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Materialheft zu den Internationalen Wochen gegen Rassismus 2014 ...

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34 Internationale <strong>Wochen</strong> <strong>gegen</strong> <strong>Rassismus</strong> <strong>2014</strong><br />

Niemand wird als Rassist geboren<br />

Dr. Mehmet Gürcan Daimagüler, Rechtsanwalt zweier Hinter bliebenen -<br />

familien im NSU-Prozess und Klara Marie Schröder, wissenschaftliche<br />

Mitarbeiterin, beklagen nicht nur das Versagen des Sicherheitsapparates<br />

im Zuge der NSU-Ermittlungen, sondern auch, dass der längst über -<br />

fällige Kampf <strong>gegen</strong> <strong>Rassismus</strong> in Deutschland an <strong>den</strong> entschei<strong>den</strong><strong>den</strong><br />

Stellen immer noch nicht geführt wird. Ein Plädoyer an je<strong>den</strong> einzelnen,<br />

eigene Denk strukturen <strong>zu</strong> überprüfen, <strong>Rassismus</strong> beim Namen <strong>zu</strong><br />

nennen und <strong>zu</strong> handeln.<br />

■Der Kampf <strong>gegen</strong> <strong>den</strong> <strong>Rassismus</strong> scheitert oft schon<br />

daran, dass er nicht geführt wird. Gründe für <strong>den</strong> ausgefallenen<br />

Kampf <strong>gegen</strong> <strong>den</strong> <strong>Rassismus</strong> gibt es viele: Bequemlichkeit,<br />

Feigheit, manchmal auch klammheimliche<br />

Kumpanei. Die Hauptgründe sind aber andere: Ignoranz und<br />

Blindheit. Viele Menschen assoziieren <strong>Rassismus</strong> nur mit<br />

kahlgeschorenen Köpfen, Springerstiefeln und Bomberjakken.<br />

Wie viele Skinheads dieser Art gibt es schon? Hundert?<br />

Tausend? Fünftausend? Was sind schon Fünftausend <strong>gegen</strong><br />

83 Millionen? Die Wahrheit ist aber eine andere. Rassisten<br />

2.1. sehen anders aus und re<strong>den</strong> anders als früher. Früher<br />

konnte man vielleicht »Rassist« und »Nazi« synonym verwen<strong>den</strong>.<br />

Das hat sich geändert. Jeder Nazi ist ein Rassist,<br />

aber nicht jeder Rassist ein Nazi. Der moderne Rassist nennt<br />

die Simpsons als seine Lieblingsserie und hört am liebsten<br />

Rosenstolz. Er schwadroniert nicht mehr über die Überlegenheit<br />

der einen Rasse über die andere. Er spricht lieber<br />

über die Zurückgebliebenheit der einen Kultur und der daraus<br />

folgen<strong>den</strong> Überlegenheit der eigenen Kultur. Er sorgt<br />

sich um die kulturelle I<strong>den</strong>tität seiner Heimat und der »Zuwanderung<br />

in die Sozialkassen«. Er gibt sich tierlieb und fordert<br />

ein Verbot der Schächtung. Er gibt sich kinderlieb und<br />

fordert ein Verbot der Beschneidung. Er gibt sich frauenverstehend<br />

und fordert ein Verbot des Kopftuchs. Er fordert ein<br />

Verbot des Korans, schließlich steht ja auch »Mein Kampf«<br />

auf dem Index. Er kämpft für unsere Freiheit und will alles<br />

verbieten, was er nicht kennt oder nicht kennen will.<br />

Das macht <strong>den</strong> Kampf <strong>gegen</strong> <strong>Rassismus</strong> unbequem. Wer will<br />

schon <strong>gegen</strong> Menschen argumentieren, die scheinbar Kinder<br />

lieben, scheinbar Frauen achten und Tiere schützen wollen?<br />

Wer will es wagen, solche Menschen Rassisten <strong>zu</strong> nennen?<br />

Nein, natürlich sind die meisten Menschen, Gott sei<br />

Dank, die sich um die Rechte von Kindern, Frauen und Tieren<br />

engagieren, keine Rassisten. Aber man sollte schon aufhorchen,<br />

wenn Menschen, <strong>den</strong>en im Alltag Kinder und Frauen<br />

vollkommen gleichgültig sind, plötzlich hyperengagiert<br />

wer<strong>den</strong>, wenn diese Themen beispielsweise im Kontext von<br />

Muslimen oder Ju<strong>den</strong> diskutiert wer<strong>den</strong>.<br />

Seit zwei Jahren vertrete ich Menschen, deren Väter, Brüder<br />

und Söhne von Verbrechern des »Nationalsozialistischen<br />

Untergrunds« ermordet wur<strong>den</strong>. Neun Männer und eine<br />

Frau mussten sterben, weil in <strong>den</strong> Herzen der Mörder der<br />

Hass loderte. Sie mussten aber auch sterben, weil die Sicherheitskräfte<br />

ihre Arbeit nicht machten, je<strong>den</strong>falls nicht so, wie<br />

sie es hätten machen müssen. Der Sicherheitsapparat hat<br />

versagt. In diesem Zusammenhang von »Pannen« <strong>zu</strong> sprechen,<br />

ist eine Verhöhnung der Opfer. »Panne« soll verniedlichen<br />

und soll technisieren. In diese Richtung zielt auch das<br />

Gerede von »Defiziten in der Sicherheitsarchitektur«. Über<br />

»Technik« <strong>zu</strong> sprechen fällt leicht, je<strong>den</strong>falls leichter, als<br />

über Haltung und Denken <strong>zu</strong> sprechen. Die Haltung in <strong>den</strong><br />

Köpfen vieler Kriminalbeamten war: ein erschossener Türke<br />

muss in <strong>den</strong> Drogenhandel verwickelt sein. Obgleich zahlreiche<br />

Zeugen an zahlreichen Tatorten von zwei kurz geschorenen,<br />

deutsch aussehen<strong>den</strong> Männern auf Fahrrädern<br />

berichteten, wurde keine Fahndung nach diesen Männern<br />

eingeleitet. Stattdessen kamen die Drogenhunde, stattdessen<br />

wur<strong>den</strong> die Telefone von Witwen und Halbwaisen abgehört.<br />

Türkische Opfer durften keine Opfer sein. Weder die<br />

Toten, noch die Hinterbliebenen. Es sind Menschen, die um<br />

ein Leben betrogen wur<strong>den</strong> und es sind Menschen, <strong>den</strong>en<br />

man die Würde genommen hat. Die Mörder nahmen <strong>den</strong><br />

Opfern die Würde, als sie ihnen in die Köpfe schossen und<br />

als sie die Sterben<strong>den</strong> fotografierten, um diese Bilder in das<br />

Paulchen-Panther-Bekennervideo ein<strong>zu</strong>bauen. Den Opfer -<br />

familien wurde die Würde genommen von einem Sicherheitsapparat,<br />

der <strong>den</strong> Trauern<strong>den</strong> nicht erlaubte <strong>zu</strong> trauern<br />

und sie <strong>zu</strong> Objekten von Denunziation und Verdächtigungen

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