Titel - Justament

Titel
Wie steht’s um die Quote,
Frau Vorsitzende?
Gerichtsverhandlungen im Fernsehen – Realitätsverlust oder Weiterbildung?
Manch einer kann da ins Schleudern kommen.
Kristina Orthmann
ch, was waren sie schön, die guten
Aalten Zeiten als Verhandlungen noch
vor Gericht stattfanden und das Urteil
eines Richters ein natürliche Autorität
besaß. Doch diese Zeiten sind nun leider
vorbei: Es begab sich an einem gewöhnlichen
Freitag morgen, an dem mich
meine Wege ins Amtsgericht führten, um
an einer Verhandlung teilzuhaben. Der
Fall stellte sich schnell als wenig spektakulär
heraus. Der Angeklagte gab alles zu
und war seinen Äußerungen nach nur
dort, um sich seine Strafe abzuholen.
Dies klingt soweit noch ganz gut: ein
geständiger Angeklagter, der reuig seine
Strafe entgegennimmt. Letzteres gestaltete
sich dann jedoch ungewöhnlich
schwierig. Das vom Richter festgelegte
Strafmaß war dem Angeklagten nämlich
zu hoch. Nachvollziehbar: fürs geständig
sein nun auch noch zahlen müssen?
Doch darum ging es gar nicht. Vielmehr
war sich der Angeklagte sicher, dem
Richter sei bei Festlegung des Strafmasses
ein Irrtum unterlaufen. Sodann klärte
er den Richter darüber auf, dass er gestern
im Fernsehen eine Verhandlung gesehen
habe, in der bei selbiger Tat das
Strafmaß wesentlich niedriger ausgefallen
sei. So, nun wissen wir‘s – war doch
schon immer so: Was im Fernsehen läuft
ist richtig – und vor allem nicht falsch!
Realitätsverlust oder Weiterbildung fragt
man sich? Dem wahren Leben so nah
und doch so fern?! Die Rede ist von Barbara
Salesch und ihren Nachfolgern, die
nachmittags im Fernsehen Recht sprechen.
Sie und ihr Kollege Richter Holt
Richterin
Barbara Salesch bei
der Rechtsfindung
scheinen streitend um Drei auf den Kanälen
Deutschlands einen unergründlichen
Zauber auf die Menschen auszuüben,
der sie am Fernseher fesselt.
Immerhin hat es Jura nun geschafft,
die Bretter dieser Welt zu erobern- weg
vom staubig trockenen Langeweile-
Image! Jura goes Hollywood!
Wartet nun eine ähnliche Karriere auf
die Juristen dieser Nation wie sie zuvor
Dr. Stefan Frank und Schwester Stefanie
in zahlreiche Arztserien erfahren haben?
Weiterbildung per Fernseher? Immerhin
war zumindest Frau Barbara Salesch
auch im wahren Leben Richterin und
sollte also ihr Handwerk verstehen. Doch
scheinbar führt auch diese Performance
zu unvermeidbaren Verwechslungen von
Realität und Show. Warum selber leben,
wenn uns im Fernsehen doch alles so
schön vorgespielt wird? Es wird uns gezeigt,
was sich im Leben der Familien von
nebenan abspielt. Es strengt nicht an
und es ist real! Jawohl, den Eindruck bekommt
man jedenfalls, wenn Frau Meier
tränenüberströmt gesteht, dass sie sich in
tiefster Eifersucht und Verzweiflung befand,
als die mit dem Messer auf ihren
Mann einstach. Das Leben im Fernsehen
perfekt nachbereitet- second hand sozusagen.
Einerseits gut, denn wer möchte
sich schon selbst in den Irrungen und
Wirrungen der jeweiligen Straftäter befunden
haben? Künstliche Realität andererseits,
die uns zum passiven Statisten
werden lässt, der sich immer tiefer in
seine Couch kuschelt und das Leben an
sich vorbeiziehen lässt.
Doch gönnen wir zumindest Justitia
die Karriere! Schliesslich hatte sie es nie
leicht im Leben – von Beginn an gefürchtet,
ohne wahre Freunde und von vielen
zu Nutze gemacht und so lange verdreht
bis es endlich passte. Nun ist ihre Zeit
gekommen, um die Ungerechtigkeiten
dieser Welt vor den Augen der Menschheit
klarzustellen. Ob jedoch Barbara Salesch
& Co auf Dauer das richtige Forum
dafür bieten, bleibt fraglich.
Der Angeklagte musste sich schliesslich
damit abfinden, dass er die vom
Richter für ihn vorgesehene Strafe
bekam. Doch diesen schien inzwischen
etwas ganz anderes zu beschäftigen:
eilig brach er auf- schliesslich war es
schon kurz vor Drei...
Informationen
Auf der Seite www.sat1.de/richterin/ gibt es
jede Menge Informationen zur Serie.
Dort werden zum Beispiel auch die Anwälte
vorgestellt, die in der Serie mitspielen und
übrigens auch im richtigen Leben
Rechtsanwälte sind.
Das Buch zur Serie:
„Richterin Barbara Salesch – Meine spannendsten
Fälle“ von Nathalie John.
Dino Verlag 2002,
€ 7,95,
ISBN 3-89748-608-3
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justament drei 2002