer<br />

Pressekonferenz am späten Nachmittag<br />

des 9. November 1989: Und die Mauer<br />

fiel. Der lange Weg des siechenden Sowjet-Systems,<br />

das immer vergeblicher<br />

versucht hatte, den Menschen eine Ordnung<br />

aufzuzwingen, die diese nicht<br />

mehr wollten, ging zu Ende. Niemand,<br />

der diese Stunden erlebt hat, wird sie je<br />

vergessen. Auch nicht die Worte des Regierenden<br />

Bürgermeisters von Berlin,<br />

Walter Momper: »Heute ist Deutschland<br />

das glücklichste Land der Welt«.<br />

So empfanden es beide Seiten, Ost und<br />

West. Doch, wie viele Dinge im Leben,<br />

zeigte auch diese so glücklich empfundene<br />

Stunde bald ihre Kehrseiten. Nun war<br />

zwar der Weg offen in jene Freiheit, die<br />

der Westen schon so lange hatte leben<br />

dürfen, aber auch Freiheit hat ihren<br />

Preis. Denn, wo Freiheit herrscht, dort<br />

sind die Menschen in vielen Fragen des<br />

Lebens eher auf sich selbst gestellt; auf<br />

ihre Initiative, Leistungsbereitschaft –<br />

und auf ihre Fähigkeit, auch die mit jeder<br />

Freiheit verbundenen Risiken zu tragen.<br />

Denn politische Freiheit heißt immer<br />

auch: Wettbewerb.<br />

Doch auf diese Risiken waren die DDR-<br />

Bürger nicht vorbereitet. Auch nicht ihre<br />

»Unternehmen«, ihre politischen Strukturen<br />

und ihre Zivilgesellschaft. Alles<br />

hatte sich außerhalb von Freiheit und<br />

Wettbewerb entwickelt. Das bedeutete<br />

natürlich nicht, dass die Menschen in<br />

der DDR nicht ebenso fleißig und initiativ<br />

hätten sein können wie ihre westdeutschen<br />

Brüder und Schwestern. Aber<br />

es bedeutete eben doch, dass ihre Mentalität,<br />

ihre Denkweise und Erwartungen<br />

an das Leben ganz anders geprägt waren:<br />

Sicherheit stand vor Risikobereitschaft<br />

und Anpassung vor eigener Initiative.<br />

Wie hätte es auch anders sein können,<br />

nach zwei Generationen »Vormundschaftlicher<br />

Staat« (Rolf Henrich)?<br />

Doch diese »anderen« Deutschen<br />

konnten dann den Weg aus ihrer »vormundschaftlichen«<br />

Prägung relativ<br />

schnell herausfinden. Phantasie, Mut<br />

und nüchterne Selbsteinschätzung ließen<br />

ihre bürgerliche Bereitschaft zu Leistung,<br />

eigener Initiative und Verantwortung<br />

erstaunlich schnell wieder erwachen.<br />

Diese alten deutschen Sitten und<br />

ZUR SACHE<br />

Betrachtung<br />

zur wirtschaftlichen Lage<br />

Von Dr. Klaus von Dohnanyi<br />

Traditionen waren eben <strong>nur</strong> verschüttet,<br />

nicht erstickt.<br />

Und dennoch: Was wir bis heute trotz<br />

großzügiger Finanztransfers aus dem<br />

Westen und trotz der Wiedererrichtung<br />

einer demokratischen öffentlichen Verwaltung<br />

noch immer nicht haben leisten<br />

können, das war die Rückkehr großer<br />

Unternehmen. Also: einer gleichwertigen<br />

Wirtschaft. Zu schwer wog und<br />

wiegt die nach 1945 erzwungene Abwanderung<br />

– wie etwa Siemens von Berlin<br />

nach München; oder der Banken von Berlin<br />

nach Frankfurt; oder von Audi aus<br />

Zwickau nach Ingolstadt; oder auch <strong>nur</strong><br />

