Fremdsprachenassistenten 2013 - Carolus-Magnus-Kreis eV
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Kristian Raum Deutsche und französische Fremd- und Selbstbilder<br />
Wenn Deutsche und Franzosen in Kontakt kommen, spielen sie<br />
meist eine nicht zu unterschätzende Rolle: die Bilder, die jeder<br />
vom jeweils anderen hat. Unabhängig davon, ob sie offen thematisiert<br />
oder unterschwellig präsent sind, haben sie nach wie vor<br />
einen großen Einfluss auf die Wahrnehmung des Nachbarlandes.<br />
Der Fremdsprachenunterricht ist ein besonderer Ort, um diese<br />
Bilder auch einmal explizit zu thematisieren und als Sprechanlass<br />
zu nutzen – dies umso mehr, als im Fall des <strong>Fremdsprachenassistenten</strong><br />
ja ein Vertreter der Zielkultur und damit der „anderen“<br />
Sichtweise im Klassenzimmer präsent ist.<br />
Auf der Spur nach dem Bild des Nachbarn leistet die Analyse von<br />
Karikaturen eine wichtige Rolle, denn wie kein anderes Medium<br />
spiegeln sie Fremd- und Selbstbilder wider. Gleichzeitig sind sie<br />
aufgrund ihres Erscheinens in Zeitungen mit hoher Auflage ausreichend<br />
repräsentativ, um Verallgemeinerungen zuzulassen und<br />
Aussagen über die in der Bevölkerung verbreiteten Ansichten abzuleiten.<br />
Als Materialbasis eignen sie sich daher besonders gut.<br />
Sie können gemeinsam mit den Schülern je nach Unterrichtsziel<br />
in unterschiedlicher Durchdringungstiefe erarbeitet werden – stets<br />
mit der Absicht, interkulturelles Lernen, aber auch die Entwicklung<br />
der Kommunikationsfähigkeit der Schüler anzuregen. Der<br />
Unterrichtende hat daher in Abhängigkeit von seiner Lerngruppe<br />
oder seinem eigenen Interessenschwerpunkt die Möglichkeit, die<br />
Karikaturen zu analysieren (vgl. die unten stehende Übersicht über<br />
typische Karikaturelemente), sie mehr oder weniger vertiefend in<br />
den historischen Kontext der deutsch-französischen Beziehungen<br />
einzuordnen und/oder sie als Sprechanlass für die Schüler zu nutzen.<br />
1 Im Anschluss an die Behandlung einer Karikatur könnte<br />
eine weitergehende Beschäftigung mit Fremdwahrnehmung stehen,<br />
könnten Stereotype besprochen, Interviews geführt und Klassen-Mailaustausche<br />
angeregt werden. Im Mittelpunkt sollte dabei<br />
stets die Sensibilisierung der Schüler für die Perspektivengebundenheit<br />
ihrer eigenen Wahrnehmungen und die eigene kreative<br />
Auseinandersetzung mit tradierten Sichtweisen stehen, um die<br />
stets präsente Gefahr einer Verfestigung von Stereotypen durch<br />
deren Behandlung im Unterricht auszuschließen.<br />
Das Bild der Franzosen von Deutschland ist gekennzeichnet durch<br />
seine Zwiespältigkeit: Zum einen gibt es seit dem 19. Jahrhundert<br />
und beeinflusst durch das Wirken von Madame de Staël das Bild<br />
des romantischen, philosophischen und mithin friedliebenden<br />
Deutschlands. Zum anderen haben die militärischen Konflikte spätestens<br />
seit dem Deutsch-Französischen Krieg von 1870/71 die<br />
Wahrnehmung Deutschlands als gefährlichen und aggressiven<br />
Nachbarn gefördert. Diese „deux Allemagnes“ existierten nebeneinander,<br />
die beiden Weltkriege unterstützten hingegen vor allem<br />
das Bild eines militaristischen Deutschlands.<br />
In der Nachkriegszeit wird Deutschland, das 1945 bedingungslos<br />
kapitulieren musste, in französischen Zeitungen weiterhin als Germania<br />
symbolisch dargestellt. Die Karikaturisten gaben ihr oft ein<br />
jugendliches Erscheinungsbild, um das aus französischer Sicht<br />
fortbestehende Bedrohungspotential und die Gefahr einer Wiederholung<br />
der Geschichte auszudrücken. Die Angst vor der Wiederkehr<br />
des deutschen Militarismus blieb präsent und äußert sich<br />
im Fortleben der alten negativen Bilder. Aus französischer Sicht<br />
wird daher Marianne als Symbol der Verschmelzung von Nation<br />
und Republik oft mit einer potentiell gefährlichen Germania kontrastiert.<br />
Allerdings ist seit den 50er Jahren ein Rückgang von<br />
Germania-Darstellungen zu verzeichnen, an deren Stelle nun konkrete<br />
Politiker treten, in erster Linie Bundeskanzler Konrad Ade -<br />
nauer. Dies hängt nicht zuletzt mit dem durch die zunehmende<br />
Mediennutzung gestiegenen Bekanntheitsgrad von Politikern und<br />
ihrer äußeren Erscheinung zusammen.<br />
Umfragen aus den folgenden Jahrzehnten bestätigen ein zunehmendes<br />
gegenseitiges Vertrauen, Deutschland wird als „bester<br />
Freund Frankreichs“ zitiert. Negativ gewendet sprechen manche<br />
Autoren in den 1980er Jahren aber auch von einer zunehmenden<br />
Banalisierung – unterbrochen von Phasen der Unsicherheit, wie<br />
zum Beispiel die Zeit des Mauerfalls und des sich anschließenden<br />
deutsch-deutschen Einigungsprozesses. In der französischen<br />
Presse spiegeln sich trotz der anfänglichen Begeisterung für den<br />
Erfolg der Demokratie im 200. Jubiläumsjahr der Französischen<br />
Revolution auch große Befürchtungen wider. Die sich aus französischer<br />
Sicht abzeichnende wirtschaftliche und demographische<br />
Übermacht eines vielleicht sogar neutralen Deutschlands führte zu<br />
einem regelrechten „Schockerlebnis“. In diesem Zusammenhang<br />
traten in Karikaturen wieder Bezüge zu Bismarck und sogar zum<br />
Dritten Reich auf, von nicht wenigen wurde „le retour de Bis -<br />
marck“ befürchtet. Das Frankreichbild der Deutschen muss aufgrund<br />
der Entstehung zweier deutscher Staaten nach 1945<br />
differenziert werden. In der Nachkriegszeit finden sich zunächst oft<br />
Selbstdarstellungen Deutschlands als unschuldiger, jugendlicher<br />
Michel, um auf die problematische Ernährungslage hinzuweisen<br />
und den Mythos der „Stunde Null“ zu festigen. In den 1950er Jahren<br />
treten Michel und Germania als Nationalallegorien ohne Eigenschaften<br />
auf, Michel wird allenfalls als eine naiv-unschuldige<br />
Figur der angeblich verworfenen Marianne gegenübergestellt;<br />
später mehren sich im Zuge einer „Sexualisierung“ der deutschfranzösischen<br />
Beziehungen Karikaturen in Form von deutsch-französischen<br />
Hochzeitsszenen.<br />
1 Vgl. hierzu auch die Anregungen zum Umgang mit Bildern im Beitrag von Anja Taschenberger in diesem Band.<br />
34 Deutsche <strong>Fremdsprachenassistenten</strong> <strong>2013</strong>