Volltext - Staatsbibliothek zu Berlin
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BIbliotheks<br />
m agazin<br />
B. Furtmeyr: Baum des Todes und<br />
des Lebens, BSB, Salzburger Missale<br />
Clm 15710, fol. 60 v<br />
(Bilder: Quaternio Verlag München/BSB)<br />
Früchten und Tieren in die Phantastik seiner<br />
frei erfundenen Rankenornamente<br />
<strong>zu</strong>rückverwandelt. Es wäre für Furtmeyr<br />
nicht schwer gewesen, seine Initialen und<br />
Ranken <strong>zu</strong> illusionistischen Trompe-l’oeils<br />
aus<strong>zu</strong>bauen. Es scheint aber seine<br />
bewusste künstlerische Entscheidung<br />
gewesen <strong>zu</strong> sein, an der ornamentalen<br />
Rückbindung seiner Gestaltung an die Fläche<br />
des Papiers fest<strong>zu</strong>halten. Ähnliches ist<br />
in seiner Deutung der Bildrahmungen <strong>zu</strong><br />
beobachten: Hatte Furtmeyr in seinem<br />
Frühwerk die Bildszenen noch außerhalb<br />
des Schriftspiegels gewissermaßen als<br />
„Zutat <strong>zu</strong>m Text“ angeordnet, sind die<br />
Miniaturen später konsequent mit dem<br />
Schriftspiegel verzahnt. Im Salzburger Missale<br />
schließlich hat Furtmeyr dann weiterführend<br />
die Geometrie des Bildfeldes als<br />
tektonisches Bildgefüge ausgebaut und<br />
damit einen wichtigen Schritt auf dem Weg<br />
<strong>zu</strong>r geometrisch-perspektivischen Systematisierung<br />
des Bildraums und <strong>zu</strong>m Bildbegriff<br />
der Renaissance <strong>zu</strong>rückgelegt. Er<br />
steigert nicht nur die Zahl der ganzseitigen<br />
Miniaturen, sondern auch die absolute<br />
Größe der Bildfelder. Mit über 40 ganzseitigen<br />
Miniaturen im Folio-Format steht<br />
Furtmeyr in der Geschichte der Buchmalerei<br />
beispiellos da. Zugleich manifestiert<br />
sich hierin ein künstlerischer Wettbewerb,<br />
den er als Buchmaler mit der Tafelmalerei<br />
austrug. Virtuos verschränkte er die verschiedenen<br />
„Bildsysteme“ Miniatur, Bordüre,<br />
Initiale und Text miteinander. Mit<br />
leichter Hand entwirft er in mehreren hundert<br />
Miniaturen gleichzeitig ein nahe<strong>zu</strong> universelles<br />
Spektrum der Bilder der visuellen<br />
und geistigen Kultur seiner Zeit: Glaubensbilder,<br />
Traumbilder, Sternbilder, Körperbilder,<br />
Erotik und Sexualität, Landschafts-,<br />
Natur-, Weltbilder, Schreckens- und Gewaltbilder,<br />
Bilder der Alltagswelt.<br />
Die Sehnsucht der Stilgeschichte nach<br />
einem klaren entwicklungsgeschichtlichen,<br />
vielleicht sogar teleologisch ausgerichteten<br />
Verlauf der Geschichte der Kunst ist selten<br />
so enttäuscht – mit Blick auf die Sehnsucht<br />
nach volkstümelnden, nationalen Identitätsmustern<br />
gelegentlich sogar „gedemütigt“ –<br />
worden, wie in der „deutschen“ Kunstgeschichte<br />
des 15. Jahrhunderts: All<strong>zu</strong> vielgliedrig<br />
und uneinheitlich erscheinen die