WIRTSCHAFT+MARKT Stabwechsel dringlich (Vorschau)
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A 40799 ■ ISSN 0863-5323 ■ 23. Jahrgang ■ Juli/August 2012 ■ Preis: EURO 3,50<br />
Wirtschaft&Markt<br />
Wirtschaft&Markt<br />
DAS OSTDEUTSCHE WIRTSCHAFTSMAGAZIN<br />
EXTRA:<br />
•WAGNISKAPITAL<br />
•INNOVATIONSTAG<br />
Sachsen Bank-Chef Pfab zum Mittelstand:<br />
<strong>Stabwechsel</strong> <strong>dringlich</strong>
Mittelstandsbank<br />
Näher dran<br />
am Mittelstand<br />
Kontinuität in der<br />
Kreditversorgung<br />
Die aktuellen Anforderungen der Finanzaufsicht an die Eigenkapitalquoten der Banken erfüllen wir aus<br />
eigener Kraft mit einem Maßnahmenpaket, das in vielen Bereichen Veränderungen bringt. Aber eines<br />
bleibt, wie es ist: die zuverlässige und bedarfsgerechte Finanzierung des deutschen Mittelstands!<br />
Unsere mittelständischen Unternehmen sind der wichtigste Träger der deutschen Wirtschaftskraft.<br />
Ihre Versorgung mit Liquidität ist das, was die Mittelstandsbank der Commerzbank im Kern ausmacht.<br />
Daran werden wir nicht rütteln. Wir stehen Ihnen weiter zur Verfügung!<br />
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EDITORIAL<br />
Der letzte Sommer<br />
HELFRIED LIEBSCH<br />
Chefredakteur<br />
Liebe Leserin, lieber Leser,<br />
keine Ahnung, ob es in diesem Sommer<br />
wieder die hübschen Bilder unserer bergwandernden<br />
Bundeskanzlerin aus Südtirol<br />
gibt. Merkel & Messner. Ein Traumpaar.<br />
Sie könnten sich wieder ihre Gipfelfotos<br />
zeigen. Reinhold Messner die alten<br />
vom Mount Everest, K2 und Kangchendzönga,<br />
Angela Merkel die neuen vom<br />
G20-, Vierer- und EU-Gipfel.<br />
Man kann ihr nur wünschen, dass es<br />
in diesem Jahr ein paar Tage mehr in Dolomiten<br />
oder sonst wo werden als 2011,<br />
als nach einer Woche Schluss war. Die<br />
Opposition verlangte in vergangenen<br />
Jahr, dass die Kanzlerin den Euro retten<br />
sollte. In Berlin und Brüssel, nicht in<br />
dem Suldener Hotel, von dem aus sie mit<br />
Berlusconi und Sarkozy telefonierte.<br />
Unterdessen haben sich Italiener und<br />
Franzosen die beiden gespart und im<br />
nächsten Spätsommer oder Frühherbst<br />
entscheiden die Deutschen, ob ihre Sparkommissarin<br />
in die Verlängerung darf.<br />
Es wird also 2013 ein sehr kurzer Sommer<br />
für Merkel, womöglich der letzte für<br />
sie als Bundeskanzlerin.<br />
Sehr zum Leidwesen meiner Frau. Sie<br />
ist mit Blick auf die politischen Konkurrenten<br />
ein bekennender Merkel-Fan. Wegen<br />
der entschlossenen Energiewende<br />
und weil diese Kanzlerin nicht posiert,<br />
klug und verlässlich scheint und verständlich<br />
spricht. Sie ist der ruhende Pol<br />
in hektischer Zeit und verliert höchstens<br />
mal im Fußballstadion die Contenance.<br />
Man muss kein Union-Anhänger sein,<br />
um zuzugestehen, dass es der Vorsitzenden<br />
gelingt, den Eindruck zu vermitteln,<br />
als habe sie den Blick von oben, den<br />
Gipfelblick, den Überblick. In ihrer Ruhe<br />
liegt die Kraft. Apropos, so beliebt bei<br />
den Deutschen wie Angela Merkel (CDU)<br />
ist nur Hannelore Kraft (SPD), die nordrhein-westfälische<br />
Ministerprädidentin.<br />
Schlichtheit und Strenge der Kanzlerin<br />
schaffen Vertrauen. Und ganz unzweifelhaft<br />
ist Vertrauen das allergrößte<br />
Kapital in dieser Zeit.<br />
Immer mehr Menschen in Deutschland<br />
schwant, dass die nahe Zukunft<br />
turbulent wird, dass Energiewende und<br />
Euro-Rettung mächtig ins Geld gehen.<br />
Und gerade Merkel verkörpert – paradoxerweise?<br />
– die Hoffnung, dass das europäische<br />
Abenteuer glimpflich ausgeht.<br />
Genießen wir also diesen Sommer, der<br />
Herbst könnte ungemütlich werden. Für<br />
mich selbst dürfte es anders kommen:<br />
Strapazen im Sommer, Erholung im<br />
Herbst. Denn meine Frau will wie Merkel<br />
in die Berge, mit mir sogar die Alpen<br />
überqueren. Auf dem Fahrrad. Das<br />
freundliche Angebot, sie mit dem Auto<br />
zu begleiten, hat sie abgelehnt. Frauen!<br />
Herzlichst<br />
<br />
4. Messe für<br />
GENUSS,<br />
LEBENSART<br />
UND AMBIENTE<br />
SCHIRMHERRIN<br />
Karin Genrich<br />
Präsidentin des Handelsverbandes<br />
Berlin-Brandenburg<br />
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3.11.: 11-20 Uhr<br />
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INHALT<br />
WIRTSCHAFT & MARKT<br />
im Juli/August 2012<br />
INTERVIEW REPORT SERIE<br />
SEITE 14<br />
SEITE 36<br />
MINISTERIN BIENKOWSKA, POLEN:<br />
Deutsche profitieren stark von EU-Förderung<br />
ABWANDERER PLAGT HEIMWEH:<br />
Ossis kommen wieder zurück in den Osten<br />
MARKEN-MACHER-MÄRKTE:<br />
Messeprojektchef Hartmut Bunsen<br />
SEITE 58<br />
Editorial<br />
Aktuell<br />
3<br />
6<br />
Der letzte Sommer<br />
Interview, Nachrichten, Pro und Contra, Impressum<br />
Wirtschaft und Politik<br />
Report<br />
TITEL<br />
10<br />
14<br />
30<br />
PROF. HARALD R. PFAB, Vorstandsvorsitzender der Sachsen Bank in Leipzig, über flexible<br />
Mittelständler, ältere Unternehmer, den Euro und nationale Fiskalpolitik<br />
RÜCKKEHR AUS DEM WESTEN: Ossis auf Heimwegen<br />
FACHKRÄFTESICHERUNG IN BRANDENBURG: Randregionen stärken sich für die Zukunft<br />
Fotos: T. George, V. Kühne<br />
Bericht<br />
Serie<br />
Porträt<br />
Interview<br />
W&M-Service<br />
Verbands-News<br />
W&M-Automobil<br />
Tourismus<br />
Ständige Rubriken<br />
W&M-Privat<br />
Kolumnen<br />
18<br />
28<br />
38<br />
41<br />
42<br />
20<br />
58<br />
26<br />
40<br />
55<br />
36<br />
44<br />
52<br />
54<br />
56<br />
62<br />
64<br />
34<br />
60<br />
INNOVATIONSTAG 2012: Prickelnder Sanddorn<br />
P+S WERFTEN GMBH: Verpatzter Umstieg auf Spezialschiffbau<br />
OFFSHORE WINDENERGIE: Maritimer Schulterschluss<br />
UNTERNEHMERTREFFEN AM TEMPLINER SEE: Gefragte Kooperationsbörse in Grün<br />
KARLS ERLEBNIS-DORF: Familienspaß in Erdbeer<br />
LÄNDERREPORT INNOVATION: Sachsen<br />
MARKEN-MACHER-MÄRKTE: MP-Chef Hartmut Bunsen –<br />
Netzwerker zwischen Leipzig und Hyderabad<br />
REISEVERANSTALTER DIAMIR: Gipfel geschäftlichen Erfolgs erklommen<br />
SCHWINGUNGS DIAGNOSE SERVICE GMBH: Am lauten Puls der Maschinen<br />
HEINRICH-BECK-INSTITUT MEININGEN: Superhelles Licht<br />
ELSBIETA BIENKOWSKA, polnische Ministerin für Regionale Entwicklung,<br />
zur EU-Förderung: Deutsche profitieren am stärksten<br />
Recht, Geld, Versicherungen, Multimedia<br />
VBIW: Zielort Flughafen<br />
NEUFAHRZEUG IM TEST: Kia Ceed<br />
BRÜCKENTINSEE: Tauchen gestattet<br />
UV-AKTUELL: Nachrichten aus den Unternehmerverbänden<br />
Bücherbord, Leute & Leute, Leserbriefe<br />
HEINER FLASSBECK: Berlin – eingemauert<br />
KLAUS VON DOHNANYI: Die vergessene Erfahrung<br />
Inhalt<br />
WIRTSCHAFT & MARKT 07–08/12 5
AKTUELL<br />
Fotos: DPA/Zentralbild (1), Archiv<br />
INTERVIEW<br />
KLAUS-DIETER<br />
LICHT,<br />
Vorstandsvorsitzender<br />
der Investitionsbank<br />
des Landes<br />
Brandenburg (ILB)<br />
Aus eigener Kraft<br />
W&M: Herr Licht, bewilligte Kredite<br />
und Zuschüsse von über 1,1 Milliarden<br />
Euro, die Bilanzsumme stieg<br />
von 12,1 auf 13 Milliarden Euro, der<br />
Jahresüberschuss von 5,9 auf 11,2<br />
Millionen Euro – die Bilanz 2011 der<br />
ILB gibt Anlass zu Optimismus?<br />
LICHT: Inmitten der europäischen<br />
Schulden- und Finanzkrise<br />
haben wir uns geschäftlich<br />
sehr gut behauptet. Die ILB ist<br />
gewachsen, konnte das Ergebnis<br />
erneut steigern und hat ihr<br />
Eigenkapital aus eigener Kraft<br />
gestärkt. Unser Förderangebot<br />
wurde von den Unternehmen,<br />
den Kommunen und im Wohnungsbau<br />
voll ausgeschöpft.<br />
W&M: Wie verteilt sich das?<br />
Mehr als die Hälfte der Fördermittel<br />
ging 2011in das Geschäftsfeld<br />
Wirtschaft, 32 Prozent in<br />
die Infrastruktur, 14 Prozent in<br />
den Wohnungsbau.<br />
W&M: Seit 2007 führt die ILB die<br />
Marke Brandenburg-Kredit. Mit welchem<br />
Erfolg?<br />
LICHT: Es wurden 2.900 Brandenburg-Kredite<br />
ausgegeben. Im<br />
Gesamtvolumen von 1,2 Milliarden<br />
Euro, zinsverbilligt aus Mitteln<br />
unseres Förderfonds.<br />
W&M: Und Ihr Eigenkapital?<br />
LICHT: Wir haben frühzeitig begonnen,<br />
die steigenden Eigenkapitalanforderungen<br />
für Banken<br />
aus eigener Kraft zu erfüllen.<br />
Unser bilanzielles Eigenkapital<br />
wurde 2011 um 125 Millionen<br />
Euro erhöht. 25 Millionen stammen<br />
aus dem Ergebnis des Geschäftsjahrs<br />
2011.<br />
W&M: Wie sehen Sie in die Zukunft?<br />
LICHT: Wir wollen mit eigenen<br />
Erträgen in die Zukunft des Landes<br />
investieren und entwickeln<br />
dafür neue ILB-Produkte. Eines<br />
davon heißt Brandenburg-Kredit<br />
Erneuerbare Energien. Es wurde<br />
am 1. Juni gestartet.<br />
Interview: Peter Jacobs<br />
Investitionen<br />
Chemieparks boomen<br />
Die chemische Industrie Ost beschäftigt 55.000<br />
Mitarbeiter und legt gegenüber dem Westen zu.<br />
Auf mehrere Hundert<br />
Millionen summieren<br />
sich im laufenden<br />
Jahr 2012 die Investitionen<br />
für die ostdeutschen Chemieparks<br />
Bitterfeld-Wolfen, Leuna,<br />
Schkopau/Böhlen, Zeitz<br />
und Schwarzheide. Angaben<br />
des Branchenverbandes VCI<br />
zufolge haben mehr als 600<br />
Schlaues Füchslein<br />
TRADITIONSMARKEN<br />
Es war schlau von den Entscheidern<br />
in Düsseldorf, den Namen<br />
Spee nicht zu entsorgen, als<br />
sie im Wendejahr 1990 das<br />
einst von Henkel gegründete<br />
und zu DDR-Zeiten volkseigen<br />
geführte Waschmittelwerk in<br />
Genthin zurückkauften. Sie<br />
taten das Gegenteil: Am Tag der<br />
Währungsunion präsentierten<br />
sie ein gemeinsam<br />
in Genthin<br />
und Düsseldorf<br />
entwickeltes,<br />
völlig neues Spee, versehen<br />
mit einem Fuchs und dem<br />
Spruch »Die schlaue Art zu<br />
waschen«. Das Werk in Genthin<br />
existiert seit 2009 nicht mehr,<br />
aber die dort geborene Marke<br />
Spee besetzt heute Platz drei<br />
auf dem gesamtdeutschen<br />
Waschmittelmarkt.<br />
KREDITVERTEILUNG<br />
Der Online-Kreditmarktplatz smava ermittelte, in welchen<br />
Bundesländern die meisten Kredite aufgenommen werden.<br />
Berlin: 7,49%<br />
Sachsen: 4,49%<br />
Brandenburg: 3,15%<br />
Thüringen: 2,06%<br />
Sachsen-Anhalt: 1,97%<br />
Mecklenburg-Vorpommern: 1,51%<br />
Nordrhein-Westfalen: 18,93%<br />
Bremen: 0,72%<br />
Quelle: smava.de<br />
Unternehmen seit Mitte der<br />
90-er Jahre an diesen Standorten<br />
bereits 17 Milliarden Euro<br />
investiert. Die Zahl der Arbeitsplätze<br />
stieg im vorigen<br />
Jahr auf knapp 55.000 und<br />
verzeichnete einen Zuwachs<br />
von 11,5 Prozent gegenüber<br />
dem bundesweiten Durchschnitt<br />
von 3,3 Prozent.<br />
Heimattreues Bier<br />
Kronenkorkenjagd – mit<br />
diesem nach Abenteuer<br />
schmeckenden Reizwort<br />
macht die vogtländische<br />
Brauerei aus Steinberg-<br />
Wernesgrün ihrerseits Jagd<br />
auf durstige<br />
Sommerkundschaft.<br />
120 Fundstücke<br />
lassen<br />
sich in<br />
ein Fünf-<br />
Liter-Party-Fass eintauschen.<br />
Schon zu DDR-Zeiten war die<br />
Biermarke Wernesgrüner ein<br />
Export-Renner. Seit 2002<br />
brauen die Vogtländer unter<br />
dem Dach der Bitburg-Gruppe<br />
und liefern bis Australien.<br />
Heimattreue bleibt dennoch<br />
angesagt. Die GmbH ist<br />
Hauptsponsor der Fußball-<br />
Landesliga, die man Wernesgrüner<br />
Sachsenliga nennt.<br />
BERLIN FÜHRT, gemessen an der Einwohnerzahl. Es folgen Sachsen<br />
und Hamburg. Absoluter Spitzenreiter ist jedoch Nordrhein-Westfalen,<br />
auf das fast 19 Prozent der aufgenommenen Kredite entfallen.<br />
AUS DEN LÄNDERN<br />
Sachsen<br />
Die Zahl der Firmenzusammenbrüche<br />
in Sachsen ist im ersten<br />
Quartal dieses Jahres deutlich<br />
gesunken. 391 Unternehmer<br />
mussten zum Insolvenzgericht –<br />
23,2 Prozent weniger als ein Jahr<br />
zuvor. Auf 10.000 Unternehmen<br />
kamen 27 Pleiten. Im Bundesdurchschnitt<br />
waren es 24.<br />
Mehrere Mitteldeutsche Bildungseinrichtungen<br />
haben ein Netzwerk<br />
für den Automotive-Bereich gegründet.<br />
Die AMZ-Akademie bündelt<br />
Angebote für die effektive Weiterbildung<br />
von Fach- und Führungskräften<br />
mittlerer Firmen. Projektträger<br />
ist die RKW Sachsen GmbH.<br />
Sachsen-Anhalt<br />
Fast 3.000 Jugendliche in Sachsen-<br />
Anhalt beteiligten sich seit 2009<br />
an dem Qualifizierungsprogramm<br />
STABIL. Auf diese Weise konnten<br />
sie unter fachlicher Anleitung an<br />
ihrem jeweiligen Wohnort lernend in<br />
einem Produktionsprozess tätig<br />
werden. Das Angebot richtet sich<br />
insbesondere an junge Arbeitslose<br />
ohne Schulabschluss oder ohne<br />
Ausbildungsplatz. 40 Prozent der<br />
Teilnehmer konnten bisher eine<br />
sozialversicherungspflichtige<br />
Beschäftigung aufnehmen.<br />
Brandenburg<br />
Das Brandenburger Statistikamt<br />
prognostiziert für die kommenden<br />
20 Jahre eine Zunahme der Einwohnerzahl<br />
um 44.000 Menschen<br />
im so genannten Speckgürtel rund<br />
um Berlin. Landesweit müsse<br />
jedoch mit einem weiteren Verlust<br />
von etwa 250.000 Einwohnern<br />
gerechnet werden.<br />
Die Universitäten Potsdam, Cottbus<br />
und Frankfurt (Oder) betreiben seit<br />
sechs Jahren das Projekt Mentoring<br />
für Frauen – Gemeinsam Zukunft<br />
gestalten. Seit 2004 konnten<br />
183 Studentinnen in ihrer Studienabschlussphase<br />
beim Übergang<br />
in den Beruf und in ihrer Karriereplanung<br />
unterstützt werden.<br />
70 Prozent der Teilnehmerinnen<br />
schafften den Berufseinstieg in<br />
der Region.<br />
Mecklenburg-<br />
Vorpommern<br />
Investitionsvorhaben der gewerblichen<br />
Wirtschaft in Mecklenburg-<br />
Vorpommern wurden seit 2007 mit<br />
rund 512 Millionen Euro Zuschüssen<br />
unterstützt. Für Infrastrukturmaßnahmen<br />
zugunsten kleinerer<br />
und mittlerer Unternehmen standen<br />
215 Millionen Euro bereit.<br />
6 WIRTSCHAFT & MARKT 07–08/12
AKTUELL<br />
WIRTSCHAFTSBILD<br />
DES MONATS<br />
BRIEF AUS BRÜSSEL<br />
Von THOMAS HÄNDEL,<br />
Europaabgeordneter<br />
Die Linke<br />
Begräbnis erster Klasse<br />
Die Befürworter des EU-Fiskalpakts<br />
bedienen sich eines<br />
Märchens und gefährden die<br />
europäische Demokratie.<br />
AUF DEM DACH EINER MEHRZWECKHALLE in Gräfinau-Angstedt bein Ilmenau genießt ein Solarkontrolleur<br />
die Sommersonne auf seine Weise. Der Freistaat Thüringen wehrt sich energisch gegen die vom<br />
Bundesumweltministerium vorgesehene Kürzung der Förderung der Solarindustrie und geht dabei den<br />
neuen Bundesländern voran. Mit gutem wirtschaftlichen Grund: Das Bundesland erstrebt die Entwicklung<br />
zu einem der weltweit wichtigsten Solarindustriestandorte. Die gesamte Wertschöpfungskette vom Wafer<br />
bis zum Solarmodul wird von der einheimischen Industrie abgedeckt. Unternehmen wie Bosch, SCHOTT,<br />
Solar und Crystalox gehören zur Weltspitze. Forschungsarbeit und Unternehmergeist gehen Hand in Hand.<br />
In Erfurt wurde die größte kristalline Silizium-Solarzelle der Welt entwickelt.<br />
KONJUNKTUR-BAROMETER<br />
Bedenkliche Auskünfte vom Förderatlas<br />
Von DR. HERBERT BERTEIT<br />
Berlin gilt neuerdings als forschungsstärkste<br />
Region Deutschlands. Das jedenfalls weist der<br />
neue Förderatlas der Deutschen Forschungsgemeinschaft<br />
(DFG) aus. 630 Millionen Euro<br />
stehen in den letzten drei Jahren für Berlin<br />
auf der DFG-Einwerbeliste. Da bleibt selbst<br />
München zurück (586 Millionen). Die Region<br />
Dresden/Leipzig/Chemnitz/Freiberg erreicht<br />
mit rund 260 Millionen Euro immerhin noch<br />
einen mittleren Platz. Ganz am Ende rangieren<br />
die Hochschulen und wissenschaftlichen<br />
Forschungseinrichtungen der Bundesländer<br />
Thüringen, Sachsen-Anhalt, Brandenburg und<br />
Mecklenburg-Vorpommern.<br />
Das stimmt bedenklich. Denn die Forschungsleistungen<br />
von Hochschulen und wissenschaftlichen<br />
Instituten schaffen Voraussetzungen für<br />
Innovationen in Unternehmen und in der Gesellschaft.<br />
Sie bilden die Schlüsselfaktoren für<br />
Wachstum und Beschäftigung. Die Zahlen im<br />
Förderatlas belegen, dass die Rolle der Drittmittel,<br />
die nicht aus den Ländern stammen, in<br />
denen die Forschungseinrichtungen ansässig<br />
sind, an Bedeutung gewonnen haben. Seit<br />
1998 haben sich diese von 2,5 Milliarden auf<br />
5,3 Milliarden Euro pro Jahr mehr als verdoppelt.<br />
Fast 90 Prozent gehen an Hochschulen,<br />
der Rest an außeruniversitäre Einrichtungen.<br />
Auf Platz drei steht die FU Berlin, auf Platz<br />
acht die Humboldt-Universität. Aus den neuen<br />
Bundesländern sind unter den ersten 45 jedoch<br />
nur die Technische Universität Dresden<br />
auf dem 13. Platz, die Universität Jena als 31.<br />
und die Universität Leipzig als 38. zu finden.<br />
Für die meisten Hochschulen in Brandenburg,<br />
Sachsen-Anhalt und Mecklenburg-Vorpommern<br />
scheinen die Erfahrungen beim Einwerben von<br />
DFG-Fördermitteln nicht auszureichen. Deshalb<br />
brauchen sie Ideenaustausch. Zum Beispiel<br />
auf einer Kultusministerkonferenz. Oder auf<br />
einem Innovationstag des Bundesministeriums<br />
für Wirtschaft und Technologie.<br />
Mit diesem Vertrag von 25 der<br />
27 Mitgliedstaaten der EU sollen<br />
diese verpflichtet werden, in<br />
ihren nationalen Verfassungen<br />
oder an anderer geeigneter<br />
Stelle drastische Schuldenbremsen<br />
zu verankern.<br />
Damit wird das Märchen, die<br />
europäische Krise sei eine Krise<br />
der Staatsfinanzen, gewissermaßen<br />
in Verfassungsrang erhoben.<br />
Bei Zuwiderhandlung gegen<br />
diese Verpflichtung oder gegen<br />
die Schuldenbremsen sollen<br />
quasi-automatische drakonische<br />
Strafen den jeweiligen Sünder<br />
zur Räson bringen. Dieser Vertrag<br />
jedoch ist aus mehreren<br />
Perspektiven völlig inakzeptabel.<br />
Erstens wurde er ohne Beteiligung<br />
der einzigen wirklich<br />
demokratischen Institution auf<br />
europäischer Ebene, dem Europäischen<br />
Parlament, durchgedrückt,<br />
wo er keine Mehrheit<br />
gefunden hätte. Zweitens ist der<br />
Vertrag durch einzelne Mitgliedstaaten<br />
nicht kündbar. Damit<br />
werden gegenwärtige wie zukünftige<br />
Regierungen und Parlamente<br />
ihrer Haushaltshoheit<br />
beraubt. Und drittens wird so<br />
getan, als müssten die Staaten<br />
einfach nur sparen und alles ist<br />
wieder gut. Dass wir es nach wie<br />
vor mit den Folgen der Finanz-,<br />
besser Spekulationskrise zu tun<br />
haben, soll tunlichst unter den<br />
Teppich gekehrt werden. Dem<br />
werden wir uns weiter entgegen<br />
stellen. In Deutschland ebenso<br />
wie auf europäischer Ebene.<br />
WIRTSCHAFT & MARKT 07–08/12 7
AKTUELL<br />
KURZ NOTIERT<br />
NACHRICHTEN AUS DEN REGIONEN<br />
GRÜNDERPREIS<br />
Champions<br />
gesucht<br />
Die KfW-Bank vergibt 2012<br />
erneut den Titel »Gründer-<br />
Champion« an erfolgreiche<br />
junge Unternehmen.<br />
Bei der Auswahl wird besonderer<br />
Wert auf kreative und<br />
nachhaltige Geschäftsideen<br />
gelegt, die einen gesellschaftlichen<br />
Mehrwert schaffen.<br />
Auch die Schaffung und der<br />
Erhalt von Arbeits- und Ausbildungsplätzen<br />
sowie die<br />
Wahrnehmung sozialer<br />
Verantwortung und umweltbewusstes<br />
Handeln haben<br />
Einfluss auf die Bewertung.<br />
Der KfW-Award »Unternehmen<br />
GründerChampions« prämiert<br />
in jedem deutschen<br />
Bundesland ein Unternehmen,<br />
das nicht länger als fünf Jahre<br />
besteht und sich erfolgreich<br />
am Markt behauptet. Die<br />
16 Landessieger qualifizieren<br />
sich zusätzlich für den Preis<br />
des Bundessiegers. Dieser wird<br />
in drei Kategorien vergeben:<br />
Innovation, Gesellschaftliche<br />
Verantwortung und Kreativwirtschaft.<br />
Die Bewerbung ist<br />
bis zum 1. August möglich.<br />
ROHSTOFFSUCHE<br />
Öl vom Schwielochsee<br />
Auf der Suche nach Erdöl ist die<br />
deutsch-kanadische Gesellschaft CEP in<br />
Ostbrandenburg auf eine ungewöhnlich<br />
große Lagerstätte gestoßen.<br />
In der Nähe des Schwielochsees lagern in<br />
etwa 3.000 Meter Tiefe vermutlich 15 Millionen<br />
Tonnen Erdöl. Fünf Millionen Tonnen<br />
gelten als förderfähig. Das hätte nach gegenwärtigen<br />
Preisverhältnissen einen Marktwert<br />
von drei Milliarden Euro. Die Lagerstätte<br />
war seit DDR-Zeiten bekannt, jedoch<br />
nicht mit diesem Ausmaß. Aus einem<br />
kleineren Feld bei Küstrin-Kietz werden<br />
derzeit jährlich 20.000 Tonnen gefördert.<br />
MANAGER : TÜFTLER : ERFINDER<br />
Ein Maschinenbauer, der<br />
Fraunhofer-Präsident wird<br />
ELEKTROMOBILITÄT<br />
250 neue Ladepunkte<br />
Im Rahmen des Projekts SaxMobility II will<br />
Sachsen einheitliche Zugangs- und Abrechnungssysteme<br />
schaffen und diese mit dem<br />
örtlichen Personennahverkehr verknüpfen.<br />
Dafür sollen 250 zusätzliche Ladepunkte errichtet<br />
werden. Fahrscheine und Informationen<br />
können schon heute über Smartphone-Applikationen<br />
und Portale gebucht werden. Diese<br />
Variante des Kundenzugangs<br />
soll es<br />
in Zukunft ermöglichen,<br />
eine kostengünstige<br />
Ladeinfrastruktur<br />
für<br />
Elektrofahrzeuge<br />
zu installieren.<br />
Zusammen mit<br />
Bayern erhielt der<br />
Freistaat Sachsen<br />
kürzlich den<br />
Zuschlag für ein<br />
Schaufenster<br />
Elektromobilität.<br />
Gemeinsam rechnen beide Freistaaten mit<br />
einem Markt für 250.000 Elektrofahrzeuge.<br />
Eine Sprachschulchefin, die<br />
ein Berliner Stadtbad kaufte<br />
Fotos: DPA/Zentralbild (5), privat,<br />
FACHKRÄFTE<br />
Erleichterung<br />
für Zuwanderer<br />
Das Dresdner Betreuungsprojekt<br />
Akzess für ausländische<br />
Fachkräfte wird auf<br />
weitere Städte ausgedehnt.<br />
Akzess ist im Kern eine Verwaltungsvorschrift,<br />
welche die<br />
Arbeitsweise von Ausländerbehörden<br />
bei der Erteilung von<br />
Aufenthaltsgenehmigungen<br />
vereinheitlicht. Eingebunden<br />
sind die Arbeitsagentur und<br />
Verbände. Ziel ist es, Einreise<br />
und Aufenthalt ausländischer<br />
Fachkräfte in Sachsen zu erleichtern<br />
– vom Facharbeiter<br />
über Forscher und Selbstständige<br />
bis zu Doktoranden<br />
von Hoch- und Fachschulen.<br />
REIMUND NEUGEBAUER (59), BARBARA JAESCHKE (55),<br />
gelernter Maschinenbauer aus<br />
Esperstedt am Kyffhäuser, tritt<br />
am 1. Oktober die Präsidentschaft<br />
der Fraunhofer-Gesellschaft<br />
an. Erstmals übernimmt<br />
damit ein Ostdeutscher die<br />
Spitzenposition dieser renommierten<br />
Wissenschaftsorganisation.<br />
Seine Meriten als einer der führenden Köpfe in<br />
der deutschen Industrieforschung hat sich der Thüringer<br />
vor allem als langjähriger Leiter des Fraunhofer-Instituts<br />
für Werkzeugmaschinen und Umformtechnik in Chemnitz<br />
erworben. Seit 1993 besetzt er außerdem den<br />
Lehrstuhl dieser Fachrichtung an der TU Chemnitz. Mit<br />
den Schwerpunktthemen Ressourceneffiziente Produktion<br />
und Energiemonitoring im Werkzeugmaschinenbau<br />
hat er sich großen Respekt bei der deutschen Autoindustrie<br />
erworben, die als Innovationstreiber auf diesem<br />
Gebiet gilt. Am Chemnitzer Fraunhofer-Institut hat<br />
der Maschinenbau-Professor ein Spitzencluster von<br />
75 jungen Forschern versammelt, dem er zutraut, in<br />
den nächsten Jahren ein virtuelles Modell zu entwickeln,<br />
das dem Werkzeugmaschinenbetreiber schon<br />
beim Entwurf den Energieverbrauch ermittelt. Damit<br />
will er die Branche »aus einem Leidensdruck« erlösen.<br />
Inhaberin des Berliner GLS-<br />
Sprachzentrums, hält ihr<br />
kommunikationsförderndes<br />
Unternehmen unermüdlich auf<br />
Expansionskurs. Jedes Jahr<br />
holt die ausgebildete Slawistin<br />
und Anglistin etwa 4.000<br />
Jugendliche und Erwachsene<br />
aus rund 50 Nationen nach Berlin und vermittelt<br />
zugleich 3.000 deutschsprachige Schüler ins Ausland.<br />
Ihr Erfolgsrezept besteht aus der Kombination<br />
von Sprachausbildung mit der Vermittlung interkultureller<br />
Kompetenzen für Menschen aller Altersgruppen.<br />
Im Jahr 2005 erwarb sie eine vom Berliner Senat<br />
aufgegebene Schule im Stadtbezirk Prenzlauer Berg<br />
und stattete diese mit Studios, Beratungsbüros,<br />
Restaurant, Hotel und Buchladen aus. Inzwischen hat<br />
die linguistische Privatunternehmerin ihren Campus<br />
um das lange verwaist stehende Stadtbad Oderberger<br />
Straße erweitern können, das sie mit einem Aufwand<br />
von zwölf Millionen Euro GLS-gerecht umbauen will –<br />
bei Erhalt des Schwimmbeckens für die öffentliche<br />
Nutzung. Befragt, woher sie ihre unternehmerische<br />
Energie nimmt, antwortet die Sprachschulmeisterin<br />
schlicht: »Ich laufe seit drei Jahrzehnten Marathon.«<br />
8 WIRTSCHAFT & MARKT 07–08/12
AKTUELL<br />
MESSETERMINE<br />
Juli/August 2012<br />
05.07., Leipzig<br />
VOCATIUM. Fachmesse<br />
für Ausbildung+Studium<br />
06.07., Gera<br />
Haus&Garten Träume<br />
20.07., Schkeuditz<br />
Wäsche und Dessous<br />
04.08., Halle<br />
Tattoo Expo<br />
17.08., Dresden<br />
Saxonia Classica. Technische<br />
Raritäten und exklusive<br />
Handwerkskunst<br />
31.08., Greifswald<br />
Bauen & Sanieren<br />
im Norden<br />
IMPRESSUM<br />
Wirtschaft & Markt<br />
Das ostdeutsche Wirtschaftsmagazin<br />
Magazin der Interessengemeinschaft<br />
der Unternehmerverbände<br />
Ostdeutschlands und Berlin<br />
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Klaus George<br />
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ISSN 086 353 23 Erscheint monatlich.<br />
Die Zeitschrift Wirtschaft&Markt ist das<br />
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Beiträge müssen nicht mit der Meinung der<br />
Redaktion übereinstimmen. Für unverlangt<br />
eingesandte Manuskripte und Fotos<br />
übernehmen wir keine Haftung. Nachdruck<br />
nur mit Genehmigung des Verlages.<br />
PRO<br />
& CONTRA<br />
Ist der Pflegezuschuss für<br />
Versicherer hilfreich?<br />
Sinnvolle Vorsorge soll die Pflegezusatzversicherung<br />
sein. Kritiker wie Gewerkschaften und Sozialverbände<br />
sehen darin eine Subventionshilfe für Versicherer.<br />
DANIEL BAHR,<br />
Bundesminister<br />
für Gesundheit (FDP)<br />
Erstmals hat eine Bundesregierung<br />
die Wei-<br />
JA<br />
chen dafür gestellt, dass es<br />
künftig eine staatliche Förderung<br />
für eine private Pflegezusatzversicherung<br />
geben wird.<br />
Damit werden die Grundlagen<br />
geschaffen, dass die Pflegefinanzierung<br />
um eine private<br />
Vorsorgeförderung ergänzt und<br />
auf eine breitere Basis gestellt<br />
werden kann. Unabhängig vom<br />
Einkommen erhalten Versicherte<br />
der gesetzlichen Pflegeversicherung<br />
eine Zulage von 60<br />
Euro jährlich zu ihrer Versicherungsprämie,<br />
wenn sie eine<br />
freiwillige, private Pflegezusatzversicherung<br />
abschließen. So<br />
wird ein einfaches und unbürokratisches<br />
Verfahren auf den<br />
Weg gebracht, dass für viele<br />
Menschen attraktiv ist. Eine<br />
private kapitalgedeckte Vorsorge<br />
ist sinnvoll und wichtig,<br />
weil die gesetzliche Pflegeversicherung<br />
immer nur einen Teil<br />
der Pflegekosten übernimmt<br />
und von den Pflegebedürftigen<br />
nicht selten ein hoher Eigenanteil<br />
zu schultern ist. Wer<br />
frühzeitig sein individuelles<br />
Pflegerisiko zusätzlich privat<br />
absichert, kann schon mit<br />
geringen monatlichen Beiträgen<br />
die Gefahr einer finanziellen<br />
Überforderung deutlich<br />
abmildern. Wir stärken die<br />
gesetzliche Pflegeversicherung,<br />
indem wir die Leistungen<br />
dafür ausweiten.<br />
ANNELIE BUNTENBACH,<br />
Mitglied des Vorstandes des<br />
Deutschen Gewerkschaftsbundes<br />
NEIN<br />
Die geplante Pflege-<br />
Zusatzversicherung<br />
geht an den Herausforderungen<br />
in der Pflege völlig<br />
vorbei. In einem Kuhhandel<br />
mit dem Betreuungsgeld hat<br />
die FDP eine lächerliche Fünf-<br />
Euro-Förderung von privaten<br />
Zusatzpflegeversicherungen<br />
durchgesetzt. Damit ist weder<br />
den Pflegebedürftigen und<br />
ihren Angehörigen noch den<br />
professionellen Pflegekräften<br />
geholfen. Der akute Pflegenotstand<br />
wird damit nicht<br />
behoben, der künftig stark<br />
steigende Bedarf nicht finanziert.<br />
Die Einbeziehung von<br />
Demenzkranken ist auf die<br />
lange Bank geschoben. Mit<br />
der Förderung sollen die<br />
Probleme jedem Einzelnen<br />
aufgedrückt werden. Die FDP<br />
wird nun stets auf die Privatvorsorge<br />
verweisen. Daran<br />
ändert auch die geplante Beitragserhöhung<br />
um 0,1 Prozent<br />
nichts. Um den künftigen<br />
Pflegebedarf solidarisch zu<br />
finanzieren, ist ein kraftvoller<br />
Schritt nötig. Mit einer Bürgerversicherung<br />
könnten wir gute<br />
Pflege für alle bei einem Beitrag<br />
von 2,45 Prozent bis zum<br />
Jahr 2030 gewährleisten, ein<br />
Mehrbeitrag von je 0,25 Prozent<br />
für Arbeitgeber und Versicherte.<br />
Für einen Durchschnittsverdiener<br />
wären das<br />
6,50 Euro pro Monat – nicht zu<br />
viel für eine anständige Pflege.<br />
INVESTITIONEN<br />
Leipziger in Las Vegas<br />
Die Leipziger T-Shirt-Druckerei<br />
Spreadshirt expandiert in den USA<br />
und errichtet dort eine zweite Fabrik<br />
in Las Vegas. Das Modeversandunternehmen<br />
will in diesem Jahr<br />
schon mehr als 30 Prozent seines<br />
Umsatzes in den USA machen.<br />
2011 setzte Spreadshirt 46 Millionen<br />
Euro um. In diesem Jahr sollen es<br />
65 bis 67 Millionen Euro werden.<br />
VW Sachsen baut um<br />
Mit einem Investitionsaufwand von<br />
1,6 Milliarden Euro will VW in seinem<br />
Werk Mosel/Zwickau bis 2014 nahezu<br />
alle Fertigungsanlagen umbauen.<br />
Damit werden die Voraussetzungen<br />
geschaffen, dass die zukünftigen<br />
Modelle von Volkswagen auf der<br />
Basis des Modularen Querbaukastens<br />
auch in Zwickau gebaut werden<br />
können. Seit Mai 1990 entstanden<br />
jeweils rund zwei Millionen Golf und<br />
Passat Limousinen bei Volkswagen<br />
Sachsen. Ab 2013 wird der Golf<br />
Variant als drittes Modell in Zwickau<br />
vom Band laufen.<br />
Stroh für den Tank<br />
Die in Zörbig bei Leipzig ansässige<br />
Verbio Vereinigte BioEnergie AG<br />
strebt für das Geschäftsjahr<br />
2012/13 ein Umsatzvolumen von<br />
700 bis 800 Millionen Euro an. Der<br />
konzernunabhängige Hersteller<br />
verfügt über Kapazitäten für die Produktion<br />
von 450.000 Tonnen Biodiesel,<br />
300.000 Tonnen Bioethanol<br />
und 480 Gigawattstunden Biomethan.<br />
Verbio-Kraftstoffe hinterlassen bis zu<br />
90 Prozent weniger Ausstoß von CO 2<br />
als Diesel und Benzin. Verbio liefert<br />
seine Produkte direkt an europäische<br />
Mineralölkonzerne, Stadtwerke und<br />
andere Großkunden.<br />
820.000 Schweine<br />
Die Zahl der in Mecklenburg-Vorpommern<br />
gehaltenen Schweine ist auf<br />
mehr als 820.000 angestiegen. Auf<br />
dem Tiefststand von 1995 waren es<br />
nur 527.000. Die Zahl der Milchkühe<br />
ist seit 1991 von 248.000 auf etwa<br />
172.000 gesunken. Die Erzeugung<br />
von Milch erhöhte sich von 1,25 auf<br />
1,47 Millionen Liter im Jahr 2011.<br />
Die Leistung je Kuh verdoppelte sich<br />
von 4.275 auf 8.369 Liter. Auch<br />
werden rund 44.000 Schafe gehalten.<br />
WIRTSCHAFT & MARKT 07–08/12 9
GESPRÄCH<br />
Prof. Harald R. Pfab, Vorstandsvorsitzender der Sachsen Bank in Leipzig, über<br />
flexible Mittelständler, über ältere Unternehmer, die nicht loslassen können,<br />
einen alternativlosen Euro und den Brüsseler Zugriff auf nationale Fiskalpolitik<br />
»Ost-Firmen sind krisengestählt«<br />
Fotos: T. George<br />
W&M: Herr Pfab, Sie haben das Ziel gesetzt,<br />
mindestens jedes zehnte Unternehmen in Mitteldeutschland,<br />
das jährlich über zehn Millionen<br />
Euro umsetzt, von der Sachsen Bank betreuen<br />
zu lassen. Warum die Einschränkung?<br />
HARALD R. PFAB: Das Mittelstandsgeschäft<br />
ist einer der beiden Hauptgeschäftszweige<br />
der Sachsen Bank. Wir haben<br />
bei der Definition unserer Zielkunden<br />
die Grenze auf rund zehn Millionen<br />
Euro Umsatz gelegt, darunter sind die<br />
kleineren und mittleren Unternehmen<br />
gut betreut durch die Sparkassen. Je kleiner<br />
ein Unternehmen ist, umso wichtiger<br />
ist die Präsenz der Bank vor Ort. Wir<br />
sind ab zehn Millionen Euro nach oben<br />
offen und zählen entsprechend auch<br />
größere Firmen zu unseren Kunden. Mit<br />
Standorten in Chemnitz, Dresden, Erfurt,<br />
Halle, Leipzig und Magdeburg sind<br />
wir in Mitteldeutschland gut aufgestellt,<br />
um unser Ziel erreichen zu können.<br />
W&M: Als ein Unternehmen der Landesbank<br />
Baden-Württemberg-Gruppe (LBBW) operieren<br />
Sie in Mitteldeutschland nicht ohne Konkurrenz.<br />
Wie sollen der Helaba und der<br />
Nord/LB Marktanteile abgejagt werden?<br />
HARALD R. PFAB: Zunächst, wir wollen<br />
den anderen Landesbanken kein Terrain<br />
streitig machen. Primäres Interesse ist<br />
es, unsere Kunden gut zu betreuen. 2011<br />
haben wir über 900 Millionen Euro im<br />
Kreditgeschäft an den Mittelstand zur<br />
Verfügung gestellt. Aber wir stehen auch<br />
mit den anderen Landesbanken im Wettbewerb.<br />
Die Angebote sind nicht immer<br />
vergleichbar. Ein Vorteil für die Kunden,<br />
sie können auswählen. Auch gibt es Branchen,<br />
die von den Landesbanken unterschiedlich<br />
bevorzugt werden. Im Mittelstand<br />
haben wir gute Chancen durch unsere<br />
regionale Präsenz in den drei<br />
mitteldeutschen Ländern, das zahlt sich<br />
aus. Übrigens nimmt die LBBW nach wie<br />
vor die Sparkassenzentralbankfunktion<br />
in Sachsen wahr.<br />
W&M: Sie betonen sehr das Geschäftsgebiet<br />
Mitteldeutschland – ein Hinweis auf eine<br />
andere föderale Länderstruktur?<br />
HARALD R. PFAB: Ich bin Vorstandsmitglied<br />
der Wirtschaftsinitiative Mitteldeutschland,<br />
die ja länderübergreifend<br />
tätig ist. An der Debatte um neue föderale<br />
Strukturen beteiligen wir uns nicht.<br />
W&M: Also konkurrieren die Länder weiter<br />
auch mit dem Argument unterschiedlicher<br />
Fördermittel und -kriterien. Wem nützt das?<br />
HARALD R. PFAB: Wettbewerb ist grundsätzlich<br />
sinnvoll, aber nicht über Subventionen<br />
und Fördergelder. Aber Wettbewerb<br />
etwa in der Geschwindigkeit, wie<br />
eine Neuansiedlung genehmigungstechnisch<br />
in den Kommunen bearbeitet wird,<br />
das halte ich für sehr gut.<br />
W&M: Zurück zum Kerngeschäft. Die Sachsen<br />
Bank bescheinigt dem Mittelstand in ihrer<br />
Region, sehr flexibel zu agieren. Woran machen<br />
Sie das fest?<br />
»Wettbewerb ist grundsätzlich<br />
SINNVOLL,<br />
aber nicht über Subventionen<br />
und Fördergelder.«<br />
HARALD R. PFAB: Die Unternehmen sind<br />
tatsächlich hoch flexibel und können so<br />
einer Krisensituation besser Herr werden.<br />
In der letzten Rezession hat es in<br />
Mitteldeutschland wesentlich weniger<br />
Insolvenzen gegeben als befürchtet. Das<br />
hat aber auch damit zu tun, dass das<br />
Exportgeschäft hierzulande noch nicht<br />
so stark ausgeprägt ist wie etwa in Ba-<br />
den-Württemberg. Dadurch ist die Reduzierung<br />
geringer ausgefallen und die<br />
Krise leichter beherrschbar gewesen. Die<br />
Unternehmen hatten sich bereits in<br />
schwierigen Jahren zuvor entschlackt<br />
und konnten jetzt leichter auf Krisenmodus<br />
umschalten.<br />
W&M: Ein Vorteil im Wettbewerb?<br />
HARALD R. PFAB: Ja, die Unternehmen<br />
im Osten sind krisengestählt. Wenn es<br />
nur aufwärts geht, ist die Gefahr groß,<br />
dass Manager zu reinen Schönwetter-Piloten<br />
werden. In einer Krisenphase darf<br />
dann nicht immer davon ausgegangen<br />
werden, dass richtige Entscheidungen<br />
getroffen werden. Umso mehr sind wir<br />
von den Unternehmern in Mitteldeutschland<br />
angetan, für die wir über das Kreditgeschäft<br />
hinaus Gesprächspartner sein<br />
wollen, wie ein anderer Lieferant oder<br />
Kunde. Unser Anspruch ist es, den Firmen<br />
in allen Fragen zur Seite zu stehen.<br />
W&M: Wie funktioniert das als verlängerter<br />
Arm der Landesbank Baden-Württemberg?<br />
HARALD R. PFAB: Die Unternehmer<br />
schätzen es sehr, dass wir hier vor Ort<br />
sind, ausgestattet mit hohen Entscheidungskompetenzen.<br />
Wir sind eine komplette<br />
Bank, nicht nur in der Kundenbetreuung<br />
mit vielen Fachberatern, sondern<br />
auch in der Kreditbearbeitung.<br />
W&M: Eine der gegenwärtig dringendsten<br />
Fragen im ostdeutschen Mittelstand ist die<br />
Unternehmensnachfolge. Viele Firmengründer<br />
aus der Wendezeit gehen jetzt in den Ruhestand.<br />
Sie haben aber Schwierigkeiten, die<br />
Nachfolge zu regeln. Welche Lösungsangebote<br />
hat die Sachsen Bank?<br />
HARALD R. PFAB: Viele Unternehmer<br />
können sich nur sehr schwer von ihrem<br />
Lebenswerk trennen, selbst wenn es geeignete<br />
Familienangehörige gibt. Andere<br />
wiederum bevorzugen die schwierigere<br />
externe Nachfolgevariante. Wir unterstützen<br />
die Unternehmer zum Beispiel<br />
mit Workshops, die sehr gut besucht<br />
werden. Wir weisen aber auch darauf<br />
hin, dass sich eine verschleppte Nachfolgeregelung<br />
auf die Bonität auswirken<br />
kann. Es gibt Beispiele, wo die Wertigkeit<br />
eines Unternehmens nachlässt, weil der<br />
betagte Chef nicht gehen will.<br />
W&M: Dann helfen Sie mit sanftem Bonitätsdruck<br />
nach?<br />
10 WIRTSCHAFT & MARKT 07–08/12
HARALD R. PFAB: Es ist nicht unser Stil,<br />
mit Druck zu arbeiten. Wir versuchen in<br />
der Beratung auch die Unternehmer zusammenzubringen.<br />
Darüber zu diskutieren<br />
macht es häufig leichter, das Problem<br />
zu erkennen und anzupacken. Die<br />
Nachfolgeregelung ist derzeit eines unserer<br />
wichtigsten Beratungsangebote.<br />
W&M: Heute leben die Menschen in der Regel<br />
länger, bleiben länger leistungsfähig. Warum<br />
ist die Nachfolgefrage trotzdem so akut?<br />
HARALD R. PFAB: Es gibt natürlich Menschen,<br />
die bis ins höhere Alter und damit<br />
länger aktiv sind. Doch das zunehmende<br />
Alter bringt auch Einschränkungen mit<br />
sich, so wird beispielsweise das Gesundheitsrisiko<br />
höher. Wenn der Unternehmer,<br />
auf den alles zugeschnitten ist, ausfällt,<br />
dann können schnell Probleme entstehen.<br />
Ein weicher Übergang ist allemal<br />
zu bevorzugen. Dass die Nachfolgeproblematik<br />
gerade in Ostdeutschland an<br />
Bedeutung gewinnt, hat aber auch eine<br />
einfache zeitliche Ursache: Viele Firmengründer,<br />
die nach der Wende, also vor<br />
gut 20 Jahren begonnen haben, sind<br />
mittlerweile um die 60 Jahre alt – ein Alter,<br />
wo die Unternehmensnachfolge angegangen<br />
oder geklärt werden sollte.<br />
W&M: Wenn es nicht geschieht, wie relevant<br />
ist dadurch wirtschaftlicher Schaden?<br />
HARALD R. PFAB: Der Markt ist gnadenlos,<br />
wenn ein Unternehmer nicht mehr<br />
mithält. Auch die Kunden fragen sich,<br />
wie sicher ist der Betrieb noch, wie verlässlich<br />
der Partner. Was geschieht, wenn<br />
er ausfällt. Ich gehe da manchmal sehr<br />
unkonventionell vor. Demonstrativ bitte<br />
ich darum, auch mal den Juniorchef<br />
sprechen zu dürfen. Für den Seniorchef<br />
war das schon gelegentlich ein Impuls,<br />
die Nachfolgeregelung anzugehen.<br />
W&M: Ein anderes typisch ostdeutsches Problem<br />
ist die zu dünne Eigenkapitaldecke vieler<br />
mittelständischer Unternehmen. Mit der<br />
CFH Beteilungsgesellschaft mbH verfügt die<br />
Sachsen Bank über ein Instrument, um Firmen<br />
mit Risikokapital zu unterstützen. In<br />
welchen Branchen engagiert sich die CFH?<br />
HARALD R. PFAB: Die ostdeutschen Unternehmen<br />
haben im Durchschnitt etwas<br />
weniger Eigenkapital als westdeutsche.<br />
Aber es ist gewachsen. Eine gewisse<br />
strategische Lücke ist jedoch noch vorhanden.<br />
Dem tragen wir Rechnung mit<br />
unserer Beteiligungsgesellschaft CFH. In<br />
Sachsen haben wir außerdem mit dem<br />
Freistaat und einigen großen Sparkassen<br />
den Wachstumsfonds Mittelstand Sachsen<br />
ins Leben gerufen. Die CFH managt<br />
diesen. Die ersten 35 Millionen Euro sind<br />
ausgereicht. Ende vergangenen Jahres<br />
wurde er nochmals um 40 Millionen<br />
Euro aufgestockt. Bei den Branchen geht<br />
es querbeet. Wir helfen bei innovativen<br />
Ideen, zumeist aber in etablierten Unternehmen,<br />
die wachsen. Daneben steht der<br />
Technologiegründerfonds TGFS zur Verfügung.<br />
Dieser hilft Start-ups, für die es<br />
naturgemäß schwer ist, bei Banken Geld<br />
zu bekommen.<br />
W&M: Sie sind kein großer Fan von Cluster-<br />
Bildung, von Schwerpunktsetzung?<br />
HARALD R. PFAB: Doch. Das ist durchaus<br />
notwendig. Nehmen Sie die Autoindustrie.<br />
Große Hersteller wollen immer weniger<br />
Zulieferer, die einen größeren Teil<br />
abdecken. Da geraten natürlich kleine<br />
Mittelständler in die Defensive. Hier versuchen<br />
