08.04.2014 Aufrufe

Chemie in der Küche - ein Erfahrungsbericht mit Schüleraufsätzen

Chemie in der Küche - ein Erfahrungsbericht mit Schüleraufsätzen

Chemie in der Küche - ein Erfahrungsbericht mit Schüleraufsätzen

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Erfolgreiche ePaper selbst erstellen

Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.

<strong>Chemie</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> Küche -<br />

e<strong>in</strong> <strong>Erfahrungsbericht</strong> <strong>mit</strong> Schüleraufsätzen<br />

von Volker Wiskamp<br />

Impressum: Prof. Dr. V. Wiskamp, FH Darmstadt, Fb. CuB, Hochschulstr. 2, D-64289 Darmstadt<br />

E<strong>in</strong>leitung<br />

„<strong>Chemie</strong> und Haushalt? Viele Leute denken, dass <strong>Chemie</strong> e<strong>in</strong>e Wissenschaft ist, die <strong>in</strong>s Labor<br />

gehört und <strong>mit</strong> <strong>der</strong> man im normalen Leben nichts zu tun hat. Das stimmt nicht.“ „Die Küche<br />

ist e<strong>in</strong> richtiges Labor.“<br />

Mit diesen Sätzen begannen bzw. endeten Texte von zwei Schüler<strong>in</strong>nen <strong>der</strong> Klasse 8c<br />

des Lichtenberg-Gymnasiums <strong>in</strong> Darmstadt, die zu Beg<strong>in</strong>n <strong>der</strong> zweiten Hälfte des Schuljahres<br />

1997/98 als benotete Hausaufgabe e<strong>in</strong>en zweiseitigen Aufsatz über <strong>Chemie</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> Küche<br />

schreiben sollten. Zuvor waren die für den Anfangsunterricht <strong>in</strong> <strong>Chemie</strong> typischen Themen<br />

Stoffe und ihre Eigenschaften, Stofftrennungen, exotherme und endotherme, reversible und<br />

nicht-reversible Reaktionen behandelt worden. In <strong>der</strong> Hausaufgabe sollten die 15<br />

Schüler<strong>in</strong>nen und 11 Schüler - ohne weitere Hilfestellungen des Lehrers - <strong>der</strong> Frage<br />

nachgehen, ob und wo sie das im Unterricht Gelernte <strong>in</strong> <strong>der</strong> Küche wie<strong>der</strong>f<strong>in</strong>den können.<br />

Deshalb hat es den Lehrer natürlich beson<strong>der</strong>s gefreut, dass die Schüler durch die<br />

Hausaufgabe die <strong>Chemie</strong> auch als etwas tatsächlich Lebensnahes erkannten.<br />

Aufsätze<br />

Die Schüler schlugen bei <strong>der</strong> Bearbeitung des Themas drei verschiedene Wege e<strong>in</strong>.<br />

E<strong>in</strong>ige hatten sich Begriffe aus dem Unterricht als Leitl<strong>in</strong>ie herangezogen. Sie suchten<br />

<strong>in</strong> <strong>der</strong> Küche gezielt nach Re<strong>in</strong>stoffen wie Zucker o<strong>der</strong> Salz, nach homogenen Mischungen<br />

wie Wasser/Salz (Nudelwasser), Wasser/CO 2 (Sprudel) o<strong>der</strong> Wasser/Alkohol (We<strong>in</strong>) und<br />

nach heterogenen Mischungen wie Pfeffer/Salz, Zimt/Zucker o<strong>der</strong> Essig/Öl. Dann<br />

beschrieben sie Stoffeigenschaften, z.B., dass Eiswürfel aufgrund ihrer ger<strong>in</strong>geren Dichte auf<br />

e<strong>in</strong>em Getränk schwimmen, o<strong>der</strong> dass Metalltöpfe <strong>mit</strong> Inhalt, die die Hitze <strong>der</strong> Kochplatte<br />

