Archivnachrichten Nr. 46 , März 2013 (application/pdf 2.8 MB)
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Mit Spaten und Ähre<br />
Der Reichsarbeitsdienst in Sigmaringen<br />
1<br />
1 | Arbeitsmänner des Reichsarbeitsdiensts mit<br />
Trommeln und Posaunen auf dem Sigmaringer<br />
Festplatz, um 1934.<br />
Vorlage: Landesarchiv StAS N 1/68 T 1 <strong>Nr</strong>. 109<br />
Im Zuge politischer Diskussionen um<br />
die Umsetzung der Agenda 2010 und die<br />
Abschaffung der Wehrpflicht forderten<br />
Vertreter verschiedener politischer Parteien,<br />
in Deutschland wieder einen<br />
Pflichtarbeitsdienst – je nach Themenlage<br />
für Langzeitarbeitslose oder wehrpflichtige<br />
Jugendliche – einzuführen.<br />
Durchsetzen konnten sich diese Vorstöße<br />
nicht, zu negativ ist das Konzept eines<br />
verpflichtenden Arbeitsdienstes seit der<br />
NS-Zeit belegt. Dass der Reichsarbeitsdienst<br />
(RAD) jedoch keine Neuerfindung<br />
des Dritten Reiches war, sondern aus<br />
dem 1932 zur Bekämpfung der Jugendarbeitslosigkeit<br />
geschaffenen Freiwilligen<br />
Arbeitsdienst der Weimarer Republik<br />
hervorging, ist heute nur noch wenigen<br />
bekannt.<br />
Da in Sigmaringen, dem Sitz des hohenzollerischen<br />
Regierungspräsidenten,<br />
noch kein Arbeitsdienstlager bestand,<br />
legte der für Württemberg und Hohenzollern<br />
zuständige Arbeitsgauführer<br />
Müller anlässlich seines Besuchs im Februar<br />
1934 großen Wert darauf, dass<br />
nach Hohenzollern bzw. nach Sigmaringen<br />
eine Arbeitsstammabteilung [des<br />
RAD] kommt. Bald darauf gründete sich<br />
der Zweckverband für das Arbeitsdienstlager<br />
Sigmaringen, dem neben der Stadt<br />
auch elf umliegende Gemeinden angehörten.<br />
Als Standort für das Barackenlager<br />
wurde ein brachliegendes Gelände<br />
an der Jungnauer Straße ausgewählt; die<br />
erste Arbeitsmaßnahme der neugeschaffenen<br />
Arbeitsdienst-Abteilung 4/263<br />
sollte die Errichtung des eigenen Lagers<br />
sein. Bis zum Bezug des noch nicht ganz<br />
fertiggestellten Lagers im Dezember<br />
1934 waren die jungen Männer in der<br />
Stadthalle Sigmaringen untergebracht.<br />
War die Teilnahme am Arbeitsdienst<br />
bis Mitte 1935 freiwillig geblieben, änderte<br />
sich dies mit dem Reichsarbeitsdienstgesetz<br />
vom 26. Juni 1935. Nun wurden<br />
alle Jugendlichen beiderlei Geschlechts<br />
zwischen dem 18. und 25. Lebensjahr<br />
verpflichtet, im Rahmen des Reichsarbeitsdienstes<br />
für die Dauer eines halben<br />
Jahres gemeinnützige Arbeiten zu verrichten,<br />
um sie im Geiste des Nationalsozialismus<br />
zur Volksgemeinschaft und zur<br />
wahren Arbeitsauffassung, vor allem zur<br />
gebührenden Achtung der Handarbeit zu<br />
erziehen.<br />
Die Sigmaringer Arbeitsmänner wurden<br />
zwischen 1935 und 1939 zu Flussregulierungen,<br />
Entwässerungsarbeiten an<br />
Wiesen und Feldern, dem Bau und Unterhalt<br />
von Waldwegen sowie bei Erntearbeiten<br />
eingesetzt. Dafür erhielten sie<br />
einen Tageslohn von 25 Pfennigen, was<br />
dem Gegenwert eines Bieres entsprach.<br />
Mit Kriegsbeginn wurde die Rekrutierung<br />
von Arbeitsmännern in Sigmaringen<br />
eingestellt; fortan stand das Lager leer<br />
und verfiel zusehends. Noch während<br />
des Krieges wurden Instandsetzungsmaßnahmen<br />
nötig, für die der Zweckverband<br />
bald nicht mehr aufkommen konnte.<br />
Anfragen der Hitlerjugend und des weiblichen<br />
Arbeitsdienstes zur Umnutzung<br />
des Lagers für eigene Zwecke wurden<br />
von der Arbeitsgauleitung Württemberg<br />
ebenso abgelehnt wie der Antrag des<br />
Zweckverbandes, die Trägerschaft über<br />
das defizitäre Lager an den RAD-Arbeitsgau<br />
abgeben zu können. Zum 1. April<br />
1945 löste sich der Zweckverband für das<br />
Arbeitsdienstlager Sigmaringen auf.<br />
Sabine Gössel<br />
24<br />
<strong>Archivnachrichten</strong> <strong>46</strong> / <strong>2013</strong>