wir, wenn Sie so wollen, hinter<br />
den Kulissen die Unternehmen zu überzeugen,<br />
dass sie sich zusammentun, vielleicht<br />
sogar fusionieren, um gemeinsam<br />
im Geschäft bleiben zu können. In Mitteldeutschland<br />
arbeiten bereits erfolgreich<br />
das Automobil- sowie das Chemie-<br />
Cluster. Auf dem Energiesektor geht es in<br />
eine ähnliche Richtung.<br />
W&M: Auf der Agenda der Sachsen Bank<br />
steht auch, Firmenansiedlungen zu unterstützen<br />
und zu begleiten. Was macht Mitteldeutschland<br />
attraktiv für Investoren?<br />
HARALD R. PFAB: Wir betreiben keine<br />
Strukturpolitik. Aber wir sind mit der<br />
Sachsen Bank insgesamt daran interessiert,<br />
die Dinge schnell voranzutreiben,<br />
und dabei in einer guten Position. 95 Prozent<br />
aller unserer Entscheidungen treffen<br />
wir in Leipzig. So unterstützen wir<br />
Investoren auf verschiedenste Art und<br />
bieten uns ihnen als Partner an. Sehr direkt<br />
befördern wir Ansiedlungen durch<br />
WIRTSCHAFT & MARKT 07–08/12 11
HARALD R. PFAB mit den W&M-Redakteuren Helfried Liebsch (r.) und Thomas Schwandt.<br />
die Bereitstellung von Flächen, die wir<br />
im Besitz haben. Zum Beispiel gibt es<br />
noch freie Flächen im Güterverkehrszentrum<br />
nahe dem Flughafen Leipzig-Halle.<br />
Die alte Sachsen LB, die 2008 von der<br />
LBBW übernommen wurde, hatte diese<br />
Areale im Besitz. Vorteile für Investments<br />
liegen aber nicht nur in der Verfügbarkeit<br />
freier Flächen. Mitteldeutschland<br />
punktet durch seine gut ausgebildeten<br />
und flexiblen Mitarbeiter, moderne<br />
Verkehrsinfrastrukturen, niedrige Kosten<br />
und ein attraktives Lebensumfeld –<br />
das von der Kinderbetreuung bis zum<br />
vielfältigen kulturellen Angebot reicht.<br />
W&M: War Ihre Antwort eben eine kleine<br />
Spitze gegen die Filialisierung im Osten?<br />
HARALD R. PFAB: Das ist eines der<br />
Hauptprobleme der mitteldeutschen<br />
Strukturen. Es gibt hier kaum Konzernzentralen.<br />
Nur wenige, die VNG Verbundnetz<br />
Gas AG und die Strombörse in Leipzig<br />
zum Beispiel.<br />
W&M: Ein Katalysator der Wirtschaftsentwicklung<br />
im Osten ist weiterhin eine umfangreiche<br />
Förderung. Ab 2020 ist in der bisherigen<br />
Form Schluss. Wie sollte es weitergehen?<br />
HARALD R. PFAB: Die ostdeutschen Bundesländer<br />
müssen sich mittelfristig auf<br />
das stufenweise Versiegen der bisher gewohnten<br />
Förderquellen einstellen. Der<br />
Freistaat Sachsen ist da auf sehr gutem<br />
Weg. Aus Thüringen weiß ich, dass die<br />
dortige Landesregierung das Land bis dahin<br />
wetterfest machen will.<br />
W&M: Was heißt das konkret?<br />
HARALD R. PFAB: Es gilt, noch mehr Unternehmen<br />
anzusiedeln und die Verkehrsinfrastruktur<br />
zu verbessern, den<br />
Ausbau von Straßen und Schienen voranzutreiben.<br />
Da ist Thüringen als Verkehrsdrehscheibe<br />
besonders vorbildlich. Die<br />
Bundesländer sollten die noch zur Verfügung<br />
stehenden Mittel vermehrt in die<br />
Infrastruktur stecken und nicht in Subventionen<br />
für Firmen. Dass die wirtschaftliche<br />
Basis stärker wird, zeigen die<br />
kontinuierlich gesunkenen Arbeitslosenzahlen.<br />
Sachsen hat derweil die Zehn-<br />
Prozent-Marke unterschritten und Thüringen<br />
liegt nur noch ein halbes Prozent<br />
hinter Nordrhein-Westfalen zurück.<br />
W&M: Die Wissenschaft skizziert ein anderes<br />
Bild. Sie sagt, Ostdeutschland wird Industriebrache<br />
bleiben. Was entgegnen Sie?<br />
HARALD R. PFAB: Ich bin von Hause aus<br />
Optimist. Es ist sehr viel, was sich in den<br />
letzten 20 Jahren entwickelt hat. Unzufrieden<br />
bin ich, wie gesagt, mit der geringen<br />
Zahl an Konzernzentralen. Aber das<br />
braucht seine Zeit. Wir unterstützen die<br />
Unternehmen vor allem darin, sich gut<br />
weiterentwickeln zu können. Die Gefahr<br />
besteht immer, dass prosperierende Firmen<br />
von auswärtigen Interessenten aufgekauft<br />
werden. Unsere Hilfe soll es er-<br />
ZUR<br />
PERSON<br />
Fan von Rauch und Eitel<br />
Prof. Harald R. Pfab ist in doppelter Hinsicht<br />
ein klassischer Bankchef. Das Geschäft<br />
hat der Finanzfachmann von der<br />
Pike auf gelernt und er hat eine Affinität<br />
zu moderner Malerei entwickelt. Er begann<br />
seine Karriere mit einer Lehre in<br />
den 60er Jahren in der Landesgirokasse<br />
Stuttgart, qualifizierte sich zum Sparkassenbetriebswirt<br />
(Dipl.) und bekleidete<br />
verschiedene Funktionen in dem<br />
Kreditinstitut. Das fusionierte 1999 mit<br />
der Südwest LB zur Landesbank Baden-<br />
Württemberg (LBBW). 2007 wechselte<br />
Pfab zur Sachsen LB. Nach deren Übernahme<br />
infolge der Bankenkrise durch<br />
die LBBW wurde Pfab im April 2008<br />
Vorstandschef der Sachsen Bank. Der<br />
Schwabe schwärmt vom Dienstort Leipzig<br />
und von der Neuen Leipziger Schule.<br />
Ein schaufenstergroßes Bild von Neo<br />
Rauch und Bilder von Tim Eitel zieren<br />
das Büro von Pfab bzw. den Konferenzraum<br />
in der 18. Etage hoch über Leipzig.<br />
möglichen, die Selbstständigkeit der Firmen<br />
zu erhalten.<br />
W&M: Könnte Politik dafür sorgen, dass Konzernzentralen<br />
in den Osten verlagert werden?<br />
HARALD R. PFAB: Das geht nur über die<br />
Zeit. Ein kleiner mittelständischer Betrieb<br />
wird ein großer und dann ein Konzern.<br />
Das lässt sich nicht erzwingen. Die<br />
Politik kann und soll auch nicht verordnen,<br />
dass beispielsweise RWE den Konzernsitz<br />
nach Mitteldeutschland verlegt.<br />
W&M: Ende 2011 haben Sie in einem Interview<br />
die Unternehmen aufgefordert, sich auf<br />
eine neue Krise einzustellen. Wieso das?<br />
HARALD R. PFAB: Der Steigungswinkel<br />
des wirtschaftlichen Wachstums der Betriebe<br />
wird flacher, das merken wir auch.<br />
Sie werden sich wieder mehr Gedanken<br />
machen müssen. 2012 wird gemäßigter<br />
verlaufen als 2011. Von einer Krise würde<br />
ich aber heute nicht sprechen.<br />
W&M: Das klingt sehr optimistisch – zweckoptimistisch?<br />
HARALD R. PFAB: Die Unsicherheit können<br />
wir den Menschen nicht vollständig<br />
nehmen. Die ist einfach da. Niemand<br />
weiß wirklich, wie es in Griechenland<br />
und anderswo weitergeht, aber ich bin<br />
eben ein optimistischer Mensch und bisher<br />
gut damit gefahren.<br />
W&M: Der Fiskalpakt soll zu einer neuen<br />
Haushaltsdisziplin im Haus Europa führen.<br />
Ist er geeignet, die Staatsschuldenkrise zu<br />
überwinden und künftige zu verhindern?<br />
HARALD R. PFAB: In Europa haben wir<br />
nach meiner Auffassung folgendes Problem:<br />
Wir vereinigen uns beim Retten,<br />
aber bei Umsetzung und Kontrolle sind<br />
wir darauf angewiesen, dass die nationalen<br />
Regierungen es richten. Das ist auf<br />
Dauer so nicht durchzuhalten. Ein gewisser<br />
Eingriff in die staatliche Souveränität<br />
ist unvermeidbar. Wenn wir eine gemeinsame<br />
Währung haben, müssen wir sie gemeinsam<br />
steuern und sichern können.<br />
Dazu taugen keine trägen Abstimmungsverfahren,<br />
in denen das Ja aller Staaten<br />
gefragt ist. Ich bin kein Anhänger Vereinigter<br />
Staaten von Europa im Sinne der<br />
Aufgabe nationaler Identitäten. Wo es<br />
sinnvoll scheint, sollten Eingriffe in die<br />
nationale Haushaltspolitik möglich sein.<br />
W&M: Kritiker des Euro reden bereits von der<br />
Euro-Dämmerung. Bekommt die Politik die<br />
Geister nicht mehr gebändigt, die sie rief?<br />
HARALD R. PFAB: Ich bin ein großer Anhänger<br />
des Euro. Der Schritt ist der richtige<br />
gewesen. Die Politiker haben sich bei<br />
der Euro-Gründung nicht vorstellen können,<br />
dass einmal eine Lage wie in Griechenland<br />
eintreten könnte. Verspätet<br />
soll nun ein Krisenmodus eingebaut werden.<br />
Dennoch, der Euro ist alternativlos.<br />
W&M: Herr Prof. Pfab, wir bedanken uns für<br />
das Gespräch.<br />
&<br />
12 WIRTSCHAFT & MARKT 07–08/12
REPORT<br />
Fotos: V. Kühne, D. Micke, PictureDisk, privat<br />
Heimweh kann weh tun. Die Sehnsucht<br />
nach Heimat – ein schönes<br />
Wort. Erinnerung steckt in Heimat<br />
und Kindheit, Zuhause, Vertrautheit,<br />
Sicherheit, Geborgenheit.<br />
»Der Harz, der Brocken, da habe ich<br />
Heimatgefühle«, sagt Janine Pollet.<br />
»Sachsen-Anhalt ist Heimat«, sagt Kathrin<br />
Eschke. »Für mich Deutschland«,<br />
meint René Bieck. Eigentlich auch die<br />
Familie. Das sagt er so nicht, aber: »Oma<br />
muss zur Dialyse, Opa ist bettlägerig. Da<br />
will ich in der Nähe sein.« Die drei Fachkräfte<br />
arbeiten im »Hotel & Spa Wasserschloss<br />
Westerburg« im Harz. »Heimat ist<br />
für mich ein Ort, in dem ich mich wohlfühle«,<br />
so Sindy Tollkühn, Friseuse in<br />
Magdeburg. Dort lebt auch Physiotherapeutin<br />
Julia Melahn. »Stadt, Familie,<br />
Freunde sind Heimat«, sagt sie, Ehemann<br />
Matthias, Elektrotechniker, nickt. Alle<br />
sind Rückkehrer aus dem Westen,<br />
zurück nach Sachsen-Anhalt. Sie haben<br />
es nicht bereut.<br />
Nur einer ist enttäuscht: Koch René<br />
Bieck. Ja, sauer wird der 32-Jährige, wenn<br />
er von seiner Frau Verena berichtet und<br />
dem Lohngefälle West-Ost. Aus Aschersleben<br />
stammend, beschlich sie in Bayern<br />
Heimweh, das größer und größer wurde.<br />
So zog das Ehepaar 2010 nach Quedlinburg.<br />
René, in Nauen geboren, hatte in<br />
München Koch gelernt und dann dort<br />
schönes Geld verdient. Ebenso Verena<br />
als stellvertretende Aldi-Filialleiterin.<br />
Und jetzt? Sie arbeitet in einer Pension in<br />
Ballenstedt als Servicekraft, kriegt 400<br />
Euro. »Viiiiierhundert!« Der Koch holt<br />
tief Luft. Er hat in Westerburg einen Job<br />
gefunden: »Alles stimmt. Die Arbeit, das<br />
Team, die Chefs.« Und die Bezahlung? »Ist<br />
okay.« Will er bleiben? Mal sehen, wie es<br />
mit Verenas Arbeit weitergeht.<br />
GEGENWIND IN KOBLENZ<br />
Kathrin Eschke (28) will nicht wieder<br />
weg. In Wolfen groß geworden, hat sie<br />
2003 erfolgreich ihren Abschluss zur Restaurantfachfrau<br />
absolviert und dann 20<br />
Bewerbungen abgeschickt. Zehn in den<br />
Westen, alle mit Zusagen. Und zehn in<br />
den Osten, eine Zusage nach anderthalb<br />
Jahren, sonst kein Echo. »Ich wollte in ein<br />
Haus ab drei Sterne, habe Französisch,<br />
Englisch und Russisch als Fremdsprachen<br />
angegeben. Die Arbeitsagentur<br />
Bitterfeld schickte mich in eine Kleingartenanlage!«<br />
Aber da hatte Kathrin<br />
Eschke bereits einen Arbeitsvertrag in<br />
Frankfurt am Main unterschrieben. In einem<br />
Vier-Sterne-Hotel mit 160 Zimmern.<br />
»Alles hat gepasst«, sagt sie. Aber dann<br />
wollte sie mehr. Wechselte in eine Hotelkette<br />
am Airport Frankfurt, schaffte es<br />
bis zur Restaurantleiterin – und fast in<br />
Rückkehr aus dem Westen<br />
Ossis auf Heimwegen<br />
Viele Ostdeutsche zog es nach der Wende in den Westen. Der Trend<br />
beginnt sich umzukehren. Heimweh, gute Jobangebote und<br />
kostengünstige Lebenshaltung bewegen Abwanderer zur Rückkehr.<br />
den Burnout. »14, 15 Stunden am Tag,<br />
und das sechs Mal in der Woche.«<br />
Die junge Frau machte einen Schnitt,<br />
wechselte in ein Koblenzer Hotel. Und<br />
erntete Gegenwind. »Ich war die Einzige<br />
aus dem Osten ...« Mit Koblenz wurde sie<br />
nicht warm. Wollte in den Harz, wo die<br />
Eltern und andere Verwandte wohnen.<br />
Sie schmiss den Job. In der Zeitung las sie<br />
eine Anzeige vom Wasserschloss Westerburg,<br />
bewarb sich. Seit zwei Monaten<br />
arbeitet sie hier und ist zufrieden.<br />
Ebenso Janine Pollet, sie ist im Wasserschloss<br />
die Assistentin der Geschäftsführung,<br />
dem Ehepaar Silvia und Hartmut<br />
Lerche. Hier hat die 31-Jährige Hotelfachfrau<br />
gelernt, 2002 dann ein halbes<br />
Jahr im Service gearbeitet. Damals blutjung,<br />
wollte sie Neues erkunden. Fand im<br />
Internet die Anzeige eines privat geführten<br />
Vier-Sterne-Hauses in Worms, bewarb<br />
sich und begann als Servicekraft. »Alles<br />
ganz unkompliziert«, sagt sie. 2003 lernte<br />
sie einen Mann lieben, »den Geschäfts-<br />
14 WIRTSCHAFT & MARKT 07–08/12
REPORT<br />
führer des Hauses«. 2009 kam die gemeinsame<br />
Tochter zur Welt, kurz darauf<br />
trennte sich das Paar. Im Sommer 2011<br />
kehrte Janine Pollet heim.<br />
Mit Kleinkind gleich wieder einen Job<br />
gefunden? »Familie Lerche und ich hatten<br />
die ganze Zeit über Kontakt gehalten.«<br />
Später erklärt Silvia Lerche: »Janine<br />
war unser erster Azubi.« Und ein guter<br />
dazu. Das Hotelier-Paar bezahlt gute Löhne,<br />
Überstunden und überbetriebliche<br />
Zuschläge etwa für die Kita.<br />
TRUTZIGE BURG VIER STERNE PLUS<br />
1999 kauften der Gastronom und seine<br />
Frau in Huy bei Dedeleben das Wasserschloss<br />
an der Straße der Romanik, mit<br />
über 1000 Jahren eines der ältesten in<br />
Deutschland. Silvia und Hartmut Lerche<br />
hatten Kredite aufgenommen, ließen die<br />
trutzige Burg mit ihrem doppelten Wall<br />
und zweifachen Graben mit viel Liebe<br />
zum Detail restaurieren, ebenso den Innenhof<br />
mit den Fachwerkgebäuden, dem<br />
Turteltauben-Turmzimmer und Ziehbrunnen.<br />
2000 eröffnete das Ehepaar<br />
sein Hotel. 30 Mitarbeiter sorgen für das<br />
Wohl der Gäste. Fünf kommen aus den<br />
alten Ländern, sieben sind Rückkehrer.<br />
Die Lerches sind ebenfalls zurück im<br />
Osten. Kurz vor dem Mauerfall verließen<br />
sie die DDR, gingen nach Ratingen bei<br />
Düsseldorf. Aber irgendwann wollten sie<br />
die Selbstständigkeit wagen, suchten ein<br />
passendes Objekt und landeten in der<br />
Westerburg. Inzwischen ist diese ihr<br />
Zuhause. »Heimat. Das ist für uns dort,<br />
wo wir uns verwirklichen können«, sagt<br />
Silvia Lerche (55).<br />
»Wir sind ein Vier-Sterne-Plus-Haus<br />
mit Anspruch. Da brauchen wir gute Leute.<br />
Sechs Stellen sind unbesetzt.« Der<br />
61-jährige Hartmut Lerche redet sich in<br />
Rage. Über den Mangel an Fachkräften<br />
und rückläufige Schulabgängerzahlen.<br />
Über junge Leute, die ihre Ausbildung<br />
vorzeitig abbrechen. »Ich würde auch<br />
Fachkräfte und Lehrlinge aus dem Ausland<br />
einstellen. Aber dann müsste das<br />
Land anständige Deutschkurse bezahlen.<br />
Das können wir nicht finanzieren.«<br />
In der Landesregierung von Sachsen-<br />
Anhalt hat Ministerpräsident Reiner Haseloff<br />
das Problem zur Chefsache erhoben.<br />
Im Frühjahr verordnete sich der Regierungschef<br />
eine PR-Tour in westliche<br />
Regionen. Bundesweit sollen Anzeigen<br />
und Spots geschaltet, auch neue Medien<br />
wie Twitter eingesetzt werden. Die Initiativen<br />
knüpfen an die Rückkehrer-Aktion<br />
»PFIFF« an. Damit konnten mehr als<br />
3.000 Familien zurückgeholt werden.<br />
Jede Fachkraft zählt. Konnten nach<br />
Angaben der Magdeburger Staatskanzlei<br />
2005 fünf Prozent aller offenen Stellen<br />
ARBEITEN AUF DEM SCHLOSS: Janine Pollet und René Bieck.<br />
SEHNSUCHT NACH MAGDEBURG<br />
Die Wanderungsbewegungen in der Bundesrepublik<br />
gingen jahrelang fast nur in<br />
eine Richtung: von Ost nach West. Die<br />
fünf Flächenländer zwischen Ostsee und<br />
Erzgebirge bluteten regelrecht aus, verloren<br />
seit 1990 fast 1,5 Millionen Einwohner.<br />
Noch 2010 wanderten 20.000 Personen<br />
ab. Schlägt man Berlin vollständig<br />
dem Osten zu, kamen aber 2010 fast genauso<br />
viele Menschen in den Osten, wie<br />
ihn verließen.<br />
Eine Trendwende, zumindest in einigen<br />
Regionen. In Sachsen sind 2011 zum<br />
ersten Mal seit 1997 mehr Menschen zuals<br />
fortgezogen. Auch Berlin und Brandenburg<br />
melden positive Wanderungssaldos.<br />
Thüringen, das zwar insgesamt<br />
immer noch Einwohner verliert, registrierte<br />
2011 immerhin so viele Zuzügler<br />
wie seit 1997 nicht mehr. Sachsen-Andurch<br />
die Firmen nicht besetzt werden,<br />
so ist die Nichtbesetzungsquote bis 2011<br />
bereits auf 24 Prozent hochgeschnellt.<br />
Ein ähnliches Bild bietet der Ausbildungsmarkt.<br />
Der demographische Wandel<br />
wird zur Keule. Die Engpässe an qualifiziertem<br />
Personal sind besonders stark<br />
im IT-Bereich, im Gesundheits- und Sozialsektor<br />
und bei Ingenieuren.<br />
Haseloff weiß: »Das Rückholgeschäft<br />
ist schwierig. Es geht um das Gesamtpaket,<br />
da sind keine Wunder über Nacht zu<br />
FAKTEN<br />
Jährlich 45.000 Rückkehrer<br />
Laut einer Studie der Universität Bayreuth<br />
wollen viele abgewanderte Ostdeutsche<br />
zurück in ihre Heimat. Nach<br />
der Wende 1989 haben fast 1,5 Millionen<br />
Menschen den Osten verlassen.<br />
Bis 2005 sei knapp ein Drittel zurückgekehrt.<br />
Derzeit würden pro Jahr rund<br />
45.000 Menschen zurückziehen. Einer<br />
der Gründe ist der Wunsch, wieder<br />
näher bei Familie und Freunden zu sein.<br />
Auch mangelnde soziale Kontakte im<br />
Westen spielten eine Rolle. »Häufig wird<br />
die Entscheidung durch die Gründung<br />
einer Familie oder einen Jobwechsel<br />
begünstigt«, sagt Anke Matuschewski,<br />
Professorin für Wirtschaftsgeografie.<br />
Für die Studie hat sie unter anderem<br />
Rückkehrer in Sachsen und Mecklenburg-Vorpommern<br />
befragt. Der typische<br />
Rückkehrer ist männlich, zwischen 25<br />
und 40 Jahre, lebt in Städten wie Jena<br />
und Leipzig, die vom Zustrom profitieren.<br />
Über 90 Prozent der Befragten ziehen<br />
eine positive Bilanz ihrer Rückkehr.<br />
erwarten.« Größtes Problem sei nach wie<br />
vor das Lohnniveau im Land. Oft ein K.o.-<br />
Kriterium und eine Schlüsselgröße neben<br />
Heimat, Familie und Kindertagesstätten.<br />
Er pocht auf die Rahmenbedingungen,<br />
die Infrastruktur.<br />
Aus dem Landkreis Harz wanderten<br />
2009 über 5.000 Fachkräfte ab, gleichzeitig<br />
kamen etwa 4.000 in die Region.<br />
Trotz der Rückkehrbereitschaft von<br />
62 Prozent der Ostdeutschen gelingt es<br />
nur einem Fünftel der Abgewanderten,<br />
diesen Wunsch zu verwirklichen. Alle<br />
neuen Länder unterhalten oder unterstützen<br />
Rückwanderer-Agenturen. Sie<br />
heißen »Sachse komm zurück«,<br />
»MV4YOU« in Mecklenburg-Vorpommern<br />
oder eben »PFIFF« in Sachsen-Anhalt. Ihr<br />
Erfolg ist überlebenswichtig.<br />
WIRTSCHAFT & MARKT 07–08/12 15
REPORT<br />
TRIO IM GLÜCK: Familie Melahn.<br />
halts Abwanderungsverlust hat sich in<br />
den letzten Jahren mehr als halbiert.<br />
Ähnlich in Mecklenburg-Vorpommern.<br />
Julia Melahn ist 25, Physiotherapeutin<br />
und verheiratet mit Matthias, vier Jahre<br />
älter, staatlich geprüfter Elektrotechniker.<br />
Die beiden haben sich 2006 in ihrer<br />
Heimatstadt Magdeburg kennengelernt.<br />
Da arbeitete Matthias schon drei Jahre in<br />
Hannover. Ein dreiviertel Jahr kommt er<br />
nun jedes Wochenende zu Julia, die<br />
»dann der Liebe und der Qualifizierung<br />
wegen nach Hannover« zieht. Das Schulgeld<br />
von 180 Euro im Monat übernehmen<br />
die Eltern. Nebenher geht sie jobben.<br />
Matthias büffelt abends nach der Arbeit<br />
für die Technikerschule. Wenn es die<br />
Zeit zulässt, fahren sie am Wochenende<br />
heim nach Magdeburg. Zu Familie, Oma,<br />
Opa und Freunden.<br />
Im April 2011 wird Tochter Nayla geboren,<br />
im August heiraten Julia und Matthias<br />
Melahn in Magdeburg. Die Stadt ist<br />
ihr Zuhause geblieben. Und da wollen sie<br />
auch wieder hin. In Hannover will er<br />
aber erst kündigen, wenn er einen neuen<br />
Job hat. Bereits Anfang 2011 hat er sich<br />
beim Fachkräfteportal Sachsen-Anhalts<br />
»PFIFF« online registrieren lassen, auf der<br />
Suche nach einer Stelle als Techniker im<br />
Bereich der Automatisierungstechnik.<br />
»Dort lief leider alles über einen Personaldienstleister.<br />
Da ich zur Hermes<br />
Fulfilment GmbH nach Haldensleben<br />
wollte, habe ich mich dann direkt in der<br />
Unternehmenszentrale Hamburg beworben.«<br />
Die Zusage kam prompt.<br />
Trotzdem gibt es noch Hürden. »Die finanzielle<br />
Belastung durch doppelte Mietkosten<br />
und Umzugskosten für uns waren<br />
enorm«, so Julia Melahn. Eine Wohnung<br />
wird schnell gebraucht, ein Kitaplatz in<br />
Magdeburg. Als sie den sucht, kassiert sie<br />
zehn Absagen, bis sie einen Platz über<br />
private Fürsprache erhält. 30 Stunden<br />
pro Woche arbeitet sie nun in der Magdeburger<br />
Praxis Physio-Fit und Physiotherapie<br />
Schinscheck und Müller, ihr Mann<br />
Matthias arbeitet im Dreischichtsystem<br />
bei Hermes in Haldensleben. Ohne die<br />
familiäre Hilfe in Magdeburg hätte die<br />
Rundumbetreuung der kleinen Nayla<br />
nicht funktioniert. »So ist es besser«, sagt<br />
Matthias Melahn und zeigt ein Foto, auf<br />
dem Julia und er Nayla im Arm halten,<br />
tippt dahinter auf die Elbe und die Domspitze<br />
und sagt: »Unsere Stadt.«<br />
ENTTÄUSCHTE HOFFNUNGEN<br />
Das Dynamik-Ranking der »Initiative<br />
Neue Soziale Marktwirtschaft«, das die<br />
Veränderung ökonomischer Kennziffern<br />
von 2006 bis 2010 gemessen hat, führt<br />
alle neuen Länder auf Spitzenplätzen.<br />
Auch wenn strukturelle Krisen – wie zuletzt<br />
die Insolvenz des einstigen Solarbranchenprimus'<br />
Q-Cells in Thalheim –<br />
manche Regionen wieder zurückwerfen,<br />
glaubt Ulrich Blum, Wirtschaftsprofessor<br />
an der Universität Halle, dass bis<br />
2020 die Wirtschaftskraft Ostdeutschlands<br />
etwa 90 Prozent des Westniveaus<br />
erreichen werde.<br />
Konjunkturaufschwung und Entspannung<br />
am Arbeitsmarkt erklären den<br />
leichten Rückkehrtrend nicht allein.<br />
Ebenso wichtig wie die Belebung Ost sei<br />
die Ernüchterung West, so Joachim Ragnitz<br />
vom Ifo-Institut in Dresden. Zwar<br />
sind die Einkommen im Westen im<br />
Durchschnitt noch immer um bis zu<br />
25 Prozent höher als im Osten, doch<br />
KOPFARBEIT: Sindy Tollkühn mit Kundin.<br />
durch Abzug von Miet- und Lebenshaltungskosten<br />
schrumpft der Unterschied.<br />
Wenn Ostdeutsche zurückgehen, dann<br />
oft auch aus enttäuschter Hoffnung.<br />
Sindy Tollkühn zum Beispiel. Die 32-<br />
Jährige ist mit ihrem Lebensgefährten<br />
Stelios dieses Jahr nach Magdeburg<br />
zurückgekehrt. Eigentlich stammt sie<br />
aus Halberstadt, er aus Griechenland.<br />
Aber in Magdeburg hatten beide gelebt,<br />
bevor sie in den Westen gegangen waren.<br />
Sindy Tollkühn war als Friseuse im Studio<br />
»Haardesign« am Domplatz angestellt,<br />
Stelios machte seine Qualifizierung<br />
zum Assistenz-Arzt in der Rheumaklinik<br />
Vogelsang. Das ging dort nur drei<br />
Jahre, sechs Jahre aber dauert die Ausbildung.<br />
Die konnte der Freund im Sommer<br />
2009 in einer Bremer Klinik fortsetzen.<br />
Sindy Tollkühn zog mit, ab Januar<br />
2010 dann war die Meisterschule im<br />
40 Kilometer entfernten Oldenburg geplant.<br />
Das halbe Jahr bis dahin jobbte sie.<br />
Tränen flossen. Schnell vermisste sie ihr<br />
Magdeburger Haarstudio, das Super-<br />
Team, die tolle Chefin Jeannette Lauermann,<br />
die ihr gesagt hatte, sie könne<br />
wiederkommen. Freund Stelios dagegen<br />
schaffte in der Bremer Klinik problemlos<br />
den Einstieg. Der gelang ihr dann später<br />
auch an der Oldenburger Schule, nebenher<br />
arbeitete sie weiter.<br />
Nach ein paar Monaten in Bremen<br />
wussten die beiden, dass sie nicht bleiben.<br />
Mit der norddeutschen Mentalität<br />
kamen sie nicht klar. »Die gehen zum Lachen<br />
in den Keller.« So jedenfalls empfand<br />
es Sindy Tollkühn. Anfang 2012 hat<br />
der Freund in Vogelsang angefragt, ob<br />
er seine Ausbildung mit anschließender<br />
Facharztprüfung dort fortsetzten könne.<br />
Nach einer Weile kam die Zusage. Und so<br />
zog das Paar wieder nach Magdeburg.<br />
Die ganze Zeit über hatte Sindy Tollkühn<br />
Kontakt mit ihrem Haarstudio gehalten,<br />
die Kollegen besucht. Und dann hat es<br />
wirklich geklappt. »Ich bin wieder eingestellt,<br />
jetzt als Friseurmeisterin. Die<br />
Chefin, das Team und die Kundinnnen<br />
haben mich herzlich empfangen. Es ist<br />
so, als wäre ich nie weggewesen.«<br />
Chefin Jeannette Lauermann war<br />
selbst mal weg, fünf Jahre in drei Friseursalons<br />
in Frankfurt am Main. »Ich hatte<br />
dort keine Probleme, bin aus privaten<br />
Gründen zurück«, sagt die 46-Jährige.<br />
1995 eröffnete sie ihr eigenes Haarstudio<br />
in Magdeburg, später auch eins in Wolmirstedt.<br />
Inzwischen hat sie zwölf Angestellte.<br />
Denen sagt sie ab und zu: »Geht<br />
mal woanders hin, probiert euch aus,<br />
und dann kommt zurück! Über den eigenen<br />
Tellerrand schauen, da wird man<br />
offener, selbstbewusster und reifer.«<br />
Dana Micke<br />
&<br />
16 WIRTSCHAFT & MARKT 07–08/12
Everybody‘s here<br />
Messen und Kongresse 2012<br />
www.messe-berlin.de<br />
31.08.–05.09. IFA 2012 CONSUMER ELECTRONICS UNLIMITED<br />
05.09.–07.09. ASIA FRUIT LOGISTICA Hong Kong<br />
11.09.–16.09. ILA Berlin Air Show<br />
Berlin ExpoCenter Airport<br />
13.09.–15.09. HAI 2012 – Der Hauptstadtkongress der DGAI für Anästhesiologie und<br />
<br />
18.09.–21.09. InnoTrans 2012 Internationale Fachmesse für Verkehrstechnik<br />
Innovative Komponenten · Fahrzeuge · Systeme<br />
06.10.–07.10. Internationale Briefmarkenmesse 2012<br />
06.10.–07.10. NUMISMATA Berlin<br />
09.10.–11.10. EAS Euro Attraction Show<br />
17.10.–19.10. ITB Asia 2012<br />
The Trade Show for the Asian Travel Market Singapore<br />
17.10.–19.10. belektro Fachmesse für Elektrotechnik, Elektronik und Licht<br />
18.10.–21.10. 16. VENUS BERLIN Internationale Fachmesse<br />
19.10.–20.10. EINSTIEG Abi Messe für Ausbildung und Studium<br />
26.10.–28.10. Landesgesundheitsmesse Berlin-Brandenburg<br />
26.10.–28.10. Aktiv im Alter<br />
01.11.–03.11. Ecofair 2012<br />
03.11.–04.11. COSMETICA Berlin<br />
03.11.–04.11. Hairseller Berlin<br />
06.11.–07.11. MODERNER STAAT 16. Fachmesse und Kongress<br />
07.11.–11.11. IMPORT SHOP BERLIN DAS SCHÖNSTE DER WELT<br />
10.11.–11.11. HochzeitsWelt Die Hochzeitsmesse<br />
23.11.–25.11. MINERALIS 2012 38. Mineralien-, Fossilien- und Schmuckbörse Berlin<br />
23.11.–28.11. Boot und Fun 2012<br />
13.12.–16.12. HIPPOLOGICA Berlin<br />
Die internationale Pferdesportmesse<br />
Stand 06/2012. Auszug. Änderungen vorbehalten.<br />
Messe Berlin GmbH · Messedamm 22 · 14055 Berlin<br />
Telefon 030/3038-0 · Fax 030/3038-2325<br />
www.messe-berlin.de · central@messe-berlin.de
BERICHT<br />
Fotos: BMWi<br />
Innovationstag 2012<br />
Prickelnder Sanddorn<br />
Der diesjährige Innovationstag Mittelstand des Bundeswirtschaftsministeriums<br />
bot einen Strauß marktreifer Produktneuerungen.<br />
Darunter auch einen erfrischenden Getränkemix aus Sachsen.<br />
Am hinteren Winkel des innovativen<br />
Zelt-Dorfs endlich die passende Erfrischung<br />
an diesem warmen<br />
Frühsommertag in Berlin-Pankow: Ein<br />
kühler Becher Sanddorn-Kwas, prickelnd<br />
auf der Zunge, fruchtiger Geschmack.<br />
Die Produktneuheit der Privat-Brauerei<br />
Landsberg aus Sachsen wird hier erstmals<br />
vor größerem Test-Publikum verzapft.<br />
Die Kombination des russischen<br />
Brottrunks auf Getreidebasis mit der heimischen<br />
Beere kam durch wissenschaftliche<br />
Hilfe zustande. »Eine Herausforderung<br />
war, den Sanddornsaft für die<br />
Verarbeitung so aufzubereiten, dass sich<br />
die ölhaltigen Bestandteile im Getränkemix<br />
nicht wieder absetzen«, erklärt Jörg-<br />
Thomas Mörsel vom Untersuchungs-Beratungs-<br />
Forschungslaboratorium GmbH<br />
(UBF) aus Altlandsberg.<br />
Neben den UBF-Lebensmittelanalytikern<br />
wirkten auch zwei weitere ostdeutsche<br />
Kleinunternehmen an der Saft-Innovation<br />
mit: verknüpft über das »Sanddorn-Netzwerk«,<br />
das aus dem Zentralen<br />
Innovationsprogramm Mittelstand (ZIM)<br />
des Bundeswirtschaftsministeriums gefördert<br />
wird. Vielleicht lässt sich der Bionade-Erfolg<br />
ja wiederholen.<br />
Auch in seinem 19. Durchlauf bot der<br />
»Innovationstag Mittelstand« des BMWi,<br />
der Mitte Juni in der Berliner AiF Projekt<br />
GmbH stattfand, wieder einen bunten<br />
Strauß marktreifer Produktneuerungen<br />
aus mittelständischen Unternehmen.<br />
Die Gemeinsamkeit der 340 Aussteller,<br />
davon 210 Unternehmen und 130 Forschungseinrichtungen<br />
mit ihren über<br />
200 Exponaten: Die Innovationen kamen<br />
durch Förderprojekte des ZIM-Programms<br />
zustande, das mittelständischen<br />
Firmen ohne eigene Forschungs-Abteilung<br />
das notwendige Wissen durch Kooperationen<br />
von außen zuführt.<br />
LEBENSELEXIER DER WIRTSCHAFT<br />
Ernst Burgbacher, Parlamentarischer<br />
Staatssekretär beim Bundesminister für<br />
Wirtschaft und Technologie und Beauftragter<br />
der Bundesregierung für Mittelstand,<br />
zeigte sich bei seiner Eröffnung<br />
HOCH ZUFRIEDEN: Ernst Burgbacher, Mittelstandsbeauftragter<br />
der Bundesregierung.<br />
des Innovationstages denn auch sehr zufrieden<br />
mit der Entwicklung des ZIM-Programms:<br />
»Die Ergebnisse der von uns geförderten<br />
Projekte sind beeindruckend«,<br />
stellte Burgbacher bei seinem Rundgang<br />
fest. »Innovationen sind das Lebenselixier<br />
unserer Wirtschaft, denn nur mit<br />
neuen Ideen können wir dauerhaft erfolgreich<br />
sein und auch im internationalen<br />
Wettbewerb bestehen«, hob der<br />
Wirtschaftspolitiker hervor.<br />
Wettbewerb war auch vor Ort: Burgbacher<br />
konnte an vier Unternehmen die<br />
»ZIM-Preise 2012« überreichen. Sie erhielten<br />
die Auszeichnung, weil ihre FuE-Projekte<br />
besonders rasch in wirtschaftliche<br />
Erfolge umgemünzt werden konnten.<br />
Zum ersten Preisträger wurde die Hager<br />
Sondermaschinenbau GmbH aus Moettingen<br />
(Bayern) für die Entwicklung einer<br />
verbesserten Transportvorrichtung<br />
für Karosserieteile gekürt. Automobilhersteller<br />
können mit dem neuen System –<br />
entstanden aus einem ZIM-Solo-Förderprojekt<br />
– nunmehr sechs statt bisher<br />
zwei Modellvarianten je Spannrahmen<br />
produzieren – das spart Fläche und Ressourcen.<br />
Der 2. Preis ging an die LaVision<br />
BioTec GmbH aus Bielefeld (NRW). Sie<br />
hatte in einem ZIM-KOOP-Projekt zusammen<br />
mit der Uni Bonn ein neuartiges 3D-<br />
Mikroskop entwickelt, das auf zellulärer<br />
Ebene Stoffwechselvorgänge verfolgen<br />
kann. Dritter Preisträger wurde die Sudholt-Wasemann<br />
GmbH aus Herzebrock-<br />
Clarholz (NRW) für die Entwicklung eines<br />
ultraharten Spezialbetons, auf dem<br />
schwere Werkzeugmaschinen schwingungsfrei<br />
arbeiten können. An der Innovation<br />
war über ein ZIM-KOOP-Projekt<br />
auch die Beltec Metallbau GmbH & Co.<br />
KG aus Fürstenberg/Havel (Brandenburg)<br />
beteiligt.<br />
Auch ein »Sonderpreis Handwerk«<br />
wurde vergeben, der dem Unternehmen<br />
18 WIRTSCHAFT & MARKT 07–08/12
BERICHT<br />
Rombach – Bauholz + Abbund GmbH aus<br />
Oberharmersbach (Baden-Württemberg)<br />
zuerkannt wurde. Die aus einem ZIM-<br />
Solo-Projekt entstandene Öko-Innovation<br />
besteht aus einem Massivholzsystem mit<br />
Gewindeschrauben aus Buchenholz. Damit<br />
können »die technologischen Nachteile<br />
des Leimens, Dübelns und Nagelns<br />
überwunden« werden, urteilte die Jury<br />
des ZIM-Preises.<br />
17.500 PROJEKTE SEIT 2008<br />
Der Otto von Guericke-Preis, den die AiF<br />
alljährlich auslobt, wurde in diesem Jahr<br />
an ein interdisziplinäres Forscherteam<br />
vergeben: an Hermann Finckh vom Institut<br />
für Textil- und Verfahrenstechnik<br />
Denkendorf (ITV) und Vincenzo Forcillo<br />
vom Institut für Werkzeugmaschinen<br />
(IfW) der Universität Stuttgart. Sie hatten<br />
in einem Projekt, das über die Industrielle<br />
Gemeinschaftsforschung (IGF) gefördert<br />
wurde, ein neues Schutzsystem für<br />
Holzbearbeitungsmaschinen entwickelt.<br />
Dabei kommen technische Textilien als<br />
Schutzvorhänge zum Einsatz, die die<br />
nach Unfällen verschärften Sicherheitsvorschriften<br />
besser erfüllen. Um ihre Exportfähigkeit<br />
zu erhalten, waren alle<br />
deutschen Hersteller von Holzbearbei-<br />
ZIM-PREISTRÄGER: Wenige Sieger nur,<br />
aber sehr viele Gewinner.<br />
tungsmaschinen – die jährlich an die<br />
1.000 Stück produzieren – an einem<br />
schnellen Ergebnis des FuE-Projekts interessiert.<br />
Viele, sehr viele Innovationsschübe<br />
sind durch das ZIM-Förderprogramm in<br />
den deutschen Mittelstands-Unternehmen<br />
ausgelöst worden. Seit dem Start<br />
des neuen integrierten Programms, das<br />
mehrere Förderlinien bündelte, auf dem<br />
Innovationstag im Jahr 2008 wurden<br />
über ZIM insgesamt rund 17.500 Vorhaben<br />
mit einem Fördervolumen von über<br />
2,2 Miliarden Euro bewilligt. Bezogen auf<br />
die Bundesländer erreichte Baden-Württemberg<br />
mit rund 420 Millionen Euro<br />
(für knapp 3.500 Vorhaben) den größten<br />
Anteil. Sachsen kommt mit 330 Millionen<br />
Euro für 2.500 Projekte auf Platz 2,<br />
noch vor Nordrhein-Westfalen mit 305<br />
Millionen Euro für 2.500 Vorhaben. Beim<br />
Blick auf die Technologiefelder gingen<br />
bislang die meisten bewilligten Mittel in<br />
die Produktionstechnologien (489 Millionen<br />
Euro), vor den Werkstofftechnologien<br />
(268 Millionen) und dem Bereich<br />
Elektrotechnik, einschließlich Messtechnik<br />
und Sensorik (244 Millionen).<br />
Die ZIM-Förderung ist gut nachgefragt.<br />
Pro Monat werden bis zu 500 Neuanträge<br />
gestellt. Die Qualitätslatte liegt<br />
hoch: ein Drittel wird abgelehnt. Für<br />
Neuaspiranten wie auch für die Projektträger<br />
war deshalb bei diesem Innovationstag<br />
die spannende Frage, wie geht<br />
es mit dem ZIM-Programm über das Bundestags-Wahljahr<br />
2013 weiter. Aufatmen<br />
daher, als von der BMWi-Spitze offiziell<br />
mitgeteilt wurde, dass das volle Programmvolumen<br />
von 500 Mio Euro auch<br />
für 2013 garantiert sei und der bisherige<br />
Antragsschluss um ein Jahr und damit<br />
bis zum 31.12.2014 verlängert wurde.<br />
Manfred Ronzheimer<br />
&<br />
Energie ist …<br />
… Regionalität.<br />
Leipzig und die Leipziger liegen uns sehr am<br />
Herzen. Lebensqualität und Wirtschaftskraft stärken,<br />
Leipzig voranbringen – dafür arbeiten wir:<br />
Unsere Energie für Leipzig.<br />
Alexandra und Alexander,<br />
Leipziger seit 1974 und 1977<br />
www.swl.de<br />
WIRTSCHAFT & MARKT 07–08/12 19
SERIE<br />
zig. Hier hatten einst große DDR-Kombinate<br />
ihren Hauptsitz – nicht eines überlebte.<br />
Über 105.000 Industriearbeitsplätze<br />
brachen damit fast über Nacht weg,<br />
ohne dass lange Zeit nennenswerte Äquivalente<br />
entstanden. Erst die großen Montagewerke<br />
von Porsche und BMW, die<br />
derzeit noch kräftig ausgebaut werden,<br />
schaffen seit einigen Jahren wieder Entlastung.<br />
Nüchtern betrachtet handelt<br />
es sich aber durchweg um verlängerte<br />
Werkbänke. In punkto Innovationen tut<br />
sich damit vor Ort wenig.<br />
Chemnitz, das frühere Karl-Marx-<br />
Stadt, traf es anfangs ähnlich hart, weil<br />
den Maschinenbetrieben mit der D-Mark<br />
die osteuropäischen Märkte abhanden<br />
kamen. Doch durch kluges kommunales<br />
Handeln blieb kein großes Maschinenbauunternehmen<br />
ganz auf der Strecke.<br />
Heckert, Union, Niles & Co. – alle überlebten<br />
mehr oder minder gut und stehen<br />
heute auf soliden Füßen. Im Bündnis mit<br />
der TU Chemnitz sowie einer industrie-<br />
W<br />
as in Chemnitz erarbeitet<br />
wird, wird in Leipzig durch<br />
Handel vermehrt und in Dresden<br />
verprasst.« Schon seit königlich-sächsischen<br />
Zeiten klassifizierte man so die<br />
drei großen Wirtschaftszentren des Landes.<br />
Ein wenig stimmt das noch immer.<br />
Doch mittlerweile tragen auch die Landeshauptstadt<br />
und ihr Umland überdurchschnittlich<br />
zur Wertschöpfung in<br />
Sachsen bei. Im Grunde erwirtschaften<br />
heute alle drei Ballungsräume ein gerüttelt<br />
Maß an der Wirtschaftsbilanz des<br />
Freistaates. Um Dresden und Freiberg<br />
(das historisch schon zum Chemnitzer<br />
Wirtschaftsraum gehört) sind Zukunftsbranchen<br />
wie Mikroelektronik, Solarwirtschaft<br />
und die Elektrotechnik zu<br />
Hause. Im traditionellen »Schaffensland«<br />
Chemnitz-Zwickau-Erzgebirge massieren<br />
sich Maschinen- und Fahrzeugbau. Das<br />
Leipziger Land ist eine Hochburg der Energiewirtschaft,<br />
Finanz- und Handelsdienstleistungen<br />
sowie kreativer Medienmacher.<br />
Etwas bescheidener nimmt sich<br />
die Wirtschaftskraft in Ostsachsen sowie<br />
im Vogtland aus.<br />
REPORT<br />
S A C H S E N<br />
Foto: Siemens AG<br />
DYNAMISCHER STANDORT<br />
Sachsen macht schon seit sechs Jahren<br />
keine Schulden mehr und hat bundesweit<br />
die zweithöchste Investitionsquote.<br />
Doch außerhalb seiner Grenzen weiß<br />
man das offenbar zu wenig. Hier wird<br />
das positive Image des Landes vor allem<br />
durch schöne Landschaften, attraktive<br />
Städte und kulturellen Reichtum geprägt<br />
– mithin ist es ein interessantes<br />
Kurzreiseziel. Als Standort für Wirtschaft,<br />
Wissenschaft und Bildung nehme<br />
man den Freistaat hingegen »noch zu wenig<br />
wahr«, befand jüngst eine deutschlandweite<br />
Umfrage, die die Markt- und<br />
Sozialforschung mbH Hamburg im Auftrag<br />
der Dresdner Staatskanzlei durchführte.<br />
Demnach haben die Menschen<br />
außerhalb Sachsens mehrheitlich nicht<br />
den Eindruck, dass sich hier wieder ein<br />
dynamischer Wirtschaftsstandort entwickelt,<br />
der jungen Menschen viele attraktive<br />
Arbeitsplätze und gute Studienmöglichkeiten<br />
bietet. Immerhin gilt das<br />
Land mit seinen technischen Universitäten<br />
und Hochschulen in Dresden, Chemnitz,<br />
Zwickau, Leipzig, Mittweida und<br />
Zittau als die deutsche Ingenieurschmiede<br />
schlechthin.<br />
Daraus resultiert fraglos auch, dass<br />
Sachsens Statistiker 2011 zum ersten Mal<br />
seit 1997 wieder mehr Zuzug als Abwanderung<br />
vermelden konnten. Vor allem<br />
immer mehr Landeskinder, die einst der<br />
Arbeit wegen gen Westen zogen, kehren<br />
zurück. Das hat das Land auch dringend<br />
nötig. Denn der Mangel an Fachkräften<br />
Innovationsoffensive<br />
Durchwachsene Bilanz<br />
Industrielle Leuchttürme, Spitzenforschung, hohe Investitionsquote.<br />
Sachsens Wirtschaft gilt im Osten als Schrittmacher. Doch niedrige<br />
Arbeitsproduktivität und zu viele Schulabbrecher trüben das Bild.<br />
ist enorm. Wenn Jutta Cordt, die Chefin<br />
der sächsischen Regionaldirektion der<br />
Bundesarbeitsagentur frohlockt, das<br />
Land habe heute die »niedrigste Arbeitslosigkeit<br />
seit 20 Jahren«, hat das längst<br />
auch eine Kehrseite: Fast 600 Ingenieurstellen<br />
können sächsische Unternehmen<br />
derzeit nicht besetzen. »Gesucht werden<br />
vor allem Experten für Fahrzeug- und<br />
Maschinenbau, Elektroingenieure sowie<br />
Architekten und Bauingenieure«, so Jutta<br />
Cordt. Rechne man noch das Segment<br />
der Techniker und technischen Sonderfachkräfte<br />
hinzu, liege »die Zahl der gemeldeten<br />
freien Stellen bei über 1.100 –<br />
Tendenz steigend.«<br />
Damit trifft es bevorzugt jene Branchen,<br />
in denen Sachsen seit dem 19. Jahrhundert<br />
gut aufgestellt war. Noch 1990<br />
erwirtschafteten die Betriebe der drei<br />
sächsischen Bezirke etwa 40 Prozent der<br />
gesamten Industrieproduktion der DDR.<br />
An dem anschließend folgenden Kahlschlag<br />
laboriert vor allem der Raum Leip-<br />
20 WIRTSCHAFT & MARKT 07–08/12
SERIE<br />
nahen Forschungslandschaft, die sich<br />
hier ansiedelte, entstanden nun einige<br />
der innovativsten Wirtschaftscluster<br />
Sachsens. Nicht ohne Grund haben die<br />
Verbundinitiativen Maschinenbau Sachsen<br />
(VEMAS) und Automobilzulieferer<br />
Sachsen (AMZ) ihren Sitz in Chemnitz.<br />
Gleiches lässt sich auch mit Blick auf<br />
Dresden sagen, das nach der Wende am<br />
wenigsten Federn lassen musste. Im Gegenteil:<br />
Mit milliardenschweren Subventionen<br />
siedelte die Landesregierung<br />
vor ihrer Haustür Europas bedeutendste<br />
Chipfabriken an. Sie boten auch die Basis<br />
für leistungsfähige Branchenverbünde in<br />
der Mikroelektronik sowie neuerdings<br />
auch bei Biotechnologien, wobei hier<br />
auch Leipzig zunehmend zu einer ersten<br />
Adresse in Deutschland avanciert. Gleiches<br />
gilt in der Messestadt auch für die<br />
Umweltforschung.<br />
SICHTBARE SPITZENFORSCHUNG<br />
Insgesamt leistet sich Sachsen eine opulente<br />
Forschungslandschaft mit allein<br />
fünf staatlichen Universitäten. Wissenschaftler<br />
forschen im Freistaat in sechs<br />
Einrichtungen der Leibniz-Gesellschaft,<br />
an vier Helmholtz-Standorten, in sechs<br />
Fraunhofer- sowie 16 Max-Planck-Instituten.<br />
Hinzu kommen neun landesfinanzierte<br />
Forschungseinrichtungen. Für<br />
Sachsens Wissenschaftsministerin Sabine<br />
von Schorlemer kann der Freistaat<br />
heute in Mikroelektronik, Nanotechnologie,<br />
dem Maschinen- und Fahrzeugbau,<br />