aufgenommen haben, Griffe aus Holz o<strong>der</strong> Kunststoff besitzen müssen, weil diese nur e<strong>in</strong>e<br />

ger<strong>in</strong>ge Wärmeleitfähigkeit haben, demzufolge kaum warm werden und angefasst werden<br />

können. Fast alle Schüler beschrieben die Phasenübergänge des Wassers, d.h. die Eisbildung<br />

im Tiefkühlschrank, das Schmelzen des Eises außerhalb desselben, das Sieden des Wassers<br />

beim Kartoffeln-Kochen und die Kondensation von Wasserdampf am kalten Topfdeckel o<strong>der</strong><br />

an <strong>der</strong> Fensterscheibe. Als Beispiele für Stofftrennungen wurden vor allem das Extrahieren<br />

<strong>der</strong> Aromastoffe aus dem Kaffeemehl und die anschließende Filtration sowie das Trocknen<br />

von gewaschenem Salat durch Zentrifugieren <strong>in</strong> <strong>der</strong> Salatschleu<strong>der</strong> genannt. Als chemische<br />

Reaktionen wurden z.B. das Entkalken <strong>der</strong> Kaffeemasch<strong>in</strong>e und die Bildung des Treibgases<br />

CO 2 aus Backpulver<strong>in</strong>haltsstoffen erkannt. Wenn e<strong>in</strong> Steak <strong>in</strong> <strong>der</strong> Pfanne anfängt zu brennen,<br />

ist dies e<strong>in</strong>e exotherme Reaktion, wie e<strong>in</strong> Schüler richtig bemerkte. E<strong>in</strong>e Schüler<strong>in</strong> beschrieb<br />

Energietransferprozesse <strong>in</strong> <strong>der</strong> Küche, z.B. wie elektrische Energie e<strong>in</strong>e Herdplatte erwärmt,<br />

auf <strong>der</strong> dann Wasser zum Sieden gebracht wird, Drähte des Toasters zur Rotglut br<strong>in</strong>gt, die<br />

wie<strong>der</strong>um e<strong>in</strong> Weißbrot knusprig werden lässt, und auch die kalte Luft im Kühlschrank<br />

erzeugt.<br />

An<strong>der</strong>e Schüler g<strong>in</strong>gen e<strong>in</strong>fach <strong>in</strong> die Küche, schauten sich dort um, stellten Fragen<br />

und beantworteten diese <strong>mit</strong> Begriffen aus dem Unterricht. E<strong>in</strong>e Schüler<strong>in</strong> erläuterte z.B.,<br />

warum Kaffeebohnen nicht direkt <strong>mit</strong> heissem Wasser übergossen, son<strong>der</strong>n vorab gemahlen<br />

werden. Sie erkannte richtig, daß die fest/flüssig Extraktion effektiver ist, wenn die zu


2<br />

extrahierenden Teilchen sehr kle<strong>in</strong> s<strong>in</strong>d. E<strong>in</strong> Schüler gab Zucker <strong>in</strong> den Tee, rührte aber nicht<br />

um und mutmaßte, warum es recht lange dauerte, bis <strong>der</strong> Tee wirklich süß schmeckte: die<br />

Zuckerteilchen mussten sich nämlich erst lösen und dann durch Diffusion den ihnen <strong>in</strong> <strong>der</strong><br />

Tasse zur Verfügung stehenden Raum e<strong>in</strong>nehmen. E<strong>in</strong>e Schüler<strong>in</strong> erläuterte, dass man e<strong>in</strong>e<br />

volle Wasserflasche nicht <strong>in</strong>s Tiefkühlfach legen sollte, da das sich bildende Eis wegen se<strong>in</strong>er<br />

ger<strong>in</strong>geren Dichte die Flasche zum Platzen br<strong>in</strong>gen könnte. E<strong>in</strong>er an<strong>der</strong>en Schüler<strong>in</strong> fiel auf,<br />

dass Obst <strong>in</strong> <strong>der</strong> Regel viel Wasser enthält und dass das Trocken von Obst <strong>der</strong> Konservierung<br />

dient. Als an<strong>der</strong>e Konservierungsmethoden wurden E<strong>in</strong>kochen, Salzen, Zuckern, luftdicht<br />