eines Verlages wie Reclam von Leipzig<br />

nach Stuttgart.<br />

Den Aufbau Ost, seine Erfolge und<br />

fortbestehenden Unzulänglichkeiten<br />

noch einmal ins Auge zu fassen, scheint<br />

mir wichtig, um heute die Chancen der<br />

schwächeren Staaten in der Eurokrise zu<br />

beurteilen. Denn, so wie die DDR damals<br />

– und dies war wirklich »alternativlos« –<br />

faktisch über Nacht Teil eines hoch wettbewerbsfähigen<br />

Wirtschafts- und Wäh-<br />

rungsraums werden musste, so wurden,<br />

wenn auch mit längerer Vorbereitungszeit,<br />

die wirtschaftlich schwächeren Länder<br />

der Eurozone ohne ausreichende<br />

Stärke ein Teil dieser Gemeinschaft. Sie<br />

mussten den härteren Wettbewerb der<br />

stärkeren Mitgliedstaaten und die für sie<br />

wirksamen Nachteile einer harten Währung<br />

(des Euro) ertragen. Nun konnten<br />

sie sich nämlich nicht mehr durch die<br />

Verbilligung (Abwertung) ihrer Währung<br />

immer wieder Wettbewerbsgleichheit<br />

zurückkaufen.<br />

Heute erleben wir die Folgen. Und<br />

während die neuen Bundesländer aufgrund<br />

der deutschen Wirtschaftsmentalität<br />

(dieser gelungenen Mischung aus sozialem<br />

Ausgleich und eigenverantwortlichen<br />

Leistungsbereitschaft) gelernt<br />

haben, den Druck des neuen Wettbewerbs<br />

zu ertragen, ja zu nutzen, fehlt es<br />

in den schwächeren, südlichen Staaten<br />

der Eurozone an dieser Mentalität, an<br />

der politischen Kraft und den zivilgesellschaftlichen<br />

Strukturen, die in Ostdeutschland<br />

erneut errichtet werden<br />

konnten. Und, wie Ostdeutschland zeigt:<br />

Transfers bringen Geld, aber keine Unternehmen!<br />

Und Jahrhunderte alte Mentalitäten<br />

ändern sich <strong>nur</strong> sehr langsam.<br />

Auch bei uns in Deutschland gibt es<br />

Steuersünder und Kapitalflüchtlinge.<br />

Nur: Sie bleiben eine eher seltene Ausnahme<br />

und werden zunehmend erfolgreich<br />

verfolgt. Da möchte man heute<br />

(zum Beispiel) doch gerne wissen: Wo hat<br />

der griechische Milliardär, der im November<br />

dieses Jahres die Kaufhofkette in<br />

Deutschland erwerben möchte, seine<br />

Milliarden geparkt? Hat er sie in Griechenland<br />

versteuert? Aufklärung durch<br />

Griechenland wäre erfreulich.<br />

Die globale Freiheit von Wirtschaft<br />

und Finanzen wirkt sich überall unmittelbar<br />

auf Arbeit und Lebenssicherheit<br />

aus. Auch wir Deutschen haben noch viel<br />

zu tun, um im weltweiten Wettbewerb<br />

unsere Selbstbehauptung zu organisieren.<br />

Ob aber Griechen, Portugiesen, Spanier<br />

und Italiener das im harten Zaum<br />

des Euro auch können, das werden wir<br />

erst erfahren. Beides, Zuversicht und Vorsicht,<br />

sollten uns leiten. Wir müssen Europa<br />

und die Eurozone auch neu organisieren.<br />

Erst in der Bereitschaft, eine Änderung<br />

der Euro-Verträge und weiteren<br />

Verzicht auf Souveränität zu akzeptieren,<br />

wird sich zeigen, ob alle den Ernst<br />

der Stunde verstanden haben.<br />

&<br />

66 WIRTSCHAFT & MARKT 12/11


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