den Material- und Werkstoffwissenschaften,<br />
der Biotechnologie, den Neurowissenschaften,<br />
der Medizintechnik und der<br />
Umweltforschung »mit international<br />
sichtbarer Spitzenforschung aufwarten«.<br />
Dennoch sind das nur punktuelle Vorzeigegeschichten.<br />
Im Grunde ist Sachsens<br />
Wirtschaft wieder vorrangig mittelständisch<br />
strukturiert. 88 Prozent der Betriebe<br />
beschäftigen weniger als zehn<br />
Mitarbeiter, 9,4 Prozent maximal 50 Leute.<br />
Die Zahl der Unternehmen mit mehr<br />
als 250 Beschäftigten macht verschwindende<br />
0,3 Prozent aus. Bundesweit ist<br />
der Anteil der Großunternehmen im<br />
Wirtschaftsgefüge gut dreimal höher.<br />
Seit 1990 haben rund 6.000 Unternehmen<br />
eine Betriebsstätte an einem sächsi-<br />
SACHSEN<br />
FAKTEN<br />
Einwohner: 4,14 Mio. (Nov. 2011)<br />
Unternehmen: 115.300 (99 Proz. KMU)<br />
BIP: 94,9 Mrd. Euro (2011)<br />
Veränd. zu 2010: + 2,9 Prozent<br />
Exportquote: 26,2 Prozent<br />
Quelle: Statistisches Amt Sachsen<br />
schen Standort errichtet oder erworben.<br />
Doch entgegen den frühen 1990er Jahren<br />
verlagerte sich der Schwerpunkt der Gewerbeneuanmeldungen<br />
von Handel und<br />
Handwerk inzwischen verstärkt in Richtung<br />
Industrieproduktion. Mittlerweile<br />
weist Sachsen in Ostdeutschland wieder<br />
die zweithöchste Industriedichte auf –<br />
nach Thüringen. Auf 1.000 Einwohner<br />
kommen gut 70 sozialversicherungspflichtig<br />
Beschäftigte im verarbeitenden<br />
Gewerbe, im ganzen Osten (einschließlich<br />
Berlin) sind es nur 54.<br />
Den Gegenpol bilden Wirtschafts-<br />
Leuchttürme, die gezielt gefördert wurden,<br />
damit sich rings um sie industrielle<br />
Kerne entwickeln. Vor allem durch neu<br />
angesiedelte mittelständische Zulieferindustrien<br />
und Forschungseinrichtungen.<br />
An erster Stelle steht die Mikroelektronik,<br />
auch wenn es sich hierbei nur um<br />
Produktionsstätten internationaler Konzerne<br />
handelt. Dennoch bildet die Halbleiter-<br />
bzw. IT-Industrie mit etwa 250 Unternehmen<br />
sowie 35.000 Beschäftigten<br />
heute ein wichtiges Standbein der sächsischen<br />
Wirtschaft. Zugleich zeigten die<br />
letzten Jahren aber auch, wie leicht dieses<br />
Bein angesichts periodisch wiederkehrender<br />
weltweiter Nachfrageprobleme<br />
einknicken kann.<br />
Misst man die sächsischen Kennzahlen<br />
beim Bruttoinlandsprodukt (Rückgang<br />
zwischen 2007 und 2010 um 1,5<br />
Prozent) oder der Produktivität, schneidet<br />
der Freistaat sogar überraschend<br />
mau ab. Mittlerweile wächst die deutsche<br />
Wirtschaft im Durchschnitt wieder<br />
schneller als die sächsische und bei der<br />
Arbeitsproduktivität ist man sogar nationales<br />
Schlusslicht: Jeder Sachse erwirtschaftete<br />
im letzten Jahr 48.696 Euro,<br />
bundesweit waren es 61.725 Euro.<br />
WETTBEWERB FÜR WEITERBILDUNG<br />
Übrigens rangiert der bundesweite Pisa-<br />
Seriensieger selbst im Bildungsbereich in<br />
der letzten Gruppe der Republik: Mit der<br />
weiter wachsenden Zahl an jungen Leuten,<br />
die die Schule ohne Abschluss verlassen,<br />
liegt Sachsen auf Rang 14 unter den<br />
16 Bundesländern. Kein gutes Omen für<br />
künftige Innovationen. Darum zweigte<br />
Sachsens Wirtschafts- und Arbeitsminister<br />
Sven Morlok (FDP) unlängst eine Million<br />
Euro für einen Ideenwettbewerb ab,<br />
mit dem er die Weiterbildungsbeteiligung<br />
der sächsischen Beschäftigten zu<br />
erhöhen hofft. »Wir wollen berufserfahrene<br />
Fachkräfte von den Vorteilen des<br />
Weiterlernens überzeugen. Auch die Unternehmen<br />
profitieren von mehr Produktivität<br />
und flexibleren Mitarbeitern«, so<br />
der Minister.<br />
Harald Lachmann<br />
&<br />
KOLUMNE<br />
Mein Leipzig<br />
HARALD LACHMANN,<br />
Länder-Korrespondent<br />
von W&M in Sachsen<br />
»Mein Leipzig lob‘ ich mir! Es ist ein Klein-<br />
Paris und bildet seine Leute«, schwärmte<br />
der junge Goethe über seine Studienstadt.<br />
Natürlich ist Sachsen weitaus mehr als<br />
Leipzig, aber Sachsen ohne Leipzig – was<br />
für ein Torso!<br />
Sachsens Tor zur Welt, Sachsens Schaufenster,<br />
Sachsens Freiheitsglocke, Sachsens<br />
Vordenkerschmiede, Sachsens selbstbewusst(est)e<br />
Bürgerschaft … Die Reihe ließe<br />
sich lange fortsetzen. »Wenn das einer<br />
schafft, dann wir!«, sagen die Leipziger und<br />
trauen sich Dinge, die andere nicht einmal<br />
zu denken wagen. Selbst wenn es mal<br />
schief geht, wie bei Olympia 2012. Wie gern<br />
wäre man jetzt auch ein Klein-London.<br />
All das macht Leipzig auch für einen<br />
Preußen von Geburt und Geblüt, wie dem<br />
Autor dieser Zeilen, schon lange zu einem<br />
Ort, an dem er sich auch in Sachsen<br />
heimisch und so gar nicht höfisch fühlt –<br />
weltoffen halt. Hier, im Herzen Mitteldeutschlands,<br />
wo Sachsen auf Sachsen-<br />
Anhalt und Thüringen stößt, durchmischen<br />
sich wie sonst nirgends in der Dreiländerregion<br />
Temperamente und Talente, Dialekte<br />
und kreative Verrücktheiten. Ohne Frage ist<br />
Leipzig die einzig wirkliche Metropole und<br />
damit das natürliche Zentrum eines unweigerlich<br />
anstehenden gemeinsamen Bundeslandes<br />
– mögen es heutige Provinzfürsten<br />
auch noch verteufeln. Wirtschaft und Wissenschaft<br />
handeln längst. Eben erst vergab<br />
die Deutsche Forschungsgemeinschaft ihr<br />
neues Forschungszentrum zur Biodiversität<br />
nach Leipzig – und damit an einen universitären<br />
Dreierbund, der seit 1995 die Unis<br />
in Halle-Wittenberg und Jena einbezieht.<br />
Ob das künftige Land dann Mitteldeutschland<br />
oder vielleicht Kursachsen heißt,<br />
mögen die Bewohner entscheiden.<br />
Doch vermessen wäre beides nicht: Bis 1815<br />
umfasst das frühere Kursachsen im Grunde<br />
jenes historische Territorium (wenn man<br />
mal Börde und Altmark abrechnet). Leider<br />
war es ausgerechnet Preußen, das dem ein<br />
Ende setzte.<br />
WIRTSCHAFT & MARKT 07–08/12 21
SERIE<br />
Sven Morlok, Staatsminister für Wirtschaft und Arbeit in Sachsen, über einen<br />
Haushalt ohne Neuverschuldung, enge Netzwerke und Stromsteuer auf EU-Niveau<br />
Sachsen will 2020 Geberland im Länderfinanzausgleich sein<br />
W&M: Herr Staatsminister, im Februar 2010<br />
prophezeiten Sie, dass Sachsen »ab 2020 zu<br />
den Netto-Gebern im Länderfinanzausgleich<br />
gehören« möchte. Sie wollen dann nichts mehr<br />
erhalten und sogar noch etwas abgeben. Stehen<br />
Sie heute weiter dazu?<br />
MORLOK: Wir wollen auf eigenen Beinen<br />
stehen. Unser politisches Ziel muss sein,<br />
von finanzieller Hilfe unabhängig zu<br />
werden. Erreichen wir dieses Ziel, sind<br />
wir auch Geberland im Länderfinanzausgleich.<br />
Im Koalitionsvertrag haben CDU<br />
und FDP vereinbart, Sachsen langfristig<br />
dorthin zu führen, wo es Anfang des 20.<br />
Jahrhunderts schon einmal stand. Da<br />
gehörte Sachsen zu den wirtschaftlich<br />
erfolgreichsten Regionen Europas. Heute<br />
ist der Freistaat bekannt für seine solide<br />
Finanzpolitik. Was sich viele Länder und<br />
der Bund wünschen – einen Haushalt<br />
ohne Neuverschuldung – haben wir seit<br />
2006! Bei der Pro-Kopf-Verschuldung liegen<br />
wir an zweiter Stelle – hinter Bayern.<br />
Und kein anderes Land hat eine höhere<br />
Investitionsquote als wir mit 19 Prozent!<br />
W&M: Wo sehen Sie für die nächsten Jahrzehnte<br />
die innovativen Schwerpunkte der<br />
sächsischen Wirtschaft?<br />
MORLOK: Die Unternehmen müssen weiter<br />
auf Innovationen setzen, um im internationalen<br />
Wettbewerb bestehen zu können.<br />
Das gilt für die sächsischen »Kernbranchen«<br />
wie Maschinenbau, Fahrzeugbau<br />
oder die Elektroindustrie ebenso wie<br />
für das Handwerk und die Dienstleister.<br />
Innovationen finden aber immer mehr<br />
über Branchengrenzen hinweg statt. Das<br />
bedeutet, die Unternehmen müssen Zukunftsfelder<br />
erschließen, beispielsweise<br />
die Elektromobilität. Als Modellregion<br />
beim bundesweiten Wettbewerb »Schaufenster<br />
Elektromobilität« zeigen wir<br />
Sachsen, dass wir hier ganz vorne mitspielen.<br />
Zudem gilt es, Schlüsseltechnologien<br />
zu entwickeln. Neue Materialien,<br />
Nanotechnologie, Mikroelektronik – in<br />
diesen Bereichen haben wir in Sachsen<br />
bereits hochkarätige Forschungseinrichtungen<br />
und höchst erfolgreiche Firmen.<br />
Dieses Potenzial müssen wir nutzen, unter<br />
anderem durch die richtige Vernetzung<br />
zwischen Wissenschaft und Wirtschaft<br />
sowie zwischen den Unternehmen<br />
selbst – und das branchenübergreifend.<br />
Als Staatsregierung schaffen wir dafür<br />
die Rahmenbedingungen. Wirtschaftsförderung<br />
bedeutet für uns vor allem: Investition<br />
in Innovation.<br />
W&M: Innovation in der Wirtschaft gibt es<br />
vor allem dort, wo Firmenzentralen beheimatet<br />
sind. Hier hat Sachsen – wie der ganze<br />
Osten – weiter großen Nachholbedarf…<br />
MORLOK: Richtig, bei der Forschungsund<br />
Entwicklungsintensität der gewerblichen<br />
Wirtschaft liegen die neuen Bundesländer<br />
noch hinter den alten, weil<br />
hier weniger Großunternehmen ihren<br />
Sitz haben. Aber: Sachsen hat kluge Köpfe<br />
– und viele Ideen, Forschungs- und<br />
TOP 40 Unternehmen in Sachsen<br />
Autoindustrie und Energiewirtschaft dominieren<br />
Rang Unternehmen Branche<br />
Umsatz<br />
(in Mio. Euro)<br />
1<br />
2<br />
3<br />
4<br />
5<br />
6<br />
7<br />
8<br />
9<br />
10<br />
11<br />
12<br />
13<br />
14<br />
15<br />
16<br />
17<br />
18<br />
19<br />
20<br />
VNG Verbundnetz Gas AG, Leipzig<br />
Volkswagen Sachsen GmbH<br />
Leipziger Versorgungs- und Verkehrsgesellschaft (LVV)<br />
Envia Mitteldeutsche Energie AG, Chemnitz<br />
Sachsenmilch AG, Leppersdorf<br />
ENSO Energie Sachsen Ost AG, Dresden<br />
EDEKA Märkte Sachsen<br />
GLOBALFOUNDRIES Dresden Module One/Module Two<br />
Drewag Stadtwerke Dresden GmbH, Dresden<br />
Comparex Deutschland AG, Leipzig (früher PC Ware AG)<br />
F6 Cigarettenfabrik Dresden GmbH, Dresden<br />
Noweda Pharma-Handels GmbH, Niederlassungen Ost<br />
Mitteldeutscher Rundfunk (MDR), Leipzig<br />
Infineon Technologies Dresden GmbH<br />
Bombardier, Werke Görlitz & Bautzen<br />
Komsa Kommunikation Sachsen AG, Hartmannsdorf<br />
Georgsmarienhütte Unternehmensgruppe<br />
Deutsche Solar AG, Freiberg<br />
Koenig & Bauer AG, Werk Radebeul<br />
Wacker AG Werk Nünchritz<br />
Energie<br />
Automobil<br />
Kommunale Dienstleistungen<br />
Energie<br />
Nahrungsmittel<br />
Energie<br />
Handel<br />
Halbleiter<br />
Energie<br />
IT-Wirtschaft<br />
Tabak<br />
Pharmahandel<br />
Medien<br />
Halbleiter<br />
Schienenfahrzeugbau<br />
Telekommunikation/Handel<br />
Stahl<br />
Solar<br />
Druckmaschinen<br />
Chemieindustrie<br />
5.293<br />
4.350<br />
3.507<br />
2.969<br />
1.368<br />
1.218<br />
1.100<br />
1.059<br />
1.052<br />
972<br />
812<br />
770<br />
728<br />
700<br />
700<br />
688<br />
568<br />
556<br />
551<br />
550<br />
Mitarbeiter<br />
(2010)<br />
754<br />
7.500<br />
5.102<br />
2.117<br />
1.564<br />
1.442<br />
8.200<br />
2.850<br />
1.277<br />
1.700<br />
400<br />
392<br />
1.994<br />
2.000<br />
2.290<br />
1.250<br />
1.615<br />
1.278<br />
1.655<br />
1.024<br />
Die Angaben basieren auf freiwilligen Auskünften der Unternehmen.<br />
Im Dezember 2011 veröffentlichte die Sachsen Bank in der Publikation »Fokus Mittelstand« die 100 größten<br />
Unternehmen Mitteldeutschlands. Mit freundlicher Genehmigung der Sachsen Bank veröffentlicht W&M die<br />
22 WIRTSCHAFT & MARKT 07–08/12
SERIE<br />
»Politisches Ziel muss<br />
es sein, von finanzieller Hilfe<br />
UNABHÄNGIG<br />
zu werden.«<br />
Entwicklungsergebnisse stammen aus<br />
Sachsen. Sie werden aber dort patentiert,<br />
wo sich die Konzernzentralen befinden.<br />
Firmensitze lassen sich nur schwer verlagern,<br />
deshalb setzen wir auf den Mittelstand<br />
als Rückgrat der sächsischen Wirtschaft.<br />
Wir unterstützen die Unternehmen<br />
beim Wachsen, so dass sie eigene<br />
Größenvorteile entwickeln. Die vielen –<br />
oft sehr erfolgreichen – Ausgründungen<br />
aus sächsischen Wissenschafts- und Forschungsinstituten<br />
bestätigen das.<br />
W&M: Sachsen wirkt verhalten in Sachen Solarförderung<br />
– auch bei Protesten gegen die<br />
vom Bund angedachte Subventionskürzung<br />
in diesem Bereich. Woher rührt das?<br />
MORLOK: Wir waren mit dem Gesetzentwurf<br />
zur Novellierung der Solarförderung<br />
nicht zufrieden. Im Bundesrat haben<br />
wir aber nicht deshalb den Vermittlungsausschuss<br />
angerufen, weil wir die<br />
Senkung der Einspeisevergütung verhindern<br />
wollen. Die Senkung halten wir<br />
grundsätzlich für richtig. Wir wollen<br />
den renditegesteuerten Zubau von Solaranlagen<br />
und die daraus resultierenden<br />
Auswirkungen auf die Energiepreise begrenzen.<br />
Uns ist wichtig, die Forschung<br />
und Entwicklung voranzubringen, besonders<br />
bei dezentralen Speichertechnologien.<br />
Wer eine Photovoltaikanlage<br />
auf dem Dach hat, die tagsüber Strom<br />
produziert, soll diesen Strom doch lieber<br />
abends nutzen können, statt ihn wie bisher<br />
ins Netz einzuspeisen. Wir wollen<br />
auch, dass zusätzliche Mittel für die technologie-<br />
und anwenderorientierte Forschung<br />
bereitgestellt werden. Hier hat<br />
sich die Bundesregierung nicht ausreichend<br />
bewegt – deshalb haben wir den<br />
Vermittlungsausschuss mit angerufen.<br />
W&M: Sie wollen die nationale Stromsteuer<br />
auf das von der EU vorgesehene Mindestniveau<br />
absenken. Wie begründen Sie dies?<br />
MORLOK: Die stark steigenden Energiekosten<br />
sind für die Unternehmen, gerade<br />
in Sachsen, ein schwerwiegender Standortnachteil<br />
und für viele Bürger auch<br />
eine große Belastung. Für die Befreiung<br />
energieintensiver Unternehmen von der<br />
Stromsteuer stellt die EU immer höhere<br />
Forderungen, die viel Bürokratie bedeuten.<br />
Daher fordern wir die sofortige Senkung<br />
der Stromsteuer auf das europäische<br />
Mindestniveau. Durch die gleichzeitige<br />
Streichung sämtlicher Sondertatbestände<br />
kann auf Verwaltungsverfahren<br />
verzichtet werden. In Deutschland<br />
machen Steuern und Abgaben fast die<br />
Hälfte der Stromkosten aus. Der Strompreis<br />
hat sich seit der Marktliberalisierung<br />
1998 verzehnfacht. Vor 14 Jahren<br />
mussten die Stromkunden umgerechnet<br />
2,3 Milliarden Euro für Steuern und Abgaben<br />
aufbringen, heute sind es 23,7 Milliarden.<br />
Wir sind dafür, die Stromsteuer<br />
von bisher 20,50 Euro pro Megawattstunde<br />
auf maximal einen Euro zu senken.<br />
Interview: Harald Lachmann<br />
den Freistaat<br />
REPORT<br />
S A C H S E N<br />
Rang<br />
Unternehmen<br />
Branche<br />
Umsatz<br />
(in Mio. Euro)<br />
Mitarbeiter<br />
(2010)<br />
21<br />
22<br />
23<br />
24<br />
25<br />
26<br />
27<br />
28<br />
29<br />
30<br />
31<br />
32<br />
33<br />
34<br />
35<br />
36<br />
37<br />
38<br />
39<br />
40<br />
BGH Edelstahlwerke GmbH (Freital, Lugau, Lippendorf)<br />
eins energie in sachsen GmbH & Co. KG<br />
Preiss-Daimler Group, Wilsdruff<br />
Siltronic AG Werk Freiberg<br />
Kronospan GmbH, Lampertswalde<br />
Rhön Klinikum AG Sachsen (5 Kliniken)<br />
Feralpi-Stahl, Riesa<br />
Solarwatt AG, Dresden<br />
Takata-Petri Sachsen GmbH, (Elterlein, Freiberg, Döbeln)<br />
Roth & Rau AG, Hohenstein-Ernstthal<br />
Cyberport GmbH Dresden<br />
VEM-Gruppe, Dresden, Thurm, Keula, Wernigerode<br />
Schneider Mineralöl Meißen GmbH, Meißen<br />
Linde-KCA-Dresden GmbH, Dresden<br />
WEPA-Gruppe Werk Kriebstein, Werk Leuna<br />
Dresdner Druck- und Verlagshaus Mediengruppe<br />
Autoliv Sicherheitstechnik GmbH, Döbeln<br />
HQM-Gruppe, Leipzig<br />
VON ARDENNE Anlagentechnik GmbH, Dresden<br />
Wismut GmbH<br />
Stahl<br />
Kommunale Dienstleistungen<br />
Mischkonzern<br />
Halbleiter<br />
Holzverarbeitung<br />
Gesundheit<br />
Stahl<br />
Solar<br />
Automobil<br />
Maschinenbau<br />
IT-Handel<br />
Elektrotechnik<br />
Energie<br />
Anlagenbau<br />
Papier<br />
Medien<br />
Automobil<br />
Metall, Automotive<br />
Maschinenbau<br />
Bergbausanierung<br />
476<br />
451<br />
434<br />
385<br />
370<br />
346<br />
339<br />
324<br />
319<br />
285<br />
270<br />
257<br />
252<br />
244<br />
200<br />
194<br />
193<br />
170<br />
157<br />
150<br />
1.145<br />
1.172<br />
3.343<br />
1.100<br />
680<br />
3.125<br />
561<br />
430<br />
754<br />
1.209<br />
259<br />
1.433<br />
90<br />
441<br />
385<br />
1.793<br />
272<br />
750<br />
566<br />
1.466<br />
Abdruck mit freundlicher Genehmigung von: Sachsen Bank, Humboldtstraße 25, 04105 Leipzig<br />
40 größten Unternehmen, die dem Freistaat Sachsen zuzuordnen oder in diesem Bundesland<br />
hauptsächlich tätig sind. Die genannten Unternehmensdaten resultieren aus dem Geschäftsjahr 2010.<br />
WIRTSCHAFT & MARKT 07–08/12 23
SERIE<br />
werb zwischen den Unternehmen – vom<br />
Geschäftsinhalt gesehen – noch nicht so<br />
ausgeprägt« sei, erläutert der Manager.<br />
Das wiederum rühre noch aus DDR-Zeiten,<br />
als die Industriekombinate nach<br />
Kompetenzen zusammengelegt waren.<br />
Dies erhielt sich oft auch nach den Privatisierungen.<br />
Mithin überlappten sich die<br />
Geschäftsfelder potenzieller Konkurrenten<br />
nicht so stark wie im Westen.<br />
Neben sehr kleinen Firmen engagieren<br />
sich im Netzwerk auch Globalplayer,<br />
wie eben Niles-Simmons oder auch<br />
Trumpf (Neukirch) und der Druckmaschinenhersteller<br />
KBA Planeta in Radebeul.<br />
Sie üben allein durch ihre Größe<br />
maßgeblichen Einfluss aus, bringen in-<br />
Der Maschinenbau gehörte in den<br />
neuen Ländern zu jenen Industriebranchen,<br />
die nach der Wende<br />
am stärksten schrumpften. Erst Mitte der<br />
1990er Jahre trat eine gewisse Konsolidierung<br />
ein, die ab 1997 auf einen stabilen<br />
und durch relativ hohe Steigerungen geprägten<br />
Wachstumspfad einschwenkte.<br />
Die Folge waren jährliche Wachstumsraten<br />
um sechs Prozent, die aber durch<br />
die Wirtschafts- und Finanzkrise spürbar<br />
abgeschwächt wurden.<br />
Vor allem Sachsen, das traditionell ein<br />
starker Standort für den deutschen<br />
Werkzeugmaschinenbau war, legte lange<br />
überdurchschnittlich zu. Heute finden<br />
rund 50 Prozent des ostdeutschen Maschinenbaus,<br />
bezogen auf Beschäftigung<br />
und Umsatz, in Sachsen statt. Für den<br />
promovierten Maschinenbauingenieur<br />
Ralf Lang ist das nur folgerichtig. Seit jeher<br />
sei der Maschinen- und Anlagenbau<br />
als sehr innovative Branche in Sachsen<br />
bestimmend gewesen, sagt er. Und alles,<br />
was sich nach der Einheit hier in anderen<br />
Bereichen entwickelt, ob in Autoindustrie,<br />
Mikrofertigungstechnik und<br />
Biotechnik, »ist ohne die entsprechenden<br />
Maschinen nicht möglich«, so Lang.<br />
Fotos: MAN Group, H. Lachmann<br />
INTELLIGENTE NETZWERKE<br />
Der Chemnitzer kennt den sächsischen<br />
Maschinenbau vermutlich wie kein Zweiter.<br />
Er koordiniert die Ende 2003 gegründete<br />
Verbundinitiative Maschinenbau<br />
Sachsen (VEMAS). Diese lehnt sich an die<br />
sehr erfolgreiche sächsische Verbundinitiative<br />
Automobilzulieferer Sachsen<br />
(AMZ) an. Projektträger des landesweiten<br />
Geflechts ist das Kompetenzzentrum<br />
Maschinenbau Chemnitz/Sachsen (KMC),<br />
das von Prof. Hans J. Naumann geleitet<br />
wird, dem agilen Geschäftsführer der<br />
Niles-Simmons Industrieanlagen GmbH<br />
in Chemnitz. Es verbündete sich dazu<br />
mit dem Chemnitzer Fraunhofer-Institut<br />
für Werkzeugmaschinen und Umformtechnik<br />
(IWU). Insgesamt bringen sich in<br />
das Geflecht rund 1.000 Firmen ein,<br />
neben Maschinen- und Anlagenbauern<br />
auch Zulieferer und produktionsnahe<br />
Dienstleister.<br />
Ziel von VEMAS sei es, durch die Bildung<br />
intelligenter Netzwerke die Wettbewerbsfähigkeit<br />
der sächsischen Maschinenbauer<br />
zu erhöhen, berichtet Lang.<br />
Man wolle die Branche stärken und vermehrt<br />
neue Arbeitsplätze schaffen und<br />
langfristig sichern. Dazu habe man die<br />
Verbundinitiative sehr breit angelegt. Neben<br />
Technologieprojekten, beispielsweise<br />
zur Produkt- bzw. Prozessentwicklung,<br />
gehörten hierzu auch Kooperationsvorhaben,<br />
vom gemeinsamen Einkauf über<br />
den Vertrieb bis zum Management.<br />
REPORT<br />
S A C H S E N<br />
Sächsischer Maschinenbau<br />
Gemeinsam stark<br />
Die Verbundinitiative Maschinenbau Sachsen knüpft in der<br />
kleinteiligen Branchenlandschaft ein intelligentes Netzwerk.<br />
Das schafft Synergien und verhindert Parallelentwicklungen.<br />
Lang sieht seine Hauptaufgabe in der<br />
koordinierten Zusammenarbeit vor allem<br />
kleinerer Unternehmen in jenen<br />
Netzwerken. Man wolle das Miteinander<br />
gestalten, das Gegeneinander oder parallele<br />
Entwicklungen verhindern und Synergien<br />
schaffen. Von der Überwindung<br />
der kleinbetrieblichen Strukturen durch<br />
Firmenverbünde erwartet er ein tatsächliches<br />
wie ein substanzielles Wachstum<br />
der Branche. Er ist sicher, gemeinsam<br />
könne man größere Aufträge bearbeiten<br />
und zugleich die eigene Position wie die<br />
der Region im nationalen und internationalen<br />
Wettbewerb verbessern.<br />
Nicht zuletzt seien solche Kooperationen<br />
im Osten möglich, weil »der Wettbe-<br />
24 WIRTSCHAFT & MARKT 07–08/12
SERIE<br />
ternationale Marktkenntnisse mit, vergeben<br />
Zulieferaufträge teils gezielt in die<br />
Region und bringen sich auch allesamt<br />
im Beirat der VEMAS ein.<br />
IN DER SPITZE 34.000 BESCHÄFTIGTE<br />
Dass solche Netzwerke zwischen potenziellen<br />
Wettbewerbern funktionieren,<br />
hatte vor der Bildung von VEMAS schon<br />
das Team 22 bewiesen – eine Kooperationsinitiative<br />
mittelständischer Maschinenbaufirmen<br />
in der Lausitz. Ähnliches<br />
gilt auch für den Interessenverband<br />
Chemnitzer Maschinenbau (ICM). Beide<br />
sind heute Teil der Verbundinitiative. Als<br />
»eher unwahrscheinlich« sieht Lang indes<br />
Zusammenschlüsse kleinerer Firmen.<br />
»Unternehmer sind deshalb Unternehmer,<br />
weil sie ihren eigenen Kopf haben.<br />
Sonst wären sie nicht erfolgreich«,<br />
begründet er dies.<br />
Am stärksten präsentierte sich der<br />
sächsische Maschinenbau 2008 und<br />
2009, als zeitweilig knapp 230 Unternehmen<br />
mit 50 und mehr Beschäftigten (was<br />
darunter liegt, wird statistisch nicht erfasst)<br />
insgesamt 34.000 Mitarbeiter zählten.<br />
Mit diesen Ergebnissen erreichte<br />
Sachsen im Werkzeugmaschinenbau bereits<br />
das Potenzial Frankreichs. Dann<br />
PROF. NAUMANN wirbt für Netzwerke im<br />
sächsischen Maschinen- und Anlagenbau.<br />
brach die Branche allerdings ein. Mittlerweile<br />
stabilisierte sie sich bei 185 Betrieben<br />
(ab 50 Mitarbeiter). Deren annähernd<br />
30.000 Beschäftigte erwirtschafteten<br />
zuletzt einen Gesamtumsatz von<br />
5,24 Milliarden Euro, von denen über die<br />
Hälfte im Export erlöst wurde.<br />
AUFTRAGSLAGE ÜBERRASCHEND GUT<br />
Mithin herrscht wieder Optimismus im<br />
sächsischen und im ostdeutschen Maschinenbau.<br />
»Die Auftragslage aus dem<br />
Euroraum ist überraschend gut«, freut<br />
sich Reinhard Pätz, Geschäftsführer Ost<br />
des Verbandes Deutscher Maschinenund<br />
Anlagenbau (VDMA). Dennoch habe<br />
die anhaltende Euro-Krise zu Zurückhaltung<br />
bei Investitionen geführt, was sich<br />
nachteilig auf den Auftragseingang in<br />
den zurückliegenden Wochen und Monaten<br />
ausgewirkt habe. Momentan liege<br />
die Kapazitätsauslastung 1,5 Prozent unter<br />
dem Wert im vierten Quartal 2011,<br />
»aber erneut deutlich über dem langjährigen<br />
Durchschnitt von reichlich 86 Prozent.«<br />
Investitionsentscheidungen würden<br />
deutlich kurzfristiger getroffen, ergänzt<br />
Pätz.<br />
Von erheblichem Vorteil erweist es<br />
sich auch für die bei VEMAS angeschlossenen<br />
Maschinenbau-Unternehmen, dass<br />
sie die umfangreiche Infrastruktur des<br />
Chemnitzer Fraunhofer-Instituts IWU<br />
nutzen können, mit dem man im selben<br />
Gebäude sitzt. »Wir haben bei unserer<br />
Arbeit problemlos Zugang zum Knowhow<br />
und den Ressourcen des Instituts.<br />
Wenn es drängende Probleme gibt, besteht<br />
die sehr vorteilhafte Möglichkeit,<br />
auf Wissen im Fraunhofer-Verbund zurückzugreifen«,<br />
freut sich Projektmanager<br />
Ralf Lang von der Verbundinitiative<br />
Maschinenbau Sachsen.<br />
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WIRTSCHAFT & MARKT 07–08/12 25
PORTRÄT<br />
Namensgeber ist der Nanga Parbat,<br />
der neunthöchste Berg der Welt,<br />
auch Diamir genannt. Ins Deutsche<br />
übersetzt »König der Berge«. Fast<br />
entschuldigend sagt der 38-jährige Markus<br />
Walter, Geschäftsführer des Dresdener<br />
Reiseunternehmens Diamir: »Das<br />
klingt vielleicht ein bisschen unbescheiden,<br />
aber uns passte das ganz gut als<br />
Sinnbild, weil wir auch Bergtouren und<br />
Bergreisen anbieten.«<br />
Gemeinsam mit drei Gleichgesinnten<br />
hat der Sachse das Hobby des Bergsteigens<br />
zum Beruf gemacht. Mit Jörg Ehrlich,<br />
Thomas Kimmel und Frank Körnig<br />
im Boot startete er 1999 das unternehmerische<br />
Abenteuer. Startkapital waren die<br />
Reiseerfahrungen des Quartetts und die<br />
Begeisterung für ferne Länder. Zum Portfolio<br />
von Diamir gehören heute neben<br />
den üblichen Angeboten seltene Reiseziele<br />
wie Bhutan, das Königreich im Himalaya,<br />
und Pakistan bis hin zu Exoten wie<br />
Fotos: Diamir (3), A. Pröber<br />
BERGFREUND: Diamir-Chef Markus Walter.<br />
dem Südsudan, Sierra Leone oder Kongo.<br />
Die Dresdner haben sich auf Kleingruppen<br />
und Privatreisende spezialisiert. Sie<br />
organisieren alles, bis hin zum Deutsch<br />
sprechenden Reiseleiter.<br />
Dreizehn Jahre nach der Gründung erwirtschaftet<br />
das Unternehmen jährlich<br />
17 Millionen Euro Umsatz. An die erste<br />
Million kann sich Walter, im ersten Beruf<br />
Diplom-Bauingenieur, nicht erinnern.<br />
Für ihn ist ein anderer Meilenstein unvergesslich<br />
– der Tag, an dem der erste<br />
Katalog fertig vorlag: »Als der aus der<br />
Druckerei kam, da haben wir eine Flasche<br />
Sekt aufgemacht, haben die Kisten<br />
aufgerissen und ihn in die Hand genommen.<br />
Das war wirklich ein sehr emotionaler<br />
Moment.« 48 Seiten war der 2001er<br />
dünn, der aktuelle ist 360 Seiten dick.<br />
Der unternehmerische Gipfelsturm<br />
ist alles andere als ein Spaziergang. Die<br />
Kombination aus Bergsteiger und Unternehmer<br />
scheint aber ein Erfolgsfaktor zu<br />
sein. Walter sieht durchaus Parallelen.<br />
»Sowohl beim Bergsteigen als auch bei<br />
der Führung einer Firma müssen Ent-<br />
Reiseveranstalter Diamir<br />
Gipfel geschäftlichen<br />
Erfolgs erklommen<br />
Der sächsische Reiseveranstalter Diamir organisiert für kleine<br />
Gruppen sehr spezielle Unternehmungen abseits der touristischen<br />
Massenpfade. Die Dresdner verfügen über viele eigene Erfahrungen<br />
von Reisen in ferne Länder und Gegenden. Diese bringen sie in ihre<br />
Angebote ein. Das ist der Garant für den unternehmerischen Erfolg.<br />
scheidungen von großer Tragweite getroffen<br />
werden. Und man muss diese<br />
schnell und fundiert treffen, und möglichst<br />
natürlich die richtigen.«<br />
NACH 9/11 EXISTENZ GEFÄHRDET<br />
Ein weltweit in entlegenen Regionen<br />
agierendes Reiseunternehmen ist jedoch<br />
auch von der wirtschaftlichen und politischen<br />
Situation in den angebotenen<br />
Ländern abhängig. Politische Unruhen,<br />
Natur- und andere Katastrophen treffen<br />
es unmittelbar. Ein einschneidendes<br />
Datum war – zwei Jahre nach Unternehmensgründung<br />
– der 11. September 2001.<br />
Nach dem Terroranschlag auf das New<br />
Yorker World Trade Center stand die<br />
Existenz von Diamir auf dem Spiel. Denn<br />
Reisen, vor allem Flug- und Fernreisen,<br />
waren von einem Tag auf den anderen<br />
für nicht wenige Kunden tabu.<br />
Heute sind es die politischen Unruhen<br />
in den Ländern Nordafrikas und der damit<br />
verbundene praktische Ausfall dieser<br />
Ziele. »Weil wir so breit aufgestellt sind<br />
und diese Regionen nur ein Teil unseres<br />
Angebots sind, können wir solche Krisen<br />
ganz gut überstehen«, ist der Geschäftsführer<br />
überzeugt. Mehr Sorgenfalten verursacht<br />
derzeit der schwankende Wechselkurs<br />
von Euro und Dollar. Denn die<br />
Reisen müssen ein Jahr im voraus kalkuliert<br />
und die Kataloge gedruckt werden.<br />
»Die Schwierigkeit besteht darin,<br />
alles so zu handhaben, dass man zum<br />
einen preislich noch attraktiv ist und<br />
zum anderen durch den Dollarkus nicht<br />
in ein finanzielles Desaster gerät.«<br />
26 WIRTSCHAFT & MARKT 07–08/12
PORTRÄT<br />
Denn es gilt die Arbeitsplätze von inzwischen<br />
50 Mitarbeitern zu erhalten.<br />
Doch nicht nur die. »Wir sichern ja auch<br />
tausende von Arbeitsplätzen in den Zielländern,<br />
besonders in den unteren Einkommensschichten.«<br />
Dazu gehören auf<br />
den Touren Träger, Köche und Helfer, die<br />
»von uns auch eine faire Bezahlung erhalten.<br />
Das ist unsere soziale Verantwortung.<br />
Mit einem gesunden Wachstum die<br />
nächsten Jahre zu sichern, ist eigentlich<br />
die größte Herausforderung.«<br />
POTENTIAL FÜR DEN UMWELTSCHUTZ<br />
Nicht minder anspruchsvoll ist es, alles<br />
im Einklang mit der Umwelt zu bewerkstelligen.<br />
Den Reiseprofis sind die Thesen<br />
gegen Fernreisen bekannt. Ihre Gegenargumente<br />
beruhen auf ihrer Erfahrung,<br />
dass Reisen auch einen großen Beitrag<br />
zum Umweltschutz leisten können.<br />
»Bringen wir beispielsweise keine Touristen<br />
in einen Nationalpark in Tansania,<br />
um dort auf einer Safari einheimische<br />
Tiere zu erleben, dann besteht irgend-<br />
RUANDA: Junger Berg-Gorilla.<br />
wann auch kein Anreiz mehr für die Bewohner<br />
dort, die Tiere in diesem Nationalpark<br />
zu schützen. Es könnte damit<br />
kein Einkommen mehr erzielt werden.«<br />
Diesen wirtschaftlichen Anreiz in Ländern<br />
zu setzen, wo Umweltschutz noch<br />
kein so großes Thema ist, das, so sieht es<br />
Walter, »ist eigentlich das Potenzial, das<br />
im Tourismus steckt.« Ein Beispiel ist<br />
HIMALAYA: Auch W&M-Autorin Anette Pröber (siehe S. 42) war mit Diamir unterwegs, hier<br />
im Basislager am Mount Everest, und von der fachkundigen Tourbegleitung angetan.<br />
Ruanda. In dem Land, das vor wenigen<br />
Jahren durch Bürgerkrieg und politische<br />
Unruhen noch wirtschaftlich am Boden<br />
lag, hat sich binnen weniger Jahre eine<br />
Tourismus-Infrastruktur entwickelt.<br />
Jetzt finden hier Leute in einer Branche<br />
Arbeit, die früher gar nicht existiert hat.<br />
Während die Einheimischen die letzten<br />
Berg-Gorillas intensiv schützen, sorgen<br />
die sächsischen Touristiker dafür, dass<br />
auch Reisende kommen und für das Erlebnis,<br />
die Berg-Gorillas in freier Wildbahn<br />
zu sehen, viel Geld bezahlen. Allein<br />
die Genehmigung, die Gorillas beobachten<br />
zu dürfen, kostet mittlerweile zwischen<br />
500 bis 750 Dollar pro Stunde. Walter<br />
hält den Preis für gerechtfertigt, »damit<br />
es sich für die Leute mehr lohnt, die<br />
Gorillas zu schützen und den Touristen<br />
zu zeigen, als sie zu schießen. Hier leistet<br />
Tourismus einen ganz klaren Beitrag<br />
zum Umweltschutz.«<br />
Ihre Kompetenz haben sich die Dresdener<br />
durch eigenes Reisen erarbeitet.<br />
Als Rucksackreisende sind sie in der Welt<br />
unterwegs gewesen und bringen die Erfahrungen<br />
mit, die jetzt in die Planung<br />
der Reisen einfließen. Einige waren längere<br />
Zeit im Ausland, wie Markus Geisler,<br />
der sieben Jahre lang in Ekuador gelebt<br />
hat und heute das Lateinamerika-Geschäft<br />
verantwortet. Fränzi Huttenmaier<br />
absolvierte ein dreimonatiges Praktikum<br />
in Nepal, arbeitete in der Partner-Agentur,<br />
betreute und begleitete Kunden. So<br />
hat sie den Unterschied kennengelernt<br />
»zwischen der Vorbereitung der Reisen in<br />
Sachsen und der Realität vor Ort.« Seit<br />
kurzem ist sie zurück, fest angestellt und<br />
zuständig für Nepal und Südostasien.<br />
EIN DUTZEND SPRACHEN IM BÜRO<br />
Das Diamir-Team hat seit Dezember 2011<br />
einen eigenen Firmensitz, in einer über<br />
100 Jahre alten, frisch sanierten Villa, die<br />
in weinroter Farbe gut sichtbar den Namen<br />
des Unternehmens trägt. Auf drei<br />
Etagen recherchieren, planen und organisieren<br />
die Reise-Profis die exklusive<br />
Fotokreuzfahrt ins Eisbärenland, das<br />
Vulkantrekking in Indonesien oder die<br />
zehntägige Sonderreise nach Ghana. Die<br />
durchsichtigen Glastüren zu den einzelnen<br />
Büros stehen meistens offen, vermitteln<br />
Offenheit und Transparenz, lassen<br />
Gesprächsfetzen in Hindi, Arabisch, Russisch<br />
mithören. Ein Dutzend Sprachen<br />
werden bei Diamir gesprochen.<br />
Auch das ist ein Mosaikstein im Erfolg<br />
des Unternehmens, das einst in einer Garage<br />
startete. Dort sind noch Gänse über<br />
die ersten ausgedruckten Unterlagen gewatschelt.<br />
Auch der »König der Berge«<br />
hat einen Anfang in der Ebene.<br />
Sabine Wuttke<br />
&<br />
WIRTSCHAFT & MARKT 07–08/12 27
Fotos: DPA/ZB, T. Schwandt (3)<br />
P+S Werften GmbH<br />
Verpatzter Umstieg<br />
auf Spezialschiffbau<br />
Das Schiffbauland Mecklenburg-Vorpommern ist krisenerprobt.<br />
Im jüngsten Desaster um die Werften an Peene und Sund greift das<br />
bewährte Rettungsszenario. Diesmal aber ist die Krise hausgemacht.<br />
Ende 2010 war Dieter Brammertz<br />
sechs Monate Geschäftsführer der<br />
P+S-Werften GmbH, die Mitte des<br />
gleichen Jahres gegründet worden war.<br />
Und er war zuversichtlich. Im Gespräch<br />
mit »Wirtschaft & Markt« (Heft 12/2010)<br />
begründete er die Fusion der vorpommerschen<br />
Werften in Stralsund und Wolgast:<br />
»Die neue Struktur schafft Raum,<br />
um an verschiedenen Stellen Synergieeffekte<br />
zu realisieren: in der Administration,<br />
Entwicklung und Produktion sowie<br />
in der Zusammenarbeit mit Lieferanten<br />
und bei der objektorientierten Organisation.<br />
Das senkt die Kosten und stärkt im<br />
Paket mit anderen Maßnahmen unsere<br />
Wettbewerbsfähigkeit.«<br />
Eineinhalb Jahre später ist von diesem<br />
hehren Anspruch nicht mehr viel übrig.<br />
Die P+S-Werften stecken nach dem Tiefschlag<br />
der schweren Schiffbaukrise von<br />
2008/09 – Aufträge wurden über Nacht<br />
storniert, die Banken ließen von der<br />
Branche die Finger wie von einer heißen<br />
Kartoffel – erneut in existenziellen<br />
Schwierigkeiten. Im Mai war es nicht<br />
mehr unter der Decke zu halten: Der<br />
Schiffbaubetrieb mit rund 1.700 Mitarbeitern<br />
an den Standorten Stralsund und<br />
Wolgast hat ein akutes Finanzproblem.<br />
Die Rede ist von 200 bis 300 Millionen<br />
Euro, die in der Kasse fehlen, um den Betrieb<br />
am Laufen halten zu können.<br />
Anders als zu Beginn der Schiffbaukrise<br />
vor gut vier Jahrren sind den P+S-<br />
Werften in den zurückliegenden Monaten<br />
keine Aufträge abhanden gekommen.<br />
Im Gegenteil. Dem Unternehmen<br />
gelang es erfolgreicher als anderen deutschen<br />
Werften, eine ganze Reihe frischer<br />
Aufträge an Land zu ziehen. Unter anderem<br />
zum Bau von zwei Fährschiffen für<br />
die Ostsee-Reederei Scandlines, von fünf<br />
speziell für arktische Gewässer ausgelegten<br />
Frachtern für die Royal Arctic Line<br />
und von zwei Ro/Ro-Schiffen für die dänische<br />
DFDS-Reederei. Nach Firmenangaben<br />
beläuft sich das aktuelle Auftragsvolumen<br />
auf über eine Milliarde Euro.<br />
Um die im Schiffbau üblichen Bauzeitfinanzierungen<br />
– der Auftraggeber<br />
zahlt rund 80 Prozent des Schiffspreises<br />
erst nach Ablieferung – stemmen zu können,<br />
bürgten der Bund und das Land<br />
Mecklenburg-Vorpommern 2010 mit insgesamt<br />
326 Millionen Euro für entsprechende<br />
Kredite. Das bedeutet eine 100-<br />
Prozent-Abdeckung des Bankenrisikos.<br />
Unter dieser Marke ist heutzutage kaum<br />
noch ein Kreditinstitut bereit, Darlehen<br />
an Schiffbaubetriebe auszureichen.<br />
Die Kalkulation ist nicht aufgegangen.<br />
Auch weil die Blütenträume von<br />
Geschäftsführer Brammertz nicht aufgegangen<br />
sind. Über den verbürgten Kreditrahmen<br />
von 326 Millionen Euro hinaus<br />
binnen zwei Jahren einen Finanzbedarf<br />
von über 200 Millionen Euro zu »produzieren«,<br />
das lässt auf wenig Synergieeffekte<br />
und Kostensenkungen schließen.<br />
Die Krise 2012 in den P+S-Werften ist eine<br />
hausgemachte. Das sieht auch Carsten<br />
Frick so, der Vorsitzende des Betriebsrates<br />
der Peene-Werft in Wolgast, und begründet:<br />
»Im Gegensatz zur teilweise serienmäßigen<br />
Fertigung von Containerschiffen<br />
stellt der Spezialschiffbau ganz<br />
28 WIRTSCHAFT & MARKT 07–08/12
BERICHT<br />
andere Anforderungen an die betrieblichen<br />
Strukturen, internen Abläufe und<br />
das ingenieurtechnische Potenzial.« Bereiche<br />
wie Projektierung, Planung, Konstruktion<br />
und Einkauf hätten den komplexeren<br />
Aufgaben angepasst werden<br />
müssen. Mehr noch: »Dies ist ein stetiger<br />
Prozess, der nicht heute oder morgen als<br />
beendet betrachtet werden kann.« Mit<br />
Blick auf die Arbeiter in den Schiffbauhallen<br />
sagt Frick: »Der Mann an der Zange<br />
macht das, was aus den Ingenieurabteilungen<br />
vorgegeben wird.«<br />
Der Betriebsratschef beklagt besonders<br />
eine unzureichende Anzahl an Ingenieuren.<br />
Ein Fachkräfte-Problem, »das<br />
durch Überalterung in diesem Unternehmensbereich<br />
noch verschärft wird«. Seit<br />
Jahren habe der Betriebsrat vor diesem<br />
sich abzeichnenden Engpass gewarnt<br />
und eine entsprechende Personalstrategie<br />
angemahnt. Unter den geschilderten<br />
Umständen jedoch verzögerten sich Prozessabläufe,<br />
Aufgaben in der Projektierung<br />
und Konstruktion mussten von<br />
außerbetrieblichen Ingenieurbüros erledigt<br />
werden, die Kosten uferten aus.<br />
Im Werftenbetrieb führt das zu einem<br />
Dominoeffekt. Die Erlöse für fertig gestellte<br />
Schiffe verspäten sich adäquat der<br />
SPEZIALSCHIFFE: Die überfällige »Berlin« und ein Ankerziehschlepper (unten).<br />
KRISE: Die<br />
Schiffbauer<br />
(Foto links)<br />
warten auf<br />
Antworten<br />
von Werftchef<br />
Dieter<br />
Brammertz.<br />
verspäteten Ablieferung, zugleich müssen<br />
Materialeinkäufe für Folgebauaufträge<br />
bezahlt werden, der technologische<br />
Ablauf auf den Schiffbauplätzen gerät<br />
ins Stocken – summa summarum wuchert<br />
der Zwischenfinanzierungsbedarf<br />
in unkalkulierte und das Unternehmen<br />
gefährdende Höhen.<br />
Mit der allgemeinen Aufmerksamkeit<br />
für den Bau der neuen Scandlines-Fähren<br />
für die Linie Rostock – Gedser geriet das<br />
Dilemma bei P+S zum öffentlichen Ereignis.<br />
Mit dem Start des Sommerfahrplans<br />
2012 sollten die modernen Schiffe ab Mai<br />
im Einsatz sein. Der Plan ist nur noch<br />
Makulatur. Baumehraufwand und Ver-<br />
tragsstrafen verschärfen die finanzielle<br />
Schieflage der Werft. Und nähren einen<br />
unverhohlen gehandelten Verdacht in<br />
der Branche. Die Aufträge für die technologisch<br />
anspruchsvollen Fähren wurden<br />
hereingeholt zu einer Zeit, als jeder Auftrag<br />
überlebenswichtig für die Werften<br />
war. Hereingeholt aber auch zu sehr eng<br />
gezurrten Konditionen, die Mitbewerber<br />
abwinken ließen und den P+S-Werften<br />
bald finanziell die Luft abschnürten.<br />
In dieser prekären Situation hat die<br />
schiffskrisenerprobte Regierung von<br />
Mecklenburg-Vorpommern ihre bewährten<br />
Rettungsinstrumente ausgepackt.<br />
Ministerpräsident Erwin Sellering (SPD)<br />
und Wirtschaftsminister Harry Glawe<br />
(CDU) eilten umgehend nach Brüssel zur<br />
Europäischen Union (EU), um die Bedingungen<br />
für staatliche Hilfen auszuloten.<br />
Die klare Ansage der EU-Wettbewerbshüter<br />
war: Beihilfen sind nur gelitten,<br />
wenn die Hälfte der benötigten Geldsumme<br />
aus privatem Quellen aufgebracht<br />
wird. 109 Millionen Euro. Die Belegschaft<br />
hat zugestimmt, insgesamt 68 Millionen<br />
beizusteuern. Sie verzichtet unter anderem<br />
auf Urlaubs- und Weihnachtsgeld.<br />
Mitte Juni hat das Schweriner Kabinett<br />
bewilligt, dass Land und Bund je zur<br />
Hälfte für ein Beihilfe-Darlehen in Höhe<br />
von 152,4 Millionen Euro bürgen. So ist<br />
die Werft in der Lage, dringend benötigte<br />
Kredite aufzunehmen und die Zeit zu<br />
überbrücken, bis Brüssel die Hilfsgelder<br />
genehmigt. An diese ist ein Umstrukturierungsplan<br />
geknüpft, der jetzt erstellt<br />
werden muss. Kein gutes Zeichen für die<br />