Verschließen und Räuchern genannt. Ergänzend dazu wurde kommentiert: „Die <strong>Chemie</strong><br />

macht uns das Leben angenehmer. Viele Nahrungs<strong>mit</strong>tel bleiben aufgrund chemischer<br />

Konservierungs<strong>mit</strong>tel frisch.“ E<strong>in</strong> Schüler warnte ausdrücklich vor <strong>der</strong> chemischen Reaktion<br />

zwischen Zitronensaft und Marmor: „Ich kann nur allen raten, den Zitronensaft schnell<br />

wegzuwischen, denn er löst den Kalk von <strong>der</strong> Platte, und es entstehen nicht wie<strong>der</strong> ab zu<br />

bekommende Löcher.“<br />

Die dritte Gruppe nutzte die Küche, um dort zu experimentieren. Z.B. wurde e<strong>in</strong>e<br />

Tomate <strong>in</strong> kaltes und heißes, salzhaltiges und salzfreies Wasser gelegt und die Schwimmhöhe<br />

korrekt <strong>mit</strong> <strong>der</strong> Dichte des flüssigen Mediums korreliert. Ergänzend wurde e<strong>in</strong>e<br />

Experimentieranleitung geschrieben, die auch die verwendeten Geräte und Chemikalien<br />

sowie e<strong>in</strong>e anschauliche Skizze be<strong>in</strong>haltete. E<strong>in</strong> Schüler untersuchte <strong>mit</strong> e<strong>in</strong>er Batterie, e<strong>in</strong>em<br />

Glühlämpchen und Kabeln die Leitfähigkeit von Leitungswasser und Salzwasser. Außerdem<br />

fand er heraus, dass sich e<strong>in</strong>e Eierschale <strong>in</strong> Essig auflöst und dass destilliertes Wasser<br />

offensichtlich ke<strong>in</strong>e Nährstoffe enthält, denn e<strong>in</strong>e von ihm mehrere Tage da<strong>mit</strong> gegossene<br />

Zimmerpflanze g<strong>in</strong>g e<strong>in</strong>. E<strong>in</strong> Schüler<strong>in</strong> dampfte Zitronensaft e<strong>in</strong> und beobachtete die Bildung<br />

von Zitronensäure-Kristallen. E<strong>in</strong> Schüler wollte Zucker karamellisieren. Er gab zwar nicht<br />

direkt zu, dass dies scheiterte, gestand aber e<strong>in</strong>, aufgrund e<strong>in</strong>er aus <strong>der</strong> Pfanne nur schwer<br />

entfernbaren schwarzen Masse Ärger <strong>mit</strong> se<strong>in</strong>er Mutter bekommen zu haben.<br />

Fehler<br />

Natürlich war es sehr erfreulich, dass die Schüler so viele chemische D<strong>in</strong>ge <strong>in</strong> <strong>der</strong> Küche<br />

entdeckten, untersuchten, ausprobierten und wissenschaftlich erklärten. Für den Lehrer<br />

aufschlussreich war aber auch, was die Schüler falsch verstanden und <strong>in</strong>terpretiert hatten.<br />

Auffallend oft wurde <strong>der</strong> Begriff Verb<strong>in</strong>dung falsch verwendet: „In <strong>der</strong> Küche f<strong>in</strong>den<br />

ständig chemische Verb<strong>in</strong>dungen statt, z.B. von Wasser <strong>mit</strong> Salz, Zucker, Essig o<strong>der</strong> Alkohol.“<br />

