Brücken bauen Nr. 3 2011
Brücken bauen Nr. 3 2011
Brücken bauen Nr. 3 2011
Erfolgreiche ePaper selbst erstellen
Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.
Entgehen und Hinfinden –<br />
Leben als Pilgerschaft<br />
unterwegs gewesen sind. So wird auch Georg<br />
Emmerich, der bekannteste unter den Görlitzer<br />
Reisenden mit ihnen unterwegs gewesen sein:<br />
auf der Via Regia über Bautzen, Leipzig (wo<br />
er die Universität besucht hatte) nach Erfurt,<br />
woher die günstigste Verbindung nach Süden<br />
über Nürnberg, Augsburg, Innsbruck, den<br />
Brennerpass der Alpen bis nach Norditalien<br />
führte.<br />
Venedig als hochinteressantes Zwischenziel<br />
dürfte ein unerschöpfliches Programm an<br />
Sehenswürdigkeiten und Erlebnissen für<br />
jeden Geschmack geboten haben. Wenn<br />
auch Emmerich uns all das verschweigt, so<br />
können wir uns anhand gut dokumentierter<br />
Reiseberichte seiner Zeit doch einen Eindruck<br />
davon verschaffen, was für eine Wunderwelt<br />
sich da auch dem Görlitzer Kaufmann aufgetan<br />
haben wird. Vielleicht schloss er sich für<br />
die dann folgende Seefahrt ins Heilige Land<br />
einer jener hochadeligen Gesellschaften an,<br />
die mit zahlreichem Gefolge auf schweren<br />
Seglern venezianischer Reeder durch die<br />
Adria bis ins östliche Mittelmeer fuhren.<br />
Wo routinierte Akademiker und Künstler<br />
mit der Dokumentation aller Ereignisse und<br />
Sehenswürdigkeiten beauftragt waren, mag<br />
dem Görlitzer Georg die Motivation zu eigenen<br />
Aufzeichnungen vergangen sein.<br />
Die wichtigste Frage für uns, nämlich: Hat<br />
er oder hat er nicht ? die Ritterwürde beim<br />
Heiligen Grab in Jerusalem erlangt, konnte der<br />
Görlitzer Ratsarchivar Richard Jecht, dem wir<br />
die Erschließung aller urkundlichen Nachrichten<br />
zu Emmerichs Vita verdanken, anhand einer<br />
Urkunde des zuständigen Pilgerbüros der<br />
Franziskaner vom Zionsberg zu Jerusalem klar<br />
bejahen. Georg Emrich wurde am 11. Juli des<br />
Jahres 1465 in der Jerusalemer Grabeskirche<br />
9<br />
zum Ritter geschlagen. Das nötigt Respekt ab.<br />
Ein Bürgerlicher wird gewissermaßen geistlich<br />
geadelt. Das stand ihm nicht unbedingt zu.<br />
Hatte er sich nach seiner unwürdigen Haltung<br />
in den Auseinandersetzungen um eine junge<br />
Frau und das gemeinsame Kind und seiner<br />
Verweigerung in Fragen persönlicher und<br />
gesellschaftlicher Verantwortung innerhalb<br />
eines Vierteljahres derart geändert und<br />
verdient gemacht, dass er sich vor Gott und<br />
den Menschen entschuldigt wissen durfte?<br />
Nach mittelalterlichem Kirchenrecht – ja. Mit<br />
dem Betreten des heiligen Landes durfte er<br />
eines vollständigen Ablasses und der Tilgung<br />
aller persönlichen Schuld gewiss sein. Und<br />
das Besuchsprogramm aller erreichbaren<br />
heiligen Stätten der Christenheit – soweit<br />
politische Gewalt und islamische Praxis es<br />
zuließen – glich einer pauschaltouristischen<br />
Abhakliste in Sonderheit jener Orte, die dem<br />
Pilger vollständigen oder teilweisen Ablass<br />
versprachen.<br />
Kritik am kirchlichen Wallfahrtswesen<br />
überhaupt gibt es nicht erst seit Martin Luther,<br />
sondern bereits beim Kirchenvater Hieronymus<br />
(4.Jh.) und dem großen Abt der Zisterzienser,<br />
Bernhard von Clairvaux im 12. Jahrhundert.<br />
Ihnen ging es um geistige Vervollkommnung<br />
und innere Heiligung im Gegensatz zum mehr<br />
körperlich orientierten, als oberflächliche<br />
Lauferei kritisierten Pilgerrummel.<br />
Aber viele von denen, die sich so nach<br />
geistlichem Lohn ausstreckten, mögen<br />
dennoch von einer tiefen, inneren Frömmigkeit<br />
bewegt gewesen sein.<br />
Sie sehnten sich danach, mit ihrem Besuch<br />
an den Stätten, die sich mit dem Leben und<br />
Sterben Jesu verbinden, dem Heiland selbst<br />
ganz nahe zu sein. Ritualisiert vollzogen sie<br />
nach, was die Bibel ihnen sagte; ließen sich