P+S-Beschäftigten. Entlassungen und das<br />
Aus der Peene-Werft stehen im Raum.<br />
Betriebsratsvorsitzender Frick ist aber<br />
optimistisch, »dass die Reißleine noch<br />
mal rechtzeitig gezogen worden ist«. Er<br />
hofft nun, dass auch Zulieferer, Banken<br />
und Gesellschafter mitziehen und die<br />
von der EU geforderten Eigenmittel aufbringen.<br />
Zulieferer der P+S-Werften haben<br />
bereits ihre Unterstützung bekundet.<br />
Im Gegenzug wird die Beteilung von<br />
Mitarbeitern und Zulieferern am Schiffbaubetrieb<br />
geprüft. Frick erwähnt einen<br />
vorteilhaften Nebeneffekt: »Auf diese<br />
Weise würde künftig von außen genauer<br />
hingeschaut und kontrolliert werden,<br />
wie mit dem Geld gewirtschaftet wird.«<br />
Die P+S-Werften verfügen über qualifizierte<br />
Mitarbeiter und viel Know-how.<br />
Frick sieht gute Marktchancen, »im Offshore-Bereich<br />
und alternativen Stahlbau«.<br />
Zurzeit wird nach Werftangaben<br />
an Projekten im Wert von 2,4 Milliarden<br />
Euro gearbeitet. Eine Anleihe auf die Zukunft.<br />
Ohne Krise? Die Antwort wird von<br />
Geschäftsführer Brammertz erwartet.<br />
Thomas Schwandt<br />
&<br />
WIRTSCHAFT & MARKT 07–08/12 29
Fotos: Andreas Simon<br />
Die kleinen Betriebe brauchen Unterstützung«,<br />
sagt Gert Altenburg<br />
(im Foto oben mit seinem<br />
jungen Mitarbeiter Sebastian Preuß).<br />
»Für die größeren Firmen gibt es Förderprogramme,<br />
sie gehören meist zu den<br />
Wachstumskernen, um die sich das Land<br />
besonders kümmert. Und sie sind auch<br />
stark genug, um ein eigenes Geflecht aus<br />
Zulieferern und Dienstleistern zu bilden.<br />
Wer aber nicht zu den Bevorzugten<br />
gehört, hat es schwer.«<br />
In der Prignitz blühen die Felder. Gelb<br />
leuchtet der Raps, der meist in Verbrennungsmotoren<br />
landet – wenn nicht gerade<br />
das Finanzministerium die Steuervorteile<br />
kappt. Rinder grasen auf den<br />
Wiesen, die nordwestliche Ecke Brandenburgs<br />
zeigt sich als ländliche Idylle. Doch<br />
mit den Abwärtsspiralen der Milchpreise<br />
nimmt auch ihre Zahl ab. Gerade war die<br />
Kleinstadt Meyenburg in den lokalen<br />
Medien: Die Bahnverbindung nach Pritzwalk<br />
soll eingestellt werden. Hier, direkt<br />
an der Landesgrenze zu Mecklenburg-<br />
Vorpommern, ist Unternehmer Altenburg<br />
zu Hause. Seit drei Jahren leitet er<br />
die Meyenburger Elektrobau GmbH, seit<br />
vielen Jahren bestimmt er die Entwicklung<br />
mit und macht sich Gedanken um<br />
die Zukunft. Nicht um die seines Unternehmens.<br />
Das hat sich schon vor Jahren<br />
aufgemacht in Richtung Niedersachsen,<br />
Fachkräftesicherung in Brandenburg<br />
Randregionen stärken<br />
sich für die Zukunft<br />
Mit eigenen Ideen, Konzepten und Modellen kümmern sich<br />
Firmen in der Prignitz, der Uckermark und der Lausitz um den<br />
Fachkräftenachwuchs. Sie setzen auch auf die attraktive Heimat.<br />
Hamburg und Berlin. Am Hamburger<br />
Flughafen gab und gibt es jede Menge Arbeit<br />
für zuverlässige Elektromonteure,<br />
anderswo auch – nur selten direkt vor<br />
der Haustür. Aus einer ehemaligen Produktionsgenossenschaft<br />
des Elektro-<br />
Handwerks ist in 20 Jahren ein Unternehmen<br />
mit 70 Mitarbeitern geworden, aufgebaut<br />
durch Altenburgs Vorgänger und<br />
jetzigen Beiratsvorsitzenden Wolfgang<br />
Pförtner. Beide sind eng verbunden mit<br />
der Region. In vielen Familien ist jedoch<br />
von vornherein klar, dass die Kinder<br />
nach der Ausbildung in die wirtschaftlichen<br />
Zentren gehen werden. Oder sie bewerben<br />
sich gleich dort um einen Ausbildungsplatz.<br />
Für den 51-jährigen Altenburg war das<br />
nie eine Perspektive. »Ein echter Prignit-<br />
zer geht hier so schnell nicht weg«, sagt<br />
er. Da sind die Freunde, der Sportverein,<br />
die Feuerwehr, die Tanzabende im Dorf<br />
und das Haus mit Garten, womöglich ein<br />
paar Tieren. Da ist die von Elbe und Havel<br />
durchzogene weite Landschaft. Und<br />
doch: Viele sind weggegangen. Manche<br />
trifft man bei Dorffesten oder Verwandtenbesuchen,<br />
meist fahren sie schöne Autos<br />
und tragen schicke Klamotten. Nach<br />
ein paar Bier ist von Heimweh die Rede<br />
und der anderen Mentalität in der neuen<br />
Heimat. Wiedergekommen ist bisher<br />
kaum jemand, obwohl der Bedarf an<br />
Fachkräften auch in der strukturschwachen<br />
Prignitz wächst. Grund sind nicht<br />
nur die niedrigeren Löhne. Die Unsicherheit<br />
ist zu groß, Wege zum Arzt oder zur<br />
Schule zu weit, Freizeitmöglichkeiten<br />
30 WIRTSCHAFT & MARKT 07–08/12
REPORT<br />
fehlen und wenn jemand erst eine Familie<br />
gegründet hat, liegen die Hürden für<br />
einen Ortswechsel ohnehin hoch.<br />
Ähnlich sieht es überall aus an Brandenburgs<br />
Rändern. In der Uckermark<br />
oder in der Lausitz. Idyllische Landschaft,<br />
Rekordmarken in der Arbeitslosigkeit<br />
und auf gut ausgebauten Straßen<br />
sausen die verbliebenen Fachkräfte nach<br />
Berlin oder Dresden. Gerade hat die seit<br />
1990 regierende SPD ein Strategiepapier<br />
für die angesichts des Bevölkerungsrückganges<br />
unausweichliche Kommunalreform<br />
vorgelegt. Einschnitte in die derzeit<br />
noch vorhandenen Strukturen sind<br />
nicht zu vermeiden, das ist allen klar.<br />
UREINWOHNER: Störche in Wittenberge.<br />
ziale. 60 mittelständische Unternehmen<br />
hatten den Verein vor drei Jahren gegründet.<br />
Rund 1,3 Millionen Menschen<br />
leben in der Lausitz, die Mehrzahl der<br />
über 80.000 Firmen sind Klein- und<br />
Kleinstunternehmen. Für viele ist das Gebiet<br />
ein gemeinsamer Wirtschaftsraum,<br />
in dem unterschiedliche Regelungen<br />
und Genehmigungsverfahren der Länder<br />
erheblich stören – in manchen Punkten<br />
sei die Bürokratie sogar zwischen Berlin<br />
und dem Umland einfacher. Abstimmung<br />
der Wirtschaftsförderung, ein einheitliches<br />
Verkehrskonzept und die stärkere<br />
Vernetzung von Hochschulen und<br />
Wirtschaft werden deshalb gefordert.<br />
Für Eberhard Walter, Präsident des<br />
Unternehmerverbandes Brandenburg, ist<br />
die Sicherung des Fachkräftenachwuchses<br />
zum Knackpunkt geworden. »Angesichts<br />
der demografischen Entwicklung<br />
wird ja viel darüber geredet«, sagt er.<br />
»Aber wir haben es nicht mit einem<br />
Problem der Zukunft zu tun, sondern<br />
mit einem, das vor allem die kleinen Unternehmen<br />
heute schon behindert. Wer<br />
jetzt seine Ausbildungsplätze nicht be-<br />
ÜBERGREIFENDES STANDORTMARKETING<br />
Doch wenn auch in den Kleinstädten keine<br />
Behörden, weiterführenden Schulen<br />
oder medizinischen Einrichtungen mehr<br />
existieren, wird das die Absatzbewegung<br />
weiter beschleunigen. Nicht zufällig melden<br />
sich deshalb Initiativen aus diesen<br />
Regionen zu Wort. In zehn Punkten hat<br />
die Wirtschaftsinitiative Lausitz eine eigene<br />
Strategie formuliert. Der Verein fordert<br />
Brandenburg und Sachsen auf, die<br />
Region übergreifend zu fördern. »Wir<br />
müssen die Identität und das Profil der<br />
Lausitz stärken«, so Vereinsvorsitzender<br />
Hermann Borghorst. »Die Lausitz sollte<br />
nicht als Randregion wahrgenommen<br />
werden, sondern als bedeutende Region<br />
in der Mitte Europas.«<br />
Als Standorte für Wirtschaft, Wissenschaft<br />
und Forschung, als Tourismusund<br />
Kulturregion hätten die Landkreise,<br />
zu denen in Brandenburg Elbe-Elster,<br />
Spree-Neiße, Oberspreewald-Lausitz und<br />
Cottbus, in Sachsen die Landkreise Bautzen<br />
und Görlitz gehören, enorme Potensetzen<br />
kann, dem werden in zwei, drei<br />
Jahren Nachwuchskräfte als Leistungsträger<br />
fehlen. Also müssen die Firmen<br />
um Azubis werben, sich darstellen – und<br />
das im Wettbewerb mit den Großen. Das<br />
kostet Geld, das Know-how haben sie<br />
meist nicht.«<br />
MANGEL MIT MEHREREN FACETTEN<br />
Auch mit cleverer Eigenwerbung ist es offenbar<br />
nicht getan. »Ein Riesenproblem<br />
ist das Bildungsniveau der Schulabgänger«,<br />
so Walter. »Von einem Cottbuser Unternehmen<br />
weiß ich, dass Facharbeiter<br />
und Meister aus dem Ruhestand zurückgeholt<br />
wurden, um stundenweise den<br />
Auszubildenden Rechnen, Geometrie<br />
und sprachlichen Ausdruck beizubringen.<br />
Die Verantwortlichen sollten aufwachen.<br />
Wir brauchen vernünftige Rahmenbedingungen<br />
für die Wirtschaft.«<br />
Versäumnisse treffen die strukturschwachen<br />
Gebiete besonders. Wer von Randregionen<br />
spricht, hat sein Urteil wohl<br />
schon gefällt: »Ich habe nichts gegen den<br />
Begriff, wenn er auch eine besondere<br />
Verantwortung und Förderung einschließt«,<br />
so der Präsident des UV.<br />
Über Forderungen hinaus gibt es<br />
längst auch konkrete Aktionen, wie der<br />
Zusammenschluss der Lausitzer Unternehmen<br />
zeigt. Im westlichen Havelland<br />
wurde ein sogenannter Demografie-<br />
Fonds aufgelegt, in den der Landkreis Havelland,<br />
Städte, drei Ämter, sowie die<br />
Havellandkliniken einzahlen. Die Robert-<br />
Bosch-Stiftung gibt 180.000 Euro an Fördermitteln<br />
– insgesamt steht eine Million<br />
Euro zur Verfügung, um Ideen zur<br />
Verbesserung des Wohnumfelds, der Gesundheit<br />
und der Mobilität umzusetzen.<br />
Ein Beispiel ist die »Mieterinsel« in einem<br />
BERUFSPERSPEKTIVE: Philipp Siebert absolviert die Tischlerlehre in der Pritzwalker Bildungsgesellschaft, hier mit Ausbilder Uwe Wendt.<br />
Anna Behrens hat sich für eine Ausbildung bei MEB entschieden.<br />
WIRTSCHAFT & MARKT 07–08/12 31
REPORT<br />
NETZWERKMOTOR: Werner Schulze, Pritzwalker Bildungsgesellschaft, Unternehmensberaterin Dr. Annerose Giewoleit, Gert Altenburg und<br />
Dirk Radatz von der MEB Meyenburger Elektrobau GmbH (v. l.). Junge Leute in Metallausbildung.<br />
Wohngebiet der Amtsgemeinde Nennhausen,<br />
ein Treffpunkt der Generationen<br />
mit Vorträgen, Bastelnachmittagen<br />
und Beratungsangeboten. »Je wohler sich<br />
die Leute im Dorf fühlen, desto eher sind<br />
sie geneigt zu bleiben«, erklärte Amtsdirektorin<br />
Angelika Thielicke in der Lokalzeitung.<br />
Als ein »einmaliges Strategiepaket<br />
eines Landkreises« lobte die Staatskanzlei<br />
in Potsdam die Aktion.<br />
Selbst etwas zu tun – das fordert auch<br />
der Meyenburger Unternehmer Gert Altenburg.<br />
Und geht mit gutem Beispiel<br />
voran. »Wir sind gut im Geschäft«, sagt<br />
er. »Aber wir könnten noch mehr Aufträge<br />
annehmen, wenn wir die Kapazitäten<br />
dazu hätten.« Seit Jahren bildet MEB eigene<br />
Elektromonteure aus, 68 in 20 Jahren.<br />
Viele sind übernommen worden<br />
und haben das Firmenwachstum gesichert.<br />
Es wurde in moderne CAD-Arbeitsplätze<br />
investiert und gemeinsam mit der<br />
Pritzwalker Bildungsgesellschaft GmbH<br />
die Qualifizierung der zukünftigen Ingenieure<br />
organisiert. Ein Mitarbeiter hat<br />
vor kurzem seine Berufsausbildung mit<br />
anschließendem Bachelorstudium absolviert,<br />
gefördert durch den Unternehmer<br />
Stefan Quandt, der sich in der Prignitzer<br />
Heimat der Familie Quandt engagiert.<br />
BODENSTÄNDIGKEIT ALS STÄRKE<br />
»Wir sind stark genug, um kleineren Firmen<br />
zu helfen«, sagt Altenburg. »Ausschreibungen<br />
werden zum Beispiel elektronisch<br />
auf Internetplattformen eingestellt.<br />
Der Zugang kostet Geld, man muss<br />
seine Angebote digital einreichen. Per<br />
Mausklick – aber viele Handwerker haben<br />
dafür weder das Know-how noch die<br />
Zeit. Hier könnten wir unterstützen.« Im<br />
Gegenzug erhofft er sich Zusammenar-<br />
beit bei großen Aufträgen, die MEB sonst<br />
gar nicht annehmen könnte. »Langfristige<br />
Kooperation braucht Vertrauen und<br />
Bodenständigkeit«, erklärt Altenburg.<br />
Sein Motto lautet: »Fair zum Erfolg«.<br />
Zugegeben, das stammt nicht von ihm<br />
selbst, sondern von der Unternehmensberaterin<br />
Dr. Annerose Giewoleit. Sie unterstützt<br />
das Unternehmen seit Jahren<br />
beim Aufbau des Managementsystems.<br />
»Anfangs habe ich meine Aufgabe in der<br />
Umsetzung von Normen und Standards<br />
gesehen«, erklärt sie. »Nach und nach ist<br />
mir klar geworden, dass es um viel mehr<br />
geht, um die Unternehmenskultur, um<br />
die Qualität der Führung, der Beziehungen<br />
im Unternehmen und nach außen<br />
zu Kunden und Lieferanten. Dieses Beziehungsgeflecht<br />
muss stimmen.«<br />
Fairness bilde die Basis, um wirtschaftliche<br />
Zwänge und soziale Verantwortung<br />
unter einen Hut zu bringen – und erfolgreich<br />
zu sein. MEB zeigt, dass es funktioniert.<br />
Solide, mit stetigem – nicht<br />
sprunghaften – Wachstum. Diese Erfahrungen<br />
sollen in ein Modell für die Prignitz<br />
einfließen. Auf Initiative des MEB-<br />
HEIMAT: Straße in Pritzwalk.<br />
Geschäftsführers und des Chefs der<br />
Pritzwalker Bildungsgesellschaft, Werner<br />
Schulze, haben sich zwöf Unternehmen<br />
zusammengetan. Sie tauschen<br />
zunächst Informationen über Ausschreibungen,<br />
Ausbildungsplätze, Qualifizierungsbedarf<br />
und brisante Entwicklungen<br />
im Landkreis aus. Es geht um die<br />
Bahnstrecke und fehlende Ärzte, um die<br />
in Standorten des Landes Brandenburg<br />
äußerst ungünstig gelegenen, aber politisch<br />
dort gewollten Oberstufenzentren,<br />
die Schwierigkeiten privater Berufsschulen<br />
und die nächsten Volksfeste.<br />
SELBST DER MOTOR SEIN<br />
Das Thema Fachkräfte treibt alle um.<br />
»Wir können uns die passenden Bewerber<br />
nicht backen«, sagt Altenburg. »Wer<br />
bei uns mitarbeiten möchte, aber die<br />
Fähigkeiten nicht mitbringt, muss eben<br />
qualifiziert werden. Und die Bildungsgesellschaft<br />
kann das.« Schon die ersten<br />
Treffen des Netzwerkes führten zu einer<br />
Ideenliste: engere Zusammenarbeit in<br />
der beruflichen Orientierung mit Schulen<br />
und Gymnasien, Praktika und Ferienjobs,<br />
gezielte Werbung um Studienabbrecher<br />
und -wechsler, Fortbildungen für<br />
Mitarbeiter. Langfristig könnte es Kooperationen<br />
mit Hochschulen geben, auch<br />
die Vergabe von Forschungsaufträgen ist<br />
denkbar. Altenburg schweben Bietergemeinschaften<br />
mit Unternehmen der Region<br />
vor, die allen lukrativere Aufgaben<br />
bringen und wieder Wachstum ermöglichen.<br />
»Wir müssen es selbst in die Hand<br />
nehmen, ein eigener Motor sein«, meint<br />
er. Mag da auch Frust über die bevorzugten<br />
Städte mitschwingen – ein selbstbewusster<br />
Standpunkt ist es allemal.<br />
Ulrich Conrad<br />
&<br />
32 WIRTSCHAFT & MARKT 07–08/12
INTERVIEW<br />
Dr. Ing.-Victor Stimming, Präsident der IHK Potsdam, über Fachkräftesicherung,<br />
chancen von Regionen und Wachstumspotenziale der Brandenburger Wirtschaft<br />
»Infrastruktur erhalten – Konzepte entwickeln«<br />
Foto: IHK Potsdam<br />
W&M: Brandenburg ist zweigeteilt, berlinferne<br />
Regionen wie die Prignitz spüren vom<br />
Boom des Speckgürtels wenig. Lässt sich die<br />
Stagnation angesichts des Bevölkerungsrückganges<br />
und Fachkräftemangels aufhalten?<br />
STIMMING: Probleme abseits der Wachstumskerne<br />
lassen sich nicht leugnen. Daneben<br />
stehen aber auch positive Entwicklungen,<br />
wie die regionale Initiative am<br />
Autobahndreieck Wittstock. Es gilt, die<br />
Potenziale des ländlichen Raumes zu erkennen,<br />
zu nutzen und zu unterstützen.<br />
Darunter verstehe ich auch, fleißige,<br />
heimatverbundene Menschen mit ihrer<br />
Kreativität und ihrem Unternehmergeist,<br />
gut ausgebaute Infrastrukturen<br />
wie am Hafen Wittenberge sowie traditionsreiches<br />
Gewerbe zu unterstützen.<br />
W&M: Wie?<br />
STIMMING: Den Menschen in der Region<br />
muss eine Perspektive gegeben werden.<br />
Die Standort- und Arbeitsbedingungen<br />
haben sich auch in den ländlichen Räumen<br />
deutlich verbessert. Unsere Kampagne<br />
»Mach es in Brandenburg«, die wir<br />
bereits im dritten Jahr aufwendig durchführen,<br />
wird weiter dazu beitragen. Es ist<br />
leichter, die Jugend im Land zu halten,<br />
als sie zurückholen zu müssen. Aber<br />
auch Rückholaktionen sind sinnvoll,<br />
ebenso wie die intensive Fachkräfte-<br />
Anwerbung aus Süd- und Osteuropa.<br />
W&M: Hat es Sinn, noch große Hoffnungen<br />
auf Neuansiedlungen zu setzen?<br />
STIMMING: Realistisch ist die Erweiterung<br />
bestehender Unternehmen. Auch<br />
der Ausbau der Autobahn A 14 wird dabei<br />
einen Schub bringen. In dem Zusammenhang<br />
ist auch mit Neuansiedlungen<br />
vor allem von Logistikern zu rechnen.<br />
W&M: Welches Potenzial haben die kleinen<br />
und mittleren Firmen in diesen Gebieten? Die<br />
meisten sind ja bereits im Berliner Raum, in<br />
Hamburg oder Hannover tätig, weil der lokale<br />
Markt nicht genug Arbeit bietet.<br />
STIMMING: In den Ballungsräumen ist<br />
immer eine entsprechende Nachfrage gegeben.<br />
Dies sorgt mit dafür, dass Arbeitsplätze<br />
in der Region erhalten bleiben.<br />
Wir als IHK ermuntern die Unternehmen,<br />
über den Tellerrand zu schauen<br />
und Auslandsmärkte zu erschließen.<br />
Dazu organisieren wir auch Gemeinschaftsstände<br />
auf internationalen Messen<br />
sowie Unternehmerreisen.<br />
W&M: Welche Auslandsmärkte halten Sie für<br />
besonders chancenreich?<br />
STIMMING: Das gestaltet sich natürlich<br />
für jedes Produkt, jede Dienstleistung<br />
und damit für jedes Unternehmen anders.<br />
Exporteinsteiger können sich gern<br />
über den geförderten Fitness-Check International<br />
beraten lassen. Besonderes<br />
Augenmerk bei grenzüberschreitenden<br />
Geschäftsbeziehungen liegt auf der Europäischen<br />
Union, aber auch auf nachfragestarken,<br />
rasant wachsenden Ökonomien<br />
wie China, Brasilien oder auch<br />
dem Nahen Osten. In einzelnen Ländern<br />
»Den Menschen<br />
in der Region muss eine<br />
PERSEPKTIVE<br />
gegeben werden.«<br />
sollen Anlaufstellen für unsere Firmen<br />
eingerichtet werden; nach Katar und<br />
Saudi-Arabien planen wir eine Unternehmerreise<br />
im November 2012, um Chancen<br />
auszuloten. Interessenten sind hier<br />
herzlich willkommen.<br />
W&M: Gegenwärtig hört man auch in Brandenburger<br />
Regionen, dass Aufträge nicht angenommen<br />
werden können, weil Fachkräfte<br />
fehlen. Auch das Risiko, bei zu schnellem<br />
Wachstum die eigene Stabilität zu gefährden,<br />
wird genannnt. Können Netzwerke die Alternative<br />
sein? Wie müssten sie aussehen?<br />
STIMMING: Unternehmer müssen ihren<br />
Fachkräftebedarf vorausschauend planen<br />
und entsprechend in die berufliche<br />
Bildung investieren. Dazu gehört in zunehmendem<br />
Maße die Weiterbildung,<br />
um technologisch Schritt halten zu können.<br />
Dafür sind die Unternehmerinnen<br />
und Unternehmer selbst verantwortlich,<br />
sie werden von der IHK unterstützt. Netzwerke<br />
und Unternehmenskooperationen<br />
sind zusätzliche Möglichkeiten, Auf-<br />
tragsspitzen und auch Flauten abzufedern.<br />
Die IHK Potsdam hat die Stiftung<br />
»Fachkräfte für Brandenburg« gegründet<br />
und unterstützt damit zusätzlich die berufliche<br />
Bildung. So soll die Stiftung unter<br />
anderem dort wirken, wo andere Projekte<br />
und Programme aufgrund von restriktiven<br />
Förderrichtlinien für unsere<br />
Vorhaben nicht mehr greifen können.<br />
Neben der Unterstützung von Auszubildenden<br />
mit Leistungsdefiziten sollen<br />
auch jene mit besonders guten Leistungen<br />
gefördert werden. Wir wollen sie<br />
zusätzlich motivieren, hier in der Region<br />
ihre berufliche und private Zukunft zu<br />
gestalten.<br />
W&M: Was fordert die Wirtschaft von der Politik,<br />
um auch in den strukturschwachen Regionen<br />
Potenziale und Chancen zu erhalten?<br />
STIMMING: Die Aufrechterhaltung der<br />
Infrastruktur ist immens wichtig. Das erhält<br />
auch die für das Land Brandenburg<br />
typische kleinteilige Unternehmensstruktur,<br />
die uns bisher half, Krisen gut<br />
zu überstehen. Die Entwicklung neuer<br />
Konzepte für den ländlichen Raum darf<br />
dabei nicht vergessen werden.<br />
W&M: Und was leistet die Wirtschaft selbst?<br />
STIMMING: Es gibt zahlreiche Initiativen<br />
der Wirtschaft: Wittstocker Autobahndreieck,<br />
das Netzwerk Zukunft – Schule<br />
und Wirtschaft für Brandenburg, regionale<br />
Ausbildungsmessen, Unternehmerstammtische,<br />
Informationsveranstaltungen<br />
zu neuen Medien, Modellprojekte<br />
zum betrieblichen Gesundheitsmanagement,<br />
die Vorstellung von flexiblen Arbeitszeitmodellen<br />
und vieles mehr. Mit<br />
dem RegionalCenter Prignitz in Pritzwalk<br />
ist die IHK Potsdam als Ansprechpartner<br />
und Dienstleister der Wirtschaft<br />
regional präsent und garantiert kurze<br />
Wege. Durch die IHK wurden umfassende<br />
europäische Mittel nach Nordwest-<br />
Brandenburg gebracht, so im Rahmen<br />
von Projekten des ländlichen Tourismus,<br />
der Ernährungswirtschaft oder der Bioenergie.<br />
Zu erwähnen ist auch das politische<br />
Engagement der IHK zur Mobilität<br />
im ländlichen Raum sowie zur Sicherstellung<br />
von geeigneten Fördermöglichkeiten<br />
von EU, Bund und Land.<br />
Interview: Ulrich Conrad<br />
INTERNET:<br />
www.potsdam.ihk.de<br />
www.mach-es-in-brandenburg.de<br />
WIRTSCHAFT & MARKT 07–08/12 33
KOLUMNE<br />
Man ist ja so einiges gewöhnt von<br />
unseren Politikern und Beamten,<br />
was aber jetzt in der Eurozone<br />
geboten wird, ist schon an der<br />
Grenze der Vorstellungskraft. Dieser Tage<br />
sagte der Fraktionschef der Liberalen,<br />
Eurobonds, wie vom neuen französischen<br />
Präsidenten Hollande vorgeschlagen,<br />
seien »Zinssozialismus« und den<br />
werde man auf keinen Fall mitmachen.<br />
Ähnlich äußert sich ein hoher Beamter<br />
des Finanzministeriums in einen Brief<br />
an den Chefkommentator der »Financial<br />
Times« in London und beklagt dessen<br />
kritische Kommentare über die Berliner<br />
Regierungskunst mit Argumenten, die<br />
einem die Haare zu Berge stehen lassen.<br />
Da kommt etwas zum Ausdruck, was<br />
es bisher so in der Bundesrepublik nicht<br />
gegeben hat und was einen sehr bedenklich<br />
stimmen muss. Das Berliner Regierungsviertel<br />
hat sich eingemauert hinter<br />
schlechten Argumenten und kann schon<br />
nicht mehr über die Mauer schauen und<br />
sehen, wie der Rest der Welt, und diese<br />
geographische Einordnung ist in diesem<br />
Fall ausnahmsweise keine Übertreibung,<br />
nur noch den Kopf schüttelt über den<br />
Berliner Starrsinn und sich fragt, was<br />
man noch dagegen tun kann, da die Rationalität<br />
offenbar an eine Grenze stößt.<br />
Mit Zinssozialismus meint Herr Brüderle<br />
offenbar die Tatsache, dass im Falle<br />
von Eurobonds die Unterschiede in den<br />
Zinssätzen zwischen den Ländern in der<br />
Eurozone verschwinden würden. Was, so<br />
eine in Berlin weitverbreitete Meinung,<br />
dazu führen müsse, dass die Länder, die<br />
jetzt tief in der Bredouille sind, wieder<br />
anfangen, fröhlich über ihre Verhältnisse<br />
zu leben und den Herrgott einen guten<br />
Mann sein lassen, statt sich am Riemen<br />
zu reißen und ihre Verhältnisse in<br />
Ordnung zu bringen.<br />
Bezeichnenderweise ist Herrn Brüderle<br />
und allen anderen in Berlin der Zinssozialismus,<br />
den die Märkte, die Kapitalmärkte<br />
nämlich, in den ersten acht Jahren<br />
der Währungsunion praktizierten,<br />
gar nicht aufgefallen, und sie haben ihn<br />
auch nicht beklagt. Da waren die Zinsen<br />
für staatliche Anleihen absolut gleich<br />
zwischen Deutschland und Griechenland,<br />
obwohl die Staatshaushalte in Sachen<br />
aktuelle Schulden und Schuldenstand<br />
damals schon sehr differierten.<br />
Vor der Währungsunion war das in<br />
der Tat anders, da waren die Zinsen weit<br />
gefächert, aber auch die Zinsen von Ländern<br />
wie Frankreich, die keine aus dem<br />
Ruder laufenden Staatshaushalte hatten,<br />
AUS GENFER SICHT<br />
Berlin –<br />
eingemauert<br />
Von HEINER FLASSBECK, Genf<br />
Internet: www.flassbeck.com<br />
waren höher als die deutschen. Das war<br />
aber keineswegs der deutschen Staatshaushaltsdisziplin<br />
geschuldet, sondern<br />
einzig und allein der Tatsache, dass<br />
Deutschland immer eine etwas niedrigere<br />
Inflation als die anderen Länder aufwies.<br />
Weil alle wussten, dass diese Inflationsdifferenz<br />
früher oder später durch<br />
eine Abwertung der Währung der Länder<br />
mit höherer Inflation ausgeglichen werden<br />
musste, spiegelte sich diese Abwertungsgefahr<br />
in den Zinsen der Staatsanleihen,<br />
nicht aber unsichere Staatsfinanzen<br />
und ein »Druck der Märkte«,<br />
um »unsolide Verhältnisse« zu beenden.<br />
Es gab noch nie die »Disziplinierung«<br />
durch die Kapitalmärkte, die heute von<br />
der Berliner Laienspielschar als besonderes<br />
Kennzeichen freier Märkte beschworen<br />
wird. Märkte glauben in der Regel,<br />
dass Staaten ihre Schulden bezahlen, jedenfalls<br />
dann, wenn die Schulden in der<br />
eigenen Währung begeben sind, weil die<br />
Staaten sich diese Währung im Zweifel<br />
über ihre Notenbank »besorgen« können.<br />
Daher war der Realzins, also der langfristige<br />
Zins nach Abzug der Inflation, in<br />
den »unsoliden« Ländern vor dem Euro<br />
auch nicht systematisch höher als im soliden<br />
Deutschland. Erst mit dem Euro<br />
sanken die Realzinsen in den Südländern<br />
stärker als in Deutschland.<br />
Mit Beginn der Währungsunion sind<br />
die nominalen langfristigen Zinsen über-<br />
all gleich geworden, weil man unterstellte,<br />
die Währungsunion werde ein Erfolg<br />
und die Inflationsraten blieben von nun<br />
an gleich. Gesunken sind die Zinsen seit<br />
Beginn der Währungsunion überall, weil<br />
die wichtigsten Zentralbanken der ganzen<br />
Welt ihre Ausleihezinsen senkten<br />
und das auf die Märkte für langfristiges<br />
Kapital durchschlug. Folglich kommt im<br />
heutigen Auseinanderlaufen der Zinsen<br />
etwas ganz anderes zum Ausdruck als<br />
eine Disziplinierung durch die Märkte.<br />
Viele Marktteilnehmer glauben nicht<br />
mehr, dass alle Euro-Staaten ihre Anleihen<br />
in Euro zurückzahlen werden. Das<br />
Wichtigste in einer Währungsunion, die<br />
Angleichung der Inflationsraten, hat<br />
nämlich überhaupt nicht geklappt.<br />
Deswegen haben auch die ganzen Gipfel<br />
und deren Beschlüsse zur Haushaltsdisziplinierung<br />
an den Zinsdifferenzen<br />
kaum etwas geändert. Niemand glaubt<br />
nämlich, dass die beschlossenen Maßnahmen<br />
wirken können und dass sie<br />
wirklich zielführend sind, weil das Problem<br />
auseinanderlaufender Inflationsraten<br />
noch nicht wirklich angegangen<br />
ist, auf jeden Fall nicht in einer Weise,<br />
die politisch durchhaltbar erscheint.<br />
Daraus ergibt sich, dass die Verhinderung<br />
von Zinssozialismus im Brüderleschen<br />
Sinne nichts anderes bedeutet als<br />
das Ende der Währungsunion. Wer nicht<br />
für möglich hält, dass die Euro-Länder<br />
wieder vollständig gleiche Zinsen haben,<br />
sagt implizit, dass er das Ende der Währungsunion<br />
nahen sieht. Er bestätigt die<br />
Märkte, die Gleiches glauben.<br />
Währungsunion ist Zinssozialismus!<br />
Wer Zinssozialismus nicht mit relativ<br />
unabhängigen Staaten und unabhängiger<br />
Wirtschaftspolitik hinbekommt, weil<br />
der Ausgleich der Wettbewerbsfähigkeit<br />
zwischen den Regionen nicht gelingt,<br />
muss den Zinssozialismus über dauerhafte<br />
Transferzahlungen erzwingen, wie<br />
es in der deutsch-deutschen Währungsunion<br />
noch immer der Fall ist.<br />
Das alles und die traurigen Argumente<br />
aus dem Bundesfinanzministerium<br />
bestätigen, was schon lange zu vermuten<br />
war. So eine Währungsunion scheitert<br />
nicht primär an der Unfähigkeit der<br />
Menschen in den beteiligten Ländern,<br />
sich an ihre und an die Verhältnisse der<br />
Union anzupassen. Sie scheitert an der<br />
Unfähigkeit allzu vieler Politiker, über<br />
ideologische Schatten zu springen und<br />
eine ernsthafte Diskussion über die Logik<br />
eines solch komplexen Gebildes zu<br />
initiieren und daraus zu lernen. &<br />
Foto: Torsten George<br />
34<br />
WIRTSCHAFT & MARKT 07–08/12
INTERVIEW<br />
Polnische Ministerin Elsbieta Bienkowska zur EU-Förderung:<br />
Deutsche profitieren am stärksten<br />
Wie das jetzt in Rom vereinbarte EU-Wachstumspaket aussieht und finanziert wird, ist noch unklar.<br />
Zumal in Brüssel schon monatelang um Fördermilliarden gefeilscht wird. In Berlin stritt Elsbieta<br />
Bienkowska, Ministerin für Regionale Entwicklung Polens, gegen die Kürzung der Kohäsions-Mittel.<br />
Foto: Torsten George, Hafen Hamburg<br />
Die Ministerin war in Eile, zwischen<br />
einem Treffen mit Bundeswirtschaftsminister<br />
Philipp Rösler,<br />
einem Vortrag im Europäischen Haus,<br />
Unter den Linden und dem Abflug nach<br />
Warschau stand noch ein Gespräch mit<br />
W&M. Vielleicht fielen deshalb einige<br />
ihrer Antworten nach der polnischen Position<br />
zur Zukunft der EU-Regionalpolitik<br />
weniger diplomatisch als üblich aus.<br />
Empört wies sie den gelegentlichen Vorwurf<br />
zurück, dass die EU-Fördermittel<br />
nicht immer sachgerecht eingesetzt würden.<br />
»In Polen wird genau überwacht,<br />
wofür jeder Euro ausgegeben wird«, so<br />
die Ministerin, »das kann als Modell für<br />
andere europäische Länder gelten.«<br />
KOHÄSIONSPOLITIK<br />
376 MILLIARDEN BIS 2020 IM TOPF<br />
Sie zeigte sich verwundert darüber, wie<br />
wenig in Europa und namentlich in Berlin<br />
bekannt sei, dass gerade Deutschland<br />
stark von der EU-Regionalpolitik profitiert.<br />
Es sei schlicht unverständlich, kritisierte<br />
sie, dass die Bundesrepublik zu<br />
den Staaten gehöre, die für eine Begrenzung<br />
der Mittel für die Kohäsionspolitik<br />
plädieren – damit würden Wachstum<br />
und Arbeitsplätze in Deutschland gefährdet.<br />
»Ich möchte, dass die öffentliche<br />
Meinung in der EU weiß, dass die Kohäsionspolitik<br />
keine Wohltätigkeit für die Armen,<br />
sondern ein Mittel ist, das zur Beschleunigung<br />
der Wachstumsrate und<br />
der Schaffung von Arbeitsplätzen<br />
beiträgt«, so Bienkowska.<br />
Zum Hintergrund: Im Streit um die<br />
Ausgabengrenzen der EU in den Jahren<br />
2014 bis 2020 treffen zwei Lager aufeinander<br />
– die Nettozahler einerseits und<br />
die Empfänger von Milliarden aus den<br />
Strukturfonds andererseits. 376 Milliarden<br />
Euro sollen auf Vorschlag der EU-<br />
Kommission in den sieben Jahren bis<br />
2020 dafür ausgegeben werden. Ziel ist<br />
die Angleichung des Entwicklungsstandes<br />
in den Ländern, um den wirtschaftlichen,<br />
sozialen und territorialen Zusammenhalt<br />
zu stärken. Schon lange stehen<br />
sich Anhänger und Gegner von mehr<br />
Kohäsionspolitik schier unversöhnlich<br />
gegenüber. Einige Mitgliedsländer, darunter<br />
die Netto-Beitragszahler Deutschland,<br />
Frankreich, Großbritannien, Finnland<br />
und die Niederlande drängen auf<br />
eine strikte Ausgabenbegrenzung.<br />
Mit ihren Programmen hat die EU von<br />
1988 bis 2004 rund 500 Milliarden investiert.<br />
Seit der EU-Erweiterung 2004<br />
fließen die meisten Kohäsionsmittel<br />
nach Osteuropa. In der Förderperiode<br />
2007 bis 2013 sind es allein 67,3 Milliarden<br />
Euro, die nach Polen fließen. Deren<br />
Verwaltung gehört in die Zuständigkeit<br />
der Ministerin. Die Hälfte des kräftigen<br />
Wirtschaftswachstums in Polen, das<br />
2011 bei 4,3 Prozent lag, führt sie auf den<br />
Zufluss von EU-Mitteln zurück, mit denen<br />
viele Projekte verwirklicht wurden.<br />
Liegt der Fokus bei den Infrastrukturprojekten<br />
im laufenden Haushalt 2007 bis<br />
2013 beim Autobahn- und Straßenbau, so<br />
soll künftig laut Bienkowska der Bahnverkehr<br />
stärker gefördert werden. Polen<br />
strebe eine Geschwindigkeit von 160 bis<br />
200 km/h auf der Schiene an.<br />
Im Reisegepäck nach Berlin hatte<br />
Bienkowska, die seit 2007 im Amt ist,<br />
eine Studie mit dem scheinbar unverfänglichen<br />
Titel: »Welchen Gewinn ziehen<br />
die EU-15-Länder aus der in den Ländern<br />
der Visegrád-Gruppe angewandten<br />
Kohäsionspolitik?« Die war von ihrem<br />
Ministerium in Auftrag gegeben worden.<br />
Das Institut für Strukturforschung und<br />
die Gesellschaft Reytech sp. z o.o. sollte<br />
analysieren, welchen Nutzen die alten<br />
EU-Länder aus der Finanzierung der<br />
Kohäsionspolitik in den neuen Mitgliedsländern<br />
Polen, Tschechien, Slowakei und<br />
Ungarn ziehen. Nach Ende des Ostblocks<br />
hatten 1991 in der ungarischen Stadt<br />
Visegrád Polen, die damalige Tschechoslowakei<br />
und Ungarn beschlossen, die<br />
gemeinsamen Probleme möglichst kooperativ<br />
zu lösen. Auch nach dem EU-Beitritt<br />
der auch unter »V4« firmierenden<br />
Länder besteht die Staatengruppe fort.<br />
RÜCKFLUSS GRÖSSER ALS INVESTITION<br />
Die Analyse kommt laut Bienkowska zu<br />
dem Ergebnis, dass der Gewinn der alten<br />
Länder durch das Exportwachstum in<br />
den Visegrád-Ländern hoch ist im Vergleich<br />
zu den Kosten, die sie für die<br />
Finanzierung der Kohäsionspolitik in<br />
diesen Ländern tragen. Die direkten Gewinne<br />
beziffert die Studie in dem Zeitraum<br />
von 2004 bis 2015 auf 8,64 Milliar-<br />
MAKROÖKONOMISCHE GEWINNE<br />
Nutznießer der Regionalförderung in der Union<br />
Zusätzlicher Exportgewinn aus der Durchführung der Kohäsionspolitik der EU-15-Länder<br />
in die Länder der Visegrad-Gruppe in den Jahren 2004 bis 2015 (in Milliarden Euro)<br />
Deutschland<br />
Italien<br />
Niederlande<br />
Frankreich<br />
Großbritannien<br />
Österreich<br />
Irland<br />
Belgien<br />
Schweden<br />
Spanien<br />
Finnland<br />
Dänemark<br />
Portugal<br />
Luxemburg<br />
Griechenland<br />
0 5 10 15 20 25 30 35<br />
Quelle: Polnisches Ministerium für regionale Entwicklung<br />
36 WIRTSCHAFT & MARKT 07–08/12
INTERVIEW<br />
der EU sei die Kohäsionspolitik die am<br />
besten sichtbare Methode, da direkt vor<br />
ihren Augen etwas getan werde. Die<br />
Kohäsionspolitik könne die Bürger davon<br />
überzeugen, dass die EU auch in Krisenzeiten<br />
handele und Probleme angehe,<br />
die nicht nur mit den Mechanismen des<br />
freien Marktes zu lösen seien.<br />
Bei der Begegnung mit Philipp Rösler<br />
hatte der auf einen engen Finanzrahmen<br />
gepocht: »Zum einen ist sein Umfang auf<br />
ein Prozent des Bruttonationaleinkommens<br />
der EU zu beschränken. Zum anderen<br />
sollte die Zahlung von Fördermitteln<br />
an die Einhaltung des Stabilitäts- und<br />
Wachstumspaktes geknüpft werden.«<br />
MINISTERIN Elsbieta Bienkowska im Gespräch mit W&M.<br />
den Euro, die der indirekten Gewinne –<br />
etwa durch schnelleres Wirtschaftswachstum<br />
in den Nehmerländern – sogar<br />
auf 66,05 Milliarden Euro. Unterm<br />
Strich steht, so die Ministerin, dass von<br />
jedem in die Vierergruppe investierten<br />
Euro 61 Cent an zusätzlichem Exportgewinn<br />
in die alten Länder zurückfließen.<br />
Dieser Durchschnittswert fällt in den<br />
einzelnen Geberländern – Spanien, Portugal<br />
und Griechenland sind keine<br />
Nettozahler – unterschiedlich aus. Für<br />
Deutschland, Irland und Luxemburg ist<br />
der Wert des zusätzlichen Exports in die<br />
»V4«-Länder, der sich aus der Einführung<br />
der Kohäsionspolitik in diesen Staaten<br />
ergibt, höher als die für die Einführung<br />
der Kohäsionspolitik getragenen Kosten.<br />
Am geringsten ist der Rückfluss nach<br />
Frankreich und Dänemark. »Deutschland<br />
– unser größter Nachbar und Wirtschaftspartner<br />
– profitiert insgesamt am<br />
stärksten«, so die Ministerin, »für das<br />
Land fließen aus jedem investierten Euro<br />
sogar 1,25 Euro zurück.«<br />
PAPIER RÄUMT ZWEIFEL AUS<br />
Die mit zusätzlichen Exporten und Aufträgen<br />
für deutsche Unternehmen im<br />
Rahmen von EU-kofinanzierten Projekten<br />
realisierten Gewinne summieren<br />
sich von 2004 bis 2015 auf rund 31,5 Milliarden<br />
Euro. Mit großem Abstand folgt<br />
auf Platz zwei Italien (7 Milliarden), vor<br />
den Niederlanden (6) und Frankreich (5).<br />
Die Ministerin lässt weder den Einwand<br />
gelten, dass diese Studie geradezu<br />
eindimensional ihren Standpunkt stützt,<br />
noch die Bemerkung, dass die Argumentation<br />
ein wenig an Rabattschlachten erinnert:<br />
Je mehr ich kaufe, desto größer<br />
ist scheinbar die Einsparung. Die Analyse<br />
sei mit einer anerkannt wissenschaftlichen<br />
Methodik durchgeführt worden<br />
und beruhe auf gesicherten Ergebnissen.<br />
Brüssel habe sie gutgeheißen und empfohlen,<br />
informiert die Ressortchefin. Das<br />
Papier räume jeden Zweifel daran aus,<br />
dass von den Entwicklungsprozessen<br />
und der Verringerung des Entwicklungsabstandes<br />
der schwächer entwickelten<br />
Staaten die Europäische Union profitiert.<br />
»Das ist auch meine Position«, unterstrich<br />
sie, »Regionalpolitik leistet einen<br />
bedeutenden Beitrag zu Wirtschaftswachstum<br />
und zur Schaffung von Arbeitsplätzen.<br />
Wer die Mittel dafür kürzen<br />
will, der schneidet sich ins eigene<br />
Fleisch.« Leider sei auch Deutschland<br />
nicht auf der Seite der »Freunde der Kohäsion«,<br />
sondern für Einschränkungen.<br />
»Das ist, um es noch einmal zu sagen,<br />
umso unverständlicher, als die Bundesrepublik<br />
als Exportland den mit Abstand<br />
größten Nutzen aus der EU-Strukturpolitik<br />
zieht«, betont Elsbieta Bienkowska<br />
und verweist auf die Analyse.<br />
Der zusätzliche Export aus der Durchführung<br />
der Kohäsionspolitik in den Ländern<br />
der Visegrád-Gruppe für Deutschland<br />
für den Zeitraum von 2004 bis 2015<br />
macht 43 Prozent der Gesamtgewinne<br />
aller alten EU-Länder aus, heißt es dort.<br />
Der Großteil der entsprechenden zusätzlichen<br />
Ausfuhren geht nach Polen und<br />
zwar mehr als die Hälfte des gesamten<br />
zusätzlichen Exports in die »V4«-Länder:<br />
16,3 Milliarden Euro.<br />
An Ende des Gesprächs kommt Elsbieta<br />
Bienkowska noch einmal auf ihr<br />
Anliegen zurück, eine Beschränkung der<br />
EU-Mittel zu verhindern. Für die Bürger<br />
NUTZEN AN PROJEKTEN MESSEN<br />
Auch wenn Polen eine Schuldenbremse<br />
in der Verfassung verankert habe und<br />
den effektiven Einsatz der Finanzmittel<br />
aus Brüssel sicherstelle – generell ist Elsbieta<br />
Bienkowska dagegen, die Hilfe für<br />
Regionen an Bedingungen zu knüpfen,<br />
die an anderer Stelle erfüllt werden müssen.<br />
»Wenn die Zeiten hart sind – und wir<br />
stehen ohne Zweifel schwierigen Zeiten<br />
gegenüber – dann verlangt das Ausgeben<br />
von öffentlichen Mitteln, eine angemes-<br />
SCHWERPUNKT künftiger Regionalentwicklung:<br />
Der Bahnverkehr in Polen.<br />
sene Begründung«, räumte sie ein. Die<br />
EU-Kohäsionspolitik sei jedoch die einzige<br />
Maßnahme, die solide Leistungen für<br />
alle EU-Mitglieder bringe und in der<br />
Praxis erprobt sei. »Es ist fatal, Mittel zu<br />
streichen, die in Strukturprojekte fließen,<br />
aus denen Wirtschaftsentwicklung<br />
wächst. Diese Projekte können nur an<br />
ihren Ergebnissen gemessen werden.<br />
Wenn man Projekte gut umsetzt und<br />
man bekommt trotzdem Mittel gestrichen,<br />
weil es anderswo im Lande Probleme<br />
gibt, dann wäre dies eine Bestrafung<br />
von Unschuldigen.«<br />
Helfried Liebsch<br />
&<br />
WIRTSCHAFT & MARKT 07–08/12 37
BERICHT<br />
Fotos: Thomas Schwandt<br />
Offshore Windenergie<br />
Maritimer Schulterschluss<br />
Stromerzeugung auf hoher See soll ein Eckpfeiler der künftigen Energieversorgung in Deutschland sein.<br />
Die Konferenz »Wind & Maritim« in Rostock zeigte Startprobleme und Zukunftschancen der Branche auf.<br />
V<br />
on der Auftragsvergabe bis zum<br />
Anschluss eines Offshore-Windparks<br />
an das Stromnetz verstreichen<br />
in Deutschland gegenwärtig zwischen<br />
40 und 45 Monate. Ein entschieden zu<br />
weites Zeitfenster, befindet Jörg Kuhbier,<br />
Vorstandsvorsitzender der Stiftung Offshore-Windenergie.<br />
Wenn es mit einer<br />
zügigen Umsetzung der Energiewende<br />
im Lande ernst gemeint sein soll, dann<br />
müsse die Fertigstellung von Offshore-<br />
Projekten »beschleunigt werden«, sagte<br />
Kuhbier unlängst auf der ersten Zukunftskonferenz<br />
»Wind & Maritim«, die<br />
Ende Mai dieses Jahres in Rostock tagte.<br />
Er plädierte vor über 200 Unternehmensvertretern<br />
aus der Offshore-Windenergie-Branche<br />
für »Realisierungsfahrpläne,<br />
die bei regelmäßigen Treffs aller Beteiligten<br />
überwacht werden können«. Auch<br />
würden standardisierte Projekte einen<br />
erheblichen Zeitgewinn bringen.<br />
Der Vorstandschef der Stiftung Offshore-Windenergie<br />
bilanzierte in Rostock<br />
einen ganzen Reigen an aktuellen<br />
Problemen in der Branche, die zum Belastungstest<br />