„Milch ist e<strong>in</strong>e Emulsion, e<strong>in</strong>e Verb<strong>in</strong>dung von Fett und Wasser.“ „Beim Kaffeekochen<br />

werden die Kaffee<strong>in</strong>haltsstoffe <strong>mit</strong> dem Wasser verbunden.“ Bezüglich <strong>der</strong> Kaffeebereitung<br />

gab es noch an<strong>der</strong>e Fehldeutungen. So wurde beispielsweise behauptet, dass <strong>der</strong> Extrakt<br />

wegen se<strong>in</strong>er ger<strong>in</strong>gen Dichte durch das Filter läuft, während <strong>der</strong> Kaffeesatz aufgrund se<strong>in</strong>er<br />

hohen Dichte zurückgehalten wird, und das Re<strong>in</strong>igen <strong>der</strong> Kaffeemasch<strong>in</strong>e <strong>mit</strong> Essig wurde<br />

fälschlicherweise nicht als chemische Reaktion, son<strong>der</strong>n als Extraktion bezeichnet. Noch<br />

richtig war die Aussage e<strong>in</strong>er Schüler<strong>in</strong>, dass das Kochen von Wasser zur Sterilisation dient;<br />

falsch war dann aber, dass die Schüler<strong>in</strong> den Vorgang als Destillation bezeichnete. Von<br />

bedenklichen Verständnislücken zeugt folgen<strong>der</strong> Satz e<strong>in</strong>er Schüler<strong>in</strong>: „Salz ist ke<strong>in</strong> fester<br />

Stoff, deshalb löst es sich <strong>in</strong> Wasser auf. Öl ist e<strong>in</strong> fester Stoff, es adsorbiert sich an <strong>der</strong><br />

Oberfläche von Wasser.“<br />

Die Fehler wurden später im Unterricht besprochen. Dabei machte <strong>der</strong> Lehrer auch<br />

Verbesserungsvorschläge zur sprachlichen und strukturellen Gestaltung <strong>der</strong> Aufsätze, die<br />

manchmal zu wünschen übrig liess. Fachlich bereichert wurde die Abschlussdiskussion<br />

<strong>in</strong>sbeson<strong>der</strong>e durch die Ansicht e<strong>in</strong>er Schüler<strong>in</strong>, die sie <strong>in</strong> ihrem Aufsatz so formuliert hatte:<br />

„Putz- und Re<strong>in</strong>igungs<strong>mit</strong>tel s<strong>in</strong>d Chemikalien, die aber nicht giftig s<strong>in</strong>d bzw. se<strong>in</strong> dürfen,<br />

denn sonst könnte man sie nicht zum Tischere<strong>in</strong>igen benutzen.“ Hier konnte <strong>der</strong> Lehrer


3<br />

klarstellen, dass Re<strong>in</strong>igungs<strong>mit</strong>tel sehr wohl Gifte s<strong>in</strong>d (sonst ständen auch ke<strong>in</strong>e<br />

Gefahrensymbole auf den Verpackungen), die u.a. Bakterien töten und dadurch dem<br />

Menschen nützen sollen. Gefahren gehen von den Chemikalien nur bei nicht-fachgerechter<br />

Anwendung aus, z.B. <strong>in</strong> den Händen von Kle<strong>in</strong>k<strong>in</strong><strong>der</strong>n.<br />

Schluss<br />

Die Gültigkeit des uralten Leitsatzes, dass man nicht für die Schule, son<strong>der</strong>n für das Leben<br />

lernt, wurde erneut unter Beweis gestellt. Der Gang <strong>in</strong> das <strong>Chemie</strong>labor Küche machte den<br />

Schülern bewusst, dass sich die im Unterricht behandelten Aspekte <strong>der</strong> Wissenschaft <strong>Chemie</strong><br />

auch täglich <strong>in</strong> ihrem Leben abspielen. Der anschließende schriftliche Aufsatz gab den<br />

Schülern die Gelegenheit zu lernen, dass zur Wissenschaft über den re<strong>in</strong>en Praxisbezug<br />

h<strong>in</strong>aus auch das sorgfältige Dokumentieren und Interpretieren des Ausprobierten und<br />

Beobachteten gehören.

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!