für die im Frühjahr 2011 einläutete<br />
Energiewende werden. Denn die<br />
Windenergie – zu Land und auf See – soll<br />
die Rolle des Lastesels in der Energieversorgung<br />
von der kaltgestellten Atomwirtschaft<br />
übernehmen. Insbesondere<br />
bei der Offshore Windenergie läuft noch<br />
nicht alles rund. Bis zum Jahr 2030 sollen<br />
vor Deutschlands Küsten Windparks<br />
mit einer installierten Leistung von insgesamt<br />
25 Megawatt errichtet werden.<br />
Bei den ersten Projekten, vor allem dem<br />
Versuchsfeld »Alpha Ventus« und dem<br />
Windpark »Bard Offshore 1« in der Nordsee,<br />
zeigte sich sehr schnell, dass das<br />
Know-how aus dem Onshore-Bereich<br />
nicht eins zu eins kopiert werden kann<br />
auf hoher See. Die technologischen und<br />
logistischen Herausforderungen sowie<br />
die widrigen Bedingungen auf dem offenen<br />
Meer verteuerten und verzögerten<br />
die Errichtung der bis zu 90 Meter hohen<br />
Windkraftanlagen enorm. Die Investitionen<br />
in größere Parks mit 70 bis 80 Windrädern<br />
haben längst die Milliarden-Marke<br />
übersprungen.<br />
Bei diesen Kapitalvolumina kann es<br />
sehr schnell zu Schadensansprüchen im<br />
zwei- bis dreistelligen Millionenbereich<br />
kommen, berichtete Kuhbier. Erste Fälle<br />
gebe es. Das Fatale daran ist, Haftungsfragen<br />
im Bereich Offshore Windenergie<br />
sind bisher weitestgehend ungeregelt.<br />
Wer zahlt, wenn sich die Errichtung eines<br />
Windparks verspätet und damit die<br />
Erlöse aus der Stromerzeugung ausbleiben,<br />
wenn der Landnetzanschluss nicht<br />
rechtzeitig sichergestellt ist? Hier müsse<br />
umgehend Klarheit geschaffen werden,<br />
mahnte der Stiftungschef, und die Risiken<br />
müssten gerechter verteilt werden,<br />
»zum Beispiel über Versicherungen«. Am<br />
besten sei es aber, »Schadensfälle möglichst<br />
zu vermeiden«.<br />
Kuhbier bezifferte auf der zweitägigen<br />
Konferenz »Wind & Maritim« die Anzahl<br />
der aktuell genehmigten Offshore-<br />
Windparks in Deutschland auf 29. Mit<br />
26 entfällt dabei der Großteil auf die<br />
Nordsee. Vor der deutschen Ostseeküste<br />
sind zurzeit drei neue Projekte genehmigt.<br />
Im Rahmen der Konferenz stellt die<br />
spanische Iberdrola Renovables GmbH<br />
erstmals ihren geplanten Offshore-Windpark<br />
»Wikinger« vor. Das Projekt der Spanier<br />
basiert auf einer früheren Planung<br />
unter anderem Namen. Der Windpark<br />
mit insgesamt 80 Windkraftanlagen soll<br />
30 Kilometer nordöstlich vor der Küste<br />
Rügens entstehen und bereits 2014 ans<br />
Netz gehen.<br />
In verlässlichen politischen und rechtlichen<br />
Rahmenbedingungen für die<br />
Windenergie-Branche sieht auch der Vorsitzende<br />
des in Rostock ansässigen Wind<br />
Energy Network Andree Iffländer den<br />
entscheidenden Schlüssel zur Umsetzung<br />
von Offshore-Bauprojekten. Er deklarierte<br />
diese als elementar, »damit die<br />
Branche im Norden ihre Kompetenz<br />
entfalten kann«. Nach Angaben von Iffländer<br />
ist es bei der Genehmigung von<br />
mehreren Offshore-Windkraft-Projekten<br />
bereits zu Verzögerungen von mehr als<br />
zwei Jahren gekommen, weil beim zuständigen<br />
Bundesamt für Seeschifffahrt<br />
und Hydrographie (BSH) bisher keine der<br />
notwendigen Stellungnahmen des Bundesamtes<br />
für Naturschutz (BfN) einge-<br />
SERVICE AUF SEE: Schnelle Arbeitsschiffe bringen Monteure zu den Meeres-Windmühlen.<br />
38 WIRTSCHAFT & MARKT 07–08/12
BERICHT<br />
gangen sind. Der Network-Manager<br />
bezeichnete dies als »sehr bedenklich«<br />
und wies auf die Folgen für alle Beteiligten<br />
hin: »Die Zeit, die vorn verloren geht,<br />
kann nicht mehr aufgeholt werden.«<br />
Um technologische Probleme frühzeitig<br />
erkennen und beheben zu können,<br />
sind praxisnahe Tests zwingend notwendig.<br />
Das Land Mecklenburg-Vorpommern<br />
will jetzt zusätzliche neue Testeignungsgebiete<br />
an Land und vor der Küste ausweisen,<br />
kündigte Landesenergieminister<br />
Volker Schlotmann (SPD) in Rostock an.<br />
Das entscheidende Plus von neu entwickelten<br />
und effizienteren Anlagen ist:<br />
sie tragen dazu bei, die nach wie vor sehr<br />
hohen Kosten in der Offshore-Windenergie<br />
zu senken. Experten halten eine<br />
Reduzierung um 30 bis 35 Prozent für<br />
machbar. Die Rostocker Firma Gicon arbeitet<br />
beispielsweise an schwimmenden<br />
Fundamenten für Offshore-Windräder,<br />
NETWORK-MANAGER Andree Iffländer.<br />
deutschen Offshore-Windparks, dem<br />
Testfeld »Alpha Ventus« in der Nordsee,<br />
eine Flotte von 60 unterschiedlichen<br />
Seefahrzeugen im Einsatz. Als besonders<br />
problematisch erweist sich der erforderliche<br />
Ausbau von leistungsfähigen<br />
Stromnetzen. Die Netze sind die Achillesferse<br />
der Windenergie.<br />
W&M: Wo klemmt es in dieser entscheidenden<br />
Frage?<br />
FABER: Für den Netzausbau sind Milliarden-Investitionen<br />
notwendig. Es fehlen<br />
zurzeit aber klare Anreize für Kapitalgeber,<br />
Geld in solche Projekte zu stecken.<br />
Leider fühlt sich in Deutschland dafür<br />
auch niemand zuständig. Die Bundesnetzagentur<br />
überwacht lediglich die<br />
Netznutzungsgebühren.<br />
W&M: Konzeptlosigkeit in der Energiewende<br />
wird der Bundesregierung vielfach attestiert.<br />
Wie ist das Netzproblem zu lösen?<br />
FABER: Die massive Nutzung der Windenergie<br />
steht und fällt mit den Netzen.<br />
Auf Bundesebene muss eine eindeutige<br />
zentrale Verantwortlichkeit für den Netzausbau<br />
geschaffen werden. In der Finanzierung<br />
wäre es denkbar, die Bürger als<br />
Mitbetreiber von Netzen ins Boot zu holen.<br />
Sie könnten ähnlich wie beim Bedie<br />
ab einer Wassertiefe von 25 Metern<br />
eingesetzt werden könnten.<br />
Die Konferenz »Wind & Maritim« sollte<br />
nach Angaben von Netzwerkchef<br />
Iffländer auch den Schulterschluss von<br />
Offshore- und maritimer Industrie verstetigen.<br />
»Stromerzeugung auf dem Meer<br />
ist ohne maritime Erfahrungen nicht<br />
machbar.« Fast 100 Mitglieder umfasst<br />
inzwischen das Wind Energy Network,<br />
darunter sind zahlreiche Unternehmen<br />
aus der maritimen Wirtschaft und Zulieferer.<br />
Für die von der schweren Wirtschafts-<br />
und Finanzkrise arg gebeutelten<br />
Werften zeichnen sich in der Offshore-Industrie<br />
neue Marktchancen ab. Die Unternehmen<br />
sind nach dem Wegbrechen<br />
des Containerschiffbaus in Deutschland<br />
gezwungen, sich neu zu orientieren und<br />
mit innovativen Produkten aufzuwarten.<br />
Der Schiffbaubetrieb Nordic Yards mit<br />
Standorten in Wismar und Warnemünde<br />
präsentierte in Rostock das Projekt eines<br />
neuartigen Errichterschiffes. Der »Heavy<br />
Installer« kann komplett vormontierte<br />
Windkraftanlagen an Bord nehmen und<br />
zu den vorbereiteten Fundamenten auf<br />
See transportieren.<br />
Thomas Schwandt<br />
&<br />
INTERVIEW<br />
Netze sind Achillesferse der Windenergie<br />
PROF. TORSTEN FABER (47),<br />
Leiter des Instituts für Windenergietechnik<br />
an der Fachhochschule in Flensburg,<br />
über die Energiewende und fehlende Anreize<br />
für einen zügigen Netzausbau<br />
W&M: Taugt die Windenergie als Generallieferant<br />
von Strom?<br />
FABER: Unter Berücksichtigung der bereits<br />
in Deutschland installierten Leistung<br />
eindeutig ja. Wenn sich bei Windstärke<br />
6 alle Windkraftanlagen zugleich<br />
nur sechs Sekunden lang drehen würden,<br />
entstünde so viel Strom, dass der<br />
Jahresbedarf eines Bürgers für 50 Jahre<br />
gedeckt werden könnte.<br />
W&M: Demnach wäre das Energieproblem<br />
also gelöst?<br />
FABER: Das geschilderte Best-case-Szenario<br />
ist von der Realität weit entfernt. Die<br />
Windenergiebranche in Deutschland<br />
befindet sich derzeit in einer Konsolidierungsphase.<br />
In der Vergangenheit begangene<br />
Fehler werden behoben und es<br />
wird versucht, die entstandenen Probleme<br />
zu lösen.<br />
W&M: Zum Beispiel?<br />
FABER: Offshore-Windkraftanlagen in<br />
der Nordsee zu errichten, stellt sich als<br />
wesentlich teurer und zeitaufwendiger<br />
dar als ursprünglich kalkuliert. Für den<br />
Bau eines Windparks weit draußen auf<br />
dem offenen Meer werden zum Beispiel<br />
nicht nur einige wenige Schiffe benötigt.<br />
So war bei der Errichtung des ersten<br />
trieb von Windmühlen auch am Netzbetrieb<br />
mitverdienen. Es müssen nur<br />
klare Regelungen dafür her.<br />
W&M: Bei der Windenergie setzt die Bundesregierung<br />
stark auf den Offshore-Bereich.<br />
Eine kluge Strategie?<br />
FABER: Ich favorisiere einen soliden<br />
Energiemix. Die Offshore-Windenergie<br />
wird ein wichtiger Baustein der Energiewende<br />
sein. Zu bedenken ist aber, dass<br />
für ein Megawatt installierter Leistung<br />
bei Offshore meist doppelt so viel investiert<br />
werden muss wie bei Anlagen an<br />
Land. Die installierte Leistung auf hoher<br />
See wird insgesamt zunehmen, der<br />
Trend geht zu größeren Anlagen mit<br />
sechs bis zehn Megawatt Leistung. Aktuell<br />
sind fünf Megawatt das Limit. Künftige<br />
Anlagen werden wirtschaftlicher zu<br />
betreiben sein. Übrigens legt der Bund<br />
bei der Windenergie nicht einseitig das<br />
Gewicht auf Offshore. Auf Land und auf<br />
See existieren in Deutschland zurzeit<br />
Windkraftanlagen mit insgesamt rund<br />
30 Gigawatt installierter Leistung. Geplant<br />
ist, die Kapazität bei der Offshore-<br />
Windenergie auf 25 Gigawatt auszubauen<br />
– bis zum Jahr 2030.<br />
Interview: Thomas Schwandt<br />
WIRTSCHAFT & MARKT 07–08/12 39
PORTRÄT<br />
Foto: H. Lachmann<br />
Schwingungs Diagnose Service GmbH<br />
Am lauten Puls der Maschinen<br />
Das Unternehmen im sächsischen Böhlen ist auf die Messung und Bewertung von Schallemissionen<br />
spezialisiert. Die zu begutachtenden Objekte reichen von Kraft- und Arbeitsmaschinen in<br />
Tagebauen und in Kraftwerken bis hin zu Straßenbahnen im lärmbelasteten Großstadtverkehr.<br />
Eine Kreuzung im Leipziger Norden.<br />
In Spitzenzeiten donnert hier, wo<br />
die Lindenthaler die Schumannstraße<br />
quert, alle zwei Minuten eine<br />
Straßenbahn vorbei. Direkt neben den<br />
Gleisen haben Männer in orangenen<br />
Westen ein Mikrofon aufgestellt. Daneben<br />
liegt auf dem Boden ein Messgerät,<br />
das anmutet wie eine verkabelte Gehwegplatte.<br />
Ein Team der Schwingungs Diagnose<br />
Service GmbH (SDS) misst an diesem<br />
Tag für Leipzigs Verkehrsbetriebe<br />
die Schallwellen, die vorbeifahrende<br />
Trams verursachen: Welche Lautstärke<br />
erzeugen sie? Welche Schwingungen wirken<br />
auf das Ohr, welche auf den Bauch?<br />
Werden Grenzwerte überschritten?<br />
Dies zu erkunden sei die Aufgabe ihrer<br />
Ingenieure, erläutert Johannes Köllner,<br />
der technische Geschäftsführer von<br />
SDS. Zu einem späteren Zeitpunkt würden<br />
diese Messungen dann wiederholt,<br />
um geplante Sanierungsmaßnahmen<br />
auf ihren Erfolg zu überprüfen.<br />
OPTIMALER WARTUNGSZEITPUNKT<br />
Straßenbahnen bilden indes nur eines<br />
von zahlreichen Einsatzfeldern der<br />
Schallexperten. Nicht ohne Grund hat<br />
die Firma ihren Sitz in Böhlen, quasi im<br />
Herzen des westsächsischen Energie- und<br />
Braunkohlereviers. Denn die Diagnose<br />
der gewaltigen Kraft- und Arbeitsmaschinen,<br />
Kohleförderbrücken, Chemieanlagen<br />
oder Dampferzeuger ist laut Gattin<br />
Sylvana Köllner das traditionelle Kerngeschäft.<br />
Auch hier werden Laufgeräusche<br />
und Körperschallemissionen unter Lastund<br />
Leistungsbedingungen geprüft.<br />
Mit raffinierter Technik diagnostizieren<br />
die Ingenieure und Techniker kaum<br />
noch wahrnehmbare Parameter wie<br />
Schwingweg, -beschleunigung und -geschwindigkeit,<br />
berichtet die kaufmännische<br />
Geschäftsführerin. Das Einsatzspektrum<br />
wachse unaufhörlich, ergänzt ihr<br />
Mann: »Wir untersuchen Stahlwerkskonstruktionen,<br />
große Wasserpumpen und<br />
Rohrleitungen auf schwingungstechnische<br />
Belastungen.« Zudem wuchte man<br />
Rotoren aus – im eingebauten Zustand<br />
und unter Betriebsbedingungen. Denn<br />
in jedem zweiten Fall verursachten Unwuchten<br />
rotierender Maschinenteile die<br />
unerwünschten Schwingungen – oft verschärft<br />
durch Verschleiß und Korrosion.<br />
»Moderne und leistungsfähige Maschinen<br />
sind ein bedeutender und kostenintensiver<br />
Produktionsfaktor«, weiß Johannes<br />
Köllner. Sicherheit, Zuverlässigkeit<br />
und Verfügbarkeit zählen da umso mehr.<br />
Zugleich sollten die Wartungskosten gering<br />
gehalten werden. Hier greift die<br />
Schwingungsdiagnose. »Wir liefern dem<br />
Betreiber wertvolle Informationen zum<br />
Zustand seiner Anlagen.« Diese könnten<br />
Wartung und Instandhaltung rechtzeitig<br />
planen und zum optimalen Zeitpunkt<br />
durchführen. »Warum soll man intakte<br />
Maschinen vorzeitig stilllegen, um sie zu<br />
warten?«, fragt er. Das verursache unnötige<br />
Kosten und störe die Produktion.<br />
Die Kunst der SDS-Diagnostiker besteht<br />
darin, den optimalen Zeitpunkt für<br />
die nächste Durchsicht zu finden. Keine<br />
Maschine dürfe ungeplant ausfallen, so<br />
Köllner. Der 46-Jährige sieht darin »die<br />
große Herausforderung, der wir uns täglich<br />
mit den Betreibern stellen«. Die eigenen<br />
Leute sind durchweg Spezialisten.<br />
Alles erfahrene Maschinenbauer, die genau<br />
wüssten, wie eine Anlage richtig<br />
tickt und welche Schallemissionen einen<br />
nahenden Schaden ankündigen.<br />
Immer häufiger ist SDS auch im Bausektor<br />
tätig. »Erschütterungen durch<br />
Bautätigkeiten beeinträchtigen Bauwerke,<br />
sie können aber auch den menschlichen<br />
Organismus schädigen«, sagt<br />
Köllner. So charterten viele Kunden die<br />
Böhlener Schallexperten speziell dazu,<br />
Bauarbeiten messtechnisch zu begleiten<br />
– und notfalls Warnzeichen zu geben.<br />
Die Intensität von Baumaßnahmen, etwa<br />
bei Rammarbeiten, solle so gesteuert<br />
werden, dass keine Folgeschäden entstünden<br />
und die gesetzlichen Grenzwerte<br />
eingehalten würden. So könne dann<br />
ein Hausbesitzer später nicht einfach behaupten,<br />
einen Riss in der Fassade habe<br />
die benachbarte Baustelle verursacht.<br />
KUNST DER RICHTIGEN DIAGNOSE<br />
»Poliklinik« steht groß über dem Gebäude,<br />
in dem SDS sein Labor betreibt. Das<br />
ist Zufall und bald auch Geschichte.<br />
Noch dieses Jahr bezieht die Firma ein<br />
neues Gebäude in Zwenkau. Ein Vergleich<br />
mit Ärzten scheint nicht so abwegig.<br />
Wie bei einem Mediziner besteht die<br />
Kunst auch bei SDS darin, aus Symptomen<br />
die richtige Diagnose zu erstellen<br />
und, falls nötig, eine heilende Therapie<br />
einzuleiten. Für Köllners ist die lang-<br />
FAMILIENBETRIEB: Hans-Jürgen Hornisch (M.) mit Tochter und Schwiegersohn.<br />
40 WIRTSCHAFT & MARKT 07–08/12
BERICHT<br />
Foto: Green Ventures<br />
jährige Erfahrung ihrer Ingenieure das<br />
wichtigste Kapital des Unternehmens.<br />
Das Ehepaar steht für die zweite Generation<br />
in der Firma. Zu Jahresbeginn<br />
übernahmen sie das Steuer. Privatisiert<br />
und erfolgreich in die Marktwirtschaft<br />
überführt hatte die frühere Fachabteilung<br />
des Böhlener Chemiekombinates<br />
Hans-Jürgen Hornisch, der Vater von Sylvana<br />
Köllner. 1994 war das. Tochter und<br />
Schwiegersohn lebten damals in Nordrhein-Westfalen.<br />
Hier war die Sächsin gelandet,<br />
nachdem sie 1989 auf abenteuerliche<br />
Weise über die deutsche Botschaft<br />
in Prag gen Westen geflohen war.<br />
Johannes Köllner war zuletzt Produktionsleiter<br />
bei einem mittelständischen<br />
Kunststoffverarbeiter, Sylvana arbeitete<br />
im kaufmännischen Bereich eines Industriebetriebes.<br />
Sie hatten Haus und Kind<br />
und eine Zukunft. Doch Hans-Jürgen<br />
Hornisch, der SDS bis 2011 führte, begann<br />
nach einem Nachfolger zu suchen.<br />
Die Entscheidung zum Umzug in den<br />
Leipziger Raum traf das Paar vor neun<br />
Jahren – rechtzeitig vor der Einschulung<br />
ihrer Tochter. Der Senior nahm sie<br />
schnell in Verantwortung, so dass sie hinreichend<br />
Zeit bekamen, sich in das sehr<br />
spezielle Metier einzuarbeiten. Mittlerweile<br />
lenken und leiten Sylvana und Johannes<br />
Köllner das Unternehmen, das<br />
neun Mitarbeiter hat und pro Jahr gut<br />
700.000 Euro Umsatz erwirtschaftet.<br />
KOOPERATION IN DER FORSCHUNG<br />
Johannes Köllner engagierte sich von Beginn<br />
an auch im Forschungsbereich. SDS<br />
hat einen sehr guten Namen bei wissenschaftlichen<br />
Partnern an verschiedenen<br />
sächsischen Hochschulen und Instituten.<br />
»Es gibt eben kaum Standards für<br />
das, was wir tun«, erzählt er. Ein Teil ihrer<br />
Methoden und Geräte müsse selbst<br />
entwickelt und von der Mannschaft in<br />
praxi stetig verfeinert werden.<br />
Zurzeit arbeite man mit Instituten in<br />
Freiberg und Chemnitz an einem neuen<br />
Mess- und Diagnoseverfahren für industrielle<br />
Thermoprozessanlagen. Damit<br />
ließen sich »über Sensoren zeitgleich optische<br />
Signale und Schwingungsdaten<br />
während des Betriebes erfassen«. Gefördert<br />
werde dieses Vorhaben vom Bund.<br />
»Forschungskooperationen sind für<br />
uns wichtig«, sagt Köllner. »Wir sind in<br />
vielen Branchen unterwegs und sehen<br />
täglich Problemstellungen, für die es weder<br />
Geräte noch Verfahren gibt.« Nur die<br />
gute Idee reiche nicht. Ein klassisches<br />
Budget für Forschung und Entwicklung<br />
könne eine kleine Firma schwer vorhalten.<br />
Ohne die Förderung ließen sich solche<br />
Projekte nicht erfolgreich umsetzen.<br />
Harald Lachmann<br />
&<br />
Unternehmertreffen am Templiner See<br />
Gefragte Kooperationsbörse in Grün<br />
Vertreter von Firmen und Institutionen aus 45 Ländern knüpften<br />
bei den 15. Green Ventures in Potsdam wirtschaftliche Kontakte<br />
International ging es Mitte Juni im<br />
idyllisch zwischen Pirschheide und<br />
Templiner See eingebetteten Seminaris<br />
Seehotel Potsdam zu: Bei den Green<br />
Ventures 2012 trafen sich nach Angaben<br />
des Veranstalters Vertreter von 220 Unternehmen<br />
und Institutionen aus 45 Ländern.<br />
Die Kooperationsbörse der Energieund<br />
Umweltbranche fand zum 15. Male<br />
statt, sie hat sich offenbar als Impulsgeber<br />
etabliert, so Brandenburgs Wirtschaftsminister<br />
Ralf Christoffers.<br />
Zur Auftaktveranstaltung am 14. Juni<br />
hatte René Kohl, Hauptgeschäftsführer<br />
der Industrie- und Handelskammer (IHK)<br />
Potsdam, die Teilnehmer begrüßt. »Das<br />
Kontaktforum legt den Fokus auf Kooperationsprojekte<br />
in den Bereichen Wasser,<br />
Luft und Boden, Energie und Bau sowie<br />
Recycling und regenerative Materialien«,<br />
sagte er. Franzjosef Schafhausen vom<br />
Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz<br />
und Reaktorsicherheit unterstrich<br />
die Vorbildfunktion Deutschlands<br />
bei der Nutzung der Erneuerbaren Energien.<br />
Die Energiewende sei »das zentrale<br />
Projekt der Bundesregierung«.<br />
In Gesprächsrunden nutzten die Unternehmensvertreter<br />
die Gelegenheit,<br />
sich über Investitionen und Konzepte<br />
auszutauschen und die Möglichkeiten<br />
der Zusammenarbeit auszuloten. Die in<br />
Hennigsdorf (Oberhavel) ansässige ZIM<br />
Plant Technology GmbH bietet eine Technologie<br />
an, die mittels Sensoren den<br />
Wasserbedarf von Pflanzen bestimmt.<br />
Firmengründer Ulrich Zimmermann<br />
konnte im vergangenen Jahr die ersten<br />
großen Aufträge verbuchen, die über<br />
frühere Kontakte im Rahmen der Börse<br />
entstanden. »Unsere Sonden werden heute<br />
auf brasilianischen Zuckerrohrfeldern<br />
genutzt. Zum Einsatz in Mangroven-Wäldern<br />
sind wir im Gespräch mit Partnern,<br />
die wir bei der Kooperationsbörse trafen«,<br />
informierte er .<br />
Auf dem Abendempfang des diesjährigen<br />
Partnerlandes Belgien betonte Christoffers:<br />
»Wir kennen die Chancen, aber<br />
auch die Herausforderungen der Energiewende<br />
sehr gut. Deshalb ist der internationale<br />
Austausch besonders wichtig.«<br />
Der Belgische Botschafter Renier Nijskens<br />
sprach vom Nachholbedarf beim<br />
Einsatz grüner Technologien. »Belgien ist<br />
noch nicht so weit wie Deutschland, was<br />
die Umstellung auf regenerative Energiequellen<br />
angeht. Das Land hat sich in<br />
den letzten Jahren jedoch ganz gut entwickelt,<br />
woraus viele Kooperationsmöglichkeiten,<br />
besonders in den Bereichen<br />
Recycling, Abwasser und Erneuerbare<br />
Energien, hervorgehen.«<br />
Ein Highlight der Veranstaltung: die<br />
Venture Capital Börse. Sie zeigte den Unternehmern,<br />
wie sie mit ihren Ideen und<br />
Innovationen auf Investoren zugehen<br />
können. Teilnehmer hatten die Möglichkeit,<br />
Konzepte von Clean Capital London,<br />
einem unabhängigen Londoner Finanzberatungsunternehmen,<br />
prüfen zu lassen<br />
und nach anschließender Beratung<br />
Investoren zu präsentieren. Abschluss<br />
des dreitägigen Forums bildete eine Exkursion<br />
zu Unternehmen und Projekten.<br />
IM DIALOG: Unternehmensvertreter erörtern<br />
Möglichkeiten der Zusammenarbeit.<br />
Im Solarpark Brandenburg-Briest wurde<br />
das von Q-Cells errichtete 91-Megawatt-<br />
Photovoltaik-Kraftwerk mit rund 383.000<br />
kristallinen Solarmodulen besichtigt, im<br />
Premnitzer Industriepark die Anlage von<br />
E.ON Energy from waste sowie die Firstwood<br />
GmbH besucht.<br />
Victor Stimming zog als Präsident des<br />
Veranstalters IHK Potsdam eine positive<br />
Bilanz: »In vielen Gesprächen wurde<br />
deutlich, wie sehr Know-how in den Bereichen<br />
Energie- und Umwelttechnik<br />
nachgefragt wird. Dementsprechend<br />
hoch ist auch das Potenzial für die wirtschaftliche<br />
Zusammenarbeit und Kooperationsprojekte.<br />
Wir freuen uns, dass wir<br />
auch in diesem Jahr vor allem die internationale<br />
Geschäftsanbahnung unterstützen<br />
und als Veranstaltung einen Teil<br />
zur Energiewende beitragen konnten.«<br />
Sten Seliger<br />
WIRTSCHAFT & MARKT 07–08/12 41
Fotos: A. Pröber (4), T. Schwandt<br />
Karls Erlebnis-dorf<br />
Familienspaß<br />
in Erdbeer<br />
Karls Erlebnis-Dorf bei Rostock hat sich in zwei Jahrzehnten zum<br />
beliebtesten Ausflugsziel im Nordosten entwickelt. Erfolgsgeheimnis<br />
ist eine Symbiose aus Erdbeerschmaus und Freizeitvergnügen.<br />
Bauernmarkt und Scheunenromantik<br />
für die Älteren, Abenteuer und<br />
Tiererlebnisse für die Jüngeren. Es<br />
ist der Mix aus Freizeitspaß, Shoppingvergnügen<br />
und Gaumenschmaus, der die<br />
ganze Familie begeistert. Karls Erlebnis-<br />
Dorf in Rövershagen bei Rostock zählt<br />
jährlich über 1,5 Millionen Besucher und<br />
ist in Mecklenburg-Vorpommern das Ausflugsziel<br />
Nummer eins. Nur Rügens »Naturwunder«,<br />
der Königstuhl, lockt mehr<br />
Touristen-Busse im nordöstlichen Bundesland<br />
an. Aber auch diesen Superlativ<br />
will Karls Erlebnis-Dorf bald erreichen,<br />
sagt Marketingchefin Nadja Schriever.<br />
Mit landläufigen Freizeitparks lässt<br />
sich Karls Erlebnis-Dorf nicht vergleichen.<br />
Das beginnt bereits beim freien<br />
Eintritt ins Dorf. Der Besucher befindet<br />
sich nach wenigen Schritten mitten auf<br />
einem Marktplatz. Hier bekommt der<br />
Gast, was Hof und Garten an frischen<br />
Produkten zu bieten haben. Von Mai bis<br />
September dominieren frisch gepflückte<br />
Erdbeeren das bunte Treiben. Hunderte<br />
Körbchen finden täglich ihre Abnehmer.<br />
Es gibt Erdbeerkuchen, Erdbeer-Getränke<br />
und Erdbeerbrot. Rustikale Tische<br />
und Bänke laden zum Schlemmen ein.<br />
Freunde der regionalen Küche entdecken<br />
die typisch einheimischen Gerichte – je<br />
nach Jahreszeit stehen Spargel, Fisch<br />
oder Grünkohl auf der Karte. Frisch zubereitet<br />
in »Friedas Hofküche«, werden die<br />
Gerichte auf farbenfroher Bunzlauer Keramik<br />
serviert.<br />
Die ganze Familie ist eingeladen zu<br />
schmecken und zu schauen, was das<br />
Meckelbörger Leben traditionell prägte<br />
und prägt. Auf einem großen Gelände<br />
mit Scheunen und Ställen gibt es Pferde,<br />
Esel, Ziegen, Kühe, Schweine und Kaninchen,<br />
und fast jedes Tier lässt sich von<br />
den Kindern streicheln. Nur in der »Mäuseküche«<br />
finden sich die kleinen Nager<br />
hinter Glas, und jeder kann beobachten,<br />
was sie in Spüle oder Küchenschrank<br />
treiben.<br />
Mit einem Original-Traktor geht es<br />
auf Schienen für Groß und Klein quer<br />
durchs Dorfgetümmel. Wer mag, kann<br />
sich aus zehn Metern Höhe eine Kartoffelsackrutsche<br />
hinunterstürzen oder<br />
einen »Fliegenden Kuhstall« erleben.<br />
66 Attraktionen zählt die Erlebniswelt,<br />
zu der saisonbezogen eine Eis- oder Sandwelt,<br />
ein Mais-Labyrinth und vieles mehr<br />
gehören. Das neueste Highlight ist eine<br />
Kletterwelt für Kinder und Erwachsene<br />
unter dem Scheunendach.<br />
Bei den Jüngsten ganz hoch im Kurs<br />
ist jedoch Käpt’n Karls Tobeland auf 600<br />
Quadratmetern – ein Indoorspielplatz,<br />
der bis zum Dach reicht. Eltern und<br />
Großeltern können derweil bei einem<br />
gemütlichen Kaffeekränzchen die gewaltige<br />
Kaffeekannen-Sammlung bestaunen.<br />
Über 23.000 Exemplare stehen aufgereiht<br />
in den Regalen und haben Karls<br />
Erlebnis-Dorf im Jahr 2009 den Eintrag<br />
ins Guinness-Buch der Rekorde einge-<br />
42 WIRTSCHAFT & MARKT 07–08/12
BERICHT<br />
EINTRITT FREI: Ländliches Vergnügen.<br />
bracht. Schauen kann der Gast aber auch<br />
in die Bäckerei, die Marmeladenküche<br />
oder in die Bonbon-Manufaktur. »Wir erinnern<br />
an alte Traditionen und alte<br />
Handwerkskunst. Bei uns bekommt der<br />
Kunde in liebevoller Handarbeit gefertigte<br />
Produkte aus besten Rohstoffen, einfach<br />
etwas Besonderes«, schwärmt Nadja<br />
Schriever. Im größten Bauernmarkt<br />
Deutschlands findet der Besucher fast<br />
alles, was die Region auszeichnet – von<br />
Wurst- und Käseprodukten, einem besonderen<br />
Tröpfchen bis hin zu maritimen<br />
Mitbringseln und ländlicher Dekoration.<br />
Karls Erlebnis-Dorf fügt sich ein in die<br />
über 90-jährige Unternehmergeschichte<br />
der Familie Dahl. 1921 legte Großvater<br />
Karl Dahl in Bentwisch vor den Toren von<br />
Rostock mit einem Landwirtschaftsbetrieb<br />
den Grundstein zum Erfolg. Er<br />
bot frisches Obst und Gemüse auf den<br />
Wochenmärkten an und belieferte namhafte<br />
Gast- und Logierhäuser.<br />
Nach dem Krieg verschlug es die Familie<br />
nach Schleswig-Holstein, wo Sohn<br />
Karl-Heinz in Warnsdorf bei Lübeck<br />
ebenfalls Obstanbau betrieb. Er hatte<br />
sich als Vertragsbauer an einen Schwartauer<br />
Konfitüren-Hersteller gebunden<br />
und belieferte diesen mit Erdbeeren. Als<br />
sich 1989 die Grenzen öffneten, kauften<br />
die Schwartauer fortan nur noch billigere<br />
polnische Erdbeeren. Karl-Heinz<br />
Dahl musste komplett umstellen auf<br />
eigenen Direktvertrieb. Erdbeeren konnten<br />
nun auf dem Hof und später vielerorts<br />
in den inzwischen legendären Verkaufsständen<br />
im Erdbeer-Design gekauft<br />
werden.<br />
Die heranwachsenden Kinder Ulrike<br />
und Robert Dahl teilten schon bald die<br />
Leidenschaft für das Erdbeer-Geschäft.<br />
Während Ulrike Dahl in Warnsdorf die<br />
Geschicke in die Hand nahm, wandelte<br />
Robert Dahl nach der Wende auf den<br />
Spuren seines Großvaters. Er startete Mitte<br />
1993 in Rövershagen, nur wenige Kilometer<br />
entfernt von Bentwisch und dem<br />
einstigen Sitz des großelterlichen Betriebes,<br />
in die Selbstständigkeit. Der junge<br />
Obstbauer legte los mit einer Scheune,<br />
einem alten DDR-Bauwagen, provisorischem<br />
Telefonanschluss und einigen<br />
Stehtischen. Ideen, Mut und Entschlossenheit<br />
zahlten sich aus. Heute werden<br />
auf über 200 Hektar Erdbeeren angebaut.<br />
In der Spitze bieten 650 Verkäuferinnen<br />
die Früchte feil. Bis zu 2.000 Beschäftigte<br />
zählt der Betrieb in der Saison, 200 sind<br />
ganzjährig fest angestellt.<br />
Fragt man Besucher nach ihren Eindrücken,<br />
sind die Erdbeeren nur eine<br />
wunderbare Köstlichkeit am Rande. Die<br />
Erlebniskultur ist der Magnet. Das Geschäftsmodell<br />
floriert. Karls Erlebnis-<br />
Dorf gibt es seit kurzem auch auf der<br />
Insel Rügen. Bei Zirkow, an der Straße<br />
zu den Ostseebädern, können Familien<br />
ebenfalls »Friedas Hofküche« genießen<br />
und gemeinsam Abenteuer auf einem<br />
Bauernhof erleben. Auf der Insel Usedom<br />
soll bald Karl der Dritte folgen.<br />
Anette Pröber<br />
&<br />
PORTRÄT<br />
ROBERT DAHL, Inhaber von<br />
Karls Erlebnis-Dorf in Rövershagen<br />
Den Leuten eine<br />
Freude machen<br />
Bereits als 12-Jähriger hatte Robert Dahl<br />
für sich entdeckt, dass es einen gewissen<br />
Reiz habe, selbstständig etwas zu unternehmen.<br />
Kirschbaumzweige aus dem<br />
elterlichen Obstanbaubetrieb im ostholsteinischen<br />
Warnsdorf verkaufte er auf<br />
der Straße und erfuhr dabei ungewohnte<br />
Genugtuung: »Es fühlte sich gut an,<br />
den Leuten eine Freude zu machen.«<br />
Eine Motivation, die er sich bewahrt hat.<br />
Mit zehn Hektar Ackerland in Rövershagen<br />
bei Rostock startete der heute<br />
41-Jährige vor gut 20 Jahren den eigenen<br />
Erdbeer-Anbaubetrieb. Es wurde eher<br />
zufällig – die Bodenverwertungs- und<br />
-verwaltungs GmbH bot die Fläche zum<br />
Kauf an – eine Reise zu den Wurzeln der<br />
Familie Dahl in Ostdeutschland. »Mein<br />
Großvater Karl hatte in Bentwisch nahe<br />
Rövershagen 1921 einen Gemüse-Anbaubetrieb<br />
gegründet und bis zur Flucht in<br />
den Westen nach dem Krieg betrieben.«<br />
Eigene Ernte selbst vermarkten und zudem<br />
den Kunden Unterhaltung und<br />
Spaß bieten, dieses Geschäftsmodell<br />
kopierte Robert Dahl von den »Farmers’<br />
Markets« in den USA. Mit dem Vater hatte<br />
er häufig Kalifornien besucht, wo die<br />
Erdbeer-Anbauer als »Taktgeber der<br />
Entwicklung in der Branche« gelten.<br />
Das habe Spuren hinterlassen, sagt der<br />
dreifache Familienvater.<br />
Heute hat Karls Erlebnis-Dorf direkt an<br />
der Bundesstraße 105 zwischen Rostock<br />
und Ribnitz-Damgarten die Dimension<br />
großer »Farmers’ Markets« erreicht. Gut<br />
1,5 Millionen Besucher strömen jährlich<br />
in den ländlich geprägten Vergnügungskomplex.<br />
Dorf-Eigner Robert Dahl sucht<br />
permanent nach neuen Ideen und Impulsen,<br />
denn »die Menschen sollen sich<br />
wohlfühlen« in seinem Erdbeer-Reich.<br />
Thomas Schwandt<br />
WIRTSCHAFT & MARKT 07–08/12 43
W&M-SERVICE<br />
DAS<br />
THEMA<br />
URLAUB<br />
Fristen für<br />
Ansprüche<br />
Der Anspruch auf eine Abgeltung<br />
des Urlaubs war bisher<br />
zeitlich befristet. Doch nun<br />
gibt es eine Kehrtwende.<br />
Der Erholungsurlaub muss laut<br />
Paragraf 7 Abs. 3 Satz 1 des Bundesurlaubsgesetzes<br />
im laufenden<br />
Kalenderjahr gewährt und<br />
genommen werden. Eine Übertragung<br />
des Urlaubs auf das<br />
nächste Kalenderjahr ist nur erlaubt,<br />
wenn dringende betriebliche<br />
oder persönliche Gründe<br />
vorliegen. Im Fall der Übertragung<br />
muss der Urlaub in den<br />
ersten drei Monaten des folgenden<br />
Kalenderjahres gewährt<br />
und genommen werden.<br />
Diese Befristung galt bisher<br />
grundsätzlich auch für den<br />
Anspruch auf Abgeltung des<br />
Urlaubs. Denn der Abgeltungsanspruch<br />
wurde in der Rechtsprechung<br />
als Ersatz (Surrogat)<br />
verstanden, wenn der Urlaub<br />
wegen einer Beendigung des Arbeitsverhältnisses<br />
nicht mehr<br />
genommen werden konnte.<br />
Im vorliegenden Fall war das<br />
Arbeitsverhältnis eines Managers<br />
am 31. Juli 2008 geendet.<br />
Dem Kläger standen zu diesem<br />
Zeitpunkt 16 Tage Urlaub zu.<br />
Mit einem Schreiben vom 6. Januar<br />
2009 verlangte er von der<br />
Firma erfolglos, diesen Urlaub<br />
abzugelten.<br />
Der Abgeltungsanspruch des<br />
Klägers sei nicht am 31. Dezember<br />
2008 untergegangen, entschieden<br />
nun die Richter des<br />
Bundesarbeitsgerichts (Az. 9<br />
AZR 652/10). Der gesetzliche<br />
Urlaubsabgeltungsanspruch<br />
unterlege als reiner Geldanspruch<br />
nicht dem Fristenregime<br />
des Bundesurlaubsgesetzes.<br />
Der Kläger musste deshalb die<br />
Abgeltung seines Urlaubsanspruchs<br />
nicht im Urlaubsjahr<br />
2008 verlangen. Das Bundesarbeitsgericht<br />
hält mit dieser<br />
Entscheidung nicht mehr an<br />
bisher gültigen so genannten<br />
Surrogatstheorie fest.<br />
KÜNDIGUNG<br />
Immer unter<br />
Beobachtung<br />
IM UNTERNEHMEN<br />
Eine Verkäuferin entwendete<br />
Zigarettenpackungen<br />
und wurde dabei von einer<br />
Videokamera beobachtet.<br />
Dies kann auch nach längerer<br />
Betriebszugehörigkeit zur<br />
Kündigung führen. Wurde die<br />
Tat durch eine verdeckte Videoüberwachung<br />
entdeckt,<br />
kann das Beweismaterial allerdings<br />
nicht ohne Weiteres<br />
verwertet werden. Es gilt, das<br />
Interesse des Arbeitgebers<br />
und den Schutz des informationellen<br />
Selbstbestimmungsrechts<br />
der Arbeitnehmerin<br />
abzuwägen. Bei verdeckter Videoüberwachung<br />
muss der<br />
konkrete Verdacht einer strafbaren<br />
Handlung oder einer<br />
anderen schweren Verfehlung<br />
bestehen und es keine Möglichkeit<br />
zur Aufklärung durch<br />
weniger einschneidende Maßnahmen<br />
geben. Unter diesen<br />
strengen Voraussetzungen<br />
wiederum stehen Vorschriften<br />
des Bundesdatenschutzgesetzes<br />
(BDSG) der verdeckten<br />
Videoüberwachung auch an<br />
öffentlich zugänglichen Arbeitsplätzen<br />
nicht entgegen<br />
(Bundesarbeitsgericht, Az. 2<br />
AZR 153/11).<br />
KRIMINALITÄT<br />
WERBUNG<br />
Hersteller<br />
schmierte ab<br />
Ein Produkt eines Herstellers<br />
von Fahrradschlössern<br />
wurde von der Stiftung<br />
Warentest gut beurteilt.<br />
Dies geschah im Jahr 2007. Im<br />
Jahr 2008 unterzog die Stiftung<br />
Warentest das Schloss<br />
einem Nachtest. Diesmal fiel<br />
das Produkt durch. Der negative<br />
Test erschien unter der<br />
Überschrift »S.. schmiert ab«.<br />
Gleichwohl bewarb die Firma<br />
ihr Produkt auch danach<br />
noch unter Hinweis auf die<br />
im Jahr 2007 erfolgte gute Bewertung.<br />
Der klagende Verbraucherschutzverein<br />
hat von<br />
der Beklagten u. a. die Unterlassung<br />
dieser Werbung verlangt.<br />
Das Pfälzische OLG<br />
Zweibrücken (Az. 4 U 17/10)<br />
hat die Beklagte nunmehr zur<br />
Unterlassung der Werbung<br />
mit dem überholten Testergebnis<br />
verurteilt. Zur Begründung<br />
hat es ausgeführt,<br />
die Werbung mit später ausdrücklich<br />
revidierten Testergebnissen<br />
sei irreführend.<br />
Ein Kunde werde ohne weiteres<br />
davon ausgehen, dass ihm<br />
nicht verschwiegen werde,<br />
wenn eine frühere Testbewertung<br />
nicht mehr aktuell sei.<br />
In Magdeburg grassiert der Fahrradklau<br />
In der Radler-Hochburg Münster werden fleißig Drahtesel gestohlen.<br />
Aber auch in Magdeburg sollten sich Radler nicht zu sicher sein.<br />
Stadt Diebstahl je<br />
100.000 Ew.<br />
Münster 1.756<br />
Bremen 1.156<br />
Lübeck 1.124<br />
Magdeburg 1.076<br />
Freiburg 1.036<br />
Quelle: Geld.de<br />
Stadt Diebstahl je<br />
100.000 Ew.<br />
Chemnitz 268<br />
Bochum 210<br />
Wiesbaden 191<br />
Stuttgart 181<br />
Wuppertal 79<br />
URTEIL AKTUELL<br />
Der Fall und DIE FOLGEN<br />
Kita-Kinder<br />
werfen Steine<br />
DER FALL: Der Inhaber einer<br />
Firma stellte sein Fahrzeug<br />
am Rande des Außenbereichs<br />
einer Kindertagesstätte ab und<br />
begab sich in das nebenstehende<br />
Gebäude. Auf dem Freigelände<br />
der Kita hielt sich eine<br />
Gruppe von acht Kindern auf,<br />
die von einer Erzieherin betreut<br />
wurden. Drei Kinder verließen<br />
die Gruppe und begaben<br />
sich in Richtung des<br />
Außenzaunes. Sie nahmen Steine<br />
in die Hand und warfen diese<br />
gegen das parkende Auto des<br />
Klägers. Es handelte sich um so<br />
viele Steine, dass insgesamt 21<br />
Dellen im Fahrzeug festgestellt<br />
wurden.<br />
DAS URTEIL: Die Stadt<br />
muss dem Kläger Schadensersatz<br />
wegen der Beschädigung<br />
seines Autos durch Kindergartenkinder<br />
zahlen. Dies hat der<br />
1. Zivilsenat des Oberlandesgerichts<br />
Koblenz entschieden (Az.<br />
1 U 1086/11). Die Erzieherinnen<br />
der betreffenden Kita hätten in<br />
dem speziellen Einzelfall ihre<br />
Aufsichtspflicht verletzt.<br />
DIE FOLGEN: Eine permanenten<br />
Überwachung von Kinder<br />
ist in einer Kita nicht zu gewährleisten.<br />
Für die Frage der<br />
Aufsichtspflichtverletzung ist<br />
der Einzelfall entscheidend.<br />
Lockere große Kieselsteine, ein<br />
durchlässiger Zaun – in diesem<br />
Fall habe ein konkretes Gefahrenpotenzial<br />
für fremdes Eigentum<br />
vorgelegen. Wenn sich<br />
drei Kinder aus der Gruppe entfernen,<br />
dürften diese nicht<br />
länger unbeobachtet bleiben.<br />
Fazit der Richter: In einem solchen<br />
Fall der Amtshaftung<br />
müsse grundsätzlich die Kommune<br />
beweisen, dass die Erzieherinnen<br />
ihre Aufsichtspflicht<br />
erfüllt haben.<br />
Dies ist allerdings umstritten:<br />
Andere Obergerichte sehen<br />
den Geschädigten in der<br />
Pflicht, auch die Verletzung<br />
der Aufsichtspflicht beweisen<br />
zu müssen.<br />
44 WIRTSCHAFT & MARKT 07–08/12
W&M-SERVICE<br />
UNTERHALT<br />
Auch Kinder<br />
haben Hobbys<br />
Von geschiedenen Eheleuten,<br />
die Kinder betreuen,<br />
wird oft eine Vollzeittätigkeit<br />
verlangt.<br />
Sie sollen damit selbst für ihren<br />
Lebensunterhalt sorgen.<br />
Aber Kinder haben auch Freizeitaktivitäten.<br />
Wie sind<br />
diese mit der Arbeit des Erziehungsberechtigten<br />
zu vereinbaren?<br />
Im verhandelten Fall<br />
gab die geschiedene Ehefrau<br />
stundenweise Klavierunterricht.<br />
Bis zum frühen Nachmittag<br />
waren die Kinder in<br />
der Schule, anschließend<br />
fuhr die Mutter sie zu entfernt<br />
gelegenen Sportstätten.<br />
Der BGH (Az. XII ZR 65/10) hat<br />
dies anerkannt und eine<br />
Berufstätigkeit im Umfang von<br />
30 Stunden in der Woche als<br />
ausreichend erachtet. Da die<br />
Familie auf dem Land lebe,<br />
müsse die Mutter die Kinder<br />
zum Sport fahren. Dies sei ein<br />
kindbezogener Grund, der<br />
eine Vollzeittätigkeit der Mutter<br />
ausschließe.<br />
DIE MEINUNG DES EXPERTEN<br />
RECHT IM ALLTAG<br />
BANKEN<br />
Unberechtigte<br />
Gebühren<br />
Die Benachrichtigung über<br />
eine nicht ausgeführte Buchung<br />
dürfen Banken nicht<br />
in Rechnung stellen.<br />
Banken dürfen von ihren Kunden<br />
keine Gebühr verlangen,<br />
wenn sie bei einer Einzugsermächtigung<br />
eine Buchung<br />
nicht ausführen und den Kunden<br />
darüber benachrichtigen.<br />
Die Richter des BGH erklärten<br />
eine entsprechende Klausel in<br />
Bankkundenverträgen für unwirksam<br />
(Az. XI ZR 290/11).<br />
Wie der BGH allerdings ebenfalls<br />
mitteilte, sollen die Allgemeinen<br />
Geschäftsbedingungen<br />
der Kreditwirtschaft Anfang<br />
Juli geändert werden.<br />
Dabei werde das Verfahren der<br />
Einzugsermächtigung neu geregelt.<br />
Nach dieser geplanten Änderung<br />
könnten die Banken wieder<br />
Gebühren für die Nichteinlösung<br />
verlangen, Grund:<br />
Es muss eine vorherige Autorisierung<br />
durch den Kunden<br />
vorliegen.<br />
WERBUNG<br />
Papierflut im<br />
Briefkasten<br />
Der Briefkasten ist zum Werbekasten<br />
geworden. Werbeprospekte<br />
und Anzeigenblätter<br />
sorgen für Ärger.<br />
Der »Keine Werbung«-Aufkleber<br />
hilft nicht immer. Es wird<br />
grundsätzlich zwischen der<br />
reinen Briefkastenwerbung<br />
und der Lieferung von Gratiszeitung<br />
mit redaktionellem<br />
Inhalt und losen Werbebeilagen<br />
unterschieden. »Das heißt<br />
nichts anderes, als dass kostenlose<br />
Anzeigenblätter, die neben<br />
viel Werbung auch einige<br />
kleine Artikel enthalten,<br />
trotzdem eingeworfen werden<br />
dürfen«, informiert Friederike<br />
Wagner von der Verbraucherzentrale<br />
Sachsen.<br />
Wer dies verhindern möchte,<br />
sollte sich an den Verlag wenden.<br />
Das Landgericht Lüneburg<br />
(Az. 4 S 44/11) urteilte,<br />
dass sich das Unternehmen<br />
daran halten muss und der<br />
Verbraucher dann nicht extra<br />
einen weiteren Aufkleber<br />
anbringen muss.<br />
➔<br />
Recht KOMPAKT<br />
NOTARE<br />
Nur in Deutschland<br />
Ein Berliner Notar ist mit dem Vorhaben<br />
gescheitert, Beurkundungen<br />
nach deutschem Recht in sämtlichen<br />
EU-Staaten zu erzwingen.<br />
Ein Berliner Notar hat vor dem Berliner<br />
Kammergericht mit seinem Ansinnen,<br />
eine Genehmigung für die Vornahme<br />
von Beurkundungen nach<br />
deutschem Recht und in deutscher<br />
Sprache in sämtlichen EU-Mitgliedsstaaten<br />
außerhalb Deutschlands zu<br />
erhalten, keinen Erfolg gehabt (Kammergericht<br />
Berlin, Az. Not 27/11).<br />
Der Notar hatte gegenüber der Notarabteilung<br />
der Präsidentin des Kammergerichts<br />
angekündigt, im Oktober<br />
2011 in Rotterdam eine derartige Beurkundung<br />
vornehmen zu wollen und<br />
vorsorglich eine europaweite Genehmigung<br />
für vergleichbare Beurkundungstätigkeit<br />
beantragt. Im März<br />
2012 verlangte er die Genehmigung<br />
für die Beurkundung der Generalvollmacht<br />
eines in Den Haag lebenden<br />
deutschen Staatsbürgers. Nach Ablehnung<br />
beider Anträge erhob er erfolglos<br />
Klage. Der Notar habe weder<br />
einen Anspruch auf Genehmigung<br />
der Einzelbeurkundung in Den Haag<br />
noch auf Erteilung einer generellen<br />
Genehmigung. Die Bundesnotarordnung<br />
eröffne eine Genehmigungsmöglichkeit<br />
nur in besonderen Ausnahmefällen,<br />
die nicht vorlägen. Europarechtliche<br />
Regelungen führten zu<br />
keiner anderen Beurteilung. Es bestehe<br />
auch keine Veranlassung, die<br />
Sache zur Durchführung eines Vorabentscheidungsverfahrens<br />
dem Europäischen<br />
Gerichtshof vorzulegen.<br />
Kein Anschluss unter dieser Nummer<br />
Von MATTHIAS SALM,<br />
Wirtschaftsjournalist, Berlin<br />
Die moderne Technik kann Fluch und Segen<br />
zugleich sein. Wer immer und überall erreichbar<br />
sein will, auch am Wochenende, muss damit<br />
rechnen, dass nicht nur Verwandte und Freunde,<br />
sondern auch das Unternehmen den direkten<br />
Draht über das Handy nutzt. Arbeiten überall<br />
und rund um die Uhr – was die Werbung<br />
als Statussymbol einer mobilen Gesellschaft<br />
feiert, kann aber schnell auch zur Überlastung<br />
führen. Smartphones machen es möglich.<br />
Das mobile Endgerät gleicht ständig Daten mit<br />
dem Netzwerkrechner im Betrieb ab und leitet<br />
E-Mails auch außerhalb der Bürozeiten an den<br />
Empfänger weiter. 88 Prozent der Berufstätigen<br />
sind einer Bitkom-Umfrage von 2011 zufolge<br />
auch außerhalb ihrer Arbeitszeit per Handy<br />
oder E-Mail erreichbar. Da hat das Wort Feierabend<br />
längst seine Bedeutung verloren. Bundesarbeitsministerin<br />
Ursula von der Leyen hat<br />
dieses Problem nun thematisiert und »psychischen<br />
Arbeitsschutz« eingefordert. Volkswagen<br />
z. B. war sich des Problems schon länger bewusst:<br />
Dort hat der Betriebsrat eine »Blackberry-Pause«<br />
nach Feierabend durchgesetzt.<br />
Nach Dienstschluss schaltet sich die E-Mail-<br />
Funktion automatisch ab. In den meisten Betrieben<br />
aber fehlt es an Regeln, wie mit solchen<br />
Informationen außerhalb der Dienstzeit umgegangen<br />
werden soll. Diese einzuführen, ist aber<br />
wohl eher eine betriebliche Angelegenheit als<br />
eine Aufgabe des Gesetzgebers. Und letztlich<br />
muss sich auch der Arbeitnehmer hinterfragen,<br />
wenn er die ständige Erreichbarkeit als Ausdruck<br />
seiner Leistungsbereitschaft wertet.<br />
DISKRIMINIERUNG<br />
Rechtzeitig reagieren<br />
Wer eine berufliche Diskriminierung<br />
nach dem Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz<br />
geltend machen will,<br />
muss Fristen einhalten.<br />
Zu beachten ist für alle Ansprüche auf<br />
Schadensersatz die Zweimonatsfrist<br />
des Paragrafen 15 Abs. 4 AGG. Wird<br />
eine Bewerbung abgelehnt, so beginnt<br />
die Frist in dem Moment, in dem<br />
der Bewerber von der Benachteiligung<br />
Kenntnis erlangt. Leer ging eine Klägerin<br />
aus, die sich im November<br />
2007 vom Text einer Stellenanzeige<br />
diskriminiert fühlte. Dort suchte eine<br />
Firma für ihr »junges Team in der City<br />
motivierte Mitarbeiter/innen« im Alter<br />
von 18 bis 35 Jahren. Die 41jährige<br />
Klägerin erhielt im November 2007<br />
auf ihre Bewerbung eine Absage. Die<br />
Klage wegen Altersdiskriminierung<br />
am 29. Januar 2008 kam zu spät<br />
(BAG, Az. 8 AZR 188/11).<br />
WIRTSCHAFT & MARKT 07–08/12 45
W&M-SERVICE<br />
DAS<br />
THEMA<br />
INTERVIEW<br />
GELDANLAGE<br />
Fonds wird<br />
geschlossen<br />
Worauf Anleger im Fall<br />
einer Fondsschließung<br />
achten sollten, erklären<br />
Verbraucherschützer.<br />
Eigentlich haben offene Investmentfonds<br />
eine unbegrenzte<br />
Laufzeit. Doch manchmal<br />
schließen Anbieter ihr Fondsprodukt<br />
wegen mangelnder<br />
Rentabilität. In der Regel müssen<br />
Fondsgesellschaften eine<br />
Schließung 13 Monate vorher<br />
ankündigen – im Bundesanzeiger<br />
und im Jahres- oder<br />
Halbjahresbericht. Es gibt drei<br />
Optionen: Ist der Fonds nur<br />
vorübergehend geschlossen,<br />
können Anteilseigner laut Verbraucherzentrale<br />
Nordrhein-<br />
Westfalen abwarten und auf<br />
Besserung hoffen. Allerdings<br />
sollten Anleger zum Beispiel<br />
bei offenen Immobilienfonds<br />
bis zu 30 Monate Geduld mitbringen.<br />
Zweite Option: Die<br />
Anteile an der Börse verkaufen.<br />
Dabei müssen Anleger jedoch<br />
mit teils deutlichen Verlusten<br />
rechnen. Ist eine endgültige<br />
Schließung angekündigt, können<br />
Investoren die Anteile entweder<br />
sofort verkaufen oder<br />
sich nach der Fondsauflösung<br />
auszahlen lassen. Dritte Möglichkeit:<br />
Die Fondsgesellschaft<br />
macht ein Umtauschangebot.<br />
In diesem Fall können Anleger<br />
ihre betroffenen Anteile gegen<br />
die Anteile eines anderen<br />
Fonds eintauschen. Dasselbe<br />
gilt für die Neuanlage des Geldes<br />
bei einem Umtausch.<br />
Tipps der Verbraucherschützer<br />
bei Umtauschangeboten:<br />
Ausgabeaufschlag: Bei einer<br />
Fondsschließung sollte der<br />
Umtausch kostenfrei sein,<br />
schließlich erfolgt er nicht<br />
freiwillig. Gebühren: Investoren<br />
sollten sich über die Höhe<br />
der Gebühren des neuen Fonds<br />
informieren und Angebote mit<br />
erfolgsabhängiger Vergütung<br />
(Performance Fee) meiden.<br />
Mehr Infos: www.vz-nrw.de/<br />
fondsschließung, www.test.de<br />
GESUNDHEIT<br />
Älter und<br />
dynamischer<br />
Ein weiteres Wachstum des<br />
Gesundheitssektors<br />
prophezeien die Experten<br />
der Deutschen Bank.<br />
So soll bis 2020 die Gesundheitswirtschaft<br />
in Deutschland<br />
ihren Anteil am Bruttoinlandsprodukt<br />
von heute<br />
11,5 Prozent auf bis zu 13 Prozent<br />
steigern.<br />
Das habe zum einen mit einem<br />
zunehmenden Gesundheitsbewusstsein<br />
und zum<br />
anderen mit der demografischen<br />
Entwicklung zu tun:<br />
Die Zahl der über 65-Jährigen<br />
steige bis 2050 von 16,8 Millionen<br />
auf über 23 Millionen<br />
Deutsche. So entstehe ein in<br />
Zukunft noch größerer Bedarf<br />
an Gesundheitsgütern<br />
und -leistungen. Profitieren<br />
sollen Anbieter wie Krankenhäuser<br />
oder Arztpraxen. Vor<br />
allem private Krankenhäuser<br />
seien bisher Gewinner des<br />
Strukturwandels auf dem<br />
Krankenhausmarkt.<br />
Die Analysten von Close<br />
Brothers Seydler empfehlen<br />
die Prime-Standard-Aktie der<br />
Marseille-Kliniken zum Kauf.<br />
AKTIENMARKT<br />
BAUBRANCHE<br />
Stein auf Stein<br />
gegen die Krise<br />
Mit vier Prozent Umsatzwachstum<br />
2012 rechnet<br />
der Branchenverband<br />
Deutsche Bauindustrie.<br />
Laut Verbandspräsident Thomas<br />
Bauer habe die Branche<br />
mit dem starken Jahresauftakt<br />
erfolgreich an 2011 anknüpfen<br />
können. Vor allem<br />
das Bauhauptgewerbe werde<br />
weiter wachsen. Sowohl der<br />
Wohnungs- als auch der Wirtschaftsbau<br />
sowie der öffentliche<br />
Bau legten in den vergangenen<br />
Monaten bei den<br />
Auftragseingängen zu.<br />
Zurückzuführen sind die<br />
positiven Zahlen auf gestiegene<br />
Investitionstätigkeiten der<br />
Unternehmen und den Run<br />
auf Immobilien durch die Finanzkrise.<br />
In Deutschland<br />
sind die Preise für Wohneigentum<br />
wegen der Inflationsangst<br />
und niedrigen Zinssätzen<br />
zuletzt kräftig gestiegen.<br />
Eine Empfehlung sprechen<br />
die Experten von Equinet dem<br />
MDax-Papier Hochtief AG aus.<br />
Den Baudienstleister sehen<br />
sie bei einem Kursziel von 67<br />
Euro als klaren Kauf.<br />
DAX BÖRSENSTARS<br />
+<br />
WKN 520000 Beiersdorf + 16,32%<br />
WKN 578560 Fresenius + 15,97%<br />
WKN 604843 Henkel + 09,92%<br />
WKN 578580 Fresenius Medical Care + 09,11%<br />
WKN 716460 SAP + 04,72%<br />
Beiersdorf: Der Kosmetikhersteller profitiert weiterhin von guten Zahlen und einer<br />
Sortimentsbereinigung.<br />
Kurs-Performance 1 Jahr; Schluss: 25.06.2012<br />
DAX BÖRSENFLOPS<br />
–<br />
WKN 750000 ThyssenKrupp - 64,17%<br />
WKN 803200 Commerzbank - 55,49%<br />
WKN 725750 Metro - 44,97%<br />
WKN KSAG88 K+S - 39,89%<br />
WKN 823212 Deutsche Lufthansa - 37,81%<br />
ThyssenKrupp: Das Vorsteuerergebnis des Stahlkonzerns verringerte sich im ersten<br />
Halbjahr (10/11 – 03/12) konjunkturbedingt deutlich. Der Verkauf ausländischer Werke<br />
soll Besserung bringen. Kurs-Performance 1 Jahr; Schluss: 25.06.2012<br />
Quelle: W&M, ohne Gewähr<br />
DR. EUGEN<br />
LÖFFLER,<br />
Allianz Global<br />
Investors, zu<br />
asiatischen<br />
Anleihen<br />
Bis zu acht Prozent<br />
W&M: Herr Löffler, was macht<br />
Asien-Anleihen attraktiv?<br />
LÖFFLER: Unter westlichen Industriestaaten<br />
werden Staatsanleihen<br />
bester Bonität knapp.<br />
Asiatische Wachstumsländer<br />
wie Indonesien oder Philippinen<br />
konnten ihre Bewertungen<br />
stetig verbessern – durch<br />
ein starkes Wirtschaftswachstum<br />
und durch eine niedrigere<br />
Verschuldung. Die erwartete<br />
Verschuldungsquote ausgewählter<br />
asiatischer Länder beträgt<br />
2012 etwa 50 Prozent im<br />
Verhältnis zum BIP. In den G-7-<br />
Staaten sind es laut IWF 93 Prozent<br />
im Durchschnitt.<br />
W&M: Welche Zinsen kann ich bei<br />
Asien-Anleihen erwarten?<br />
LÖFFLER: Asiatische Anleihen<br />
werfen durchschnittlich eine<br />
Rendite in lokaler Währung<br />
von 4,2 Prozent pro Jahr ab.<br />
Staatsanleihen aus Indonesien<br />
oder den Philippinen rentieren<br />
bei fast sechs, aus Indien bei<br />
über acht Prozent. Anleihen<br />
der G-7-Staaten sind im Durchschnitt<br />
mit 2,5 Prozent verzinst.<br />
Unternehmensanleihen<br />
aus Asien rentieren aktuell mit<br />
durchschnittlich 5,8 Prozent<br />
auch höher als Unternehmensanleihen<br />
aus Industriestaaten.<br />
W&M: Sind die Schuldner solide?<br />
LÖFFLER: Durchaus. Vergessen<br />
Sie nicht die Devisenreserven<br />
der asiatischen Staaten. Mehr<br />
als 60 Prozent der weltweiten<br />
Währungsreserven liegen inzwischen<br />
in Asien.<br />
W&M: Es gibt aber nur wenige<br />
Asienanleihen in Euro.<br />
LÖFFLER: Dafür erscheinen<br />
Währungsgewinne möglich.<br />
Viele asiatische Währungen<br />
sind laut »Big-Mac-Index« wohl<br />
unterbewertet. Der Index vergleicht<br />
die Preise eines Big Mac<br />
in unterschiedlichen Ländern<br />
in der inländischen Währung<br />
– ein grober Indikator für die<br />
Kaufkraft einer Währung.<br />
46 WIRTSCHAFT & MARKT 07–08/12
W&M-SERVICE<br />
Foto: BHW Bausparkasse<br />
SEB<br />
Immobilien im<br />
mobilen Asien<br />
SEB Asset Management bietet<br />
einen Asien-Fonds, der<br />
auf börsennotierte Immobiliengesellschaften<br />
setzt.<br />
Das neue Produkt »SEB Asia<br />
Pacific REIT Fund« hat laut Anbieter<br />
ausschließlich Anteile<br />
von Immobilien-AGs im asiatisch-pazifischen<br />
Raum im<br />
Portfolio. Die Region entwickle<br />
sich weltweit am dynamischsten,<br />
biete eine hohe Dividendenrendite<br />
und eine große<br />
Auswahl an REITs (Real Estate<br />
Investment Trusts). Das SEB-<br />
Fondsanagement geht aktuell<br />
von einer Rendite von etwa<br />
sieben Prozent auf Portfolioebene<br />
aus. Um Risiken zu<br />
minimieren, würden die REITs<br />
anhand eines qualitativen<br />
sowie quantitativen Screening-<br />
Modells ausgewählt. Die Kriterien:<br />
attraktive Risiko-Rendite-<br />
Kennzahlen, bewährtes<br />
Management sowie überzeugende<br />
Corporate Governance.<br />
WKN: A1JVA2<br />
DIE MEINUNG DES EXPERTEN<br />
GELD & ANLAGE<br />
BVI<br />
Aktien runter,<br />
Renten rauf<br />
Spezialfonds für institutionelle<br />
Anleger erweisen sich<br />
gegenwärtig als Erfolgsmodell<br />
am Markt.<br />
42 Milliarden Euro sammelte<br />
die Investmentwirtschaft in<br />
dieser Produktgruppe 2011 bei<br />
Profi-Investoren ein, sieben<br />
Milliarden mehr als im Durchschnitt<br />
der letzten zehn Jahre.<br />
Laut Bundesverband Investment<br />
und Asset Management<br />
(BVI) erreichte das ausschließlich<br />
für Versicherungen, Banken<br />
und Kapitalanlagegesellschaften<br />
verwaltete Vermögen<br />
Ende 2011 mit 1,132 Billionen<br />
Euro ein neues Allzeithoch.<br />
Der Großteil entfalle mit 813<br />
Milliarden Euro auf das Erfolgsmodell<br />
Spezialfonds. Dabei<br />
sank der Anteil an Aktien<br />
in den Portfolien 2011 auf ein<br />
Zehnjahrestief (11,2 Prozent),<br />
der Anteil der Rentenpapiere<br />
am Vermögen wuchs weiter<br />
auf 70,6 Prozent.<br />
www.bvi.de<br />
UBS<br />
Rohstoffe für<br />
Risikobewusste<br />
Für einen einfachen Zugang<br />
zum Rohstoffsektor sorgt<br />
die Gesellschaft UBS Global<br />
Asset Management.<br />
Die weltweite Rohstoffnachfrage<br />
steigt, die Preise ziehen an.<br />
Davon sollen Anleger profitieren<br />
und zwar mit dem Fonds<br />
»Lux Equity SICAV – Basic<br />
Materials«. Er investiert laut<br />
Anbieter allein in Rohstoffaktien<br />
aus den Branchen Chemie,<br />
Bergbau, Metall und Forst.<br />
Neben den Standardwerten<br />
kaufe der Fonds auch gezielt<br />
Small und Mid Caps, um das<br />
Wachstumspotenzial des<br />
Marktes zu nutzen. Um das<br />
Risiko zu streuen, habe der<br />
aktiv gemanagte Fonds etwa<br />
40 bis 60 Titel im Portfolio, von<br />
denen keiner mehr als zehn<br />
Prozent gewichtet werde. Zu<br />
den Positionen gehören zum<br />
Beispiel Rio Tinto, BASF oder<br />
Linde. Geeignet ist der Fonds<br />
nur für risikobereite Anleger.<br />
WKN: A1JVCD<br />
➔<br />
Geld KOMPAKT<br />
FINANZIERUNG<br />
Kreditfluss stabil<br />
Die Kreditaufnahme für deutsche<br />
Unternehmen soll trotz Eurokrise<br />
stabil sein, meldet die staatliche<br />
Förderbank KfW.<br />
Gemeinsam mit 20 Wirtschaftsverbänden<br />
startete sie eine diesbezügliche<br />
Umfrage bei 6.000 Unternehmen.<br />
Mit 24 Prozent der Befragten<br />
sehen sich zwar mehr Unternehmen<br />
mit Erschwernissen bei<br />
der Kreditaufnahme konfrontiert<br />
als mit Erleichterungen (7 Prozent).<br />
Gegenüber dem Vorjahr sei der<br />
Anteil der Berichte über Schwierigkeiten<br />
jedoch um fünf Prozentpunkte<br />
gesunken. Besonders häufig<br />
(33 Prozent) meldeten kleine Unternehmen<br />
mit weniger als einer Million<br />
Euro Jahresumsatz Erschwernisse<br />
bei der Kreditaufnahme.<br />
COMPLIANCE<br />
Sorglose Manager<br />
Deutsche Manager sehen das<br />
Thema Korruption gelassen und<br />
nehmen es nicht so genau, wenn<br />
ein Abschwung droht.<br />
Bargeld ist laut einer Studie der<br />
Wirtschaftsprüfer von Ernst & Young<br />
zwar nur noch für zwei Prozent der<br />
Befragten das Mittel zur Kundengewinnung.<br />
Doch sei die Zustimmung<br />
zu persönlichen Geschenken<br />
von vier auf zwölf Prozent gestiegen.<br />
Mehr als 1.750 Manager weltweit,<br />
darunter zahlreiche Finanzvorstände,<br />
wurden für die Studie befragt –<br />
50 davon aus Deutschland.<br />
Deutsche Auto-Hersteller haben sich global aufgestellt<br />
Der Autoabsatz in Europa wird 2012 im fünften<br />
Jahr in Folge sinken – darin sind sich die Wirtschaftsprüfer<br />
von PwC und die Ratingagentur<br />
Moody’s einig. Während PwC mit einem Minus<br />
von fünf Prozent rechnet, prognostiziert<br />
Moody’s sogar einen Rückgang von sechs Prozent.<br />
Da passt es ins Bild, dass die General<br />
Motors-Tochter Opel, Fiat oder Peugeot mit Problemen<br />
zu kämpfen haben.Ganz anders sieht<br />
es bei Audi, BMW, Mercedes, Porsche und VW<br />
aus. Alle haben im Jahr 2011 ihren Umsatz und<br />
Gewinn kräftig gesteigert. Bei BMW und bei VW<br />
wurden sogar neue Absatzrekorde erzielt. Doch<br />
wie kann es innerhalb einer Branche zu solchen<br />
Gegensätzen kommen? Bei genauer Betrachtung<br />
löst sich das Rätsel: Die deutschen Hersteller<br />
haben ihren Absatz und ihre Produktion<br />
schon frühzeitig globalisiert. So hat VW bereits<br />
Von GERD RÜCKEL,<br />
CEFA-Wertpapieranalyst, Frankfurt/M.<br />
vor drei Jahrzehnten erste Produktionsstätten<br />
in China gebaut. Mittlerweile wird mehr als<br />
die Hälfte der von deutschen Autobauern<br />
hergestellten Karossen im Ausland gefertigt.<br />
Nun wird der Erfolg dieser Globalisierungsstrategie<br />
geerntet. Denn während die Autoabsätze<br />
in Europa weiter sinken, steigen sie<br />
weltweit stark an. Insgesamt wurden 2011<br />
mehr als 65 Millionen Pkw neu zugelassen.<br />
Von der hervorragenden Positionierung der<br />
deutschen Fahrzeughersteller können Anleger<br />
auch künftig noch profitieren. Die durch Konjunktursorgen<br />
der Börsianer zuletzt deutlich<br />
gedrückten Aktienkurse sind für langfristig<br />
orientierte Anleger interessant. Insbesondere<br />
BMW, Daimler und VW sollten auch in Zukunft<br />
von sinkenden Absatzzahlen in Europa kaum<br />
betroffen sein.<br />
FUSSBALL<br />
Es läuft rund<br />
Die Bundesliga ist die profitabelste<br />
unter den »Big Five«-<br />
Ligen in England, Deutschland,<br />
Frankreich, Italien und Spanien.<br />
Laut Unternehmensberatung<br />
Deloitte steht die deutsche Bundesliga<br />
mit einem Gesamterlös von<br />
1,75 Milliarden Euro auf Platz<br />
zwei hinter der englischen Premier<br />
League (2,5 Miliarden Euro), erwirtschaftete<br />
aber in der Saison<br />
2010/11 mit 171 Millionen (plus<br />
24 Prozent) das beste Betriebsergebnis<br />
und bleibt damit zum dritten<br />
Mal in Folge die profitabelste Liga<br />
vor England (75 Millionen Euro<br />
Gewinn).<br />
Die Gesamterlöse der Top-Five<br />
stiegen um zwei Prozent auf<br />
8,6 Milliarden Euro. Das ist rund<br />
die Hälfte des Gesamtumsatzes auf<br />
dem europäischen Fußballmarkt.<br />
WIRTSCHAFT & MARKT 07–08/12<br />
47
W&M-SERVICE<br />
DAS THEMA<br />
PHOTOVOLTAIK<br />
Richtlinie für<br />
Solaranlagen<br />
Die Versicherungswirtschaft<br />
hat eine Technische Richtlinie<br />
für Photovoltaikanlagen<br />
veröffentlicht.<br />
Immer wieder fallen Photovoltaikanlagen<br />
aus, weil sie nicht<br />
fachgerecht geplant oder installiert<br />
wurden. Darauf weist<br />
der Gesamtverband der Deutschen<br />
Versicherungswirtschaft<br />
e.V. (GDV) in seinem technischen<br />
Leitfaden für Photovoltaikanlagen<br />
hin. Die Fehler, die von<br />
Planern und Installateuren<br />
gemacht werden, sind vielfältig.<br />
»Die Dachstatik wird nicht<br />
richtig berechnet, es werden<br />
falsche Annahmen über die<br />
Schneelast getroffen oder<br />
unterdimensionierte Gestelle<br />
installiert«, berichtet Bernhard<br />
Gause, Mitglied der GDV-Hauptgeschäftsführung.<br />
Dabei lassen<br />
sich viele Schäden vermeiden.<br />
Wichtig ist, dass die technischen<br />
Standards für Solarstromanlagen<br />
eingehalten werden.<br />
»Leider ist das in der Praxis<br />
nicht immer der Fall«, weiß<br />
Versicherungsexperte Gause.<br />
Aus diesem Grund hat der GDV<br />
den technischen Leitfaden<br />
Photovoltaik entwickelt. Der<br />
Leitfaden richtet sich an Planer,<br />
Installateure, Prüfer und<br />
Betreiber von Solarstromanlagen.<br />
Ziel ist es, Betriebsunterbrechungen<br />
und Sachschäden zu<br />
minimieren oder ganz zu vermeiden.<br />
Ein mangelhafter Schutz stellt<br />
nicht nur die Wirtschaftlichkeit,<br />
sondern auch den Versicherungsschutz<br />
infrage. »Wenn bei<br />
größeren Photovoltaikanlagen<br />
nicht fachgerecht gearbeitet<br />
wurde, übernimmt der Versicherer<br />
das Risiko nur unter Auflagen<br />
oder bietet keinen Schutz<br />
an«, so Gause. Betreiber von<br />
Photovoltaikanlagen sollten<br />
daher von Beginn an den Versicherer<br />
in die Planung mit einbeziehen.<br />
Aber auch die Auswahl<br />
des Planers und des Installateurs<br />
ist entscheidend.<br />
MANAGER<br />
Schaden droht<br />
auch privat<br />
Wenn bei Managern eine<br />
unbegrenzte persönliche<br />
Haftung droht, ist ein<br />
guter Schutz gefragt<br />
Die personenbezogene Berufshaftpflichtversicherung<br />
eignet<br />
sich sowohl als Ergänzung<br />
zu einer bestehenden Unternehmens-D&O<br />
(Directors &<br />
Officers Liability, zu deutsch<br />
Managerhaftpflichtversicherung)<br />
als auch für Kunden,<br />
die noch nicht über eine finanzielle<br />
Absicherung verfügen.<br />
Anders als die Unternehmens-D&O,<br />
die sich nach dem<br />
Schadenmeldeprinzip richtet<br />
und zudem eine Versicherung<br />
für fremde Rechnung ist, orientiert<br />
sich die persönliche<br />
Berufshaftpflichtversicherung<br />
nach dem Verstoßprinzip,<br />
also an dem in der Vermögensschaden-Haftpflicht<br />
üblichen<br />
Grundsatz, dass für die<br />
zeitliche Einordnung eines<br />
Schadenfalles der Zeitpunkt<br />
des angeblichen Fehlers maßgeblich<br />
ist. Die Allcura Versicherungs-AG<br />
bietet ihren Kunden<br />
zeitlich unbegrenzten,<br />
unverfallbaren Versicherungsschutz<br />
auch nach Vertragsende.<br />
IM UNTERNEHMEN<br />
GEWERBE<br />
Schutz vor den<br />
Naturgewalten<br />
Der Volkswohl Bund hat<br />
seine Deckungskonzepte<br />
um den Schutz gegen Elementarschäden<br />
erweitert.<br />
Experten sind sich einig: Extreme<br />
Unwetter werden immer<br />
häufiger auftreten. Wenn<br />
durch solche Ereignisse in einem<br />
Gewerbebetrieb das Inventar<br />
oder der Vorrat vernichtet<br />
wird, steht für einen<br />
Gewerbetreibenden schnell<br />
die Existenz auf dem Spiel.<br />
Sechsstellige Schadensummen<br />
sind im gewerblichen Bereich<br />
schnell erreicht. Schutz<br />
bietet in diesen Fällen die Elementarschadenversicherung,<br />
die ab sofort über die gewerblichen<br />
Deckungskonzepte der<br />
Volkswohl Bund Sachversicherung<br />
AG vereinbart werden<br />
kann.<br />
Der Versicherer bietet für<br />
klein- und mittelständische<br />
Betriebe neun branchenspezifische<br />
Deckungskonzepte an:<br />
Bau- und Garten, Bestattungsunternehmen,<br />
Bewachungsunternehmen,<br />
Büro-Betriebe,<br />
Einzelhandel, Gastgewerbe,<br />
Hausmeister und Gebäudereiniger,<br />
medizinische Therapie<br />
und Schönheitspflege.<br />
ALTERSVORSORGE<br />
An der Altersvorsorge wird gespart<br />
Die aktuelle Krisensituation führt zu steigender Zurückhaltung.<br />
Die häufigsten Ansichten zur Altersvorsorge (Angaben in Prozent):<br />
Sachwerte wichtiger<br />
Gesetzl. Rente ausreichend<br />
Riesterrente rentabel<br />
Kapital-Lebensv. am sichersten<br />
Kapital-Lebensv. zu ertragsschwach<br />
Immobilien nur schwer verkäuflich<br />
Fondsgebundene Vorsorge am besten<br />
Quelle: Heidelberger Lebensversicherung<br />
33<br />
24<br />
22<br />
21<br />
19<br />
15<br />
15<br />
VORSORGE<br />
Keine Lust auf<br />
Versicherungen<br />
In der Finanzkrise beschränken<br />
sich viele Sparer auf die<br />
gesetzliche Rente, Sachwerte<br />
und die Förderung vom Staat.<br />
Das geht aus einer Umfrage der<br />
GfK Marktforschung im Auftrag<br />
der Heidelberger Lebensversicherung<br />
hervor. Ein Drittel der<br />
Befragten hält Sachwerte wie Immobilien<br />
für wichtiger als Finanzwerte.<br />
Fast ein Viertel gibt an, dass<br />
ihnen die Gesetzliche Rentenversicherung<br />
ausreicht. Als private<br />
Altersvorsorge wird die Riester-<br />
Rente am positivsten eingeschätzt:<br />
22 Prozent halten sie für<br />
rentabel, weil der Staat Geld dazu<br />
THOMAS<br />
BAHR,<br />
Vorstandsvorsitzender<br />
der Heidelberger<br />
Lebensversicherung<br />
AG.<br />
gibt. Auf den nächsten Plätzen<br />
folgt die klassische Kapitallebensversicherung:<br />
21 Prozent<br />
halten sie für die sicherste Vorsorgeform,<br />
während 19 Prozent<br />
überzeugt sind, dass sie zu wenig<br />
Ertrag bringt (siehe Grafik).<br />
Das Ergebnis zeige, dass die<br />
Mehrheit der Menschen absolute<br />
Sicherheit sucht und Rendite vor<br />
allem über staatliche Zuschüsse<br />
anstrebt, interpretiert Thomas<br />
Bahr, Vorstandsvorsitzender der<br />
Heidelberger Leben, das Ergebnis<br />
der Umfrage.<br />
Wer seinen Lebensstandard im<br />
Alter halten wolle, müsse aber<br />
entweder höhere Renditechancen<br />
suchen oder mehr zur Seite legen.<br />
Immobilien seien auf dem deutschen<br />
Markt entweder bereits zu<br />
teuer oder später nur schwer verkäuflich.<br />
Dieser Tatsache sei sich nur eine<br />
Minderheit (15 Prozent) bewusst.<br />
Ebenfalls nur 15 Prozent können<br />
sich für fondsgebundene Vorsorgeprodukte<br />
erwärmen, selbst<br />
wen sie mit Garantieanteilen<br />
ausgerüstet sind.<br />
48 WIRTSCHAFT & MARKT 07–08/12
W&M-SERVICE<br />
Foto: DAVG<br />
RENTE<br />
Ost-Männer<br />
als Verlierer<br />
Bei den zwischen 1956 und<br />
1965 Geborenen führen<br />
Brüche in den Erwerbsbiografien<br />
zu Renteneinbußen.<br />
Arbeitslosigkeit, Teilzeitarbeit,<br />
geringfügige Beschäftigung<br />
und Scheinselbstständigkeit<br />
führen dazu, dass die Generation<br />
der Baby-Boomer teilweise<br />
weniger Anwartschaften in<br />
der gesetzlichen Rentenversicherung<br />
erwirbt als die Generation<br />
davor, so eine Untersuchung<br />
des Deutschen Instituts<br />
für Wirtschaftsforschung<br />
DIW. Vor allem ostdeutsche<br />
Männer werden im Durchschnitt<br />
über weniger Entgeltpunkte<br />
verfügen als die vorangegangenen<br />
Jahrgänge. Sie<br />
sind stärker von Arbeitslosigkeit<br />
betroffen und haben mehr<br />
Brüche in ihren Erwerbsverläufen.<br />
Ostdeutsche Frauen haben<br />
hingegen im Mittel nur geringfügig<br />
niedrigere Rentenanwartschaften<br />
zu erwarten als<br />
Frauen vorheriger Jahrgänge.<br />
DIE MEINUNG DES EXPERTEN<br />
Amtliches Pflegeelend<br />
Der Bundesminister für Gesundheit, Daniel<br />
Bahr (FDP), steht mit seinen 36 Lenzen noch in<br />
der Blüte seines Lebens. Wie viele andere seiner<br />
Generation dürfte er der Meinung sein,<br />
Pflegebedürftigkeit sei ein Problem, das in<br />
ferner Zukunft für ihn selbst mal eine Rolle<br />
spielen könnte. Anders ist es jedenfalls nicht<br />
zu erklären, dass Bahr im Rahmen eines Pflege-Neuausrichtungs-Gesetzes<br />
(PNG) die Einführung<br />
einer staatlichen Förderung in Höhe von<br />
sage und schreibe fünf Euro pro Monat für eine<br />
private Pflegezusatzversicherung vorgeschlagen<br />
hat. Die fünf Euro soll jeder bekommen,<br />
der eine private Pflegetagegeldversicherung<br />
über einen Mindestbetrag von zehn Euro monatlich<br />
abschließt. Das Grundprinzip stimmt<br />
zwar. Die gesetzliche Pflegeversicherung reicht<br />
zur Deckung der Pflegekosten nicht aus und<br />
PRIVAT<br />
HAUSRAT<br />
Baukasten zur<br />
freien Auswahl<br />
Die Allianz hat für die private<br />
Haftpflicht- und die Hausratversicherung<br />
ein individuelles<br />
Bausteinkonzept.<br />
Zu dem Grundschutz können<br />
Kunden je nach Bedarf verschiedene<br />
Zusatzbausteine<br />
hinzuwählen. Die Hausratversicherung<br />
beinhaltet bereits<br />
im Grundschutz neue Leistungen<br />
wie beispielsweise<br />
Phishing-Schäden bei Online-<br />
Banking. Auch die Kosten für<br />
die Wiederherstellung privater<br />
Dateien oder Programme werden<br />
übernommen. Überspannungsschäden<br />
durch Gewitter<br />
sind im Grundschutz enthalten.<br />
Wer sich über den Grundschutz<br />
hinaus für den Zusatzbaustein<br />
»SicherheitPlus«<br />
entscheidet, ist auch gegen<br />
Diebstahl abgesichert. Werden<br />
Gegenstände aus dem Auto,<br />
Gartenmöbel, der Grill oder<br />
der Kinderwagen gestohlen, so<br />
ist dies unbegrenzt bis zur Versicherungssumme<br />
abgedeckt.<br />
VERSICHERUNG<br />
Besser als die<br />
Finanzmärkte<br />
Zuletzt waren die deutschen<br />
Lebensversicherer in ihrer<br />
Anlagepolitik meist besser<br />
als die Finanzmärkte.<br />
Zu diesem Ergebnis kam eine<br />
Untersuchung des Branchendienstes<br />
map-Report. Wer 1992<br />
50.000 Euro in eine Sofortrente<br />
einzahlte, bekam bei den besten<br />
Gesellschaften mehr als<br />
das Doppelte des ursprünglichen<br />
Kapitals an Rente ausgezahlt.<br />
Im Durchschnitt wurden<br />
96.372 Euro ausgezahlt.<br />
Rund 11.500 Euro oder fast<br />
zwölf Prozent mehr schaffte<br />
die Allianz Lebensversicherung<br />
AG als Spitzenreiter. Das<br />
Ergebnis wird dadurch beeinflusst,<br />
dass die Renditen von<br />
Anleihen – der bevorzugten<br />
Anlageart der Lebensversicherer<br />
– in der Vergangenheit<br />
höher lagen als heute. Es gebe<br />
keine Garantien dafür, dass<br />
die Anlagepolitik der Lebensversicherer<br />
weiter so erfolgreich<br />
ist, warnt map-Report.<br />
Von HANS PFEIFER,<br />
Versicherungsjournalist, Berlin<br />
eine private, kapitalgedeckte Ergänzung ist<br />
dringend notwendig. Trotzdem ist »Pflege-Bahr«<br />
– wie das Fördervehikel bereits genannt wird –<br />
ziemlicher Unfug. Die einkommensunabhängige<br />
Gießkannenförde-rung für jedermann benachteiligt<br />
die wirklichen Bedürftigen mit kleinen<br />
Einkommen. Fünf Euro Zulage auf nur zehn<br />
Euro verlangten Beitrag dürfte zu Minisparsummen<br />
führen. Die Festlegung auf Pflegetagegeldversicherungen<br />
ist ein nettes Geschenk an die<br />
privaten Krankenversicherer, aber sehr einseitig,<br />
denn die Pflegerentenversicherungen der<br />
Lebensversicherer haben Vorteile. Übrigens:<br />
Das Pflegekostenrisiko von Minister Bahr beträgt<br />
unter Berücksichtigung seines Alters, der<br />
statistischen Pflegewahrscheinlichkeit und der<br />
durchschnittlichen Pflegedauer in Pflegestufe III<br />
knapp 120.000 Euro – nach heutigen Preisen.<br />
➔Assekuranz KOMPAKT<br />
HAUSRAT<br />
Einbrüche nehmen zu<br />
Mit fast 133.000 Fällen wurden<br />
2010 9,3 Prozent mehr Wohnungseinbrüche<br />
registriert als noch im<br />
Jahr 2010.<br />
Die Aufklärungsquote ist gering. Sie<br />
erreichte gerade mal 16,2 Prozent.<br />
Dabei sind die wenigsten Täter Profis,<br />
meistens handelte es sich um Gelegenheitseinbrecher,<br />
die sich schon<br />
durch einfache, aber wirkungsvolle<br />
Sicherungen und Präventionsmaßnahmen<br />
von ihren Taten abhalten<br />
ließen, so die Polizei.<br />
WOHNUNGEN besser sichern.<br />
BAV<br />
Großes Interesse<br />
Drei Viertel der Arbeitnehmer<br />
wünschen, dass ihr Arbeitgeber<br />
sich aktiv für ihre betriebliche<br />
Altersvorsorge (bAV) engagiert.<br />
Ebenso viele sind bereit, auf einen<br />
Teil ihres Gehalts zugunsten einer<br />
Betriebsrente zu verzichten; bei<br />
den unter 35-Jährigen sind es sogar<br />
83 Prozent. Insgesamt wird die bAV<br />
als zweitwichtigste Einkommensquelle<br />
im Ruhestand genannt. Zu diesen<br />
Ergebnissen kommt die Towers-Watson-Studie<br />
»Altersversorgung und bAV<br />
aus der Arbeitnehmerperspektive«.<br />
KFZ-VERSICHERUNG<br />
Versicherte zufrieden<br />
Mehr als 50 Prozent der Kunden<br />
gaben bei einer Befragung an,<br />
mit den Leistungen ihres Kfz-<br />
Versicherers eher zufrieden zu sein.<br />
Das ergab die Befragung des Deutschen<br />
Instituts für Service-Qualität<br />
(DISQ) im Auftrag des Fernsehsenders<br />
n-tv. Mehr als jeder vierte<br />
Befragte war sogar sehr zufrieden.<br />
Nicht zufrieden zeigten sich nur rund<br />
13 Prozent der Teilnehmer.<br />
Beliebtester Kfz-Versicherer wurde<br />
die Direktversicherung HUK24.<br />
VHV platzierte sich unter allen bewerteten<br />
Unternehmen auf dem<br />
zweiten Rang und wurde damit<br />
beliebtester Kfz-Filialversicherer.<br />
WIRTSCHAFT & MARKT 07–08/12 49
W&M-SERVICE<br />
DAS THEMA<br />
WEB-RECHT<br />
HEIMVERNETZUNG<br />
Wachstum<br />
garantiert<br />
Die Nachfrage nach vernetzbarer<br />
Unterhaltungselektronik,<br />
Computern<br />
und Mobil-Geräten wächst.<br />
Der Umsatz mit Produkten<br />
der Heimvernetzung steigt in<br />
diesem Jahr auf 18,3 Milliarden<br />
Euro. Ein Jahr zuvor waren es<br />
noch 16,2 Milliarden. Das entspricht<br />
einer Steigerung von<br />
rund 13 Prozent, wie der Hightech-Verband<br />
BITKOM bekannt<br />
gab. »Die Vernetzung von Computern,<br />
Smartphones und Fernsehern<br />
wird in immer mehr<br />
Haushalten zum Standard«,<br />
erklärte dazu BITKOM-Hauptgeschäftsführer<br />
Dr. Bernhard<br />
Rohleder. »Auf die Vorteile<br />
der vernetzten Geräte wie die<br />
Nutzung von Online-Videotheken<br />
direkt auf dem Fernseher<br />
wollen viele Verbraucher nicht<br />
mehr verzichten.« Mittlerweile<br />
machen vernetzbare Produkte<br />
fast zwei Drittel (65 Prozent)<br />
des Umsatzes von Informationsund<br />
Kommunikationstechnik<br />
bei Privatverbrauchern aus.<br />
Die Vernetzung von klassischer<br />
Unterhaltungselektronik, Computern<br />
und mobilen Geräten<br />
verändert auch die Art, wie<br />
Medien konsumiert werden.<br />
Fernsehen und Internet werden<br />
häufig parallel genutzt. Insgesamt<br />
surfen 77 Prozent der<br />
Internetnutzer in Deutschland<br />
mit Laptop, Smartphone und<br />
Co, während sie gleichzeitig<br />
fernsehen.<br />
Zum Vergleich: Nur 48 Prozent<br />
der deutschen Onliner lesen<br />
Zeitung, während sie dabei Radio<br />
hören. Am häufigsten wird<br />
mit dem Laptop vor dem Fernseher<br />
gesurft. Jeder zweite Internetnutzer<br />
(51 Prozent) greift<br />
dafür auf seinen mobilen Rechner<br />
zurück. Ebenfalls beliebt<br />
sind stationäre PC (35 Prozent)<br />
und Smartphones (21 Prozent).<br />
Mit 82 Prozent werden am<br />
häufigsten Internetinhalte aufgerufen,<br />
die nichts mit dem<br />
TV-Programm zu tun haben.<br />
INTERNET<br />
Neue Namen<br />
im Web<br />
Unternehmen können<br />
dank neuer Adress-Endungen<br />
eigene Top-Level-<br />
Domains beantragen.<br />
Die Internet-Verwaltung<br />
Icann hat die Bewerbungen<br />
um neue, so genannte Top-<br />
Level-Domains vorgestellt.<br />
Aus Deutschland gab es 70 Anfragen.<br />
Dazu gehören spezielle<br />
Adress-Endungen für Städte,<br />
wie .berlin, .hamburg und<br />
.köln. Auch viele Dax-Unternehmen<br />
haben eine eigene<br />
Adress-Endung beantragt,<br />
etwa BMW, SAP und Deutsche<br />
Post. Die Inhaber einer<br />
Wunsch-Domain werden zum<br />
Internet-Unternehmen. Sie<br />
müssen die Technik zum Betrieb<br />
der Domain stellen und<br />
entscheiden, wer eine Website<br />
mit ihrer Adress-Endung<br />
verwenden darf. Weltweit<br />
sind 1.930 Bewerbungen seit<br />
Beginn des Jahres bei der<br />
Icann eingegangen. Einige<br />
Unternehmen wollen sich<br />
gleich mehrere der generischen<br />
Top-Level-Domains<br />
(gTLD) sichern: Amazon hat<br />
sich etwa auf 76 Adress-Endungen<br />
beworben, meldet der<br />
Branchenverband BITKOM.<br />
IM UNTERNEHMEN<br />
Die Reise wird im Netz gebucht<br />
M-COMMERCE<br />
Online-Branche<br />
optimistisch<br />
Die Online-Branche erwartet<br />
für 2012 insgesamt<br />
eine Steigerung der<br />
M-Commerce Umsätze.<br />
Dies geht aus der aktuellen<br />
Expertenbefragung »Trend in<br />
Prozent« des Bundesverbands<br />
Digitale Wirtschaft (BVDW)<br />
e. V. hervor. Im direkten Vergleich<br />
zur Entwicklung der<br />
gesamten E-Commerce-Umsätze<br />
gehen 72 Prozent der Befragten<br />
von einem stärkeren<br />
Wachstum für Mobile-Commerce-Umsätze<br />
aus. Einig ist<br />
sich die Mehrheit der Teilnehmer,<br />
dass M-Commerce in<br />
Zukunft als bedeutsamer Teil<br />
einer Multi-Channel-Strategie<br />
für den Handel gelten wird.<br />
Entscheidende Gründe für<br />
den Erfolg von M-Commerce<br />
sind der Verbreitungsgrad<br />
von Smartphones und Tablet<br />
PC, die einfache Handhabung<br />
und die generelle Akzeptanz<br />
der Kunden. Mehr als die Hälfte<br />
der Befragten (57 Prozent)<br />
gehen davon aus, dass der M-<br />
Commerce dem E-Commerce<br />
in den nächsten fünf Jahren<br />
signifikante Umsatzanteile<br />
abwerben wird, so die BVDW-<br />
Umfrage.<br />
INTERNET-BUCHUNGEN<br />
Ein immer größerer Anteil der Deutschen bucht spezielle Reiseleistungen<br />
im Internet. Favoriten sind Übernachtungen und Flüge.<br />
Im Internet gebucht Reiseleistungen (Angaben in Millionen)<br />
Übernachtungen 23,6<br />
Flüge 20,7<br />
Bahnfahrkarten 14,9<br />
Pauschalreisen 13,9<br />
Mietwagen 10,3<br />
Schiffsreisen 3,9<br />
Quelle: BITKOM<br />
APPS<br />
Schutz gegen Fallen<br />
Abzocke per App – darüber ärgern<br />
sich viele Smartphone- und Tablet-<br />
Besitzer. Schutz gegen die Kostenfallen<br />
ist gefragt.<br />
Die Falle lauert oft hinter Werbebannern,<br />
die Abos für Klingeltöne<br />
oder ähnliche Dienste anpreisen. -<br />
Ein unbeabsichtigtes Tippen auf das<br />
Banner kann ausreichen, um ein<br />
kostenpflichtiges Abo zu aktivieren.<br />
Kassiert wird die Abo-Gebühr über<br />
die monatliche Mobilfunkrechnung,<br />
warnt die Verbraucherzentrale NRW.<br />
Technisch geschieht dies über das<br />
sogenannte WAP-Billing. Dieses ermöglicht<br />
das unkomplizierte Bezahlen<br />
per Smartphone, da keine Kontooder<br />
Kreditkartendaten angegeben<br />
werden müssen.<br />
Wer das Werbebanner antippt, löst<br />
eine Übermittlung der Rufnummer<br />
des Verbrauchers aus. So können<br />
die Abzocker den Mobilfunkanbieter<br />
ermitteln und einen Zahlungsvorgang<br />
für das angebotene Abo auslösen.<br />
Um nicht Opfer dieser App-Abzocke<br />
zu werden, empfiehlt die Verbraucherzentrale<br />
NRW:<br />
– Sperren einrichten: Kunden ist es<br />
neuerdings per Gesetz gestattet, die<br />
Abrechnung derartiger Dienste über<br />
die Mobilfunkrechnung zu unterbinden.<br />
Dazu sollte der Mobilfunkanbieter<br />
aufgefordert werden, die Identifizierung<br />
des Anschlusses für die Inanspruchnahme<br />
oder Abrechnung solcher<br />
Abo-Fallen kostenfrei zu sperren.<br />
Doch Vorsicht: Wer eine vollständige<br />
Sperre verlangt, kann auch keine<br />
nützlichen Dienste mehr, wie die mobile<br />
Buchung von Fahrkarten, per<br />
WAP-Billing bezahlen, geben die Experten<br />
der Verbraucherzentrale NRW<br />
zu bedenken. Wer nicht gänzlich auf<br />
WAP-Dienste verzichten möchte, sollte<br />
sich daher informieren, ob eine<br />
Teilsperrung eingerichtet werden<br />
kann.<br />
– Drahtlosnetzwerke (W-LAN) nutzen:<br />
Die Abo-Falle funktioniert nur bei Geräten,<br />
die per eingelegter SIM-Karte<br />
eine Verbindung zum Mobilfunknetz<br />
aufbauen. Wer dagegen drahtlos über<br />
das heimische Netzwerk (W-LAN) auf<br />
das Internet zugreift, ist zumindest in<br />
den eigenen vier Wänden geschützt.<br />
– Rechnung beanstanden:<br />
Wer bereits in die Falle getappt ist,<br />
kann den entsprechenden Rechnungsposten<br />
binnen acht Wochen<br />
beanstanden. Die Beschwerde ist an<br />
den Anbieter zu richten, dessen Forderung<br />
bestritten wird.<br />
Musterbriefe zur Einrichtung einer<br />
Sperre oder zur Beanstandung der<br />
Rechnung können auf der Seite der<br />
Verbraucherzentrale runtergeladen<br />
werden: http://www.vz-nrw.de<br />
50 WIRTSCHAFT & MARKT 07–08/12
W&M-SERVICE<br />
DAS THEMA<br />
WEB-RECHT<br />
HEIMVERNETZUNG<br />
Wachstum<br />
garantiert<br />
Die Nachfrage nach vernetzbarer<br />
Unterhaltungselektronik,<br />
Computern<br />
und Mobil-Geräten wächst.<br />
Der Umsatz mit Produkten<br />
der Heimvernetzung steigt in<br />
diesem Jahr auf 18,3 Milliarden<br />
Euro. Ein Jahr zuvor waren es<br />
noch 16,2 Milliarden. Das entspricht<br />
einer Steigerung von<br />
rund 13 Prozent, wie der Hightech-Verband<br />
BITKOM bekannt<br />
gab. »Die Vernetzung von Computern,<br />
Smartphones und Fernsehern<br />
wird in immer mehr<br />
Haushalten zum Standard«,<br />
erklärte dazu BITKOM-Hauptgeschäftsführer<br />
Dr. Bernhard<br />
Rohleder. »Auf die Vorteile<br />
der vernetzten Geräte wie die<br />
Nutzung von Online-Videotheken<br />
direkt auf dem Fernseher<br />
wollen viele Verbraucher nicht<br />
mehr verzichten.« Mittlerweile<br />
machen vernetzbare Produkte<br />
fast zwei Drittel (65 Prozent)<br />
des Umsatzes von Informationsund<br />
Kommunikationstechnik<br />
bei Privatverbrauchern aus.<br />
Die Vernetzung von klassischer<br />
Unterhaltungselektronik, Computern<br />
und mobilen Geräten<br />
verändert auch die Art, wie<br />
Medien konsumiert werden.<br />
Fernsehen und Internet werden<br />
häufig parallel genutzt. Insgesamt<br />
surfen 77 Prozent der<br />
Internetnutzer in Deutschland<br />
mit Laptop, Smartphone und<br />
Co, während sie gleichzeitig<br />
fernsehen.<br />
Zum Vergleich: Nur 48 Prozent<br />
der deutschen Onliner lesen<br />
Zeitung, während sie dabei Radio<br />
hören. Am häufigsten wird<br />
mit dem Laptop vor dem Fernseher<br />
gesurft. Jeder zweite Internetnutzer<br />
(51 Prozent) greift<br />
dafür auf seinen mobilen Rechner<br />
zurück. Ebenfalls beliebt<br />
sind stationäre PC (35 Prozent)<br />
und Smartphones (21 Prozent).<br />
Mit 82 Prozent werden am<br />
häufigsten Internetinhalte aufgerufen,<br />
die nichts mit dem<br />
TV-Programm zu tun haben.<br />
INTERNET<br />
Neue Namen<br />
im Web<br />
Unternehmen können<br />
dank neuer Adress-Endungen<br />
eigene Top-Level-<br />
Domains beantragen.<br />
Die Internet-Verwaltung<br />
Icann hat die Bewerbungen<br />
um neue, so genannte Top-<br />
Level-Domains vorgestellt.<br />
Aus Deutschland gab es 70 Anfragen.<br />
Dazu gehören spezielle<br />
Adress-Endungen für Städte,<br />
wie .berlin, .hamburg und<br />
.köln. Auch viele Dax-Unternehmen<br />
haben eine eigene<br />
Adress-Endung beantragt,<br />
etwa BMW, SAP und Deutsche<br />
Post. Die Inhaber einer<br />
Wunsch-Domain werden zum<br />
Internet-Unternehmen. Sie<br />
müssen die Technik zum Betrieb<br />
der Domain stellen und<br />
entscheiden, wer eine Website<br />
mit ihrer Adress-Endung<br />
verwenden darf. Weltweit<br />
sind 1.930 Bewerbungen seit<br />
Beginn des Jahres bei der<br />
Icann eingegangen. Einige<br />
Unternehmen wollen sich<br />
gleich mehrere der generischen<br />
Top-Level-Domains<br />
(gTLD) sichern: Amazon hat<br />
sich etwa auf 76 Adress-Endungen<br />
beworben, meldet der<br />
Branchenverband BITKOM.<br />
IM UNTERNEHMEN<br />
Die Reise wird im Netz gebucht<br />
M-COMMERCE<br />
Online-Branche<br />
optimistisch<br />
Die Online-Branche erwartet<br />
für 2012 insgesamt<br />
eine Steigerung der<br />
M-Commerce Umsätze.<br />
Dies geht aus der aktuellen<br />
Expertenbefragung »Trend in<br />
Prozent« des Bundesverbands<br />
Digitale Wirtschaft (BVDW)<br />
e. V. hervor. Im direkten Vergleich<br />
zur Entwicklung der<br />
gesamten E-Commerce-Umsätze<br />
gehen 72 Prozent der Befragten<br />
von einem stärkeren<br />
Wachstum für Mobile-Commerce-Umsätze<br />
aus. Einig ist<br />
sich die Mehrheit der Teilnehmer,<br />
dass M-Commerce in<br />
Zukunft als bedeutsamer Teil<br />
einer Multi-Channel-Strategie<br />
für den Handel gelten wird.<br />
Entscheidende Gründe für<br />
den Erfolg von M-Commerce<br />
sind der Verbreitungsgrad<br />
von Smartphones und Tablet<br />
PC, die einfache Handhabung<br />
und die generelle Akzeptanz<br />
der Kunden. Mehr als die Hälfte<br />
der Befragten (57 Prozent)<br />
gehen davon aus, dass der M-<br />
Commerce dem E-Commerce<br />
in den nächsten fünf Jahren<br />
signifikante Umsatzanteile<br />
abwerben wird, so die BVDW-<br />
Umfrage.<br />
INTERNET-BUCHUNGEN<br />
Ein immer größerer Anteil der Deutschen bucht spezielle Reiseleistungen<br />
im Internet. Favoriten sind Übernachtungen und Flüge.<br />
Im Internet gebucht Reiseleistungen (Angaben in Millionen)<br />
Übernachtungen 23,6<br />
Flüge 20,7<br />
Bahnfahrkarten 14,9<br />
Pauschalreisen 13,9<br />
Mietwagen 10,3<br />
Schiffsreisen 3,9<br />
Quelle: BITKOM<br />
APPS<br />
Schutz gegen Fallen<br />
Abzocke per App – darüber ärgern<br />
sich viele Smartphone- und Tablet-<br />
Besitzer. Schutz gegen die Kostenfallen<br />
ist gefragt.<br />
Die Falle lauert oft hinter Werbebannern,<br />
die Abos für Klingeltöne<br />
oder ähnliche Dienste anpreisen. -<br />
Ein unbeabsichtigtes Tippen auf das<br />
Banner kann ausreichen, um ein<br />
kostenpflichtiges Abo zu aktivieren.<br />
Kassiert wird die Abo-Gebühr über<br />
die monatliche Mobilfunkrechnung,<br />
warnt die Verbraucherzentrale NRW.<br />
Technisch geschieht dies über das<br />
sogenannte WAP-Billing. Dieses ermöglicht<br />
das unkomplizierte Bezahlen<br />
per Smartphone, da keine Kontooder<br />
Kreditkartendaten angegeben<br />
werden müssen.<br />
Wer das Werbebanner antippt, löst<br />
eine Übermittlung der Rufnummer<br />
des Verbrauchers aus. So können<br />
die Abzocker den Mobilfunkanbieter<br />
ermitteln und einen Zahlungsvorgang<br />
für das angebotene Abo auslösen.<br />
Um nicht Opfer dieser App-Abzocke<br />
zu werden, empfiehlt die Verbraucherzentrale<br />
NRW:<br />
– Sperren einrichten: Kunden ist es<br />
neuerdings per Gesetz gestattet, die<br />
Abrechnung derartiger Dienste über<br />
die Mobilfunkrechnung zu unterbinden.<br />
Dazu sollte der Mobilfunkanbieter<br />
aufgefordert werden, die Identifizierung<br />
des Anschlusses für die Inanspruchnahme<br />
oder Abrechnung solcher<br />
Abo-Fallen kostenfrei zu sperren.<br />
Doch Vorsicht: Wer eine vollständige<br />
Sperre verlangt, kann auch keine<br />
nützlichen Dienste mehr, wie die mobile<br />
Buchung von Fahrkarten, per<br />
WAP-Billing bezahlen, geben die Experten<br />
der Verbraucherzentrale NRW<br />
zu bedenken. Wer nicht gänzlich auf<br />
WAP-Dienste verzichten möchte, sollte<br />
sich daher informieren, ob eine<br />
Teilsperrung eingerichtet werden<br />
kann.<br />
– Drahtlosnetzwerke (W-LAN) nutzen:<br />
Die Abo-Falle funktioniert nur bei Geräten,<br />
die per eingelegter SIM-Karte<br />
eine Verbindung zum Mobilfunknetz<br />
aufbauen. Wer dagegen drahtlos über<br />
das heimische Netzwerk (W-LAN) auf<br />
das Internet zugreift, ist zumindest in<br />
den eigenen vier Wänden geschützt.<br />
– Rechnung beanstanden:<br />
Wer bereits in die Falle getappt ist,<br />
kann den entsprechenden Rechnungsposten<br />
binnen acht Wochen<br />
beanstanden. Die Beschwerde ist an<br />
den Anbieter zu richten, dessen Forderung<br />
bestritten wird.<br />
Musterbriefe zur Einrichtung einer<br />
Sperre oder zur Beanstandung der<br />
Rechnung können auf der Seite der<br />
Verbraucherzentrale runtergeladen<br />
werden: http://www.vz-nrw.de<br />
50 WIRTSCHAFT & MARKT 07–08/12
INGENIEUR-NACHRICHTEN<br />
Fotos: Flughafen Berlin Brandenburg, T. George<br />
KOMMENTAR<br />
Von DR. NORBERT MERTZSCH,<br />
Vorsitzender des VBIW e.V.<br />
Jobmotor Flughafen<br />
Nicht nur viele unserer Mitglieder<br />
fragen skeptisch: »Wann er denn<br />
endlich kommt und wird er wirklich<br />
ein Jobmotor?« Die wiederholte Verschiebung<br />
der Eröffnung des neuen<br />
Flughafens Berlin Brandenburg ist<br />
tatsächlich kaum dazu angetan,<br />
Sorgen zu beruhigen. Ich warne<br />
aber vor Pessimismus. Beispiel:<br />
Der 1992 eingeweihte neue Münchner<br />
Flughafen. Einen stärkeren<br />
Wachstumsimpuls hat die Region<br />
bisher nicht erlebt. Bereits Ende<br />
2009 waren am Flughafen München<br />
und in den dortigen 550 Unternehmen<br />
und Behörden insgesamt<br />
29.560 Menschen beschäftigt. Die<br />
Arbeitslosenquote rund um den<br />
Flughafen liegt bei zwei Prozent –<br />
einer der niedrigsten Werte Deutschlands.<br />
Alles spricht für einen<br />
ähnlichen Aufschwung rund um den<br />
Flughafen Berlin Brandenburg.<br />
Statistiker kennen eine klare Korrelation<br />
zwischen Fluggastaufkommen<br />
und neuen Arbeitsplätzen. Steigt<br />
das Aufkommen von derzeit 14 auf<br />
die anvisierten 27 Millionen, würden<br />
rund 10.000 Arbeitsplätze entstehen.<br />
Zusätzliche Impulse dürfte<br />
die wachsende Kaufkraft durch Passagiere,<br />
Flughafenbeschäftigte und<br />
Firmenangestellte geben. Schon<br />
jetzt haben sich im Umfeld Großunternehmen<br />
wie die Daimler AG,<br />
MTU, Rolls-Royce und VW Logistik<br />
angesiedelt, zusammen rund 3.800<br />
neue Arbeitsplätze. Hinzu kommt<br />
das Güterverkehrszentrum Großbeeren<br />
mit 4.500 Arbeitsplätzen.<br />
Die jüngsten Ansiedlungen in Großbeeren<br />
heißen Zalando, Lekkerland<br />
und Docdata. Für die Region spricht<br />
auch die gute Verkehrsanbindung an<br />
die Nord-Süd-Achse der Bahn sowie<br />
an die B 101, die Autobahn A 10.<br />
Landesregierung und Wirtschaftsinstitute<br />
prognostizieren ein<br />
Beschäftigungswachstum von<br />
32.000 bis 40.000 Erwerbstätigen.<br />
Verkehrsnetz<br />
DAS<br />
Der unterirdische Bahnhof<br />
des neuen Flughafens<br />
Berlin Brandenburg<br />
verfügt über vier Fernbahn-<br />
und zwei S-Bahngleise.<br />
ICE-und EC-Züge werden von<br />
dort einerseits nach Amsterdam-Schiphol<br />
über Hannover<br />
beziehungsweise östlich nach<br />
Krakau fahren. Zum Check-in-<br />
Bereich des Terminals werden<br />
die Passagiere über Rolltreppen<br />
und Aufzüge gelangen.<br />
Mit der Flughafenanbindung<br />
ergeben sich seit der Inbetriebnahme<br />
des neuen Berliner<br />
Hauptbahnhofs im Jahre<br />
2006 wieder einmal größere<br />
Veränderungen im Netz der<br />
Deutschen Bahn und der S-<br />
Bahn. Die Straßenanbindung<br />
war ja bereits in den letzten<br />
Jahren vollzogen worden, insbesondere<br />
durch die Verlängerung<br />
der A 100 von Tempelhof<br />
bis Neukölln und der daran<br />
anschließende Neubau der A<br />
113 in Richtung Schönfelder<br />
THEMA<br />
Zielort Flughafen<br />
Flughafen-Check: Wie die Anbindung des Airports<br />
an das Bahn- und Straßennetz gelingt, haben Mitglieder<br />
des Arbeitskreises Verkehrswesen geprüft.<br />
Kreuz mit den Zu- und Abfahrten<br />
zum Flughafen. Jetzt<br />
muss allerdings noch die<br />
Schnellstraße von Potsdam<br />
nach Schönefeld fertiggestellt<br />
werden.<br />
Bei der Bahn war hingegen<br />
lange nicht klar, wie der Verkehr<br />
gelenkt werden soll. Der<br />
AK Verkehrswesen des VBIW<br />
hat die wichtigsten Neuerungen<br />
zusammengetragen: Mit<br />
der Regionalbahn wird man<br />
auf zwei Strecken von der Mitte<br />
Berlins zum Flughafen gelangen.<br />
Die Linie RE 9 wird als<br />
Shuttle halbstündlich vom<br />
Hauptbahnhof südlich über<br />
Potsdamer Platz und Südkreuz<br />
auf den Berliner Außenring<br />
und von dort zum Flughafen<br />
führen.<br />
Die Linien RE 7 und RB 14<br />
werden von Dessau beziehungsweise<br />
Nauen aus stündlich<br />
über die Stadtbahn, also<br />
über die Bahnhöfe Zoo,<br />
Hauptbahnhof, Ostbahnhof<br />
und Karlshorst zum Flughafen<br />
und weiter nach Wünsdorf<br />
beziehungsweise Senftenberg<br />
fahren. Diese Züge<br />
werden auffällig als »Airport<br />
Express« gekennzeichnet.<br />
Von der Landeshauptstadt<br />
Potsdam fahren jetzt schon<br />
die Züge der RB 22 stündlich<br />
von Griebnitzsee über Hauptbahnhof<br />
und Golm auf dem<br />
Berliner Außenring nach<br />
Schönefeld, später dann direkt<br />
zum Flughafen. Ludwigsfelde<br />
gehört zweifellos zu den<br />
Nutznießern der Bahnanbindung<br />
des neuen Flughafens.<br />
Die Stadt erhält eine direkte<br />
und kurze Verbindung zum<br />
Flughafen. Auch Pendler können<br />
den Industriestandort auf<br />
diese Weise leichter erreichen.<br />
Die S-Bahn wird über den<br />
bisherigen Bahnhof Flughafen<br />
Berlin-Schönefeld hinaus bis<br />
nach Waßmannsdorf verlängert<br />
und im Bogen zurück in<br />
den unterirdischen Bahnhof<br />
des Airports BER geführt.<br />
Waßmannsdorf und die umliegenden<br />
Gemeinden freuen<br />
sich in diesem Zusammenhang<br />
auf den erstmaligen S-<br />
Bahn-Anschluss. Busanschluss<br />
besteht auch weiter vom Flughafen<br />
zum U-Bahnhof Rudow.<br />
Nach Einschätzung des Arbeitskreises<br />
wurden gute Lösungen<br />
für die Verkehrsanbindung<br />
des neuen Flughafens<br />
geschaffen. Positiv beurteilen<br />
die Mitglieder, dass die Notwendigkeit<br />
einer Anreise mit<br />
eigenem Pkw zum Flughafen<br />
entfällt.<br />
Eine Lücke bleibt noch: Die<br />
traditionelle, geradlinig über<br />
Lichtenrade und Südkreuz<br />
führende Dresdner Bahn sollte<br />
wiederhergestellt werden.<br />
Dann könnte die Taktfrequenz<br />
auf dem Berliner Außenring<br />
für den Verkehr von<br />
Berlin und Potsdam zum Flughafen<br />
erhöht werden. Die Planungen<br />
für diese Strecke haben<br />
bereits begonnen.<br />
52 WIRTSCHAFT & MARKT 07–08/12
INGENIEUR-NACHRICHTEN<br />
AKTUELL<br />
GESCHICHTE<br />
Kunstschmiede<br />
an Eisenstraße<br />
Die Dokumentation Brandenburger<br />
Eisenstraße, an<br />
der VBIW-Mitglieder arbeiten,<br />
hat eine neue Station.<br />
Die Kunstschmiede von Michael<br />
Soika in Stücken, einem<br />
Ortsteil der Gemeinde Michendorf<br />
im Landkreis Potsdam-<br />
Mittelmark, ist der jüngste<br />
Baustein der Brandenburger<br />
Eisenstraße. Die Dorfschmiede<br />
steht auch in der Denkmalliste<br />
des Landes Brandenburg. Soika<br />
freut sich über die Würdigung:<br />
»Jugendliche und Touristen,<br />
die sich für altes Handwerk interessieren,<br />
finden nun leichter<br />
diesen Anlaufpunkt.« Die<br />
Stückener Schmiede sei »ein<br />
gut erhaltenes Beispiel einer<br />
großen Dorfschmiede, zu der<br />
auch eine Stellmacherei gehörte«,<br />
befand das Landesdenkmalamt.<br />
Der VBIW schätzt die<br />
Bemühungen Soikas, Jugendliche<br />
mit Vorführungen und<br />
Lehrveranstaltungen für das<br />
Schmiedehandwerk zu begeis-<br />
tern. Die imaginäre Brandenburger<br />
Eisenstraße wird von<br />
Ortrand im Süden über Eisenhüttenstadt<br />
im Osten bis in<br />
die Nähe von Rathenow im<br />
Nordwesten führen.<br />
Jutta Scheer,<br />
VBIW, Tel.: (03364) 37 48 34<br />
ERFINDER<br />
Besuch im<br />
Erfinderclub<br />
An der Jubiläumsfeier des<br />
Erfinderclubs Lübbenau<br />
nahm VBIW-Vorsitzender<br />
Dr. Norbert Mertzsch teil.<br />
Im Mittelpunkt der Feier zum<br />
siebenjährigen Bestehen des<br />
Erfinderclubs Lübbenau<br />
Schüler-GmbH (SGmbH) am<br />
Paul-Fahlisch-Gymnasium<br />
stand Anfang Mai ihr aktuelles<br />
Projekt mit der Arbeitsbezeichnung<br />
»Solarkahn – eine Alternative?«.<br />
Die jungen Forscher<br />
wollen dazu beitragen, dass<br />
auf Strecken, wo motorisierte<br />
Kähne erforderlich sind, vorzugsweise<br />
Solar-Antriebe eingesetzt<br />
werden. Die Schüler<br />
tüfteln sowohl an einer an<br />
Bord installierten Photovoltaikanlage,<br />
als auch an Solar-<br />
Ladestationen an Land. Mit<br />
einem Flossenantrieb wollen<br />
sie Uferböschung, Uferboden<br />
und Fische schonen. Mit<br />
Dr. Mertzsch ergründeten die<br />
jungen Forscher Ansatzpunkte<br />
für eine Unterstützung der<br />
SGmbH durch den VBIW.<br />
TRANSPORT<br />
Mühlberger<br />
Hafen aktiviert<br />
Der VBIW fördert die Wiederbelebung<br />
des Mühlberger<br />
Hafens. Der erste größere<br />
Transport war ein Erfolg.<br />
Von dem 1998 stillgelegten alten<br />
Kieshafen Mühlberg ging<br />
der erste größere Transport in<br />
Richtung Übersee auf große<br />
Fahrt. Acht 55 Meter lange Rotorflügel<br />
der neuen Produktgeneration<br />
der Firma Vestas in<br />
Lauchhammer wurden von<br />
Mühlberg zur Elbmündung<br />
nach Brunsbüttel und von dort<br />
weiter in die USA verschifft. Sie<br />
sind für einen Windpark am<br />
Marble River (Murmelfluss) im<br />
Bundesstaat New York bestimmt.<br />
Für den VBIW gehört das Projekt<br />
zu seinen jahrelangen<br />
Bemühungen um die Verlagerung<br />
von Transporten von der<br />
Straße auf Schienen und Wasserwege.<br />
Der Verein begrüßte<br />
deshalb die Vestas-Bemühungen,<br />
die immer länger werdenden<br />
Rotorblätter für Windkraftanlagen<br />
über den Binnenzu<br />
einem Seehafen zu verschiffen.<br />
Von anfangs 39 Metern<br />
wuchsen die Rotorblätter über<br />
44 Meter seit 2011 auf 55 Meter.<br />
Weil der Straßentransport<br />
immer aufwendiger wurde,<br />
kam die Variante zu Wasser<br />
zum Zuge. Jetzt sucht der<br />
Hafen Aufträge von weiteren<br />
Kunden. Der VBIW will das<br />
Projekt mit Vorträgen und<br />
Publikationen unterstützen.<br />
ADRESSE<br />
Verein Brandenburgischer<br />
Ingenieure und Wirtschaftler e.V.<br />
Landesgeschäftsstelle Frankfurt (O.)<br />
Fürstenwalder Str. 46<br />
15234 Frankfurt (Oder)<br />
Tel.: (0335) 869 21 51<br />
E-Mail: buero.vbiw@online.de<br />
Internet: www.vbiw-ev.de<br />
WIRTSCHAFT & MARKT 07–08/12 53
Foto: Kia<br />
AUTOMOBIL<br />
Geblieben ist einzig und<br />
allein der seltsam anmutende<br />
Name. Sonst<br />
hat der alte mit dem neuen<br />
Kia Ceed nichts mehr gemein.<br />
Kein Wunder, wenn Kias Star-<br />
Designer Peter Schreyer<br />
(früher bei Audi) selbst Hand<br />
anlegt und mit dem neuen<br />
Kompakten eine kleine Design-Ikone<br />
auf die Räder stellt.<br />
Man könnte ins Schwärmen<br />
geraten über die harmonische<br />
Linienführung und die ausgewogenen<br />
Proportionen des<br />
neuen Ceed. Die schlichte Eleganz<br />
erlaubt trotz allem<br />
einen sportlichen und athletischen<br />
Auftritt und lässt den<br />
auf 4,31 Meter Länge gewachsenen<br />
Kompaktwagen gereift<br />
erscheinen.<br />
Auch im Innenraum überzeugt<br />
der Ceed durch gutes<br />
Design und Komfort-Features,<br />
die in der Kompaktklasse<br />
noch nicht Standard sind.<br />
Hier sticht die gute Qualität<br />
ins Auge. Die Materialien vermitteln<br />
einen hochwertigen<br />
Eindruck, die Instrumente<br />
sind gut ablesbar und angeordnet.<br />
Das Armaturenbrett<br />
erinnert in seinem klaren<br />
schlichten Aufbau an ein<br />
Flugzeug-Cockpit. Dabei fällt<br />
der digitale Tacho im »norma-<br />
KIA CEED<br />
Jagd auf den Golf<br />
Der neue kompakte Koreaner aus slowakischer<br />
Produktion startet mit frischem Design und<br />
Top-Qualität in der hart umkämpften Golfklasse.<br />
len« analogen Design auf. Die<br />
gewachsenen Proportionen<br />
schaffen wesentlich mehr<br />
Platz im Innenraum, wo Fahrer<br />
und Beifahrer deutlich<br />
mehr Beinfreiheit finden. Im<br />
Fond können es sich zwei Erwachsene<br />
oder drei Kinder bequem<br />
machen. Der Gepäckraum<br />
wuchs um 40 Liter und<br />
fasst 380 Liter. Wird die Rückbank<br />
umgeklappt, lassen sich<br />
auf ebenem Ladeboden bis zu<br />
1.318 Liter Gepäck verstauen.<br />
So gut wie keine Wünsche<br />
lässt der Ausstattungsumfang<br />
offen. Schon in der Basisversion<br />
»Attract« hat der Kia Ceed<br />
ein Sechsgang-Schaltgetriebe,<br />
Multifunktionslenkrad, Zentralverriegelung,<br />
elektrische<br />
Außenspiegel und elektrische<br />
Fensterheber vorn, Bordcomputer,<br />
ein Audiosystem und<br />
Tagfahrlicht. In den höherwertigen<br />
Ausführungen sind<br />
das klimatisierte Handschuhfach,<br />
Sitzheizung, Geschwindigkeitsregelanlage,<br />
Abbiegelicht,<br />
Freisprecheinrichtung,<br />
und Regensensor zu betonen.<br />
Zum Verkaufsstart in<br />
Deutschland hat Kia für den<br />
Ceed vier Motoren im Angebot<br />
– zwei Benziner und zwei<br />
Diesel, mit einem Leistungsspektrum<br />
von 90 bis 135 PS.<br />
Das kraftvollste Triebwerk ist<br />
der 1,6-Liter-Direkteinspritzer.<br />
Während der Fahrt zeigt es<br />
sich sehr laufruhig und angenehm<br />
leise. Der sparsamste<br />
Motor hingegen ist der 128 PS<br />
starke 1,6 Liter Selbstzünder,<br />
dessen EcoDynamic-Version<br />
nur 97 g/km CO 2 emittiert<br />
und gerade mal an die vier Liter<br />
Diesel auf 100 Kilometer<br />
verbraucht. Erfreulich auch<br />
die Preise für den Koreaner:<br />
Die Basisversion des Ceed ist<br />
für 13.990 Euro zu haben. Der<br />
Kombi kommt im Herbst für<br />
15.190 Euro.<br />
Hans-Jürgen Götz<br />
Mit dem Auto in den Urlaub<br />
Gute Reiseplanung vermindert Stress<br />
Deutschlands Autobahnen sind in diesen Wochen wieder überlastet. Ferienzeit. Zigtausende Familien<br />
packen ihre Koffer und fahren mit dem Auto in den Urlaub. W&M-Tipps für eine unbeschwerte Fahrt.<br />
REISE PLANEN<br />
Die rechtzeitige Planung reduziert<br />
den Stress. Sobald das Ziel<br />
feststeht, sollten Sie Ihre persönliche<br />
Checkliste aufstellen:<br />
Auslandsbestimmungen, Licht-<br />
ALLES DABEI: Kind und Kegel.<br />
pflicht und Tempolimits, Impfpflicht<br />
– wichtig auch für mitgeführte<br />
Tiere. Möglichst im<br />
Vorfeld schon Plaketten und<br />
Vignetten besorgen, Routen<br />
und Ausweichstrecken – trotz<br />
Navigationssystem (Karten aktualisieren!)<br />
– checken.<br />
AUTO FIT MACHEN<br />
Vor Antritt der Fahrt die Flüssigkeitsstände<br />
von Öl, Kühlund<br />
Scheibenreinigungswasser<br />
überprüfen. Wegen der<br />
Gepäckzuladung den Reifendruck<br />
erhöhen. Reifenprofil,<br />
Bremsbeläge und Wischerblättern<br />
ebenfalls checken.<br />
RICHTIG LADEN<br />
Beim Beladen des Fahrzeugs<br />
gilt eine Grundregel: Schwere<br />
Gepäckstücke gehören nach<br />
unten, um den Schwerpunkt<br />
des Autos niedrig zu halten.<br />
Achtung beim Kombi: Keine<br />
Gepäckstücke über der Oberkante<br />
der Rücksitzlehnen verstauen.<br />
Bei starkem Bremsen<br />
schießen Teile nach vorn. Verbandkasten,<br />
Warnwesten und<br />
-dreieck und Feuerlöscher stets<br />
gut erreichbarer platzieren.<br />
FAHRER GUT VORBEREITEN<br />
Für Fitness am Steuer sind ein<br />
alkoholfreier Vorabend und<br />
ausreichend Schlaf gesetzt.<br />
Bequeme Kleidung, leichte<br />
Kost und regelmäßige Pausen<br />
mit Bewegung helfen, auch<br />
längere Etappen ermüdungsfrei<br />
zu überstehen. Auf längeren<br />
Fahrten die Belastbarkeit<br />
der Kinder nicht überfordern.<br />
Unterhaltung durch Spiele,<br />
Musik und Gespräche sollten<br />
mit zur Urlaubsfahrt gehören.<br />
PAUSEN EINLEGEN<br />
Regelmäßige Pausen sind angeraten.<br />
Es gilt: Behalten Sie Ihr<br />
Fahrzeug gut im Auge. Persönliche<br />
Präsenz am Fahrzeug ist<br />
der beste Diebstahlschutz.<br />
54<br />
WIRTSCHAFT & MARKT 07–08/12
PORTRÄT<br />
Fotos: R. Wolf-Götz<br />
Heinrich-Beck-Institut Meiningen<br />
Superhelles Licht<br />
Mit innovativen LED-Lichtelementen für spezielle Anwendungen sorgen Rufus und Tilmann Beck<br />
im südthüringischen Meiningen für Furore und setzen eine erfolgreiche Familientradition fort.<br />
Das Meininger Theater mit seiner<br />
großen Bühne ist festlich illuminiert.<br />
Es wird dunkel im Saal. Der<br />
Vorhang geht auf und die Scheinwerfer<br />
sind nur noch auf die Schauspieler gerichtet.<br />
»Dabei hat sich früher enorme<br />
Hitze entwickelt«, erklärt Dr. Rufus Beck.<br />
Doch seit er zusammen mit seinem Sohn<br />
Tilmann für den Innenraum des Theaters<br />
ihrer Heimatstadt spezielle LED-Lichtelemente<br />
entwickelt hat, kommen die<br />
Darsteller nicht mehr ins Schwitzen.<br />
»Ein gutes Bühnenlicht muss zielgerichtet<br />
und dezent zugleich sein, und es darf<br />
keine Wärme entwickeln«, betont der<br />
Tüftler, der mit Sohn Tilmann das legendäre<br />
Heinrich-Beck-Institut (HBI) in der<br />
südthüringischen Kleinstadt führt.<br />
Vor genau 100 Jahren hatte Großvater<br />
Heinrich Beck in dem Meininger Institut<br />
an seiner Bogenlampen-Technologie geforscht.<br />
Bis zur Erfindung des Lasers war<br />
der Beckbogen die Lichtquelle mit der<br />
höchsten optischen Leistungsdichte. In<br />
europäischen Großstädten und darüber<br />
hinaus in New York und San Franzisco erhellte<br />
das Beck-Licht die Straßen. Nicht<br />
allein die Helligkeit, auch der bis zu<br />
zehnmal günstigere Preis stand im Vorteil<br />
zur bisher verwendeten mechanisch<br />
geregelten Bogenlampe.<br />
WEIT STRAHLENDES LICHT<br />
Mehr denn je steht bei den Entwicklungen<br />
des HBI hohe Qualität mit geringem<br />
Energieaufwand im Mittelpunkt. Die eindrucksvolle<br />
Illumination des Freiburger<br />
Münsters ist ein Beispiel dafür. 110 spezielle<br />
LED-Lampen setzen die Kathedrale in<br />
stimmungsvolles Licht. Der Stromverbrauch<br />
ist gering. Für die Außenbeleuchtung<br />
der historischen Sandsteinfassaden<br />
kann die Stadt jetzt nahezu 50 Prozent<br />
an Energiekosten einsparen. Der angeblich<br />
»schönste Turm der Christenheit«<br />
leuchtet sogar mit 60 Prozent weniger<br />
Energie (400 statt bisher 1.100 Watt) über<br />
der Breisgau-Metropole.<br />
»Ziel unserer Entwicklungen ist, Licht<br />
aus Hochleistungs-LED sehr effizient zu<br />
nutzen«, betont der 46-jährige Tilmann<br />
Beck. »Das macht den Unterschied zu<br />
herkömmlichen Licht-Installationen.«<br />
Vor knapp zehn Jahren bezogen Becks<br />
ihr angestammtes Institut in Meiningen<br />
wieder, nachdem sie es vom Land Thüringen<br />
zurück gekauft hatten. In der DDR<br />
hatte das Institut für Plasmatechnik der<br />
TH Illmenau die Becksche Entwicklungstradition<br />
fortgesetzt.<br />
In dieser Zeit hatte sich Nachfahre Dr.<br />
Rufus Beck in Neu-Isenburg bei Frankfurt<br />
am Main der Laser-Technik verschrieben.<br />
Seit gut vier Jahren forschen<br />
Vater und Sohn mit Licht emittierenden<br />
Dioden (LED), die sie von einem Hersteller<br />
in den USA beziehen. Im Institut entwickeln<br />
die Wissenschaftler aus den winzigen<br />
Teilen in Verbindung mit Wärme<br />
leitenden LED-Haltern, Spiegeln und Gehäusen<br />
leistungsstarke Licht-Lösungen.<br />
Darunter das LED-Scheinwerfersystem<br />
»BeckLite SearchMaster«. Aus insgesamt<br />
19 Modulen besteht das LED-Konzept, das<br />
den Ausgangsstrahl besonders stark<br />
bündelt. Noch in 100 Metern leuchtet der<br />
Lichtstrahl mit 140 Lux.<br />
Eine Reihe an Weiterentwicklungen<br />
hat die dritte Generation des Beck-Instituts<br />
im Licht-Programm. Die Hightech-<br />
Taschenlampe »BeckLite PowerTorch«<br />
leuchtet mit einem einzigen Strahl über<br />
100 Meter weit mit 48 Lux starkem Licht.<br />
Das ist ideal für Polizei-Einsätze. Hohe<br />
Anschaffungskosten stehen einem breiten<br />
Einsatz der lichtstarken und energiegünstigen<br />
Technik aber noch im Weg.<br />
Die Hamburger Wasserschutzpolizei indes<br />
schwört seit längerem auf das helle<br />
AIRPORTTAUGLICH: Field-Illuminator.<br />
Beck-Licht. Auch Greenpeace hat sich die<br />
leistungsstarken LED-Leuchten aus dem<br />
Hause Beck an Bord ihres Schiffes »Beluga<br />
II« geholt, erzählt Rufus Beck.<br />
Das HBI produziert nicht für Endkunden.<br />
»Wir liefern die Lichttechnologie an<br />
verschiedene Hersteller«, betont Beck.<br />
Dabei gehen dem Serienprodukt immer<br />
LICHTEXPERTE: Tilmann Beck.<br />
längere Versuchsreihen voraus. Beispielsweise<br />
für die Vorfeldbeleuchtung von<br />
Flughäfen, für die auf einem großen<br />
Airport eine Versuchsanlage der Beck-<br />
Technologie »BeckLite Fieldilluminator«<br />
errichtet wurde. »In dieser Anwendung<br />
liegt ein großes Potenzial«, sagt Beck. Die<br />
Flughafenbetreiber müssten große Mengen<br />
an Strom einsparen, um entsprechende<br />
Auflagen zu erfüllen. Die Sicherheit<br />
darf jedoch nicht auf der Strecke<br />
bleiben. Deshalb sind hier besonders intelligente<br />
LED-Lichtkonzepte gefragt.<br />
Nach Vorbild des Firmengründers<br />
Heinrich Beck widmen sich seine Nachfahren<br />
Rufus und Tilmann auch der<br />
Weiterentwicklung einer effizienten<br />
Straßenbeleuchtung. Der Prototyp einer<br />
LED-Laterne in Meiningen, im Rahmen<br />
eines Ideen-Wettbewerbs entwickelt, lieferte<br />
den ehrgeizigen Tüftlern über Monate<br />
Daten. Trotz der nachweislich deutlich<br />
sparsameren Nutzung läuft die<br />
Nachfrage nur schleppend an. Ein Grund<br />
dürften die hohen Anschaffungskosten<br />
sein. Das ließ 2011 nur einen geringen<br />
Anstieg des Umsatzes zu. Der 72-jährige<br />
Senior-Chef Rufus Beck lässt sich aber<br />
nicht entmutigen: »Für das laufende Jahr<br />
erwarten wir eine deutliche Steigerung.«<br />
&<br />
Renate Wolf-Götz<br />
WIRTSCHAFT & MARKT 07–08/12 55
W<br />
ie die Malediven, nur nicht so<br />
bunt«, schwärmt ein Blogger.<br />
»Fisch ist ordentlich vorhanden«,<br />
ergänzt ein anderer und setzt hinzu:<br />
»Trotz schlechter Sicht haben wir reichlich<br />
Hecht gesehen, teilweise einen halben<br />
Meter lang und noch größer. Rotfedern,<br />
Flussbarsche, Schwärme von Jungfischen.<br />
Am Grund vielfach Flusskrebse<br />
und über große Flächen Muscheln.«<br />
Die Rede ist von einem wenig bekannten,<br />
nur rund 100 Kilometer von Berlin<br />
enfernten Urlaubsparadies: ein idyllischer<br />
See mit einer kleinen Insel mittendrin<br />
und Natur, wohin das Auge blickt.<br />
Die nächste Ansiedlung ist real vier Kilometer,<br />
gefühlt eine Tagesreise entfernt.<br />
Der Brückentinsee. Rundum nichts<br />
als verträumte See- und Waldlandschaft.<br />
Am Ufer steht kein einziges Haus. Das<br />
Eiland ist üppig bewachsen, nur 40.000<br />
Quadratmeter groß und von zwei Menschenseelen<br />
bewohnt. In weniger als 15<br />
Minuten lässt sich die Insel auf einem<br />
rund 700 Meter langen Rundweg erkunden.<br />
Zu erreichen ist das grüne Herz des<br />
Sees über eine einspurige, befahrbare<br />
Holzbrücke. Das Auto bleibt aber gleich<br />
auf dem Parkplatz hinter der Brücke<br />
stehen – die Insel ist autofreie Zone. Eine<br />
Brückentinsee<br />
Tauchen<br />
gestattet<br />
Reif für die Insel? Berliner<br />
Freunde des Tauchsports<br />
haben da einen Geheimtipp:<br />
eine Insel im Brückentinsee<br />
an der Grenze zwischen<br />
Brandenburg und<br />
Mecklenburg-Vorpommern.<br />
kleine, einstöckige Gebäudegruppe bildet<br />
das Inselhotel. Bis 1990 hatte dort<br />
die Staatssicherheit ein Ferienheim. Im<br />
Jahr 1992 kauften zwei Berliner Freunde<br />
das Eiland mit dem kompletten Inventar<br />
und machten sich an die Verwirklichung<br />
eines Traumes. Mit viel Energie und<br />
gehörigen Investitionen schufen sie ein<br />
Mini-Komfort-Hotel.<br />
Von Beginn an sorgte die Berliner Geschäftsführerin<br />
Barbara Karge zusammen<br />
mit ihrem Mann – das sind die beiden<br />
Dauerbewohner der Insel – und einem<br />
kleinen Team für das Wohl der<br />
Gäste. Heute bietet das Haus drei Einzelund<br />
zwei Doppelzimmer sowie fünf Suiten<br />
für bis zu vier Personen. Dazu kommen<br />
– unübertroffen romantisch – zwei<br />
auf Stelzen über dem Wasser schwebende<br />
Bungalows, jeweils mit großer Terrasse<br />
und Ruderbootgarage. Und dazwischen,<br />
ebenfalls direkt am Ufer, eine Sauna<br />
mit Panoramablick auf den See. Alles<br />
ganz natürlich in die Seenlandschaft eineingefügt.<br />
Anderswo spräche man wohl<br />
von einem Öko-Resort.<br />
Das Hotelrestaurant steht auch bei Tagesausflüglern<br />
hoch im Kurs. Die Küche<br />
bietet Klassiker wie Schweinemedallions,<br />
Deftiges wie Aal in Aspik oder Regionales<br />
56 WIRTSCHAFT & MARKT 07–08/12
TOURISMUS<br />
gel und der Otter zu begegnen. Eher<br />
gemütlich verläuft die Tour Elektroboote<br />
durch das Naturschutzgebiet Schmaler<br />
Luzin.<br />
Auf der Wandertour Hallo Mr. Adler<br />
gibt es viel zu lernen über Orchideen<br />
und die Ökologie der Tier- und Pflanzenwelt.<br />
In einem vom Bollmann originalgetreu<br />
nachgebauten Adlerhorst darf<br />
man Platz nehmen und nachvollziehen,<br />
wie sich wohl junge Adler fühlen.<br />
Schließlich bietet der passionierte Tierfotograf<br />
auch Fototouren an: Dabei können<br />
Adler aus Verstecken heraus oder bei<br />
der Action-Fotografie vom Boot beim<br />
HECHT posiert vor der Taucherkamera.<br />
Fotos: Manuela Kirschner<br />
NUR ÜBER EINE HOLZBRÜCKE ZU ERREICHEN: das Inselhotel im Brückentinsee.<br />
wie Flusskrebssuppe und Barschfilet in<br />
Riesling pochiert. Spezialitäten des Hauses<br />
sind Hecht und Maräne aus dem<br />
Brückentinsee und Fische aus anderen<br />
Gewässern Mecklenburg-Vorpommerns.<br />
Dazu kommen Wild- und Fleischgerichte,<br />
selbstgebackenes Inselbrot und Kuchen.<br />
Wie naturnah es sich hier urlauben<br />
lässt, zeigt schon ein Blick auf die Karte.<br />
Der Brückentinsee liegt inmitten einer<br />
Ansammlung von Großschutzgebieten.<br />
Teile des östlichen Seeufers gehören zum<br />
brandenburgischen Naturpark Uckermärkische<br />
Seen. Der größte Teil des<br />
Brückentinsees, ebenso wie die Insel,<br />
liegen in Mecklenburg-Vorpommerns Naturpark<br />
Feldberger Seenlandschaft. Nur<br />
wenige Kilometer südwestlich beginnt<br />
der Naturpark Stechlinsee-Ruppiner<br />
Land, nach Norden ist es nicht weit zum<br />
Müritz-Nationalpark.<br />
Diese einmalige Naturlandschaft ist<br />
das Revier von Fred Bollmann, einem<br />
ehemaligen Naturpark-Mitarbeiter, geprüften<br />
Schutzgebietsbetreuer und<br />
Ornithologen. Mit seinen Ranger Tours<br />
bietet er Naturerlebnisse unter ortskundiger<br />
Begleitung an. Zum Beispiel eine<br />
dreistündige Adlertour, bei der man See-,<br />
Fisch- und Schreiadlern begegnen kann.<br />
Oder eine ganztägige Country-Tour mit<br />
Essen und den Höhepunkten aus der Spezialtour<br />
Adler. Rustikal geht es auf der<br />
Tour Land und Leute und Natur zu – mit<br />
Lagerfeuer und Maräneräuchern. Ebenfalls<br />
auf Bollmanns Programm stehen Kanufahrten<br />
auf dem Krüseliner Bach und<br />
die Kanusafari im Großkanadier über<br />
fünf Seen mit guten Chancen, dem Eisvo-<br />
Beutegreifen von Köderfischen abgelichtet<br />
werden. Bollmann betreut auch<br />
Schulklassen, Gruppenausflüge und Firmenevents.<br />
Taucher müssen ihre Touren dagegen<br />
ohne Führung bewältigen. Eine besondere<br />
Genehmigung brauchen sie nicht. Sie<br />
haben ausreichende Sicht bis zu sieben<br />
Meter Tiefe. Jedoch werden sie gebeten,<br />
sich vorher bei dem Fischer Rüdiger Glashagen<br />
anzumelden. Damit sie sich nicht<br />
in seinen zeitweilig ausgestellten Maränenetzen<br />
verfangen.<br />
Manuela Kirschner<br />
ANREISE:<br />
Von Berlin über die B 96. Hinter Fürstenberg<br />
abbiegen Richtung Godendorf/<br />
Dabelow. Der Ausschilderung folgen,<br />
nach etwa zehn Kilometern ist die Holzbrücke<br />
zum See erreicht.<br />
Inselhotel Brückentinsee,<br />
17237 Wokuhl-Dabelow,<br />
Tel.: (03 98 25) 202 47,<br />
E-Mail: inselhotel-brueckentinsee@<br />
t-online.de,<br />
www.inselhotel-brueckentinsee.de<br />
Ranger Tours, Fred Bollmann,<br />
Am Rosenberg 34, 17258 Feldberg,<br />
Tel.:/Fax: (03 98 31) 221 74,<br />
E-Mail: info@ranger-tours.de,<br />
www.ranger-tours.de<br />
Hotel und Ranger Tours haben<br />
ganzjährig geöffnet.<br />
&<br />
WIRTSCHAFT & MARKT 07–08/12 57
SERIE<br />
M arken<br />
acher<br />
ärkte<br />
mp-Chef Hartmut Bunsen<br />
Netzwerker<br />
zwischen<br />
Leipzig und<br />
Hyderabad<br />
Produktpremiere in Hyderabad: Die<br />
indische Daimler-Tochter stellt die<br />
neuen BharatBenz-Lastkraftwagen vor.<br />
Eine sechstägige Megashow für Kunden,<br />
Händler, Medienleute. Der spektakuläre<br />
Ausstellungsstand stammt von der<br />
Messeprojekt GmbH, einem Leipziger<br />
Familienunternehmen. Geschäftsführer<br />
Hartmut Bunsen, hier mit Ehefrau<br />
Ursula, Chefin der mp-Tochter Inuma,<br />
(s. o.) hat in nur zwei Jahrzehnten die<br />
Firma zu einem der Branchenführer<br />
in Deutschland gemacht.<br />
Fotos: Torsten George, mp Leipzig<br />
58 WIRTSCHAFT & MARKT 07–08/12
SERIE<br />
Als Anfang März dieses Jahres in<br />
Hyderabad – mit 6,8 Millionen<br />
Einwohnern viertgrößte Stadt<br />
Indiens – die Scheinwerfer aufflammen<br />
und die Lastkraftwagen in gleißendes<br />
Licht tauchen, ist der größte Auslandsauftrag<br />
der Messeprojekt (mp) GmbH beinahe<br />
schon Geschichte. Mit hohem Engagement<br />
hat die Leipziger Firma den Aufsehen<br />
erregenden Auftritt der Marke<br />
BharatBenz der »Daimler India Commercial<br />
Vehicles« (DICV) realisiert.<br />
Hundert deutsche Mitarbeiter und<br />
noch einmal so viele einheimische Fachkräfte<br />
waren elf Tage lang mit dem Aufbau<br />
des Stands auf einer knapp fußballfeldgroßen<br />
Fläche beschäftigt. Davor lagen<br />
Wochen und Monate kreativer und<br />
intensiver Arbeit in Leipzig und tonnenschwere<br />
Transporte auf dem Luft- und<br />
Seeweg. Vor Ort auf dem Subkontinent<br />
haben in Tag- und Nachtarbeit Senior-<br />
Chef Hartmut Bunsen und sein Sohn, Geschäftsführer<br />
Raimo Bunsen, wie auch<br />
die Projektleiter Dirk Knäbel, Annegret<br />
Hecht und Christian Stripp, die Ausführung<br />
des Auftrags gemanagt.<br />
Sehr zur Zufriedenheit der Daimler<br />
AG, wie aus einem Dankschreiben der<br />
Stuttgarter Zentrale hervorgeht: »Es ist<br />
einfach Klasse zu sehen, wie man manches<br />
auch in Indien zur Perfektion bringen<br />
kann, wenn die richtigen Leute daran<br />
arbeiten.« So etwas habe das Land<br />
noch nicht gesehen, heißt es in der Mail.<br />
AUF DIE WELTMÄRKTE GEWAGT<br />
Welchen Stellenwert der DICV-Auftritt<br />
für den Konzern hat, lässt sich daran ermessen,<br />
dass Indien mit seinen 1,2 Milliarden<br />
Einwohnern neben China und den<br />
USA zu den größten Lkw-Märkten der<br />
Welt zählt. So betont denn auch DICV-<br />
Geschäftsführer Marc Llistosella bei der<br />
Premiere in Hyderabad: »Nach langer<br />
Entwicklungsphase und über 4,5 Millionen<br />
Testkilometern auf unserer hauseigenen<br />
Teststrecke in Oragadam, sind<br />
wir mehr als bereit, den indischen Markt<br />
zu erobern. Die Tatsache, dass Daimler<br />
eine Marke für den indischen Markt anbietet,<br />
zeigt, wie wichtig diese Region für<br />
uns ist. Wir investieren 44 Milliarden indische<br />
Rupien (rund 700 Millionen Euro)<br />
in einen hochmodernen Entwicklungsund<br />
Produktionsstandort.«<br />
In ihrer Produktpalette hat die Sub-<br />
Marke 17 verschiedene Nutzfahrzeuge in<br />
den Klassen von neun bis 49 Tonnen. Sie<br />
werden in dem neuen Werk bei Chennai<br />
(Südindien) gefertigt. Die Kapazität liegt<br />
zunächst bei 36.000 Einheiten pro Jahr.<br />
DICV arbeitet vor Ort mit über 450 Zulieferern<br />
zusammen. Die Teile kommen zu<br />
85 Prozent aus der Region.<br />
WIRTSCHAFT & MARKT 07–08/12 59
SERIE<br />
Auch für mp, den ostdeutschen Branchenprimus,<br />
spielen die Auslandsmärkte<br />
eine immer wichtigere Rolle. Heute beziffert<br />
Bunsen das Umsatzziel der Unternehmensgruppe<br />
für 2012 auf 30 Millionen<br />
Euro – 15 Prozent davon werden bereits<br />
außerhalb Deutschlands realisiert,<br />
Tendenz steigend.<br />
In 30 Metropolen weltweit – Peking<br />
und Shanghai bis Paris oder Sao Paulo –<br />
agiert das Unternehmen gemeinsam mit<br />
Partnern, so der Chef. Er weiß, dass dieses<br />
Engagement nicht nur mit einzelnen<br />
Unwägbarkeiten verbunden ist, sondern<br />
insgesamt ein Wagnis bleibt. »Wir wollen<br />
wachsen«, sagt er, »aber werden weiter<br />
vorsichtig operieren – besonders im direkten<br />
Auslandsgeschäft. Als nächstes<br />
werden wir den afrikanischen Markt angehen.«<br />
Gleichwohl sieht er den Messebau<br />
als Spiegelbild der wirtschaftlichen<br />
Entwicklung. Gerade für Mittelständler<br />
werden Schwellenländer wie Brasilien,<br />
Russland, Indien, China immer interessanter.<br />
Für den Freistaat Sachsen war<br />
2011 ein Exportrekordjahr. Und das Land<br />
ist auch gut in dieses Jahr gestartet, trotz<br />
der Eurokrise.<br />
ERSTE PLEITE – ZWEITER ANLAUF<br />
»Firmenchef mit hoher Schlagkraft« titelte<br />
Anfang 2006 die »Süddeutsche Zeitung«<br />
ein Porträt des Messebauers – eine<br />
Anspielung auf Bunsens DDR-Meisterschaft<br />
im Ruder-Achter. Das war 1965 in<br />
Berlin-Grünau und er saß im Boot der<br />
DHfK Leipzig. Dem Sport ist er treu geblieben.<br />
2000 und 2003 wurde er Senioren-Weltmeister<br />
und ist heute Vorstandsvorsitzender<br />
des Akademischen Ruderverein<br />
zu Leipzig.<br />
Dem Sport verdankt er viel. Sehr viel.<br />
Als die wichtigsten Säulen seines Erfolgs<br />
nennt der Firmenchef das Engagement<br />
seiner Familie – der älteste Sohn, Reimo<br />
Bunsen, ist Geschäftsführer der Messeprojekt<br />
GmbH und sein jüngster Sohn,<br />
Björn-Hendrik Duphorn, leitet den Vertrieb<br />
– und seiner Mitarbeiter. Zugleich<br />
verweist er auf seinen leistungssportlichen<br />
Werdegang: »Ich habe gelernt zu<br />
kämpfen, nicht aufzugeben und auf ein<br />
starkes Team zu setzen.« Er weiß, wovon<br />
er spricht. Der gebürtige Mecklenburger<br />
Bunsen, der an der Hochschule für Bauwesen<br />
Leipzig studiert hat und seit den<br />
siebziger Jahren Investbauleiter, Technischer<br />
Direktor und Produktionsdirektor<br />
bei der DEWAG der Messestadt war, hat<br />
nach der Wende viel Lehrgeld zahlen<br />
müssen, im wortwörtlichen Sinne.<br />
Als 1990 aus dem DDR-Werbebetrieb<br />
ein Treuhandunternehmen wird, entstehen<br />
kleinere Einheiten, Profit-Center<br />
ähnlich: Tischlerei, Malerei, Schlosserei<br />
und andere Gewerke. Es läuft einigermaßen.<br />
Eines Tages kommt ein Messebauer<br />
aus dem westlichen Teil Berlins<br />
und schlägt Bunsen vor, mit ihm zusammen<br />
eine Firma in Ostdeutschland zu<br />
gründen. Oder eine Agentur, um Aufträge<br />
zu akquirieren. Bunsen geht zu seinem<br />
Treuhand-Chef und holt sich die Erlaubnis,<br />
als Gesellschafter und zweiter<br />
Geschäftsführer einzusteigen, zumal<br />
eine entsprechende Auftrags-Akquise<br />
wohl auch dem Profit-Center zugute<br />
käme. So startet 1990 die »Orbital Fair International<br />
Messe und Ausstellungsservice<br />
GmbH« – eine Agentur. Er legt sich in<br />
die Riemen und zieht Aufträge der Leipziger<br />
Messen an Land und realisiert sie<br />
mit dem Treuhand-Betrieb. Es läuft gut.<br />
Da verkauft die Treuhand den ehemaligen<br />
DEWAG-Betrieb. Der Investor –<br />
Dr. Klaus Berg, Inhaber der hessischen<br />
Expo Werbe-Group GmbH – will wohl<br />
auch an die Messe-Aufträge herankommen.<br />
Als er merkt, dass Orbital zwischengeschaltet<br />
ist, bestellt er Bunsen<br />
wütend in sein Büro und fährt ihn an:<br />
»Ich will Sie morgen früh nicht mehr in<br />
der Firma sehen.« Der Gefeuerte nimmt<br />
sich noch die Zeit, in sein Center zu gehen<br />
und zu fragen, wer mit ihm in die<br />
Agentur gehen will, um sie in einen Messebaubetrieb<br />
zu verwandeln. 20 Leute<br />
sind sofort bereit. Schon im ersten Jahr<br />
macht die Firma eine Million Mark Umsatz.<br />
Es läuft bestens.<br />
Anscheinend, denn Bunsens Geschäftspartner<br />
gründet unentwegt neue<br />
Firmen – in Düsseldorf, Brno und sogar<br />
in New York. Über eine zentrale Verwaltungsfirma<br />
in Berlin erledigt er das Geschäftliche.<br />
Bunsen ist es recht, sich<br />
nicht um die betriebswirtschaftlichen<br />
Dinge kümmern zu müssen. Ein Fehler?<br />
Er kennt Hinz und Kunz in der Messestadt,<br />
versteht sich mehr als Akquisiteur<br />
und Techniker, als Macher. Bis er eines<br />
Tages nach Berlin in die Deutsche Bank<br />
zu einem Geschäftstermin eingeladen<br />
wird. Er nimmt seinen Sohn Raimo mit,<br />
der sich eine Gitarre kaufen will, und ist<br />
guter Dinge. In Berlin eröffnen ihm die<br />
Banker, dass die Firmengruppe hoch verschuldet<br />
ist und die Orbital-Kredite fällig<br />
gestellt werden, das Unternehmen Konkurs<br />
anmelden muss. Der Boden rutscht<br />
dem Leipziger unter den Füßen weg. Es<br />
läuft gar nichts mehr.<br />
Doch Bunsen fängt sich schnell und<br />
nimmt es sportlich. »Geht nicht, gibt’s<br />
nicht« war schon in der DDR sein Motto.<br />
Er kauft die anderen Gesellschafteranteile<br />
für eine symbolische Mark, setzt in einer<br />
zweiten Runde den Geschäftsführer<br />
ab – und lässt das Unternehmen doch<br />
nicht in Konkurs gehen, sondern wickelt<br />
es über fünf Jahre ab. »Ein Konkurs wäre<br />
vor allem zu Lasten der kleinen Zulieferer<br />
und Handwerker gegangen«, erklärt<br />
er sein Vorgehen. Noch 1991 gründet<br />
Hartmut Bunsen die Messeprojekt<br />
GmbH, ein Jahr später die Innenausbaufirma<br />
Inuma, die seine Frau leitet.<br />
Leipzig, das schon Ende des 12. Jahrhunderts<br />
als Messe- und Handelsplatz erwähnt<br />
wird, ist Bunsens Stabilitätsanker<br />
geblieben. Hier machte der Messebauer<br />
die Hälfte seines Umsatzes, hier sind die<br />
Partner nah und vertraut, die Wege kurz.<br />
Im Gewerbegebiet Bergeweg des Stadtteils<br />
Seehausen verfügt das inhabergeführte<br />
Familienunternehmen jetzt über<br />
einen ausgedehnten Gebäudekomplex,<br />
Bunsen hat dort nicht nur alle wichtigen<br />
Werkstätten, Lager und Büros faktisch<br />
unter einem Dach, sondern auch, wenn<br />
er über die Autobahn schaut, das Messegelände<br />
fest im Blick.<br />
UNTER DEN TOP TEN DER BRANCHE<br />
Hier in Seehausen arbeiten Designer, Architekten,<br />
Zeichner, Bauingenieure,<br />
Tischler – Macher und Wegbereiter zusammen.<br />
Sie stehen mit ihrem Knowhow<br />
und ihrer Erfahrung, ja, ihrem Herzblut,<br />
wie Hartmut Bunsen sagt, von der<br />
ersten Skizze bis zur Standübergabe für<br />
60 WIRTSCHAFT & MARKT 07–08/12
SERIE<br />
MP IM STENOGRAMM: 170 festangestellte<br />
Mitarbeiter, 26 Millionen Euro Umsatz<br />
(2011), mehr als 23.000 Quadratmeter<br />
Produktions- und Lagerfläche. Zertifizierte<br />
Qualität und Umweltverträglichkeit.<br />
Mitglied im Branchendachverband FAMAB.<br />
ihren Auftrag ein. »Es ist unsere Philosophie,<br />
eine persönliche, partnerschaftliche<br />
Beziehung zu den Kunden aufzubauen.<br />
Nur in Offenheit und gegenseitigem<br />
Vertrauen lassen sich die Aufträge so realisieren,<br />
dass kein Wunsch offen bleibt«,<br />
ergänzt der Firmengründer. Schließlich<br />
ist der Wettbewerb gerade in diesen Krisenjahren<br />
hart und härter geworden. Die<br />
Aufträge werden immer anspruchsvoller,<br />
zugleich wird gespart, wo es nur geht.<br />
Das Unternehmen setzt zum einen<br />
auf den Einsatz modernster (Computer-)<br />
Technik plus entsprechender Software –<br />
mp arbeitet allein mit 35 CAD-Zeichnern<br />
zusammen – und zum anderen auf die<br />
Kreativität seiner Mitarbeiter. Was Wunder,<br />
dass die Leipziger dafür bekannt<br />
sind , auch unvorhersehbare Situationen<br />
flexibel, ideenreich und mit hochgekrempelten<br />
Ärmeln zu meistern. Sie verfügen<br />
unterdessen über Niederlassungen<br />
in Dresden, Köln und Stuttgart und sind<br />
in der Lage, mit ihrem in Deutschland<br />
einzigartigen Eigenbestand an Systemmaterial<br />
und Veranstaltungstechnik eine<br />
Bruttofläche von mehr als 40 Fußballfeldern<br />
gleichzeitig zu bebauen.<br />
Unter die Top Ten der deutschen Messebauunternehmen<br />
hat sie der Auftrag<br />
zu einem Drei-Marken-Auftritt der Daimler<br />
AG auf der IAA Nutzfahrzeuge 2010 in<br />
Hannover katapultiert. Eine kleine Weltpremiere<br />
feierte BMW auf der AMI 2012<br />
in Leipzig. Die Bayern präsentierten auf<br />
ihrem 2.200 Quadratmeter großen Stand<br />
erstmals den neuen 3er Touring. Den<br />
Messestand hatte mp mit einem 40-köpfigen<br />
Montageteam in sieben Tag- und<br />
Nachtschichten gebaut. Im August folgt<br />
der Auftritt von BMW und MINI auf der<br />
MIAS in Moskau. Auf sogar 3.300 Quadratmetern.<br />
Die Münchner profitieren<br />
dabei von den reichen Erfahrungen und<br />
Kontakten von mp auf den teils schwierigen<br />
osteuropäischen Messemärkten.<br />
FREUND DES KLAREN WORTES<br />
Seit mehr als zehn Jahren bekleidet der<br />
mp-Chef zudem ein Ehrenamt, für das<br />
der begnadete Netzwerker mit seinem in<br />
der Branche legendären Organisationstalent<br />
wie geschaffen scheint. Bunsen<br />
übernimmt 2001 von Wolfgang Topf,<br />
heute Präsident der Industrie- und Handelskammer<br />
zu Leipzig, die Führung des<br />
im Herbst 1990 gegründeten Unternehmerverbandes<br />
Sachsen.<br />
Zwei Jahre später bildet sich die »Interessengemeinschaft<br />
der ostdeutschen<br />
Unternehmerverbände und Berlin« und<br />
beruft 2010 den sächsischen Unternehmer<br />
zu ihrem Sprecher. Ein Glücksgriff,<br />
denn Bunsen vermag nicht nur Fäden zu<br />
knüpfen, sondern er ist auch ein Freund<br />
sehr deutlicher Worte.<br />
Die bekommt von ihm auch Bundeswirtschaftsminister<br />
Philipp Rösler zu<br />
hören. Es geht hoch her an diesem 16.<br />
November 2011 im Leipziger Westin-<br />
Hotel. Im wörtlichen wie im übertragenen<br />
Sinne. Die Präsidenten und Geschäftsführer<br />
der Unternehmerverbände<br />
der neuen Länder haben Rösler in den 27.<br />
Stock eingeladen und halten mit ihrer<br />
Kritik an der Bundesregierung nicht hinterm<br />
Berg. Voran Bunsen, der einen<br />
ernüchternden Lagebericht gibt und entschieden<br />
die Fortführung von Förderprogrammen<br />
für die neuen Länder fordert,<br />
gerade, was Innovationen angeht.<br />
Womöglich täuschte der Eindruck,<br />
aber Rösler schien mit dieser Breitseite<br />
nicht gerechnet zu haben. Immerhin versprach<br />
er Prüfung der Vorwürfe. Wenn<br />
auch die Entscheidungswege der Bundesregierung<br />
unerforschlich sein mögen –<br />
Rösler hat zumindest in einem Punkt<br />
Wort gehalten. Trotz der Sparmaßnahmen<br />
der Bundesregierung wird beispielsweise<br />
der Antragsschluss zu Projekten<br />
im Zentralen Innovationsprogramm Mittelstand<br />
bis 2014 verlängert (s. beiliegendes<br />
W&M-EXTRA »Feuerwerk der Ideen«).<br />
GIPFELTREFFEN IN LEIPZIG<br />
Für Hartmut Bunsen war die Begegnung<br />
mit dem Vizebundeskanzler hoch über<br />
der Messestadt nur das Vorspiel zu einem<br />
Expertentreffen, an dem er über ein Jahr<br />
gearbeitet hat und das seinesgleichen zumindest<br />
in Ostdeutschland vergeblich<br />
sucht. An die 400 Spitzenmanager, Wissenschaftler<br />
und Politiker – darunter EU-<br />
Kommissar Günther Oettinger oder der<br />
sächsische Ministerpräsident Stanislaw<br />
Tillich und der FDP-Bundestagsfraktionschef<br />
Rainer Brüderle – diskutierten zwei<br />
Tage im Mai die Konsequenzen der Energiewende.<br />
Die Geburt einer Denkfabrik?<br />
Gut möglich, schließlich ist eine Wiederholung<br />
fest geplant. Was nur wenige<br />
wissen: Im Frühsommer dieses Jahres<br />
stand das Energieforum der Unternehmerverbände<br />
und IHK der neuen Länder<br />
mehrfach auf der Kippe. Es fehlte bis<br />
nach Berlin nicht an Warnern, dass man<br />
sich mit so einem Gipfeltreffen übernehme.<br />
Anders in der unmittelbaren<br />
Umgebung Bunsens. »Was sich unser<br />
Chef einmal in den Kopf gesetzt hat, das<br />
wird auch etwas«, hieß es dort – schlichtes<br />
Lob für einen Unternehmer, der ein<br />
meisterlicher Ruderer geblieben und ein<br />
ebenso wagemutiger wie verlässlicher<br />
Steuermann geworden ist.<br />
Helfried Liebsch<br />
&<br />
WIRTSCHAFT & MARKT 07–08/12 61
UV-AKTUELL<br />
GESCHÄFTSSTELLEN<br />
der Unternehmerverbände<br />
Unternehmerverband Berlin e.V.<br />
Präsident: Armin Pempe<br />
Hauptgeschäftsführer: Andreas Jonderko<br />
Geschäftsstelle:<br />
Ingrid Wachter (Sekretariat)<br />
Frankfurter Alllee 202, 10365 Berlin<br />
Tel.: (030) 981 85 00, 981 85 01<br />
Fax: (030) 982 72 39<br />
E-Mail: mail@uv-berlin.de<br />
Unternehmerverband Brandenburg e.V.<br />
Präsident: Eberhard Walter<br />
Hauptgeschäftsstelle Cottbus:<br />
Roland Kleint<br />
Schillerstraße 71, 03046 Cottbus<br />
Tel.: (03 55) 226 58, Fax: 226 59<br />
E-Mail: uv-brandenburg-cbs@t-online.de<br />
Bezirksgeschäftsstelle Potsdam:<br />
Bezirksgeschäftsführer: Norbert Gölitzer<br />
Hegelallee 35, 14467 Potsdam<br />
Tel.: (03 31) 81 03 06<br />
Fax: (03 31) 817 08 35<br />
Geschäftsstelle Frankfurt (Oder):<br />
Geschäftsführer: Detlef Rennspieß<br />
Perleberger Str. 2, 15234 Frankfurt (O.)<br />
Tel.: (03 35) 400 74 56<br />
Mobil: (01 73) 633 34 67<br />
Unternehmerverband Rostock-<br />
Mittleres Mecklenburg e.V.<br />
Präsident: Frank Haacker<br />
Geschäftsführerin: Manuela Balan<br />
Geschäftsstelle:<br />
Wilhelm-Külz-Platz 4, 18055 Rostock<br />
Tel.: (03 81) 242 58 -0, 242 58 -11<br />
Fax: 242 58 18<br />
Regionalbüro Güstrow:<br />
Am Augraben 2, 18273 Güstrow<br />
Tel.: (038 43) 23 61 12, Fax: 23 61 17<br />
Unternehmerverband Norddeutschland<br />
Mecklenburg-Schwerin e.V.<br />
Präsident: Rolf Paukstat<br />
Hauptgeschäftsführer: Wolfgang Schröder<br />
Geschäftsstelle:<br />
Brunnenstraße 32, 19053 Schwerin<br />
Tel.: (03 85) 56 93 33, Fax: 56 85 01<br />
Unternehmerverband Thüringen e.V.<br />
Präsident: Peter Baum<br />
Geschäftsstelle:<br />
IHK Erfurt<br />
Arnstädter Str. 34, 99099 Erfurt<br />
Tel.: (03 681) 42 00 50, Fax: 42 00 60<br />
Unternehmerverband Vorpommern e.V.<br />
Präsident: Gerold Jürgens<br />
Leiter d. Geschäftsst.: Wolfgang Kastirr<br />
Geschäftsstelle:<br />
Am Koppelberg 10, 17489 Greifswald<br />
Tel.: (038 34) 83 58 23, Fax: 83 58 25<br />
Unternehmerverband Sachsen e.V.<br />
Präsident: Hartmut Bunsen<br />
Vizepräs.: Dr. W. Zill, Dr. M. Reuschel,<br />
U. Hintzen<br />
Geschäftsführer: Rüdiger Lorch<br />
www.uv-sachsen.org<br />
Geschäftsstelle Chemnitz:<br />
Leiterin: Gabriele Hofmann-Hunger<br />
Marianne-Brandt-Str. 4, 09112 Chemnitz<br />
Tel.: (03 71) 49 51 29 12, Fax: -16<br />
E-Mail: chemnitz@uv-sachsen.org<br />
Geschäftsstelle Dresden:<br />
Repräsentant: Klaus-Dieter Lindeck<br />
Antonstraße 37, 01097 Dresden<br />
Tel.: (03 51) 899 64 67, Fax 899 67 49<br />
E-Mail: dresden@uv-sachsen.org<br />
Geschäftsstelle Leipzig:<br />
Leiterin: Silvia Müller<br />
Riesaer Straße 72 – 74, 04328 Leipzig<br />
Tel.: (03 41) 257 91-20, Fax: -80<br />
E-Mail: leipzig@uv-sachsen.org<br />
Unternehmerverband Sachsen-Anhalt e.V.<br />
Präsident: Jürgen Sperlich<br />
Geschäftsstelle Halle/Saale<br />
Berliner Str. 130, 06258 Schkopau<br />
Tel.: (0345) 78 23 09 24<br />
Fax: (0345) 78 23 467<br />
UV Brandenburg<br />
Unternehmerverband als Familie<br />
Brandenburger Mitglieder zogen auf ihrer Jahresversammlung ein positives<br />
Resümee: Verband gehört zu den rührigsten in den neuen Ländern.<br />
Interessenvertretung,<br />
Plattform und Familie<br />
von kleinen und mittelständischen<br />
Firmen – diesem<br />
Anspruch ist der Unternehmerverband<br />
Brandneburg e.V.<br />
auch im vergangenen Jahr gerecht<br />
geworden, schätzte Verbandspräsident<br />
Eberhard<br />
Walter auf der Jahresmitgliederversammlung<br />
Anfang Juni<br />
in Cottbus ein. Der Verband<br />
gehört zu den rührigsten im<br />
Osten. Das misst sich nicht zuerst<br />
an der Zahl der Veranstaltungen,<br />
sondern am Einfluss<br />
auf die Gestaltung von Wirtschaftspolitik<br />
im Land. Der<br />
UV Brandeburg ist wohl der<br />
einzige Verband, der auf besonderen<br />
Wunsch des Wirtschaftsministeriums<br />
bei der<br />
Schwerpunktebildung zur<br />
Förderpolitik des Landes für<br />
die Jahre 2014 bis 2019 gehört<br />
wurde. Unsere Vorschläge<br />
wurden ernst genommen,<br />
konstatierte Eberhard Walter.<br />
Einfluss nimmt der Brandenburger<br />
Unternehmerverband<br />
auch über die rege Tätigkeit<br />
seiner Arbeitskreise. Der<br />
»Landesarbeitskreis (LAK)<br />
Schule-Wirtschaft« widmete<br />
sich vor allem der aus Sicht<br />
der Unternehmer unumgänglichen<br />
bundesweiten Bildungsreform.<br />
Er wurde in<br />
den »LAK Fachkräftesicherung«<br />
umbenannt. Im LAK<br />
»Innovative Technologien«<br />
machten sich die Unternehmer<br />
mit neuen Verfahren und<br />
Produkten bekannt und beförderten<br />
die Zusammenarbeit<br />
zwischen Lehre und Forschung<br />
in den Bildungseinrichtungen<br />
des Landes und<br />
den Mitgliedsbetrieben. Der<br />
LAK »Dienstleistungen« beschäftigte<br />
sich besonders mit<br />
der Sicherstellung des Mitgliedernutzens<br />
der bearbeiteten<br />
Themen und dem Aufbau<br />
von Kontakten zu den polnischen<br />
Nachbarn. Langfristig<br />
angelegt wurde im LAK »Tourismus«<br />
das Thema der Barrierefreiheit.<br />
Der LAK »Mittelstandspolitik«<br />
bearbeitet Themen<br />
wie die durch die<br />
Kommunen angestrebte Rekommunalisierung<br />
von<br />
Dienstleistungen und die Ausweitung<br />
der Tätigkeit kommunaler<br />
Unternehmen.<br />
Beim Kernproblem »Sicherstellung<br />
des Arbeitskräftenachwuchses«<br />
taugt nach Ansicht<br />
des UV das Mittel der Zuwanderung<br />
von Fachkräften<br />
werden. Es sei nicht hinnehmbar,<br />
dass bis zu 25 Prozent der<br />
Schüler die Schule ohne Abschluss<br />
verlassen und weitere<br />
25 Prozent als nicht ausbildungsfähig<br />
gelten.<br />
Nicht erfolgreich war der<br />
UV auch in Sachen Wirtschaftstätigkeit<br />
der Kommunen.<br />
Es sei nicht gelungen,<br />
das Gesetz zur Ausweitung<br />
kommunaler Tätigkeit in<br />
Brandenburg auszubremsen,<br />
gab Eberhard Walter zu.<br />
Trotzdem sei damit dieses Ka-<br />
KONZENTRIERT: UV-Mitglieder Anfang Juni in Cottbus.<br />
nicht – weder quantitativ<br />
noch qualitativ. Einerseits<br />
brauchten vor allem die Nachbarstaaten<br />
ihre Fachkräfte zunehmend<br />
selbst und zweitens<br />
werde der beruflichen Ausbildungsqualität<br />
der Zuwanderer<br />
zu wenig Beachtung geschenkt.<br />
Als Lösungsansatz<br />
beim Fachkräfteproblem favorisiert<br />
der UV Änderungen im<br />
Erziehungs- und Bildungssystem.<br />
Nicht Optimierungen<br />
und Korrekturen führen zum<br />
Ziel, sondern nur eine generelle<br />
Strukturveränderung.<br />
Bildungsinhalte, Konzepte<br />
und Zuständigkeiten müssten<br />
länderübergreifend, de facto<br />
bundeseinheitlich organisiert<br />
pitel noch nicht abgeschlossen.<br />
Dem UV ist bewusst, dass<br />
die Kommunen vor der Quadratur<br />
des Kreises stehen. Einerseits<br />
steigen die Steuereinnahmen<br />
der Städte und Gemeinden<br />
in der Fläche, wenn<br />
überhaupt, nur sehr verhalten.<br />
Zum anderen würden die<br />
den Kommunen abverlangten<br />
Leistungen immer größer.<br />
In Veranstaltungen mit<br />
den Verantwortlichen von<br />
Städten und Gemeinden wurde<br />
bis auf wenige Ausnahmen<br />
übereinstimmend festgestellt,<br />
dass die von Bund und Land<br />
den Kommunen übertragenen<br />
Leistungen, deren finanzielle<br />
Kräfte übersteigen und<br />
62 WIRTSCHAFT & MARKT 07–08/12
UV-AKTUELL<br />
die Haushalte vor eine unlösbare<br />
Aufgabe stellen.<br />
Der Unternehmerverband<br />
wende sich nach wie vor gegen<br />
diese Art, Probleme lösen<br />
zu wollen, weil sie zu Wettbewerbverzerrungen<br />
und zu<br />
neuen Problemlagen führten.<br />
Der Verband hat sein Engagement<br />
im Rahmen der Interessengemeinschaft<br />
der ostdeutschen<br />
Unternehmerverbände<br />
und Berlins erhöht.<br />
»Hier ist es gelungen, der ostdeutschen<br />
Bewegung kleinund<br />
mittelständischer Unternehmer<br />
eine einheitliche<br />
Richtung zu geben, Forderungen<br />
zu artikulieren und an<br />
die Bundesregierung heranzutragen«,<br />
betonte Walter.<br />
Im laufenden Jahr will der<br />
Verband seinen Einfluss vertiefen.<br />
Durch aktive Mitgestaltung<br />
der Arbeit der Interessengemeinschaft<br />
der neuen<br />
Länder soll an der Entscheidungsfindung<br />
in der Politik<br />
mitgewirkt werden.<br />
Hans Pfeifer<br />
&<br />
UV Rostock-Mittleres Mecklenburg<br />
Neuer Name für mehr regionale Präsenz<br />
Hansestädtischer Verband will wachsen, kleine und mittlere Firmen besser<br />
beraten und dafür in den kommenden Wochen Regionalbüros einrichten.<br />
Auf ihrer diesjährigen ordentlichen<br />
Mitgliederversammlung<br />
im Mai<br />
hat die Interessenvertretung<br />
regionaler Unternehmen in<br />
Rostock und der Region um<br />
die Hansestadt ihren territorialen<br />
Status quo neu definiert.<br />
Das Gremium stimmte<br />
dafür, ab sofort den Unternehmerverband<br />
Rostock und<br />
Umgebung umzubenennen in<br />
Unternehmerverband Rostock-Mittleres<br />
Mecklenburg.<br />
Damit werde der sehr breit gehaltene<br />
Begriff »Umgebung«<br />
durch ein klar erkennbares<br />
und abgegrenztes regionales<br />
Profil ersetzt, wie Frank<br />
Haacker, Präsident des Unternehmerverbandes<br />
Rostock-<br />
Mittleres Mecklenburg, be-<br />
gründete. Es sei zugleich ein<br />
Signal, dass der Verband, der<br />
im Kern »mit Rostock das wirtschaftliche<br />
Herz Mecklenburg-Vorpommerns<br />
repräsentiert«,<br />
künftig noch stärker in<br />
die benachbarte Region Mittleres<br />
Mecklenburg ausstrahlen<br />
und die Interessen dort<br />
ansässiger Unternehmen vertreten<br />
will.<br />
Haacker kündigte an, dass<br />
in den Städten Bad Doberan,<br />
Ribnitz-Damgarten, Güstrow,<br />
Teterow und Waren/Müritz in<br />
den kommenden Wochen UV-<br />
Regionalbüros eingerichtet<br />
werden sollen. Sie werden Ansprechpartner<br />
für die Unternehmen<br />
vor Ort sein. Der Fokus<br />
des Unternehmerverbandes<br />
habe bisher sehr einseitig<br />
auf Rostock gelegen, wo der<br />
übergroße Teil der aktuell<br />
rund 500 Mitgliedsunternehmen<br />
und kooperierenden Mitglieder<br />
ansässig ist. Der Verband<br />
wolle in den kommenden<br />
drei bis fünf Jahren stark<br />
wachsen. »Unser Ziel sind 700<br />
Mitglieder.« In Rostock und in<br />
der Region Mittleres Mecklenburg<br />
gibt es laut Haacker<br />
gegenwärtig rund 6.600 Unternehmen.<br />
Er betonte, der<br />
Unternehmerverband agiere<br />
branchenübergreifend und<br />
berate kleine und mittlere Firmen<br />
sowie Einzelunternehmer<br />
in allen unternehmensrelevanten<br />
Fragen, ergänzend<br />
zu den Angeboten der Handwerkskammern<br />
und IHK.<br />
Thomas Schwandt<br />
Fotos: H. Pfeifer<br />
UV BRANDENBURG<br />
Kriminalität<br />
an der Grenze<br />
Die Sicherheitslage in den<br />
Grenzregionen bestimmte<br />
Fachdiskussion auf der Mitgliedervollversammlung.<br />
In den Grenzregionen nehmen<br />
Eigentumsdelikte zu.<br />
»Die von der ansteigenden Kriminalität<br />
Betroffenen sehen<br />
sich ihrer Grundlagen beraubt,<br />
nämlich ihrer Arbeitsmittel«,<br />
klagte Verbandspräsident<br />
Eberhard Walter.<br />
Dr. Herbert Trimbach, Abteilungsleiter<br />
im Innenministerium<br />
des Landes, und Sven<br />
Bogacz, Leiter der Polizeidirektion<br />
Brandenburg-Süd, redeten<br />
nicht um den heißen<br />
Brei herum. Sicherheit sei ein<br />
wirtschaftlicher Standortfaktor.<br />
Drei von vier Polizeihundertschaften<br />
des Landes Brandenburg<br />
sind bereits im<br />
Grenzgebiet stationiert. Die<br />
Polizeibediensteten beider<br />
Staaten würden befähigt, gemeinsam<br />
zu handeln. Der<br />
Zoll hat seit kurzem polizeiliche<br />
Befugnisse.<br />
Trimbach und Bogacz widersprachen<br />
der Meinung,<br />
dass Polen den Schwarzen Peter<br />
habe: »Die Säge klemmt<br />
oft in Deutschland.« Ganz<br />
praktisch: Während polnische<br />
Polizisten die Handys<br />
flüchtiger Täter sofort orten<br />
können, müssen deutsche Polizisten<br />
auf eine richterliche<br />
Entscheidung warten. Ein<br />
BESORGT: Verbandspräsident<br />
Eberhard Walter.<br />
großer Teil der grenzüberschreitenden<br />
Kriminalität<br />
werde nicht im Grenzgebiet<br />
verübt, sondern weit im Hinterland.<br />
Nicht nur in Nordrhein-Westfalen<br />
oder im Saarland,<br />
sondern auch in Frankreich<br />
oder Portugal werden<br />
die Fahrzeuge und Ausrüstungen<br />
gestohlen, die über die<br />
Brandenburgische Grenze<br />
Richtung Osten verbracht<br />
würden. Allerdings sei das Interesse<br />
der übrigen Bundesländer<br />
ohne Ostgrenze sehr<br />
flau, klagten die Beamten.<br />
Das solle sich mit der Bildung<br />
einer länderübergreifenden<br />
Arbeitsgruppe »Grenzkriminalität«<br />
durch die Innenministerkonferenz<br />
ändern.<br />
Polizeidirektor Sven Bogacz<br />
forderte die Unternehmer<br />
auf, selbst Maßnahmen<br />
zu ergreifen. Dazu gehörten<br />
nicht nur Prävention, sondern<br />
auch Zusammenarbeit<br />
mit der Polizei und technische<br />
Hilfsmittel, beispielsweise<br />
die künstliche DNA, mit<br />
der diebstahlgefährdete Güter<br />
markiert werden können.<br />
Hans Pfeifer<br />
&<br />
+ TERMINE+<br />
TERMINE<br />
UV Rostock<br />
19. Juli, 16.00 Uhr, HWBR,<br />
An der Jägerbäk 4, 18069 Rostock:<br />
Führungskräfteseminar<br />
»Rahmenbedingungen für KMU«.<br />
UV Vorpommern<br />
1. Oktober, Greifswald:<br />
Wirtschaftstag Vorpommern<br />
2012, Festveranstaltung<br />
20 Jahre UV Vorpommern.<br />
UV Brandenburg<br />
2. Juli; 18.00 Uhr, 14482<br />
Potsdam-Babelsberg; Otto-Erich-<br />
Str. 11/13: Forum Zukunft – aus<br />
der Praxis für die Praxis.<br />
14. September, 9.00 bis<br />
15.00 Uhr, Schloss Genshagen,<br />
14974 Genshagen, Dorfstraße:<br />
LogistikTagLudwigsfelde 2012,<br />
Thema: »Seehafenhinterlandverkehr<br />
als Chance für die Wirtschaft<br />
in Berlin und Brandenburg«.<br />
UV Sachsen<br />
11. Juli, 13 bis 17.30 Uhr,<br />
Solaristurm Chemnitz, Neefestraße<br />
88, 09116 Chemnitz:<br />
Support-Netzwerktreffen<br />
(Geschäftsstelle Chemnitz)<br />
WIRTSCHAFT & MARKT 07–08/12 63
W&M-PRIVAT<br />
POLITIKER<br />
Der letzte<br />
Saboteur<br />
»Eilfahndung« stand über<br />
dem Haftbefehl, den die agonierende<br />
DDR-Justiz am 3. Dezember<br />
1989 einem der letzten<br />
Flüchtlinge hinterher jagte.<br />
Begründung: »Sabotage 3<br />
104 STGB«. Der treulose Politakt<br />
richtete sich gegen den<br />
obersten Devisenbeschaffer<br />
Schalck-Golodkowski, der<br />
sechs Jahre zuvor mit dem<br />
bayrischen Ministerpräsidenten<br />
Strauß den lebensverlängernden<br />
Milliardenkredit für<br />
die DDR-Wirtschaft eingefädelt<br />
hatte. Das Verschwinden<br />
des Goldfingers in Richtung<br />
Tegernsee hinterließ brisante<br />
Spekulationen. Neue Antworten<br />
bieten jetzt sein Arzt und<br />
ein Verleger, der Schalck später<br />
wieder traf.<br />
Frank Schumann/<br />
Heinz Wuschech:<br />
Schalck-Golodkowski.<br />
Der Mann, der<br />
die DDR retten wollte,<br />
Edition Ost,<br />
192 Seiten, 12,95 EUR<br />
Nachhilfe für<br />
den Pfarrer<br />
Die Schonzeit ist vorbei. »Ein<br />
bisschen ökonomisches Wissen<br />
wäre hilfreich«, rät Bestsellerautor<br />
Albrecht Müller<br />
dem neuen Bundespräsidenten,<br />
der seinen Blick abwende,<br />
wo sich der Einfluss der<br />
Bankwirtschaft auf die Politik<br />
offenbart und nicht einmal<br />
das Funktionieren der<br />
Europäischen Zentralbank<br />
verstehe. Der Autor betreibt<br />
seine Analyse nicht ohne Ironie<br />
und versucht sich als Ratgeber<br />
für den Seelsorger.<br />
Albrecht Müller,<br />
Der falsche Präsident.<br />
Was der Pfarrer Gauck<br />
noch lernen muss,<br />
Westend Verlag,<br />
64 Seiten, 5,99 EUR<br />
Sein erster Bestseller hieß<br />
»Scheißkerle«. Das gehobene<br />
deutsche Feuilleton<br />
befand, es sei ein Griff tief<br />
in die Mottenkiste der Machokritik.<br />
Doch der Erfolg auf<br />
dem Buchmarkt stellte Verlag<br />
und Autor zufrieden. 2.000<br />
Zuschriften, die er bekam,<br />
nahm der Kommunikationswissenschaftler<br />
Roman Maria<br />
Koidl als Ermutigung, das<br />
Thema im gleichen lockeren<br />
Grundton auf Politik, Wirtschaft<br />
und Gesellschaft zu<br />
projizieren.<br />
Die Figuren, die Koidls neues<br />
Buch »Blender« bevölkern,<br />
laufen unter Bezeichnungen<br />
wie Schlipswichser, Intriganten,<br />
Hochstapler, Flitzpiepen,<br />
Kompetenzprotze und Pöstchenjäger.<br />
Gegenstand dieser<br />
ironischen Psychoanalyse ist<br />
ein Cheftyp, der auf der Karriereleiter<br />
zu hoch geklettert<br />
ist, als dass er dem Unternehmen<br />
oder Parteifreunden, die<br />
er vertritt, noch gut tun kann.<br />
Das Thema ist freilich<br />
nicht ganz neu. Schon vor 40<br />
Jahren lieferten der Psychologe<br />
Laurence Peter und der<br />
Schriftsteller Raymond Hull<br />
dazu den Weltbestseller: »Das<br />
Peter-Prinzip oder Die Hierarchie<br />
der Unfähigen«. Das<br />
Standardwerk des Versagens<br />
ist in 40 Sprachen übersetzt<br />
worden. Gebracht hat das offenbar<br />
nichts. Das Blenden,<br />
so beobachtet Koidl, gehöre<br />
zum Alltag der Wettbewerbsgesellschaft<br />
und sei Bestandteil<br />
der Unternehmenskultur.<br />
BÜCHERBORD<br />
Karrieren<br />
Generation IMM<br />
Ob in Politik, Unternehmen oder Büro – ein Bestsellerautor<br />
sucht den Nachweis, warum immer<br />
die Falschen Karriere machen.<br />
Der Blender sei kein Paria der<br />
Leistungsgesellschaft, sondern<br />
genieße einen hohen<br />
Wert an der Aufmerksamkeitsbörse.<br />
Personal für die Abhandlung<br />
seiner Thesen über Titelsucht<br />
und Eitelkeit, Inkompetenz<br />
und Überforderung findet<br />
Koidl in der deutschen<br />
Gesellschaft zu Hauf. Absteiger<br />
wie der Baron zu Guttenberg<br />
und der Karstadt-Chef<br />
Middelhoff mit ihrem selbstgefertigten<br />
TV-Flitter eignen<br />
sich als besonders einprägsame<br />
Paradepferde. Prototypen<br />
einer ganzen Generation IMM<br />
– Irgendwas mit Medien.<br />
Und es sind immer Männer.<br />
Also fragt sich Koidl, »warum<br />
gut ausgebildete Frauen<br />
in Beruf und Karriere von<br />
Männern überholt werden,<br />
die ihnen, an objektiven Leistungskriterien<br />
gemesssen,<br />
klar unterlegen sind«. Altbekannte<br />
Klagefakten (nur vier<br />
Frauen unter den 182 männlichen<br />
Kollegen in deutschen<br />
DAX-Vorständen) hat er leicht<br />
zur Hand – Belege für ihn,<br />
dass Frauen kein Talent haben,<br />
Seilschaften zu bilden<br />
und sich immer noch scheu<br />
zeigen in einer Welt, wo<br />
männliche Rhetorik und Körpersprache<br />
dominieren.<br />
Koidl verlangt die Frauenquote<br />
als »Aktivierungsenergie«<br />
für die Gesellschaft. Gegen<br />
den Typ Blender wird das<br />
kaum helfen. Der bleibt wohl<br />
eine zeitlose Sozialfigur.<br />
Peter Jacobs<br />
ROMAN MARIA KOIDL, BLENDER.<br />
Warum immer die Falschen<br />
Karriere machen<br />
Hoffmann und Campe<br />
224 Seiten, 16,99 EUR<br />
RÜCKSCHAU<br />
Vordenker<br />
und Pleitier<br />
Ein Professor für Volkswirtschaftslehre<br />
und ein Finanzwisssenschaftler,<br />
beide Österreicher,<br />
haben sich daran<br />
gemacht, den Karriereweg<br />
und das Denken des klügsten<br />
und schillerndsten Wirtschaftsphilosphen,<br />
den ihr<br />
Land hervorgebracht hat, allgemeinverständlich<br />
darzulegen.<br />
Gleichermaßen faszinierend:<br />
Schumpeters bizarre<br />
Karriere als Wissenschaftler<br />
und Börsenspekulant, seine<br />
Auffassungen von der schleichenden<br />
Zersetzung des<br />
Kapitalsmus und der von ihm<br />
geprägte Begriff von der<br />
»schöpferischen Zerstörung«.<br />
Ein Buch von überraschendem<br />
Aktualitätswert.<br />
Heinz D. Kurz/Richard Sturn,<br />
Schumpeter für jedermann.<br />
Die Kraft<br />
der schöpferischen<br />
Zerstörung,<br />
Frankfurter<br />
Allgemeine Buch,<br />
224 Seiten,<br />
17,90 EUR<br />
BESTSELLER<br />
Wirtschaftsbuch<br />
1. Thilo Sarrazin: Europa braucht den<br />
Euro nicht. DVA (12,99 EUR)<br />
2. David Graeber: Schulden.<br />
Klett-Cotta (26,95 EUR)<br />
3. Carsten Maschmeyer: Selfmade.<br />
Ariston (19,99 EUR)<br />
4. Walter Isaacson: Steve Jobs.<br />
Bertelsmann (24,99 EUR)<br />
5. Martin Wehrle: Ich arbeite<br />
in einem Irrenhaus<br />
Econ (14,99 EUR)<br />
6. Tomas Sedlacek: Die Ökonomie von<br />
Gut und Böse. Hanser (24,90 EUR)<br />
7. Jürgen Roth: Gazprom.<br />
Das unheimliche Imperium.<br />
Westend (19,99 EUR)<br />
8. Dirk Laabs: Der deutsche Goldrausch.<br />
Pantheon (16,99 EUR)<br />
9. Sarah Wagenknecht: Freiheit statt<br />
Kapitalismus. Campus (19,99 EUR)<br />
10.Dirk Müller: Crashkurs<br />
Droemer (19,99 EUR)<br />
64 WIRTSCHAFT & MARKT 07–08/12
W&M-PRIVAT<br />
LEUTE & LEUTE<br />
Reiner Schwalme, 75<br />
Karrikatur und Zeichnung: Rainer Schwalme<br />
Als Bundesfamilienministerin<br />
kommt Kristina<br />
Schröder einfach auf<br />
keinen grünen Zweig. Stattdessen<br />
macht sie als Schriftstellerin<br />
Furore. Gemeinsam<br />
mit ihrer Referatsleiterin Caroline<br />
W. schrieb sie das Buch<br />
»Danke, emanzipiert sind wir<br />
selber!«<br />
Die Beteuerung glaubt freiwillig<br />
kein Mensch. Kinder,<br />
Küche und Kristina, von der<br />
Herdprämie ganz zu schweigen:<br />
Nichts ist öder als die<br />
Politik von Schröder. Die<br />
Spaßvögel von der TV-Satire-<br />
Sendung »Extra 3« ehrten sie<br />
schon mit der Goldenen Küchenschürze,<br />
und ihre beste<br />
Feindin Alice Schwarzer wiederholte,<br />
was sie ständig wiederholt:<br />
»Frau Schröder, ich<br />
halte Sie für einen hoffnungslosen<br />
Fall!«<br />
Für die Bundesregierung<br />
hat Kristina nun die Spendierhose<br />
übergestreift und steht<br />
bereit, mit Geld, das sie nicht<br />
hat, soziale Wohltaten zu<br />
finanzieren, die keiner will.<br />
Eltern von Kleinkindern haben<br />
ab Januar 2013 einen Anspruch<br />
auf zunächst 100 und<br />
dann 150 Euro Verdummungsgeld<br />
monatlich, wenn<br />
sie ihren Kindern das Betreten<br />
von Kindertagesstätten<br />
verwehren. Dies scheint mir<br />
ein viel versprechender Ansatz<br />
zu sein. Auch derjenige,<br />
Kristinas<br />
Spendierhose<br />
Ernst Röhl ärgert sich<br />
über Blindgänger<br />
der ungern Museen, Ministerien,<br />
Bahnhofsklos und Bordelle<br />
besucht, sollte fürs Fernbleiben<br />
auskömmlich honoriert<br />
werden. Auf gar keinen<br />
Fall dürfen die bereit gestellten<br />
Milliarden für weitere Kitas<br />
oder für die Ausbildung<br />
qualifizierter Betreuungskräfte<br />
verplempert werden.<br />
Seit langem schon veranstaltet<br />
die CDU/CSU, die tapfer<br />
für die Kita-Fernhalteprämie<br />
kämpft, einen Kuhhandel<br />
mit Niebels Teppichpartei.<br />
Diese gab ihr Okay erst, nachdem<br />
die Kanzlerin einer<br />
gleichfalls bizarren privaten<br />
Pflege-Zusatzversicherung zugestimmt<br />
hatte, die die FDP<br />
der Versicherungsbranche als<br />
kleines Geschenk überreichen<br />
möchte; denn kleine Geschenke<br />
erhalten die Freundschaft.<br />
Problemlos kommen<br />
2.483 Euro zusammen, wenn<br />
die fünf Euro, mit denen die<br />
Koalition private Pflegeversicherungsverträge<br />
fördern<br />
will, über 30 Jahre angespart<br />
und mit zwei Prozent verzinst<br />
werden. Das Geld reicht dann<br />
fast, um drei Wochen den Aufenthalt<br />
in einem Pflegeheim<br />
zu bezahlen, der monatlich<br />
3.000 Euro kostet. Man denkt<br />
immer, so was kann’s doch<br />
gar nicht geben, und dann<br />
gibt’s das doch. Die Regierung<br />
ist demnach auch eine Art<br />
Pflegeheim, eine Kita ist sie<br />
leider nicht. Sonst könnte<br />
Mutti die Minister ja bei sich<br />
zu Hause betreuen.<br />
Früher krankte ich an chronischer<br />
Hochachtung vor auskömmlich<br />
alimentierten Bundesministern,<br />
sogar vor Ex-<br />
Wirtschaftsminister Michael<br />
Glos (CSU). Längst weiß ich,<br />
dass ich einem Blindgänger<br />
blind vertraute. Immerhin<br />
schenkte uns Glos nach seinem<br />
Rücktritt reinen Wein<br />
ein: »Ich wusste nicht mal, wo<br />
genau dieses Wirtschaftsministerium<br />
stand, und es<br />
hat mich nie interessiert. Ich<br />
hatte auch keine Ahnung,<br />
welches die Aufgaben meines<br />
Ministeriums überhaupt sein<br />
mochten.«<br />
So weit, so gut. Aber wie<br />
komme ich eigentlich von<br />
Michael Glos auf Kristina<br />
Schröder?<br />
&<br />
Scharf beobachtendes Zeichentalent,<br />
seit 46 Jahren selbstständig,<br />
fast täglich präsent in der<br />
deutschen Presselandschaft – so<br />
etwa könnte ein Werbetext für<br />
Reiner Schwalme lauten, wenn<br />
er einen notwendig hätte. Hat<br />
er aber<br />
nicht. Der<br />
Gebrauchsgrafiker<br />
gelangte<br />
einst über<br />
die DDR-<br />
Gewerkschaftszeitung Tribüne<br />
ins Karikaturgewerbe, erwarb<br />
sich bei dem Satiremagazin<br />
Eulenspiegel einen guten Namen<br />
und zeichnet heute auch für die<br />
Sächsische Zeitung, den Tagesspiegel<br />
und Wirtschaft & Markt.<br />
120 Originalblätter sind zurzeit<br />
im Museum für Humor und Satire<br />
in Luckau zu sehen (www.humorund-satire-museum.de).<br />
Im Juni wurde Reiner Schwalme<br />
75. Das W&M-Team gratuliert.<br />
LESERPOST<br />
Ost-West<br />
Heft 06/2012<br />
Darüber zu grübeln, ob der Solidarpakt<br />
vielleicht doch über<br />
2019 hinaus verlängert werden<br />
sollte, halte ich für nutzlos.<br />
All die Sonderförderungen für<br />
den Osten haben das Problem<br />
doch nur gelindert, aber nicht<br />
abgeschafft. Ein selbsttragender<br />
Aufschwung ist nicht in<br />
Sicht. Es käme darauf an,<br />
strukturell ganz neue Wege zu<br />
gehen. Aber der Umgang mit<br />
der Solarindustie zeigt leider,<br />
wie kurzsichtig zurzeit Wirtschaftspolitik<br />
gemacht wird.<br />
Bent Lüdecke, Lübeck<br />
Fonds<br />
Heft 06/2012<br />
SEBImmoInvest wird nicht der<br />
letzte Immobilienfonds sein,<br />
dessen Öffnung im Moment<br />
scheitert. Danke also für solche<br />
Ratgeber-Beiträge in W&M, die<br />
Kleinanlegern Entscheidungshilfe<br />
geben.<br />
Konrad Splett, per E-Mail<br />
WIRTSCHAFT & MARKT 07–08/12 65
KOLUMNE<br />
Die vergessene Erfahrung<br />
In diesen Tagen fesseln uns die Eurokrise<br />
und der damit verbundene<br />
Streit um den besten Weg nach vorn.<br />
Wenn man so will, ein Streit zwischen<br />
ökonomischen Experten (besonders außerhalb<br />
Deutschlands) und dem gesunden<br />
Menschenverstand der Bürgerinnen<br />
und Bürger.<br />
Für die Bürger ist es oft unverständlich,<br />
wie die Experten die Lösung der Probleme<br />
sehen. Von diesen hört man allerdings<br />
ganz entgegengesetzte Strategien:<br />
Die einen kritisieren Deutschland, weil<br />
die Bundesregierung nicht schon beim<br />
ersten Aufflammen der Griechenlandkrise<br />
diesem Land seine Schulden – so<br />
oder so – abgenommen habe; die anderen<br />
wiederum hätten sich eher von einem<br />
sofortigen Staatsbankrott Griechenlands<br />
und der dabei durchschlagenden<br />
Haftung seiner Gläubiger (dann im Wesentlichen<br />
der europäischen Banken) die<br />
für Europa und die Weltwirtschaft erfolgreichste<br />
Klärung der Krise erwartet.<br />
Also was nun? Was ist richtig?<br />
Beide Positionen widersprechen sich<br />
nicht nur grundsätzlich – wie das beim<br />
Rat der Experten oft der Fall ist: Sie widersprechen<br />
auch beide dem gesunden<br />
Menschenverstand.<br />
Denn: Wer würde einem leichtfertigen<br />
Schuldner seine Schulden abnehmen<br />
oder die Bedingungen für eine<br />
Rückzahlung erleichtern, ohne dass der<br />
Schuldner nicht zunächst mindestens<br />
Besserung verspricht und auch praktiziert?<br />
Welcher vernünftige Gläubiger<br />
würde nicht zunächst sicherstellen, dass<br />
der Schuldner zukünftig klüger mit dem<br />
geliehenen Geld umgeht, damit er das<br />
neue Geld auch zurückzahlen kann?<br />
Die zweite These, nämlich man hätte<br />
Griechenland damals sofort pleitegehen<br />
lassen müssen, klingt zunächst überzeugend.<br />
In der Tat, warum soll der Steuerzahler<br />
mit Rettungsmitteln einspringen,<br />
wenn die Gläubiger offenbar dem Staat<br />
das Geld ohne sorgfältige Prüfung der<br />
Kreditwürdigkeit geliehen hatten?<br />
Die Gläubiger Griechenlands schon<br />
beim ersten Anzeichen der Krise sich<br />
selbst zu überlassen und zum Verzicht<br />
auf wesentliche Teile ihrer Ansprüche zu<br />
zwingen, hatte allerdings einen praktischen<br />
Haken: Die Verluste der Banken<br />
hätten vermutlich nicht nur eine wiederum<br />
staatlich finanzierte Kapitalausstattung<br />
der geschädigten Gläubigerbanken<br />
notwendig gemacht und damit<br />
ZUR SACHE<br />
Betrachtung<br />
zur wirtschaftlichen Lage<br />
Von Dr. Klaus von Dohnanyi<br />
wiederum eine erneute Erhöhung der<br />
Staatsschulden verursacht. Gefährlicher<br />
noch: Weltweites Misstrauen in europäische<br />
Staatsanleihen hätte eine massive<br />
Kapitalflucht aus den anderen gefährdeten<br />
Eurostaaten der südlichen Peripherie<br />
auslösen können. Deswegen schien es<br />
damals klüger, erst diese anderen Länder<br />
zu stabilisierenden Reformen zu bewegen,<br />
um dann den schwierigen Fall Griechenland<br />
zu lösen.<br />
Dafür verfolgte Deutschland eine eigene<br />
Strategie: Sparen bei den Staaten und<br />
Schuldenabbau, und zugleich Reformen<br />
für mehr Wachstum. Und dabei dann:<br />
Geduld in der Krise.<br />
Nun wird diese Sparpolitik Deutschland<br />
vorgeworfen. Obwohl die betroffenen<br />
Eurostaaten doch heute noch immer<br />
weitere Schulden auftürmen! Aber auch<br />
das soll ja die Schuld deutscher Sparpolitik<br />
sein. Da lohnt ein Blick über den<br />
Atlantik: Die USA machen täglich weiterhin<br />
horrende Schulden – wächst deswegen<br />
die dortige Wirtschaft schneller<br />
oder sinkt dort die Arbeitslosigkeit? Leider<br />
nein!<br />
Der gesunde Menschenverstand hat<br />
eine andere Meinung als viele Experten<br />
und er hat – wie meistens – Recht: Wer<br />
Schulden aufgehäuft hat, sollte sich<br />
bemühen, sie abzubauen und das Geld<br />
anstatt für Zinsen an die Bank lieber für<br />
eine Verbesserung der eigenen Leistung<br />
(in der Wirtschaft heißt das: für mehr<br />
Wettbewerbsfähigkeit) einsetzen. Auf<br />
gut Deutsch: Zum Beispiel länger arbeiten;<br />
streckenweise auf Lohnsteigerungen<br />
verzichten; die Arbeitsmärkte für<br />
mehr Wettbewerb öffnen ... Kurz all das,<br />
was Bundeskanzler Gerhard Schröder<br />
2003 mit der Agenda 2010 für Deutschland<br />
dankenswerterweise in Gang setzte<br />
– und wofür er dann von einer kleinen<br />
Minderheit in seiner SPD gestürzt wurde.<br />
Es gibt so viele internationale Beispiele<br />
für positive Wachstumsfolgen, die mit<br />
einem Mix aus Sparpolitik und Strukturreformen<br />
eingeleitet wurden, dass man<br />
die Gegner dieser Strategie nur mit Verwunderung<br />
hören kann. Der neue französische<br />
Präsident Hollande etwa sollte<br />
sich einfach mal die Schweiz, Schweden,<br />
Finnland, Polen – und notfalls auch<br />
Deutschland – anschauen: Es geht doch,<br />
wenn man will. Man braucht allerdings<br />
politischen Mut zu sagen, was ist und<br />
dann auch zu tun, was notwendig ist.<br />
Wenn mich das alles an eine vergessene<br />
Erfahrung erinnert, dann ist das die<br />
Debatte um die Wiedervereinigung vor<br />
gut 20 Jahren. Gewiss, nicht alles wurde<br />
damals richtig gemacht. Steuererhöhungen<br />
im Westen und Steuererleichterung<br />
im Osten wären sicherlich klüger gewesen.<br />
Doch all die damaligen Expertenratschläge,<br />
bis hin zu Oskar Lafontaines<br />
prinzipieller Ablehnung der Vereinigung,<br />
haben den Kern nicht getroffen.<br />
Da lob ich mir den gesunden Menschenverstand<br />
von Helmut Kohl.<br />
Das sind für mich die Erfahrungen,<br />
die wir nicht vergessen dürfen: Sie beginnen<br />
mit Konrad Adenauer, dem damals<br />
die Zehnmalklugen Einfalt und Kurzsichtigkeit<br />
vorwarfen, als er die Westbindung<br />
zum Schlüssel des Wiederaufstiegs<br />
Deutschlands machte. Es war der Chor<br />
der »Ostexperten«, der Willy Brandts Ostpolitik<br />
Naivität vorwarf – bis diese dann<br />
die Wiedervereinigung ermöglichte. Und<br />
so ist es heute mit den Vorwürfen gegen<br />
den gesunden Menschenverstand von<br />
Frau Merkel. Politik sollte auch die praktische<br />
Lebenserfahrung der Menschen<br />
immer im Auge behalten.<br />
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66 WIRTSCHAFT & MARKT 07–08/12
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